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Sammy Furrer ein hochtalentierter, gehörloser Zeichner stellt seine ...

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103. Jahrgang<br />

Nr. 11 November 2009<br />

4<br />

7<br />

12<br />

17<br />

25<br />

33<br />

Schweiz. Verband für Gehörlosenund<br />

Hörgeschädigten-Organisationen<br />

Association Suisse pour organisations<br />

de sourds et malentendants<br />

Associazione Svizzera per organizzazioni<br />

a favore delle persone audiolese<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> <strong>ein</strong> <strong>hochtalentierter</strong>,<br />

<strong>gehörloser</strong> <strong>Zeichner</strong> <strong>stellt</strong> s<strong>ein</strong>e Werke<br />

aus<br />

Burnout<br />

Hintergründe und Prophylaxe<br />

Herbsttagung des schweizerischen<br />

Seniorenrates – Sozialpolitik quo<br />

vadis?<br />

Alles über die Fachtagung „Hörbehinderung<br />

und öffentlicher Verkehr“<br />

Abklärung zur Fernsehuntertitelung<br />

Dringend freiwillige Teilnehmer gesucht<br />

Ruben Rod<br />

Spannende Fazetten <strong>ein</strong>es jungen<br />

hörbehinderten Mannes


Seite des<br />

Präsidenten<br />

Liebe Leserinnen und Leser<br />

Am 4. September 2009 eröffnete die Berufsschule<br />

für Hörgeschädigte Zürich <strong>ein</strong>e Begegnungswoche<br />

und feierte ihren 55. Geburtstag.<br />

Im Mittelpunkt der Feier stand die Enthüllung<br />

<strong>ein</strong>es Fotokunstwerkes der Künstlerin Agnes<br />

von Däniken.<br />

Als Präsident sonos freue ich mich ganz besonders<br />

über diesen Geburtstag. 55 Jahre Berufsschule<br />

für Hörgeschädigte sind <strong>ein</strong> stolzes<br />

Alter. sonos ist Träger dieser Institution<br />

und glücklich, auf diese Weise die<br />

Anliegen von Hörbehinderten ebenso<br />

deutlich wie auch konkret vertreten zu<br />

dürfen.<br />

Ich möchte aber auch als Vertreter <strong>ein</strong>er<br />

Grundschule für hör- und sprachbehinderte<br />

Schüler m<strong>ein</strong>e Gratulation und<br />

m<strong>ein</strong>en Dank aussprechen. Zahlreiche<br />

ehemalige Schüler haben an der Berufsschule<br />

für Hörgeschädigte Zürich ihr berufliches<br />

Schul- und Fachwissen vermittelt<br />

erhalten, das ihnen <strong>ein</strong>e berufliche Integration<br />

erst ermöglichte.<br />

Ziele und Ausrichtung dieser Institution<br />

sind <strong>ein</strong>zigartig und brauchen genau<br />

diesen Rahmen. Hier wird Menschen mit<br />

<strong>ein</strong>em erschwerten Zugang zur Kommunikation<br />

<strong>ein</strong>e effiziente, gezielte und individuell<br />

ausgerichtete Förderung angeboten.<br />

Aktuell wird in der Schweiz diskutiert, die<br />

Quote der Maturanden und Hochschulabsolventen<br />

zu erhöhen. Solche Absichten<br />

sind differenziert zu betrachten. Es muss<br />

uns bewusst s<strong>ein</strong>, dass es <strong>ein</strong>en<br />

bestimmten Grund gibt, weshalb die<br />

Schweiz zu <strong>ein</strong>em der reichsten Länder<br />

gehört. Die hohe Produktivität, die internationale<br />

Konkurrenzfähigkeit und die vergleichsweise<br />

geringe Arbeitslosigkeit<br />

hängen mit unserem Berufsbildungssystem<br />

zusammen. Dieses System der praktisch<br />

ausgerichteten beruflichen Ausbildung<br />

ist gemäss Dr. Rudolf Strahm der ent-<br />

scheidende historische Erfolgsfaktor, welcher<br />

die schweizerische Qualitätsarbeit und die<br />

hohe Wertschöpfung ausmacht. Eine Bestätigung<br />

liefert auch die neuste OECD-Studie<br />

„Learning for Jobs“, ich zitiere: „Die schweizerische<br />

Berufsbildung aber passt sich den<br />

Bedürfnissen des Arbeitsmarkts an, ausgebildet<br />

wird nur, wo Bedarf nach Fachkräften<br />

besteht.“<br />

Somit ist die Berufsschule für Hörgeschädigte<br />

mit <strong>ein</strong>er der entscheidenden Faktoren für die<br />

Prosperität der Schweiz. Sie ist aber auch <strong>ein</strong><br />

leuchtendes Beispiel, weil es ihr gelingt,<br />

selbst Menschen mit <strong>ein</strong>em Handicap beruflich<br />

zu integrieren. Dazu wollen wir Sorge<br />

tragen!<br />

Ich wünsche der Berufsschule für Hörgeschädigte<br />

Zürich alles Gute. Möge sie weitere 55<br />

Jahre zum Wohle der Schülerinnen und<br />

Schüler und der schweizerischen Volkswirtschaft<br />

ihren wertvollen Beitrag leisten<br />

können.<br />

Euer Bruno Schlegel<br />

Präsident sonos


Editorial<br />

Liebe Leserinnen und liebe Leser<br />

In m<strong>ein</strong>em Editorial in der Oktober-Ausgabe<br />

habe ich auf die positiv verlaufene<br />

Abstimmung für die befristete Mehrwertsteuer-Erhöhung<br />

zugunsten der Invalidenversicherung<br />

Bezug genommen. Mit<br />

diesem Volksentscheid erhofft sich der<br />

Bundesrat, dass <strong>ein</strong> wichtiges Sozialwerk<br />

in unserem Land endlich entschuldet und<br />

saniert sowie dessen nachhaltige Existenz<br />

gesichert werden kann.<br />

Bedenklich ist aus m<strong>ein</strong>er Sicht nur, dass<br />

die Bevölkerung lediglich zu <strong>ein</strong>em Sanierungsfall<br />

unter vielen Ja gesagt hat. Es<br />

sch<strong>ein</strong>t so, dass es in unserem Land eigentlich<br />

k<strong>ein</strong> Sozialwerk mehr gibt, das nicht zu<br />

<strong>ein</strong>em Sanierungsfall mutiert ist.<br />

So musste beispielsweise Gesundheitsminister,<br />

Pascal Couchpin, vor <strong>ein</strong>igen Tagen<br />

vor der versammelten Presse verkünden,<br />

dass die Krankenkassenprämien auch im<br />

2010 erhöht werden. Alle Bemühungen seitens<br />

der BSV die obligatorische Krankenversicherungsprämie<br />

nicht weiter<br />

ansteigen zu lassen, brachten wenig bis<br />

überhaupt nichts. Besorgte BürgerInnen<br />

fragen sich, wie lange dies noch so weiter<br />

gehen kann. Eine weitere Tatsache ist, dass<br />

mit Steuergeldern immer höhere Beiträge<br />

für die Prämienverbilligung <strong>ein</strong>geschossen<br />

werden müssen. Sollte es aber nicht so<br />

s<strong>ein</strong> - was vor nicht allzu langer Zeit noch<br />

selbstverständlich war -, dass grundsätzlich<br />

mit dem Lohn jedes Versicherten die<br />

Krankenversicherungsprämie bezahlt<br />

werden kann? Heute für viele Beschäftigte<br />

schlicht und ergreifend nicht mehr möglich.<br />

Dieser negative Trend soll nun mit <strong>ein</strong>er<br />

blendenden nationalrätlichen Idee<br />

gestoppt werden. Wie Sie, liebe Leserinnen<br />

und Leser, in unserem Artikel über die<br />

Herbsttagung des Schweizerischen Seniorenrates<br />

(SSR) lesen können, hat Nationalrätin<br />

Ruth Humbel (CVP) <strong>ein</strong>en Vorstoss mit<br />

der Absicht <strong>ein</strong>gereicht, dass in der Krankenversicherung<br />

neu <strong>ein</strong>e Seniorenprämie<br />

<strong>ein</strong>geführt wird. Der SSR stemmt sich<br />

dagegen. Dieser Vorschlag sei <strong>ein</strong>e Attacke<br />

auf die Grundpfeiler des KVG, denn ohne<br />

Solidaritäten sei das Obligatorium in Gefahr,<br />

gibt er zu bedenken. Der Vorstoss Humbel<br />

bringe nichts, um die Transparenz im<br />

Gesundheitswesen zu fördern oder dieses<br />

finanziell zu stabilisieren. Deshalb appelliert<br />

der SSR an Bundesrat und Parlament, nicht<br />

auf die Interpellation <strong>ein</strong>zutreten.<br />

An diesem Beispiel zeigt sich doch wieder<br />

<strong>ein</strong>mal mehr, dass wenn man mit dem Lat<strong>ein</strong><br />

am Ende ist, <strong>ein</strong>fach der Geldhahn <strong>ein</strong> wenig<br />

aufgedreht wird, damit dann alles wieder im<br />

Lot ist. Wie lange dies aber noch gut gehen<br />

kann, sch<strong>ein</strong>t für mich persönlich fraglich.<br />

Der nächste Sanierungsfall, dem mit <strong>ein</strong>er<br />

moderaten Lohnprozent-Erhöhung wieder<br />

Leben <strong>ein</strong>gehaucht werden soll, ist die mit<br />

mehreren Milliarden Franken verschuldete<br />

Arbeitslosenversicherung (ALV). Und über<br />

kurz oder lang wird zwangsläufig an der<br />

Finanzierung der AHV gewerkelt werden,<br />

indem man die Versicherten kurzerhand <strong>ein</strong>fach<br />

zwei Jahre später in die Pension schickt.<br />

Ich frage mich, wo bleiben bei den PolitikerInnen<br />

und den hochbezahlten Verwaltungsange<strong>stellt</strong>en<br />

innovative Ideen in Bezug auf<br />

unsere wichtigen Sozialwerke. Es kann doch<br />

nicht s<strong>ein</strong>, dass der durchschnittliche Bürger<br />

und die durchschnittliche Bürgerin immer<br />

weniger im „Sack“ haben.<br />

Roger Ruggli<br />

Master of Arts (M.A.)<br />

Redaktor<br />

3<br />

Impressum<br />

Zeitschrift sonos<br />

Ersch<strong>ein</strong>t monatlich<br />

Herausgeber<br />

sonos<br />

Schweizerischer Verband für Gehörlosen-<br />

und Hörgeschädigten-Organisationen<br />

Feldeggstrasse 69<br />

Postfach 1332<br />

8032 Zürich<br />

Telefon 044 421 40 10<br />

Fax 044 421 40 12<br />

E-Mail info@sonos-info.ch<br />

www.sonos-info.ch<br />

Redaktion<br />

Redaktion sonos<br />

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Druck und Spedition<br />

Bartel Druck AG<br />

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8750 Glarus<br />

sonos verwendet bei Personen zur<br />

Ver<strong>ein</strong>fachung abwechslungsweise die<br />

weibliche oder männliche Form,<br />

angesprochen sind beide Geschlechter.<br />

Nachdruck nur mit Genehmigung der<br />

Redaktion, unter Hinweis auf die Quelle<br />

und mit Zustellung <strong>ein</strong>es Belegexemplars.<br />

Die veröffentlichten Artikel von Gastautoren<br />

geben nicht in jedem Fall die Auffassung des Herausgebers<br />

wieder.<br />

Die nächste Ausgabe ersch<strong>ein</strong>t am<br />

1. Dezember 2009<br />

Redaktionsschluss:<br />

15. November 2009<br />

Titelseite:<br />

Vernissage an der Berufsschule für<br />

Hörgeschädigte vom 21. Oktober 2009;<br />

Ausstellung der Zeichnungen von <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong><br />

«Hochkarätiges Ausstellungs-Team»<br />

(Bild v.l.n.r.: Christine Graber, Lehrerin / Fachkunde<br />

Typografie, Lisa Etter, Lehrerin / Fachunterricht Grafik,<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong>, Schüler / Künstler, Marina Landolt, Lehrerin<br />

/ Fachkunde Zeichnen und Rolf Zöllig, Lehrer, Fachunterricht<br />

Grafik)


Ein Traum geht für<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> in<br />

Erfüllung<br />

Die Berufsschule für Hörgeschädigte<br />

(BSFH) in Zürich-Oerlikon ist nicht nur <strong>ein</strong><br />

normales Schulhaus, sondern für <strong>ein</strong>mal<br />

auch <strong>ein</strong> Kunsthaus. In den Räumlichkeiten<br />

der BSFH werden vom 22. Oktober<br />

bis 11. November 2009 Zeichnungen von<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> ausge<strong>stellt</strong> und der Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht.<br />

An der Vernissage vom 21. Oktober 2009<br />

wird die Ausstellung offiziell in <strong>ein</strong>em feierlichen<br />

Rahmen eröffnet. Toni Kleeb, Rektor<br />

der BSFH, ist sichtlich stolz, dass die Kunstausstellung<br />

in s<strong>ein</strong>em Schulhaus ermöglicht<br />

werden konnte.<br />

Begrüssung und Ansprache<br />

von Toni Kleeb<br />

„Für uns ist es das erste Mal, dass wir an<br />

der BSFH <strong>ein</strong>e Ausstellung machen, und<br />

damit unser Schulhaus vorübergehend in<br />

<strong>ein</strong>en Ausstellungsraum für <strong>ein</strong>en jungen,<br />

kreativen Gestalter verwandeln. Ich freue<br />

mich sehr, dass ich heute Abend die Ausstellung<br />

mit Zeichnungen und grafischen<br />

Arbeiten von <strong>Sammy</strong> (Samuel) <strong>Furrer</strong><br />

eröffnen kann.<br />

Die Werke von <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> sind ausdruckstarke<br />

Illustrationen aus <strong>ein</strong>er Welt<br />

von Drachen und Monstern. Die gestalterischen<br />

und zeichnerischen Fähigkeiten von<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> sind be<strong>ein</strong>druckend. In der<br />

Ausstellung hat es nebst älteren Werken<br />

auch neue Illustrationen. Heute bekommt<br />

<strong>Sammy</strong> die Chance und die Plattform, s<strong>ein</strong>e<br />

Werke <strong>ein</strong>er breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.<br />

Es sch<strong>ein</strong>t, als ob <strong>Sammy</strong> mit der Darstellung<br />

von Monstern und Finsterlingen s<strong>ein</strong>e<br />

eigenen kreativen Grenzen ausloten<br />

möchte. S<strong>ein</strong>e neuesten Arbeiten sind im<br />

Rahmen <strong>ein</strong>es fächerübergreifenden Projektes,<br />

in der Fachkunde Zeichnen und<br />

Typografie sowie im Fachunterricht Grafik,<br />

entstanden. Die zuständigen Fachlehrpersonen<br />

Marina Landolt, Lisa Etter und Rolf<br />

Zöllig sowie Christine Graber haben <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong> sehr unterstützt und wesentlich dazu<br />

beigetragen, dass diese<br />

Ausstellung zustande<br />

gekommen ist. Ihnen sei<br />

für die uneigennützige<br />

Mitarbeit ganz herzlich<br />

gedankt.“<br />

Würdigung von<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong><br />

Rolf Zöllig, Lehrer Fachunterricht<br />

Grafik und Lehrmeister<br />

von <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong>: „Stolz darf ich als<br />

Fachlehrer zur Kenntnis<br />

nehmen, dass <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong> die komplexe Aufgabe,<br />

welche in diesem<br />

Frühjahr begann und verschiedenenFachrichtungen<br />

tangierte und<br />

heute den krönenden<br />

Abschluss findet, sehr gut<br />

und mit überdurchschnittlichem<br />

Engagement<br />

gemeistert hat.<br />

Für die positive zukünftige<br />

Weiterentwicklung von<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> wünsche<br />

ich mir, dass er s<strong>ein</strong>e<br />

zeichnerischen und künstlerischen<br />

Kompetenzen<br />

weiterentwickeln kann<br />

und sich von anderen<br />

Künstlern und deren<br />

Stilen inspirieren lässt.<br />

Bedanken möchte ich<br />

mich bei m<strong>ein</strong>en „Mit-Lehrerinnen“<br />

sowie bei Toni<br />

Kleeb von der BSFH, die es<br />

möglich machten, dass<br />

wir heute die magische<br />

fantasievolle Welt von<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> bestaunen<br />

können.“<br />

Marina Landolt, Lehrerin<br />

Fachkunde Zeichnen: „Ich<br />

erinnere mich noch gut an<br />

Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich bestimmt.<br />

Toni Kleeb, Rektor der BSFH, freut sich über die Kunst an s<strong>ein</strong>er Schule<br />

und über die aussergewöhnlichen Leistungen des Künstlers und Lernenden<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong>.<br />

Rolf Zöllig ist nicht nur als Lehrer Fachunterricht Grafik, sondern auch als<br />

Lehrmeister sehr stolz auf das grosse Engagement s<strong>ein</strong>es Lernenden<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong>.


die erste Zeichnungsstunde mit <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong>. Er fragte mich damals; „Was soll ich<br />

hier machen, ich kann ja schon zeichnen“.<br />

Es ist tatsächlich so, <strong>Sammy</strong> zeichnet<br />

unheimlich schnell und exakt. <strong>Sammy</strong> ist<br />

an verschiedenen Motiven und Stil-Richtungen<br />

interessiert. So orientiert er sich<br />

beispielsweise auch an asiatischen und<br />

japanischen <strong>Zeichner</strong>n, davon kann auch<br />

ich profitieren.“<br />

Marina Landolt macht zum Schluss ihrer<br />

Würdigung darauf aufmerksam, dass<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> gerne jemanden mit <strong>ein</strong>er<br />

spannenden Geschichte, welche er illustrieren<br />

könnte, treffen und kennen lernen<br />

möchte.<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> der Geschichtenzeichner<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> erzählt den Vernissagebesuchern<br />

wie s<strong>ein</strong> 7-teiliges Werk „Der Schatztempel“<br />

im Jahr 2006 entstanden ist.<br />

„Diese sieben Zeichnungen basieren auf<br />

<strong>ein</strong>er thematischen Aufgabe zum Thema<br />

Inspiration und Interpretation. Ich brauche<br />

nur drei verschiedene Sachen, um<br />

zusammen <strong>ein</strong>e neue Geschichte zu entwerfen.<br />

1. Ich wähle <strong>ein</strong>e bekannte Geschichte aus<br />

und kombiniere die ausgewählten<br />

Figuren mit neuen, selbst entworfenen<br />

Figuren. Die „Schatzinsel“ von Louis<br />

Robert Stevenson wählte ich, weil sie<br />

<strong>ein</strong>e sehr <strong>ein</strong>fache Handlung hat.<br />

2. Ich verwende weitere Figuren aus<br />

bekannten Büchern und natürlich auch<br />

aus Comics und Mangas für die Rolle der<br />

Hauptdarsteller. Als Story zum Inszenieren<br />

wähle ich hier das japanische<br />

Ninja-Manga „Naruto“, weil es für mich<br />

die interessantesten Charaktere hat,<br />

auch wenn die Geschichte noch nicht<br />

ausgereift und kompliziert ist.<br />

3 Und zuletzt entwerfe und verwende ich<br />

neue Figuren aus der eigenen Phantasie.<br />

Natürlich stelle ich fast alle m<strong>ein</strong>e<br />

eigenen Figuren als Haupt-Antagonisten<br />

dar - die Gegenspieler zu den Protagonisten.<br />

Im Gegensatz zur „Schatzinsel“ von Stevenson<br />

befindet sich der angebliche Schatz<br />

in m<strong>ein</strong>er neu inszenierten Geschichte<br />

nicht auf <strong>ein</strong>er <strong>ein</strong>fachen Insel, sondern in<br />

Marina Landolt hat<br />

als Lehrerin Fachkunde<br />

Zeichnen<br />

schon in der ersten<br />

Unterrichtsstunde<br />

erkannt, dass<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> sehr<br />

talentiert ist und<br />

ausdrucksstark<br />

zeichnen kann.<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong><br />

erzählt, wie er<br />

Geschichten<br />

zeichnet.<br />

Der glückliche Jungkünstler,<br />

<strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong>, vor s<strong>ein</strong>em<br />

Lieblingsbild.<br />

Eine der sieben<br />

Zeichnungen -<br />

„Insel in Sicht“.


Zur Vernissage von <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> kam auch s<strong>ein</strong>e Familie aus dem Wallis.<br />

Auf dem Bild sind die Grosseltern und s<strong>ein</strong> Bruder zu sehen.<br />

<strong>ein</strong>er antiken Tempelruine auf <strong>ein</strong>er<br />

Dschungelinsel. Daher der Titel „Schatztempel“.<br />

Alle sieben Zeichnungen wurden im Jahre<br />

2006 gezeichnet, mit Bleistift, Filzstift<br />

sowie Tusche. Die Originalgrösse der Zeichnungen<br />

ist A3. Die Zeit, die ich für diese<br />

Arbeit zur Verfügung hatte, war weniger als<br />

zwei Wochen. Deshalb ist die Geschichte<br />

unvollendet.“<br />

Glücklicher <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong><br />

Eine gewisse Nervosität und Angespanntheit<br />

ist <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong>, kurz vor der offiziellen<br />

Eröffnung s<strong>ein</strong>er Ausstellung, anzumerken.<br />

Trotzdem findet er Zeit, der sonos-<br />

Redaktion kurz über <strong>ein</strong>ige Schlüsselmomente<br />

aus s<strong>ein</strong>em noch jungen Leben und<br />

über die Ausstellung zu erzählen.<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> fing im Alter von vier Jahren<br />

mit dem Zeichnen an. Bis heute hat er insgesamt<br />

über 80 Zeichnungen und Illustrationen<br />

in ganz unterschiedlichen Formaten<br />

gezeichnet. S<strong>ein</strong>e Bilder zeichnet er am<br />

liebsten in schwarz/weiss. Aber es gibt<br />

auch <strong>ein</strong>ige farbige Werke.<br />

Es ist zu spüren, dass <strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong><br />

mächtig stolz ist und mit s<strong>ein</strong>er ersten Ausstellung<br />

<strong>ein</strong> langersehnter Wunsch in Erfüllung<br />

geht. An der Ausstellung werden 25<br />

Zeichnungen, die er zwischen 2006 und<br />

2009 geschaffen hat, ausge<strong>stellt</strong>. <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong> erklärt, dass die Originalbilder (vorerst)<br />

nicht verkäuflich seien. Hingegen<br />

können die Ausstellungsbesucherinnen<br />

und -besucher Kopien (lediglich kl<strong>ein</strong>e Auflage<br />

vorhanden) von den Originalen<br />

erwerben. Die Verkaufspreise sind aber<br />

noch nicht definitiv festgelegt. Sie können<br />

mit ihm ausgehandelt werden.<br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> ist <strong>ein</strong>fach glücklich über<br />

s<strong>ein</strong>e erste Kunstausstellung. Ein Traum ist<br />

für ihn in Erfüllung gegangen.<br />

Lebensstationen von <strong>Sammy</strong><br />

<strong>Furrer</strong><br />

<strong>Sammy</strong> <strong>Furrer</strong> schreibt in s<strong>ein</strong>em Lebenslauf:<br />

„Ich wurde am 12. Dezember 1984 in<br />

Visp im Wallis geboren und wuchs mit<br />

m<strong>ein</strong>er Familie in Naters auf. Als ich drei<br />

Jahre alt war, zogen wir nach Bern um.<br />

Wegen m<strong>ein</strong>er Gehörlosigkeit ging ich auf<br />

<strong>ein</strong>e Schule für Hörgeschädigte im Kanton<br />

Bern. Es war die Kantonale Sprachheilschule<br />

Münchenbuchsee. Doch von Jahr zu<br />

Jahr schrumpfte m<strong>ein</strong>e erste Schulklasse,<br />

bis ich 1997 in <strong>ein</strong>e andere Schule wechseln<br />

musste. Diesmal war es das Heilpädagogische<br />

Zentrum in Hohenrain im<br />

Kanton Luzern. Nach zwei Jahren wechselte<br />

ich an die Sekundarschule für Gehörlose in<br />

Zürich-Wollishofen. Nach dem Abschluss<br />

der Sekundarschuljahre absolvierte ich <strong>ein</strong><br />

Brückenjahr an der Schwerhörigenschule<br />

Landenhof im Kanton Aargau.<br />

Während dem Brückenjahr nahm ich an<br />

zwei Aufnahmeprüfungen für den Vorkurs<br />

an den Schulen für Gestaltung in Bern und<br />

Basel teil und bestand beide. Von 400 Teilnehmenden<br />

wurden nur 10% in den Vorkurs<br />

aufgenommen. Weil Bern m<strong>ein</strong>er Heimat<br />

näher ist, wählte ich die Schule für Gestaltung<br />

Bern und Biel aus. Nach <strong>ein</strong>em Jahr<br />

Vorkurs in Bern machte ich die Prüfung für<br />

die Grafikfachklasse in Biel und wurde aufgenommen.<br />

Mit 20 anderen Schülerinnen<br />

und Schülern besuchte ich den Unterricht<br />

in Biel. Wegen Schwierigkeiten aufgrund<br />

m<strong>ein</strong>er Gehörlosigkeit musste ich die Grafikfachklasse<br />

leider verlassen. Zum Glück<br />

fand ich in <strong>ein</strong>em Grafikatelier in Turtmann<br />

<strong>ein</strong>en Lehrbetrieb. Im Moment mache ich<br />

m<strong>ein</strong> letztes Lehrjahr in <strong>ein</strong>em kl<strong>ein</strong>en<br />

Grafik-Atelier m<strong>ein</strong>es Lehrmeisters und<br />

Lehrers des Fachunterrichtes Grafik an der<br />

BSFH in Winterthur in der Hard in Wülflingen.<br />

So zog ich von Schule zu Schule und von<br />

Wohnung zu Wohnung an vielen Orten der<br />

Schweiz.<br />

1989 - 1997 Kant. Sprachheilschule<br />

Münchenbuchsee<br />

1997 - 1999 Heilpädagogisches Zentrum<br />

Hohenrain HSB<br />

1999 - 2002 Sekundarschule für Gehörlose,<br />

Wollishofen<br />

2002 - 2003 Schwerhörigenschule Landenhof<br />

2003 - 2004 Vorkurs Schule für Gestaltung<br />

B:B in Bern<br />

2004 - 2007 Schule für Gestaltung B:B in<br />

Biel, Grafikfachklasse<br />

2007 - 2008 Lehre als Grafiker in Turtmann,<br />

VS (1. Lehrort)<br />

2009 - Lehre als Grafiker in Winterthur,<br />

ZH (2. Lehrort, Ausbildungsortswechsel)<br />

[rr]


Burnout-Weiterbildungstag<br />

Audiopädagogische Dienste Zürich<br />

Christine Bürge, Mitglied des sonos-Vorstandes<br />

und seit vielen Jahren beim<br />

Audiopädagogischen Dienst am Zentrum<br />

für Gehör und Sprache Zürich ZGSZ tätig,<br />

hat am 25. September 2009 zusammen mit<br />

<strong>ein</strong>er Projektgruppe für alle AudiopädagogInnen<br />

des ZGSZ <strong>ein</strong>e Weiterbildungstagung<br />

zum Thema Burnout organisiert. Wie<br />

viele andere Menschen, die in sog. „helfenden<br />

Berufen“ tätig sind, besteht auch<br />

für die AudiopädagogInnen, die sich tagtäglich<br />

an der Schnittstelle zwischen<br />

Pädagogik, Medizin, Hörgerätetechnik<br />

und Elternhaus für die Bedürfnisse hörgeschädigter<br />

Kinder <strong>ein</strong>setzen, <strong>ein</strong> recht<br />

hohes Risiko, bei dieser anspruchsvollen<br />

und fordernden Tätigkeit „auszubrennen“<br />

und mit der Zeit krank zu werden.<br />

Was ist eigentlich Burnout?<br />

Das Burnout-Syndrom ist heute in aller<br />

Munde. Es wird noch weitgehend psychologisch<br />

definiert. Denn neue Erkenntnisse zu<br />

körperlichen Prozessen, die zu Krankheit<br />

führen, sind rar.<br />

Wenige seelische Störungen haben in den<br />

letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit<br />

erhalten wie das vorwiegend, aber k<strong>ein</strong>eswegs<br />

nur im Berufsleben auftretende Burnout-Syndrom.<br />

Doch nicht jeder, der sich<br />

selbst als „ausgebrannt“ bezeichnet, ist<br />

von <strong>ein</strong>em solchen Erschöpfungszustand<br />

betroffen. Denn zum <strong>ein</strong>en beruht die Entstehung<br />

dieses psychischen Leidens auf<br />

definierten Ursachen, zum anderen treten<br />

vergleichbare Symptome auch bei Depressionen<br />

und anderen psychischen Erkrankungen<br />

auf. Im internationalen Katalog der<br />

seelischen Störungen wird das Burnout-<br />

Syndrom daher nicht als eigenständige<br />

Krankheit aufgeführt. Und auch über das<br />

neurophysiologische Ersch<strong>ein</strong>ungsbild<br />

dieser Störung weiss man erst sehr wenig.<br />

So gelingt es bisher nicht, diese mit objektiven<br />

Methoden - etwa bildgebenden Verfahren<br />

oder Bluttests - nachzuweisen und<br />

ihren Schweregrad zu messen. Massgeblich<br />

für die Diagnosestellung sind vielmehr<br />

die Aussagen des Patienten. Das gilt aber<br />

für <strong>ein</strong>en Grossteil der psychischen Leiden.<br />

Um das Burnout-Syndrom besser erkennen<br />

und definieren zu können, beschäftigen<br />

sich Forscher aller Welt mit der Frage, ob<br />

dieses fassbare Spuren im Organismus hinterlässt.<br />

Ihr Augenmerk richten dabei viele<br />

auf die Stressreaktionen des Körpers, da<br />

diese beim Burnout-Syndrom von grosser<br />

Bedeutung sind. So führt psychische Belastung<br />

über <strong>ein</strong>e Aktivierung des „Stresszentrums“<br />

im Hypothalamus - <strong>ein</strong>em Teil<br />

des Zwischenhirns - und <strong>ein</strong>e Stimulation<br />

des autonomen Nervensystems zur Ausschüttung<br />

verschiedener Botenstoffe, darunter<br />

Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin.<br />

Die durch diese Signalstoffe in Gang<br />

gebrachten Prozesse, entwicklungsgeschichtlich<br />

als Vorbereitung auf die Flucht<br />

oder den Kampf angelegt, haben kurzfristig<br />

zwar meist k<strong>ein</strong>e gesundheitlichen Folgen.<br />

Lässt der Stress aber wie bei Personen mit<br />

Burnout-Syndrom nicht mehr nach, können<br />

sie dem Organismus Schaden zufügen.<br />

Am besten untersucht ist der Einfluss<br />

anhaltender seelischer Belastung auf das<br />

Herz-Kreislauf-System. Wie Kardiologen<br />

der Universität Zürich herausgefunden<br />

haben, reduziert psychischer Stress die<br />

natürliche Widerstandskraft der Blutgefässe<br />

gegen arteriosklerotische Einwirkungen.<br />

Eine wichtige Rolle sch<strong>ein</strong>t dabei<br />

<strong>ein</strong>e verminderte Verfügbarkeit von Stickstoffoxiden<br />

- die Arterien vor verschiedenartigen<br />

Schädigungen schützende Signalmoleküle<br />

- zu spielen. Diese Beobachtungen<br />

könnten erklären, weshalb Personen<br />

mit Burnout-Syndrom überdurchschnittlich<br />

häufig an arteriosklerotisch<br />

bedingten Herzleiden, etwa Infarkten,<br />

erkranken. Hinweise auf <strong>ein</strong>en solchen<br />

Zusammenhang liefern die Ergebnisse<br />

mehrerer Studien. So hatten in <strong>ein</strong>er<br />

grossen finnischen Erhebung berufstätige<br />

Männer mit Burnout-Syndrom gegenüber<br />

solchen ohne derartigen Erschöpfungszustand<br />

<strong>ein</strong> um 35 Prozent erhöhtes Risiko<br />

<strong>ein</strong>en Herzinfarkt zu erleiden. Zu vergleichbaren<br />

Resultaten kommen die Untersuchungen<br />

des an der Universität Düsseldorf<br />

tätigen Schweizer Medizinalsoziologen<br />

Johannes Siegrist, der zusammen mit<br />

s<strong>ein</strong>em Team seit Jahren den Zusammenhang<br />

zwischen belastenden Arbeitssituationen<br />

und dem Auftreten von Herz-Kreislauf-Leiden<br />

beleuchtet. Beständige Frustration<br />

über die als unzureichend empfundene<br />

Anerkennung für den erbrachten Einsatz –<br />

<strong>ein</strong> Kennzeichen des Burnout-Syndroms -<br />

erhöht demnach das Risiko von Herzleiden<br />

bei Männern und Frauen um rund <strong>ein</strong>en<br />

Drittel. Wie der Psychologe Uwe<br />

Schaarschmidt von der Universität<br />

Potsdam und s<strong>ein</strong>e Mitarbeiter zudem<br />

zeigen konnten, weisen Infarktkranke auffallen<br />

häufig bestimmte das Risiko <strong>ein</strong>es<br />

Burnout-Syndroms erhöhende Persönlichkeitsmerkmale<br />

auf.<br />

Weniger klar ist, welche Auswirkungen das<br />

Burnout-Syndrom auf das Gehirn hat.<br />

Einige Hinweise sprechen dafür, dass psychische<br />

Dauerbelastung die Nervenzellen<br />

bestimmter Hirnregionen, darunter jene<br />

des Hypothalamus, nachhaltig schädigt.<br />

Auch die Ausbildung neuer Nervenzellen<br />

sch<strong>ein</strong>t dadurch be<strong>ein</strong>trächtigt zu werden.<br />

Laut Joachim Bauer von der Abteilung für<br />

Psychosomatische Medizin und Psychiatrie<br />

der Universität Freiburg im Breisgau dürfte<br />

dieser „Flurschaden“ auf die bei Stress vermehrt<br />

ausgeschütteten Botenstoffe<br />

zurückgehen. Als besonders schädigend<br />

habe sich die Kombination des Stresshormons<br />

Cortisol mit dem Neurotransmitter<br />

Glutamat erwiesen. Wie nachhaltig die körpereigenen<br />

Botenstoffe das Hirngewebe<br />

schädigen und ob sie vorübergehende oder<br />

bleibende Defekte hervorrufen kann man<br />

noch nicht sagen.<br />

Patienten mit Burnout-Syndrom haben oft<br />

<strong>ein</strong>e längere Odyssee von Arztbesuchen<br />

hinter sich, bevor die richtige Diagnose<br />

ge<strong>stellt</strong> wird. Denn die dabei auftretenden<br />

Symptome werden oftmals falsch interpretiert.<br />

Dies gilt unter anderem für die<br />

depressive Gemütslage. Wie Bauer erläutert,<br />

gibt es zwischen dem Burnout-Syndrom<br />

und den depressiven Störungen<br />

jedoch <strong>ein</strong>ige wichtige Unterschiede. So<br />

seien Depressionen zwar ebenfalls mit<br />

Erschöpfung, Antriebslosigkeit und Leistungsschwäche<br />

verbunden, allerdings<br />

nicht mit Zynismus. Umgekehrt litten<br />

depressive Patienten häufig unter Schuldgefühlen<br />

und Selbstvorwürfen – Empfindungen,<br />

die für „ausgebrannte“ Personen<br />

wiederum untypisch seien.<br />

Auch das chronische Müdigkeits-Syndrom<br />

wurde gelegentlich mit dem Burnout-Syndrom<br />

in Verbindung gebracht, zumal die<br />

beiden Störungen ebenfalls Gem<strong>ein</strong>samkeiten<br />

aufweisen -allen voran die körperliche<br />

Erschöpfung, aber auch die fibromyal-<br />

7


gieartigen Muskelschmerzen. Das Müdigkeits-Syndrom<br />

sch<strong>ein</strong>t jedoch auf anderen<br />

Ursachen zu beruhen. Nach verschiedenen<br />

Beobachtungen tritt es vermehrt nach<br />

Infektionen auf und könnte daher auf <strong>ein</strong>er<br />

Entgleisung des Immunsystems basieren.<br />

Genaueres weiss man über die Entstehung<br />

dieser seltenen Erkrankung allerdings noch<br />

nicht. Im Gegensatz dazu sind die Ursachen<br />

des Burnout-Syndroms inzwischen recht<br />

gut erforscht. Ausschlaggebend sch<strong>ein</strong>en<br />

zwei sich gegenseitig be<strong>ein</strong>flussende Faktoren<br />

zu s<strong>ein</strong>: das Arbeitsumfeld <strong>ein</strong>erseits<br />

und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale<br />

andererseits. Als gefährdet gelten Personen,<br />

deren Tätigkeit <strong>ein</strong> hohes Mass an<br />

Kommunikation und menschlicher Zuwendung<br />

erfordert. Dazu zählen unter anderem<br />

Lehrer, Pflegende, Sozialarbeiter und Ärzte,<br />

aber auch berufstätige Mütter. Dass nicht<br />

alle Personen in diesen Berufen „ausbrennen“,<br />

liegt an der unterschiedlichen<br />

Arbeitshaltung und der persönlichen<br />

Widerstandskraft. Von <strong>ein</strong>em Burnout-Syndrom<br />

bedroht ist vor allem, wer sich beruflich<br />

übermässig engagiert, zugleich aber<br />

nicht in der Lage ist, abzuschalten und<br />

somit wieder neue Kraft zu schöpfen.<br />

Was die Häufigkeit des Burnout-Syndroms<br />

anbelangt, enthält die Fachliteratur k<strong>ein</strong>e<br />

genauen Angaben. - was in Anbetracht der<br />

hrdet?<br />

überlappenden Symptome mit anderen<br />

psychischen Leiden kaum überrascht. Nach<br />

nn,<br />

<strong>ein</strong>er Umfrage des deutschen M<strong>ein</strong>ungsfor-<br />

Aufgabe und Ziele investiert.<br />

schungsinstituts Emnid leidet etwa jeder<br />

lschen Menschen verschwendet.<br />

vierte Berufstätige, unabhängig vom<br />

g stehenden Krafttankstellen vorbeisaust.<br />

Geschlecht, an Symptomen <strong>ein</strong>es Burnout-<br />

Syndroms. Wie repräsentativ diese Analyse<br />

ntschlossen, zielstrebig und tatkräftig anzupacken.<br />

ist, lässt sich aufgrund des Mangels an <strong>ein</strong>schlägigen<br />

Daten aber nur schwer beurteilen.<br />

K<strong>ein</strong> Zweifel besteht indes daran,<br />

dass das Burnout-Syndrom in manchen<br />

nagement gewiesen:<br />

Berufsgruppen häufiger vorkommt als in<br />

anderen. So sollen mindestens 35 Prozent<br />

das <strong>ein</strong>e der vom Lehrer andern und zuetwa unterscheiden.“<br />

40 bis 60 Prozent der<br />

auf Intensiv- und Aids-Stationen arbeitenden<br />

Pflegenden an <strong>ein</strong>em solchen<br />

Erschöpfungszustand leiden. Bei<br />

von heute auf morgen, sondern schleichend.<br />

Am Anfang steht das Missverhältnis<br />

zwischen dem übertriebenen Engagement<br />

<strong>ein</strong>erseits und der aus Sicht der Betroffenen<br />

unzureichende Würdigung des<br />

erbrachten Einsatzes anderseits. Dieses<br />

Ungleichgewicht, von Siegrist als „Gratifikationskrise“<br />

bezeichnet, führt zu wachsender<br />

Frustration, Reizbarkeit und Überdruss.<br />

Nach und nach verbrauchen sich die<br />

psychischen und emotionalen Widerstandskräfte<br />

des Betroffenen immer mehr<br />

bis hin zur völligen emotionalen, geistigen<br />

und körperlichen Erschöpfung. Im letzten<br />

Erkrankungsstadium ist der Betroffene<br />

nicht mehr in der Lage, den beruflichen<br />

Anforderungen zu genügen. S<strong>ein</strong>e Gefühlswelt<br />

ist von Niedergeschlagenheit, Verzweiflung,<br />

innerem Rückzug und Zynismus<br />

geprägt. Auch leidet er an teilweise ausgeprägten<br />

körperlichen Beschwerden. In<br />

diesem Fall hilft nur noch <strong>ein</strong>e sachgerechte<br />

Therapie. Diese umfasst oft <strong>ein</strong>e<br />

medikamentöse Behandlung der körperlichen<br />

Symptome, etwa der depressiven<br />

Gemütslage und der Schlafstörungen. Im<br />

Zentrum steht jedoch immer <strong>ein</strong>e Psychotherapie.<br />

Mit verschiedenen Methoden<br />

wird versucht, den Patienten dazu zu<br />

bringen, s<strong>ein</strong>e unrealistischen Erwartungen<br />

an das eigene Leistungsvermögen<br />

aufzugeben, mehr innere Distanz zu<br />

s<strong>ein</strong>em Beruf zu gewinnen und in entspannenden<br />

Tätigkeiten <strong>ein</strong>en Ausgleich zur<br />

Arbeit zu finden. Die Heilungsaussichten<br />

sind dabei umso grösser, je früher die<br />

Störung behandelt wird. Wie gut sich der<br />

Betroffene erholt und wieder ins Berufsleben<br />

<strong>ein</strong>zugliedern vermag, hängt aber<br />

auch von den individuellen Lebensumständen<br />

wie der sozialen Unterstützung<br />

und der finanziellen Situation ab. Auch<br />

diese gilt es bei der Therapie zu berücksichtigen.<br />

dafür fehlt, die richtigen sprich die wesentlichen Aufgaben, die<br />

hie: Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen Religion und<br />

ristoph Oetinger hat mit s<strong>ein</strong>em berühmten Gebet den Weg für<br />

ern, was ich nicht erfragen kann, die Gelassenheit, zu ertragen, was ich nicht<br />

Wann ist man burnoutgefährdet?<br />

Personen, die sich um<br />

und demenzkranke<br />

sozial im<br />

Burnout-gefährdet ist<br />

, schützt Angehörige Men- küm-<br />

man dann,<br />

Burnout. mern,Perso- soll der<br />

• Wenn man in<br />

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Anteil noch<br />

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gleichBurnoutzwischen<br />

• Man Zuwen-<br />

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Gesundheit und<br />

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wickelt<br />

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nicht<br />

schwendet.<br />

Spannung und<br />

ness und geisting<br />

und lukullische Ernährung, Pflicht und Genuss, Geselligkeit<br />

Fragebögen führen zur Diagnose<br />

Das Burnout-Syndrom hat zwar viele<br />

Gesichter, doch gelten drei Symptome als<br />

diagnostisch zwingend. Neben <strong>ein</strong>em<br />

schweren emotionalen Erschöpfungszustand<br />

zählen dazu <strong>ein</strong> Verlust des geistigen<br />

Leistungsvermögens und <strong>ein</strong>e zynischeGrundhaltung,<br />

ja Verachtung<br />

gegenüber jenen Menschen, für die man<br />

im Berufsleben Verantwortung übernimmt.<br />

Darüber hinaus geht die Störung<br />

mit weiteren Symptomen <strong>ein</strong>her, etwa<br />

Konzentrationsschwäche, Antriebsverlust,<br />

geringes Selbstwertgefühl, Hassgefühle<br />

und Verzweiflung. Begleitet werden die<br />

psychischen Auffälligkeiten meist von körperlichen<br />

Qualen wie Müdigkeit, Magen-<br />

Darm-Beschwerden, Ohrgeräuschen (akustische<br />

Wahrnehmungsstörungen),<br />

Anginapectoris- Anfällen und Muskelschmerzen.<br />

Bei der Diagnose nehmen<br />

standardisierte Fragebögen (Fragebogen<br />

(Duden)) <strong>ein</strong>en wichtigen Stellenwert <strong>ein</strong>.<br />

International am häufigsten angewandt<br />

(angewendet) wird das nach der amerikanischen<br />

Psychologin Christina Maslach<br />

benannte ‚Maslach Burnout Inventory’.<br />

Ebenfalls aussagekräftig ist <strong>ein</strong> Testverfahren<br />

mit dem Kürzel AEVM, das der Potsdamer<br />

Psychologe Uwe Schaarschmidt<br />

entwickelt hat. Anders als die amerikanische<br />

Version erfasst dieses weniger die<br />

körperlichen und psychischen Belastungssymptome<br />

als vielmehr die arbeitsbezogenen<br />

Erlebens- und Verhaltens-Muster –<br />

entsprechend der Abkürzung AEVM. Eine<br />

solche Analyse erlaubt es riskante Persönlichkeitsmuster<br />

frühzeitig zu erkennen<br />

und zu behandeln, noch bevor Schäden<br />

auftreten.<br />

• Man an den zur Verfügung stehenden<br />

Krafttankstellen vorbeisaust.<br />

• Schliesslich die Energie dafür fehlt, die<br />

richtigen sprich die wesentlichen Aufgaben,<br />

die „big points“ des Lebens entschlossen,<br />

zielstrebig und tatkräftig<br />

anzupacken.<br />

Der Theosoph (Theosophie: Wissenschaft<br />

an der Schnittstelle zwischen Religion und<br />

Philosophie) Friedrich Christoph Oetinger<br />

hat mit s<strong>ein</strong>em berühmten Gebet den Weg<br />

für <strong>ein</strong> sinnvolles Energiemanagement<br />

gewiesen:<br />

„Gib mir Mut und Kraft zu ändern, was ich<br />

nicht erfragen kann, die Gelassenheit, zu<br />

ertragen, was ich nicht ändern kann und<br />

die Weisheit, das <strong>ein</strong>e vom andern zu unterscheiden.“


Was schützt vor Burnout?<br />

Wellness und Mindness<br />

Sich psychisch, körperlich und sozial im<br />

Gleichgewicht zu befinden, schützt Menschen<br />

vor dem Risiko <strong>ein</strong>es Burnout. Personen<br />

mit <strong>ein</strong>em gesunden Leistungsvermögen<br />

sorgen darüber hinaus für <strong>ein</strong>e ausgewogene<br />

Balance - täglich und über das<br />

Leben verteilt. Sie schaffen <strong>ein</strong>en Ausgleich<br />

zwischen Belastung und Erholung, sie<br />

bringen den Beruf, das Privatleben, ihre<br />

Gesundheit und kulturelles Erleben in <strong>ein</strong><br />

Gleichgewicht. Sie balancieren Ich und Du,<br />

Geben und Nehmen, Bewegung und Ruhe,<br />

Spannung und Entspannung, körperliche<br />

Fitness und geistige Bildung, gesunde<br />

Ernährung und lukullische Ernährung,<br />

Pflicht und Genuss, Geselligkeit und Abgeschiedenheit.<br />

„Wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse häufig 16 Stunden zu spüren“,<br />

appelliert Dr. Heim. sowie Er kommt auch sodann am<br />

darauf zu sprechen, dass W ochenende<br />

Zeit nicht linear,<br />

sondern subjektiv wahrgenommen arbeiten würden, werde.<br />

Das Gleiche gelte für Stress. müsse Auch dieser Aspekt er werde<br />

subjektiv wahrgenommen. berücksichtigt<br />

Neben Wellness<br />

als Ausgleich zu Stress spiele werden. heute Auch auch wer die<br />

Mindness <strong>ein</strong>e wichtige Rolle. Freude „Mindness an der Arbeit bedeutet,<br />

die kognitiven Fähigkeiten habe und sehr gezielt viel<strong>ein</strong><br />

arbeite, müsse dafür<br />

zusetzen“, erklärt der Referent. Er macht <strong>ein</strong>-<br />

schauen, das Gleich- Mirjam Stössel heisst alle TeilnehmerInnen herzlich willkommen.<br />

dringlich geltend: „Sport all<strong>ein</strong> ist <strong>ein</strong>e ungegewicht<br />

von Beannügende<br />

Stressbewältigung.“ Er gibt zu bespruchung<br />

und Regeneration längerfristig<br />

denken, dass es heute enorm leicht falle,<br />

herzustellen. Die heutige Leistungsgesell-<br />

Leistung in alle Lebensbereiche mitzunehmen. Echte Stressbewältigung solle deshalb vor<br />

schaft zeichne sich durch ständige Verfüg-<br />

allem auch darauf ausgerichtet barkeit aus. s<strong>ein</strong>, Dies sich bedeutet, k<strong>ein</strong>em dass zusätzlichen die Rege- Leistungsdruck auszusetzen.<br />

Stressbewältigung habe immer nerationszeit etwas immer mit kürzer Angstbewältigung werde. Dadurch zu tun. In unserer Kultur und Re-<br />

Von der Theorie ligion spiele zur Praxis Angst <strong>ein</strong>e eminent werde die wichtige Balance von Rolle. Regeneration „Alle Menschen und stehen in ständiger Interaktion<br />

mit ihrer Umwelt. Auf Beanspruchung <strong>ein</strong>en Input folge gestört. <strong>ein</strong>e Reaktion. Diese basiert in den Erfahrungen,<br />

Nach dieser Einführung dem Umfeld, zum Thema den Ressourcen Bur- und der Angst des konkreten Individuums. Die konkrete Reaknout<br />

soll nun im tion Folgenden hat Konsequenzen“, über den Wei- erklärt Dr. Heim. Er unterstreicht, dass die Fähigkeit des Menschen<br />

terbildungstag etwas der AudiopädagogInnen<br />

zu verdrängen, sehr Wellness gross sei. und ErMindness führt aus: „Ablehnung oder Vern<strong>ein</strong>ung ist die vorhersehbarste<br />

aller Antworten auf <strong>ein</strong>en Input.“<br />

vom 25. September 2009 berichtet werden.<br />

Nachdem Mirjam Stössel die etwas über 30<br />

Audio-pädagogInnen herzlich willkommen<br />

geheissen hat, <strong>stellt</strong> sich der Referent Dr.<br />

med. Rolf Victor Heim kurz vor.<br />

Dr. Heim ist Psychotherapeut und ist am<br />

Institut für Arbeitsmedizin in Baden tätig.<br />

(vgl. www.arbeitsmedizin.ch)<br />

Am Anfang s<strong>ein</strong>er Ausführungen steht das<br />

Thema Stress. Dr. Heim weist darauf hin,<br />

dass der Arbeitsplatz heute den Stressor<br />

Nummer 1 bilde. Der Vorgesetzte habe<br />

mehr Einfluss auf die Gesundheit <strong>ein</strong>es<br />

Arbeitnehmers als der Hausarzt. Er erläutert,<br />

dass man • zwischen Kampf Eustress (fight) und<br />

Dystress unterscheide. • Flucht „Unter (flight) Eustress<br />

versteht man • guten Erstarren Stress und (fright)<br />

unter<br />

Dystress negativen Stress. Klassische<br />

Stressreaktionen bilden Kampf oder Flucht.<br />

Heute hat man eigentlich <strong>ein</strong>e Gesellschaft<br />

von ‚Angsthasen’, denn nur diejenigen<br />

haben überlebt, die sich für Flucht entschieden<br />

haben. Diejenigen, die sich für<br />

Kampf entschieden haben, sind mit der Zeit<br />

ausgestorben.“, bemerkt Dr. Heim humorvoll.<br />

S<strong>ein</strong>e lebendige Vortragsart sorgt für<br />

manchen Lacher. Er vermag die Aufmerksamkeit<br />

s<strong>ein</strong>er ZuhörerInnen zu fesseln bei<br />

<strong>ein</strong>er entspannten und sehr guten Stimmung<br />

im Saal. Auch Eustress könne krank<br />

machend s<strong>ein</strong>, denn das Herzkreislaufsy-<br />

stem sei dauern<br />

angespannt. Gerade<br />

bei Menschen, die<br />

viel Freude an der<br />

Arbeit hätten und<br />

„Wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse zu<br />

spüren“, appelliert Dr. Heim. Er kommt<br />

sodann darauf zu sprechen, dass Zeit nicht<br />

linear, sondern subjektiv wahrgenommen<br />

werde. Das Gleiche gelte für Stress. Auch er<br />

werde subjektiv wahrgenommen. Neben<br />

Wellness als Ausgleich zu Stress spiele<br />

heute auch die Mindness <strong>ein</strong>e wichtige<br />

Rolle. „Mindness bedeutet, die kognitiven<br />

Fähigkeiten gezielt <strong>ein</strong>zusetzen“, erklärt<br />

der Referent. Er macht <strong>ein</strong>dringlich geltend:<br />

„Sport all<strong>ein</strong> ist <strong>ein</strong>e ungenügende<br />

Stressbewältigung.“ Er gibt zu bedenken,<br />

dass es heute enorm leicht falle, Leistung<br />

in alle Lebensbereiche mitzunehmen. Echte<br />

Stressbewältigung solle deshalb vor allem<br />

auch darauf ausgerichtet s<strong>ein</strong>, sich k<strong>ein</strong>em<br />

zusätzlichen Leistungsdruck auszusetzen.<br />

Stressbewältigung habe immer etwas mit<br />

Angstbewältigung zu tun. In unserer Kultur<br />

und Religion spiele Angst <strong>ein</strong>e eminent<br />

wichtige Rolle. „Alle Menschen stehen in<br />

ständiger Interaktion mit ihrer Umwelt. Auf<br />

<strong>ein</strong>en Input folge <strong>ein</strong>e Reaktion. Diese<br />

basiert in den Erfahrungen, dem Umfeld,<br />

den Ressourcen und der Angst des konkreten<br />

Individuums. Die konkrete Reaktion<br />

hat Konsequenzen“, erklärt Dr. Heim. Er<br />

unterstreicht, dass die Fähigkeit des Menschen<br />

etwas zu verdrängen, sehr gross sei.<br />

Er führt aus: „Ablehnung oder Vern<strong>ein</strong>ung<br />

ist die vorhersehbarste aller Antworten auf<br />

<strong>ein</strong>en Input.“<br />

Spannend sind auch die Ausführungen des eloquenten und von<br />

amüsanten Anekdoten sprudelnden Referenten zum Thema<br />

Angst: „Das Rezept gegen Angst ist an sich ganz <strong>ein</strong>fach:<br />

Schlaf. „Statistisch gesehen brauchen die meisten Menschen<br />

zwischen 7 und 8 Stunden Schlaf pro Tag. Sehr gute Resultate<br />

erzielt man auch mit dem sog. Powernap, <strong>ein</strong>em kurzen Schlaf<br />

von vielleicht <strong>ein</strong>er Viertelstunde - unter dem Tag.“ Heim schlägt<br />

den Bogen zum antiken Philosophen Epiktet, der gesagt hat:<br />

„Es sind nicht die Dinge, die uns belasten, sondern unsere<br />

Vorstellung von den Dingen.“<br />

F:\artikel-ausgabe-november09\artikel-weiterbildungstag-burnout KOR.doc<br />

Spannend sind auch die Ausführungen des<br />

eloquenten und von amüsanten Anekdoten<br />

sprudelnden Referenten zum Thema Angst:<br />

„Das Rezept gegen Angst ist an sich ganz<br />

<strong>ein</strong>fach: Schlaf. „Statistisch gesehen brauchen<br />

die meisten Menschen zwischen 7<br />

und 8 Stunden Schlaf pro Tag. Sehr gute<br />

Resultate erzielt man auch mit dem sog.<br />

Powernap, <strong>ein</strong>em kurzen Schlaf von vielleicht<br />

<strong>ein</strong>er Viertelstunde - unter dem Tag.“<br />

Heim schlägt den Bogen zum antiken Philosophen<br />

Epiktet, der gesagt hat:<br />

Heim erwähnt, dass der standardmässige Umgang mit Angst drei Aspekte b<strong>ein</strong>halte:<br />

„Es sind nicht die Dinge, die uns belasten,<br />

sondern unsere Vorstellung von den<br />

Dingen.“<br />

Heim erwähnt, dass der standardmässige<br />

Umgang mit Angst drei Aspekte b<strong>ein</strong>halte:<br />

• Kampf (fight)<br />

• Flucht (flight)<br />

• Erstarren (fright)<br />

9


Interaktives Referat<br />

Mit dem Bewussts<strong>ein</strong> könne man Alternativen<br />

zu diesem Standardprogramm entwickeln.<br />

Das Referat von Dr. Heim ist sehr<br />

interaktiv gestaltet. Immer wieder können<br />

sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

zu Wort melden, eigene Gedanken und<br />

Erfahrungen zur Sprache bringen. Eine<br />

Alternative, die von den ZuhörerInnen<br />

genannt wird, ist in diesem Zusammenhang<br />

„Pause machen.“ Dies ist <strong>ein</strong> ganz wichtiges<br />

Votum bzw. <strong>ein</strong>e ganz essentielle<br />

Alternative, denn die Entschleunigung, die<br />

Pause, bringt uns in besseren Kontakt mit<br />

uns selbst. Im Übrigen gilt: Das Glück hat<br />

s<strong>ein</strong>en ersten Wohnsitz in der Pause. Pause<br />

zu machen, bedeutet deshalb immer, den<br />

Teufelskreis zu durchbrechen und den<br />

Fokus auf etwas anderes zu richten. Es ist<br />

sinnvoll, sich immer wieder <strong>ein</strong>mal Zeit zu<br />

nehmen, Zeit nichts zu tun, Zeit k<strong>ein</strong>em Leistungsdiktat<br />

Folge zu leisten. In dieser Zeit<br />

können ganz ungezwungen Gedanken entstehen,<br />

die uns auf unsere Werte besinnen<br />

lassen. In der Pause können wir uns besser<br />

bewusst werden, was ist wirklich wichtig in<br />

unserem Leben.<br />

Ganz wichtig im Umgang mit Angst ist, dass<br />

man sie akzeptiert und bewusst etwas<br />

unternimmt, um die starke Bindung zum<br />

Angst auslösenden Ereignis zu lösen bzw.<br />

die Angst zu defokussieren.<br />

Dr. med. Victor Heim, <strong>ein</strong> ausgewiesener Experte rund um das<br />

brandaktuelle Thema „Burnout“.<br />

Gegenmittel gegen Angst<br />

Als wirkungsvollstes Gegenmittel gegen<br />

die Angst bezeichnet Heim Wertschätzung.<br />

Er kommt dann noch kurz auf das sog. Seitenmodell<br />

zu sprechen, das widerspiegelt,<br />

dass jeder Mensch parallel ganz viele<br />

Gedanken und Gefühle habe und man deshalb<br />

bewusst die Seiten bzw. den Blickwinkel<br />

wechseln solle, wenn <strong>ein</strong>em etwas<br />

zu viel werde, die Angst zu gross werde. Als<br />

k<strong>ein</strong>e gute Massnahme gegen die Angst<br />

bezeichnet Heim das Bagatellisieren.<br />

Damit werde die Angst verleugnet. Beruhigen<br />

reduziere demgegenüber die Angst,<br />

denn dann nehme man sich bzw. <strong>ein</strong>en<br />

anderen Menschen effektiv ernst und<br />

beziehe ihn so aktiv <strong>ein</strong>. Heim ist <strong>ein</strong><br />

Anhänger der Systemtheorie. Danach ist es<br />

nicht wichtig, das definierte Ziel zu erreichen,<br />

sondern in Bewegung zu kommen.<br />

Schliesslich kommt Dr. Heim noch auf<br />

Mindness zu sprechen. Es handle sich<br />

dabei um <strong>ein</strong>e Wortkonstruktion in Anlehnung<br />

an Wellness. Heim erwähnt dezidiert:<br />

„Mindness ist abzugrenzen von positivem<br />

Denken. Positives Denken funktioniert<br />

dann, wenn es in Über<strong>ein</strong>stimmung mit den<br />

eigenen Erwartungen läuft. Mindness<br />

bedeutet demgegenüber bewusster zu<br />

denken. Man führt sich klar vor Augen, was<br />

für Konsequenzen das eigene Denken hat.<br />

Man vergegenwärtigt sich das Kosten-Nutzenverhältnis<br />

und<br />

optimiert entsprechend<br />

s<strong>ein</strong> Handeln.“<br />

Ganz wichtig sei in<br />

diesem Zusammenhang<br />

das sog. Paretoprinzip<br />

bzw. die 80-zu -<br />

20-Regel. Dieses<br />

Prinzip besagt, dass<br />

80% der Ergebnisse in<br />

20% der Gesamtzeit<br />

<strong>ein</strong>es Projekts erreicht<br />

werden. Die verbleibenden<br />

20% verursachen<br />

die meiste Arbeit.<br />

Dr. Heim appelliert:<br />

„Haben Sie Mut zur<br />

Lücke! Auch mit 80%<br />

ist das <strong>ein</strong> sehr gutes<br />

Resultat. Nicht jedes<br />

Ergebnis muss 100%<br />

vollständig und richtig<br />

s<strong>ein</strong>. Meistens merkt<br />

es gar niemand, dass<br />

das Resultat 80%ig ist.<br />

Das gilt auch für Perfektionisten. Kluge Perfektionisten<br />

teilen sich die Energie <strong>ein</strong>.“<br />

Der Vormittag ist schon recht weit fortgeschritten,<br />

als der Referent dann auf das<br />

Thema Burnout zu sprechen kommt. Dr.<br />

Heim erläutert am Bild <strong>ein</strong>er Batterie, dass<br />

der Energieverbrauch beim Menschen in<br />

drei Phasen ablaufe. Er veranschaulicht das<br />

mit den drei Farben grün, orange und rot.<br />

So wie die Energie verbraucht werde,<br />

werde sie auch wieder aufgefüllt. Im<br />

grünen Bereich fülle sich der Energietank<br />

rasch wieder auf. Meistens merken die<br />

Betroffenen nicht, wenn sich ihre Batterien<br />

im grünen Bereich nicht mehr auffüllen. Sei<br />

man im roten Bereich angelangt, dauere es<br />

dann immer Wochen und Monate und die<br />

Regeneration geschehe in dieser Phase nur<br />

noch in <strong>ein</strong>er speziellen Kur mit entsprechender<br />

Krankschreibung der betroffenen<br />

Person.<br />

Heim weist darauf hin, dass 10 bis 30% der<br />

Berufstätigen im falschen Beruf, im<br />

falschen Team, mit den falschen Leuten<br />

zusammenarbeiten würden. Zwei Drittel<br />

der Werktätigen würden heute im Dienstleistungsbereich<br />

arbeiten. Burnout entstehe<br />

vor allem durch emotionale und kognitive<br />

bzw. mentale Überlastung. Im Dienstleistungsbereich<br />

gelte es immer freundlich zu<br />

s<strong>ein</strong>. Es bestehe <strong>ein</strong>e ständige Kundenorientierung<br />

durch die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten.<br />

Man sei<br />

ständig auf Pikett und könne so deshalb<br />

kaum <strong>ein</strong>mal mehr richtig für mehrere<br />

Stunden und Tage „abschalten“.<br />

Die vier Phasen beim Burnout<br />

Rolf Victor Heim unterscheidet vier Phasen<br />

beim Burnout:<br />

• Enthusiasmus (Einstieg voller Energie)<br />

• Realismus (Erkenntnis, dass sich nicht<br />

alles so schnell umsetzen lässt und nicht<br />

alles so schnell geht)<br />

• Frustration (in dieser Phase würden burnoutgefährdete<br />

Personen häufig versuchen<br />

ihre Aufgaben noch intensiver und<br />

beharrlicher zu erfüllen nach dem Motto<br />

‚try harder’)<br />

• Apathie (Burnout gekennzeichnet durch<br />

Lustlosigkeit, Schlafstörungen, Erschöpfungsdepression,<br />

Interesselosigkeit,<br />

sozialem Rückzug, Isolation, Gedankenstörung,<br />

Muskelverspannungen, Gelenkbeschwerden,<br />

organischen Störungen.<br />

Alarmzeichen für <strong>ein</strong>en Burnout bilden,


wenn man Sachen, die man früher gern<br />

gemacht hat, nicht mehr machen kann, weil<br />

<strong>ein</strong>em die Zeit fehlt. Eine bekannte mit dem<br />

Burnout <strong>ein</strong>hergehende Mangelersch<strong>ein</strong>ung<br />

ist Eisenmangel)<br />

Heim führt weiter aus: „Um festzustellen, wo<br />

man selbst steht, braucht es Selbstreflexion.<br />

Regelmässige Standortbestimmungen sind<br />

hilfreich. Der zeitliche Intervall variiert je nach<br />

eigener Befindlichkeit. Ganz wichtig ist, sich<br />

zu fragen: ‚Was mache ich als Ausgleich?’ In<br />

diesem Zusammenhang unterscheidet man<br />

den körperlichen, mental/kognitiven und<br />

emotionalen Bereich. Sinnvollerweise sollte<br />

man mindestens in jedem Bereich immer<br />

<strong>ein</strong>en Aspekt als auf sich zutreffend<br />

bezeichnen können - besser noch zwei bis<br />

drei. Dann bestehen gute Erfolgsaussichten,<br />

wieder in den grünen Energiebereich zu<br />

kommen. Alles, was präventiv wirkt, wirkt<br />

auch therapeutisch.“<br />

Zurück in den „grünen“ Bereich<br />

Zusammen mit den teilnehmenden<br />

AudiopädagogInnen wird dann folgende<br />

Zusammenstellung erarbeitet, um wieder in<br />

den grünen Energiebereich zu kommen:<br />

körperlich<br />

Wellness, Schlaf, Tanz, Sport, Laufen,<br />

Konsum, körperliche Arbeit, Sex<br />

mental und kognitiv<br />

Vision/Hoffnung, Ablenkung, Lesen, Denksport,<br />

Problem lösen<br />

emotional<br />

Garten, Freunde, Musik, Humor, Spielen,<br />

Kochen, Reisen, Kreativität, Tiere/Natur<br />

Am Schluss s<strong>ein</strong>es spannenden Referats händigt<br />

Dr. Heim allen Teilnehmenden noch den<br />

vom Institut für Arbeitsmedizin herausgegebenen<br />

Mindness- und Wellness-Guide aus,<br />

der viele Übungen und Hintergrundinformationen<br />

enthält sowie <strong>ein</strong>e breite Palette von<br />

Empfehlungen, die Batterien wieder aufzuladen.<br />

Im Nu ist der Vormittag vergangen und<br />

mit viel neuem Wissen, Erkenntnissen und<br />

Ideen gehen die AudiopädagogInnen dann<br />

zusammen Mittagessen, bevor sie am Nachmittag<br />

in verschiedenen Workshops (Qi Gong,<br />

Nordic Walkinig, Aquafit, Bogenschiessen und<br />

Gesellschaftsspiele) bewusst den Ausgleich<br />

zu ihrer oftmals belastenden und fordernden<br />

Tätigkeit an der Basis suchen.<br />

Aufmerksam verfolgen die TagungsteilnehmerInnen die spannenden Informationen.<br />

Christine Bürge und weitere Audiopädagoginnen in <strong>ein</strong>er Gesprächsrunde während der Pause.<br />

Quellen-Angaben:<br />

- Nicola von Lutterotti in Neue Zürcher Zeitung vom 29. August 2007<br />

- Christoph Eichhorn in Care 3/2009<br />

- Weitere Literatur unter www.swissburnout.ch<br />

11<br />

Ein entspannter und gelöster<br />

Referent in der wohlverdienten<br />

Kaffeepause.


Am 9. Oktober 2009 findet im Casino in Bern<br />

die traditionelle Herbsttagung des Schweizerischen<br />

Seniorenrates SSR statt. Rund 200<br />

SeniorInnen sowie Vertreter aus Gem<strong>ein</strong>den,<br />

Kantonen und Firmen setzen sich an diesem<br />

Tag mit der Schweizer Sozialpolitik aus<strong>ein</strong>ander.<br />

Moderiert wird die Tagung von Karl<br />

Vögeli aus Uster.<br />

Karl Vögeli weist zu Beginn s<strong>ein</strong>er Moderation<br />

darauf hin, dass die Verteil- und Grabenkämpfe<br />

im AHV-Rentenbereich für alle Betroffenen<br />

spürbar seien. Die heutige Tagung wolle sich<br />

deshalb schwergewichtig auch dem Thema der<br />

Zukunft der AHV widmen.<br />

Plattform für die beiden grossen<br />

schweizerischen Seniorendachverbände.<br />

Herbert B. Kaestner, Co-Präsident des Schweizerischen<br />

Seniorenrates (SSR), freut sich<br />

riesig, dass er heute so viele Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer an der traditionellen Herbsttagung<br />

des SSR begrüssen darf. „Die SSR-Herbsttagung<br />

gibt jährlich Gelegenheit zum Gedankenaustausch.<br />

Alle Regionen der Schweiz sind<br />

vertreten: vom östlichsten Zipfel der Schweiz<br />

bis ins westlichste Genfergebiet, besonders<br />

zahlreich von der Nordostschweiz bis ins Wallis<br />

und in die Tessiner Sonnenstube. Ich heisse Sie<br />

alle ganz herzlich willkommen.“<br />

In s<strong>ein</strong>er Ansprach betont Herbert B. Keastner,<br />

dass die Seniorenbewegung in unserer Gesellschaft<br />

wichtige Aufgaben hat. „Deshalb ist das<br />

heutige Meeting wesentlich mehr als nur <strong>ein</strong><br />

Gedankenaustausch unter Rentnervertretungen<br />

und Pensionierten. Die Stimme der<br />

Senioren braucht auch in der Öffentlichkeit <strong>ein</strong><br />

starkes Echo. Zu oft entscheiden nicht demokratische<br />

Abläufe, sondern Amtsstuben und<br />

Fachexperten, was für unser Wohlbefinden<br />

tauglich s<strong>ein</strong> soll. Der Schweizerische Seniorenrat<br />

hat den Auftrag und die Legitimation,<br />

bei fraglichen Entscheiden zu intervenieren.<br />

Der SSR ist die Plattform der beiden grossen<br />

Seniorendachverbände, Ver<strong>ein</strong>igung aktiver<br />

Senioren- und Selbsthilfe-Organisationen<br />

(VASOS) und des Schweizerischen Verbandes<br />

Herbsttagung 2009 Schweizerischer<br />

Seniorenrat zum Thema:<br />

Sozialpolitik quo vadis?<br />

Karl Vögeli moderiert kompetent durch die Herbsttagung 2009 des Schweizerischen<br />

Seniorenrates.<br />

Herbert B. Keastner, Co-Präsident des SSR, hebt in s<strong>ein</strong>er Begrüssungsansprache die Bedeutung der<br />

beiden Seniorendachverbände, VASOS und SVS, hervor, welche zusammen über 220'000 Rentnerinnen<br />

und Rentner schweizweit vertreten.


für Seniorenfragen (SVS). Die beiden Dachverbände<br />

ver<strong>ein</strong>igen mit ihren Mitglied-<br />

Organisationen insgesamt 220'000 Rentnerinnen<br />

und Rentner. Dies bedeutet auf<br />

eidgenössischer Ebene das Potenzial;<br />

Referenden herbeizuführen. Gegen altersdiskriminierende<br />

Vorhaben sind wir bereits<br />

erfolgreich <strong>ein</strong>geschritten. Der SSR wurde<br />

daher in wichtigen politischen Vorlagen<br />

zunehmend und vor allem rechtzeitig konsultiert.<br />

Dies ist das Ergebnis <strong>ein</strong>es 8jährigen<br />

hartnäckigen Kampfes.“<br />

Rückblickend <strong>stellt</strong> Herbert B. Kaestner<br />

fest, dass die erzielten Fortschritte nicht in<br />

St<strong>ein</strong> gemeisselt seien. An den letzten<br />

beiden Herbsttagungen habe sich der<br />

Schweizerische Seniorenrat intensiv mit<br />

der bundesrätlichen Strategie für <strong>ein</strong>e<br />

schweizerische Alterspolitik aus<strong>ein</strong>andergesetzt.<br />

Dabei wurde schön aufgezeigt und<br />

erkennbar gemacht, dass für die Seniorenvertretungen<br />

<strong>ein</strong> breites Blickfeld notwendig<br />

sei. Einerseits die Optik über die<br />

Landesgrenzen hinaus und andererseits<br />

das breite Spektrum der <strong>ein</strong>zelnen Schweizerischen<br />

Sozialwerke. Gerade hier führen<br />

die organisch gewachsenen Strukturen oft<br />

zu Widersprüchen mit den Rentner-Situationen<br />

im Alltag.<br />

Herbert B. Keastner: „Bei diesen beiden<br />

von mir erwähnten Themen dürfte dabei<br />

bestimmt zum Ausdruck kommen, dass die<br />

Gesellschaftspolitik je länger je mehr differenzieren<br />

muss zwischen <strong>ein</strong>er sog. „Seniorenpolitik“<br />

und <strong>ein</strong>er „Alterpflegepolitik“.<br />

Wenn die Bevölkerung erkennt, dass die<br />

Gesellschaft des langen Lebens unterschiedliche<br />

Gesichter hat, wird auch der<br />

gesellschaftspolitische Dialog zwischen<br />

Jung und Alt <strong>ein</strong>facher.“<br />

Erneuern der Rentensysteme<br />

Schweizer Sozialpolitik: wie weiter?<br />

Im Lauf der letzten Jahre modernisierten<br />

die meisten OECD-Länder ihre Rentensystem.<br />

Gründe dafür waren <strong>ein</strong>erseits die<br />

demografische Entwicklung. Andererseits<br />

wurden die Strukturen erneuert. Dies<br />

führte zu Tendenzen, welche auch die<br />

Schweizer Senioren betreffen werden.<br />

Inwiefern tangieren ausländische Modelle<br />

die Massnahmen in der Schweizer Sozialpolitik?<br />

Verstärken sie den Druck, zusätzlich<br />

Solidaritätsbeiträge von den Rentnern<br />

<strong>ein</strong>zufordern?<br />

Tatsache ist: Die Schweizer Sozialwerke<br />

stehen vor neuen Herausforderungen.<br />

Unter den Vorzeichen wirtschaftlich ungünstiger,<br />

für die Senioren fremdbestimmter<br />

Rahmenbedingungen und demografischer<br />

Entwicklungen müssen AHV / Ergänzungsleistungen,<br />

2. Säule und die obligatorische<br />

Krankenversicherung die Auftrags-Erfüllung<br />

unter Beweis stellen. Die Herbsttagung<br />

des Schweizerischen Seniorenrates<br />

will kompetenten Einblick in die Entwicklungen<br />

vermitteln. Die Tagungsteilnehmenden<br />

sollen sich <strong>ein</strong> Bild über die aktuelle<br />

Situation verschaffen können. Wer sich<br />

in der Alterspolitik <strong>ein</strong>setzt, soll nicht reagieren,<br />

sondern agieren!<br />

Die Herbsttagung öffnet das Spektrum für<br />

Zukunftsfragen der sozialen Sicherheit und<br />

beschränkt sich nicht nur auf die finanzielle<br />

Optik, sondern bezieht auch die soziale<br />

Aspekte <strong>ein</strong>er Gesellschaft des langen<br />

Lebens <strong>ein</strong>.<br />

Reform der Rentensysteme in<br />

Europa - Wege für die<br />

Schweiz?<br />

Prof. Dr. Giuliano Bonoli von der Universität<br />

Lausanne <strong>stellt</strong> in s<strong>ein</strong>em Referat <strong>ein</strong>leitend<br />

fest, dass zu Beginn der 1990er Jahre<br />

verschiedene europäische Staaten damit<br />

begonnen haben, ihre Rentensysteme zu<br />

analysieren und zu überdenken. Allgem<strong>ein</strong><br />

befassten sich diese Erneuerungen mit den<br />

zu erwartenden finanziellen Schwierig-<br />

Alterspyramide: Die<br />

demografische Entwicklung<br />

der<br />

Schweizer Wohnbevölkerung<br />

von 1900 bis 1980<br />

bzw. 2001.<br />

Differenzierungen bei den Inhalten der<br />

Gesellschaft des langen Lebens:<br />

Die Seniorenpolitik bezieht sich auf das<br />

sogenannte 3. Alter. Dieses b<strong>ein</strong>haltet<br />

weitgehende Gesundheit und Freiräume<br />

zur Gestaltung der Selbstständigkeit. Die<br />

Seniorenpolitik ist Voraussetzung für das<br />

Entfalten von Eigeninitiative und für die<br />

aktive Mitwirkung in Politik und Gesellschaft.<br />

Entwürdigend und diskriminierend<br />

sind in dieser Lebensphase z.B. Alterslimiten,<br />

schwieriger Umgang mit den<br />

Behörden oder <strong>ein</strong>e Einschränkung des<br />

Zugangs zur Weiterbildung. Hier hat sich<br />

der SSR-CSA bereits zielführend und nachhaltig<br />

<strong>ein</strong>gesetzt.<br />

Die Alterpflegepolitik richtet sich an das so<br />

genannte 4. Alter. Es bezeichnet die Phase<br />

der Abhängigkeit. Menschen in dieser<br />

Phase sind zu gebrechtlich, um ihre Recht<br />

selber wahrnehmen zu können. Personen<br />

mit grossen gesundheitlichen Einschränkungen<br />

laufen Gefahr, dass die verbleibenden<br />

Ressourcen zusätzlich geschwächt<br />

werden. Entwürdigend und diskriminierend<br />

sind z.B. fehlende Rücksichtnahme<br />

auf ihre Bedürfnisse, unsorgfältige Pflege.<br />

Vernachlässigung oder gar Misshandlungen,<br />

zu wenig Entlastung für pflegende<br />

Angehörige, usw. Das alterspolitische<br />

Engagement des SSR-CSA richtet sich in<br />

der Alterspflegepolitik darauf aus, <strong>ein</strong>en<br />

würdigen letzten Lebensabschnitt zu<br />

gewährleisten.<br />

13


keiten und der Suche nach Antworten auf<br />

die demografische Alterung der Bevölkerung<br />

in den verschiedenen Ländern. Generell<br />

konnten zwei Trends damals festgehalten<br />

werden. Nämlich, dass es zu <strong>ein</strong>er<br />

Reduktion bei den Basisrenten kommen<br />

werde und dass <strong>ein</strong>e Verstärkung der beruflichen<br />

und/oder der privaten Vorsorge<br />

erreicht werden müsse.<br />

Warum braucht es Reformen? Prof. Bonoli<br />

veranschaulicht dies <strong>ein</strong>drücklich anhand<br />

des demografischen Kontextes, der die<br />

Grundlage für nachhaltige zukünftige Rentensysteme<br />

und politische Überlegungen<br />

bildet.<br />

Der Vergleich mit <strong>ein</strong>igen europäischen<br />

Staat zeigt, dass die Zahl der Bevölkerungsgruppe<br />

(65 Jahre und älter) bis ins<br />

Jahr 2040 markant zunehmen wird. Beträgt<br />

der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe im<br />

Jahr 2005 in der Schweiz 16%, so wird sie<br />

im Jahr 2040 bereits 27% in Frankreich<br />

26%, in Schweden 24%, in Italien wie auch<br />

in Deutschland wird 33% ausmachen. Der<br />

Grund für diese Überalterung liegt nebst<br />

der besseren medizinischen Versorgung<br />

sowie Betreuung vor allem darin, dass<br />

immer weniger Kinder geboren werden. So<br />

betrug im Jahr 2005 die Zahl Kinder je Frau<br />

beispielsweise in Frankreich 1,89, in<br />

Schweden, 1,87, in Italien noch 1,38 und in<br />

Deutschlade gerade noch 1,32. Und in der<br />

Schweiz waren es 1,45 Kinder je Frau.<br />

Prof. Bonoli betont, dass nur schon anhand<br />

dieser nüchternen Zahlen erkennbar wird,<br />

dass sich die Alterspyramide der Bevölkerung<br />

in den kommenden Jahrzehnten markant<br />

verändern werde. Und von daher sei<br />

es eigentlich logisch, dass die bestehenden<br />

Rentensysteme, auf die unweigerlich<br />

kommende veränderte Bevölkerungsstruktur<br />

angepasst werden müsse.<br />

Reformen: Vorgehen und<br />

Grundlagen<br />

Prof. Bonoli erklärt, Politik und Verwaltung<br />

haben grossen Respekt vor der starken<br />

Opposition der Bevölkerung, wenn es um<br />

Veränderungen bei den Rentensystemen<br />

geht. Deshalb wurde in der Vergangenheit<br />

vieles verschleiert und auch verzögert<br />

sowie mache Reformen als „geheim“<br />

taxiert.<br />

Eines sch<strong>ein</strong>t aber klar zu s<strong>ein</strong>, erklärt Prof.<br />

Bonoli weiter, die zukünftigen Rentensy-<br />

Prof. Dr.<br />

Giuliano<br />

Bonoli.<br />

steme müssen auf neuen Grundlagen<br />

abstellen. Dies kann beispielsweise s<strong>ein</strong>,<br />

dass mehr Gleichberechtigung <strong>ein</strong>geführt<br />

wird, oder <strong>ein</strong>e stärkere Gleichberechtigung<br />

zwischen den Kategorien, wie dies in<br />

Italien gemacht wird, oder in Schweden<br />

wird versucht, dass die Vorteile für das<br />

Kader ausgemerzt werden.<br />

Zum Schluss s<strong>ein</strong>er Ausführungen weist<br />

Prof. Bonoli darauf hin, dass immer wieder<br />

der Verdacht aufkomme, dass die aufgezeigten<br />

und drohenden Schwierigkeiten<br />

auf politischen Gründen übertrieben und<br />

überspitzt darge<strong>stellt</strong> würden und es <strong>ein</strong>fach<br />

Unsicherheiten bezüglich der Zukunftsprognosen<br />

gebe.<br />

Prof. Bonoli betont, dass für die Schweiz<br />

ausgewogene Lösungen gefragt seien. Wie<br />

beispielsweise: wie wird in Zukunft der<br />

berufliche und familiäre Beanspruchungs-<br />

Gérard<br />

Heimberg,<br />

Präsident<br />

der SSR-<br />

Arbeitsgruppe<br />

„Soziale<br />

Sicherheit“.<br />

koeffizient für die Rente nach Anzahl<br />

Betragsjahren „Arbeit“ oder „Kindererziehung“<br />

gewichtet.<br />

In die ganze Thematik der Rentenreformen<br />

müssen neue Ideen in die Diskussionen<br />

<strong>ein</strong>gebracht werden und die ganze Rentenpolitik<br />

muss in <strong>ein</strong>em weiteren Zusammenhang<br />

betrachtet werden.<br />

Stellungnahme des Schweizerischen<br />

Seniorenrates<br />

Gérard Heimberg, Präsident der SSR-<br />

Arbeitsgruppe „Soziale Sicherheit“ informiert<br />

über die ausgearbeitete Stellungnahme<br />

der SSR und m<strong>ein</strong>t: „Wir sagen<br />

klar Ja zu <strong>ein</strong>er AHV, die ihrem verfassungsmässigen<br />

Auftrag entspricht und mit ihrer<br />

Rolle als grundlegende soziale, kollektive<br />

und solidarische Altersversicherung übe


<strong>ein</strong>stimmt, und wir sagen klar N<strong>ein</strong> zu<br />

<strong>ein</strong>em allmählichen Abbau von Leistungen.“<br />

Gérard Heimberg nimmt Bezug auf die<br />

Studie „Bonoli“, welche von gelungenen<br />

Reformen in fünf Ländern der OECD (Frankreich,<br />

Italien, Deutschland, Niederlande<br />

und Schweden) vier Ziele und sechs Massnahmen<br />

vor<strong>stellt</strong> und daraus drei Modelle<br />

für die Schweizerische AHV, wobei zwei<br />

Massnahmen (Flexibilisierung des Rentenalters<br />

und Vorfinanzierung durch <strong>ein</strong>e<br />

Erhöhung der MWSt) mit jedem der drei<br />

Modelle kombinierbar seien.<br />

Modell 1<br />

Selbstregulierender Mechanismus, der die<br />

Indexierung der Renten aufgrund von Indikatoren<br />

regelt und <strong>ein</strong>e „Guillotine“-<br />

Klausel enthält.<br />

Kommentar des SSR<br />

Inmitten <strong>ein</strong>er komplexen Realität werden<br />

die Klarheit und Transparenz von politischen<br />

Entscheidungen durch technische<br />

Prozesse ersetzt, welche die Mitbestimmung<br />

der verantwortlichen Instanzen und<br />

die demokratische M<strong>ein</strong>ungsfindung ausschalten.<br />

Modell 2<br />

Einbezug <strong>ein</strong>es beruflichen und familiären<br />

Beanspruchungskoeffizienten in die AHV-<br />

Formel. Berücksichtigung von Faktoren, die<br />

zur „politischen Konsensfindung beitragen“.<br />

Kommentar des SSR<br />

Die Beschwerlichkeiten im Erwerbsleben<br />

ist als Problem beruflicher Art auf der<br />

Ebene der 2. Säule zu lösen. Die Schaffung<br />

<strong>ein</strong>es neuen Koeffizienten würde jene<br />

schwer bestrafen, die trotz aller Machbarkeitsansrengungen<br />

nicht auf 45 Beitragsjahre<br />

kommen. Eine schlechte Politik,<br />

welche Bündel von komplexen und<br />

umständlichen Anpassungen erfordern<br />

würde.<br />

Modell 3<br />

Selbstregulierender Mechanismus mit<br />

<strong>ein</strong>em demografischen Koeffizienten und<br />

Gewichtung.<br />

Kommentar des SSR<br />

Der komplizierte und wenig transparente<br />

Koeffizient würde Sparmassnahmen Vorschub<br />

leisten. Dies würde die heutigen wie<br />

auch die zukünftigen Renten negativ be<strong>ein</strong>flussen.<br />

Kommentar des SSR zur - Flexibilisierung<br />

des Rentenalters<br />

Das heutige normale Referenzalter muss<br />

beibehalten werden. Während der letzten<br />

60 Jahre des Bestehens der AHV hat es<br />

auch <strong>ein</strong>e demografische Alterung<br />

gegeben; dabei sind selbst Rentenerhöhungen<br />

verkraftet worden. Die Ausgaben<br />

für die AHV entsprechen seit Jahren <strong>ein</strong>em<br />

konstanten Prozentsatz des BIP (Brutto<br />

Innland-Produkt) von 6 bis 7%.<br />

Kommentar des SSR zur - Mechanismen<br />

der Vorfinanzierung<br />

Die nötige finanzielle Stärkung der AHV<br />

muss innovativ s<strong>ein</strong> und insbesondere<br />

kohärent s<strong>ein</strong> mit ihrer Funktion als soziale<br />

und kollektive Basisversicherung, finanziert<br />

im Umlageverfahren. Es gibt k<strong>ein</strong>erlei<br />

Gründe, <strong>ein</strong> völlig neues oder konservatives<br />

System zu schaffen. Es gilt <strong>ein</strong>zig, sich<br />

an der Verfassung und an den Bedürfnissen<br />

der Versicherten und der Rentenbezüger<br />

der AHV zu orientieren. Es gibt andere<br />

Wege.<br />

Gérard Heimberg: „Hauptziel der Studie<br />

Bonoli ist sicherlich, den finanziellen Weiterbestand<br />

der AHV angesichts der demografischen<br />

Alterung und der steigenden<br />

Lebenserwartung zu sichern. Während der<br />

60 Jahre ihres Bestehens hat die AHV Probleme,<br />

wie sie sich zwischen 2030 und<br />

2045 wieder zeigen werden, bereits erfolgreich<br />

gemeistert. (Die Lebenserwertung bei<br />

Geburt für Männer ist zwischen 1948/1953<br />

und 1998/2003 von 66,4 auf 77,2 Jahre<br />

gestiegen; d.h. <strong>ein</strong>e jährliche Steigerung<br />

um 2,6 Monate. Zwischen 1999 und 2008<br />

[76,8 auf 79,7 Jahre] ist sogar <strong>ein</strong>e Jahressteigerung<br />

um 3,8 Monate festzustellen).<br />

Allfällige Reformen der AHV haben sich an<br />

deren Geschichte und an den gemachten<br />

Erfahrungen auszurichten und an den Prinzipien,<br />

welche den Bürgern von Wichtigkeit<br />

sind: Solidarität zwischen den Generationen<br />

dank der Finanzierung im Umlageverfahren<br />

(jede Generation ist auf<strong>ein</strong>aderfolgend<br />

Beitragszahlerin und dann Begünstigte);<br />

Allgem<strong>ein</strong>gültigkeit genau definierter,<br />

voraussehbarer Renten für alle und<br />

nicht an komplizierte persönliche Bedingungen<br />

geknüpft, wie dies bei den Ergänzungsleistungen<br />

oder der Sozialhilfe der<br />

Fall ist; Recht auf Rente, ohne zahlreiche<br />

persönliche Bedingungen; Sicherheit der<br />

AHV als verfassungsmässig garantierte<br />

Altersversicherung: Die Renten haben den<br />

Existenzbedarf angemessen zu decken. Die<br />

Studie „Bonoli“ ignoriert diese Vorgaben.<br />

Für die Schweiz ist sie <strong>ein</strong> „hors-sol“-Produkt.“<br />

Gérard Heimberg betont, dass die<br />

„Bonoli“-Studie zu <strong>ein</strong>er AHV führe, bei der<br />

bei den Leistungen <strong>ein</strong> allgem<strong>ein</strong>er Sparkurs<br />

gefahren würde. Indem sie zahlreichen<br />

neuen Bedingungen unterworfen<br />

wären, würden sie stark individualisiert<br />

und wären abhängig nicht nur von der<br />

Demografie, sondern vor allem auch vom<br />

Verlauf der Wirtschaft. Die vorgeschlagene<br />

Hauptmassnahme sei jene, das Rentenalter<br />

hinauszuzögern und das normale Rentenalter<br />

zugunsten <strong>ein</strong>es flexiblen Alters auf<br />

der Basis versicherungsmathematisch<br />

berechneter Renten aufzugeben. Die demografische<br />

Alterung und die steigende<br />

Lebenserwartung seien in erster Linie<br />

gesellschaftliche Fragen, für die Rentenbezüger<br />

und Erwerbstätige nicht verantwortlich<br />

gemacht werden könnten. Diese<br />

könnten jedoch durch <strong>ein</strong>e Erhöhung der<br />

Beiträge der öffentlichen Hand und durch<br />

<strong>ein</strong>e kontinuierliche Zusatzfinanzierung<br />

gelöst werden. Das Rentenalter hinauszuschieben,<br />

sei <strong>ein</strong>e Sch<strong>ein</strong>lösung vor allem<br />

zu <strong>ein</strong>em Zeitpunkt, wo die Wirtschaftswelt<br />

physisch und psychisch immer stressiger<br />

und die Suche und der Erhalt <strong>ein</strong>es Arbeitsplatzes<br />

immer schwieriger würden.<br />

Zum Schluss s<strong>ein</strong>er Ausführungen m<strong>ein</strong>t<br />

Gérard Heimberg, dass sich die AHV durch<br />

die aktuell diskutierten Massnahmen der<br />

Individualisierung, Flexibilisierung und<br />

Rentenanpassungen nach unten von ihrem<br />

verfassungsmässigen Ziel entfernen, statt<br />

sich nach diesem auszurichten. Im Gegenteil,<br />

die AHV würde<br />

• sich den Ergänzungsleistungen<br />

annähern, welch an zahlreich Bedingungen<br />

geknüpft sind<br />

• sich der 2. Säule annähern, wo Flexibilisierung<br />

und Individualisierung mittels<br />

Finanzierung durch Kapitalbildung realisiert<br />

werden<br />

Die vorgeschlagenen Massnahmen hätten<br />

die - mehr oder minder verborgene Wirkung<br />

<strong>ein</strong>es zunehmenden Ablenkens der AHV<br />

von der Finanzierung im Umlageverfahren<br />

hin zum Finanzierungssystem der 2. Säule<br />

oder Ergänzungsleistungen. Dies wäre <strong>ein</strong>e<br />

echte Demontage der AHV.<br />

15


Wie „fit“ sind die Schweizer<br />

Sozialwerke?<br />

Nach den kontradiktorischen Ausführungen<br />

von Prof. Dr. Giuliano Bonoli und<br />

Gérard Heimberg <strong>stellt</strong> Karl Vögeli den<br />

nächsten Referenten, Otto Piller kurz vor.<br />

Otto Piller ist ehemaliger Direktor des Bundesamtes<br />

für Sozialversicherung BSV, das<br />

er in den Jahren 1997 bis 2003 leitete.<br />

Davor war er Freiburger Ständerat. Er ist<br />

ausgebildeter Mathematiker und Physiker.<br />

Heute ist Otto Piller Präsident von Curaviva<br />

und der Schweizerischen Lungenliga.<br />

Zu Beginn s<strong>ein</strong>er Ausführungen nimmt Otto<br />

Piller Bezug auf Art. 8 (Gleichbehandlungsgrundsatz)<br />

und Art. 41 (Sozialziele) der<br />

Bundesverfassung. Er weist darauf hin,<br />

dass Sozialversicherungen erstmals durch<br />

Bismarck in Deutschland in den 80er Jahren<br />

des 19. Jahrhunderts <strong>ein</strong>geführt worden<br />

seien.<br />

„1947 hat das Schweizer Volk in <strong>ein</strong>er<br />

Abstimmung die AHV angenommen und<br />

<strong>ein</strong>geführt. Schon damals hat es<br />

geheissen, man könne diese Versicherung<br />

nicht finanzieren.“ Führt der ausgewiesene<br />

Fachmann mit viel Verve aus.<br />

Piller sei in <strong>ein</strong>em Dreigenerationenhaushalt<br />

aufgewachsen. Er habe es erlebt, wie<br />

s<strong>ein</strong> Grossvater im Jahre 1948 die erste<br />

AHV-Rente erhalten habe. Es seien rund Fr.<br />

50.-- gewesen. Der Sozialstaat sei in der<br />

Schweiz nach dem zweiten Weltkrieg <strong>ein</strong>geführt<br />

worden. Piller hält die AHV für total<br />

gesund, weil das System in der Schweiz als<br />

<strong>ein</strong>ziges Land weltweit auf Solidarität<br />

baue. Jeder bezahle Beiträge. Er legt dar,<br />

dass auch Daniel Vasella auf s<strong>ein</strong>em<br />

gesamten Einkommen AHV bezahle. Dies<br />

seien über 2 Mio. Franken im Jahr, die<br />

Vasella beisteuere. Piller erläutert, dass<br />

wer <strong>ein</strong> höheres Einkommen als Fr. 80'000.-<br />

Otto Piller<br />

bei s<strong>ein</strong>en<br />

engagiert<br />

vorgetragenen<br />

Voten.<br />

-pro Jahr erziele, viel mehr in die AHV <strong>ein</strong>zahle<br />

als er jemals von der AHV erhalten<br />

werde. Für das Jahr 2020 rechne man mit<br />

2,8 Erwerbstätigen pro Rentner. Nach<br />

Ansicht von Piller ist das egal. Denn in der<br />

Schweiz würden alle an die Renten<br />

bezahlen. In Deutschland hingegen gebe<br />

es viele Personen, die nichts an die Renten<br />

beitragen würden. So würden beispielsweise<br />

Angela Merkel und auch Jo Ackermann<br />

nichts an die deutsche Rentenversicherung<br />

bezahlen. Piller betont, solange<br />

man in der Schweiz <strong>ein</strong>e gute Wirtschaft<br />

habe, sei die AHV nicht in Gefahr. Er unterstreicht,<br />

dass seit 1974 man immer den<br />

gleichen Prozentsatz bei der AHV habe,<br />

nämlich 8,4 %. Während 34 Jahren seien<br />

die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />

nicht erhöht worden. Die AHV sei<br />

<strong>ein</strong>e klare Volksversicherung. Dass die<br />

AHV-Ehegattenrente bloss 150% der <strong>ein</strong>fachen<br />

Rente ausmache, beurteilt Piller als<br />

stossend. Hier müsse dringend <strong>ein</strong>e Gleichbehandlung<br />

mit unverheirateten Personen,<br />

die zusammen als Paar leben würden angestrebt<br />

werden. Denn hier würden beide<br />

<strong>ein</strong>e volle AHV-Rente erhalten. Im Weiteren<br />

macht er geltend, dass das flexible Rentenalter<br />

kommen müsse.<br />

Piller erwähnt, dass s<strong>ein</strong>erzeit Bundesrat<br />

Stampfli aus Solothurn, <strong>ein</strong> Liberaler, diese<br />

Volksversicherung geschaffen haben.<br />

Otto Piller kommt auch noch kurz auf die<br />

viel diskutierte Erhöhung der Krankenkassenprämien<br />

zu sprechen. Er weist darauf<br />

hin, dass das gesamte Gesundheitswesen<br />

in er Schweiz pro Jahr 60 Mia. Franken<br />

koste. Die Ausgaben der Krankenkassen<br />

betrügen 20 Mia. Franken. 40 Mia. Franken<br />

<strong>stellt</strong>en Steuererträge dar oder würden das<br />

eigene Portemonnaie der Versicherten<br />

betreffen. Als Prämien für Krankenkassen<br />

würden wir 16% bezahlen, bei der AHV<br />

seien es vergleichsweise bereits 26% und<br />

bei der beruflichen Vorsorge sogar 30%.<br />

Wenn man von den hohen Kosten des<br />

Gesundheitswesens spreche, müsse man<br />

sich bewusst s<strong>ein</strong>, dass in den Spitälern <strong>ein</strong><br />

24-Stundenbetrieb an 365 Tagen pro Jahr<br />

aufrechterhalten werden müsse.<br />

Das „feu sacré“ ist bei Otto Piller in all<br />

s<strong>ein</strong>en Darlegungen deutlich spürbar. Er<br />

kommt auch noch auf die Pflegeversicherung<br />

zu sprechen. Er gibt zu bedenken,<br />

dass sich in 30 bis 40 Jahren die Anzahl der<br />

90-Jährigen verdoppelt haben werde. Die<br />

Pflegeplätze in der Schweiz würden in<br />

dieser Zeit indes höchstens um 20%<br />

wachsen. Anschaulich weist Otto Piller<br />

darauf hin, dass die hohen Kosten immer<br />

im letzten Lebensjahr <strong>ein</strong>es Menschen produziert<br />

würden unabhängig, ob jemand mit<br />

90 sterbe oder <strong>ein</strong> krebskrankes Kind mit 9<br />

Jahren.<br />

Otto Piller streift auch noch kurz die<br />

Erwerbsersatzordnung EO, die im letzten<br />

Weltkrieg <strong>ein</strong>geführt worden sei. Auch<br />

diese Versicherung werde wie die AHV über<br />

Lohnbeiträge finanziert. Piller m<strong>ein</strong>t, dass<br />

die EO eigentlich abgeschafft gehöre, denn<br />

sie sei von ihrem System her total überholt.<br />

Er weist darauf hin, dass in letzter Zeit vor<br />

allem ausländische Milliardäre von sich<br />

reden machten, die in die Schweiz kämen,<br />

um hier im Ruhestand leben zu können.<br />

„Diese Leute bezahlen gar nichts an die<br />

soziale Sicherheit der Schweiz, obwohl sie<br />

gerade hierher kommen, weil sie sich hier<br />

in der Schweiz sicher fühlen“, m<strong>ein</strong>t er entrüstet.<br />

In der abschliessenden Podiumsdiskussion<br />

weist Otto Piller dann noch darauf hin, dass<br />

für Expertisen sehr viel Geld beim Bund<br />

ausgegeben werde. „Es werden riesige<br />

Wälzer verfasst, aber es wird sehr wenig<br />

umgesetzt“, moniert er.<br />

Nationalrätlicher Vorstoss für<br />

Seniorenprämie in der Krankenversicherung<br />

Was soll <strong>ein</strong>e Zusatzprämie für Senioren?<br />

Anstelle der kurzfristig verhinderten Ruth<br />

Humbel, Nationalrätin CVP, informiert Marianne<br />

Binder über den <strong>ein</strong>gereichten Vorstoss<br />

zur Einführung <strong>ein</strong>er 4. Prämienstufe<br />

in der obligatorischen Krankenversicherung<br />

(KVG).


Ruth Humbel ist der Überzeugung, dass mit<br />

<strong>ein</strong>er vierten Prämienstufe die Solidarität<br />

gestärkt und die Umverteilung gebremst<br />

werden könnte. Heute gehen rund 5 Milliarden<br />

Franken Prämien von Jung zu Alt und<br />

3,6 Milliarden Prämienverbilligungen aus<br />

Steuermitteln von Alt zu Jung.<br />

In dem für die heutige Herbsttagung vorbereiteten<br />

Referat schreibt Ruth Humbel<br />

weiter: Dank <strong>ein</strong>em gut ausgebauten Sozialversicherungsnetz<br />

mit AHV, BVG, Ergänzungsleistungen,<br />

Hilflosenentschädigung<br />

und KVG konnte Altersarmut weigehend<br />

eliminiert werden. Das ist gut und muss so<br />

bleiben. Armut ist heute hingegen bei<br />

jungen Familien Realität. Deshalb werden<br />

ca. 90% der Prämienverbilligung an Personen<br />

unter 50, insbesondere an Familien<br />

ausbezahlt. Ein 80-jähriger Mann koste die<br />

Krankenversicherung pro Jahr rund 8‘000<br />

Franken, <strong>ein</strong> 30-jähriger Mann knapp 1‘000<br />

Franken. Weil alle die gleiche Prämien<br />

bezahlen, gehen über 2‘000 Franken der<br />

Prämien junger Versicherter an über 60jährige<br />

Versicherte. Über den Risikoausgleich<br />

unter den Krankenversicherer<br />

werden jährlich rund 5 Milliarden Franken<br />

von jungen an die über 55-jährigen Versicherten<br />

ausbezahlt. Während Junge die<br />

Prämien der älteren Generation subventionieren,<br />

vergünstigen vorwiegend ältere<br />

Steuerzahler die Prämien von Familien.<br />

Dieses gegenseitige Umverteilvolumen<br />

wächst jedes Jahr. Natürlich sind nicht alle<br />

Senioren vermögend und es gibt noch<br />

Handlungsbedarf. Aber auch ältere Menschen<br />

in bescheidenen wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen haben Anspruch auf Prämienverbilligung.<br />

In der Krankenversicherung gibt es die drei<br />

Prämienstufen für Kinder, Jugendliche und<br />

Erwachsene. Mit <strong>ein</strong>er vierten Prämienstufe<br />

für Senioren würde die Solidarität<br />

innerhalb der älteren Generation verstärkt<br />

und das Umverteilungsvolumen gebremst.<br />

Natürlich braucht es primär wirksame<br />

Reformen gegen das überproportionale<br />

Kostenwachstum im Gesundheitswesen.<br />

Der medizinische Fortschritt und die demographische<br />

Entwicklung werden die Kosten<br />

weiter ansteigen lassen und es sind <strong>ein</strong>schneidende<br />

Massnahmen notwendig, um<br />

das Kostenwachstum zu dämpfen.<br />

SSR gegen Seniorenprämien in der Krankenversicherung<br />

Nationalrätin Ruth Humbel mutet Menschen<br />

ab 55 oder 60 Jahren <strong>ein</strong>e Seniorenprämie<br />

von 600 Franken pro Jahr zu. Der<br />

Marianne Binder<br />

<strong>stellt</strong> anstelle der<br />

an <strong>ein</strong>er nationalrätlichenKommissionssitzung<br />

besetzten Ruth<br />

Humbel, deren<br />

Vorstellungen<br />

über <strong>ein</strong>e Zusatzprämie<br />

für Senioren vor.<br />

Schweizerische Seniorenrat stemmt sich<br />

dagegen. Dieser Vorschlag ist <strong>ein</strong>e Attacke<br />

auf die Grundpfeiler des KVG, denn ohne<br />

Solidaritäten ist das Obligatorium in<br />

Gefahr. Der Vorstoss Humbel bringt nichts,<br />

um die Transparenz im Gesundheitswesen<br />

zu fördern oder dieses finanziell zu stabilisieren.<br />

Deshalb appeliert der SSR an Bundesrat<br />

und Parlament, nicht auf die Interpellation<br />

<strong>ein</strong>zutreten.<br />

Der Schweizerische Seniorenrat begründet<br />

s<strong>ein</strong>e klare Haltung unter anderem damit,<br />

dass wissenschaftliche Studien bewiesen<br />

haben, dass nicht das Alter an sich die<br />

höchsten Kosten verursacht, sondern -<br />

altersunabhängig - die letzten Monate vor<br />

dem Tod. Das KVG regelt die Solidaritäten<br />

zwischen Männer und Frauen, unabhängig<br />

von Gesundheitszustand, Alter und wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen. Die <strong>ein</strong>seitige<br />

Aufkündigung <strong>ein</strong>er Solidarität gefährdet<br />

Margrit<br />

Bossart-<br />

Weiss,<br />

Generalsekretärin<br />

des SSR,<br />

präsentiert<br />

die Ergebnisse<br />

aus der<br />

SSR-<br />

Umfrage<br />

2009.<br />

auch die anderen Solidaritäten. Zudem<br />

muss die gesamte Beitragsdauer<br />

betrachtet werden: alte, hochbetagte Menschen<br />

waren grösstenteils ihr Leben lang<br />

kaum krank. Sie waren „sehr gute Risiken“<br />

und damit sehr lange Nettozahler.<br />

Die Interpellation enthält ferner k<strong>ein</strong>erlei<br />

Anreize, durch welche die - oftmals komplexen<br />

- Behandlungsabläufe ver<strong>ein</strong>facht<br />

werden und dadurch für die älteren Menschen<br />

mehr Möglichkeiten bieten, nützliche<br />

Prävention und gegebenenfalls <strong>ein</strong>e<br />

menschlich hochstehende Palliativpflege<br />

bewusster und gezielter in Anspruch zu<br />

nehmen. Der Vorstoss ist nur <strong>ein</strong> r<strong>ein</strong>es<br />

Finanzierungsinstrument für das Gesundheitswesen<br />

und fördert k<strong>ein</strong>e strukturellen<br />

Verbesserungen.<br />

17


SSR-Umfrage 2009: „Soziale<br />

Sicherheit - quo vadis?“<br />

Die Generalsekretärin von SSR, Margrit<br />

Bossart-Weiss, informiert ausführlich über<br />

die Ergebnisse aus der bei den Mitgliederorganisationen<br />

durchgeführte Umfrage<br />

zur aktuellen Situation der „Sozialen<br />

Sicherheit“ in der Schweiz. An der Umfrage<br />

haben insgesamt 55 Präsidien von Senioren-Organisationen<br />

teilgenommen. 39<br />

Organisationen aus der Deutschschweiz, 13<br />

Organisationen aus der Romandie und 3<br />

Organisationen aus der italienischsprachigen<br />

Schweiz.<br />

Margrit Bossart-Weiss m<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong>leitend:<br />

„Die Senioren sind sich bewusst, dass die<br />

heutige Sozialversicherungsgesetzgebung<br />

hart erkämpft werden musste. Indessen ist<br />

sie nicht in St<strong>ein</strong> gemeisselt. Im Zeichen<br />

der demographischen wirtschaftlichen Entwicklung<br />

werden Forderungen laut. Unter<br />

diesen Vorzeichen haben die Seniorenvertretungen<br />

dem SSR ihre M<strong>ein</strong>ungen mitgeteilt<br />

zu Fragen betreffend AHV, Ergänzungsleistungen,<br />

2. Säule (BVG) und der obligatorischen<br />

Krankenversicherung. Und sie<br />

äusserten sich auch grundsätzlich zur<br />

Zukunftsorientierung der Sozialwerke in<br />

der Schweiz.<br />

Erkenntnisse aus der Umfrage - Tendenzielle<br />

Ergebnisse<br />

Margrit Bossart-Weiss <strong>stellt</strong> die Resultate<br />

und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse<br />

zu den <strong>ein</strong>zelnen Fragen vor. Und daraus<br />

können die nachstehenden tendenziellen<br />

Ergebnisse abgeleitet werden.<br />

Transparente Auskunft an BürgerInnen<br />

Am problematischsten ist offensichtlich die<br />

unzureichende Transparenz der Informationen.<br />

Aus Optik der SeniorenvertreterInnen<br />

gibt es <strong>ein</strong>erseits zu grosse Barrieren<br />

beim Zugang zu Informationen.<br />

Andererseits sind die Auskünfte zu wenig<br />

klar. So würde beispielsweise begrüsst,<br />

wenn in Amtsstubenmehr „Klientennähe“<br />

bestünde. Die Umsetzung der Paragraphen<br />

bleibt den Bürgern oft fremd.<br />

Zusammenarbeit unter den Sozialwerken<br />

Auch <strong>ein</strong>e mangelnde Zusammenarbeit<br />

zwischen den Sozialwerken weckt Unzufriedenheit.<br />

Eine bessere Koordination<br />

würde nach M<strong>ein</strong>ung zahlreicher Befragter<br />

Die Co-Präsidentin<br />

des SSR, Christiane<br />

Jaquet-<br />

Berger, a. Nationalrätin<br />

bei<br />

ihrem Schlusswort.<br />

helfen, die Kosten zu senken. Hier wird<br />

vorab das Gesundheitswesen genannt<br />

(Zusammenarbeit zwischen Spitälern,<br />

Hausärzten, Spitex und pro senectute).<br />

Integration von Freiwilligenarbeit<br />

Die Befragten sind <strong>ein</strong>deutig der Ansicht,<br />

dass die Freiwilligenarbeit <strong>ein</strong>en zu<br />

geringen Stellenwert hat. Dies bezieht sich<br />

vorab auf das zunehmend professionalisierte<br />

Gesundheitswesen. Sie möchten<br />

freiwillige Leistungen besser anerkannt<br />

und integriert wissen. Allerdings darf aus<br />

der Freiwilligenarbeit k<strong>ein</strong>esfalls <strong>ein</strong>e<br />

Pflicht resultieren. Dies betonen mehrere<br />

Befragte. In der Westschweiz begegnete<br />

man der Frage mit grösserer Reserviertheit<br />

als in der Deutschschweiz.<br />

Demografische Entwicklung - Finanzierbarkeit<br />

der Leistungen<br />

Grundsatz: In Bezug auf <strong>ein</strong>e zukunftsgerichtete<br />

Politik der Sozialwerke hat die<br />

Mehrheit der Befragten Bedenken. Diese<br />

beziehen sich sowohl auf die demografischen<br />

als auch auf die finanziellen Herausforderungen.<br />

Im Vordergrund steht der<br />

Erhalt der Kaufkraft generell, vor allem aber<br />

bei Menschen mit bescheidenem Einkommen.<br />

Die AHV soll gestärkt und die 2.<br />

Säule zumindest nicht abgebaut werden.<br />

Indessen ist den Befragten wichtig, die<br />

bisher guten Beziehungen zwischen den<br />

Generationen nicht auf’s Spiel zu setzen.<br />

Dass die Erhöhung des Rentenalters im<br />

Sinne <strong>ein</strong>er Flexibilisierung zum Diskussionsthema<br />

werden könnte, sch<strong>ein</strong>t verschiedenen<br />

Befragten nahe liegend. Zahlreiche<br />

SoniorenvertreterInnen fordern, dass die<br />

Sozialwerke und ihr Zusammenwirken zu<br />

überdenken sind. Sie wünschen dabei <strong>ein</strong>e<br />

besseren Abgleich mit den Erfordernissen<br />

im Alltag. Selbstredend ergibt sich daraus<br />

die Forderung der SeniorenverterInnen, in<br />

die M<strong>ein</strong>ungsbildung <strong>ein</strong>bezogen zu<br />

werden. Die Grob-Analyse der Umfrage<br />

wird bestätigt durch die Gesamtbeurteilung<br />

der Seniorenvertretungen.<br />

Margrit Bossart-Weiss <strong>stellt</strong> sachlich fest:<br />

„Nur drei Befragten sind klar der Auffassung,<br />

die Sozialwerke seien gerüstet für<br />

die künftigen Herausforderungen bzw.<br />

ohne Änderung aufrecht zu erhalten. 22<br />

Befragte glauben hingegen, dass dies <strong>ein</strong>deutig<br />

nicht zutrifft. Ihrer Auffassung nach<br />

muss es im System der Sozialwerke zu<br />

Änderungen kommen.“<br />

Schlusspunkt<br />

Die Co-Präsidentin des SSR, Christiane<br />

Jaquet-Berger, unterstreicht in ihrem<br />

Schlusswort, dass infolge der Pflegebedürftigkeit<br />

betagter Menschen auch viele<br />

Arbeitsplätze geschaffen würden. Damit<br />

leiste auch die ältere Generation ihren Beitrag<br />

an die anzustrebende Vollbeschäftigung<br />

in der Schweiz, gibt sie zu bedenken.<br />

Sie weist darauf hin, dass in der Schweiz<br />

insgesamt 400'000 Personen im medizinischen<br />

und pflegerischen Sektor arbeiten<br />

würden.<br />

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der<br />

SSR-Herbsttagung 2009 nutzen die Gelegenheit<br />

sich beim abschliessenden Apéro<br />

noch ausgiebig auszutauschen und unter<strong>ein</strong>ander<br />

über die zukünftige schweizerische<br />

Sozialpolitik zu diskutieren. In <strong>ein</strong>em<br />

Punkt sind sich aber alle <strong>ein</strong>ig; es war <strong>ein</strong>e<br />

informative zum Nachdenken anregende<br />

Herbsttagung 2009.<br />

[rr]


Hörbehinderten- und gehörlosengerechter<br />

öffentlicher Verkehr – heute und<br />

in Zukunft<br />

Am 17. Oktober 2009 findet die von der<br />

IGGH organisierte Fachtagung zum Thema<br />

Hörbehinderung und öffentlicher Verkehr<br />

statt. Rund 80 Teilnehmende kann Daniel<br />

Ziegler, Geschäftsstellenleiter der IGGH,<br />

im Konferenz-Zentrum in Olten an diesem<br />

recht kalten und regnerischen Samstagmorgen<br />

begrüssen.<br />

Seit dem Inkrafttreten des Eidg. Behindertengleichstellungsgesetzes,<br />

BehiG, gibt es<br />

noch Einiges zu tun im Zusammenhang mit<br />

der Benutzung des öffentlichen Verkehrs.<br />

Hörbehinderte und gehörlose Menschen<br />

kennen die Situation: Per Lautsprecher am<br />

Bahnhof wird <strong>ein</strong>e Gleisänderung bekanntgegeben.<br />

Gehörlose und hörgeschädigte<br />

Personen erfahren davon zu spät. Der Zug<br />

fährt ab ohne sie. Das BehiG listet zwar<br />

<strong>ein</strong>e Reihe von Vorgaben auf, denen Bahnhöfe<br />

und öffentliche Transportmittel zu<br />

genügen haben. Es bestehen indes in<br />

diesem Bereich sehr lange Übergangsfristen.<br />

Für Kommunikationssysteme und den<br />

Billettausgabesysteme müssen bis ins Jahr<br />

2013 behindertengerechte Lösungen<br />

getroffen werden. Für bestehende baulichen<br />

Anlagen und die Fahrzeuge gilt <strong>ein</strong>e<br />

20-jährige Anpassungsfrist; sie müssen<br />

erst bis ins Jahr 2023 <strong>ein</strong>en behindertengerechten<br />

Standard aufweisen. Bei den Apparaten<br />

ist <strong>ein</strong>e kürzere Anpassungsfrist vorgesehen,<br />

weil ihre Lebensdauer wesentlich<br />

kürzer ist als diejenige von Bauten und<br />

Fahrzeugen. Fahrzeuge haben <strong>ein</strong>e durchschnittliche<br />

Lebensdauer von 50 Jahren,<br />

Bauten <strong>ein</strong>e von 100 Jahren. Neue Bauten,<br />

Anlagen und Fahrzeuge müssen indes<br />

bereits seit dem 1. Januar 2004 barrierefrei<br />

ausgestaltet s<strong>ein</strong>. Erfreulicherweise haben<br />

bereits diverse Transportunternehmungen<br />

in Bezug auf die Kommunikation hörbehinderten-<br />

und gehörlosengerechte Informationssysteme<br />

<strong>ein</strong>geführt. Darüber und über<br />

vieles mehr wird an der Fachtagung orientiert.<br />

Gesetzliche Grundlagen<br />

Nach der Begrüssung durch Daniel Ziegler<br />

und Toni Scheidegger <strong>stellt</strong> Hanspeter<br />

Oprecht von der Fachstelle für Mobilitätsbehinderte<br />

des Bundesamtes für Verkehr<br />

die verschiedenen gesetzlichen Vorgaben<br />

vor, welchen es im Zusammenhang mit<br />

<strong>ein</strong>em hörbehinderten- und gehörlosengerechten<br />

öffentlichen Verkehr Rechnung zu<br />

tragen gilt. Schon zu Beginn s<strong>ein</strong>er spannenden<br />

Ausführungen weist Oprecht darauf<br />

hin, dass <strong>ein</strong>e zeitgemässe Gesellschaft<br />

unter anderem auch <strong>ein</strong>e behinderten- und<br />

altersgerechte Gesellschaft sei. „Ein zeitgemässer<br />

öffentlicher Verkehr soll somit<br />

unter anderem auch behinderten- und<br />

altersgerecht s<strong>ein</strong>. Die Schaffung <strong>ein</strong>es barrierefreien<br />

öffentlichen Verkehrs bildet<br />

jedoch <strong>ein</strong>e grosse Herausforderung.“<br />

Rechtsgrunlagen in diesem<br />

Kontext:<br />

Seit 1. Januar 2004 in Kraft<br />

• Behindertengleichstellungsgesetz<br />

(BehiG)<br />

• Verordnung ¨über die behindertengerechte<br />

Gestaltung des öffentlichen Verkehrs<br />

(VböV)<br />

Seit 2. Juli 2006 in Kraft<br />

• Verordnung des UVEK über die technischen<br />

Anforderungen an die behindertengerechte<br />

Gestaltung des öffentlichen Verkehrs<br />

(VAböV)<br />

Nach dem BehiG gilt es im Zusammenhang<br />

mit dem öffentlichen Verkehr den Grundsatz<br />

zu berücksichtigen, dass behinderte Personen<br />

selbständig und möglichst spontane<br />

die öffentlichen Verkehrsmittel benützen<br />

können. Unter behinderten Personen<br />

werden verstanden:<br />

• im Hörvermögen <strong>ein</strong>geschränkte (inkl.<br />

gehörlose) Personen<br />

• im Sehvermögen <strong>ein</strong>geschränkte (inkl.<br />

Blinde) Personen<br />

• im Gehapparat <strong>ein</strong>geschränkte Personen<br />

(inkl. Rollstuhlfahrende)<br />

• geistig und psychisch behinderte Personen<br />

Die Ursache, warum <strong>ein</strong>e Behinderung entstanden<br />

ist, spielt k<strong>ein</strong>e Rolle.<br />

Eckpunkte des BehiG für den öffentlichen<br />

Verkehr bilden:<br />

• Detailvorschriften über den öffentlichen<br />

Verkehr werden in Verordnung festgelegt<br />

und periodisch dem Stand der Technik<br />

angepasst.<br />

• Individuelles Klagerecht für Direktbetroffene<br />

• Verbandsbeschwerderecht für Behindertenorganisationen;<br />

Vertretung durch<br />

Fachstelle BöV<br />

• Verhältnismässigkeitprinzip<br />

• Prinzip: „Wenn etwas vorhanden ist, so<br />

muss es auch hindernisfrei zugänglich<br />

s<strong>ein</strong>.“<br />

Als wichtige Bestimmungen der VAböV<br />

bezeichnet Oprecht:<br />

• Sowohl optische als auch akustische Kundeninformation<br />

in den Fahrzeugen und an<br />

Haltepunkten mit relevantem Fahrgastwechsel<br />

• Akustische Kundeninformation muss für<br />

Hörbehinderte „gut verständlich“ s<strong>ein</strong><br />

• Kundenkommunikations- und Notrufsysteme<br />

müssen für Hör- und Sehbehinderte<br />

auffindbar und benützbar s<strong>ein</strong>.<br />

• Kundenschalter und Treffpunkte müssen<br />

für Hör- und Sehbehidnerte auffindbar<br />

und erkennbar s<strong>ein</strong><br />

• Schalteranlagen müssen mindestens<br />

<strong>ein</strong>en Schalter mit Induktionsverstärker<br />

aufweisen, der entsprechend gekennzeichnet<br />

ist<br />

• Gestaltung der Billettautomaten<br />

• Schriftgrösse, -farbe, -kontrast von<br />

gedruckten Informationen und elektronsichen<br />

Anzeigen<br />

Oprecht macht geltend: „Unsere Gesellschaft<br />

wird immer älter. Ältere Menschen<br />

haben heute <strong>ein</strong> anderes Mobilitätsbedürfnis<br />

als noch vor 25 Jahren. Mit zunehmendem<br />

Alter steigt das Risiko, nicht mehr<br />

gut zu sehen, nicht mehr gut zu hören und<br />

nicht mehr gut gehen zu können. Von den<br />

über 65-jährigen Personen haben mehr als<br />

50% <strong>ein</strong>e Hörschädigung. Das BehiG gilt<br />

auch für ältere Menschen, denn gerade in<br />

dieser Alterskategorie hat es auch viele<br />

Menschen mit Behinderungen.“<br />

Am Schluss s<strong>ein</strong>er interessanten Darlegungen<br />

verweist Hanspeter Oprecht auf die<br />

Internetseite www.bav.admin.ch/mobile,<br />

wo sämtliche gesetzliche Grundlagen aufgeführt<br />

und downloadbar sind. Fragen und<br />

Anregungen können ihm unter<br />

mobile@bav.admin.ch unterbreitet werden.<br />

19


Vorzeigebetrieb VBZ, Verkehrsbetriebe<br />

der Stadt<br />

Zürich<br />

Anschliessend erhält Susanne Reumüller<br />

von den Verkehrsbetrieben der Stadt<br />

Zürich, VBZ, das Konzept der hörbehinderten-<br />

und gehörlosengerechten öffentlichen<br />

Verkehrs dieses Transportunternehmens<br />

detailliert vorzustellen. Sie legt dar,<br />

dass mobilitätsbehinderte Menschen <strong>ein</strong>e<br />

grosse Zielgruppe unter den Fahrgästen<br />

der VBZ darstellen. Schätzungen des ZVV<br />

zufolge handle es sich um 300'000 Personen<br />

im Einzugsgebiet des Zürcher Verkehrsverbundes,<br />

ZVV. Mit viel Begeisterung<br />

<strong>stellt</strong> Susanne Reumüller vor, was die VBZ<br />

bisher alles für Menschen mit Behinderung<br />

gemacht haben: „Die Fahrzeuge der VBZ<br />

sind im Fahrzeuginnern alle mit Bildschirmen<br />

ausgerüstet. Diese werden Multifunktionsanzeigen<br />

genannt. Es werden die<br />

nächsten Haltestellen, <strong>ein</strong>e Fahrwegübersicht<br />

und Umsteigemöglichkeiten sowie die<br />

voraussichtliche Fahrzeit angezeigt. Wenn<br />

das Fahrzeug in die Garage oder ins Depot<br />

fährt oder <strong>ein</strong> Fahrzeugtausch bevorsteht,<br />

werden die Fahrgäste optisch gebeten, auszusteigen.<br />

Auf dem Anschlussbildschirm<br />

werden alle relevanten Informationen<br />

abgebildet. Anschlussbildschirme werden<br />

an bestimmten, vordefinierten Haltepunkten<br />

oder Haltestellen angezeigt.<br />

Hauptsächlich bei Knotenpunkten oder<br />

Umsteigemöglichkeiten zur S-Bahn.<br />

In allen Bussen und in Cobra-Trams findet<br />

sich zudem immer <strong>ein</strong> Liniennetzplan. Die<br />

übrigen Fahrzeuge solle demnächst entsprechend<br />

nachgerüstet werden.<br />

Auch an manchen Haltestellen in Zürich<br />

finden sich optische Massnahmen in Form<br />

von dynamischen Abfahrtsanzeigen. Zurzeit<br />

werden immer mehr dynamische<br />

Abfahrtsanzeigen in Betrieb genommen.<br />

Auf diesen Anzeigetafeln besteht auch die<br />

Möglichkeit, Informations- und Störungsmeldungen<br />

visuell zu übertragen. Dies<br />

geschieht mit <strong>ein</strong>em Lauftext in der letzten<br />

Zeile der Anzeige. Zudem sind die wichtigsten<br />

Haltestellen mit <strong>ein</strong>em Akustikmodul<br />

ausgerüstet. So kann die Leiststelle<br />

selektiv Durchsagen an den <strong>ein</strong>zelnen Haltestellen<br />

machen und die Fahrgäste zweckmässig<br />

informieren.<br />

Demnächst wird in der Stadt Zürich <strong>ein</strong>e<br />

neue Generation von Billettautomaten <strong>ein</strong>gesetzt.<br />

Ähnlich den SBB-Automaten sind<br />

die neuen Automaten der VBZ mit <strong>ein</strong>em<br />

Touch.Screen ausgerüstet. Der ZVV ersetzt<br />

im Laufe des nächsten Jahres rund 1100 Billettautomaten<br />

im gesamten ZVV-Gebiet.<br />

Momentan sind im Rahmen <strong>ein</strong>es Feldtests<br />

4 neue Billetautomaten in Zürich installiert<br />

und zwar an folgenden Haltestellen: Bellevue,<br />

Paradeplatz, Limmatplatz und Albisriederplatz.<br />

Die neuen Billettautomaten<br />

werden mit <strong>ein</strong>em Informations- und Hinweistext<br />

ausgestattet s<strong>ein</strong>. Diese Texte<br />

haben die Funktion wie <strong>ein</strong>e persönliche<br />

Verkaufsberatung.<br />

Über das Internet kann man sich Informationen<br />

vor Fahrantritt verschaffen über<br />

www.zvv.ch oder auch über Google maps.<br />

Wenn man <strong>ein</strong> iPhone hat, gibt es dort <strong>ein</strong>e<br />

kostenlose Funktion, die sich Wemlin<br />

nennt. Hier kann man sich jeweils an<br />

s<strong>ein</strong>em aktuellen Standort orten lassen<br />

und dann werden <strong>ein</strong>em die zur Verfügung<br />

stehenden Verbindungen angezeigt.“<br />

Danach besteht Zeit für Fragen. Toni Scheidegger<br />

fasst zusammen, dass Zürich im<br />

Bereich der behindertengerechten Ausrüstung<br />

öffentlicher Verkehrsmittel <strong>ein</strong>e Vorreiterrolle<br />

innehabe mit s<strong>ein</strong>em Multifunktionsanzeigen<br />

und den Informationsbildschirmen.<br />

Er weist darauf hin, dass es aber<br />

noch <strong>ein</strong>e Weile dauern könne, bis dieser<br />

Standard flächendeckend in der ganzen<br />

Schweiz umgesetzt sei. Es komme immer<br />

auch darauf an, wie viele Mittel dem<br />

Gem<strong>ein</strong>wesen zur Verfügung stünden, das<br />

für die öffentlichen Transportmittel verantwortlich<br />

sei. Je höher der technische Standard<br />

sei, desto anfälliger reagiere <strong>ein</strong><br />

System auch auf Störungen.<br />

Scheidegger weist darauf hin, dass in den<br />

älteren Wagen der SBB optische Anzeigen<br />

fehlten würden. Er führt aus, dass <strong>ein</strong> Projekt<br />

am Laufen sei, wonach auch diese<br />

Wagen mit optischen Anzeigen ausgerüstet<br />

würden. Die Doppelstockzüge der ersten<br />

Generation auf der Zürcher S-Bahn würden<br />

ab Ende 2010 je <strong>ein</strong>en neuen Zwischenwagen<br />

mit Tief<strong>ein</strong>stiegen und Anzeigetafeln<br />

erhalten.<br />

Im Zusammenhang mit optischen Meldungen<br />

zu Abweichungen im Regelbetrieb<br />

gibt er zu bedenken, dass wenn <strong>ein</strong>e<br />

Störung auftrete, es in erster Linie gelte,<br />

diese Störung zu beheben und Massnahmen<br />

zur Störungsüberbrückung vorzusehen.<br />

Dies in schriftlicher Form auf Bildschirmen<br />

zu kommunizieren sei, sehr<br />

schwierig.<br />

Viel zu diskutieren gibt die Funktionsweise<br />

der SOS-Gegensprechanlage in S-Bahnen.<br />

Hier besteht beträchtliche Unsicherheit<br />

und die Einwegkommunikation für hörbehinderte<br />

Menschen wird als sehr ärgerlich<br />

<strong>ein</strong>gestuft. Beat Kleeb von Procom weist<br />

darauf hin, dass Procom für alle hörbehinderten<br />

Menschen <strong>ein</strong>e SMS-Notrufnummer<br />

betreibe 079 702 29 16 bzw. man dort mitteilen<br />

könne, wo und inwiefern <strong>ein</strong>e Notsituation<br />

bestehe. Procom leite diese Mitteilung<br />

dann an die vorgesehenen Stellen<br />

weiter, die für Abhilfe und Unterstützung<br />

sorgen würden.<br />

Der Vormittag ist im Nu vergangen und<br />

während der Mittagspause vertiefen die<br />

TeilnehmerInnen in vielen Gesprächen, was<br />

sie erfahren haben.<br />

Sprachverständlichkeit von<br />

Lautsprecherdurchsagen<br />

Am Nachmittag <strong>stellt</strong> Toni Scheidegger vor,<br />

welche Vorbereitungen und Massnahmen<br />

im öffentlichen Verkehr derzeit getroffen<br />

werden, um die Sprachverständlichkeit von<br />

Lautsprecherdurchsagen zu verbessern<br />

und was geplant sie im Zusammenhang mit<br />

den für Hörbehinderte und Gehörlose nicht<br />

nutzbaren Informations- und Notruf<strong>ein</strong>richtungen.<br />

Es geht dabei um die Beschallungsanlagen<br />

in Bahnhöfen und Fahrzeugen<br />

des öffentlichen Verkehrs. Denn es<br />

gebe sehr viele HörgeräteträgerInnen, und<br />

für sie sollte die akustische Schiene, die<br />

ohnehin bestehe optimal mitgenutzt<br />

werden können. Scheidegger unterstreicht<br />

aber, dass die akustische Schiene - so gut<br />

sie auch immer sei- die optische Schiene<br />

nie ersetzen könne. Es gehe hier lediglich<br />

darum, das, was vorhanden und nicht<br />

bestritten sei, zu nützen. Er macht Darlegungen<br />

hinsichtlich Beurteilung der<br />

Sprachverständlichkeit von Lautsprecherdurchsagen.<br />

Die ermittelten STI-Werte (STI<br />

steht für Speech Transmission Index)<br />

würden nur die Güte der Beschallungsanlage<br />

unter Einberechnung der Schallübertragung<br />

vom Lautsprecher zum Hörenden<br />

wiedergeben. Die Qualität der in der Realität<br />

<strong>ein</strong>gespeisten Sprachsignale (Direktdurchsagen<br />

über Mikrofon, Direktdurchsagen<br />

über Funkverbindungen oder<br />

Sprachkonserven) seien in den gemessenen<br />

Werten nicht enthalten. Der Wertebereich<br />

für STI liege zwischen 0 und 1. <strong>ein</strong><br />

STI von 0.5 korrespondiere mit <strong>ein</strong>er<br />

Sprachverständlichkeit von ca. 95% für<br />

normal hörende Personen. Der wahrnehmbare<br />

Unterschied zwischen zwei STI-<br />

Werten liege etwa bei 0.03. Scheidegger


veranschaulicht dies anhand verschiedener<br />

Tabellen (vgl. hierzu auch BöV Nachrichten<br />

09/3-4).<br />

Welche Ersatzlösungen gibt<br />

es für Hörbehinderte?<br />

Anschliessend referiert Toni Scheidegger<br />

noch darüber, mit welcher Technik mögliche<br />

technische Lösungen hinsichtlich<br />

Informations- und Notruf<strong>ein</strong>richtungen<br />

ausgerüstet s<strong>ein</strong> müssten, damit sie auch<br />

von hörbehinderten und gehörlosen Fahrgästen<br />

genutzt werden könnten und<br />

welche Ersatzlösungen angeboten werden<br />

müssten. Danach wird in drei Arbeitsgruppen<br />

diskutiert, welche Lösungen im<br />

Zusammenhang mit der Kommunikation<br />

zum Zwecke der Informationsbeschaffung<br />

hörbehinderte und gehörlose Menschen<br />

bevorzugen bzw. welche Ersatzlösungen<br />

akzeptierbar und eventuell sogar von<br />

Nutzen s<strong>ein</strong> könnten. Die Transportunternehmungen<br />

sind nämlich verpflichtet, für<br />

Hörbehinderte Ersatzlösungen anzubieten<br />

und zwar kostenlos, denn die Hörenden<br />

erhalten diese Informationen ja kostenlos.<br />

Ganz wichtig sei deshalb, dass man darauf<br />

achte, dass Hörbehinderte dann diesbezüglich<br />

nicht kostenpflichtig würden, gibt<br />

Daniel Ziegler zu bedenken. Ruedi Leder,<br />

Vorstandsmitglied von sonos, weist darauf<br />

hin, dass allenfalls über die kostenlosen<br />

Nummern beispielsweise 117 (Polizei) oder<br />

144 (Sanität) für alle Menschen mit Behinderungen<br />

<strong>ein</strong>e kostenlose Notfallnummer<br />

zur Verfügung ge<strong>stellt</strong> werden könnte.<br />

Dieses Anliegen ist berechtigt. Gerade<br />

mehrfachbehinderten Hörgeschädigte oder<br />

auch geistig behinderte Menschen sollten<br />

die Möglichkeit haben im öffentlichen<br />

Raum und dazu gehört auch der öffentliche<br />

Verkehr Notrufe abzugeben. Solchen Menschen<br />

sind häufig überfordert in gewissen<br />

unvorhersehbaren Situationen adäquat zu<br />

reagieren und da in letzter Zeit auch<br />

Angriffe von Jugendlichen auf behinderte<br />

Menschen stattgefunden haben, muss man<br />

hier dringend dafür besorgt s<strong>ein</strong>, dass<br />

solche Personen unkompliziert <strong>ein</strong>en Hilferuf<br />

abgeben und innert nützlicher Frist<br />

mit Unterstützung rechnen können.<br />

Nach den Diskussionen in den drei Arbeitsgruppen<br />

werden die Resultate im Plenum<br />

vorge<strong>stellt</strong>.<br />

Folgende Optionen sind in den drei Arbeitsgruppen<br />

erarbeitet worden:<br />

Gruppe 1 (Schwerhörige und<br />

Hörende)<br />

• Handys haben Zukunft.<br />

• Interaktive Chatt-Systeme und<br />

Zweiwegkommunikation.<br />

• Einrichtung <strong>ein</strong>er speziellen kostenlosen<br />

Natel-Nummer für Hörbehinderte<br />

• Verortung über Zugnummer oder<br />

Code des Zuges sollte mitabgeschickt<br />

werden, damit klar ist, wo,<br />

auf welcher Strecke etc. <strong>ein</strong> Vorfall<br />

oder <strong>ein</strong>e Notsituation <strong>ein</strong>getreten<br />

ist<br />

• Es dürfen für Hörbehinderte k<strong>ein</strong>e<br />

zusätzlichen Kosten entstehen<br />

• Es braucht <strong>ein</strong>e Internetadresse<br />

beim abschicken von SMS<br />

Gruppe 2 (Schwerhörige und<br />

Hörende)<br />

• Definition von sog. Hotspots in<br />

Bahnhöfen (Zonen, in denen <strong>ein</strong>e<br />

besonders gute Hörqualität hinsichtlich<br />

Lautsprecherdurchsagen<br />

besteht)<br />

• Wiederholungen von Lautsprecherdurchsagen<br />

sind für schwerhörige<br />

Menschen wichtig<br />

• Die Lautsprecher sollen besser<br />

sichtbar gemacht werden<br />

Gruppe 3 (Gehörlose)<br />

• Notrufstelen absägen<br />

• Notrufstelen mit Kameras ausrüsten<br />

• i-Phone<br />

Toni Scheidegger äussert sich sehr<br />

zufrieden über die in den drei<br />

Gruppen erarbeiteten Lösungsoptionen.<br />

Er weist darauf hin, dass was<br />

davon umgesetzt werden könne,<br />

indes <strong>ein</strong>e offene Frage bilde.<br />

Schon ist es kurz vor 16 Uhr. Der<br />

Tagungsleiter, Daniel Ziegler, schliesst<br />

die Veranstaltung. Er dankt insbesondere<br />

den Referenten und Referentinnen<br />

auf das Herzlichste, den<br />

Schrift- und GebärdendolmetscherInnen,<br />

die alle ganz wertvolle<br />

Beiträge für das Gelingen des<br />

Anlasses geleistet haben. Mit vielen<br />

neuen Informationen verlassen die<br />

Teilnehmenden dann das Konferenzzentrum<br />

und fahren alsdann vom Verkehrsknotenpunkt<br />

Olten dann an ihre<br />

Wohnorte - verteilt über die ganze<br />

Schweiz - zurück.<br />

Fotogalerie<br />

Daniel Ziegler hat die Tagung mit viel Professionalität und<br />

Sensibilität moderiert.<br />

Toni Scheidegger, Leiter der Fachstelle Behinderte und<br />

öffentlicher Verkehr (BöV)<br />

Hanspeter Oprecht, Fachstelle für Mobilitätsbehinderte<br />

des Bundesamtes für Verkehr<br />

21


Fred Pauli unterhält sich<br />

angeregt mit Toni Scheidegger.<br />

Beat Kleeb von Procom und Andreas Janner<br />

vom SGB-FSS während der Mittagspause.<br />

Susanne Reumüller von den<br />

Verkehrsbetrieben der Stadt (VBZ) Zürich<br />

In der Pause finden viele Gespräche statt. Hier Barbara Wenk, Präsidentin<br />

pro audito schweiz, Erwin Gruber, Zentralsekretär pro audito schweiz und<br />

Ruedi Leder, Vorstandsmitglied sonos.<br />

Aufmerksam verfolgt das<br />

Plenum die Diskussion.<br />

[lk]


Computer lehrt Kinder Gebärden<br />

Text: Pressetext vom 16. Oktober 2009<br />

Ein Team von Doktoranden an der Technischen<br />

Universität (TU) Delft hat <strong>ein</strong> Computersystem<br />

entwickelt, das gehörlosen oder<br />

schwerhörigen Kindern beim Erlernen der<br />

Gebärdensprache hilft. Dazu werden die<br />

Kinder unter anderem gebeten, zu Bildern<br />

die jeweils passende Geste zu machen. Das<br />

Kernproblem bei der Entwicklung des<br />

„Electronic Learning Environment“ (ELo)<br />

war die computerisierte Gebärdenerkennung<br />

in Verbindung mit der Beurteilung, ob<br />

<strong>ein</strong> Kind wirklich die richtigen Zeichen<br />

genutzt hat. Bei dem Projekt wurde darauf<br />

geachtet, k<strong>ein</strong> besonders kostspieliges<br />

Spezialequipment zu nutzen. „Man darf<br />

schliesslich nicht erwarten, dass Schulen,<br />

die an solchen Systemen interessiert s<strong>ein</strong><br />

könnten, in Supercomputer oder teure<br />

Kameras investieren“, m<strong>ein</strong>t der auf<br />

Mensch-Maschine-Interaktion spezialisierte<br />

Industriedesigner Jeroen Arendsen<br />

gegenüber pressetext.<br />

"Doch die ELo-Anwendung ist mit speziellen<br />

Problemen konfrontiert, unter<br />

anderem, weil sie für sehr junge Kinder<br />

gedacht ist"<br />

Die Idee hinter ELo ist <strong>ein</strong>fach. Am Bildschirm<br />

wird <strong>ein</strong> Bild gezeigt und das lernende<br />

Kind soll die entsprechende<br />

Gebärde machen. Der Computer erkennt,<br />

ob die Aufgabe korrekt bewältigt wurde. Da<br />

bekannt ist, welche Geste gemacht werden<br />

soll, kann die nötige Erkennung theoretisch<br />

relativ <strong>ein</strong>fach gehalten werden. „Doch die<br />

ELo-Anwendung ist mit speziellen Problemen<br />

konfrontiert, unter anderem, weil<br />

Neue Mitgliedschaftskriterien<br />

bei der bgd<br />

Die bgd (Berufsver<strong>ein</strong>igung der GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

der deutschen<br />

Schweiz) setzt sich <strong>ein</strong> für aktive und interessierte<br />

Mitglieder.<br />

Darum haben wir an unserer letzten Mitglieder-Versammlung<br />

beschlossen, neue<br />

Bedingungen zur Mitgliedschaft <strong>ein</strong>zuführen.<br />

In Zukunft soll jedes bgd-Mitglied alle 3<br />

Jahre folgende Kriterien erfüllen:<br />

sie für sehr junge Kinder<br />

gedacht ist“, sagt<br />

Arendsen. Beispielsweise<br />

können k<strong>ein</strong>e farbigen<br />

Handschuhe zum<br />

Einsatz kommen, da man<br />

die Kinder nicht dazu<br />

zwingen will, sie zu<br />

tragen. „Auch werden<br />

Kinder leicht abgelenkt,<br />

sodass die Gebärdenerkennung<br />

blitzschnell<br />

s<strong>ein</strong> muss“, so der Industriedesigner.<br />

Die in<br />

vielen Systemen auftretendenZeitverzögerungen<br />

könne man sich<br />

daher nicht leisten.<br />

Arendsen betont auch,<br />

dass der Computer durch unnötiges<br />

Gezappel leichter irritiert wird als <strong>ein</strong><br />

Mensch.<br />

Neben der Erkennung an sich war auch die<br />

Beurteilung, ob <strong>ein</strong> Kind die richtige Geste<br />

gemacht hat, <strong>ein</strong>e Hürde. „Wir haben festge<strong>stellt</strong>,<br />

dass noch weitgehend unbekannt<br />

ist, wie Menschen die Richtigkeit von<br />

Gebärden beurteilen“, erklärt Arendsen. Er<br />

hat sich besonders ausgiebig diesem<br />

menschlichen Aspekt des Projekts<br />

gewidmet, bei dem er mit dem Elektrotechniker<br />

Jeroen Lichtenauer und der auf künstliche<br />

Intelligenz spezialisierten Gineke ten<br />

Holt zusammengearbeitet hat. In Kooperation<br />

mit der Niederländischen Stiftung für<br />

Gehörlose und hörbehinderte Kinder<br />

(NSDSK) konnten sie nicht nur das Lehrsystem<br />

entwickeln, sondern auch nachweisen,<br />

dass Kinder im Alter von fünf bis<br />

sechs Jahren tatsächlich schneller die<br />

Gebärdensprache erlernen können. „Ich<br />

Durchschnittlich 90 Dolmetschstunden pro<br />

Jahr ausweisen. Mindestens 10 Std. pro<br />

Jahr fachliche und persönliche Weiterbildung<br />

absolvieren. Zweimal pro Jahr von<br />

<strong>ein</strong>er/<strong>ein</strong>em Berufskollegin/Berufskollegen<br />

besucht werden. Innerhalb der 3<br />

Jahre an <strong>ein</strong>er Mitgliederversammlung und<br />

<strong>ein</strong>em bgd-Forum teilnehmen.<br />

Um diese Kriterien von allen Mitgliedern zu<br />

sammeln und zu überprüfen wurde <strong>ein</strong>e<br />

administrative Mitarbeiterin gewählt. Die<br />

erste Phase läuft bereits und endet im<br />

Dezember 2011.<br />

Kind beim computergestützten Gebärdentraining (Foto: TU Delft)<br />

denke, dass auch Kinder von sieben bis<br />

etwa zehn profitieren könnten, solange sie<br />

das Gefühl haben, neue Gebärden zu<br />

lernen“, m<strong>ein</strong>t Arendsen.<br />

Grundsätzlich ist ELo dazu gedacht, mit<br />

relativ günstiger Hardware auszukommen.<br />

Billigste Webcams reichen zwar nicht aus,<br />

doch Kameras um <strong>ein</strong>ige hundert Euro<br />

genügen. Zielgruppe für die Anwendung<br />

sind vor allem Schulen und möglicherweise<br />

auch Haushalte computer-orientierter<br />

Eltern mit etwas Finanzkraft, so Arendsen.<br />

„Vermutlich könnten die Technologie und<br />

Usability noch verbessert werden, um sie<br />

<strong>ein</strong>em grösseren Publikum zugänglich zu<br />

machen“, m<strong>ein</strong>t er ferner. Eine Anpassung<br />

an die Eigenheiten der Gebärdensprachen<br />

in verschiedenen Ländern sei wohl relativ<br />

leicht möglich. Ob oder wann ELo tatsächlich<br />

zum Einsatz kommt, hänge aber noch<br />

von finanziellen und organisatorischen Faktoren<br />

ab.<br />

Wir freuen uns auf <strong>ein</strong>e engagierte Umsetzung.<br />

bgd-Arbeitsgruppe „Quali“<br />

23


Ängste, Zweifel und<br />

grosse Freude<br />

Text: Susanne Heyland in Hörgeschädigten Pädagogik<br />

August 2009<br />

Immer häufiger lassen auch hörgeschädigte<br />

Eltern ihre hochgradig hörgeschädigten<br />

Kinder mit CI versorgen. Diese<br />

relativ neue Entwicklung <strong>stellt</strong> alle Fachkräfte<br />

bei der Betreuung und Begleitung<br />

Prof. Dr. Anton Leist<br />

der Familien vor neue Aufgaben. Die besonderen<br />

kommunikativen Bedürfnisse der<br />

Eltern sowie die spezielle Organisation der<br />

Hör- und Lautspracherziehung innerhalb<br />

der Familie erfordern <strong>ein</strong> Beratungskonzept,<br />

das den Familien sehr individuell<br />

gerecht werden kann. Am 12. und 13. Juni<br />

2009 beschäftigten sich ca. 30 Teilnehmer<br />

<strong>ein</strong>es Workshops in Fulda mit diesem spannenden<br />

Thema. Ein Projektteam des Lehrstuhls<br />

für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik<br />

aus München und Mitarbeiter<br />

des Cochlear Implant Centrums Schleswig-<br />

Kiel luden zur Weiterbildung durch Vorträge<br />

aus unterschiedlichen Disziplinen<br />

und zum Gespräch mit Fachleuten und<br />

Betroffenen.<br />

Zum Einstieg in das Thema referierte Prof.<br />

Dr. Annette Leonhardt, Inhaberin des Lehrstuhls<br />

für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik<br />

in München, über die Ergebnisse<br />

von Forschungsstudien, die seit Ende<br />

der 90er Jahre durchgeführt werden. Mittels<br />

qualitativer Interviews mit 18 gehörlosen<br />

Eltern konnten sowohl die Motive für<br />

die CI-Versorgung ihrer hörgeschädigten<br />

Kinder als auch die Erfahrungen im Alltag<br />

erhoben werden.<br />

Im Anschluss daran wurden die Studienergebnisse<br />

ergänzt durch den persönlichen<br />

Bericht zweier betroffener Familien. Christine<br />

Meyer-Odorfer schilderte den langen<br />

Entscheidungsprozess gem<strong>ein</strong>sam mit<br />

ihrem Mann Wolfgang<br />

Odorfer bis zur Implantation<br />

ihres Sohnes mit acht Jahren,<br />

das Bangen und Warten nach<br />

der Operation und die Freude<br />

über die enorme Hör-Lautsprachentwicklung<br />

des<br />

Kindes. Die Kinder von Jan<br />

und Karen Haverland waren<br />

bei der Implantation im Kl<strong>ein</strong>kindalter<br />

und konnten das<br />

Hören und Sprechen entsprechend<br />

müheloser erwerben.<br />

Der Vater berichtete sehr<br />

überzeugt von dem Weg der<br />

Familie, die mittlerweile komplett<br />

mit CI versorgt ist: Beide<br />

Eltern haben sich in der Hoffnung<br />

auf <strong>ein</strong>e verbesserte<br />

Hörwahrnehmung selbst<br />

implantieren lassen. Bei aller<br />

Freude und Engagement verschwiegen<br />

beide Elternpaare aber auch nicht die möglichen<br />

Ängste, Zweifel und Schwierigkeiten<br />

im sozialen Umfeld, die mit der Entscheidung<br />

für das CI oftmals verbunden sind.<br />

Nach dem Abendessen fand der erste Tag<br />

s<strong>ein</strong>en Abschluss durch die Ausführungen<br />

des Philosophen Prof. Dr. Anton Leist zum<br />

Thema „Autonom gehörlos s<strong>ein</strong>“. Prof.<br />

Leist ist Leiter der Arbeits- und Forschungsstelle<br />

für Ethik an der Universität Zürich<br />

und der <strong>ein</strong>zig bekannte Vertreter s<strong>ein</strong>er<br />

Fachrichtung, der sich mit dem Thema Hörschädigung<br />

aus<strong>ein</strong>andersetzt. S<strong>ein</strong>e<br />

anspruchsvolle philosophische Sprache<br />

forderte zu vorgerückter Stunde zwar die<br />

volle Konzentration aller Teilnehmer, die<br />

Ausführungen wurden jedoch als <strong>ein</strong>e<br />

interessante Bereicherung der pädagogischen<br />

Thematik empfunden. Sie gaben<br />

Anregung, die Entscheidung hörgeschädigter<br />

Eltern für oder gegen das CI aus der<br />

Sichtweise der Hörgeschädigten heraus zu<br />

reflektieren und in aller Konsequenz zu<br />

akzeptieren. Leist begründete zudem aus<br />

s<strong>ein</strong>er Sicht die Bedeutung der Bilingua-<br />

lität für hörgeschädigte Menschen. Das<br />

anregende Gespräch im Anschluss an den<br />

Vortrag musste auf Grund der späten Uhrzeit<br />

leider abgebrochen werden.<br />

Am Morgen des zweiten Tages präsentierte<br />

Prof. Dr. Antje Aschendorff aktuelle Trends<br />

in der Cochlea-Implant-Chirurgie. Die<br />

Oberärztin der HNO-Klinik aktuelle Trends<br />

in der Cochlea-Implantat-Chirurgie. Die<br />

Oberärztin der HNO-Klinik Freiburg betonte<br />

die Bedeutung <strong>ein</strong>er möglichst frühzeitigen<br />

Implantation ab dem zwölften Lebensmonat<br />

für den Erfolg der Hör-Sprachentwicklung<br />

ging auf den Trend der bilateralen<br />

Versorgung <strong>ein</strong>. Dank sanfter Operationsmethoden<br />

(„soft surgery“) kann heutzutage<br />

das Restgehör in den meisten Fällen<br />

erhalten werden, was für viele Patienten<br />

oder deren Eltern <strong>ein</strong>e grosse Beruhigung<br />

dar<strong>stellt</strong>.<br />

Mareike Müller, ehemalige Projektmitarbeiterin<br />

am Lehrstuhl für Gehörlosen- und<br />

Schwerhörigenpädagogik in München und<br />

zur zeit als Sonderschullehrerin im Referandariat<br />

tätig, referierte über die Ergebnisse<br />

ihrer Studie zu Auswirkungen des<br />

Neugeborenenhörscreenings auf die<br />

Sprachentwicklung. Mit Hilfe des SETK 2<br />

und SETK 3-5 wurde die Sprachentwicklung<br />

früh erfasster Kinder im Alter von 2;6 und<br />

2;11 bzw. 3;6 und 3; 11 Jahren untersucht<br />

und mit der durchschnittlichen Entwicklung<br />

normal hörender Kinder verglichen.<br />

Sprachliches Verhalten von Frühförderern<br />

wurde im Rahmen dieser Studie beobachtet<br />

und qualitativ ausgewertet.<br />

Nach <strong>ein</strong>er kurzen Pause durften die Teilnehmer<br />

des Workshops endlich die druckfrische<br />

und sehr ansprechende Broschüre<br />

„CI-Kinder - Informationen für gehörlose<br />

und schwerhörige Eltern“ in den Händen<br />

halten. Stefanie Fiocchetta, Projektmitarbeiterin<br />

am Lehrstuhl für Gehörlosen- und<br />

Schwerhörigenpädagogik in München,<br />

informierte über den langen Entstehungsprozess<br />

und die Evaluation der Broschüre,<br />

welche hörgeschädigten Eltern umfassende,<br />

neutrale und sachliche Informationen<br />

zum Thema CI liefern soll. Mögliche<br />

Vorbehalte und Missverständnisse können<br />

dadurch eventuell abgebaut werden. Die<br />

Entwicklung erfolgte in <strong>ein</strong>em Gem<strong>ein</strong>schaftsprojekt<br />

des Lehrstuhls für Gehörlosen-<br />

und Schwerhörigenpädagogik und<br />

des Cochlear Implant Centrums Schleswig-<br />

Kiel unter intensiver Einbeziehung der zwei<br />

hörgeschädigten Elternpaare Odorfer und<br />

Haverland. Die fundierte Arbeti wurde mit<br />

viel Anerkennung, Lob und Dankbarkeit


gewürdigt, denn bisher gab es k<strong>ein</strong>e vergleichbare<br />

Hilfestellung für die Beratung<br />

hörgeschädigter Eltern. Alle Interessierten<br />

haben die Möglichkeit, die Broschüre am<br />

Lehrstuhl in München oder am Cochlear<br />

Implant Centrum (CIC) Schleswig-Kiel für<br />

<strong>ein</strong>e Schutzgebühr von 2 Euro zuzüglich<br />

Versandkosten anzufordern.<br />

Den Bezug zur praktischen Arbeit lieferte<br />

im Anschluss Arno Vogel, Therapeutischer<br />

Leiter des CIC Schleswig-Kiel. In dieser<br />

Region haben sich in den letzten Jahren<br />

mehrere hörgeschädigte Eltern für die<br />

Implantation ihrer Kinder entschieden,<br />

wodurch aus den Erfahrungen mit dieser<br />

Gruppe <strong>ein</strong> Konzept für die besonderen<br />

Bedürfnisse der hörgeschädigten £Eltern<br />

und ihrer Kinder entwickelt werden konnte.<br />

Arno Vogel betonte die Bedeutung der<br />

Gebärdensprache: Zum <strong>ein</strong>en ist sei zentrales<br />

Kommunikationsmittel im Beratungsprozess<br />

der Eltern, zum anderen ist<br />

und bleibt sie die Muttersprache der<br />

implantierten Kinder. Eine wichtige Aufgabe<br />

<strong>stellt</strong> deshalb die Organisation täglicher<br />

und angemessener Lautsprachangebote<br />

für die Kinder dar, welche oft von den<br />

hörenden Grosseltern aber auch von<br />

anderen Aussenstehenden übernommen<br />

werden. Den hörgeschädigten Eltern wird<br />

in diesem Prozess <strong>ein</strong> grosses Vertrauen<br />

gegenüber der “hörenden Welt“ abverlangt<br />

und den möglichen Gefahren <strong>ein</strong>er Bevormundung<br />

durch die Hörenden oder <strong>ein</strong>er<br />

Entfremdung der Kinder muss durch intensive<br />

Elternarbeit entgegengewirkt werden.<br />

Nina Bauer, Sprachheilpädagogin im CIC<br />

Schleswig-Kiel, schilderte die Besonderheiten<br />

in der Basistherapie bei CI-versorgten<br />

Kindern hörgeschädigter Eltern.<br />

Die Einbeziehung der Eltern in die therapeutische<br />

Arbeit erfordert sowohl Sensibilität<br />

und Achtsamkeit in Bezug auf die Kommunikationsbedingungen<br />

der Eltern als<br />

auch psychologisches Wissen, was mögliche<br />

Frustrationen oder Konflikte angeht.<br />

Eine Gebärdensprachkompetenz der Therapeutin<br />

ist in den meisten Fällen erforderlich,<br />

um sich mit den Fragen der Eltern differenziert<br />

aus<strong>ein</strong>anderzusetzen.<br />

Gehörlose und Schwerhörige<br />

gesucht<br />

Wer macht mit bei<br />

wichtiger Abklärung<br />

über die Fernsehuntertitelungen?<br />

Im Herbst 2008 hat die<br />

Schweizerische Teletext<br />

AG mit der wörtlichen<br />

Untertitelung von Fernsehbeiträgenangefangen.<br />

Dieses Verfahren<br />

nennt man Respeaking.<br />

Auf diese<br />

Weise kann der<br />

gesamte gesprochene<br />

Text <strong>ein</strong>es Fernsehbeitrages<br />

als Untertitel<br />

fortlaufend im unteren<br />

Bildabschnitt <strong>ein</strong>geblendet<br />

werden.<br />

An der Zürcher Hochschule<br />

für angewandte<br />

Wissenschaften ZHAW befasst sich<br />

Susanne Jekat vom Institut für Übersetzen<br />

und Dolmetschen schon seit <strong>ein</strong> paar<br />

Monaten mit Abklärungen, ob diese Untertitel<br />

für gehörlose und hörgeschädigte<br />

Menschen genügend klar verständlich und<br />

<strong>ein</strong>fach zu lesen sind.<br />

Die Geschäftsleiterin von sonos hat Frau<br />

Jekat am 8. Oktober 2009 getroffen und von<br />

ihr viel Interessantes über die Hintergründe<br />

dieses wichtigen Projektes erfahren. So<br />

existiert im EU-Raum beispielsweise <strong>ein</strong>e<br />

Vorschrift, dass alle Sendungen von öffentlichrechtlichen<br />

Sendern über Respeaking<br />

untertitelt werden müssen. Hier wird deutlich,<br />

welch hoher Stellenwert im europäischen<br />

Raum und auch in der Schweiz dem<br />

Recht auf barrierefreien Zugang zur Information<br />

beigemessen wird. Respeaking ist<br />

am Institut für Übersetzung Dolmetschen<br />

denn auch bereits Bestandteil des Bachelorstudium.<br />

Die Abklärungen von Frau Jekat befassen<br />

sich damit, wie die Untertitelungen verstanden<br />

werden und wenn nicht alle<br />

gesprochenen Texte in den Untertiteln wiedergegeben<br />

werden, ob und in welchen<br />

Bereichen sich solche Defizite bei der Informationsvermittlung<br />

gravierend auswirke.<br />

Frau Susanne Jekat von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften<br />

freut sich, wenn möglichst viele Gehörlose und Schwerhörige an den<br />

wichtigen Abklärungen über die Verständlichkeit der Fernsehuntertitelungen<br />

teilnehmen.<br />

Ursprünglich hätte Frau Jekat die<br />

Abklärungen Ende Dezember 2009 abschliessen<br />

wollen. Dies ist leider nicht möglich,<br />

denn es haben bis jetzt erst drei<br />

schwerhörige Personen bereit erklärt, sich<br />

für <strong>ein</strong> rund 40 Minuten dauerndes Interview<br />

an der ZHAW zur Verfügung zu stellen.<br />

Frau Jekat sucht deshalb mindestens 10<br />

Gehörlose bzw. hochgradig Schwerhörige,<br />

um die Situation rund um die Qualität der<br />

Untertitelungen zu analysieren und dem<br />

Fernsehen aussagekräftige Empfehlungen<br />

für die Zukunft abgeben zu können. Das<br />

Interview kann auch in Gruppen durchgeführt<br />

werden. Nach dem Interview bietet<br />

die ZHAW allen Teilnehmenden <strong>ein</strong>en<br />

Imbiss an und es besteht Zeit für ungezwungene<br />

Gespräche und geselligen Austausch.<br />

Es wäre schön, wenn sich baldmöglichst<br />

viele interessierte gehörlose und hörbe<strong>ein</strong>trächtige<br />

Personen beim Assistenten von<br />

Frau Jekat, Herrn Peter Jud per E-Mail<br />

(peter.jud@zhaw.ch) oder Fax (0041 58 934<br />

6060) melden könnten.<br />

sonos wird in der Verbandszeitschrift zu<br />

gegebener Zeit über die von Frau Jekat vorgelegten<br />

Ergebnisse wieder informieren.<br />

[lk]<br />

25


Erste<br />

Miss<br />

Handicap<br />

gewählt<br />

Text: Thomas Uhland in Berner Zeitung<br />

vom 26.10.2009<br />

In Bern ist am 24. Oktober 2009 die erste<br />

Miss Handicap erkoren worden. Gewonnen<br />

hat die gehörlose Baslerin Corinne Parrat.<br />

Sie soll in ihrem Amtsjahr <strong>ein</strong>e Botschafterin<br />

für die Integration und Gleichstellung<br />

von Behinderten s<strong>ein</strong>.<br />

Sie sind allesamt ausserordentlich hübsch,<br />

die zwölf Finalistinnen dieser Misswahl. Sie<br />

sind intelligent und haben <strong>ein</strong> selbstsicheres<br />

Auftreten. Dennoch kämen sie an<br />

<strong>ein</strong>er herkömmlichen Misswahl kaum in die<br />

vorderen Ränge. Wenn sie die Bühne im<br />

Berner Kursaal betreten, dann tun das acht<br />

von ihnen in <strong>ein</strong>em Rollstuhl. Janine Ayer<br />

aus der Region Bern hat ihren Blindenführerhund<br />

dabei, die Adelbodnerin Nicole<br />

Schmid hat k<strong>ein</strong>e Arme.<br />

Eine andere Schönheit<br />

„Diese Wahl brauchen wir unbedingt“, sagt<br />

die Organisatorin der Miss-Handicap-Wahl,<br />

Michelle Zimmermann aus Ortschwaben.<br />

Sie führte gem<strong>ein</strong>sam mit Mister Schweiz<br />

2007 Tim Wielandt durch die Show. Als sie<br />

18 war, hätte auch sie gerne an <strong>ein</strong>er Misswahl<br />

teilgenommen, „doch ich habe nicht<br />

die Haut, die das möglich gemacht hätte“.<br />

Sie leidet seit Geburt an <strong>ein</strong>er Hautkrankheit<br />

- nun wollte sie <strong>ein</strong>e Wahl, „bei der<br />

<strong>ein</strong>e andere Schönheit <strong>ein</strong>e Rolle spielt“.<br />

Eine andere Schönheit - für Michelle Zimmermann<br />

heisst dies: „Eine innere Zufriedenheit<br />

und Stärke, die sich auch gegen<br />

aussen widerspiegelt.“ Beim Casting waren<br />

denn auch nicht Traummasse und <strong>ein</strong><br />

makelloser T<strong>ein</strong>t entscheidend, sondern<br />

Auftritt im Abendkleid: Finalistinnen der Miss-Handicap-Wahl präsentieren sich dem Publikum.<br />

Bild: Christian Pfander<br />

das Auftreten in der Öffentlichkeit und in<br />

den Medien.<br />

Gehörlose Miss<br />

Diesen Anspruch hat die 29-jährige gehörlose<br />

Baselländerin Corinne Parrat nach<br />

M<strong>ein</strong>ung der Jury am besten erfüllt. „Natürlich<br />

ist sie auch schön, doch das all<strong>ein</strong> war<br />

nicht entscheidend“, sagt Zimmermann.<br />

Parrat sei <strong>ein</strong>e ausserordentlich starke Persönlichkeit,<br />

die Menschen mit <strong>ein</strong>er Behinderung<br />

- speziell solchen mit <strong>ein</strong>er Hörbehinderung<br />

- <strong>ein</strong>e Stimme geben werde.<br />

Nicht zum Titel gereicht hat es der Worber<br />

Rollstuhlfahrerin Mirjam Gasser. Sie<br />

erreichte zwar die zweite Runde, dann aber<br />

wars aus. Enttäuscht sei sie nicht, sagte sie<br />

nach der Veranstaltung, „ich war stolz,<br />

dass ich überhaupt dabei s<strong>ein</strong> konnte“.<br />

„Ich war überwältigt, es war wunderbar“,<br />

resümiert Michelle Zimmermann. Im vollen<br />

Kursaal waren sich Behinderte und Nichtbehinderte<br />

näher gekommen. Dass die<br />

Wahl wiederholt wird, ist ihr grosser<br />

Wunsch. Auch dann soll <strong>ein</strong>e Botschafterin<br />

gekürt werden, welche die Anliegen behinderter<br />

Menschen hinausträgt.<br />

Die Siegerin: Die gehörlose Corinne Parrat aus dem Kanton Baselland ist die erste Miss Handicap.


Der MP3-Player kann Ihre<br />

Gesundheit gefährden<br />

Text: Stephan Israel im Tages-Anzeiger vom 29. September<br />

2009<br />

Zu laute Musik kann zu dauerhaften Gehörschäden<br />

führen: Die EU-Kommissarin<br />

Meglena Kuneva will deshalb sichere Standard<strong>ein</strong>stellungen<br />

und Warnhinweise auf<br />

MP3-Playern <strong>ein</strong>führen. „Besonders junge<br />

Leute, die manchmal stundenlang Musik<br />

hören, wissen nicht, dass sie ihrem Gehör<br />

schaden“, sagte Kuneva.<br />

Wissenschaftler haben im Auftrag der Konsumentenschutzkommissarin<br />

untersucht,<br />

wo die Schmerzgrenze liegt: Unter 80<br />

Dezibel besteht laut Kuneva k<strong>ein</strong>e Gefahr<br />

für das Gehör. Der Grenzwert entspricht<br />

dem Lärmpegel <strong>ein</strong>er stark befahrenen<br />

Strasse. Wer allerdings regelmässig Musik<br />

bei <strong>ein</strong>er Lautstärke von zum Beispiel 89<br />

Dezibel höre, sollte dies nicht mehr als vier<br />

Stunden pro Woche tun, empfiehlt Kommissarin<br />

Kuneva.<br />

Werden zehn Millionen taub?<br />

Bei fünf bis zehn Prozent der Nutzer von<br />

Musikplayern sieht die EU-Kommission die<br />

Gefahr <strong>ein</strong>es dauerhaften Gehörverlusts.<br />

Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung<br />

spricht die EU-Kommissarin von <strong>ein</strong>em<br />

Risiko für bis zu zehn Millionen EU-Bürgerinnen<br />

und Bürger. Besonders gefährdet<br />

sind dabei Jugendliche, die täglich mehr als<br />

<strong>ein</strong>e Stunde Musik über Kopfhörer<br />

geniessen.<br />

Die wenigstens jungen Menschen seien<br />

sich bewusst, dass ihr Verhalten schädlich<br />

s<strong>ein</strong> könne, sagte Kuneva: „Es kann Jahre<br />

dauern, bis <strong>ein</strong> Gehörschaden auftritt –<br />

aber dann ist es ganz <strong>ein</strong>fach zu spät“. Die<br />

EU-Kommission will innerhalb von zwei<br />

Jahren gem<strong>ein</strong>sam mit den Herstellern<br />

nach technischen Lösungen für alle MP3-<br />

Player und Mobiltelefone mit Musikabspielfunktion<br />

suchen.<br />

Eine Obergrenze des Lautstärkereglers sei<br />

jedoch k<strong>ein</strong>e Option, sagte Kuneva. Wer<br />

fünf Minuten lang s<strong>ein</strong> Lieblingsstück auf<br />

voller Lautstärke hören will, soll dies auch<br />

weiterhin tun können. Die Standard<strong>ein</strong>stellung<br />

der Geräte soll aber <strong>ein</strong>e unbedenkliche<br />

Lautstärke s<strong>ein</strong>. Wer den sicheren<br />

Standard überschreitet, soll dies in Zukunft<br />

in voller Kenntnis der möglichen Gefahren<br />

tun. Die Kommission denkt an Warnhin-<br />

weise in Form von Aufklebern oder an digitale<br />

Alarmmeldungen auf dem Display des<br />

Geräts.<br />

Behinderte werden im Alter<br />

herumgeschoben<br />

Text: Marius Huber in Tages-Anzeiger vom 27. Juni<br />

2009<br />

Geistig Behinderte haben Pech, wenn sie<br />

im Kanton Zürich alt werden. Sei werden<br />

entwurzelt und an Orten platziert, wo sie<br />

nicht hinpassen: Mit solche harschen Vorwürfen<br />

sieht sich das kantonale Sozialamt<br />

konfrontiert. Als Ankläger treten Behindertenorganisationen<br />

auf.<br />

Aufgeflammt ist der seit <strong>ein</strong>iger Zeit schwelende<br />

Konflikt an der Goldküste. Dort ist es<br />

in <strong>ein</strong>em Wohnheim für geistig Behinderte<br />

zu <strong>ein</strong>em Vorfall gekommen, der weit<br />

herum auf Unverständnis stösst: Sechs<br />

behinderte Seniorinnen und Senioren, die<br />

<strong>ein</strong>en grossen Teil ihres Lebens in der<br />

Erlenbacher Martin Stiftung verbracht<br />

haben, müssen ihr Zuhause auf Ende Jahr<br />

räumen. Die Leitung der Stiftung sieht sich<br />

laut <strong>ein</strong>er Mitteilung zu diesem Schritt<br />

gezwungen - und deutet mit dem Finger auf<br />

das Sozialamt. Denn dieses hat der Stiftung<br />

die Mittel nicht bewilligt, um die Alterspflege<br />

der betagten Behinderten selbst an<br />

die hand zu nehmen. Darum kommen die<br />

Sechs nun voraussichtlich in <strong>ein</strong> ganz normales<br />

Pflegeheim. Dort, so die Befürchtung,<br />

sind Bewohner und Pfleger von der<br />

Situation gleichermassen überfordert.<br />

Die Stiftungsleitung will den Entscheid deshalb<br />

nicht kampflos hinnehmen. Sie geht<br />

stattdessen mit grundsätzlichen Fragen an<br />

die Öffentlichkeit: wie soll mit Behinderten<br />

umgegangen werden, nachdem diese das<br />

Rentenalter erreicht haben? Denn das ist<br />

insbesondere bei geistig Behinderten<br />

immer häufiger der Fall.<br />

Der Chef des kantonalen Sozialamts, Ruedi<br />

Hofstetter, vertritt die Haltung, dass für<br />

Behinderte das Gleiche gelte wie für alle<br />

anderen auch: Sei können nicht davon ausgehen,<br />

bis zum Ende ihres Lebens in ihrer<br />

vertrauten Umgebung zu bleiben. Wenn sie<br />

Alterspflege benötigen, bekommen sie<br />

diese in <strong>ein</strong>em Pflegeheim. Die Alternative -<br />

nämlich alle Behindertenheime zu Pflegeheimen<br />

auszubauen - liege nicht drin.<br />

Für den Schweizer Verband für Heime und<br />

Institutionen, Curaviva, ist das unverständlich.<br />

„Ein behinderter Mensch hat das<br />

Recht, dort alt zu werden, wo er verwurzelt<br />

ist und wo er die Leistungen bekommt, die<br />

er braucht“, heisst es dort. Diesem Credo<br />

will Curaviva zusammen mit Behinderteninstitutionen<br />

auf politischer Ebene zum<br />

Durchbruch verhelfen.<br />

Krankenversicherer blocken<br />

Die naheliegendste Lösung wäre es, mehr<br />

Behindertenheime in die kantonale Liste<br />

der Pflegeheime aufzunehmen. Dann müssten<br />

die Krankenkassen auch dort für die<br />

Pflegekosten aufkommen. Laut <strong>ein</strong>em<br />

Beschluss des Zürcher Regierungsrates ist<br />

<strong>ein</strong>e Aufnahme für Behindertenheime<br />

grundsätzlich möglich. Die Hürden dafür<br />

liegen momentan aber hoch. Nicht zuletzt<br />

deshalb, weil sich die Krankenversicherer<br />

in den Wegs stellen. Ihnen ist es genehmer,<br />

wenn in Behindertenheimen die IV zahlt.<br />

Betagten Behinderten droht<br />

die Zwangsverlegung<br />

Text: Beat Bühlmann in Tages-Anzeiger vom 4. Juli<br />

2009<br />

Immer mehr Menschen mit Behinderung<br />

erreichen das AHV-Alter. Müssen sie, wie<br />

in <strong>ein</strong>em strittigen Fall im Kanton Zürich,<br />

für die Pflege unbedingt in <strong>ein</strong> Altersheim<br />

wechseln?<br />

Der Kinderarzt machte ihnen wenig Hoffnung.<br />

Die Tochter habe das Down-Syndrom<br />

und werde voraussichtlich sterben, bevor<br />

sie 20 Jahre alt sei. „Jetzt ist sie 32 Jahre alt<br />

und erfreut sich bester Gesundheit“, sagt<br />

Vater Willi Schläpfer. Gut möglich, dass sie<br />

das AHV-Alter erreichen - und allenfalls die<br />

Eltern überleben wird. Denn die Lebenserwartung<br />

für Menschen mit Behinderung ist<br />

markant gestiegen. So werden geistig<br />

Behinderte heute im Durchschnitt über 70<br />

Jahre alt, 1930 waren es 20 Jahre. Für geistig<br />

Schwerbehinderte stieg die Lebenserwartung<br />

innert zweier Jahrzehnte von 30<br />

auf 50 Jahre.<br />

27<br />

Soziales<br />

und Politik


In Kürze<br />

Hauptausgabe der Tagesschau in Gebärdensprache<br />

ab 2. November 2009<br />

Das Schweizer Fernsehen hat alle technischen<br />

und organisatorischen Abklärungen vollzogen,<br />

um <strong>ein</strong>e Umstellung für die Hauptausgabe der<br />

Tagesschau um 19:30 Uhr mit Gebärdensprache<br />

auf SFinfo zu ermöglichen. Ab 2. November 2009<br />

wird die 19:30 Uhr-Ausgabe der Tagesschau mit<br />

Gebärdensprache ausgestrahlt.<br />

Mehr und bessere induktive Höranlagen<br />

gefordert<br />

Die Teilnehmer der ersten internationalen Konferenz<br />

über induktive Höranlagen für Menschen mit<br />

Hörproblemen (Hearing Loops) haben von<br />

Behörden und Fachleuten mehr und bessere<br />

induktive Höranlagen gefordert. Eine entsprechende<br />

Resolution wurde am Ende der Konferenz<br />

in Winterthur von den über 100 Teilnehmenden<br />

verabschiedet. Die Schwerhörigen halten fest,<br />

dass <strong>ein</strong>e induktive Höranlage <strong>ein</strong> kostengünstiges,<br />

wirkungsvolles und universelles System<br />

sei, das Menschen mit Hörgeräten oder Hörprothesen,<br />

so genannte Cochlea Implantaten, dazu<br />

befähige, in öffentlichen Situationen besser zu<br />

hören. Konkret wird in der Resolution <strong>ein</strong>erseits<br />

gefordert, dass Betroffene von Herstellern, Ärzten<br />

und Technikern besser über den Nutzen von<br />

Induktionsspulen aufgeklärt und instruiert<br />

werden müssen. Andererseits sollen Gebäude<br />

und Dienstleistungsschalter, in denen <strong>ein</strong> Lautsprechersystem<br />

verwendet wird, Hörhilfsmittel<br />

zur Verfügung stellen und den Ton direkt auf das<br />

Hörgerät oder Cochlea Implantat senden. An der<br />

dreitägigen Konferenz von Ende September 2009<br />

haben Schwerhörige aus ganz Europa sowie Australien,<br />

Kuwait und den USA teilgenommen.<br />

Eine Maturität in Gebärdensprache<br />

Voraussichtlich Mitte Februar 2010 startet das<br />

Pilotprojekt „Gymnasiale Maturität in Gebärdensprache“<br />

an der Aargauischen Maturitätsschule<br />

für Erwachsene in Aarau. Ein vergleichbares<br />

Angebot gibt es in der ganzen Deutschschweiz<br />

nicht. Sechs Gehörlose haben sich bereits angemeldet.<br />

Nun liegt aber der Ball bei der Invalidenversicherung<br />

(IV). Der Schweizerische Gehörlosenbund<br />

fordert, dass die IV die behinderungsbedingten<br />

Mehrkosten von rund <strong>ein</strong>er Million<br />

Franken für Gebärdensprache-Dolmetscher, Ausbildungstutorate<br />

und Reisespesen finanziert.<br />

Plattform für Familienfragen<br />

Der Bund fördert die Ver<strong>ein</strong>barkeit von Beruf und<br />

Familie neu auch mit <strong>ein</strong>er Informationsplattform.<br />

Dort finden Kantone und Gem<strong>ein</strong>den sowie<br />

andere Interessierte rechtliche Grundlagen und<br />

konkrete Projekte für die familienergänzende Kinderbetreuung<br />

und familienfreundliche Arbeitsbedingungen.<br />

Mit der Plattform soll der Austausch<br />

von Ideen und Lösungen gefördert werden<br />

(www.berufundfamilie.admin.ch).<br />

250'000 AHV-Rentner mit Behinderung<br />

„Die demografische Alterung zeigt sich<br />

auch bei Menschen mit Behinderung“, sagt<br />

Altersforscher François Höpflinger. Über<br />

die Hälfte der als behindert <strong>ein</strong>gestuften<br />

Menschen seien heute 50 bis 65 Jahre alt.<br />

Insgesamt dürften in der Schweiz 250'000<br />

AHV-Rentner mit Behinderung leben. Sie<br />

mussten also von der Invalidenversicherung<br />

in die AHV übertreten. Das hat vorerst<br />

k<strong>ein</strong>e grossen Konsequenzen.<br />

Das Renten<strong>ein</strong>kommen bleibt sich gleich,<br />

Hilfsmittel wie Hörgeräte oder Gehhilfen<br />

werden weiter bezahlt, und auch die Hilflosenentschädigung<br />

ist nicht in Frage<br />

ge<strong>stellt</strong>. „Das Leistungsniveau der IV bleibt<br />

behinderten AHV-Rentnern und -Rentnerinnen<br />

erhalten“, sagt Alard du Bois-Reymond,<br />

IV-Chef beim Bundesamt für Sozialversicherungen.<br />

Doch wer ist bei betagten<br />

Behinderten für die Pflege zuständig?<br />

Insieme fordert Bleiberecht<br />

Im zürcherischen Erlenbach müssen sechs<br />

geistig Behinderte, die <strong>ein</strong>en Grossteil<br />

ihres Lebens in der Martin Stiftung verbrachten,<br />

auf Ende Jahr in <strong>ein</strong> Pflegeheim<br />

wechseln. Dies hat das kantonale Sozialamt<br />

verfügt. Denn die Krankenkassen<br />

übernehmen nur Pflegeleistungen in Institutionen,<br />

die auf der kantonalen Pflegeheimliste<br />

aufgeführt sind. „Solche Zwangsverlegungen<br />

sind diskriminierend“, sagt<br />

Stefan Sutter, Fachleiter erwachsene<br />

Behinderte beim Heimverband Curaviva.<br />

„Auch Behinderte haben das Recht, möglichst<br />

lange in ihrem gewohnten Umfeld<br />

leben zu können.“<br />

Das Bleiberecht müsse für alte Menschen<br />

mit Behinderung wenn irgendwie möglich<br />

gewährleistet s<strong>ein</strong>, fordert auch Heidi<br />

Lauper, Ko-Geschäftsführerin der Elternver<strong>ein</strong>igung<br />

Insieme Schweiz. „Die Wohnheime<br />

sollten die Behinderten über das<br />

AHV-Alter hinaus bis zum Tod begleiten<br />

können.“ Jedenfalls dürften sie nicht unter<br />

dem Spardruck der Kantone <strong>ein</strong>fach in<br />

bestehende Pflegeheime verschoben<br />

werden. Für die Pflege könne allenfalls die<br />

Spitex beigezogen werden. Mit dem neuen<br />

Finanzausgleich sind jetzt die Kantone und<br />

nicht mehr die IV für Werkstätten und<br />

Wohnheime zuständig. Ein Notstand<br />

bestehe nicht, räumt Stefan Sutter von<br />

Curaviva <strong>ein</strong>. „Doch es gibt Indizien für <strong>ein</strong>e<br />

restriktivere Praxis der Kantone.“<br />

„Integration muss auch im AHV-Alter<br />

möglich s<strong>ein</strong>“<br />

Der Übergang zwischen IV und AHV sei<br />

ungenügend geregelt, kritisiert Ivo Loetscher,<br />

Geschäftsführer von Insos (Soziale Institutionen<br />

für behinderte Menschen). So würden<br />

etwa Schulungen für Blinde, die auf elektronische<br />

Mittel angewiesen sind, im AHV-Alter<br />

nicht bezahlt. Und für psychisch Kranke<br />

fehlten die nötigen Tagesstrukturen, damit sie<br />

weiter zu Hause leben könnten. „Integration<br />

muss auch im AHV-Alter möglich s<strong>ein</strong>“, so<br />

Loetscher. Es sei aber nicht sinnvoll, jedem<br />

Wohnheim <strong>ein</strong>e eigene Pflegestation<br />

anzugliedern.<br />

Die St. Galler Regierungsrätin Kathrin Hilber,<br />

Präsidentin der kantonalen Sozialdirektorenkonferenz,<br />

sieht jedenfalls k<strong>ein</strong>en Handlungsbedarf.<br />

Es gebe k<strong>ein</strong>en Spardruck gegenüber<br />

älteren Behinderten. „Wenn Wohnheime auf<br />

die Pflegeheimliste kommen wollen, müssen<br />

sie <strong>ein</strong>fach die Qualitätskriterien erfüllen.“<br />

Ein Stöckli für Behinderte<br />

Laut François Höpflinger erreichen jährlich<br />

etwa 1‘800 Menschen mit starken Behinderungen<br />

das AHV-Alter. Dieser Trend werde sich<br />

verstärken, bis 2020 dürften es 2‘400 s<strong>ein</strong>.<br />

Vor allem Personen mit Down-Syndrom hätten<br />

<strong>ein</strong> deutlich gehäuftes Risiko, im Alter an<br />

Demenz zu erkranken. Für Höpflinger sind die<br />

Alters- und Pflege<strong>ein</strong>richtungen „in der Regel<br />

für ältere Menschen mit geistiger Behinderung<br />

nicht die geeignete Wohn- und Betreuungsform“.<br />

Auch für sie sei <strong>ein</strong>e fördernde<br />

Umwelt zentral. Diverse Behinderteninstitutionen<br />

haben auf die Demografie allerdings<br />

reagiert. So führt die Luzerner Stiftung Brändi<br />

seit 1997 das Wohnhaus Stöckli. Dort leben 26<br />

geistig Behinderte, die früher in den<br />

geschützten Werkstätten arbeiteten und nun<br />

pensioniert sind.<br />

Senioren sollen sich ihre Pflege<br />

abverdienen können<br />

Text: Daniel Friedli, Tagesanzeiger vom 13. Juli 2009<br />

Sozialstaat: Mit neuen Modellen sollen die<br />

Pflegekosten gesenkt und die Existenzsicherung<br />

finanziert werden.<br />

Wer andere Menschen pflegt, soll später Gratispflege<br />

erhalten. Mit <strong>ein</strong>er Zeittauschbörse<br />

möchten der Bund und die Stadt St. Gallen<br />

dieses Prinzip demnächst testen. In Japan<br />

funktioniert es bereits.


Wer Hilfe beim täglichen Einkauf bracht, soll vermehrt<br />

auf die Unterstützung rüstiger Rentner zählen können.<br />

Bild: Ute Grabowsky / Photothek.net<br />

Zuerst war es <strong>ein</strong>e Idee von Pascal Couchepin.<br />

Mittlerweile ist es <strong>ein</strong> Projekt, das<br />

bald schon in der Praxis getestet werden<br />

soll: Eine Börse mit Zeitgutschriften für die<br />

Betreuung älterer Menschen.<br />

Das Prinzip dahinter ist denkbar <strong>ein</strong>fach.<br />

Rüstige Senioren helfen freiwillig bei der<br />

Betreuung pflegebedürftiger Menschen.<br />

Statt <strong>ein</strong>es Lohnes erhalten sie dafür Gutsch<strong>ein</strong>e<br />

im Wert der geleisteten Arbeitsstunden.<br />

Diese können sie später selber<br />

<strong>ein</strong>lösen - und sich damit die Betreuung<br />

„erkaufen“, die sie nun selber nötig haben.<br />

Ein Tauschhandel also mit der Zeit als<br />

Währung, die durch k<strong>ein</strong>e Teuerung an<br />

Wert verliert, wie Befürworter loben. „Mich<br />

fasziniert dieses System“, sagte Couchepin,<br />

als er vor zwei Jahren den Vorschlag<br />

lancierte.<br />

Nun liegt im Bundesamt für Sozialversicherung<br />

(BSV) dazu <strong>ein</strong>e erste Studie vor, die<br />

das System zwar nicht gerade als faszinierend<br />

bezeichnet, aber doch als prüfenswert.<br />

Jedenfalls interessant genug, um die<br />

Idee weiterzuverfolgen: Zusammen mit der<br />

Stadt St. Gallen hat der Bund <strong>ein</strong>en österreichischen<br />

Organisationsberater beauftragt,<br />

<strong>ein</strong> Konzept für <strong>ein</strong>en Pilotversuch zu<br />

erarbeiten. Bis im Frühling 2010 soll dessen<br />

Bericht vorliegen, dann möchte man an die<br />

Umsetzung gehen.<br />

Ziel: Die Pflegekosten senken<br />

Erreichen will man damit folgende drei<br />

Ziele: mehr Helfer für die steigende Zahl<br />

der Pflegebedürftigen anlocken, die Wertschätzung<br />

für das Engagement der Rentner<br />

steigern und etwas zur Senkung der Pflege-<br />

kosten tun. „Wir hoffen, <strong>ein</strong>en Beitrag zu<br />

leisten, damit das Betreuungssystem stabil<br />

und ausbaubar bleibt“, sagt Gernot<br />

Jochum-Müller, der das Konzept nun<br />

erstellen wird. Durch den stärkeren Einbezug<br />

von Freiwilligen soll das Pflegepersonal<br />

entlastet werden, erklärt auch R<strong>ein</strong>hold<br />

Harringer von der Stadt St. Gallen. Die<br />

Spitex könne sich dann stärker auf die r<strong>ein</strong><br />

medizinische Pflege konzentrieren.<br />

Diese Ziel sind allerdings ambitiös, wie die<br />

Autoren der BSV-Studie gleich selber <strong>ein</strong>räumen.<br />

Eine Eindämmung der Kosten<br />

werde nur möglich s<strong>ein</strong>, wenn die Menschen<br />

dank der Hilfe den Umzug ins Heim<br />

hinauszögern können. Und der erhöhte<br />

Bedarf an Pflegeleistungen lasse sich all<strong>ein</strong><br />

mit Freiwilligen nicht decken. Internationale<br />

Erfahrungen zeigten immerhin, dass<br />

diese Ziele mit Zeittauschbörsen zumindest<br />

teilweise zu erreichen seien.<br />

Bevor es so weit ist, müssen die Promotoren<br />

indes noch <strong>ein</strong>e ganze Reihe kniffliger<br />

Fragen beantworten:<br />

• Welche Leistungen werden vergütet,<br />

ohne dass die Helfer überfordert und die<br />

Spitex übergangen werden? Am ehesten<br />

Hilfstätigkeiten wie etwa Einkaufen,<br />

Kochen oder Spazierengehen, antwortet<br />

R<strong>ein</strong>hold Harringer.<br />

• Werden die Gutschriften ausschliesslich<br />

in Zeit ausbezahlt, oder muss auch <strong>ein</strong><br />

Umtausch in Franken möglich s<strong>ein</strong>?<br />

Wahrsch<strong>ein</strong>lich Letzteres, m<strong>ein</strong>en die<br />

Experten. So liessen sich in der Regel<br />

mehr Leute zum Mitmachen motivieren.<br />

• Muss man die Gutschriften als Einkommen<br />

versteuern?<br />

• Wer verwaltet die Zeitgutschriften und<br />

garantiert, dass geleistete Betreuungsstunden<br />

Jahre später auch tatsächlich<br />

bezogen werden können?<br />

All dies sei nun noch im Detail zu klären,<br />

sagt Jochum-Müller. Er ist zuversichtlich,<br />

dass dies gelingen wird. Klar ist indes:<br />

Ohne öffentliche Gelder wird <strong>ein</strong> solches<br />

Projekt zumindest zu Beginn nicht funktionieren.<br />

„Alle betrachteten Systeme waren<br />

auf <strong>ein</strong>e Anstossfinanzierung angewiesen“,<br />

heisst es in der Studie. Das BSV lässt sich<br />

davon nicht abschrecken. „Wir hoffen, dass<br />

es zustande kommt“, sagt die Projektverantwortliche<br />

Joana Guldimann.<br />

Japan macht es vor<br />

Bern. - Das wichtigste Vorbild für die<br />

geplanten Zeittauschbörsen ist Japan.<br />

Unter dem Namen „Fureai Kippu“ - Pflegebeziehungsticket<br />

- existiert dort <strong>ein</strong> Zeitsparmodell,<br />

das mit rund 400 Regionalgruppen<br />

und mehreren 100‘000 Mitgliedern<br />

<strong>ein</strong>e Schlüsselrolle in der Alterspflege<br />

übernimmt. Für die Hilfsdienste erhält man<br />

je nach Tätigkeit, Tageszeit und Gruppe<br />

unterschiedlich hohe Gutschriften. Eine<br />

Stunde Körperpflege ist dabei doppelt so<br />

viel wert wie <strong>ein</strong>e Stunde Einkaufen oder<br />

Arbeiten im Haushalt. Einige der Gruppen<br />

funktionieren dabei streng mit Zeitgutschriften;<br />

bei anderen kann das Guthaben<br />

in Yen umgetauscht werden. Zwei Clearing-<br />

Stellen sorgen dafür, dass die Gutschriften<br />

im ganzen Land handelbar sind. So kann<br />

man auch Pflegezeit für die Eltern in <strong>ein</strong>em<br />

anderen Landesteil erwerben.<br />

Dass dies gerade in Japan so gut funktioniert,<br />

erklären sich Experten zum <strong>ein</strong>en mit<br />

der Überalterung des Landes: Mehr als 20<br />

Prozent der Einwohner sind älter als 65<br />

(Schweiz: 16,4 Prozent). Zum andern<br />

erhielten ältere Menschen in Japan generell<br />

mehr Wertschätzung. So kommt Fureai<br />

Kippu ohne Garantiestellung des Staates<br />

aus: Man vertraut darauf, dass sich immer<br />

genug Helfer finden lassen, bei denen man<br />

die angesparten Stunden <strong>ein</strong>lösen kann.<br />

Auch die IV wirtschaftet auf<br />

der Hochpreisinsel<br />

Text: Claudia Wirz in NZZ Online vom 8. Oktober 2009<br />

Umstrittene Strategien zur Senkung der<br />

Hilfsmittelpreise<br />

Hilfsmittel für Behindert sind in der<br />

Schweiz überteuert, weil es k<strong>ein</strong>en Wettbewerb<br />

gibt. Den Preis dafür zahlt die IV.<br />

Wie man auf dem Hilfsmittelmarkt Wettbewerb<br />

erzeugt, ist umstritten.<br />

Peter Wehrli, Geschäftsführer des Zentrums<br />

für selbstbestimmtes Leben (ZSL),<br />

weiss, wovon er spricht, wenn er über Rollstühle<br />

redet. Er sitzt selber jeden Tag rund<br />

16 Stunden in so <strong>ein</strong>em Gefährt. S<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>facher<br />

Rollstuhl koste in der Schweiz zwischen<br />

5‘000 und 6‘000 Franken, sagt er. Ein<br />

Preis, der im Vergleich zu <strong>ein</strong>em modernen<br />

Fahrrad wenig plausibel ersch<strong>ein</strong>e. Und der<br />

Elektrorollstuhl s<strong>ein</strong>er Arbeitskollegin<br />

koste trotz veralteter Technik so viel wie <strong>ein</strong><br />

nigelnagelneuer Kl<strong>ein</strong>wagen. Das sei viel<br />

teurer als im Ausland.<br />

29


Die IV zahlt<br />

Bezahlen muss Wehrli s<strong>ein</strong>en Rollstuhl<br />

nicht selber. Das übernimmt die IV, für<br />

deren Sanierung der Souverän soeben <strong>ein</strong>e<br />

Mehrwertsteuererhöhung bewilligt hat.<br />

Den Rollstuhl in Deutschland, in Norwegen<br />

oder in den USA zu <strong>ein</strong>em günstigeren Preis<br />

zu kaufen, lohne sich nicht - im Gegenteil.<br />

Denn dann, sagt Wehrli, würde die IV nichts<br />

bezahlen. Und was für die Rollstühle gelte,<br />

treffe auch auf andere Hilfsmittel zu.<br />

Dass die Preise für Hilfsmittel in der<br />

Schweiz überteuert sind, bestätigen auch<br />

andere Quellen. So führte die Preisüberwachung<br />

im Jahr 2003 Preisvergleiche mit<br />

dem Ausland durch und kam etwa bei den<br />

Hörgeräten zum Schluss, dass die Preise in<br />

der Schweiz für identische Geräte bis zu<br />

viermal höher sind als in Deutschland, und<br />

zwar gerade auch für Schweizer Produkte.<br />

Bei den Rollstühlen zeigte sich, dass es<br />

innerhalb der Schweiz „unerklärlich hohe<br />

Preisunterschiede“ gibt und gewisse<br />

Händler der IV überrissene Preise verrechnen.<br />

2007 befand auch die Eidgenössische<br />

Finanzkontrolle die Preise für Hörgeräte<br />

als zu hoch. Hörgeräte und Rollstähle<br />

sind die grössten Posten auf der<br />

Hilfsmittel-Rechnung der IV. Sie machen<br />

heute 50 bzw. 44 Millionen Franken aus. -<br />

Die 6. IV-Revision möchte nun dem Hilfsmittelmarkt<br />

mehr Wettbewerb aufzwingen.<br />

Bei der Beschaffung von Hilfsmitteln durch<br />

die IV sollen neue Ausschreibungsverfahren<br />

angewendet werden. So entstehe<br />

<strong>ein</strong> Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern,<br />

sagt Alard du Bois-Reymond,<br />

Leiter Geschäftsfeld IV beim Bundesamt für<br />

Sozialversicherungen (BSV). Anders als bei<br />

der heutigen Regelung - das BSV handelt<br />

mit Leistungserbringern Tarifverträge aus -<br />

hätten die Anbieter bei diesem System k<strong>ein</strong><br />

Interesse mehr, die Realpreise ihrer Produkte<br />

geheim zu halten. Heut sei es für das<br />

BSV unmöglich, den Anbietern überrissene<br />

Preise nachzuweisen, sagt du Bois. Das<br />

BSV hat mit Ausschreibungen bereits<br />

Erfahrung. Es hatte für die Beschaffung von<br />

Hörgeräten schon <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e internationale<br />

Ausschreibung lanciert, wurde aber im<br />

vergangenen Februar vom Bundesverwaltungsgericht<br />

wegen mangelnder Rechtsgrundlage<br />

zurückgepfiffen, nachdem sich<br />

die Hörgerätehersteller beschwert hatten.<br />

Die Rechtsgrundlage für Ausschreibungen<br />

soll nun in der 6. IV-Revision geschaffen<br />

werden. Das vorgeschlagene Verfahren<br />

ermögliche <strong>ein</strong>e günstigere Versorgung bei<br />

Erste Studie dieser Art<br />

gleich hoher Qualität, was sowohl den<br />

Behinderten als auch der Versicherung<br />

zugutekomme. Laus BSV sollen damit 35<br />

bis 50 Millionen Franken <strong>ein</strong>gespart<br />

werden können.<br />

Gegen Monopole<br />

Das ZSL hält diesen Vorschlag indessen für<br />

untauglich und hat <strong>ein</strong>e Petition lanciert,<br />

um ihn zu bekämpfen. Nach M<strong>ein</strong>ung der<br />

Selbsthilfeorganisation gehört die Marktmacht<br />

in die Hände der Behinderten und<br />

nicht in jene des Staates. Ausserdem könne<br />

nicht in der Amtsstube entschieden<br />

werden, was der <strong>ein</strong>zelne Behinderte wirklich<br />

brauche. Ferner befürchtet das ZSL<br />

<strong>ein</strong>en Service- und Qualitätsabbau, wenn<br />

es <strong>ein</strong> Nachfragemonopol durch die IV gibt.<br />

Die Organisation fordert den Bundesrat<br />

deshalb auf, auf d<strong>ein</strong> „Staatsmonopol beim<br />

Hilfsmittel<strong>ein</strong>kauf“ zu verzichten. Die Alternative<br />

sei <strong>ein</strong> marktwirtschaftliches<br />

System. Dabei solle die IV den individuellen<br />

Bedarf <strong>ein</strong>es Behinderten abklären<br />

und über marktgerechtes Direktzahlungen<br />

finanzieren. Die Betroffenen sollen dann<br />

die Geräte weltweit frei auswählen können.<br />

Diese Einschätzung unterstützt du Bois in<br />

Bezug auf technisch überschaubar4e Produkte<br />

wie Rollstühle durchaus. Bei Produkten<br />

wie Hörgeräten, wo die Produkt<strong>ein</strong>formation<br />

durch Anbieter und Ärzte<br />

gesteuert werde, wie <strong>ein</strong> Ausschreibeverfahren<br />

aber besser. Und was den Hilfsmittel<strong>ein</strong>kauf<br />

im Ausland angeht, sieht auch<br />

du Bois Handlungsbedarf. Es wie nicht Aufgabe<br />

der IV, das <strong>ein</strong>heimische Gewerbe zu<br />

schützen. Der erste Teil der 6. IV-Revision<br />

ist noch bis Mitte Monat in der Vernehmlassung.<br />

Zu diesen Fragen gab es bisher sehr wenig empirisches<br />

Material. Das auf die häusliche Betreuung von<br />

Seniorinnen und Senioren spezialisierte US-<br />

Unternehmen Home Instead, das seit kurzem auch in<br />

der Schweiz tätig ist, hat dazu erstmals <strong>ein</strong>e Studie<br />

erstellen lassen. Die Resultate geben <strong>ein</strong>en Überblick<br />

über die Lebensrealität von Betagten, die auf häusliche<br />

Betreuung angewiesen sind:<br />

7 von 10 Betagten benötigen weniger als acht Stunden<br />

Unterstützung pro Woche, um weiterhin <strong>ein</strong>igermassen<br />

autonom leben zu können. Mit Abstand am<br />

meisten Dienstleistungen werden tagsüber gebraucht,<br />

deutlich weniger morgens, abends und in der Nacht.<br />

Welche Hilfe brauchen Seni-<br />

Helfen im Haushalt,<br />

oren,<br />

Instandhalten<br />

die all<strong>ein</strong><br />

der<br />

zu Hause<br />

Wohnung und<br />

wohnen?<br />

Einkaufen sind die gefragtesten Dienstleistungen.<br />

Jeder dritte BetagteText: wünscht Romeo Regenass, sich E-Tages-Anzeiger ganz <strong>ein</strong>fach vom Ge- 12.<br />

Oktober 2009<br />

sellschaft. Nur wenige brauchen hingegen Hilfe beim<br />

Essen, bei der Benutzung Mit 5 bis der 8 Stunden ToiletteUnterstützung oder beim Auf- pro<br />

stehen und Zu-Bett-Gehen.<br />

Woche können Betagte länger zu Hause<br />

leben, sagt <strong>ein</strong>e neue Studie.<br />

Unsere Gesellschaft altert, und das mit<br />

grossem Tempo. Bis 2040 dürfte sich die<br />

Zahl der über 80-Jährigen laut dem Bundesamt<br />

für Statistik mehr als verdoppeln,<br />

von derzeit 290'000 auf gegen 680'000<br />

Personen. Einerseits erhöht sich der Anteil<br />

älterer Menschen als Folge des Geburtenrückgangs,<br />

anderseits steigen Zahl und<br />

Anteil betagter Menschen durch die<br />

erhöhte Lebenserwartung. Tendenziell verzögert<br />

sich auch der Eintritt in <strong>ein</strong> Altersund<br />

Pflegeheim. Das erhöht den Pflegebedarf<br />

in den eigenen vier Wänden massiv.<br />

Dabei geht es bei weitem nicht nur um<br />

medizinische Pflege. Um möglichst lange in<br />

der eigenen Wohnung bleiben zu können,<br />

ist auch Unterstützung im Alltag nötig. Nur:<br />

was für <strong>ein</strong>e Unterstützung? Welche<br />

Bedürfnisse haben Senioren, die trotz <strong>ein</strong>geschränkter<br />

Autonomie zu Hause alt<br />

werden wollen? Welche Hilfe wünschen<br />

sich Angehörige von Betagten, die noch<br />

nicht im Alters- oder Pflegeheim leben?<br />

Erste Studie dieser Art<br />

Zu diesen Fragen gab es bisher sehr wenig<br />

empirisches Material. Das auf die häusliche<br />

Betreuung von Seniorinnen und Senioren<br />

spezialisierte US-Unternehmen Home<br />

Instead, das seit kurzem auch in der<br />

Schweiz tätig ist, hat dazu erstmals <strong>ein</strong>e<br />

Studie erstellen lassen. Die Resultate<br />

geben <strong>ein</strong>en Überblick über die Lebensrealität<br />

von Betagten, die auf häusliche<br />

Betreuung angewiesen sind:<br />

Hilfe beim Waschen gehört zu den Dienstleistungen.<br />

(Bild: Keystone)<br />

Hilfe beim Waschen gehört zu den Dienstleistungen.<br />

7 von 10 Betagten benötigen weniger als<br />

acht Stunden Unterstützung pro Woche,<br />

um weiterhin <strong>ein</strong>igermassen autonom<br />

leben zu können. Mit Abstand am meisten<br />

Dienstleistungen werden tagsüber<br />

gebraucht, deutlich weniger morgens,<br />

abends und in der Nacht.<br />

Die betreuten Senioren sind zumeist über 70, die Mehrheit ist weiblich und all<strong>ein</strong>; 32 Prozent<br />

leben noch mit dem Partner. Die Hälfte hat <strong>ein</strong>e Berufslehre absolviert, <strong>ein</strong> Viertel <strong>ein</strong>e<br />

Fachhochschule oder Universität, <strong>ein</strong> Viertel die obligatorische Schule. Fast die Hälfte lebt im<br />

eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung.<br />

Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands ist der meistgenannte Grund, dass <strong>ein</strong>e<br />

Betreuung nötig wird. Oft wird sie auch von Hausärzten empfohlen. Beschwerden orthopädischer<br />

Art sind häufig <strong>ein</strong> Auslöser dafür, gefolgt von Einsamkeit, Isolation und Demenz.


Helfen im Haushalt, Instandhalten der<br />

Wohnung und Einkaufen sind die gefragtesten<br />

Dienstleistungen. Jeder dritte Betagte<br />

wünscht sich ganz <strong>ein</strong>fach Gesellschaft.<br />

Nur wenige brauchen hingegen Hilfe beim<br />

Essen, bei der Benutzung der Toilette oder<br />

beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen.<br />

Die betreuten Senioren sind zumeist über<br />

70, die Mehrheit ist weiblich und all<strong>ein</strong>; 32<br />

Prozent leben noch mit dem Partner. Die<br />

Hälfte hat <strong>ein</strong>e Berufslehre absolviert, <strong>ein</strong><br />

Viertel <strong>ein</strong>e Fachhochschule oder Universität,<br />

<strong>ein</strong> Viertel die obligatorische Schule.<br />

Fast die Hälfte lebt im eigenen Haus oder in<br />

der eigenen Wohnung.<br />

Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands<br />

ist der meistgenannte Grund, dass<br />

<strong>ein</strong>e Betreuung nötig wird. Oft wird sie<br />

auch von Hausärzten empfohlen.<br />

Beschwerden orthopädischer Art sind<br />

häufig <strong>ein</strong> Auslöser dafür, gefolgt von Einsamkeit,<br />

Isolation und Demenz.<br />

Die Angehörigen der Senioren, im Wesentlichen<br />

Töchter und Söhne, sind zumeist<br />

jünger als 60 und zum grossen Teil noch<br />

berufstätig. Ihr Bildungsstand ist insgesamt<br />

etwas höher als jener der Senioren.<br />

Entscheidungen, ob und welche Betreuungsdienstleistungen<br />

in Anspruch<br />

genommen werden sollen, sind in 7 von 10<br />

Fällen Familiensache. Die Kontakte zwischen<br />

Senioren und Angehörigen sind<br />

relativ häufig: Je <strong>ein</strong> Viertel sieht sich mehrmals<br />

pro Woche, wöchentlich und mehrmals<br />

pro Monat. Jeder zweite Angehörige<br />

wohnt weniger als 15 Kilometer vom<br />

betreuten Senior entfernt. Angesichts der<br />

zunehmenden Mobilität in der Gesellschaft<br />

dürfte sich diese Distanz in den nächsten<br />

Jahren erheblich vergrössern.<br />

Jeder dritte Befragte gibt an, ausschliesslich<br />

von Verwandten (45 Prozent),<br />

Bekannten oder Nachbarn betreut zu<br />

werden. Nicht untersucht hat die Studie,<br />

welche Verwandten für die Betreuung<br />

zuständig sind. Es ist aber anzunehmen,<br />

dass zumeist Frauen die unentgeltliche<br />

Aufgabe übernehmen.<br />

Ein weiteres Drittel nutzt nur private oder<br />

gem<strong>ein</strong>nützige Anbieter: Spitex, pro senectute<br />

sowie Angebote von sozialen Diensten,<br />

privat ange<strong>stellt</strong>en Betreuern oder<br />

spezialisierten Unternehmen. Die Spitex ist<br />

mit 31 Prozent der mit Abstand meistgenutzte<br />

Anbieter.<br />

Die durchschnittlichen Kosten der beanspruchten<br />

Dienstleistungen liegen bei 37<br />

Franken pro Stunde. Dieser Wert ist aber<br />

nur so tief, weil auch die kostenlosen<br />

Dienste in die Berechnung <strong>ein</strong>flossen. In<br />

zwei Dritteln der Fälle trägt der Senior<br />

zumindest <strong>ein</strong>en Teil der Kosten, in <strong>ein</strong>em<br />

Drittel tut dies auch die Grundversicherung<br />

der Krankenkasse. Nur <strong>ein</strong> Viertel hat <strong>ein</strong>e<br />

Zusatzversicherung, die sich daran beteiligt.<br />

Angehörige tragen in jedem fünften<br />

Fall etwas bei, manchmal kommen auch<br />

Ergänzungsleistungen zum Zug.<br />

Sowohl bei den Senioren als auch bei<br />

Angehörigen befürwortet <strong>ein</strong>e klare Mehrheit<br />

die Betreuung durch spezialisierte<br />

Unternehmen. In beiden Gruppen sieht<br />

dies rund <strong>ein</strong> Drittel als zwar nicht optimale,<br />

aber realistische Lösung an. Knapp<br />

<strong>ein</strong> Fünftel hat Mühe, Hilfe von aussen zu<br />

akzeptieren. Jeder zehnte Senior lehnt es<br />

gar rundweg ab, von <strong>ein</strong>em beauftragten<br />

Unternehmen betreut zu werden.<br />

Für 73 Prozent der Senioren ist es wichtig,<br />

zu Hause bleiben zu können, für <strong>ein</strong> Drittel<br />

gar „absolut wichtig“. Die Werte der<br />

Angehörigen sind nur minim darunter. Der<br />

Verbleib in den eigenen vier Wänden ist vor<br />

allem jenen wichtig, die auf Verwandte,<br />

Freunde und Nachbarn zählen können.<br />

Home-Instead-Geschäftsführer Paul Fritz<br />

ist erfreut über das Ergebnis der Studie:<br />

„Auch in der Schweiz bestätigt sich damit,<br />

was sich schon in den USA, in Japan, Grossbritannien,<br />

Irland und Australien gezeigt<br />

hat: Die Leute wollen zu Hause alt werden.“<br />

Was die Studie auch an den Tag gebracht<br />

hat: Viele Senioren und Angehörige<br />

beschäftigen sich erst mit Fragen der<br />

Betreuung, wenn der Bedarf akut wird.<br />

Politische Forderungen<br />

Für die Untersuchung haben Sozialforscher<br />

von GfK Austria im Mai dieses Jahres in der<br />

Deutschschweiz 252 Empfänger nicht<br />

medizinischer Seniorendienstleistungen<br />

sowie Angehörige befragt, die in die Entscheidungen<br />

bezüglich Betreuung oder in<br />

die Betreuung selbst <strong>ein</strong>gebunden sind.<br />

Die Resultate der Studie sind plausibel,<br />

auch wenn ihr der Mangel anhaftet, <strong>ein</strong>e<br />

Auftragsstudie zu s<strong>ein</strong>.<br />

Home Instead leitet daraus auch politische<br />

Forderungen ab: Es brauche <strong>ein</strong>e nationale<br />

Politik, die Senioren, die sich für <strong>ein</strong> Leben<br />

zu Hause entscheiden, ermutigt und unterstützt.<br />

Das habe Vorteile für die Senioren<br />

selbst, aber auch für die Gesellschaft. Der<br />

Bundesrat sei nicht dafür verantwortlich,<br />

Antworten auf diese Herausforderung zu<br />

finden. Aber er sei am besten dafür<br />

geeignet, mit der Suche nach Lösungen zu<br />

beginnen, die öffentliche und private Ressourcen<br />

auf möglichst effiziente Weise verbinden.<br />

Home Instead „Läb dehei!“ drängt auf<br />

den Markt<br />

Im Schnitt eröffnet das US-Unternehmen<br />

<strong>ein</strong>e neue Filiale pro Monat.<br />

Das US-Unternehmen Home Instead ist<br />

weltweit in 15 Ländern in der Betreuung<br />

von Seniorinnen und Senioren aktiv und<br />

erzielt über 500 Millionen Dollar Umsatz. In<br />

der Schweiz hat Home Instead „Läb dehei!“<br />

s<strong>ein</strong>e Tätigkeit im Frühling 2007 im Baselbiet<br />

aufgenommen. In den letzten 12<br />

Monaten ist im Schnitt monatlich 1 neuer<br />

Standort eröffnet worden, unlängst auch in<br />

Zürich. Das Unternehmen stösst mit<br />

s<strong>ein</strong>em Angebot an nicht medizinischer<br />

Betreuung in <strong>ein</strong>e Marktlücke. Zwar bieten<br />

31


auch das Schweizerische Rote Kreuz, die<br />

Spitex oder pro senectute je nach Region<br />

ähnliche Dienstleistungen an, aber das<br />

Angebot ist zum Teil <strong>ein</strong>geschränkt. Home<br />

Instead sieht sich als Ergänzung zur Spitex;<br />

60 bis 70 Prozent aller Kunden nehmen<br />

zusätzlich auch Leistungen der Spitex in<br />

Anspruch. Das Personal wird intern ausgebildet,<br />

muss aber k<strong>ein</strong>e medizinischen<br />

Kenntnisse haben.<br />

Im Raum Zürich kosten Dienstleistungen<br />

von Home Instead je nach Service-Level<br />

zwischen 29 und 49 Franken pro Stunde.<br />

Die Nachtbereitschaft kostet 29 Franken,<br />

das Zubereiten von Mahlzeiten oder das<br />

Wechseln der Bettwäsche 43, und für die<br />

Hilfe bei der Mund- und Körperpflege oder<br />

beim An- und Auskleiden sind 49 Franken<br />

fällig. Medizinische Leistungen werden<br />

nicht erbracht. Zum Vergleich: Die gem<strong>ein</strong>nützige<br />

Spitex Kanton Zürich verlangt<br />

für hauswirtschaftliche Leistungen derzeit<br />

maximal 38.50 Franken pro Stunde. Spitex<br />

Visit von der Pro Senectute verrechnet je<br />

nach Dauer des Einsatzes 50 bis 54 Franken<br />

pro Stunde. Krankenkassen beteiligen sich<br />

höchstens bei Zusatzversicherten an<br />

diesen Kosten.<br />

Die Filialen von Home Instead werden weltweit<br />

von Franchisenehmern geführt. Das<br />

Unternehmen sucht laufend neue Geschäftspartner,<br />

aber auch Betreuerinnen und<br />

Betreuer. Diese erhalten pro Stunde rund<br />

20 Franken, je nach Region und erbrachter<br />

Dienstleistung. Der Rest geht an Home<br />

Instead und die Franchisenehmer, welche<br />

die Einsätze vermitteln. (meo)<br />

IV: Weniger Neurentner - dafür<br />

aber mehr Ergänzungsleistungen<br />

Text: Claudia Chatelain, E-Tages-Anzeiger (Berner Zeitung)<br />

vom 12. Oktober 2009<br />

Die Zahl der IV-Neurentner nimmt ab - und<br />

doch nehmen die Bezüger von Ergänzungsleistungen<br />

(EL) zu. Überspitzt formuliert:<br />

Was mit der <strong>ein</strong>en Hand gespart wird, wird<br />

mit der anderen Hand wieder ausgegeben.<br />

Die Invalidenversicherung (IV) weist mit<br />

Stolz darauf hin, wie die Zahl der IV-Neurentner<br />

seit dem Jahr 2003 im Abnehmen<br />

begriffen ist. Sie führt das auf Erfolge der 4.<br />

und 5. IV-Revision zurück, welche 2004<br />

beziehungsweise 2008 in Kraft gesetzt<br />

wurden. Ein Blick auf die Statistik der<br />

Ergänzungsleistungen (siehe Kasten) relativiert<br />

jedoch diesen Erfolg. Die Zahl von IV-<br />

Rentnern, die EL beanspruchen, nimmt Jahr<br />

für Jahr zu, obschon die Zahl der IV-Rentner<br />

abnimmt.<br />

Wie ist diese widersprüchliche Entwicklung<br />

zu erklären? Urs Portmann vom Bundesamt<br />

für Sozialversicherungen (BSV) weiss die<br />

Antwort: Mit der 4. IV-Revision wurden die<br />

Zusatzrenten gestrichen, welche bisher<br />

Ehepartnern von IV-Rentnern ausbezahlt<br />

wurden. Damit nimmt das Gesamt<strong>ein</strong>kommen<br />

verheirateter IV-Rentner ab. Dies<br />

offensichtlich in <strong>ein</strong>em solchen Ausmass,<br />

dass diese neu Anspruch auf Ergänzungsleistungen<br />

erhalten. Die Zusatzrente zur IV<br />

wurde auf Anfang 2004 für Neurentner<br />

abgeschafft und auf Anfang 2008 bei<br />

bestehenden IV-Rentnern gestrichen.<br />

Gemäss <strong>ein</strong>er Studie von Avenir Suisse gibt<br />

es noch <strong>ein</strong>e andere Erklärung für die wachsende<br />

Zahl von EL-Bezügern: das sinkende<br />

Durchschnittsalter der IV-Rentner. Junge IV-<br />

Rentner sind besonders oft auf Ergänzungsleistungen<br />

angewiesen. „Denn junge<br />

Personen, die <strong>ein</strong>e IV-Rente erhalten,<br />

waren vor Eintritt der Invalidität nicht oder<br />

nur für <strong>ein</strong>e kurze Dauer erwerbstätig. Sie<br />

erhalten deshalb kl<strong>ein</strong>ere Renten“, steht in<br />

der Studie.<br />

13 Prozent Mehrausgaben<br />

Nicht nur bei den IV-, auch bei den AHV-<br />

Rentnern ist die Zahl der EL-Bezüger im<br />

Wachsen begriffen. Dies hingegen ist mit<br />

der steigenden Lebenserwartung leicht zu<br />

erklären. Nicht nur die Zahl der EL-Berechtigten<br />

nimmt zu. Auch in Franken<br />

gerechnet, zeigt die Kurve nach oben: Das<br />

langfristige Wachstum der Gesamtausgaben<br />

des Bundes und der Kantone für EL<br />

beträgt im Schnitt 5,6 Prozent.<br />

Besonders steil war die Zunahme im vergangenen<br />

Jahr: So nahmen die gesamten<br />

Ausgaben für EL von 3,2 auf 3,7 Milliarden<br />

Franken zu, plus 13,4 Prozent. Dieser steile<br />

Anstieg ist freilich auf <strong>ein</strong>en Sondereffekt<br />

zurückzuführen: auf die Aufhebung der<br />

betraglichen Limite nach oben. Bis 2007<br />

war nämlich die Höhe der EL nach oben<br />

begrenzt. Mit der Aufhebung dieser Limite<br />

wollte man verhindern, dass AHV- und IV-<br />

Rentner der Sozialhilfe zur Last fallen. Die<br />

von den Ergänzungsleistungen nicht<br />

gedeckten Kosten mussten damals von der<br />

Sozialhilfe oder im Kanton Bern durch<br />

Zuschüsse bei Dekret gedeckt werden.<br />

Sind bei <strong>ein</strong>em Sozialwerk die Ausgaben<br />

höher als die Einnahmen, wird früher oder<br />

später die Alarmglocke geläutet. Klassisches<br />

Beispiel ist die IV, wo der Schuldenberg<br />

bereits auf über 13 Milliarden Franken<br />

angewachsen ist. Auch bei der AHV drohen<br />

mittelfristig Fehlbeträge, sofern nicht auf<br />

der Ausgaben- oder auf der Einnahmenseite<br />

Korrekturen vorgenommen werden.<br />

Werden die Leistungen <strong>ein</strong>es Sozialwerks<br />

mit Beiträgen finanziert, sollte damit vermieden<br />

werden, dass die Ausgaben unkontrolliert<br />

nach oben treiben.<br />

K<strong>ein</strong>e Debatte<br />

Genau das droht bei den Ergänzungsleistungen.<br />

Die EL bilden k<strong>ein</strong> eigenes, selbstständiges<br />

Sozialwerk mit <strong>ein</strong>em eigenen<br />

Fonds. EL stellen lediglich <strong>ein</strong> Ausgabenposten<br />

in den Finanzrechnungen des Bundes<br />

und der Kantone dar. Es drohen k<strong>ein</strong>e Fehlbeträge<br />

oder Schuldenberge, höchstens<br />

Budgetüberschreitungen. H<strong>ein</strong>z Burkhard,<br />

Direktor der Ausgleichskasse des Kantons<br />

Bern, bringt es auf den Punkt: „Wenn in der<br />

AHV der Sack <strong>ein</strong> Loch aufweist, dann wird<br />

jeder darauf aufmerksam. Bei der EL hingegen<br />

wachsen still und leise die Budgetverpflichtungen.“<br />

Die Debatte, wie dieses Problem der Ergänzungsleistungen<br />

gelöst werden soll, findet<br />

angesichts anderer, gewichtigerer Probleme<br />

bei Sozialversicherungen kaum<br />

statt.<br />

Was und für wen sind EL?<br />

Ergänzungsleistungen werden dort ausbezahlt,<br />

wo die AHV- oder IV-Renten zum<br />

Leben nicht ausreichen. Zur Berechnung<br />

der Anspruchsberechtigung werden die<br />

anrechenbaren Einnahmen den anrechenbaren<br />

Ausgaben gegenüberge<strong>stellt</strong>.<br />

Übersteigen die Ausgaben die Einnahmen,<br />

entsteht <strong>ein</strong> Anspruch auf EL.<br />

Werden nun tiefere IV-Renten ausgerichtet<br />

oder eben Zusatzrenten gestrichen,<br />

so steigt die Anzahl von Personen,<br />

welche Anspruch auf EL haben.<br />

Seit dem Jahr 2008 ist der Anteil des<br />

Bundes an den Gesamtausgaben für<br />

Ergänzungsleistungen markant angestiegen.<br />

Vor 2008 lag er leicht über 20<br />

Prozent; im Jahr 2008 dagegen bei knapp<br />

32 Prozent. Der Grund liegt in der Neugestaltung<br />

des Finanzausgleichs und der<br />

neuen Aufgabenteilung zwischen dem<br />

Bund und den Kantonen.


Herzlich, engagiert und immer<br />

auf Achse - Ruben Rod<br />

Ruben Rod hat <strong>ein</strong>e Geschichte über<br />

Felipe, den kl<strong>ein</strong>en Mexikaner,<br />

geschrieben und diesen Text der sonos-<br />

Redaktion zur Veröffentlichung in der Verbandszeitschrift<br />

zur Verfügung ge<strong>stellt</strong>.<br />

Diese Geschichte ist für die sonos-Redaktion<br />

Anlass, um mit Ruben Rob ins<br />

Gespräch zu kommen. Spontan und völlig<br />

unkompliziert empfängt Ruben Rod am 20.<br />

Oktober 2009 Roger Ruggli von sonos zum<br />

ver<strong>ein</strong>barten Interview-Termin an s<strong>ein</strong>em<br />

Wohnort in Wädenswil.<br />

Ruben Rod und s<strong>ein</strong>e Hörbehinderung<br />

Im Vorwort zu <strong>ein</strong>em von Ruben Rod verfassten<br />

Text über s<strong>ein</strong>e Hörbehinderung<br />

schreibt er: „Als ich im Jahr 1985 das Licht<br />

dieser Welt zum ersten Mal erblickte, war<br />

ich bereits hochgradig schwerhörig und<br />

hörte nicht auf m<strong>ein</strong>en Namen Ruben.<br />

Wegen erschwerender äusserer Umstände<br />

erhielt ich aber erst relativ spät im Alter von<br />

drei Jahren zum ersten Mal Hörgeräte. Ich<br />

wuchs zum Glück dennoch unbeschwert<br />

und glücklich, wie die meisten anderen<br />

Kinder, auf und konnte viele Defizite aufholen<br />

und kompensieren. Als Kl<strong>ein</strong>kind und<br />

auch später als kl<strong>ein</strong>er Junge fiel m<strong>ein</strong>e<br />

Kommunikationsbehinderung nicht besonders<br />

ins Gewicht - in diesem Alter läuft das<br />

Geschehen unter Gleichaltrigen zu <strong>ein</strong>em<br />

grossen Teil nonverbal ab, und man lebt<br />

offenbar noch sehr stark in s<strong>ein</strong>er eigenen<br />

Welt. Ohne grosse Schwierigkeiten<br />

besuchte ich in Bern <strong>ein</strong>en Kindergarten<br />

und später die Grundschule zusammen mit<br />

normal hörenden Kindern.<br />

Erst später, als die Pubertät <strong>ein</strong>setzte, die<br />

verbale Kommunikation immer wichtiger<br />

wurde und ich Pech mit den Lehrkräften<br />

(Unverständnis, Unterschätzung) hatte,<br />

ging es nicht mehr weiter. Im Alter von<br />

zwölf Jahren wechselte ich an <strong>ein</strong>e Schule<br />

für Hörgeschädigte in <strong>ein</strong>em anderen<br />

Kanton und zog weg von zuhause in das<br />

dortige Internat. Anfänglich war es <strong>ein</strong>e<br />

harte Zeit für mich und m<strong>ein</strong>e Familie, aber<br />

schliesslich wurden aus den fünf Jahren<br />

dort <strong>ein</strong>e sehr schöne und lehrreiche Zeit<br />

für mich. Ich wuchs unter Hörgeschädigten<br />

Ruben Rod<br />

auf, wo ich viele Freunde fand und schliesslich<br />

auch auf das Cochlea-Implant (CI)<br />

stiess. Aber erst nach drei Jahren auf dem<br />

Landenhof überwand ich mich im Jahr 2000<br />

zu <strong>ein</strong>er CI-Operation auf dem linken Ohr.“<br />

Nach <strong>ein</strong>igen unverhofften Schwierigkeiten<br />

mit dem CI und der leider damit verbundenen<br />

Reimplantation, hat sich Ruben Rod<br />

nach langer Bedenkzeit dazu entschlossen<br />

auch s<strong>ein</strong> rechtes Ohr mit <strong>ein</strong>em Cochlea-<br />

Implant zu versorgen.<br />

Das Interview mit Ruben Rod<br />

sonos: Sie sind 1985 in Südamerika<br />

geboren und kamen dann als Kind<br />

zusammen mit Ihren Eltern in die Schweiz,<br />

wo Sie zuerst die reguläre Volksschule<br />

besucht haben, obwohl Sie schon damals<br />

hochgradig schwerhörig waren. Als Sie<br />

noch in Südamerika gelebt haben, hatte<br />

niemand Ihre Schwerhörigkeit bemerkt.<br />

Wie verlief diese erste Zeit in der Schweiz<br />

für Sie?<br />

Ruben: Leider kann ich mich an m<strong>ein</strong>e<br />

ersten Lebensjahre kaum mehr bewusst<br />

erinnern. Ich war gerade mal 3 Jahre alt, als<br />

m<strong>ein</strong>e Eltern und ich aus gesundheitlichen<br />

Gründen in die Schweiz zurückkehrten.<br />

Allerdings ist zu vermuten, dass m<strong>ein</strong>e<br />

ersten Lebensjahre im tropischen Chapare<br />

(bolivianisches Tiefland) <strong>ein</strong>en prägenden<br />

Einfluss auf mich hatten. Eine ausgesprochene<br />

Vorliebe für exotisches Essen,<br />

warmes Klima und <strong>ein</strong> grosses Interesse an<br />

der Natur fallen bei mir nach wie vor auf.<br />

Auch m<strong>ein</strong>e Hörbehinderung ist möglicherweise<br />

den dortigen Umständen zu verdanken.<br />

Als Kl<strong>ein</strong>kind litt ich öfters unter<br />

Infektionen, und die medizinische Versorgung<br />

liess zu wünschen übrig.<br />

Jedoch fiel m<strong>ein</strong> Handicap dort kaum auf,<br />

da mich die anderen Kinder des Waisenheims<br />

(in welchem wir arbeiteten und<br />

lebten) stets auf Trab hielten und sich mit<br />

allen Mitteln bemühten, mit mir zu kommunizieren<br />

und unter sich aufzunehmen.<br />

Erst in der Schweiz wurde der Umfang<br />

m<strong>ein</strong>er Hörbehinderung offenbar, und ich<br />

erhielt m<strong>ein</strong>e ersten Taschenhörgeräte. Der<br />

Kulturschock war also auch <strong>ein</strong> akustischer<br />

Schock und mit krasser Deutlichkeit war es<br />

mit dem Dschungelkindleben vorbei...<br />

Anfänglich war die Zeit an der Primarschule<br />

eigentlich k<strong>ein</strong> Problem. Die Klassenlehrerin<br />

war sehr bemüht, auf m<strong>ein</strong>e Bedürfnisse<br />

Rücksicht zu nehmen, und m<strong>ein</strong>e Mitschüler<br />

regelten Freundschaftsbeschlüsse<br />

oder Streitigkeiten auch mal nonverbal auf<br />

dem Pausenplatz. Ich konnte mithalten und<br />

war auch recht gut in den Klassenverband<br />

33


Ruben Rod liebt die Natur und er ist <strong>ein</strong> begeisterter Fischer<br />

integriert, wobei ich mich jedoch stark über<br />

m<strong>ein</strong>e Rolle als „Klassenkasper“ definierte,<br />

der s<strong>ein</strong>e Hausaufgaben „vergass“<br />

(nicht mitbekam) oder „lustige Fragen“<br />

<strong>stellt</strong>e. An m<strong>ein</strong>e Leistungsfähigkeit<br />

glaubte ich eher weniger.<br />

In der 5. Klasse änderte sich die Zuständigkeit,<br />

und <strong>ein</strong> neuer Lehrer durfte uns<br />

belehren. Dieser jedoch war nicht sehr<br />

angetan, <strong>ein</strong> „spezielles Kind“ in der Klasse<br />

zu haben und war auch nicht davon zu<br />

überzeugen, mich an Französischprüfungen<br />

teilnehmen zu lassen statt mir<br />

währenddessen Mandalas zum Ausmalen<br />

auszuteilen. Ein Gehörloser und Fremdsprache?<br />

Ein Fremdwort.<br />

Dazu kam die Pubertät m<strong>ein</strong>er Mitschülerinnen<br />

und Mitschüler. Die verbale Kommunikation<br />

gewann sehr viel an Bedeutung.<br />

Liebe, Freundschaften und Intrigen gingen<br />

statt von Hand zu Hand von Ohr zu Ohr. Mir<br />

blieb die Flucht in Fantasiewelten Tolkiens<br />

oder Hohlb<strong>ein</strong>s. Ich verschlang massenweise<br />

Bücher und mochte kaum mehr in die<br />

Schule gehen. Lieber verschwand ich auf<br />

dem Schulweg, um in <strong>ein</strong>er nahegelegenen<br />

Kiesgrube Frösche zu fangen.<br />

sonos: Später sind Sie dann in den Landenhof<br />

übergetreten und die Matura haben<br />

Sie dann an <strong>ein</strong>er Schule für Hörende<br />

erworben? War es damals noch nicht möglich<br />

über den Landenhof <strong>ein</strong>e Mittelschule<br />

zu absolvieren?<br />

Ruben: Schliesslich wurde es m<strong>ein</strong>en<br />

Eltern und mir zu bunt. Neue Wege mussten<br />

gesucht werden. So kamen wir<br />

schliesslich auf den Landenhof. Nach <strong>ein</strong>er<br />

Schnupperwoche war mir sehr schnell klar,<br />

dass dies das Richtige s<strong>ein</strong> musste. Dennoch<br />

war es nicht <strong>ein</strong>fach, mit 12 Jahren von<br />

zuhause weg in <strong>ein</strong> Internat zu gehen. Ich<br />

und nicht zuletzt m<strong>ein</strong>e Eltern sowie m<strong>ein</strong><br />

damals sechsjähriger Bruder brauchten<br />

bestimmt <strong>ein</strong> Jahr, um damit umgehen zu<br />

können.<br />

M<strong>ein</strong>e damalige Oberstufen-Klasse wäre<br />

eigentlich als Kick-off-Klasse für den Übertritt<br />

an die Kanti Aarau für den Mittelschulbesuch<br />

vorgesehen gewesen. Aber die<br />

Mehrheit der für diesen Versuch in Frage<br />

kommenden Mitschülerinnen und Mitschüler<br />

wollten nicht im Landenhof die Mittelschule<br />

absolvieren. Schade war aus<br />

m<strong>ein</strong>er Sicht, dass unsere gut harmonierende<br />

Gruppe so aus<strong>ein</strong>anderbrach. Ich<br />

ging an das Gymnasium Muristalden in<br />

Bern.<br />

Der Wechsel vom Landenhof an <strong>ein</strong><br />

hörendes Gymnasium war nicht <strong>ein</strong>fach.<br />

Schulisch hatte ich überraschenderweise<br />

wenige Schwierigkeiten im Gegensatz zur<br />

sozialen Integration. Als <strong>ein</strong>igermassen in<br />

s<strong>ein</strong>er Persönlichkeit gefestigter und<br />

bestätigter Jugendlicher verliess ich den<br />

Landenhof, um schliesslich in der hörenden<br />

Welt m<strong>ein</strong> Selbstkonzept neu überarbeiten<br />

und überdenken zu müssen. Lieb gewonnene<br />

Verhaltensmuster und Ansprüche<br />

(z.B. aktive Mitgestaltung von Entscheiden<br />

in der Gruppe, Führungsrollen) musste ich<br />

aufgeben und viele Strategien ausprobieren<br />

(z.B. extrovertiertes oder introvertiertes<br />

Verhalten vorteilhafter? Aufwand<br />

und Ertrag beim Zuhören und Nachfragen?).<br />

Die 3 Jahre bis zur Matura waren geprägt<br />

von vielen Höhen und Tiefs. Danach wollte<br />

ich schliesslich vor allem <strong>ein</strong>s: raus aus der<br />

Tretmühle und <strong>ein</strong>en klaren Kopf<br />

bekommen. Wie sieht es aus, wenn ich die<br />

Gestaltung m<strong>ein</strong>es Alltages selber in die<br />

Hand nehme? Wenn ich problematischen<br />

Situationen (z.B. Gruppen, laute Umgebungen,<br />

Teamarbeiten) aus dem Weg<br />

gehen kann? Mir war und ist bewusst, dass<br />

der Klassenverband für Hörgeschädigte<br />

<strong>ein</strong>e Extremsituation in der an sich bereits<br />

schwierigen hörenden Welt dar<strong>stellt</strong> und<br />

nicht dem Lebens- und Arbeitsalltag entsprechen<br />

muss.<br />

Um diesen und anderen Fragen nachzugehen,<br />

legte ich <strong>ein</strong> Zwischenjahr <strong>ein</strong>.<br />

Damals hatte ich vor, danach <strong>ein</strong> Biologiestudium<br />

an der Uni Bern anzufangen und<br />

später das höhere Lehramt zu machen.<br />

M<strong>ein</strong> Traum war es, junge Hörgeschädigte<br />

an Sonderschulen zu unterrichten.<br />

sonos: Was hat Ihnen nach dem Landenhof<br />

besonders gefehlt und was war schwierig<br />

für Sie?<br />

Ruben: Die 4 Jahre Oberstufe auf dem Landenhof<br />

möchte ich jedoch nicht missen. In<br />

dieser Zeit trat m<strong>ein</strong>e Behinderung in den<br />

Hintergrund. M<strong>ein</strong> schulischer Ehrgeiz<br />

wurde geweckt, m<strong>ein</strong>e Persönlichkeit<br />

konnte sich ohne Benachteiligungen<br />

gegenüber dem Umfeld (das ja auch hörgeschädigt<br />

war) entwickeln, und Freundschaften<br />

fürs Leben konnten geschlossen<br />

werden. Die Landenhof-Zeit war für mich<br />

<strong>ein</strong>e gute und wertvolle Zeit.<br />

sonos: Sie studieren heute Umwelttechnik<br />

an der Hochschule Wädenswil ZH mit<br />

Berufsziel Umweltingenieur. In welchem<br />

Semester sind Sie gerade und was für<br />

Berufswünsche haben Sie für später. Ist es<br />

immer noch <strong>ein</strong> Ziel später eventuell Gymnasiallehrer<br />

für Hörgeschädigte zu werden?<br />

Ruben: Zurzeit bin ich im 7. Semester und<br />

ich werde m<strong>ein</strong> Studium im 2010 hoffentlich<br />

mit Erfolg abschliessen. Was ich<br />

danach machen werde, ist für mich völlig<br />

offen. Eher unwahrsch<strong>ein</strong>lich ist, dass ich<br />

nach dem Bachelor direkt weiterstudieren<br />

werde, um m<strong>ein</strong>en Master zu machen. Eher<br />

denke ich, dass ich lieber zuerst <strong>ein</strong>e<br />

Anstellung annehmen werde, um Berufserfahrungen<br />

zu sammeln und erst später<br />

m<strong>ein</strong>en Master machen werde.<br />

Die ursprüngliche Idee, dass ich <strong>ein</strong>mal<br />

Gymnasiallehrer werden möchte, ist für


mich <strong>ein</strong> wenig in den Hintergrund geraten.<br />

Obwohl ich die Lehrertätigkeit sehr spannend<br />

finde. Erste pädagogische Erfahrungen<br />

konnte ich bereits an der Berufsschule<br />

für Hörgeschädigte (BSFH) in<br />

Zürich-Oerlikon sammeln, wo ich als Stellvertretung<br />

in Schulklassen unterrichten<br />

durfte.<br />

sonos: Sie engagieren sich stark im Zusammenhang<br />

mit der Integration von jungen<br />

hörgeschädigten Menschen und sind im<br />

Vorstand von „jugehörig“. Im September<br />

2009 haben Sie <strong>ein</strong> Wochenende für junge<br />

hörgeschädigte Menschen in Thalwil organisiert.<br />

Wie lief es und was haben Sie dort<br />

mit<strong>ein</strong>ander gemacht?<br />

Ruben: Wie immer war auch diesmal das<br />

Jugenörig-Weekend <strong>ein</strong> grosser Erfolg. Es<br />

war <strong>ein</strong>fach super. Über 40 Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer aus Österreich,<br />

Deutschland und der Schweiz erlebten <strong>ein</strong><br />

fantastisches Wochenende. Wir sind <strong>ein</strong>fach<br />

<strong>ein</strong>e starke Gem<strong>ein</strong>schaft, in <strong>ein</strong>er<br />

wunderbaren familiären Atmosphäre. Für<br />

uns Jugehörig-Weekend-Teilnehmenden<br />

stehen der Austausch und die Kommunikation<br />

im Vordergrund. Wir haben <strong>ein</strong>fach<br />

total Spass, und wir geniessen die gute Zeit<br />

in unserer Gruppe.<br />

sonos: Sie bringen sich auch schon seit<br />

langer Zeit <strong>ein</strong> bei Freizeitaktivitäten für<br />

hörgeschädigte Kinder und erzählen Kindern<br />

wie neulich im Bündnerland an <strong>ein</strong>em<br />

Lager Druidengeschichten. Sie schreiben<br />

auch Kurzgeschichten, wie jene vom<br />

Die glücklichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Jugehörig-Weekend 2009.<br />

kl<strong>ein</strong>en Mexikaner. Äussert sich dieses<br />

kreative Potential bei Ihnen vor allem in<br />

Schriftstellerei und Sagen- bzw. Märchenerzählen<br />

oder auch noch in anderer Form?<br />

Ruben: M<strong>ein</strong> Vater wie auch m<strong>ein</strong> Grossvater<br />

sind Kunstmaler, und deshalb habe<br />

ich wahrsch<strong>ein</strong>lich <strong>ein</strong>e kreative künstlerische<br />

Ader und es liegt mir im Blut.<br />

In m<strong>ein</strong>er Freizeit engagiere ich mich sehr<br />

gerne und mit Herzblut für Kinder und<br />

Jugendliche. Ich finde es <strong>ein</strong>fach toll und<br />

bereichernd mit ihnen zusammen zu s<strong>ein</strong><br />

und zu gestalten und sich auszutauschen.<br />

sonos: Die Natur- und Tierwelt ist Ihnen <strong>ein</strong><br />

ganz wichtiges Anliegen. Was ist es genau,<br />

dass Sie daran fasziniert und in welcher<br />

Form leisten Sie persönlich allenfalls <strong>ein</strong>en<br />

Beitrag zum Erhalt dieser Werte?<br />

Ruben: Ich liebe die Natur und die Tierwelt<br />

seit kl<strong>ein</strong> auf. Wenn es irgendwie möglich<br />

ist, bin ich draussen. Am liebsten gehe ich<br />

Fischen oder pflanze im Garten Gemüse an.<br />

Mit m<strong>ein</strong>em Studium möchte ich später<br />

m<strong>ein</strong>en Beitrag für <strong>ein</strong>e bessere und nachhaltige<br />

Umwelt leisten.<br />

M<strong>ein</strong>e Nahrungsmittel kaufe ich sehr<br />

bewusst <strong>ein</strong>. Für mich wäre es undenkbar,<br />

dass ich in der Winterzeit Kirschen kaufen<br />

würde, die aus irgend<strong>ein</strong>em exotischen<br />

Land mit enormem logistischem Aufwand<br />

in die Schweiz transportiert werden müssten.<br />

Für mich ist es auch selbstverständlich,<br />

dass ich, wann immer möglich, mit den<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs<br />

bin. Aber mir ist bewusst, dass man noch<br />

sehr viel mehr machen könnte. Ich störe<br />

mich zum Beispiel daran, dass ich wegen<br />

m<strong>ein</strong>er beiden Cochlea-Implantate extrem<br />

viele Batterien brauche, und ich frage mich,<br />

wann endlich wiederverwendbare Batterien<br />

auf den Markt kommen.<br />

sonos: Was denken Sie ist aus Ihrer Sicht<br />

ganz wichtig hinsichtlich erfolgreicher Eingliederung<br />

junger hörgeschädigter Menschen?<br />

Ruben: Es braucht Eigeninitiative und <strong>ein</strong><br />

natürliches, gutes und gesundes Selbstwertgefühl.<br />

Ganz wichtig ist aber, sich<br />

bewusst zu werden, dass die Behinderten<br />

k<strong>ein</strong> Bremsklotz sind, sondern <strong>ein</strong> Teil vom<br />

Ganzen sind. Wir Behinderten brauchen<br />

<strong>ein</strong>e positive Grund<strong>ein</strong>stellung.<br />

sonos: Was denken Sie ist im Hörbehindertenwesen<br />

in den letzten Jahren positiv verlaufen<br />

und wo gäbe es nach Ihrer Einschätzung<br />

noch Handlungsbedarf?<br />

Ruben: Positiv ist, die Vernetzung unter<br />

den Jungen hat ganz <strong>ein</strong>deutig zugenommen.<br />

Die Hörbehinderten gehören<br />

dank Facebook, Internet etc. zur ganzen<br />

Gem<strong>ein</strong>schaft.<br />

Ich stelle fest, dass in Deutschland die<br />

Gebärdensprache <strong>ein</strong> eigentliches Revival<br />

feiert. Die Gebärdensprache bzw. die Hörbehinderung<br />

wird sichtbar gemacht und<br />

dies ist m<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach identitätsstiftend<br />

bei <strong>ein</strong>em Teil der Betroffenen. Der<br />

Trend ist, weg von den Selbsthilfegruppen<br />

und hin zu den eventbetonten - Menschen<br />

zusammenbringenden - Anlässen. Dank<br />

den modernen Kommunikationsmitteln<br />

und EDV-Plattformen ist es heute möglich,<br />

gehörlose und schwerhörige Menschen<br />

problemlos zusammen zu bringen.<br />

sonos: Was wünschen Sie sich für die<br />

Zukunft?<br />

Ruben: Ich wünsche mir, Vertrauen in die<br />

Zukunft zu haben und mit Freunden<br />

zusammen s<strong>ein</strong> zu können. Aber aus politischer<br />

Sicht, bin ich zurzeit eher etwas pessimistisch<br />

gestimmt.<br />

Roger Ruggli bedankt sich bei Ruben Rod<br />

für die Offenheit und das spannende und<br />

informative Gespräch.<br />

[rr]<br />

35


Felipe, der<br />

kl<strong>ein</strong>e<br />

Mexikaner<br />

Nun sind seit unserem Mexiko-Urlaub<br />

schon <strong>ein</strong>ige Jahre vergangen. Aber die<br />

Erinnerungen daran sind noch frisch und<br />

lebhaft. Besonders haften geblieben ist<br />

mir das Abenteuer mit dem kl<strong>ein</strong>en Félipe.<br />

Kaum gelandet, stiegen wir aus dem Flugzeug<br />

und verliessen die überlaufenen Touristenmeilen<br />

mit <strong>ein</strong>em klapprigen Mietwagen.<br />

Wie bei uns üblich, wollten wir der<br />

<strong>ein</strong>heimischen Kultur und Natur begegnen.<br />

Da m<strong>ein</strong>e Eltern Spanisch sprechen, lernten<br />

wir viele Einheimische kennen. Es verschlug<br />

uns an immer entlegener Winkel, bis<br />

wir schliesslich in <strong>ein</strong>em verschlafenen<br />

Fischerdorf angelangt waren. Der kl<strong>ein</strong>e<br />

Weiler befand sich an der Spitze <strong>ein</strong>er<br />

langen Halbinsel, umgeben vom Meer und<br />

<strong>ein</strong>er von Vögeln, Fischen und Krokodilen<br />

bewohnten Lagune.<br />

Wir fanden Unterkunft bei <strong>ein</strong>er Fischerfamilie<br />

und genossen <strong>ein</strong>e Woche tropischen<br />

Alltag abseits der Touristenpfade. Jeden<br />

Tag verbrachte Zeit am Strand, im Meer<br />

oder auf Ausflügen in die Mangrovensümpfe<br />

mit den Dorfkindern. Selber<br />

noch Kinder, schlossen ich und m<strong>ein</strong><br />

Bruder rasch Bekanntschaft mit dem<br />

Fischernachwuchs und wurden herzlich von<br />

ihnen aufgenommen.<br />

Als Hobbyangler genoss ich die abendlichen<br />

Stunden im Kreis der vielen Mitangler.<br />

Wir <strong>stellt</strong>en den unüberschaubaren Fischgründen<br />

des Meeres und der Lagune nach<br />

und zogen manche Überraschung an Land.<br />

Niemand brauchte sich über leere Teller zu<br />

beklagen.<br />

Dabei tauschte man sich auch rege über<br />

das Leben in Europa und Mexiko aus.<br />

M<strong>ein</strong>e Hörgeräte wurden bewundert und<br />

Fotos herumgereicht. Einen schwerhörigen<br />

Europäer hatten sie noch nie getroffen und<br />

m<strong>ein</strong>ten, solche gäbe es doch eigentlich<br />

nicht. Da man doch in Europa alles „heilen“<br />

könnte?!<br />

Besonders auf mich aufmerksam wurde <strong>ein</strong><br />

verschmitzter Zehnjähriger, der mir von den<br />

anderen als Félipe vorge<strong>stellt</strong> wurde und<br />

taubstumm war. Er war ganz aus dem Häuschen,<br />

<strong>ein</strong>en europäischen Hörgeschädigten<br />

zu treffen und bestürmte mich<br />

sogleich mit Gebärden. Bis in die Nacht<br />

sassen er und ich im Licht <strong>ein</strong>er Lampe am<br />

Meer und unterhielten uns mit Händen und<br />

Füssen. Félipe wurde immer übermütiger<br />

und erzählte mir immer wildere<br />

Geschichten. Er sei k<strong>ein</strong> armer Junge, sondern<br />

<strong>ein</strong> Prinz mit <strong>ein</strong>em Boot gross wie <strong>ein</strong><br />

Haus und <strong>ein</strong>er Hazienda mit Orangenplantage.<br />

Ungläubig folgte ich s<strong>ein</strong>en Ausführungen<br />

und musste innerlich schmunzeln.<br />

Ob er mir denn das alles zeigen<br />

könnte? fragte ich ihn. Da stampfte er mit<br />

den Füssen auf und m<strong>ein</strong>te trotzig, ich solle<br />

doch am folgenden Tag mit ihm in den<br />

Hafen kommen. Dort sei s<strong>ein</strong> Boot vertäut<br />

und er würde mit mir auf <strong>ein</strong>e Fischertour<br />

fahren. Soso, <strong>ein</strong> <strong>gehörloser</strong> mexikanischer<br />

Naseweis in abgerissenen Klamotten<br />

würde mich mit s<strong>ein</strong>er Yacht ausfahren?<br />

Das versprach spannend zu werden.<br />

Nächstentags fand ich mich mit Angelutensilien<br />

ausgerüstet am Hafen <strong>ein</strong>. Félipe<br />

erwartete mich bereits und zeigte voller<br />

Stolz auf <strong>ein</strong> schneeweisses Juwel mit leistungsstarkem<br />

Aussenbordmotor, eleganter<br />

Führerkabine und getönten<br />

Scheiben. Auf Deck befanden sich Liegestühle<br />

und <strong>ein</strong>e Kühlbox mit Champagner;<br />

Gläser standen in <strong>ein</strong>er kl<strong>ein</strong>en Bar neben<br />

dem ledernen Steuerrad. Alles in allem <strong>ein</strong>e<br />

gediegene Luxussuite auf Wasser, die<br />

James Bond alle Ehre gemacht hätte.<br />

Mit <strong>ein</strong>em sicheren Sprung sprang Félipe<br />

auf das Schiff, löste die Taue und bedeutete<br />

mir, an Bord zu kommen. Ernste Zweifel<br />

hegend, zögerte ich zunächst- doch als er<br />

mit sicheren Griffen den gewaltigen Motor<br />

zum Erwachen brachte und die Schrauben<br />

das Wasser aufzuwühlen begannen, verflogen<br />

m<strong>ein</strong>e Zweifel und wichen freudiger<br />

Erwartung <strong>ein</strong>es sicherlich unvergesslichen<br />

Ausflugs. Wie Recht ich doch hatte.<br />

Rasch beschleunigte Félipe das Boot und<br />

brachte uns aus dem Hafen auf die tiefblaue<br />

See. Zwischen ausgedehnten Mangrovenbeständen<br />

und flachen Sandbänken<br />

hindurch manövrierte er das Schiff gekonnt<br />

bis zu <strong>ein</strong>em abgelegenen Aussenriff<br />

fernab dem Festland. Blaue Weite und<br />

grüne Mangroveninselchen soweit das<br />

Auge reichte.<br />

Begleitet von lärmenden Möwen, die über<br />

uns ihre Bahnen zogen, warfen wir unsere<br />

Köder aus und erlebten <strong>ein</strong>en unerhörten<br />

Fischsegen. Alles, was Zähne hatte,<br />

schnappte nach unseren Angeln. Es verging<br />

kaum <strong>ein</strong>e Stunde, da war das ganze Deck<br />

mit Fischleibern bedeckt und nach <strong>ein</strong>er<br />

weiteren Stunde standen wir bis zu den<br />

Fussknöcheln drin. Nun hätten wir das<br />

ganze Dorf versorgen können und jeder<br />

weitere Fisch wäre <strong>ein</strong> fragwürdiger Fang<br />

gewesen. Also machten wir uns auf den<br />

Rückweg.<br />

Erhobenen Hauptes holte Félipe den Anker<br />

an Bord, startete den Motor und führte uns<br />

wieder sicher durch die Untiefen dem Festland<br />

zu. Doch je mehr wir uns dem Ausgangspunkt<br />

näherten, machte Félipe <strong>ein</strong>e<br />

seltsame Verwandlung durch. Er schien zu<br />

schrumpfen. Zunächst senkte er die Schultern,<br />

begann sich zu ducken und drosselte<br />

die Geschwindigkeit so stark, dass wir im<br />

Schneckentempo auf den Hafen zufuhren.<br />

In Sichtnähe hatte Félipe sich schliesslich<br />

so kl<strong>ein</strong> gemacht, dass er fast hinter der<br />

Maschine verschwand. Nervös blickte er<br />

umher und das schlechte Gewissen stand<br />

ihm im Gesicht geschrieben.<br />

Spätestens als ich das amerikanische Ehepaar<br />

mit hochrotem Kopf am Bootsanlegeplatz<br />

entdeckte, wurde mir klar dass etwas<br />

nicht stimmte. Die beiden piekf<strong>ein</strong>en Leute<br />

rangen sichtlich um die Fassung, als wir<br />

anlegten. Félipe vertäute das Boot mit flie-


genden Händen, ehe er sich mit <strong>ein</strong> paar<br />

raschen Gebärden von der Szene verabschiedete<br />

und verschwand. Perplex sass<br />

ich mitten <strong>ein</strong>es Haufens Fische auf dem<br />

vormals tadellosen Deck. Mit überquellenden<br />

Augen und hervortretenden Adern<br />

betrachtete das Paar m<strong>ein</strong>e hilflose Wenigkeit<br />

auf ihrem Boot, die sie für die verpatzte<br />

Ausfahrt und das verschmierte Prunkstück<br />

verantwortlich machten.<br />

Schreiend machte sich der Herr sogleich<br />

s<strong>ein</strong>er Wut Luft, bekräftigt durch unterstützendes<br />

Nicken und Einwände der Dame.<br />

Des Englischen kaum mächtig, verstand ich<br />

das prasselnde amerikanische Gekeife<br />

überhaupt nicht. Wortlos starrte ich sie an<br />

und hielt mich aus der Reichweite der<br />

feuchten Aussprache und begann, die<br />

Fische <strong>ein</strong>zupacken. Mit <strong>ein</strong>er unbeholfenen<br />

Geste bot ich ihnen unsere Ausbeute<br />

an, was sie bloss noch mehr in Rage versetzte.<br />

Ruhiger wurden sie erst nach gut zwei<br />

Stunden Arbeitsaufsicht über mich, als ich<br />

die letzte Fischschuppe von Bord<br />

geschrubbt hatte. Bloss an der leeren<br />

Champagnerflasche in der Kühlbox konnte<br />

ich nichts ändern. Die hatten wir nämlich<br />

während unseres Ausflugs gesoffen. Doch<br />

das fanden die beiden wohl erst heraus, als<br />

sie ihrerseits auf Tour und ich in Sicherheit<br />

waren.<br />

Nächstentags klopfte es an unserer Hütte.<br />

Vor der Türe stand <strong>ein</strong>e junge Frau mit<br />

Félipe an ihrer Seite. Er war sichtlich verlegen,<br />

während sich Esmeralda als s<strong>ein</strong>e<br />

Schwester vor<strong>stellt</strong>e. Sie entschuldigte<br />

sich überschwänglich für den Vorfall des<br />

Vortages, der inzwischen im ganzen Dorf<br />

die Runde gemacht zu haben schien. Félipe<br />

sei <strong>ein</strong> sehr lieber junge und auch wenn er<br />

hin und wieder Besitzansprüche sprichwörtlich<br />

überhört, wolle er niemandem<br />

etwas zuleide tun. Mir fiel es denn auch<br />

sehr schwer, ihm böse zu s<strong>ein</strong> und zwinkerte<br />

ihm wieder verschmitzt zu.<br />

Als die beiden sich wieder verabschiedeten,<br />

überreichten sie uns noch <strong>ein</strong>en<br />

Sack voller Orangen. Eine kl<strong>ein</strong>e Orangenplantage<br />

besassen sie nämlich tatsächlich!<br />

Den gehörlosen kl<strong>ein</strong>en Félipe vergass ich<br />

nie mehr und traue ihm auch Vieles zu.<br />

Womöglich hat er sich inzwischen zum<br />

echten Prinzen gemacht und fährt mit<br />

s<strong>ein</strong>er Yacht aus?<br />

Ruben Rod<br />

Nebst der Geschichte von Ruben Rod gibt es in der<br />

Publikation „Nächster Halt: Bellinzona!“ weiter 19<br />

Kurzgeschichten aus dem Leben von hörbe<strong>ein</strong>trächtigten<br />

Menschen zu Lesen.<br />

Herausgeber: Zentrum für Gehör und Sprache in<br />

Zürich<br />

37<br />

Stelleninserat<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Aargauischen Maturitätsschule für<br />

Erwachsene in Aarau werden<br />

6 Gehörlose gem<strong>ein</strong>sam mit Hörenden<br />

im Februar 2010 mit<br />

dem Lehrgang<br />

(7 Semester) beginnen.<br />

Der Unterricht wird gehörlosengerecht<br />

und in Gebärdensprache durchgeführt.<br />

Für die Lernbegleitung der Gehörlosen<br />

suchen wir per<br />

01. Februar 2010<br />

TutorInnen<br />

Anstellung 4 – 6 Stunden pro<br />

Woche oder nach Ver<strong>ein</strong>barung<br />

Aufgabenbereich<br />

• Wöchentliche Besprechungen, Lehrstoff<br />

aufarbeiten<br />

• schriftliche Arbeit korrigieren<br />

• Vorbereitungen auf Prüfungen<br />

• Begleitung bei der Maturaarbeit<br />

Anforderungen<br />

• Eidgenössische Matura<br />

• gutes Fachwissen/Kompetenzen<br />

in den Fächern<br />

- Deutsch, Englisch, Französisch<br />

- Mathematik, Naturwissenschaften,<br />

Geisteswissenschaften<br />

- Wirtschaft und Recht<br />

• Kenntnisse der Gehörlosenkultur und<br />

Umgang mit Gehörlosen erwünscht<br />

Wenn Sie Freude haben und<br />

motiviert sind, <strong>ein</strong>e Lernbegleitung in <strong>ein</strong>em<br />

oder<br />

mehreren Schulfächer zu<br />

übernehmen, senden Sie bis am<br />

20. November 2009 Ihre<br />

schriftliche Bewerbung an:<br />

Beratungsstelle für Gehörlose<br />

Telefon 044 311 64 41<br />

Barbara Häberle<br />

haeberle@gehoerlosenfachstellen.ch<br />

Postfach 5231<br />

8050 Zürich


Leben und<br />

Glauben<br />

In dem Augenblick, wo ich diesen Artikel<br />

schreibe, geniesse ich noch die wärmende<br />

Sonne des farbenprächtigen Herbstwetters.<br />

Die Farben der Blätter unserer Bäume<br />

können uns richtig trunken machen im<br />

Schauen.<br />

Da kommt mir <strong>ein</strong> Text von Ernesto Cardenal<br />

in den Sinn, den ich in „Horizonte“,<br />

der Kirchenzeitung im Aargau wieder lesen<br />

durfte. „Wir sind zum Geniessen Gottes<br />

geschaffen. Und darum sind wir nur mit<br />

Gott glücklich“; so die ersten Zeilen des<br />

Gedichtes. Der südamerikanische Befreiungstheologe,<br />

Ernesto Cardenal, bringt es<br />

in s<strong>ein</strong>en wunderbaren Texten auf den<br />

Punkt.<br />

Was haben wir doch für gegenteilige Erfahrungen<br />

mit unserer Kirche gemacht. Die<br />

frohe Bibelbotschaft geriet uns nicht selten<br />

in den falschen Hals und wurde nicht zur<br />

befreienden Botschaft, sondern kehrte sich<br />

um und wurde zur Droh-Botschaft. Auch in<br />

m<strong>ein</strong>er Seelsorgearbeit höre ich von vielen<br />

Menschen diese Furcht und die Angst vor<br />

Haus Vorderdorf<br />

Wohnheim – Alters- und Pflegeheim –<br />

Tagesstätte – Ferienaufenthalte<br />

E I N L A D U N G zum Tag der offenen Türe<br />

Samstag, 28. November 2009<br />

Programm<br />

• Von 13:00 – 16:00 Uhr Hausführungen jede volle Stunde<br />

• Bazar<br />

• Adventsgesteck-Verkauf durch Werkheim Neuschwende<br />

• Kaffeestube<br />

• Geigenensemble der Musikschule Appenzeller Mittelland<br />

• Appenzeller Streichmusik mit Werner Meier, Trogen<br />

Wir sind zum Geniessen<br />

Gottes geschaffen<br />

den letzen Fragen von uns Menschen, die<br />

sich mit Sterben und Tod beschäftigen. Im<br />

November feiern wir auch Tage des Gedenkens<br />

an unsere Verstorbenen. Und in vielen<br />

Gem<strong>ein</strong>den ist es auch noch Brauch, dass<br />

wir Lichter am Fest „Allerseelen“ auf die<br />

Gräber unserer Angehörigen stellen. Da<br />

kommen dann die Fragen auf, was haben<br />

wir wohl nach unserem Sterben zu<br />

erwarten, was zu befürchten? Da steht <strong>ein</strong><br />

Gottesbild vor uns, das bedrückend ist!<br />

Wird uns Gott nicht bestrafen für dies und<br />

jenes, was nicht so glänzend war in<br />

unserem Leben? Da steht die ganze Scham<br />

unserer eigenen Schwachheit vor uns. Allzu<br />

menschlich lassen wir uns vom Rechtsempfinden<br />

unserer Zeit leiten. Schwachheit,<br />

Versagen hat bei uns im menschlichen<br />

Denken k<strong>ein</strong>en Platz mehr. Da gelten nur<br />

noch die Leistung, der Erfolg und die Glanzrolle.<br />

Macht haben um jeden Preis.<br />

Selbst die tiefste Welt-Finanzkrise derzeit<br />

hat uns da erst mühsam die verblendeten<br />

Augen geöffnet. Und schon, las ich neulich<br />

Ernesto Cardenal Martinez<br />

(* 20. Januar<br />

1925 in Granada, Nicaragua)<br />

ist <strong>ein</strong> nicaraguanischersuspendierter<br />

katholischer<br />

Priester, sozialistischer<br />

Politiker und Poet. Er<br />

ist <strong>ein</strong>er der in<br />

Deutschland bekanntesten<br />

Vertreter der<br />

Befreiungstheologie<br />

und gilt nach Rubén<br />

Darío als der bedeutendste<br />

Dichter Nicaraguas<br />

in der Zeitung, machen wir schon wieder<br />

weiter mit menschlichen; eben nicht sinnstiftenden<br />

Händeln.<br />

Und dabei sind wir zum Geniessen Gottes<br />

geschaffen. Befreien wir uns doch endlich<br />

von uns bedrohenden Menschen- und Gottesbildern<br />

vergangener Tage und wenden<br />

uns zur liebenden Freiheit Gottes hin.<br />

Jetzt schon ist es unsere Freude, mit Gott zu<br />

s<strong>ein</strong>, ihm zu vertrauen, ihn zu lieben. Da<br />

können wir uns auch bergen in s<strong>ein</strong>er<br />

Grösse und Herrlichkeit. Und wie gross<br />

wird erst die Freude s<strong>ein</strong>, wenn er uns als<br />

barmherziger Vater, liebende Mutter heimholt<br />

in die Lebensgem<strong>ein</strong>schaft s<strong>ein</strong>es auferstandenen<br />

Sohnes. Das könnte die Botschaft<br />

des Textes von Ernesto Cardenal<br />

ganz s<strong>ein</strong> für die dunkleren Novembertage.<br />

Peter Schmitz-Hübsch<br />

Seelsorger Zürich und Aargau<br />

„Wir sind zum Geniessen Gottes geschaffen.<br />

Und darum sind wir nur mit Gott glücklich.<br />

Obwohl wir Gott nie gesehen haben,<br />

sind wir wie Zugvögel, die an <strong>ein</strong>em fremden Ort geboren,<br />

doch <strong>ein</strong>e geheimnisvolle Unruhe empfinden,<br />

wenn der Winter naht, <strong>ein</strong>en Ruf des Blutes,<br />

<strong>ein</strong>e Sehnsucht nach der frühlingshaften Heimat,<br />

die sie nie gesehen haben und zu der sie aufbrechen,<br />

ohne zu wissen, wohin.“<br />

(Ernesto Cardenal)


Kirchlich Veranstaltungen<br />

Katholische Gehörlosengem<strong>ein</strong>den<br />

REGION AARGAU<br />

Kath. Gehörlosenseelsorge im Kt. Aargau<br />

Theaterplatz 1, 5400 Baden<br />

Peter Schmitz-Hübsch<br />

Gehörlosenseelsorger<br />

Tel. 056 222 13 37<br />

Fax 056 222 30 57<br />

E-Mail peter.schmitz-huebsch@gehoerlosenseelsorgeag.ch<br />

www.gehoerlosenseelsorgeag.ch<br />

Oekumenische Gehörlosen-Jugendarbeit<br />

Zürich und Aargau<br />

Gian-Reto Janki, Jugendarbeiter, gehörlos,<br />

Beckenhofstrasse 16, 8006 Zürich<br />

Telescrit 044 252 51 56<br />

Fax 044 252 51 55<br />

E-Mail info@okja.ch<br />

Vieophone: vp-jugend.dyndns.org<br />

Sonntag, 29. November 2009, 10.30 Uhr<br />

Katholischer Gottesdienst mit hörender<br />

Gem<strong>ein</strong>de Baden, Stadtkirche Baden<br />

REGION ZÜRICH<br />

Katholische Gehörlosenseelsorge<br />

Kt. Zürich<br />

Beckenhofstrasse 16, 8006 Zürich<br />

Telescrit 044 360 51 51<br />

Tel. 044 360 51 51<br />

Fax 044 360 51 52<br />

E-Mail info@gehoerlosenseelsorgezh.ch<br />

www.gehoerlosenseelsorgezh.ch<br />

Sonntag, 29. November 2009, 10.30 Uhr<br />

Katholischer Gottesdienst mit hörender<br />

Gem<strong>ein</strong>de Baden, Stadtkirche Baden<br />

REGION BASEL<br />

Katholische Hörbehindertenseelsorge KHS<br />

Basel, Häslirain 31, 4147 Aesch BL<br />

Tel. 061 751 35 00<br />

Fax 061 751 35 02<br />

E-Mail khs.rk@bluewin.ch<br />

Sonntag, 15. November 2009, 14.00 Uhr<br />

Ökumenische Tagung zum Thema: Johannes<br />

Calvin im Gem<strong>ein</strong>dezentrum Breite, Farnsburgerstrasse<br />

58, Basel. Anmeldung ist nicht nötig. Wir<br />

hoffen, viele von Ihnen zu diesem Anlass<br />

begrüssen zu dürfen. Wir freuen uns. Pfarrer<br />

Rudolf Kuhn und Mitarbeiter, Pfarrerin Anita<br />

Kohler und Mitarbeiter<br />

REGION ST.GALLEN<br />

Katholische Gehörlosenseelsorge<br />

des Bistums St.Gallen<br />

Klosterhof 6b, 9001 St.Gallen<br />

Dorothee Buschor Brunner<br />

Gehörlosenseelsorgerin<br />

Tel. 071 227 34 61<br />

Fax 071 227 33 41<br />

E-Mail gehoerlosenseelsorge@bistum-stgallen.ch<br />

Sonntag, 15. November 2009, 9.30 Uhr<br />

Gottesdienst in der Schutzengelkapelle<br />

am Klosterplatz St. Gallen<br />

Evangelische Gehörlosengem<strong>ein</strong>den<br />

REGION ZüRICH<br />

Kant. Pfarramt für Gehörlose Zürich,<br />

Oerlikonerstr. 98, 8057 Zürich<br />

Ref. Gehörlosengem<strong>ein</strong>de des<br />

Kantons Zürich<br />

Fax 044 311 90 89<br />

E-Mail gehoerlosenpfarramt.zh@ref.ch<br />

Freitag, 2. November, 19.00 Uhr<br />

Gebärdentreff ökumenische Gehörlosen-<br />

Jugendarbeit, Zürich-Oerlikon<br />

Sonntag, 15. November, 10.30 Uhr<br />

Ref. Gottesdienst mit Abendmahl<br />

Hirzelheim Regensberg<br />

Sonntag, 15. November, 13.30 Uhr<br />

Kulturkino, ökumenische Gehörlosen-<br />

Jugendarbeit, Gehörlosenkirche<br />

Zürich-Oerlikon<br />

GEHÖERLOSENGEMEINDE<br />

ST.GALLEN - APPENZELL - GLARUS - THURGAU -<br />

GRAUBÜNDEN - SCHAFFHAUSEN<br />

Pfarrer Achim Menges,<br />

oberer Graben 31,<br />

9000 St.Gallen<br />

Tel. 071 227 05 70<br />

Fax 071 227 05 79<br />

SMS/Mobile 079 235 36 48<br />

E-Mail gehoerlosenseelsorge@ref-sg.ch<br />

www.gehoerlosenseelsorge.ch<br />

Dienstag, 3. November 2009, 16.00 Uhr<br />

Senioren-Andacht in Trogen, Haus Vorderdorf<br />

(Gehörlosenheim) A. Menges<br />

Sonntag, 8. November 2009, 14.15 Uhr<br />

Abendmahls-Gottesdienst in Chur, Regula-Kirche<br />

A. Menges<br />

Sonntag, 15. November 2009,14.30 Uhr<br />

Gottesdienst in Münchwilen, evang. Kirchgem<strong>ein</strong>dehaus<br />

A. Menges<br />

Dienstag, 17. November 2009,16.00 Uhr<br />

Senioren-Andacht in Trogen, Haus Vorderdorf<br />

(Gehörlosenheim) J. Manser<br />

29. November 2009 (1.Advent) 10.45 Uhr<br />

Gottesdienst in Glarus, evang. Kirchgem<strong>ein</strong>dehaus<br />

A. Menges (anschliessend Versammlung<br />

des Gehörlosenver<strong>ein</strong>s Glarus)<br />

REFORMIERTES GEHÖRLOSENPFARRAMT<br />

DER NORDWESTSCHWEIZ<br />

Pfr. Anita Kohler<br />

Friedenssrasse 14, 4144 Arlesheim<br />

Tel./Fax 061 701 22 45<br />

Natel: 079 763 43 29<br />

E-Mail: anita.kohler@ref-aargau.ch<br />

anita.kohler@gmx.ch<br />

Sonntag, 8. November 2009, 10.00 Uhr<br />

Gottesdienst in Olten (AK)<br />

Sonntag, 8. November 2009, 14.30 Uhr<br />

Gottesdienst in Baden<br />

Sonntag, 15. November 2009, 14.00 Uhr<br />

Gottesdienst in Basel<br />

Sonntag, 29. November 2009, 11.00 Uhr<br />

Gottesdienst in Grenchen<br />

REGION BERN, JURA<br />

Ref.-Kirchen Bern-Jura-Solothurn<br />

Bereich Sozial-Diakonie<br />

Schwarztorstrasse 20; Postfach 5461<br />

3001 Bern, Tel. 031 385 17 17<br />

E-Mail: isabelle.strauss@refbejuso.ch<br />

Sonntag, 15. November 2009, 14.00 Uhr<br />

Gottesdienst mit Abendmahl in Burgdorf, Kirchgem<strong>ein</strong>dehaus,<br />

Lyssachstrasse 2<br />

mit Pfarrerin Susanne Bieler<br />

Montag, 16. November, 14.00 Uhr<br />

Belp, Atelier Triebwerk, mit Pfarrerin Susanne<br />

Bieler<br />

Sonntag, 22. November 2009, 14.00 Uhr<br />

Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag mit Abendmahl<br />

in Thun, Kirchgem<strong>ein</strong>dehaus, Frutigenstrasse<br />

22<br />

mit Pfarrerin Susanne Bieler<br />

Sonntag, 29. November 2009, 14.00 Uhr<br />

Abschiedsgottesdienst von Pfarrerin Franziska<br />

Bracher in Bern, Markuskirche, Tellstrasse 35,<br />

mit Pfarrerin Franziska Bracher<br />

Montag, 30. November 2009, 20.00 Uhr<br />

Gottesdienst in der Stiftung Uetendorfberg<br />

mit Sozialdiakon Andreas Fankhauser<br />

Sonntag, 18. Oktober 2009, 17.00 Uhr<br />

Gottesdienst in Bern, Treff G 33, Gutenbergstrasse<br />

33 mit Pfarrerin Annegret Behr und Doris<br />

De Giorgi<br />

Sonntag, 25. Oktober 2009 10.00 Uhr<br />

Gottesdienst mit IGGH in Bern, Calvin Haus,<br />

Marienstrasse 8, 3005 Bern<br />

mit Sozialdiakon Andreas Fankhauser<br />

Montag, 26. Oktober 2009, 14.00 Uhr<br />

Belp, Atelier Triebwerk, mit Pfarrerin Susanne<br />

Bieler<br />

Montag, 26. Oktober 2009, 20.00 Uhr<br />

Gottesdienst mit Abendmahl<br />

Stiftung Uetendorfberg<br />

mit Pfarrerin Franziska Bracher<br />

Dienstag, 27. Oktober 2009, 14.30 Uhr<br />

Gottesdienst mit Abendmahl<br />

Belp, Wohnheim, Seftigenstrasse 101<br />

mit Pfarrerin Franziska Bracher<br />

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