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Lotperlenfreie Zone? – Eine Betrachtung - EPM Handels AG

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FERTIGUNG<br />

Auf einen klugen Einsatz der Mittel und eine fundierte Beratung kommt es an: Wie sich unliebsame Überraschungen<br />

beim bleifreien Wellenlöten unter Schutzgas vermeiden lassen<br />

<strong>Lotperlenfreie</strong> <strong>Zone</strong>? <strong>–</strong> <strong>Eine</strong><br />

<strong>Betrachtung</strong><br />

Oliver Kägi und Ute Zimmermann<br />

Klein sind sie. So klein, dass man sie oftmals mit bloßem Auge überhaupt<br />

nicht erkennen kann. Und doch verursachen sie einen Riesen-Wirbel,<br />

denn die gesamte lötende Industrie thematisiert sie. Die Rede ist von der<br />

Lotperle, die sich mit unglaublicher Standhaftigkeit beharrlich immer<br />

wieder dort einnistet, wo sie nichts zu suchen hat: auf den Lötstopplacken<br />

von Leiterplatte und Baugruppe, zwischen Steckerleisten oder unmittelbar<br />

neben den Lötpads, auf der Bestückungs- und auf der Lötseite.<br />

Und obwohl über die Entstehung<br />

der Lotperlen, ihre Ursachen und<br />

auch über Wechselwirkungen<br />

zwischen den einzelnen Einflussfaktoren<br />

weitestgehend Einigkeit herrscht,<br />

bekommt man dieses kleine Teilchen,<br />

das alles andere als ein Schmuckstück<br />

ist, nicht wirklich in den Griff.<br />

Der Flu(g)ch der Lotperlen<br />

Sie haben viele Ursachen. Generell kann<br />

man sagen, dass Lotperlen beim Wellenlöten<br />

dann entstehen, wenn die Geschwindigkeit,<br />

mit der die Leiterplatte<br />

transportiert wird, nicht mit der Geschwindigkeit<br />

der abfliessenden Welle<br />

übereinstimmt, denn dann kann das Lot<br />

nicht ungehindert in die Welle zurückfliessen.<br />

Anders ausgedrückt: wenn das<br />

Lot schneller abreisst, als es in die Welle<br />

zurückfliessen kann, dann entsteht mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit eine Lotperle.<br />

Unterschieden wird dabei zwischen den<br />

sogenannten zufälligen und den systematischen<br />

Lotperlen. Die zufälligen Lotperlen<br />

treten auf der Bestückungsseite<br />

der Baugruppe oder Leiterplatte auf und<br />

entstehen, wenn das geschmolzene Lot<br />

mit hoher Feuchtigkeit oder mit einem<br />

großen Anteil an Lösungsmittelrückständen<br />

vom Flussmittel durch die Bohrung<br />

hochsteigt. Die Folge ist eine explosionsartige<br />

Verdampfung, und die sorgt<br />

dafür, dass diese kleinen Partikel hochfliegen<br />

und zufällig irgendwo auf der<br />

20<br />

Platine landen. Wenn man Glück hat,<br />

landen sie »schön übersichtlich« und liegen<br />

so, dass sie keinen Schaden anrichten<br />

können - der Zufallsflug kann aber<br />

auch anders enden. So können die Lotperlen<br />

beispielsweise unter Bauteile<br />

kullern und irgendwo festsitzen und<br />

dann später unbemerkt Funktionsfehler<br />

auslösen, oder sie können zu Brückenbildung<br />

und Elektromigration beitragen.<br />

»Die Lotperlen auf der Bestückungsseite<br />

sind meistens in einiger Entfernung von<br />

den durchkontaktierten Bohrungen und<br />

vorrangig auf dem Lötstopplack zu finden.<br />

Je weiter entfernt sie vom Ursprungsort<br />

weggeschleudert werden,<br />

desto kühler sind sie beim Auftreffen auf<br />

die Platine. Da die Partikel beim Auftreffen<br />

entweder noch pastenartig oder<br />

schon fest sind, findet eine eher mechanische<br />

und relativ schwache Adhäsion<br />

statt, die auf der Verformung des Lötstopplacks<br />

oder der Lötperle beruht«, so<br />

Eli Westerlaken, CEO des Flußmittelherstellers<br />

Cobar Europe B/V mit Sitz im holländischen<br />

Breda.<br />

Lotperlen mit System<br />

Die systematischen Perlen haben ihren<br />

Namen deshalb, weil ihre Anhaftung auf<br />

der Wellenlötseite der Leiterplatte System<br />

hat, denn sie verteilen sich in direkter<br />

Beziehung zum Leiterplattenlayout<br />

und zur Bauteilanordnung. Sie befinden<br />

sich meist unmittelbar neben den Löt-<br />

pads und treten nur in bestimmten Bereichen<br />

auf, etwa zwischen Bauelemente-Anschlüssen.<br />

»Diese Perlen entstehen<br />

durch den Abreißmechanismus des Lotes,<br />

und der steht in direktem Zusammenhang<br />

mit einer reibungslosen Benetzung<br />

der Lötpads durch die Lötwelle.<br />

Deshalb haben Faktoren wie die Länge<br />

der Bauteilanschlüsse oder das Pad Design<br />

selbst einen starken Einfluß auf die<br />

Lotperlenbildung«, führt Westerlaken<br />

weiter aus. Und obwohl sicherlich auch<br />

ein gewisser Prozentsatz von Lotperlen<br />

auf der Platinenunterseite auf Lotspritzer<br />

durch zurückfallendes Lot zurückgeführt<br />

werden könne, so haben umfangreiche<br />

Tests im Hause Cobar ergeben, daß der<br />

Abreißmechanismus des Lotes beim Verlassen<br />

der Lötwelle Energie freisetze, die<br />

einen dominanten Anteil an der Bildung<br />

von Lotperlen habe.<br />

Ein anderer Grund für die Entstehung<br />

von Lotperlen ist die fortschreitende Miniaturisierung.<br />

Die Bauteile werden immer<br />

kleiner, demzufolge auch das Rastermaß,<br />

also der Abstand von Bohrungsmitte<br />

zu Bohrungsmitte. Die Integration<br />

der Bauteile wird höher, auf der Platine<br />

müssen immer mehr Anschlüsse Platz<br />

finden. <strong>Eine</strong> gefährliche Entwicklung,<br />

die sowohl den zufälligen als auch den<br />

systematischen Lotperlen eine wesentlich<br />

höhere Trefferquote beschert, da sie<br />

so schneller Schaden anrichten können.<br />

Klein, kleiner, am kleinsten<br />

Darüber, ob und wie viele Lotperlen auf<br />

einer definierten Fläche erlaubt sind,<br />

gibt es Regeln - und doch erhitzt diese<br />

Frage die Gemüter. Während beispielsweise<br />

die US-amerikanische Militärnorm<br />

MIL-STD-2000A gar keine Lotperlen<br />

zulässt, fordert die IPC-Norm (Allgemeine<br />

Anforderungen an das Löten von<br />

elektrisch leitenden Verbindungen, AN-<br />

SI-IPC-S-815B) keine Lotperlen, wenn<br />

deren Durchmesser 0,13 mm überschrei-<br />

SMT 8-9/2006


FERTIGUNG<br />

tet, oder aber weniger als 5 Lotperlen mit<br />

einem Durchmesser von weniger als 0,13<br />

mm pro Quadratzoll. Da auch diese Anforderungen<br />

mit den meisten verfügbaren<br />

Lötstopplacken nicht bzw. nur durch<br />

kosten- und zeitintensives Säubern und<br />

Nacharbeiten erreicht werden können,<br />

haben einige Hersteller besagte IPC<br />

Norm für sich umformuliert und erlauben<br />

festanhaftende Lotpartikel bis zu einem<br />

Durchmesser von 0,2 mm, vorausgesetzt,<br />

es befinden sich nicht mehr als 5 Lotperlen<br />

auf einer Fläche von 25 mm². Wilhelm<br />

Peters, freiberuflicher Consultant<br />

im Bereich Wellenlöttechnik und derzeit<br />

bei Heraeus in Hanau in der Entwicklung<br />

von Wellenflußmitteln tätig, kennt dieses<br />

Problem sehr genau: »Diese Normen<br />

werden immer wieder aufgeweicht,<br />

eben weil es viel zu viele Lotperlen bedingende<br />

Einflussfaktoren gibt. Bei den<br />

meisten meiner Kunden sieht die Praxis<br />

so aus, dass Lotperlen selbst auf Baugruppen<br />

akzeptiert werden, wenn sie<br />

nicht lose in der Gegend herumfallen<br />

und somit auch keinen Schaden anrichten<br />

können«. Schlussendlich sei dies Abwägungs-<br />

und Ermessenssache, so Peters<br />

- natürlich nur, wenn es sich nicht<br />

um sicherheitsrelevante Lötungen handele,<br />

aber »diese Lötungen, etwa wenn<br />

es um die Motorelektronik im Automobilbau<br />

oder in der Luft- und Raumfahrt geht,<br />

werden ja nach der Funktionsprüfung<br />

der Leiterplatte oder Baugruppe sowieso<br />

überlackiert«.<br />

Utopia<br />

Also alles nur »Hype« und man kann mit<br />

Lotperlen eigentlich ganz gut leben? Die<br />

ganze Aufregung um die schon seit den<br />

70er Jahren immer wieder Gesprächsstoff<br />

liefernde Lotperle demnach umsonst?<br />

Nein. Die Gespräche, die mit der<br />

FCKW-Thematik begannen, haben natürlich<br />

ihre Berechtigung. Damals hatte<br />

man - noch wenig umweltbewusst - die<br />

gelötete Leiterplatte nämlich einfach mit<br />

FCKW abgespült, und gut war’s. Und seit<br />

im April 1975 erstmals das durch FCKW<br />

verursachte Ozonloch thematisiert wurde<br />

- bis hin zum strikten FCKW-Verbot,<br />

das auf der sogenannten Ozonkonferenz<br />

im Mai 1989 in Helsinki ausgesprochen<br />

wurde - sucht man nach Alternativen<br />

und führt Experimente durch, die die lotperlenfreie<br />

<strong>Zone</strong> in der Leiterplattenund<br />

Baugruppenfertigung zum Ziel haben.<br />

Ein Ziel, was - man muss es so sagen<br />

- trotz unzähliger Versuche, Experimente<br />

und noch so vieler Praxistests bis<br />

heute nicht erreicht wurde. Viele Experten<br />

erklären hier sogar klar den Wunsch<br />

22<br />

zum Vater des Gedanken und verweisen<br />

die gänzlich lotperlenfreie Fertigung<br />

nach Utopia. Die jetzt in Kraft getretene<br />

RoHS-Richtlinie vereinfacht die Aufgabenstellung<br />

nicht gerade, denn die zumeist<br />

aggressiveren bleifreien Lote wollen<br />

richtig angewandt werden, um Migrationsverhalten<br />

und Lotperlenbildung<br />

»sozialverträglich« zu gestalten. Ob sich<br />

letztere komplett und für immer vermeiden<br />

lässt oder ob eine Optimierung das<br />

realistischere Ziel ist, daran scheiden<br />

sich die Geister.<br />

Das Zusammenspiel muss<br />

funktionieren<br />

Neben Geometrie und Design der Leiterplatte<br />

gibt es nämlich noch viele andere<br />

Faktoren, die für die Lotperle »zuständig«<br />

sind. Das geht über den Lötstopplack,<br />

das Flussmittel, die Art der Vorheizung,<br />

das Lot selbst, die Geometrie der Welle<br />

und hört beim Abkühlprozess und beispielsweise<br />

der Umgebungsbeschaffenheit<br />

(Luftfeuchtigkeit) noch lange nicht<br />

auf. Und natürlich spielt auch die Lötmaschine<br />

in dem gesamten Prozess eine<br />

nicht zu unterschätzende Rolle, insbesondere<br />

wenn es gilt, nacheinander<br />

bleifreie und bleihaltige Legierungen zu<br />

verarbeiten. »Sie können alle Parameter<br />

noch so gut aufeinander abgestimmt haben<br />

- Flussmittel, Lötstopplack, Legierung,<br />

Wellenhöhe oder Transportgeschwindigkeit<br />

der Leiterplatte: wenn<br />

beispielsweise die Vorheiztemperatur<br />

falsch eingestellt ist, die Lüftung nicht<br />

optimal arbeitet oder wenn das falsche<br />

Flussmittel eingesetzt wird, dann können<br />

Sie das Ergebnis meist vergessen«,<br />

so Hans Isler, Inhaber und Vorstand der<br />

<strong>EPM</strong> <strong>Handels</strong> <strong>AG</strong> aus Geroldswil bei Zürich<br />

und Produzent der weltweit ersten<br />

automatischen Duplex-Lötanlage für<br />

bleifreie und bleihaltige Legierungen. In<br />

der Praxis beginnen die Probleme allerdings<br />

oftmals schon viel früher, nämlich<br />

bereits vor der Produktion, bei der angelieferten<br />

Leiterplatte: »Natürlich gibt es<br />

bei Anlieferung der Leiterplatten in den<br />

Werken eine technische Prüfung als Eingangskontrolle,<br />

aber wer bitte prüft die<br />

Zusammensetzung des aufgetragenen<br />

Lötstopplacks, und wer fragt nach, welche<br />

Materialien in der Platine verarbeitet<br />

sind? Die Tatsache, dass der Lack sauber<br />

aufgetragen ist, sagt noch nichts darüber<br />

aus, wie ausgehärtet er ist oder welchen<br />

Einfluss er auf die Bildung von Lotperlen<br />

haben wird, darauf achtet bislang kaum<br />

jemand«, berichtet Isler aus seiner langjährigen<br />

Praxis.<br />

Ursache Nr. 1: der Lötstopplack<br />

Damit liegt der Finger eindeutig in der<br />

ersten Wunde, denn: treibt man Ursachenforschung<br />

für die Auslöser von Lotperlen<br />

und wichtet sie, dann ist der auf<br />

die Leiterplatte aufgetragene Lötstopplack<br />

und seine Zusammensetzung zweifelsfrei<br />

mit über 50% der Haupteinflussnehmer<br />

auf die Lotperlenbildung. Am<br />

häufigsten eingesetzt werden bei den<br />

Lacken die sogenannten 2-Komponenten-Systeme,<br />

bestehend aus einer harzhaltigen<br />

(und damit klebrigen) A-Komponente<br />

und einer Härterkomponente<br />

(B-Komponente), die für die Beständigkeit<br />

und die physikalischen und chemischen<br />

Endeigenschaften der beschichteten<br />

Leiterplatte zuständig ist. Doch<br />

Vorsicht ist geboten, denn trotz des vom<br />

Grundsatz her ähnlichen strukturellen<br />

Aufbaus und trotz ähnlicher Rezeptur<br />

gibt es in der Konsistenz der Lacke gewaltige<br />

Unterschiede. Die Gründe hierfür<br />

erläutern Dipl.-Ing. Sven Kramer, Leiter<br />

Anwendungstechnik, und Dipl.-Ing. Rü-<br />

SMT 8-9/2006


diger Dietrich, Technischer Leiter bei den<br />

Lackwerken Peters aus Kempen, und unterstreichen<br />

damit gleichzeitig die Forderung<br />

des <strong>EPM</strong>-Chefs: »Das liegt zum<br />

einen an der Qualität bzw. Reinheit der<br />

eingesetzten Rohstoffe, die von Charge<br />

zu Charge nur minimalste Abweichungen<br />

haben dürfen, und zum anderen an<br />

der Abstimmung der einzelnen Rohstoffkomponenten<br />

der Lackformulierungen<br />

untereinander. Daraus können große<br />

Unterschiede im Hinblick auf die Lotperlenbildung<br />

resultieren, daher sollte auch<br />

jeder Bestandteil eines Lötstopplacks<br />

hinsichtlich seines Einflusses auf die<br />

Entstehung von Lotperlen genauestens<br />

untersucht werden.«<br />

Bürstmodule haben sich nicht<br />

bewährt<br />

Also sind die Lackhersteller gefordert,<br />

die Anhaftung von Lotperlen durch geeignete<br />

Rezepturen deutlich zu minimieren<br />

oder, wenn möglich, zu eliminieren.<br />

Dabei darf allerdings nicht vergessen<br />

werden, dass die Aufgaben des Lötstopplacks<br />

auf der Leiterplatte nicht beeinträchtigt<br />

werden dürfen: die Lacke<br />

müssen als Isolierstoff über den nicht zu<br />

lötenden Stellen der Baugruppe funktionieren,<br />

sie müssen gegenüber dem flüssigen<br />

Lot beständig sein, auf den unterschiedlichen<br />

Untergründen fest haften<br />

bleiben und natürlich durch ihren Einsatz<br />

im Lötprozess Lötzinn einsparen.<br />

Nicht zu vergessen: die gute Umweltverträglichkeit<br />

und die immer öfter geforderte<br />

kostengünstige Verarbeitung. Vor<br />

diesem Hintergrund - und mit der Zielsetzung<br />

der Lotperlenminimierung - haben<br />

Kramer und Dietrich einige Versuche<br />

ausgeführt, bei der sie der Oberfläche<br />

des Lötstopplacks im mikroskopischen<br />

Bereich eine gewisse Rauhigkeit gegeben<br />

haben: »Wir haben die Oberfläche<br />

zunächst mit Bürstmodulen oder auch<br />

mit bestimmten chemischen Lösungen<br />

behandelt, haben dies aber schnell wieder<br />

aufgegeben, weil diese Verfahren<br />

nicht praxisgerecht sind und ausserdem<br />

leicht zu Schäden der Beschichtung führen<br />

können. Freigelegte Leiter würden<br />

oxidieren und die Zuverlässigkeit der<br />

Flachbaugruppe reduzieren, eine nachträgliche<br />

Bearbeitung der Lackoberfläche<br />

ist damit hinfällig«. Weitere Experimente<br />

mit Rezepturveränderungen<br />

durch Füllstoffe in den Lackwerken haben<br />

ergeben, dass sich durch den Einsatz<br />

von sehr feinen Füllstoffen auf der Lackoberfläche<br />

eine Mikrorauhigkeit erzeugen<br />

lässt, die bewirkt, dass im Vergleich<br />

zu Standardlacken tatsächlich weniger<br />

Lotperlen anhafteten: »Lotperlen von einer<br />

Größe von mehr als 0,2 mm konnten<br />

bei einer bestimmten Rezeptierung mit<br />

feinen Füllstoffen sogar vollständig beseitigt<br />

werden«, so die Ingenieure.<br />

No clean und VOC-frei<br />

Der zweite Hauptverursacher von Lotperlen<br />

mit einer Gewichtung von ca.<br />

20% ist eindeutig das Flussmittel. Auch<br />

hier gab es seit Einführung der no clean-<br />

Flussmittel erhebliche produktionstechnische<br />

Veränderungen, denn die Aufgabe<br />

der Halogene - das Aufbrechen der<br />

Oxyde - mußten nun andere Substanzen<br />

übernehmen. Das war die Geburtsstunde<br />

der - im Vergleich zu Halogen (Festkörperanteil<br />

15 - 20%) - festkörperarmen<br />

no clean Flussmittel (Festkörperanteil<br />

2 - 4%). Diese gravierende Veränderung<br />

bedeutete gleichzeitig, dass die<br />

Lötqualität deutlich besser werden<br />

musste, um das gleiche stabile Ergebnis<br />

wie bisher zu erzielen: die Meßlatte lag<br />

nach wie vor bei einer Fehlerquote von<br />

100 ppm. Also waren die Flussmittelhersteller<br />

gefordert - und sind es heute immer<br />

noch.<br />

Die primäre Aufgabe des Flußmittels<br />

ist es, den Aufschmelzvorgang des Lots<br />

zu unterstützen, die Werkstoffoberflächen<br />

sauber zu halten und die Oxyd-<br />

schichten, die sich unter Lufteinwirkung<br />

auf fast allen Metallen bilden, zu beseitigen;<br />

gleichzeitig setzt es die Oberflächenspannung<br />

des Lotes herab, und<br />

auch das wirkt sich günstig auf eine geringere<br />

Lotperlenbildung aus. Im Handel<br />

sind sowohl wasser- als auch alkoholba-<br />

FERTIGUNG<br />

sierende Flussmittel erhältlich, wobei<br />

sich in der Praxis - speziell beim bleifreien<br />

Löten - die wasserbasierenden, VOCfreien<br />

Flussmittel durchzusetzen scheinen.<br />

»Die Gründe hierfür liegen auf der<br />

Hand,« erklärt der technische Berater Peters.<br />

Zum einen sind wasserbasierende,<br />

VOC-freie Flussmittel umweltfreundlicher<br />

und vertragen sich daher auch besser<br />

mit bleilosen Legierungen, zum anderen<br />

sparen sie den Unternehmen Geld,<br />

denn für alkoholbasierende Flussmittel<br />

müssen gezielte Sicherheitsvorkehrungen<br />

getroffen werden. Beispielsweise<br />

müssen diese Art Flussmittel in speziellen<br />

Sicherheitsschränken bei einer bestimmten<br />

Temperatur lagern, und außerdem<br />

muss es gesondert entsorgt werden.<br />

Vielen ist das einfach zu umständlich.<br />

Mal bei Coca-Cola nachgefragt?<br />

Auch wenn die neuen Flussmittel in der<br />

Regel gut sind und bereits seit vielen<br />

Jahren erforscht werden: die Technologie<br />

steht noch relativ am Anfang, die<br />

bleifreie Zeit ist gerade erst angebrochen.<br />

Doch leider gibt es im immerwährenden<br />

Preiskampf auch schwarze Schafe<br />

unter den Herstellern, vor denen man<br />

sich noch nicht einmal schützen kann.<br />

Diese Erfahrungen muß <strong>EPM</strong>-Chef und<br />

Maschinenlieferant Isler leider immer<br />

wieder machen. Die Hauptursache für<br />

diesen Umstand ist in seinen Augen klar:<br />

„Wenn Sie die Flussmittelhersteller nach<br />

der Rezeptur ihrer Flussmittel fragen,<br />

könnten Sie genauso gut Coca Cola um<br />

deren Rezept bitten. Kein einziger Hersteller<br />

legt die Rezepturen seiner Flussmittel<br />

offen, und es ist völlig unverständlich,<br />

dass das in diesem Umfang noch erlaubt<br />

ist. <strong>Eine</strong>rseits verstehe ich natürlich,<br />

dass jemand mit einer besonderen<br />

Rezeptur seine Wettbewerbsfähigkeit<br />

schützen und erhalten will, aber andererseits<br />

müssen die Elektronikfertiger<br />

und Maschinenhersteller doch wenigstens<br />

die Chance bekommen, sich vor ungewollten<br />

und sogar zerstörend wirkenden<br />

Ingredienzen zu schützen. Wir haben<br />

es gerade erst erlebt, dass ein Flussmittelhersteller<br />

seinem Flussmittel als<br />

Festkörper Chlor untergemischt und diese<br />

Tatsache verschwiegen hat, mit dem<br />

Ergebnis, dass ganze Maschinenteile<br />

weggefressen wurden. Da reden wir<br />

dann nicht nur von dem Defekt, der an<br />

der Maschine entstanden ist, sondern<br />

gleichzeitig von einem Produktionsausfall,<br />

und das wird dann richtig teuer. So<br />

ein Verhalten findet Isler einfach unverantwortlich:<br />

»Hier wird eine Grenze<br />

deutlich überschritten«.<br />

SMT 8-9/2006 23


FERTIGUNG<br />

Hitzige Reaktionen<br />

Wenn Lotperlenverursacher Nr. 1, der<br />

Lötstopplack, mit ca. 50% zu Buche<br />

schlägt, und Grund Nr. 2, das Flussmittel,<br />

noch gut 20% zu den Lotperlen beiträgt,<br />

bleiben noch knapp 30% für andere<br />

Gründe übrig - und die liegen in den Lötmaschinen<br />

und in den schier unendlichen<br />

Lötparametern. Es herrscht weitestgehend<br />

Einigkeit darüber, dass<br />

durch Einführung des bleifreien Lötens<br />

per se mehr Lotperlen entstehen. Zwar<br />

ist die Oberflächenspannung der bleifreien<br />

Lote größer als die der bleihaltigen,<br />

auf der anderen Seite kann man<br />

dem aber, wie beschrieben, durch das<br />

geeignete Flussmittel entgegenwirken.<br />

In jedem Fall spielt die Temperatur eine<br />

große Rolle, und so muss dann auch den<br />

bei bleifreien Legierungen deutlich erhöhten<br />

Löttemperaturen Rechnung getragen<br />

werden. Das fängt mit der Vorheizung<br />

an: <strong>EPM</strong>-Lötmaschinen verfügen<br />

deshalb über eine Konvektionsheizung,<br />

die dafür sorgt, dass das Flussmittel genau<br />

zum richtigen Zeitpunkt aktiviert<br />

wird und dass das Lösungsmittel rechtzeitig<br />

vor Eintritt der Leiterplatte in das<br />

Lötbad verdampft. Und auch die<br />

Schmelz- und Löttemperaturen sind<br />

deutlich höher: der Schmelzpunkt von<br />

bleihaltigem, eutektischem Lot liegt bei<br />

183 Grad, die Löttemperatur beträgt 250<br />

Grad. Bei bleifreien Loten kommt man<br />

deutlich mehr ins Schwitzen: hier liegt<br />

die Schmelztemperatur zwischen 220<br />

und 230 Grad, die Löttemperatur bei ca.<br />

260 Grad (z.B. SAC). Ein gewaltiger Unterschied,<br />

der allerdings durch die Vollstickstoffmaschinen<br />

und auch durch die<br />

teilbegasten <strong>EPM</strong>-Anlagen wieder aufgefangen<br />

wird. Dass eine Schutzgasatmosphäre<br />

das bleifreie Löten unterstützt,<br />

ist unumstrittten, denn unter Schutzgas<br />

können die Löttemperaturen wieder<br />

niedriger sein, das Prozessfenster ist damit<br />

fast genauso gross wie vorher auch.<br />

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die<br />

Stickstoffatmosphäre die Benetzung unterstützt.<br />

Ausserdem wird unter Schutzgas<br />

weniger Flussmittel benötigt, wodurch<br />

die Flussmittelrückstände, die<br />

Feuchtebelastung und - last but not least<br />

- auch wieder die Bildung von Lotperlen<br />

deutlich reduziert werden. Nicht zu vergessen,<br />

dass sich unter Stickstoff deutlich<br />

weniger Krätze bildet, der Wartungsaufwand<br />

der Maschine geringer ist<br />

und die Zuverlässigkeit der Baugruppen<br />

erhöht wird.<br />

Ein anderer Lotperlen beeinflussender<br />

Faktor ist die Welle selbst. Wenn die<br />

Welle läuft, beginnt ein Oxidationsprozess;<br />

dabei ist es erwiesen, dass die Oxi-<br />

24<br />

dationsrate unter Normalatmosphäre bei<br />

bleifreien Loten 10 - 12 mal höher liegt<br />

als bei bleihaltigen. Und auch hier<br />

schafft die Stickstoffmaschine Abhilfe,<br />

denn das Schutzgas hält die Oxidationsrate<br />

auf einem sehr erträglichen Maß.<br />

Auch die Kontaktzeit, die die Welle mit<br />

dem Lot hat, spielt eine Rolle: betrug sie<br />

beim bleihaltigen Löten 2 - 2,5 Sekunden,<br />

so erhöht sich diese Zeit beim bleifreien<br />

Löten auf 3,5 - 4 Sekunden.<br />

Auf in eine lotperlenfreie Zukunft?<br />

Kann die lotperlenfreie <strong>Zone</strong> jemals Realität<br />

werden? Wir meinen, ganz realistisch<br />

gesehen: Nein. Dazu sind viel zu<br />

viele Faktoren ausschlaggebend, zu viele<br />

Parameter, die im jeweiligen Zusammenspiel<br />

und unter veränderten äußeren<br />

wie inneren Gegebenheiten immer<br />

anders wirken werden. Ganz zu schweigen<br />

von den Faktoren, die die großen Unbekannten<br />

sind und die allein deshalb<br />

schon nicht plan- oder kalkulierbar sind.<br />

Das fängt bei der Zusammensetzung von<br />

Lötstopplack und Flussmitteln an, geht<br />

über Produktionsumgebungen und -<br />

bedingungen wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit,<br />

über Einflussparameter<br />

beispielsweise für Brückenbildung und<br />

Durchsteigeverhalten (Flussmittelmenge,<br />

Vorheiztemperatur, Löttemperatur,<br />

Kontaktzeit) und hört bei den Maschinenvoraussetzungen<br />

noch lange nicht<br />

auf. Nicht zuletzt die Anzahl der möglichen<br />

zu verwendenden Materialien<br />

macht dies noch mal mehr deutlich: ein<br />

Produktionsleiter einer Leiterplattenfabrik<br />

arbeitet heute mit mindestens 50<br />

verschiedenen Sorten Lötstopplack,<br />

mindestens genau so viele verschiedene<br />

Flussmittel sind im Einsatz. Wenn man<br />

alle diese Faktoren in Betracht zieht,<br />

auch in ihrer jeweiligen Wechselwirkung,<br />

dann kann wohl niemand ernsthaft<br />

die lotperlenfreie Zeit vorhersagen.<br />

Wertschöpfungskette gemeinsam<br />

steigern<br />

Noch lange kein Grund, zu resignieren,<br />

sondern vielmehr, sich der Realität zu<br />

stellen und das Beste daraus zu machen.<br />

<strong>EPM</strong>-Chef Isler: »Wo gehobelt wird, fallen<br />

Späne, und wo gelötet wird, entstehen<br />

Lotperlen - das wird sich nie ändern.<br />

Und trotzdem können wir als Hersteller<br />

eine Menge zum problemfreien Lötprozess<br />

beitragen: durch unsere Maschinen-Technologie<br />

trocknet das Flussmittel<br />

zuverlässig, und in dem wir die Geometrie<br />

der Welle ändern, sprich: sie verstellbar<br />

machen, können wir den Abriss<br />

des Lotes weiter optimieren. Hinzu<br />

kommt, dass wir unseren Kunden je nach<br />

zu fertigendem Produkt Hinweise und<br />

Empfehlungen über die einzusetzenden<br />

Materialien geben, und dies dann auch<br />

bei Probelötungen immer wieder etlichen<br />

Praxistests unterziehen«. Aber auch<br />

die anderen Marktteilnehmer könnten<br />

ihren Beitrag zur Lotperlenreduzierung<br />

leisten: »Lackhersteller können für noch<br />

weniger Lotperlenanhaftung sorgen,<br />

und Flussmittel können weiter optimiert<br />

werden. Wenn jedes Glied in der Kette<br />

bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen<br />

und die Karten ein wenig offener<br />

auf den Tisch zu legen, dann erreichen<br />

wir für den Kunden gemeinsam eine<br />

deutliche Steigerung seiner Wertschöpfungskette«,<br />

macht Isler deutlich.<br />

Und schnippt eine winzige Lotperle von<br />

der gerade abgekühlten Leiterplatte.<br />

Oliver Kägi ist Vertriebsleiter bei der <strong>EPM</strong><br />

<strong>Handels</strong> <strong>AG</strong> aus Geroldswil bei Zürich,<br />

Ute Zimmermann ist freie Journalistin in<br />

Wiesbaden-Auringen.<br />

o.kaegi@epm.ch<br />

ute@europresence.de<br />

SMT 8-9/2006

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