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Ansprache von Landrat Hanns Dorfner - Landkreis Passau

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<strong>Ansprache</strong> <strong>von</strong> <strong>Landrat</strong> <strong>Hanns</strong> <strong>Dorfner</strong> zum<br />

Volkstrauertag am 18. November 2007 an der<br />

Kriegsgräberstätte Hofkirchen<br />

Verehrte Anwesende,<br />

liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger!<br />

„Im Frieden tragen die Söhne die Väter zu Grabe<br />

im Krieg die Väter die Söhne“.<br />

Von Herodot , dem griechischen Begründer<br />

der Geschichtsschreibung, stammt dieses Bild,<br />

das den Schrecken des Kriegs eindringlich ein-<br />

fängt.<br />

Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

erinnern wir an all die Söhne und Töchter, die als<br />

Opfer <strong>von</strong> Krieg und Gewalt vor der Zeit ihr Leben<br />

verloren haben und oft nicht einmal zu Grabe ge-<br />

tragen werden konnten.<br />

Dazu begehen wir Deutschlandweit alljährlich den<br />

Volkstrauertag und immer wieder wirft dieser Tag


viele Fragen auf. Kann ein ganzes Volk – die<br />

Nachkriegsgeneration und die Jugend – gemein-<br />

sam um die Opfer der Kriege und der Gewaltherr-<br />

schaft trauern? Schließlich hat die Nachkriegsge-<br />

neration den Krieg nicht miterlebt. Sie konnte eine<br />

eigene Vorstellung <strong>von</strong> ihm nur aus Erzählungen<br />

der Eltern, anderer Zeitzeugen und aus teilweise<br />

verzerrenden Film- und Fernsehberichten gewin-<br />

nen. Hat also der Volkstrauertag – 62 Jahre nach<br />

Ende des 2. Weltkrieges – noch einen Sinn?<br />

2<br />

Man darf sich die Beantwortung dieser Frage nicht<br />

leicht machen. Nur wenn es uns gelingt, mit nüch-<br />

ternem, kritischem Verstand die Geschehnisse <strong>von</strong><br />

damals, die <strong>von</strong> millionenfachem Sterben erfüllt<br />

waren, zu betrachten und zu beurteilen, erst dann<br />

können wir den Sinn des Volkstrauertages begrei-<br />

fen.<br />

Wir gedenken heute der toten Soldaten und Zivilis-<br />

ten, die zwei Weltkriege forderten; wir gedenken<br />

der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr-<br />

schaft; wir gedenken der Menschen, die in unserer<br />

2


3<br />

Zeit durch Krieg und Hass erfüllte Taten ihr Leben<br />

verloren, wie die drei Bundeswehrangehörigen und<br />

ihre einheimischen Begleiter, die im Mai dieses<br />

Jahres in Afghanistan durch ein Selbstmordatten-<br />

tat umkamen. Wir gedenken der Opfer aus allen<br />

Orten, die <strong>von</strong> Krieg und Gewalt betroffen waren<br />

und sind.<br />

Wir trauern um diese Toten, wir trauern mit den<br />

Angehörigen, wir trauern um das, was Menschen<br />

angetan wurde und wird. Dieser Volkstrauertag er-<br />

innert an immense Verluste. Zahlen stehen im<br />

Raum, die jedes Vorstellungsvermögen überstei-<br />

gen. 55 Millionen Tote allein im 2. Weltkrieg – wer<br />

könnte dies fassen? Deshalb versucht der Volks-<br />

trauertag, hinter Millionen <strong>von</strong> Opfern das individu-<br />

elle Schicksaal zu sehen und den Blick auf das<br />

persönliche Leid der Menschen zu lenken. Denn<br />

hinter jeder Verlustliste verbergen sich lauter ein-<br />

zelne Schicksaale. Jeder einzelne Mensch der<br />

durch Krieg oder Gewalt umkommt, durfte genau<br />

sein Leben nicht zu Ende leben; jeder Mensch der<br />

geht, hinterlässt eine Lücke.<br />

3


Es sind immer Einzelne die sterben: Der Soldat,<br />

der in der Schlacht fällt, die Frau die im Bomben-<br />

4<br />

hagel oder Flucht nicht überlebt, das Kind, das auf<br />

eine Mine tritt, der Mensch, der gequält oder Opfer<br />

eines Anschlags wird. Und jeder Einzelne hat et-<br />

was besessen: Talente und Hoffnungen, Liebe und<br />

Freundschaften. Er hat etwas besessen, was mit<br />

ihm stirbt. Die Gefallenen und Ermordeten, konn-<br />

ten ihre Begabungen nicht entfalten und ihre Zu-<br />

kunftspläne nicht umsetzen; sie durften nicht dar-<br />

um ringen ihre Träume zu verwirklichen; ihnen<br />

blieb es versagt, Partner- oder Elternschaft zu er-<br />

leben; sie konnten ihre Wärme und ihren Lebens-<br />

mut nicht länger an andere weitergeben. Ihr Le-<br />

benswille, ihre vielleicht jugendliche Unbeküm-<br />

mertheit, sie halfen ihnen nichts; sie wurden um ih-<br />

re Zukunft betrogen.<br />

Jeder Tote bedeutet einen Verlust. Immer jedoch<br />

ist es auch ein Verlust für die nächsten Angehöri-<br />

gen und Freunde. Auch sie werden um Lebens-<br />

hoffnungen und die Verwirklichung gemeinsamer<br />

4


Pläne betrogen. Sie empfinden eine Lücke, die oft<br />

noch Jahrzehnte später fühlbar ist.<br />

Der Volkstrauertag ist für Sie ein Tag, der ihrer<br />

Trauer Ausdruck verleiht und der Ihnen im ge-<br />

5<br />

meinsamen Gedenken zeigt, dass Sie nicht allein-<br />

gelassen werden. Es ist dies ein stiller Gedenktag,<br />

denn das unermessliche Leid, das er ins Bewußt-<br />

sein ruft, verträgt keine lauten Worte. Er ist ein Tag<br />

des Innehaltens in alltäglicher Geschäftigkeit und<br />

er ist ein Tag, der ein Zeichen setzt: Wir haben die<br />

Opfer <strong>von</strong> Krieg und Gewalt nicht vergessen! Wir<br />

fragen immer aufs Neue nach den Folgen <strong>von</strong><br />

Krieg und Gewalt.<br />

Die Trauernden, die direkt <strong>von</strong> Leid Betroffenen<br />

können der Erinnerung nicht ausweichen; die An-<br />

deren wollen und sollen es nicht. Denn Erinnern<br />

macht wieder sichtbar, was in der Vergangenheit<br />

liegt; Erinnern holt diese Vergangenheit in die Ge-<br />

genwart hinein. Wenn wir der Toten gedenken,<br />

dann geben wir nicht nur unserer Trauer Ausdruck,<br />

dann fragen wir auch wie es dazu kommen konnte,<br />

5


6<br />

dann fragen wir auch was wir tun können, um neue<br />

Trauer und neues Leid, um neue Verluste zu ver-<br />

meiden.<br />

Wir brauchen nur kurz die Nachrichten einzuschal-<br />

ten, um zu hören und zu sehen, dass viele Regio-<br />

nen der Erde keinen Frieden, keine Freiheit ken-<br />

nen, dass Waffenstillstände und Demokratisie-<br />

rungsprozesse höchst instabil sind und dass unse-<br />

re Welt durch neue Bedrohungen wie dem interna-<br />

tionalen Terrorismus gefährdet ist. Auch Afghanis-<br />

tan, das manche schon befriedet oder auf dem<br />

besten Weg dorthin glaubten, wird nach wie vor<br />

<strong>von</strong> Kämpfen und Anschlägen erschüttert. Das ist<br />

einer breiten Öffentlichkeit bei uns wohl erst durch<br />

das Attentat auf die Bundeswehrangehörigen be-<br />

wusst geworden.<br />

Frieden ist ein Geschenk; so hat es einmal eine<br />

Schülerin formuliert nach einem Gang über eine<br />

Kriegsgräberstätte. Sie - und wie ihr geht es vielen<br />

Jugendlichen -, sie war betroffen <strong>von</strong> dem, womit<br />

sie dort konfrontiert wurde; sie hat spontan einen<br />

6


Vergleich gezogen zwischen dem Gestern und ih-<br />

rem Heute und dabei etwas Entscheidendes er-<br />

kannt.<br />

Ja, meine verehrten Damen und Herren, Frieden<br />

7<br />

und Freiheit sie sind ein Geschenk. Das sagen uns<br />

die Toten, um die wir heute trauern, das sagen und<br />

die Nachgeborenen, die ihren Spuren gefolgt sind<br />

und die Opfer zu sich sprechen ließen. Freilich,<br />

Frieden und Freiheit sind ein Geschenk, das wir<br />

nur behalten, wenn wir uns für seinen Erhalt ein-<br />

setzen, immer und überall.<br />

Einen Konflikt mit Gewalt lösen zu wollen ist immer<br />

noch weit verbreitet; Hass und Fanatismus können<br />

nach wir vor stärker sein als Mitmenschlichkeit und<br />

das Bemühen um Verständigung. Das festzustel-<br />

len ist nur realistisch. Aber genau so realistisch ist<br />

es, darauf zu verweisen, dass Gewalt und Hass<br />

überwindbar sind. Dafür gibt es Mitten in Europa<br />

das Beispiel Nordirland, der früheren Unruhepro-<br />

vinz, wo sich im Frühjahr dieses Jahres die erbit-<br />

terten Gegner <strong>von</strong> einst die Hände reichten. Nach<br />

7


jahrzehntelangen gewalttätigen Auseinanderset-<br />

8<br />

zungen verständigten sich die Parteien auf die Bil-<br />

dung einer gemeinsamen Regierung. Und dieser<br />

Schritt hat das Zeug, der Provinz einen dauerhaf-<br />

ten Frieden zu sichern.<br />

Der Weg zu Frieden und Demokratie ist oft lang<br />

und mühsam, er ist mit Rückschlägen und<br />

manchmal bitteren Kompromissen gepflastert. A-<br />

ber ist gangbar. Die viel beschworene Versöhnung<br />

über den Gräbern, sie ist nicht nur ein Motto für<br />

Sonntagsreden, sondern hat in Europa stattgefun-<br />

den und findet immer wieder statt.<br />

Dieser Weg, sehr verehrte Damen und Herren ist<br />

alternativlos. Und wenn uns die Toten, derer wir<br />

heute gedenken, etwas zu sagen haben, dann<br />

dies: Wir dürfen uns nicht mit Krieg und Gewalt ab-<br />

finden. Wir fühlen uns anderen Werten verpflichtet.<br />

Trauer und Gedenken, liebe Mitbürgerinnen und<br />

Mitbürger, sind nicht leicht zu ertragen. Aber sie<br />

können einen Weg in die Zukunft weisen, einen<br />

8


Weg zu mehr Frieden und Menschlichkeit. Das<br />

Nichtvergessen der schrecklichen Erfahrungen<br />

9<br />

kriegerischer Auseinandersetzungen und terroristi-<br />

scher Anschläge öffnet die Grenze für eine friedli-<br />

che Zukunft – weit über Europa hinaus – für uns<br />

und für die Generationen nach uns – und weit über<br />

diesen Gedenktag hinaus.<br />

Tun wir unser Bestes, arbeiten wir für den Erhalt<br />

des Friedens in der Welt, in Europa und in uns<br />

selbst.<br />

9

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