anton dobay / oswald tschirtner - Museum Gugging
anton dobay / oswald tschirtner - Museum Gugging
anton dobay / oswald tschirtner - Museum Gugging
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
[duo.! – <strong>anton</strong> <strong>dobay</strong> / <strong>oswald</strong> <strong>tschirtner</strong>]<br />
Kurator Johann Feilacher über Oswald Tschirtner<br />
(Auszüge aus dem Ausstellungkatalog)<br />
Oswald Tschirtner wurde am 24. Mai 1920 in Perchtoldsdorf bei Wien geboren und besuchte<br />
das Gymnasium im Priesterseminar in Hollabrunn, Niederösterreich. Er maturierte mit<br />
Auszeichnung, wurde zum Reichsarbeitsdienst und danach zum Militärdienst eingezogen. In<br />
französische Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er im August 1946 an die österreichische<br />
Grenze gebracht und freigelassen. Nach seiner Rückkehr hatte er psychische Probleme, die<br />
ihn in eine psychiatrische Klinik brachten. Seit 1947 lebte er in einer solchen Abteilung, seit<br />
1981 im Haus der Künstler in <strong>Gugging</strong>.<br />
Er war einer der ersten Künstler, die Leo Navratil entdeckte. Zahlreiche Publikationen<br />
machten Tschirtners genialen Kopffüßler weltbekannt, dass er aber ein Meister der minimalistischen<br />
Bildauflösung war, wurde hingegen kaum verstanden und gewürdigt.<br />
Der Künstler hat nie aus eigener Initiative gezeichnet, anfangs hat Navratil ihn dazu ermuntert,<br />
später habe ich diese Aufgabe übernommen. Tschirtner hatte immer Schwierigkeiten,<br />
sich zu etwas aufzuraffen und Entscheidungen zu treffen. Er wollte auch durchaus gebeten<br />
und bedient werden. Das Material musste hergerichtet sein, dann war er mit hoher<br />
Konzentration bei seiner künstlerischen Arbeit. Obwohl ich zweieinhalb Jahrzehnte dieses<br />
Vorbereitungs- und Dabeisein – Ritual für ihn machen durfte, war er imstande, mich immer<br />
wieder mit neuen Bildlösungen zu überraschen. Geniale Kreationen und auch eine neue<br />
Farbigkeit im hohen Alter von über achtzig Jahren zeigten mir, wie einfach es zu sein scheint,<br />
Kunst zu machen.<br />
Ansonsten lebte Tschirtner gerne zurückgezogen und war meist in der Bibel versunken. Im<br />
Gegensatz zu seinem Freund Johann Hauser, mit dem er Jahrzehnte ein Zimmer teilte, wollte<br />
er kaum reisen, blieb lieber zu Hause, wo er sich sicher fühlte. Neben dem Zeichnen hatte er<br />
einen anderen Ritus, den er täglich durchführte: der Gang zur Trafik, um ein Kreuzworträtsel<br />
und ein Los zu kaufen. Ob das Los gewann oder nicht, interessierte ihn aber gar nicht sehr.<br />
Tschirtner zeichnete neunzig Prozent seiner Werke auf sehr kleinen Papieren, nicht größer<br />
als 15 mal 21 Zentimeter. Das erste Großformat entstand 1980 und war eine Rarität. Als<br />
er 1983 gebeten wurde, seine Figuren auf die gesamte Mauer des Hauses der Künstler zu<br />
malen, hatte er trotz eines die Sicht behindernden Gerüstes die absolute Sicherheit, dies<br />
in derselben Manier und Qualität zu machen. Seine größte Arbeit gelang ihm während des<br />
Kunstfestivals „Steirischer Herbst“ in Graz 1994. Er schuf ein Gemälde auf Holzplatten in<br />
der Größe von 4 mal 15 Meter. Es entstand an einem einzigen Tag. Das Werk befindet sich<br />
jetzt in der „Villa“ des Art / Brut Center <strong>Gugging</strong> und geht über zwei Wände. Tschirtners<br />
Werke auf Leinwand, Holzplatten oder Mauern haben eine andere Anmutung als die klei-<br />
Bildnachweis: Oswald Tschirtner ©museum gugging<br />
4