konfrontieren statt kontrollieren - LAG Mobile Jugendarbeit ...
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Hrsg.: Arbeitskreis <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> Rems-Murr-Kreis c/o<br />
Kreisjugendamt Rems-Murr-Kreis, Referat <strong>Jugendarbeit</strong><br />
<strong>konfrontieren</strong> <strong>statt</strong> <strong>kontrollieren</strong><br />
Jugendschutz im Rahmen <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong><br />
Ein Positionspapier des Arbeitskreises <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Rems-Murr-Kreis<br />
In Abstimmung mit der Polizeidirektion Waiblingen<br />
Im Zuge der jüngsten Phänomene alkoholkonsumierender Jugendlicher (Flatrate-Party, Koma-Saufen,<br />
etc.) wird immer häufiger der Ruf nach aufsuchender <strong>Jugendarbeit</strong> zur Eindämmung dieser<br />
Phänomene, auch in Kooperation mit der Polizei, laut.<br />
Jugendschutz ist im Kontext präventiver Angebote (vgl. Arbeitskreis <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> Rems-Murr-<br />
Kreis, <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>- ein präventiver Arbeitsansatz, 2002) eine wichtiger Aspekt <strong>Mobile</strong>r<br />
<strong>Jugendarbeit</strong>. Um allerdings Missverständnissen und einer möglichen Gefährdung fachlicher<br />
Wirksamkeit <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> vorzubeugen gilt es, die Möglichkeiten, aber auch notwendigen<br />
Abgrenzungen aufzuzeigen.
Zunächst gilt es, sich die drei Handlungsebenen des Kinder- und Jugendschutzes zu verdeutlichen:<br />
1. Gesetzlicher Jugendschutz<br />
Das Handlungsfeld gesetzlicher Jugendschutz umfaßt den "klassischen" Jugendschutz, der<br />
in verschiedenen Gesetzen geregelt ist. Er richtet sich primär an Erwachsene,<br />
Gewerbetreibende und an Institutionen. Auf der örtlichen Ebene sorgen vor allem die<br />
Polizei, die Ordnungsämter und die Gewerbeaufsichtsämter für die Einhaltung der<br />
Jugendschutzgesetze. Kontrolle und Intervention sind die zentralen Merkmale des<br />
gesetzlicher Jugendschutzes.<br />
2. Struktureller Jugendschutz<br />
Als strukturellen Kinder- und Jugendschutz werden diejenigen Aktivitäten und Maßnahmen<br />
der Jugendhilfe verstanden, die auf die Lebensbedingungen junger Menschen einwirken<br />
und durch strukturelle Maßnahmen Gefährdungspotenzialen entgegenwirken bzw. sie<br />
verhindern (Schaffung kinder- und jugendgerechter Lebensbedingungen). Die einzelnen<br />
Planungsfelder stehen hier im Vordergrund.<br />
3. Erzieherischer Jugendschutz<br />
Der erzieherische Kinder- und Jugendschutz soll die Lebenskompetenz von jungen<br />
Menschen fördern, indem Angebote und Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, die<br />
Kinder und Jugendliche dazu befähigen sollen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu<br />
schützen, kritik- und entscheidungsfähig zu werden sowie Eigenverantwortung und<br />
Verantwortung gegenüber Mitmenschen zu übernehmen. Er beinhaltet die<br />
Sicherungsfunktion für die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Erziehung und auf eine<br />
gesunde körperliche und geistig-seelische Entwicklung und umfasst in der Hauptsache<br />
präventiven Angebote.<br />
Merkmale der Handlungsarten des Jugendschutzes (Nikles-Roll-Spürck-Umbach, Jugenschutzrecht,<br />
2003)<br />
Handlungs-<br />
mittel<br />
Handlungs-<br />
form<br />
Handlungs-<br />
dimension<br />
Wirkungs-<br />
bezug<br />
Kontrollierendordnender<br />
Jugendschutz<br />
Einsatz rechtlicher<br />
Mittel (Gesetze,<br />
Verordnungen,<br />
Verfahren)<br />
Politische Programme;<br />
Gesetzgebung;<br />
Regulierungs- und<br />
Kontrollmechanismen<br />
Hoher<br />
Generalisierungsgrad;<br />
Gewerbe- und<br />
Unternehmensbezug;<br />
Orientierung auf<br />
Öffentlichkeit<br />
Kenntnis der<br />
Regelungen;<br />
Umsetzung der<br />
Kontrollen; Akzeptanz<br />
in Bevölkerung<br />
Erzieherischer<br />
Jugendschutz<br />
Einsatz von Leitbildern<br />
und erzieherischen<br />
Methoden<br />
Information; Aufklärung;<br />
Kommunikation und<br />
Partizipation<br />
Hoher<br />
Personalisierungsgrad;<br />
unmittelbare<br />
Einbeziehung von<br />
Erziehungspersonen und<br />
jungen Menschen<br />
Soziales und personales<br />
Umfeld;<br />
Persönlichkeitsstrukturen;<br />
Akzeptanz<br />
Struktureller Jugendschutz<br />
Einsatz von Planungsmitteln<br />
Vorgaben für Infrastrukturen;<br />
Beeinflussung von<br />
Lebensbedingungen<br />
Einbeziehung von Trägern<br />
der Infrastruktur (Wohnen,<br />
Verkehr, etc.)<br />
Schaffung sozial aktiver<br />
Felder<br />
Einflussnahme auf Politik-<br />
und Handlungsfelder, insbes.<br />
Außerhalb von Jugendhilfe,<br />
Schule
<strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> und Polizei<br />
Die Übersicht macht deutlich, dass verschiedene Institutionen mit verschiedenen Rollen im Bereich<br />
der Kinder- und Jugendschutzes verortet sind.<br />
<strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> und Polizei arbeiten z.Bsp. zwar stellenweise mit der den gleichen<br />
Zielgruppen, allerdings mit unterschiedlichen Zielvorgaben und gesetzlichen Aufträgen:<br />
⇒ Die Polizei hat im Bereich des <strong>kontrollieren</strong>d-ordnenden Jugendschutz, ausgehend<br />
vom Polizeiaufgabengesetz, eine <strong>kontrollieren</strong>de/intervenierende bzw. auch<br />
informative Funktion (Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gefahrenabwehr,<br />
Strafverfolgung, Verkehrs- und Kriminalprävention).<br />
⇒ <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> ist, wie der erzieherische Kinder- und Jugendschutz, ein<br />
Bestandteil der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und somit aufgrund seiner gesetzlichen<br />
Verankerung im KJHG und nicht zuletzt auch aufgrund seiner Arbeitsprinzipien im Bereich<br />
des erzieherischen Jugendschutzes präventiv und aufklärerisch tätig. Über den<br />
Methodenbaustein der gemeinwesenbezogenen <strong>Jugendarbeit</strong>, die u.a. die Schaffung sozial<br />
aktiver Felder zum Ziel hat, greift <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> hier auch ein Stück in den<br />
strukturellen Jugendschutz ein.<br />
Aus den unterschiedlichen Struktur- und Arbeitsprinzipien von <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> und Polizei<br />
ergeben sich unterschiedliche Methoden sowie unterschiedliche Anlässe des Zugangs zu den<br />
Jugendlichen, denen unterschiedliche Befugnissen, Kompetenzen und Zuständigkeiten zugrunde<br />
liegen.<br />
Ungeachtet der Unterschiedlichkeiten bedarf es eines gesunden Dialoges zwischen <strong>Mobile</strong><br />
<strong>Jugendarbeit</strong> und Polizei um<br />
⇒ gegenseitig Aufträge, Aufgaben und Vorgehensweisen transparent zu machen und zu<br />
respektieren<br />
⇒ korrekte Umsetzung einzufordern<br />
⇒ gegenseitige Behinderung zu thematisieren und zu vermindern<br />
⇒ das Verhalten bei Berührungspunkten (Aufhalten am gleichen Ort, Ermittlungen der<br />
Polizei in Räumlichkeiten/bei Aktionen der <strong>Mobile</strong>n <strong>Jugendarbeit</strong>) zu klären<br />
⇒ die Bedarfseinschätzungen seitens Jugendlicher abzugleichen<br />
<strong>konfrontieren</strong> <strong>statt</strong> <strong>kontrollieren</strong><br />
Basis <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> ist das Schaffen von Vertrauen und Vertrautheit. Viele Jugendliche<br />
haben mehrere Beziehungsbrüche erlebt und erlitten, deshalb braucht das Wachsen von Vertrauen<br />
zu MitarbeiterInnen <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> viel Zeit und muss von Vielen immer wieder geprüft<br />
werden. Die Jugendlichen und die MitarbeiterInnen gehen deshalb mehr oder weniger lange Zeit<br />
gemeinsam in einem Spannungsfeld von Vertrauen und Mißtrauen, das von beiden Seiten<br />
ausgehalten werden muß. Nur so kann Verlässlichkeit bewiesen und bestätigt werden. Grundlage<br />
der Arbeit sind hier insbesondere Aktzeptanz und Freiwilligkeit (vgl. pos).<br />
Die fachlicher Wirksamkeit <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> ist dann Gefährdet, wenn sich die Aufträge<br />
und die Rollen <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> und Polizei zu vermischen drohen bzw. die Unterschiede<br />
von den Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen werden können, z.Bsp. durch<br />
⇒ gemeinsame Aktionen<br />
⇒ gemeinsames Auftreten<br />
⇒ Mitwirkung von <strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong> bei der Verfolgung von Straftaten
Suchtgefährdete Jugendliche sind benachteiligte Jugendliche. Suchtproblematiken im Alltag, in<br />
dem überhaupt erst eine Suchtproblematik entstehen kann, aufzugreifen ist fester Bestandteil<br />
<strong>Mobile</strong>r <strong>Jugendarbeit</strong>, sei es in Beratung und Einzelfallhilfen, in der Arbeit mit einzelnen Clubs und<br />
Cliquen oder im Kontext gemeinwesenbezogener <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />
<strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wirkt hierbei im höchsten Maß präventiv, indem sie Gefährdungen<br />
thematisiert, mit den Jugendlichen daran arbeitet, mit Gefährdungen umzugehen und<br />
verschiedene Schutzmöglichkeiten anzunehmen (vgl. pos).<br />
Im Kontext von Stadt- bzw. Straßenfesten vermag <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Rahmen ihrer<br />
aufsuchenden Arbeit die Szene zu beobachten und danach die erreichten Kinder und Jugendliche<br />
im Sinne des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes mit ihrem (Fehl-)Verhalten <strong>konfrontieren</strong><br />
sowie Möglichkeiten von Verhaltensalternativen thematisieren.<br />
Währen entspr. Festaktivitäten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, bei frühzeitiger Einbeziehung<br />
in die Planung, den jugendlichen Besuchern alternative Erlebnisangebote zu den gängigen<br />
Trinkerlebnissen anzubieten.<br />
Fazit<br />
Der Konsum von Suchtmitteln war und wird immer Bestandteil jugendlicher Grenzerfahrung sein,<br />
die diese zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit brauchen und einfordern. Wenn im<br />
Alltag Stabilität (persönlich, familiär) vorhanden ist, wird der Wunsch nach Grenzerfahrung durch<br />
entspr. Entwicklungsschritte und Lernerfahrungen nach und nach abgelöst. <strong>Mobile</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> ist<br />
bei ihrer Zielgruppe oft die letzte Instanz, die diese Stabilität gewährleistet und einer entspr.<br />
dauerhaften Grenzüberschreitung entgegenwirken kann.<br />
Alltagsbegleitende Hilfen wirken hin zu dieser Stabilität, in diesem Bereich liegt der Auftrag der<br />
<strong>Mobile</strong>n <strong>Jugendarbeit</strong> und Ihre größte Kompetenz.<br />
Im Themenfeld des Jugendschutzes finden dies z.Bsp <strong>statt</strong> durch:<br />
⇒ Streetwork in Tandemteam mit der niedrigschwelligen Drogenberatung,<br />
⇒ die Bindegliedfunktion der MitarbeiterInnen zwischen konsumierenden Jugendlichen und<br />
den Beratungsstellen,<br />
⇒ die Aufklärung und Reflexion der entspr. Erlebnisse mit den Jugendlichen in der<br />
Einzelfallberatung oder im Kontext der Clubarbeit,<br />
⇒ die Ermöglichung eines offenen Austausches,<br />
⇒ fallbezogene Aufklärung über Gefahren und Risiken,<br />
⇒ die Ermöglichung und das Eingehen von Aushandlungsprozessen innerhalb der im<br />
Jugendschutzgesetz beschriebenen Bestimmungen.<br />
Gerade der Bereich der gesellschaftlich anerkannten und traditionell verankerten legalen Drogen<br />
ist geprägt von doppelmoralischem (Nicht-)handeln der Erwachsenenwelt bzgl. entspr.<br />
Jugendschutzbestimmung und konsumerischen Selbstverständlichkeiten, hier wird den<br />
Jugendlichen sehr viel Stabilität und Orientierungsvermögen abverlangt.<br />
Das vor dem Hintergrund jugendlicher Alkoholexzesse auf den ersten Blick verständliche Drängen<br />
nach „Feuerwehraktionen“ lösen allerdings mitnichten die Problematik des<br />
gesamtgesellschaftlichen Umgangs mit Alkohol, beinhalten im Gegenteil die Gefahr, dass<br />
Regelangebote zur Unterstützung und zum Halt Jugendlicher personalbedingt wegbrechen, die<br />
entspr. Kompetenz der <strong>Mobile</strong>n <strong>Jugendarbeit</strong> für das Ziel öffentlicher Wirksamkeit verschwendet<br />
werden.