lebensforum 80 - Aktion Lebensrecht für Alle eV
lebensforum 80 - Aktion Lebensrecht für Alle eV
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Nr. <strong>80</strong> | 4. Quartal 2006 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,– €<br />
Interview<br />
Bernward Büchner<br />
zum Stapf-Urteil<br />
Ausland<br />
China: Mord auf<br />
Bestellung<br />
B 42890<br />
LEBENSFORUM<br />
Zeitschrift der <strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> e.V. (ALfA)<br />
Gehsteigberatung<br />
Wichtiger Sieg<br />
In Kooperation mit Ärzte <strong>für</strong> das Leben e.V. und Treffen Christlicher <strong>Lebensrecht</strong>-Gruppen e.V. (TCLG)<br />
Gesellschaft<br />
Tabubruch: Das PAS<br />
in den Medien
EDITORIAL<br />
Erfolge <strong>für</strong> den Lebensschutz 3<br />
Dr. med. Claudia Kaminski<br />
TITEL<br />
Ein wichtiger Sieg 4<br />
Dr. Sebastian Sigler<br />
Babys retten – in letzter Minute 8<br />
Markus Mockler<br />
»Es braucht Leute, die vorangehen« 9<br />
Interview mit Wolfgang Hering<br />
»Rechtsbewusstsein schärfen« 12<br />
Interview mit Bernward Büchner<br />
»Vom Handwerk fasziniert« 15<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
IN EIGENER SACHE<br />
Wovon wir uns Bilder machen 17<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
AUSLAND<br />
Bei Bestellung Mord 18<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
GESELLSCHAFT<br />
Das Schweigen gebrochen 20<br />
Matthias Lochner<br />
»Ein Kind ist etwas Wunderbares« 23<br />
Interview mit Aynur Erden und Elke Mannel<br />
Bei Anruf Hilfe 25<br />
Alexandra Maria Linder, M.A.<br />
»Kritische Masse erreicht« 26<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
BÜCHERFORUM 30<br />
KURZ VOR SCHLUSS 32<br />
LESERFORUM 34<br />
IMPRESSUM 35<br />
2<br />
INHALT<br />
LEBENSFORUM <strong>80</strong><br />
JAN-PHILIPP GÖRTZ<br />
GESELLSCHAFT<br />
»Kritische Masse erreicht«<br />
Mit einem Schweigemarsch durch die Bundeshauptstadt brachten weit mehr als 1.000 Teilnehmer ihre<br />
Trauer über die hunderttausendfache Tötung ungeborener Kinder im Mutterleib zum Ausdruck.<br />
<strong>Lebensrecht</strong>ler werteten die diesjährige 1.000-Kreuze-<strong>Aktion</strong> in Berlin als Erfolg.<br />
26<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
LebensForum <strong>80</strong><br />
Weit mehr als 1.000 Teilnehmer brachten mit einem Schweigemarsch durch Berlin ihrer<br />
Trauer über die hunderttausendfache Tötung ungeborener Kinder zum Ausdruck.<br />
Im Kampf um den Schutz<br />
ungeborender Kinder haben<br />
<strong>Lebensrecht</strong>ler einen wichtigen<br />
Erfolg errungen. Die<br />
Gehsteigberatung vor der<br />
Abtreibungsklinik des Friedrich<br />
Stapf bleibt legal.<br />
4 - 7<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
D<br />
Waren zahlreich: Junge <strong>Lebensrecht</strong>lerinnen<br />
»Die Leute merken, dass<br />
wir nicht aggressiv sind.«<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
Der Trauermarsch erreicht die Hedwigskathedrale<br />
LebensForum <strong>80</strong> 27<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
36 Über das neue Elterngeld<br />
können sich nur Familien mit<br />
hohem Einkommen freuen.<br />
Schwangere Frauen ohne<br />
Einkünfte stehen ab<br />
kommendem Jahr schlechter<br />
da als zuvor.<br />
PIXELQUELLE.DE<br />
26 - 29<br />
LebensForum <strong>80</strong>
ARCHIV<br />
18 - 19<br />
AUSLAND<br />
Nicht erst seit gestern werden in der Volksrepublik China Geschäfte mit den Organen von Hingerichteten<br />
gemacht. Doch nun drängt sich der Verdacht auf, die Vollstreckung der Todesurteile könnte sich gar<br />
an der Nachfrage aus dem Ausland orientieren.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
E<br />
18<br />
12 - 15<br />
12<br />
TITEL<br />
Bei Bestellung Mord<br />
VOLKSREPUBLIK<br />
CHINA<br />
LebensForum <strong>80</strong><br />
Die Volksrepublik China macht Geschäfte mit den<br />
Organen Hingerichteter. Todesurteile werden nach<br />
neusten Erkenntnissen nun sogar auf Nachfrage<br />
aus dem Ausland vollzogen.<br />
Bernward Büchner<br />
Geboren 1937 in Freiburg, studierte Rechtswissenschaften<br />
in München, Wien und Freiburg.<br />
Nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung<br />
arbeitete Büchner zunächst in der<br />
Verwaltung des Landes Baden-Württemberg,<br />
danach als Richter am Verwaltungsgericht<br />
Freiburg. Von 19<strong>80</strong> bis 1986 war er Vorsitzender<br />
Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe,<br />
bis 2002 dann am Verwaltungsgericht<br />
Freiburg. Seit 1985 ist er Vorsitzender der<br />
Juristen-Vereinigung <strong>Lebensrecht</strong>; seit 2002<br />
auch Stellv. Vorsitzender des Bundesverbands<br />
<strong>Lebensrecht</strong> (BVL). Bernward Büchner ist<br />
verheiratet und Vater von drei Kindern.<br />
LebensForum <strong>80</strong><br />
LebensForum sprach mit Bernward Büchner über<br />
das Urteil des Landgerichts München I zur Gehsteigberatung<br />
und Konsequenzen.<br />
EDITORIAL<br />
Erfolge <strong>für</strong> den<br />
Lebensschutz<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
in dieser Ausgabe des LebensForums<br />
gibt es fast nur gute Nachrichten <strong>für</strong> das<br />
Recht auf Leben eines jeden Menschen<br />
zu vermelden. Nachdem der Abtreibungsarzt<br />
Friedrich Stapf Mitte Oktober überraschend<br />
seine Berufung gegen das Urteil<br />
des Landgerichts München I zur so genannten<br />
Gehsteigberatung zurückgezogen<br />
hat, besitzt dieses nun Rechtskraft.<br />
Grund genug <strong>für</strong> LebensForum ausführlich<br />
über Verlauf und Ausgang des<br />
Prozesses, die Beteiligten und die Gehsteigberatung<br />
selbst<br />
zu berichten. Diese<br />
Ausgabe lädt Sie ein,<br />
mit Sebastian Sigler<br />
im Gerichtssaal und<br />
vor der Stapf-Klinik<br />
dabei zu sein. Lesen<br />
Sie das Interview, das<br />
Marcus Mockler mit<br />
Wolfgang Hering vom »Lebenszentrum<br />
– Helfer <strong>für</strong> Gottes kostbare Kinder«<br />
geführt hat, der den Einsatz der Gehsteigberatung<br />
vor Deutschlands bekanntester<br />
Abtreibungsklinik koordiniert. Machen<br />
Sie sich ein Bild, wie die Gehsteigberatung<br />
der von der ALfA unterstützten Hebamme<br />
Maria Grundberger, der viele Kinder<br />
ihr Leben verdanken, funktioniert. Erfahren<br />
Sie, was Bernward Büchner, Vorsitzender<br />
der Juristen-Vereinigung <strong>Lebensrecht</strong><br />
und stellvertretender BVL-Vorsitzender,<br />
von dem Urteil hält und worauf<br />
<strong>Lebensrecht</strong>ler bei solchen und anderen<br />
Einsätzen achten sollten.<br />
Dass die Gehsteigberatung vor der<br />
Stapf-Klinik nachweislich mehr als 300<br />
Kinder vor dem Tod gerettet und so<br />
Müttern und Vätern ein Leben mit Kind<br />
statt mit dem Post-Abortion-Syndrom<br />
ermöglicht hat, fortgesetzt werden kann,<br />
ist aber nur einer der Erfolge, den die<br />
Lebensschutzbewegung in Deutschland<br />
in den vergangenen Wochen verzeichnen<br />
konnte. Nachdem die ALfA in den vergangenen<br />
Ausgaben des LebensForums<br />
mehrfach das Post-Abortion-Syndrom<br />
(PAS) thematisiert und auf die seelischen<br />
»Nachweislich mehr als 300<br />
Kinder vor dem Tod gerettet.«<br />
Folgeschäden hingewiesen<br />
hat, die viele Frauen<br />
nach einer Abtreibung<br />
davontragen, haben nun<br />
andere Medien nachgezogen.<br />
So hat nicht<br />
nur das von Günter<br />
Jauch moderierte Magazin<br />
Stern TV kürzlich<br />
einen Beitrag über die<br />
Leiden von Frauen nach<br />
Abtreibung ausgestrahlt.<br />
Auch der umstrittene<br />
Bestseller von Ex-Tagesschau-<br />
Sprecherin Eva Herman (»Das Eva-<br />
Prinzip«) räumt der Abtreibung und ihren<br />
Folgen <strong>für</strong> Frauen und Männer breiten<br />
Raum ein. Matthias Lochner stellt den<br />
TV-Beitrag und die entsprechenden<br />
Buchpassagen vor.<br />
Auch die diesjährige 1.000-Kreuze-<br />
<strong>Aktion</strong> in Berlin, zu<br />
der der BVL aufgerufen<br />
hat, und an der<br />
auch sehr viele Mitglieder<br />
der ALfA teilgenommen<br />
haben,<br />
darf als Erfolg bezeichnet<br />
werden. Wer<br />
verhindert war, dem<br />
sei die Reportage von Stefan Rehder<br />
empfohlen.<br />
Last but not least kann die ALfA Köln<br />
mit ihrer Regionalvorsitzenden Elke Mannel<br />
an der Spitze auf nunmehr 20 Jahre<br />
erfolgreiche Lebensschutz-Arbeit zurückblicken.<br />
Aus diesem Anlass hat Alexandra<br />
Linder ein Interview geführt – mit<br />
Elke Mannel und einem Überraschungsgast.<br />
Auch die ALfA München blickt in<br />
diesen Tagen auf eine 20-jährige Tätigkeit<br />
mit zahlreichen <strong>Aktion</strong>en zurück.<br />
Angesichts so vieler guter Nachrichten<br />
sowie neuer Entwicklungen – ich komme<br />
gerade aus Rom, wo ich einen Kongress<br />
beobachtet habe, zu dem sich Abtreibungsärzte<br />
und -be<strong>für</strong>worter aus 36 Nationen<br />
getroffen haben – ist es mir eine<br />
Freude, Ihnen diesmal eine überwiegend<br />
erfreuliche Lektüre wünschen zu können.<br />
Mehr zum FIAPAC Kongress dann in<br />
der nächsten Ausgabe.<br />
Ihre<br />
Claudia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der ALfA und<br />
des Bundesverbandes <strong>Lebensrecht</strong><br />
LebensForum <strong>80</strong> 3
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
Im Kampf um den Schutz ungeborenen Lebens haben <strong>Lebensrecht</strong>ler einen wichtigen Erfolg<br />
errungen. Die »Gehsteigberatung« vor der Abtreibungsklinik des Münchner Abtreibungsarztes Friedrich<br />
Stapf bleibt legal.<br />
Juli 2006. Wie seit über sechs Jahren<br />
stehen Lebensschützer vom Verein<br />
»Lebenszentrum – Helfer <strong>für</strong><br />
Gottes kostbare Kinder Deutschland<br />
e.V.« zu zweit vor der Abtreibungsklinik<br />
Stapf in der Fäustlestraße im<br />
Münchner Westend. Jeden Tag, an dem<br />
hier Menschen sterben. Jeden Tag, an<br />
dem Stapf abtreibt. Sprechen junge Frauen<br />
an, sehen sie in der tiefen, dunklen<br />
Toreinfahrt verschwinden, hinter der im<br />
4<br />
TITEL<br />
Ein wichtiger Sieg<br />
Von Dr. Sebastian Sigler<br />
Rückgebäude routinemäßig menschliches<br />
Leben beendet wird. Gelegentlich ein<br />
Gespräch, Tränen, Betroffenheit, aber<br />
auch Wut und abschätzige Bemerkungen<br />
von Männern, die die Abtreibungswilligen<br />
begleiteten – ganz wie in den Jahren<br />
zuvor. Und doch kein normaler Juli.<br />
Die Berater, die als Mahner und Warner<br />
auftraten und Lösungen in Lebenskonflikten<br />
suchen – sie sind Beklagte. Die<br />
Gehsteigberatung steht zur Disposition.<br />
Friedrich Stapf, der Abtreibungsarzt, hat<br />
einen Prozess vor dem Landgericht<br />
München I angestrengt, weil er sich in<br />
seiner Berufausübung beeinträchtigt sieht:<br />
»Ich bin der Meinung, dass Frauen eine<br />
Praxis <strong>für</strong> Schwangerschaftsabbrüche nach<br />
gesetzlicher Beratung ohne das Hinzutreten<br />
Dritter erreichen können müssen.<br />
Die dürfen nicht auf der Straße vor meiner<br />
Praxis belästigt werden.« Für den 25. Juli<br />
ist der Prozess terminiert, und der Aus-<br />
LebensForum <strong>80</strong>
gang scheint offen – um es vorsichtig zu<br />
formulieren.<br />
Die »Belästigung« besteht aus einem<br />
freundlichen Gruß und der Frage, ob<br />
man helfen könne, eine Abtreibung zu<br />
vermeiden. Diese Belästigung empfinden<br />
dabei häufig genug gar nicht die Frauen,<br />
die zu einem Beratungsgespräch oder<br />
zum Abtreibungstermin gehen, sondern<br />
die Begleiter – bei Frauen mit Migrationshintergrund<br />
häufig genug männliche<br />
Familienangehörige. »Dann ist es so, dass<br />
die Frauen mit den Augen Kontakt zu<br />
mir aufnehmen, ja, fast stumm um Hilfe<br />
rufen«, weiß Maria Grundberger, eine<br />
der Gehsteigberaterinnen. Doch außer<br />
einer nochmaligen Frage, vielleicht, kann<br />
sie auch dann nichts tun: »Häufig genug<br />
ist man völlig hilflos.« Und jede bissige<br />
Bemerkung, jede Beleidigung wirkt in<br />
diesen Wochen ein wenig wie ein Menetekel<br />
– vielleicht ein Vorgeschmack auf<br />
den Prozess? Menschliche Dramen spielen<br />
sich ab, täglich aufs Neue, vor den<br />
Augen der Mitarbeiter des Lebenszentrums.<br />
Und dabei sind diese Dramen gar<br />
nicht die einzige Sorge: Durch den Prozess<br />
steht auch die finanzielle Existenz<br />
des Vereins und des Lebenszentrums auf<br />
dem Spiel, denn sie sind auf Spenden<br />
angewiesen.<br />
Der 25. Juli ist ein besonders heißer<br />
Tag – so heiß, dass es das Gericht den<br />
streitenden Anwälten freistellt, ihre Roben<br />
abzulegen. Doch die Stimmung im Gerichtssaal<br />
137 des Münchner Justizpalasts<br />
ist so gespannt, dass die Hochsommersonne<br />
vor den hohen Fenstern quasi in<br />
Vergessenheit gerät – geht es doch um<br />
eine Entscheidung in Sachen Lebensschutz,<br />
die <strong>für</strong> ganz Deutschland Bedeutung<br />
hat. Weit mehr als 300 Kinder konnten<br />
seit dem Jahr 2000 vor der Abtreibungspraxis<br />
Stapf durch Beratungs- und<br />
Hilfsangebote gerettet und ihren Müttern<br />
die Abtreibung erspart werden. Der Verein<br />
ist vertreten durch seinen Präsidenten<br />
Wolfgang Hering. Mit ihm auf der Beklagtenbank<br />
sitzt die Leiterin des Münchner<br />
Lebenszentrums, Ursula Metsch.<br />
Sie wurde vom Abtreibungsarzt Stapf<br />
auch persönlich verklagt.<br />
DRAMA UM NATHALIE<br />
Den Beklagten geht es um Kinder wie<br />
Nathalie (Name geändert). Auch sie wurde<br />
beinahe Opfer eines der Dramen in<br />
der Stapf-Klinik. Am 23. März hatte Nathalies<br />
Mutter frühmorgens einen Beratungstermin<br />
mit anschließend geplanter<br />
Abtreibung. Sie hatte sich zuvor von »pro<br />
familia« beraten lassen. Zwar wünschte<br />
sie sich eigentlich das Kind, doch sie hatte<br />
große Sorgen, ob sie die Schwangerschaft<br />
durchstehen würde: Sie leidet an Diabetes,<br />
hat bereits einen geistig behinderten Sohn<br />
von sieben Jahren und eine sechsjährige<br />
Tochter. Bei beiden Schwangerschaften<br />
hatte sie jeweils eine ernste Schwangerschaftserkrankung<br />
mit Bluthochdruck,<br />
beide Kinder kamen per Kaiserschnitt<br />
»Wie in einer Metzgerei –<br />
so empfand sie es damals.«<br />
auf die Welt. Die »pro-familia«-Beraterin<br />
hatte keinen Versuch unternommen, nach<br />
Alternativen zur Abtreibung zu suchen<br />
oder auch nur einen medizinischen Rat<br />
wegen der Risikoschwangerschaft einzuholen.<br />
Nathalies Mutter hatte bis dahin<br />
noch nicht einmal einen Frauenarzt aufgesucht.<br />
Die »pro-familia«-Beraterin<br />
stellte<br />
ihr den gesetzlich gefordertenBeratungsschein<br />
aus und nannte<br />
mehrere Adressen <strong>für</strong><br />
eine Abtreibung. Dass<br />
Nathalie eigentlich erwünscht<br />
war, von ihrer<br />
Mutter geliebt wurde<br />
– das fand die »pro familia«-Beraterin<br />
nicht<br />
heraus. »Würde die<br />
gesetzlich vorgeschriebene<br />
Beratung sorgfältig<br />
durchgeführt,<br />
müsste es uns vielleicht<br />
gar nicht geben«, kommentiert<br />
bitter Wolfgang<br />
Hering – es geht<br />
ihm nicht um einen<br />
Kampf gegen den Arzt,<br />
sondern <strong>für</strong> das Leben.<br />
Nach den vorgeschriebenenAufklärungsgesprächen<br />
soll<br />
bei Nathalies Mutter<br />
die Abtreibung beginnen,<br />
und zwar ohne<br />
Vollnarkose, denn sie<br />
hat aufgrund ihrer Diabetes<br />
deutlich Übergewicht,<br />
zudem leidet sie an einer Erkältung.<br />
Auf dem gynäkologischen Stuhl<br />
versucht der Abtreibungsarzt die Instrumente<br />
zur Abtreibung in die Gebärmutter<br />
einzuführen. Dies ist offenkundig äußerst<br />
schmerzhaft. Erst jetzt stellte sich –<br />
während des Versuchs der Abtreibung –<br />
heraus, dass die Frau zwei Kaiserschnitt-<br />
entbindungen gehabt hatte, also <strong>für</strong> eine<br />
Abtreibung die Gabe einer »Mifegyne«-<br />
Tablette zur Aufweichung des Muttermundes<br />
oder eine Vollnarkose notwendig<br />
gewesen wäre. In der Abtreibungsklinik<br />
war man automatisch davon ausgegangen,<br />
dass Nathalies Mutter zuvor auf natürlichem<br />
Wege entbunden hatte. Ein sozusagen<br />
lebensrettender Fehler.<br />
Am 27. März, einem Montag, soll nun<br />
abgetrieben werden, soll Nathalie sterben.<br />
Stapf gibt ihrer Mutter eine Abtreibungspille<br />
»Mifegyne« mit, die sie am<br />
25. März abends einnehmen soll. Nach<br />
Einnahme dieser Pille müsse auf jeden<br />
Fall die Abtreibung durchgeführt werden,<br />
dann gebe es kein Zurück mehr. Doch<br />
Nathalies Mutter ist zunächst froh, als<br />
sie wieder nach draußen, aus der Abtreibungsklinik<br />
heraus kann. Die fließbandartige<br />
Abtreibung in der Praxis kommt<br />
ihr vor »wie in einer Metzgerei« – so<br />
empfand sie es damals, und so denkt sie<br />
noch heute.<br />
Maria Grundberger vor der Abtreibungsklinik von Friedrich Stapf<br />
Kaum vor der Tür, begegnet sie zwei<br />
Frauen vom Lebenszentrum. Eine von<br />
ihnen, die Altenpflegerin Helene Grimm,<br />
spricht sie an. Ob sie es schon hinter sich<br />
habe? Nathalies Mutter verneint. Die<br />
Gehsteigberaterin bietet ihr Beratung und<br />
Hilfe im Lebenszentrum an. Dort könne<br />
sie auch etwas trinken und sich erholen.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 5<br />
MARKUS MOCKLER
Im Lebenszentrum wird sie von Maria<br />
Grundberger empfangen und umfassend<br />
beraten. Dabei geht es nicht nur um die<br />
Abtreibung des Kindes, sondern zunächst<br />
einmal vor allem um die gesundheitlichen,<br />
finanziellen und persönlichen Probleme<br />
von Nathalies Mutter. Dann gingen die<br />
beiden Frauen zu einer Ultraschalluntersuchung<br />
bei einem Münchner Frauenarzt.<br />
Auf dem Weg erfährt Maria Grundberger:<br />
Nathalies Mutter hatte lediglich mit ihrem<br />
Mann über die Abtreibung gesprochen,<br />
nicht aber mit ihrer Schwester. Die<br />
wünscht sich zur selben Zeit auch ein<br />
Kind und lässt gerade, als Nathalies Mutter<br />
Nathalie abtreiben lassen möchte,<br />
eine künstliche Befruchtung bei sich<br />
durchführen.<br />
Zum Abtreibungstermin am 27. März<br />
geht Nathalies Mutter nicht. Sie hat sich<br />
<strong>für</strong> das Leben ihres Kindes entschieden.<br />
Am selben Tag wird sie von der Praxis<br />
des Klägers angerufen. Auf die Mitteilung,<br />
sie wolle nicht mehr abtreiben, wird sie<br />
gefragt, ob sie die Tablette »Mifegyne«<br />
eingenommen habe, und antwortet mit<br />
»Nein«. Nachfrage: »Ganz sicher?«<br />
Darauf Nathalies Mutter: »Ja, ganz si-<br />
cher«. Doch die Frau am Telefon hat<br />
immer noch Zweifel, ob Nathalies Mutter<br />
die Tablette nicht doch genommen habe<br />
und sagt: »Wenn sie die Tablette genommen<br />
haben, müssen sie in jedem Fall<br />
abtreiben. Denn dann ist das Kind schon<br />
halb tot. Nach Einnahme der Tablette<br />
gibt es kein Zurück mehr.«<br />
Und obwohl Nathalies Mutter die<br />
Tablette genommen hatte, obwohl der<br />
Abtreibungsarzt schon mit seinen Metallzangen<br />
nach ihrer Tochter gefischt hatte<br />
– Nathalie hat überlebt. Die ALfA zahlt<br />
ihr eine Soforthilfe von 500 Euro und<br />
übernimmt dann eine Patenschaft in Höhe<br />
von monatlich 250 Euro bis zum er-<br />
6<br />
TITEL<br />
Maria Grundberger mit einem geretteten Kind<br />
rechneten Geburtstermin. – Bei diesem<br />
Drama hat das Leben gesiegt.<br />
PROZESS VOR DEM<br />
MÜNCHNER LANDGERICHT<br />
Komplexe Zusammenhänge wie der<br />
in Nathalies Familie können kaum einzeln<br />
durchdacht werden, wenn mehr als 15<br />
Abtreibungen pro Tag anstehen. Das sind<br />
zwischen 3.000 und 4.000 jedes Jahr. Und<br />
am 25. Juli geht es dann auch ums Ganze.<br />
Friedrich Stapf, auf dessen Konto seit<br />
rund 30 Jahren über 100.000 Schwangerschaftsabbrüche<br />
gehen, hat den Verein<br />
und Metsch persönlich verklagt. Er will<br />
vor dem Münchner Landgericht I durchsetzen,<br />
dass vor seiner Praxis nicht mehr<br />
gebetet werden darf und dass vor allem<br />
keine Gehsteigberatung zulässig sein soll.<br />
Er fordert eine Bannmeile, um seinem<br />
Geschäft ungestört nachgehen zu können.<br />
Zwei seiner Arzthelferinnen, als Zeuginnen<br />
benannt, führen aus, dass die Patientinnen<br />
<strong>für</strong> eine Beratung durch die Mitarbeiter<br />
der Abtreibungsklinik »nicht<br />
mehr aufgeschlossen« seien, wenn sie<br />
Kontakt mit den Lebensschützern gehabt<br />
hätten. Ein Modell eines Em-<br />
ARCHIV<br />
bryos, das ihnen von den Beratern<br />
gezeigt werde, verursache bei<br />
manch abtreibungswilliger »Patientin«<br />
Albträume. Der Mediziner<br />
über die Lebensschützer:<br />
»Die belästigen die Frauen, die<br />
Frauen kommen wütend und<br />
traurig hoch« – also in seine<br />
Praxis.<br />
Doch der Abtreibungsarzt wird<br />
von den Lebensschützern gar<br />
nicht als Gegner angesehen, das<br />
wird im Verlauf des Prozesses in<br />
München deutlich. Der Vorsitzende<br />
der »Helfer Deutschland«,<br />
Wolfgang Hering, macht deutlich:<br />
»Unser höchstes Gut ist die<br />
betroffene Frau – parallel zum<br />
Kind.« Richter Nikolaus Stack-<br />
mann sagte dann auch streng zum Kläger:<br />
»Das Selbstbestimmungsrecht der Frau<br />
werte ich hoch. Die kann allein entscheiden,<br />
ob sie ein Gespräch will oder nicht.«<br />
Wie derartige Gespräche, also die<br />
Gehsteigberatungen, in der Praxis aussehen<br />
– das ist dann das Hauptthema der<br />
Beweisaufnahme. Dabei ergibt sich ein<br />
eindeutiges Bild: Das Auftreten der<br />
Lebensschützer ist unspektakulär, ja,<br />
beinahe unauffällig. Sie stehen auf dem<br />
Gehsteig, ganz wie im Fall von Nathalies<br />
Mutter. Einen Rosenkranz betet einer<br />
aus dem Team, die oder der zweite hält<br />
werdenden Müttern, die auf dem Weg<br />
zur Abtreibung sind, einen Handzettel<br />
ARCHIV<br />
Rechtsanwalt Stefan Brandmaier<br />
entgegen: »Wir haben Hilfe <strong>für</strong> Sie, wenn<br />
Sie im Schwangerschaftskonflikt sind.«<br />
Viele gehen dann weiter, andere hören<br />
zu, wieder andere reagieren aggressiv.<br />
»Die jungen Frauen stehen bereits unter<br />
erheblichem Druck, wenn sie ankommen«,<br />
so Wolfgang Hering, »auch wenn<br />
es der Frau in diesem Moment nicht oder<br />
nur teilweise bewusst ist, spürt sie doch:<br />
In den nächsten Stunden oder Minuten<br />
stirbt mein Kind.«<br />
Auf ihre ganz ruhige Art findet Maria<br />
Grundberger, selbst gelernte Hebamme,<br />
dann doch immer wieder Gesprächspartnerinnen:<br />
Welche Hilfe sie anbieten müsse,<br />
damit es sich die Schwangere doch<br />
»Die ALfA zahlt Soforthilfe<br />
und übernimmt Patenschaft.«<br />
noch einmal überlege mit der Abtreibung<br />
– das fragt sie dann, oder sie sagt schlicht:<br />
»Mama, bitte behalt’ Dein Kind.« Immer<br />
wieder bleiben Betroffene dann doch<br />
stehen, so berichten die Lebensschützer<br />
dem Richter übereinstimmend. Häufig<br />
sei dies der Anfang eines Dialogs, an<br />
dessen Ende eine glückliche Mutter und<br />
ein gesundes Kind stehen.<br />
AGGRESSIVER KLÄGER<br />
Ganz nebenbei verdichtet sich der<br />
Eindruck, dass die Lebensschützer manche<br />
Aggression – sogar seitens des Klägers<br />
selbst – ertragen mussten. So sei der Arzt<br />
mit seinem Auto bewusst aggressiv nahe<br />
an den Gehsteigberaterinnen vorbeige-<br />
LebensForum <strong>80</strong>
aust – er bestreitet dies nicht. Die »Helfer<br />
Deutschland« haben sich jedoch nie<br />
auf Handgreiflichkeiten eingelassen, nie<br />
fiel ein böses Wort. Das bestätigt auch<br />
ein Polizist. Denn Polizeibeamte in zivil<br />
hatten die Gehsteigberater zwei Wochen<br />
lang verdeckt observiert. Grund da<strong>für</strong><br />
waren wiederholte Beschwerden aus der<br />
Klinik Stapf. In unregelmäßigen Abständen<br />
seien die Polizisten <strong>für</strong> eine halbe<br />
Stunde in der Nähe der Stapf-Klinik aufund<br />
abgegangen; als Ermittler seien sie<br />
nicht zu erkennen gewesen. Die Opfer<br />
angeblicher Übergriffe kann der Arzt<br />
ebenfalls nicht präsentieren, er macht<br />
Daten- und Personenschutz geltend. So<br />
bleiben seine Vorwürfe unbewiesen im<br />
Raum stehen.<br />
Nach einem langen, heißen Tag lässt<br />
die Hitze im Gerichtssaal erst in den<br />
frühen Abendstunden nach. Stackmann<br />
weist die Klage des Mediziners ab, da er<br />
weder eine substantielle Beeinträchtigung<br />
des Geschäftsbetriebs der Abtreibungsklinik<br />
noch einen vorsätzlichen Eingriff<br />
in das Arzt-Patienten-Verhältnis sieht.<br />
Der Kläger ist allerdings nicht zufrieden.<br />
Er sagt »Wir sehen uns wieder« – und<br />
Seit dem 9. Oktober daheim: Nathalie<br />
legt Berufung gegen das Urteil ein. Und<br />
dennoch: Seine Niederlage vor Gericht<br />
bedeutet Hoffnung <strong>für</strong> Kinder wie Nathalie.<br />
Vorläufig kann die Gehsteigberatung<br />
vor der Praxis des Mannes, der über<br />
100.000 Abtreibungen zu verantworten<br />
hat, weitergehen – bis zur Entscheidung<br />
über die Berufung. Doch Rechtsanwalt<br />
Stefan Brandmaier, der den Lebensschützer-Verein<br />
vertritt, sieht in dem Urteil<br />
nur einen Teilerfolg: »Es ist damit zu<br />
rechnen, dass der Prozess bis zum Bundesgerichtshof<br />
und Bundesverfassungsgericht<br />
gehen wird.«<br />
DAS URTEIL WIRD RECHTSKRÄFTIG<br />
Doch so berechtigt die Be<strong>für</strong>chtungen<br />
des Anwalts auch waren – sie sind seit<br />
dem 12. Oktober obsolet. Das Berufungsverfahren<br />
ist beendet. Der Kläger Friedrich<br />
Stapf zieht überraschend seine Berufung<br />
gegen das Urteil des Landgerichts<br />
München I zurück. Kinder wie Nathalie<br />
werden auch in Zukunft eine Chance<br />
haben, weil ihre Mamas vor der Klinik<br />
in der Fäustlestraße auch in Zukunft die<br />
leise Frage hören: »Können wir Ihnen<br />
helfen?« Die Gehsteigberatung<br />
– sie wird bleiben.<br />
Das Urteil, das den Lebensschützern<br />
Recht gibt,<br />
ist rechtskräftig. »Dies ist<br />
besonders wichtig«, freut<br />
sich Rechtsanwalt Brandmaier,<br />
»weil der Bundesgerichtshof<br />
in einem zumindest<br />
<strong>für</strong> die Lebensschützer<br />
höchst fragwürdigen<br />
Urteil vom 7.<br />
Dezember 2004 eine Ein-<br />
Mann-Demonstration von<br />
Klaus-Günter Annen vor<br />
einer Abtreibungspraxis<br />
letztinstanzlich als rechtswidrig<br />
verboten hat.« Bei<br />
der Gehsteigberatung<br />
gehe es aber nicht um Demonstration<br />
gegen den<br />
Abtreibungsarzt, sondern<br />
um das <strong>Lebensrecht</strong> der<br />
ungeborenen Kinder und<br />
das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Frauen, sich auch<br />
noch in letzter Minute <strong>für</strong><br />
ihr Kind zu entscheiden:<br />
»Daran ist Stapf letztlich<br />
gescheitert, weil in der<br />
neunstündigen Verhandlung<br />
und Beweisaufnahme<br />
am 25. Juli 2006 dieser<br />
unaufdringliche und<br />
freundliche Charakter der<br />
Gehsteigberatung deutlich<br />
SEBASTIAN SIGLER<br />
wurde.« Auch die finanziellen Sorgen<br />
sind nun schlagartig geringer geworden,<br />
denn die Prozesskosten trägt der erfolglose<br />
Kläger, trägt der Abtreibungsarzt<br />
Friedrich Stapf.<br />
Am 22. August ist Nathalie, die schon<br />
im Bauch ihrer Mama so viel erlebt hat,<br />
zur Welt gekommen – per Kaiserschnitt,<br />
wie ihre beiden älteren Geschwister. Sie<br />
kam etwas zu früh, ihr errechneter Geburtstermin<br />
war der 31. Oktober. Immerhin,<br />
1.240 Gramm brachte sie bei der<br />
Geburt auf die Waage, <strong>für</strong> ein »Frühchen«<br />
war sie damit nicht einmal klein.<br />
Und bereits Anfang August 2006 haben<br />
die Helfer von der ALfA in Miesbach ihr<br />
»Nathalie –Der Stolz der<br />
ganzen Famile«<br />
Baby-Sachen besorgt, die meisten haben<br />
sie im Second-Hand-Laden des Roten<br />
Kreuz in Hausham gekauft. Nathalie<br />
bekam einen Kinderwagen und <strong>für</strong> ihre<br />
Geschwister gab es neue Kindersitze <strong>für</strong><br />
Mamas Auto. Da freuten sich auch die<br />
beiden! Am meisten aber freut sich die<br />
Mutter – sie ist stolz auf ihre Kinder –<br />
auf alle drei. Und sie dankt den Lebensschützern,<br />
dass sie sie vor einem großen<br />
Fehler bewahrt haben.<br />
Seit dem 9. Oktober ist Natatlie nun<br />
zu Hause bei Mama, Papa und ihren beiden<br />
Geschwistern. Schon im Krankenhaus<br />
hat sie kräftig zugelegt: Sie wiegt jetzt<br />
3.000 Gramm und ist schon 44 Zentimeter<br />
groß. Und sie ist der Stolz der ganzen<br />
Familie.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. phil. Sebastian Sigler<br />
Der Autor ist freier Journalist und Buchautor<br />
und lebt in München. Von dort aus<br />
berichtet er unter<br />
anderem <strong>für</strong> CICE-<br />
RO, den Rheinschen<br />
Merkur und Focus.<br />
Regelmäßig bereist<br />
er den Mittleren<br />
Osten, insbesondere<br />
Pakistan und Israel. Zu den Themengebieten<br />
des promovierten Historikers<br />
zählen auch die mittelalterliche Kirchengeschichte<br />
und der Widerstand im Dritten<br />
Reich.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 7
Viele Kinder verdanken dieser Frau ihr Überleben. Seit Jahren fängt<br />
die 25jährige Hebamme Maria Grundberger schwangere Frauen<br />
erfolgreich vor einer Abtreibungsklinik ab.<br />
Über Leben oder Tod eines ungeborenen<br />
Kindes können<br />
wenige Sekunden entscheiden.<br />
So wenig Zeit hat Maria Grundberger,<br />
wenn sie vor der Abtreibungsklinik<br />
Schwangere abfängt und sie in letzter<br />
Minute da<strong>für</strong> gewinnen will, ihr Kind<br />
doch zu behalten. Die 25-jährige Hebamme<br />
ist dabei sehr erfolgreich – zum<br />
Ärger der Abtreibungsärzte, denen sie<br />
die »Kundschaft« abspenstig macht.<br />
Von den 1.000 Kindern, die pro Werktag<br />
in Deutschland abgetrieben werden,<br />
gehen im Durchschnitt 15 auf das Konto<br />
des Mediziners Friedrich Stapf. In seiner<br />
Münchner Klinik nahe der Donnersberger<br />
Brücke sterben pro Jahr rund 3.000<br />
Kinder. Seit einem Vierteljahrhundert<br />
lebt er vom Abtreiben. »Für mich ist der<br />
Job eine Herausforderung. Die Frauen<br />
sollen hier gesund und mit erhobenem<br />
Kopf rausgehen«, wurde Stapf in der<br />
Zeitschrift »Woman« zitiert. Tatsächlich<br />
lässt sich vor der Klinik beobachten: Die<br />
Frauen treten nach der Abtreibung gebeugt<br />
und mit gesenktem Blick aus der<br />
Hofeinfahrt.<br />
»WELCHE HILFE BRAUCHEN SIE?«<br />
Maria Grundberger würde ihnen diese<br />
Erfahrung gerne ersparen. Ihnen und<br />
ihrem Kind. Also versucht sie den Frauen<br />
auf dem Weg in die Münchner Abtreibungspraxis<br />
deutlich zu machen, dass es<br />
eine Alternative gibt. »Was brauchen Sie,<br />
damit Sie Ihr Kind behalten können?«<br />
fragt Maria häufig. Wenn es um Geld<br />
geht, um Babyausstattung, um Unterstützung<br />
bei Behörden, ist Hilfe fast<br />
immer möglich. Im Hintergrund <strong>für</strong> die<br />
materielle Hilfe steht in erster Linie die<br />
<strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> (ALfA). Diese<br />
Organisation bestreitet auch einen Teil<br />
des Lebensunterhalts von Maria, die in<br />
8<br />
TITEL<br />
Babys retten –<br />
in letzter Minute<br />
Von Marcus Mockler<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
die Arbeit sehr viel Zeit investiert. Ihre<br />
Hebammenpraxis in Wiesbaden hat sie<br />
inzwischen aufgegeben, künftig will sie<br />
ganz in München leben.<br />
Die katholische Christin Maria hat<br />
schon mit 17 Jahren begonnen, Abtreibungswillige<br />
vor dem letzten Schritt<br />
zurückzuhalten. Damals hörte sie den<br />
Priester Philip J. Reilly aus New York,<br />
wie er über die von ihm 1989 gegründete<br />
Organisation »Helfer <strong>für</strong> Gottes kostbare<br />
Kinder« berichtete. Er war zu der Einsicht<br />
gekommen, dass sich mit Demonstratio-<br />
Maria Grundberger bei der Gehsteigberatung<br />
nen und politischen <strong>Aktion</strong>en alleine zu<br />
wenig ausrichten lässt, und setzt seitdem<br />
auf die direkte Ansprache von Frauen vor<br />
der Abtreibung. »Sidewalk Counseling«<br />
heißt das in Amerika – »Gehsteig-<br />
Beratung«. Maria folgte schon als Jugendliche<br />
seinem Beispiel.<br />
EMANZEN SIND KAUM UMZUSTIMMEN<br />
»Afrikanerinnen sind am leichtesten<br />
von einer geplanten Abtreibung abzubringen«,<br />
sagt sie. An einer Wand im Lebenszentrum<br />
hängen Fotos von geretteten<br />
Babys, davon mehrere dunkelhäutige.<br />
Kaum eine Chance hat die Aktivistin vor<br />
der Klinik beim Typ Emanze, die häufig<br />
im Ledermantel auftaucht und schon<br />
etwas verbraucht aussieht. Besonders<br />
herausgefordert fühlt sie sich, wenn Pärchen<br />
kommen. Vom Gang in die Klinik<br />
kann sie die beiden selten abhalten, aber<br />
manchmal gelingt es ihr, mit dem wartenden<br />
Mann ins Gespräch zu kommen.<br />
Dann malt sie ihm aus, was bei einer<br />
Abtreibung passiert, und sagt, dass Männer,<br />
die ihr Kind abtreiben lassen, <strong>für</strong> sie<br />
»Memmen« sind. Sie erklärt den Paaren<br />
die Entwicklung des ungeborenen Kindes,<br />
zeigt ihnen Bilder. Marias Charme, ihre<br />
überzeugenden Argumente und ihre herausfordernde<br />
Gesprächsführung haben<br />
mehr als einmal dazu geführt, dass ein<br />
Mann noch einmal ins Wartezimmer<br />
gegangen ist und seine Freundin vor dem<br />
Eingriff aus der Klinik rausgeholt hat.<br />
Sie steht nicht nur vor den Kliniken,<br />
sondern verteilt auch Info-Blätter etwa<br />
in Diskotheken und tauscht im Internet<br />
in den entsprechenden Diskussionsforen<br />
Nachrichten mit Frauen aus, die sich<br />
offenbar im Schwangerschaftskonflikt<br />
befinden.<br />
VIERMONATIGES BABY AUSGELIEHEN<br />
Viele Schwangere verdrängen, dass<br />
das ungeborene Kind in ihnen bereits ein<br />
Mensch ist. Maria Grundberger weckt<br />
deshalb bei den Frauen auf dem Gehsteig<br />
Muttergefühle und malt ihnen aus, wie<br />
es sein wird, in wenigen Monaten dieses<br />
Kind im Arm zu haben. Noch dramatischer<br />
agierte sie bei einer Frau, deren<br />
Freund ebenfalls gegen die Abtreibung<br />
war und die sie – erfolglos – beraten hatte.<br />
Maria lieh sich von ihrer Nachbarin ein<br />
vier Monate altes Baby aus, fing die<br />
Schwangere vor einer Abtreibungsklinik<br />
ab und drückte ihr das Baby auf den Arm.<br />
Als diese das Kind zurückgeben wollte,<br />
verschränkte Maria die Arme und sagte:<br />
»Du musst es behalten oder fallen lassen.«<br />
Der Vater des Kindes handelte genauso.<br />
Da die Frau das Baby nicht loswurde, ließ<br />
sie den Abtreibungstermin sausen – und<br />
brachte später ihr eigenes Kind zur Welt.<br />
Maria hat allerdings nicht nur Erfolge.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
ARCHIV<br />
Manchmal gelingt es mehrere Tage nicht,<br />
eine Schwangere umzustimmen. Ermutigt<br />
ist sie immer wieder, wenn sie gerettete<br />
Babys besucht. »Es gibt nichts Schöneres<br />
als ein Kind im Arm zu haben, das Du<br />
von der Abtreibung weggeholt hast.«<br />
RECHTSSTREIT MIT DEM ABTREIBER<br />
Aber auch die Frauen, die abgetrieben<br />
haben, werden von Maria vor der Klinik<br />
angesprochen. Sie weist auf Hilfsangebote<br />
hin, weil sie die Erfahrung gemacht hat,<br />
dass viele nach der Abtreibung psychisch<br />
krank werden und unter dem Post-Abortion-Syndrom<br />
leiden. Die Betreuung solcher<br />
Frauen kostet sie allerdings sehr viel<br />
Kraft. Manche beginnen, sich selbst zu<br />
verletzen und beispielsweise die Arme<br />
aufzuritzen. Andere kehren immer wieder<br />
zur Abtreibungsklinik zurück, als wollten<br />
sie ihr dort getötetes Kind zurückholen.<br />
Es gibt Tage, an denen Maria gleich vier<br />
Kinder retten kann. Für Friedrich Stapf,<br />
der vom Abtreiben lebt, sind solche <strong>Aktion</strong>en<br />
ein Ärgernis, das er sich mit juristischen<br />
Mitteln vom Halse schaffen will<br />
– in erster Instanz hat er vor dem Landgericht<br />
München allerdings erst einmal<br />
verloren.<br />
IN ROLLENSPIELEN BERATUNG LERNEN<br />
Bei 1.000 Abtreibungen pro Werktag<br />
in Deutschland erscheinen Maria ihre<br />
Einsätze vor den Kliniken wie ein Tropfen<br />
auf den heißen Stein. Es bräuchte viel<br />
mehr solcher Tropfen. Ihre Vision: In<br />
jeder Stadt gibt es einen Kreis von Menschen,<br />
die Gehsteig-Beratung betreiben.<br />
Dazu bietet Maria auch Schulungen an<br />
(Kontakt: schwangerschaftskonfliktberatung@yahoo.de).<br />
Dort wird unter anderem<br />
in Rollenspielen gelernt, worauf es<br />
in den wenigen Sekunden ankommt, die<br />
man vor einer Abtreibungsklinik <strong>für</strong> das<br />
über Leben und Tod entscheidende Gespräch<br />
mit einer Schwangeren hat.<br />
IM PORTRAIT<br />
Marcus Mockler<br />
Marcus Mockler (St. Johann bei Reutlingen)<br />
ist Reporter der Evangelischen<br />
Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Zu<br />
seinen Themenschwerpunkten<br />
gehören Familie<br />
und Lebensschutz.<br />
Der Autor ist verheiratet<br />
und Vater<br />
von acht Kindern.<br />
TITEL<br />
»Es braucht Leute,<br />
die vorangehen«<br />
Gehsteigberatung ist in Deutschland noch wenig verbreitet. In<br />
München hat Wolfgang Hering diese Arbeit aufgebaut. Der 50jährige<br />
Bauingenieur hat nur 100 Meter von der Abtreibungsklinik<br />
des Mediziners Friedrich Stapf ein »Lebenszentrum« eingerichtet,<br />
von dem aus die Einsätze vor der Klinik koordiniert und<br />
Abtreibungswillige beraten werden. Für LebensForum sprach Marcus<br />
Mockler mit Wolfgang Hering über Arbeitsmethoden der<br />
Gehsteigberatung, das Gerichtsurteil und die Kritik an seiner Arbeit.<br />
Hering, verheiratet und Vater von drei Kindern, ist Vorsitzender<br />
des Vereins »Helfer <strong>für</strong> Gottes kostbare Kinder Deutschland e.V.«,<br />
der das Lebenszentrum betreibt.<br />
LebensForum: Herr Hering, wieviele ungeborene<br />
Kinder sind aufgrund des Einsatzes Ihres Teams<br />
trotz geplanter Abtreibung geboren worden?<br />
Wolfgang Hering: Wir können 300<br />
Fälle belegen, schätzen aber, dass es<br />
insgesamt über 500 waren. Nicht alle<br />
Frauen, die sich doch noch <strong>für</strong> ihr Kind<br />
entschieden haben, haben belegbare Angaben<br />
gemacht, bzw. sich später oder nach<br />
der Geburt noch mal bei uns gemeldet.<br />
Warum überlegen es sich die Frauen überhaupt<br />
anders?<br />
Viele Frauen spüren angesichts des kurz<br />
bevorstehenden Todes ihres ungeborenen<br />
Kindes die Dramatik ihrer Entscheidung.<br />
Viele sind einfach in großer Not, alleingelassen,<br />
verzweifelt. Sie wollen eigentlich<br />
gar keine Abtreibung. Wenn dann jemand<br />
da ist, der ihnen den Rücken stärkt, der<br />
ihnen Mut zuspricht und sagt: »Wir gehen<br />
mit Dir durch dick und dünn; wir schaffen<br />
das gemeinsam« – dann lässt das manche<br />
doch noch ein Ja zum Leben finden.<br />
Die von Ihnen genannte Zahl legt nahe, dass<br />
sehr viele Frauen im Schwangerschaftskonflikt<br />
nicht richtig beraten worden sind – sonst ließe<br />
sich ihr Wankelmut kaum erklären. Was läuft da<br />
in der Beratung falsch?<br />
Unsere Beobachtung ist, dass die meisten<br />
Frauen, die von einer Pro-Familia-<br />
Beratungsstelle kommen, nicht darüber<br />
aufgeklärt wurden, dass es sich beim Un-<br />
geborenen um einen Menschen handelt.<br />
Über den Entwicklungsstand des Kindes<br />
wissen sie so gut wie nichts, obwohl bis<br />
zum Abtreibungstermin ja längst alle<br />
Organe da sind, schon längst Hirnwellen<br />
messbar sind und dieser Mensch eigentlich<br />
nur wachsen muss. In Pro-Familia-<br />
Broschüren wird nur vom »Absaugen von<br />
Schwangerschaftsgewebe« gesprochen.<br />
Das ist natürlich irreführend.<br />
Machen die Beratungsstellen von Diakonie<br />
oder »Donum Vitae« einen besseren Job?<br />
Im Vergleich zu Pro Familia oder den<br />
Gesundheitsämtern auf jeden Fall. Vor<br />
»Wir gehen mit Dir durch dick und<br />
dünn; wir schaffen das gemeinsam.«<br />
kurzem berichtete uns jedoch eine Frau,<br />
dass sie in einer katholischen Beratungsstelle<br />
schon nach wenigen Minuten den<br />
Beratungsschein ausgehändigt bekommen<br />
hatte, ohne wirklich beraten worden zu<br />
sein. Das kann eine Ausnahme sein, aber<br />
so etwas kommt offenbar auch in konfessionellen<br />
Beratungsstellen vor.<br />
Werden die Schwangeren in den Beratungsstellen<br />
wenigstens anständig über finanzielle<br />
Hilfen informiert?<br />
LebensForum <strong>80</strong> 9
Nach dem Beratungsgesetz müssen<br />
der Schwangeren alle Möglichkeiten angeboten<br />
werden, die sie dazu ermutigen,<br />
die Schwangerschaft auszutragen.<br />
Tatsächlich geschieht das nur völlig unzureichend.<br />
Nach meiner Beobachtung<br />
erfahren etwa die Hälfte der Schwangeren<br />
so gut wie nichts über die Hilfsangebote<br />
– manche haben schon nach zehn Minuten<br />
den Beratungsschein in der Hand.<br />
Wir müssen in diesem Punkt davon ausgehen,<br />
dass das geltende Gesetz in der<br />
Beratungspraxis häufig nicht beachtet<br />
wird.<br />
Wie sieht Gehsteigberatung in der Praxis aus?<br />
Im Normalfall sind während der Öffnungszeiten<br />
der Abtreibungsklinik zwei<br />
Personen von uns draußen auf dem Gehsteig.<br />
Eine Person spricht die Mütter und<br />
Begleitpersonen an, die andere steht als<br />
Beter neben der Hofeinfahrt zur Abtreibungsklinik.<br />
Wie groß ist der Pool von Mitarbeitern, auf den<br />
Sie zurückgreifen können?<br />
Es sind über 20 Ehrenamtliche, die –<br />
manchmal zweimal die Woche – ein bis<br />
zwei Stunden zur Gehsteigberatung oder<br />
zum Beten kommen.<br />
Was <strong>für</strong> eine Ausbildung muss man absolvieren,<br />
um mitmachen zu können?<br />
Bislang haben wir Interessierte im<br />
Normalfall <strong>für</strong> eine Woche nach Wien<br />
geschickt. Die Mitarbeiter dort waren die<br />
ersten in Europa, die Gehsteigberatung<br />
professionell angefangen haben. Die<br />
verfügen auch über größere finanzielle<br />
Mittel und haben bezahlte Leute, die sehr<br />
gut ausbilden können. Künftig wollen<br />
wir die Berater aber selbst ausbilden, weil<br />
sie dann besser auf die spezielle Situation<br />
vor der Münchener Stapf-Klinik vorbereitet<br />
werden können und unsere Richtlinien<br />
von Anfang an mitbekommen.<br />
Was muss einer tun, um bei Ihnen Gehsteigberater<br />
zu werden?<br />
Wer interessiert ist, sollte einfach bei<br />
uns anrufen. Wir machen ein Gespräch<br />
10<br />
TITEL<br />
»Wenn es nur wirtschaftliche<br />
Probleme sind, dann atme ich auf.«<br />
mit den Leuten aus, und<br />
sie können dann auch<br />
zuschauen, wie wir<br />
vorgehen. Die Interessierten<br />
merken vor Ort,<br />
ob sie diese Arbeit wirklich<br />
selbst tun wollen.<br />
Sie gehen dann als Beter<br />
mit raus und kriegen<br />
mit, wie erfahrene Berater<br />
arbeiten. Dazu gibt<br />
es Wochenendschulungen.<br />
Insgesamt ist es viel<br />
»learning by doing«. Da<br />
aber immer auch eine<br />
erfahrene Kraft dabei<br />
ist, kann hier niemand<br />
unkontrolliert in unserem<br />
Namen auf<br />
Schwangere zugehen.<br />
Was muss jemand können,<br />
wenn er oder sie bei<br />
der Gehsteigberatung mitmacht?<br />
ARCHIV<br />
Man sollte Bescheid<br />
wissen über den Entwicklungszustand<br />
des<br />
ungeborenen Kindes<br />
nach acht, zehn, zwölf<br />
Schwangerschaftswochen – und natürlich<br />
über die Abtreibungsfolgen, insbesondere<br />
das Post-Abortion-Syndrom. Dann<br />
müssen sie die Hilfsmöglichkeiten kennen,<br />
die man anbieten kann. Dieses Wissen ist<br />
leicht zu erwerben, und <strong>für</strong> spezielle Fragen<br />
steht in der Regel unsere Leiterin<br />
Ursula Metsch im Lebenszentrum zur<br />
Verfügung, das sich ja nur wenige Meter<br />
von der Abtreibungsklinik entfernt befindet.<br />
Auch wenn es um Passangelegenheiten<br />
oder Zuschüsse von Stiftungen oder<br />
Sonstiges geht, können wir dann kompetent<br />
Auskunft geben oder weitervermitteln.<br />
Liegt es denn immer noch häufig am Geld, dass<br />
Frauen keinen anderen Ausweg als die Abtreibung<br />
sehen?<br />
Wenn es nur wirtschaftliche Probleme<br />
sind, dann atme ich in der Regel erleichtert<br />
auf. Die sind am leichtesten zu lösen.<br />
Komplizierter wird es, wenn der Partner<br />
oder das sonstige Umfeld auf Abtreibung<br />
drängt.<br />
Wie hoch ist denn der Anteil der Schwangeren,<br />
die alleine aus wirtschaftlichen Gründen abtreiben<br />
wollen?<br />
Das lässt sich so nicht beantworten.<br />
Wir sehen, dass wirtschaftliche Gründe<br />
Wolfgang Hering: Etablierte die Gehsteigberatung in Deutschland<br />
manchmal nur vorgeschoben werden.<br />
Dahinter stecken dann ganz andere persönliche<br />
Probleme.<br />
Bringen Sie den Beratern auch Tricks bei, wie<br />
man Frauen in ein Gespräch verwickelt?<br />
Wir »verwickeln« nicht in ein Gespräch.<br />
Wir gehen den Schwangeren<br />
entgegen, bieten ihnen in einer respektvollen<br />
Distanz eine Broschüre an, die wir<br />
von der Seite hinhalten. Darauf steht:<br />
»Schwanger? Verzweifelt? Wir helfen<br />
Dir.« Ich frage die Frau dann: »Darf ich<br />
Ihnen das mitgeben? Hier ist eine wichtige<br />
Hilfe <strong>für</strong> Sie.« Und dann merkt man<br />
schnell, ob eine Offenheit <strong>für</strong> ein Gespräch<br />
da ist oder nicht. Ich sage dann<br />
oft auch, bevor das Gespräch zu Ende ist:<br />
»Bitte, Mama, lass Dein Kind leben.«<br />
Werden Ihre Mitarbeiter auch mal aggressiv?<br />
Es ist <strong>für</strong> uns fast ein Wunder, dass<br />
unsere Leute auch bei bösartigen Reaktionen<br />
freundlich geblieben sind. Wir<br />
führen das auf das Gebet zurück – und<br />
das ist auch einer der Gründe, warum<br />
immer ein Beter dabei ist. Auch der Abtreibungsarzt<br />
Friedrich Stapf hat früher<br />
schon sehr aggressiv reagiert und Leute<br />
an der Jacke gepackt und sie bedroht. Ein<br />
Berater hat ihm mal geantwortet: „Herr<br />
LebensForum <strong>80</strong>
Stapf, Sie dürfen mich schlagen, wenn<br />
Sie wollen, aber hören Sie bitte auf, die<br />
kleinen Kinder zu töten.“ Übrigens hat<br />
Stapf vor Gericht zugegeben, dass keine<br />
einzige Patientin ihm mitgeteilt habe, die<br />
Gehsteigberater hätten sich negativ über<br />
ihn geäußert.<br />
Sind die Situationen der Schwangeren nicht<br />
oft viel zu kompliziert, um sie in einer kurzen<br />
Gehsteigberatung richtig erfassen zu können?<br />
Das ist richtig. Aber wir haben über<br />
das Lebenszentrum ja die Möglichkeit,<br />
weitere Leute zu Rate zu ziehen – in<br />
Rechtsfragen steht uns etwa ein Anwalt<br />
zur Seite, in medizinischen Fragen Frauenärzte.<br />
Was hat Sie persönlich <strong>für</strong> Lebensschutz-<br />
Positionen gewonnen?<br />
An Heiligabend 19<strong>80</strong> sollte meine<br />
damalige Freundin unseren gemeinsamen<br />
Sohn gebären, aber die Geburt zog sich<br />
hin, und sie bekam vorübergehend ein<br />
Wehen hemmendes Mittel, damit sie sich<br />
erholen konnte. Ich sah sie schlafend und<br />
sah, wie sich der Kleine in ihr bewegte.<br />
In dem Moment wurde mir bewusst: Es<br />
gibt einen Gott, und was im Mutterleib<br />
geschieht, ist ein Wunder. In diesem<br />
Moment endete mein Atheisten-Dasein.<br />
<strong>Alle</strong>rdings sollte es noch ein paar Jahre<br />
dauern, bis ich Jesus Christus erkannte.<br />
Und warum sind sie hauptberuflicher<br />
Lebensschützer geworden?<br />
Im Juli 1989 habe ich mein Leben Jesus<br />
Christus zur Verfügung gestellt, weil ich<br />
erkannte: Er ist der Weg, die Wahrheit<br />
und das Leben – auch <strong>für</strong> mich. Dann<br />
habe ich Gott gefragt, was meine eigentliche<br />
Berufung ist: Bauingenieur oder<br />
etwas anderes. Im Januar 1990 habe ich<br />
dann in einer tiefen Gotteserfahrung erkannt,<br />
dass er mich zum Schutz ungeborener<br />
Kinder und zur Hilfe <strong>für</strong> Mütter in<br />
Not beruft. Es dauerte aber noch ein paar<br />
Jahre, bis mir klar wurde: Es ist der mir<br />
zugedachte Weg, die Arbeit von Monsignore<br />
Philip J. Reilly, der in den USA mit<br />
der Gehsteigberatung und den so genannten<br />
Gebetsvigilien <strong>für</strong> das Leben begonnen<br />
hat, in Deutschland aufzubauen.<br />
Eine Kritik lautet: Ihr Gehsteigberater wollt<br />
Frauen nur zur Geburt bewegen, danach interessieren<br />
Euch Mutter und Kind nicht mehr. Stimmt<br />
das?<br />
Nein. Wir tun auch nach der Geburt,<br />
was wir können. Und wir sind <strong>für</strong> die<br />
Mütter ja immer greifbar – im Lebenszentrum<br />
oder vor der Stapf-Klinik.<br />
Natürlich machen wir auch Fehler, aber<br />
ich denke, die Pluspunkte überwiegen.<br />
Nicht umsonst bestehen viele Kontakte<br />
über Jahre – und oft entstehen auch echte<br />
Freundschaften, besonders mit den Kindern.<br />
Gab es denn Fälle, dass Mütter kamen und<br />
sagten: »Ihr habt mich hängen lassen, ich hätte<br />
eigentlich doch abtreiben sollen«?<br />
Nein. Mir ist kein einziger Fall bekannt.<br />
Wäre es so, würde ich das ehrlich<br />
zugeben. Die umgekehrte Version erleben<br />
wir allerdings oft: Mütter (und manchmal<br />
auch Väter), die die Abtreibung bereuen.<br />
Wie reagieren Sie, wenn eine Frau sagt »Lassen<br />
Sie mich in Ruhe, ich möchte nicht von Ihnen angesprochen<br />
werden?«<br />
Wir lassen von dieser Frau ab. Manchmal<br />
sage ich abschließend noch sanft:<br />
»Mama, geben Sie Ihrem Kind und geben<br />
Sie sich noch eine Chance.« Denn ich<br />
will das Herz dieser Frau erreichen, die<br />
ja oft voller Schmerz über die bevorstehende<br />
Abtreibung ist. Manchmal gelingt<br />
das. Und wir bieten auch Frauen nach<br />
»Ich will das Herz dieser Frau<br />
erreichen, die ja oft voller Schmerz ist.«<br />
Abtreibung Hilfe an, weil sie oft damit<br />
nicht zurechtkommen, was sie getan haben.<br />
Wird die traumatisierende Wirkung der Abtreibung<br />
nicht von Lebensschützern auch etwas<br />
übertrieben?<br />
Das glaube ich nicht. Eine 76-jährige<br />
Frau fand unser Faltblatt in der Straßenbahn<br />
auf dem Fußboden. Sie rief uns<br />
an und sagte, sie hatte zwei Abtreibungen<br />
– eine mit 20, eine mit 33. Sie wurde<br />
damit nicht fertig und bat nach Jahrzehnten<br />
um Hilfe. Eine unserer Beraterinnen<br />
hat sie mehrfach besucht und konnte ihr<br />
einen Weg zur Heilung und zur Versöhnung<br />
zeigen.<br />
Wie finanziert sich Ihre Arbeit?<br />
Ausschließlich durch Spenden von<br />
Privatpersonen und Lebensschutzorganisationen.<br />
Deshalb geraten wir immer<br />
wieder auch in Nöte. Vor zwei Jahren<br />
standen wir kurz davor, unsere Notfallwohnung<br />
<strong>für</strong> Schwangere, die wir bereithalten,<br />
aufzugeben. Als wir das unseren<br />
Freunden schrieben, kam Gott sei Dank<br />
wieder ein ganzer Schwung an Spenden<br />
herein.<br />
Bekommen Sie Unterstützung von der katholischen<br />
Kirche? Immerhin bekennt sich Friedrich<br />
Kardinal Wetter, der Erzbischof von München-<br />
Freising, zu Ihrer Arbeit.<br />
Für das Schreiben des Kardinals, in<br />
dem er sich hinter uns stellt, sind wir sehr<br />
dankbar. Geld bekommen wir von der<br />
Kirche bislang aber nicht.<br />
Wie beurteilen Sie das Landgerichts-Urteil, das<br />
Ihnen weiterhin die Gehsteigberatung zubilligt?<br />
Es ist ein gerechtes Urteil. Hilfe in<br />
letzter Sekunde <strong>für</strong> Schwangere in Not<br />
bleibt weiterhin möglich. Der Richter<br />
hat auch in diesem Punkt das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Schwangeren ernst<br />
genommen: Sie kann unser Hilfsangebot<br />
annehmen oder ablehnen.<br />
Warum hat nicht jede deutsche Stadt eine Gehsteigberatung?<br />
Es gehört viel Mut dazu – und es<br />
braucht in jeder Stadt ein paar Leute,<br />
die vorangehen, die sich ausbilden lassen<br />
und Erfahrungen sammeln. Davon gibt<br />
es einfach zu wenige. Wir beten täglich<br />
um Berufungen in diesen Dienst – und<br />
dass Menschen ihr Leben <strong>für</strong> das Leben<br />
geben.<br />
Muss man katholisch sein, um bei Ihnen mitzuarbeiten?<br />
Nein. Die Wurzeln dieser Arbeit sind<br />
aber klar im katholischen Bereich. Wir<br />
beten auch den Rosenkranz bei unseren<br />
Gebetsvigilien. Aber uns ist jeder willkommen,<br />
der das Anliegen <strong>für</strong> die ungeborenen<br />
Kinder und ihre Mütter teilt.<br />
Zu unserem Gehsteig-Team zählen auch<br />
ein evangelischer Arzt und zwei Musliminnen.<br />
Sie finden sicher auch bei Lebensschützern<br />
nicht vorbehaltlose Zustimmung <strong>für</strong> Ihre Arbeit.<br />
Wie gehen Sie damit um, wenn Kritisches über die<br />
Gehsteigberatung kolportiert wird?<br />
<strong>Alle</strong>, die Kritik über uns verbreiten,<br />
kann ich nur einladen, unsere Arbeit vor<br />
Ort zu besuchen: Kommt und seht!<br />
Wir danken <strong>für</strong> das Gespräch.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 11
ARCHIV<br />
12<br />
TITEL<br />
Bernward Büchner<br />
Geboren 1937 in Freiburg, studierte Rechtswissenschaften<br />
in München, Wien und Freiburg.<br />
Nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung<br />
arbeitete Büchner zunächst in der<br />
Verwaltung des Landes Baden-Württemberg,<br />
danach als Richter am Verwaltungsgericht<br />
Freiburg. Von 19<strong>80</strong> bis 1986 war er Vorsitzender<br />
Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe,<br />
bis 2002 dann am Verwaltungsgericht<br />
Freiburg. Seit 1985 ist er Vorsitzender der<br />
Juristen-Vereinigung <strong>Lebensrecht</strong>; seit 2002<br />
auch Stellv. Vorsitzender des Bundesverbands<br />
<strong>Lebensrecht</strong> (BVL). Bernward Büchner ist<br />
verheiratet und Vater von drei Kindern.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
»Rechtsbewusstsein<br />
muss geschärft werden«<br />
Nachdem der Münchner Abtreiber Friedrich Stapf die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts<br />
München I zurückgezogen hat, ist dieses nun rechtskräftig. Über das Urteil (Az 28 O 5186/06) und<br />
seine möglichen Konsequenzen sprach <strong>für</strong> LebensForum Stefan Rehder mit dem Vorsitzenden der<br />
Juristen-Vereinigung <strong>Lebensrecht</strong> (JVL) Bernward Büchner.<br />
LebensForum: Herr Büchner, das Landgericht<br />
München I hat in seinem nunmehr rechtskräftigen<br />
Urteil entschieden, dass Frauen, die sich auf dem<br />
Weg zu einer Abtreibungsklinik befinden, Beratungsangebote<br />
gemacht werden dürfen, wenn<br />
dies nicht auf diffamierender oder besonders aufdringlicher<br />
Weise geschieht. Das müsste Sie doch<br />
zunächst zufrieden stimmen, oder nicht?<br />
Bernward Büchner: Ja, das ist ein<br />
erfreuliches Urteil, das mich jedoch nicht<br />
überrascht hat. Wer den entschiedenen<br />
Fall bereits gekannt und mit gesundem<br />
Menschenverstand beurteilt hat wie<br />
beispielsweise Georg Paul Hefty in seinem<br />
Beitrag »Auf dem Gehsteig« in der Frankfurter<br />
Allgemeinen, hat keine andere<br />
Entscheidung erwartet. Nach einzelnen<br />
schwer nachvollziehbaren Urteilen anderer<br />
Gerichte zur Meinungsfreiheit von<br />
<strong>Lebensrecht</strong>lern war ein gegenteiliger<br />
Ausgang des Verfahrens allerdings nicht<br />
völlig auszuschließen.<br />
Bei ihrer Tätigkeit haben sich die von Herrn<br />
Stapf beklagten <strong>Lebensrecht</strong>ler auf die grundgesetzlich<br />
verbürgte Glaubens- und Gewissensfreiheit<br />
sowie auf die Meinungsfreiheit berufen. Sie<br />
haben jedoch in einem Beitrag <strong>für</strong> die »Zeitschrift<br />
<strong>für</strong> <strong>Lebensrecht</strong>« (ZfL) angemerkt, dass das Urteil<br />
in seiner Begründung darauf nicht besonders<br />
eingehe. Was halten Sie daran <strong>für</strong> problematisch?<br />
Der entscheidende Einzelrichter hat<br />
sein Urteil damit begründet, die Beklagten<br />
könnten sich bei ihrer Gehsteigberatung<br />
auf die allgemeine Handlungsfreiheit<br />
berufen. Deren Rechtsanwälte hatten<br />
aber durchaus nahe liegend auch mit der<br />
Glaubens- und Meinungsfreiheit ihrer<br />
Mandanten argumentiert. Hierauf ist das<br />
Gericht nicht eingegangen. Für das Ergebnis<br />
seiner Entscheidung ist dies unerheblich.<br />
Wenn das Verhalten der Geh-<br />
steigberater als Ausfluss der genannten<br />
speziellen Freiheitsrechte verstanden<br />
wird, kommt dem damit verfolgten Interesse<br />
ein noch größeres Gewicht zu und<br />
die geltend gemachte Rechtsposition ist<br />
noch stärker. In den höheren Instanzen<br />
hätte das Bedeutung gewinnen können.<br />
Ein offensichtlich wichtiges Stichwort lautet<br />
in diesem Zusammenhang »Prangerwirkung«.<br />
Können Sie Nicht-Juristen erläutern, was man sich<br />
darunter vorstellen muss?<br />
Das Stichwort »Prangerwirkung«<br />
taucht in gerichtlichen Entscheidungen<br />
auf, in denen es darum geht, ob eine<br />
Äußerung noch die Grenzen des Freiheitsrechts<br />
des Äußernden einhält oder ob sie<br />
diese überschreitet und das Persönlichkeitsrecht<br />
eines Betroffenen verletzt. Für<br />
die Entscheidung dieser Frage hat das<br />
Bundesverfassungsgericht allgemeine<br />
Grundsätze entwickelt, an denen sich auch<br />
die anderen Gerichte orientieren. Zu<br />
diesen Grundsätzen gehört beispielsweise,<br />
dass wahre Äußerungen in der Regel auch<br />
dann hinzunehmen sind, wenn sie <strong>für</strong> den<br />
Betroffenen nachteilig sind. Dies gilt<br />
jedenfalls dann, wenn sie nicht die Intim–,<br />
Privat- oder Vertraulichkeitssphäre, sondern<br />
die Sozialsphäre betreffen. Gegen<br />
Äußerungen zu seiner Sozialsphäre, zu<br />
der insbesondere die berufliche Tätigkeit<br />
gehört, ist ein Betroffener weniger weit<br />
geschützt. Solche Äußerungen dürfen<br />
nach der Rechtsprechung nur sanktioniert,<br />
also auch gegebenenfalls gerichtlich untersagt<br />
werden, wenn sie schwerwiegende<br />
Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht<br />
haben, »etwa bei Stigmatisierung oder<br />
sozialer Ausgrenzung sowie bei Eintreten<br />
einer Prangerwirkung« (BVerfG).<br />
Was mit der »Prangerwirkung« konkret<br />
gemeint ist, möchte ich am Beispiel<br />
einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs<br />
erläutern, die Herrn Stapf zu seiner<br />
Klage beim Landgericht München ermuntert<br />
hat. Dieses BGH-Urteil vom 7.<br />
Dezember 2004 (veröffentlicht in ZfL<br />
1/2005, S. 13 ff.) betraf einen Fall, in dem<br />
ein <strong>Lebensrecht</strong>ler vor der Praxis eines<br />
Abtreibungsmediziners Frauen ansprach,<br />
die er <strong>für</strong> dessen Patientinnen hielt, diese<br />
in Gespräche über das Thema Abtreibung<br />
verwickelte und in deren Verlauf darauf<br />
hinwies, dass in dieser Praxis Abtreibungen<br />
vorgenommen werden. In diesem<br />
Fall hat der Mediziner den <strong>Lebensrecht</strong>ler<br />
»Ein erfreuliches Urteil, das mich<br />
jedoch nicht überrascht hat.«<br />
bis zum Bundesgerichtshof (und inzwischen<br />
dem BVerfG) erfolgreich auf Unterlassung<br />
dieses Verhaltens verklagt. In<br />
dem geschilderten Verhalten, so der<br />
BGH, habe das Berufungsgericht zu<br />
Recht eine nicht hinzunehmende »Prangerwirkung«<br />
gesehen.<br />
Und wie wurde das begründet?<br />
Begründet wurde dies folgendermaßen:<br />
Durch das Verwickeln von Frauen<br />
in unmittelbarer Nähe der Praxis in ein<br />
Gespräch über Abtreibung, die namentliche<br />
Benennung des Klägers sowie den<br />
Hinweis auf seine Abtreibungstätigkeit,<br />
»um die Patientinnen zu irritieren und<br />
von dem Besuch der Praxis abzuhalten«,<br />
würdige der Beklagte die berufliche Tätigkeit<br />
des Klägers insgesamt herab, obwohl<br />
diese legal sei. Der Beklagte wähle<br />
LebensForum <strong>80</strong> 13
14<br />
TITEL<br />
den Kläger willkürlich aus einer Vielzahl<br />
von Abtreibungsmedizinern aus und dränge<br />
ihn als Privatperson in eine von ihm<br />
ungewollte und nicht herausgeforderte<br />
Öffentlichkeit. Er verfolge den Zweck,<br />
die bestehende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch<br />
zu kritisieren und auf<br />
ihre Änderung hinzuwirken. Durch sein<br />
Vorgehen wirke er auf das Personal des<br />
Klägers und auf abtreibungswillige<br />
Schwangere ein. Dadurch wolle er dem<br />
Kläger wirtschaftliche Nachteile zufügen,<br />
um ihn von der Fortführung seiner »gesetzlich<br />
erlaubten Tätigkeit« abzuhalten.<br />
Ist das überzeugend?<br />
Meines Erachtens kann diese Begründung<br />
nicht überzeugen, schon weil sie<br />
das Verhalten des Beklagten in seiner<br />
Was wohl Justitia über den § 218 denkt?<br />
Intention verkennt. Deshalb habe ich<br />
dieses BGH-Urteil kritisiert (ZfL 1/2005,<br />
S. 16 f.). In meiner Anmerkung zum Urteil<br />
des Landgerichts München (ZfL 3/2006,<br />
S. 100 ff.) habe ich dargelegt, dass in dem<br />
hierdurch entschiedenen Fall einer Gehsteigberatung<br />
nicht ein einziger der Umstände<br />
gegeben ist, mit denen der BGH<br />
im oben geschilderten Fall das Vorliegen<br />
eines unzulässigen Eingriffs in die Sozialsphäre<br />
des klagenden Abtreibungsmediziners<br />
wegen »Prangerwirkung« begründet<br />
hat. Bei der Gehsteigberatung<br />
in München wird insbesondere nicht das<br />
Thema Abtreibung thematisiert, um auf<br />
eine Änderung der geltenden Gesetze<br />
zum »Schwangerschaftsabbruch« hinzuwirken.<br />
Auch wird mit ihr nicht auf die<br />
Praxis von Stapf hingewiesen, sein Handeln<br />
bewertet und dadurch der Zweck<br />
verfolgt, ihm wirtschaftlichen Schaden<br />
zuzufügen und ihn von seiner Tätigkeit<br />
abzubringen. Ihr Anliegen ist vielmehr<br />
allein, Schwangeren Rat und Hilfe anzubieten,<br />
damit sie sich da<strong>für</strong> entscheiden,<br />
ihr Kind zur Welt zu bringen. Diesen<br />
wesentlichen Unterschied zu dem vom<br />
BGH entschiedenen Fall haben offenbar<br />
auch Herr Stapf und seine Anwälte<br />
inzwischen erkannt und deshalb das landgerichtliche<br />
Urteil letztlich akzeptiert.<br />
Herr Stapf ist nicht zuletzt aufgrund eigenen<br />
Zutuns der mit Abstand bekannteste Abtreibungsarzt<br />
in Deutschland. Er gibt Interviews und trat im<br />
Fernsehen auf. Er hat vor dem Bundesverfassungsgericht<br />
den so genannten bayerischen Sonderweg<br />
gestoppt und da<strong>für</strong> gesorgt, dass Ärzte mehr als<br />
25 Prozent ihrer Einnahmen mit Abtreibungen<br />
verdienen können. Er hat sich vehement <strong>für</strong> die<br />
Zulassung der Abtreibungspille Mifegyne eingesetzt.<br />
Wer in Deutschland<br />
an Abtreibung denkt,<br />
denkt auch an Stapf. Ist er<br />
nicht sofern längst eine<br />
Person der Zeitgeschichte,<br />
die gewisse Einschränkung<br />
ihrer Persönlichkeitsrechte<br />
hinnehmen<br />
muss?<br />
ARCHIV<br />
Zweifellos ist Herr<br />
Stapf aus den genannten<br />
Gründen eine<br />
Person der Zeitgeschichte,<br />
allerdings<br />
ein unrühmlicher<br />
Vertreter dieses Personenkreises,<br />
der sich<br />
nach Auffassung der<br />
Gerichte selbst massive<br />
öffentliche Kritik<br />
gefallen lassen muss,<br />
um die es bei der<br />
Gehsteigberatung in München allerdings,<br />
wie zuvor ausgeführt, gar nicht geht. Eine<br />
solche Art und Weise der Beratung ist<br />
im Übrigen nicht nur im Fall dieses bekanntesten<br />
Abtreibungspraktikers in<br />
Deutschland durchaus legitim, sondern<br />
auch vor den Praxen anderer Mediziner,<br />
»Wesentlicher Unterschied zu<br />
dem vom BGH entschiedenen Fall.«<br />
die sich auf die Tötung ungeborener<br />
Kinder spezialisiert haben. Wie nämlich<br />
das Bundesverfassungsgericht in seinem<br />
Abtreibungsurteil von 1993 zu Recht<br />
ARCHIV<br />
Die Fachzeitschrift erscheint vierteljährlich<br />
bemerkt hat, liegen bei einer auf die<br />
Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen<br />
spezialisierten Praxis<br />
die Gefahren <strong>für</strong> die Erfüllung der dem<br />
Arzt, zumal im Rahmen einer Beratungsregelung,<br />
zufallenden Aufgaben beim<br />
Schutz des ungeborenen menschlichen<br />
Lebens »auf der Hand«. Wie kann auch<br />
von einem Mediziner, der mit diesem<br />
Tötungsgeschäft ganz oder fast ausschließlich<br />
sein Brot verdient, erwartet<br />
werden, dass er Schwangeren Hilfen aufzeigt<br />
und sie dazu ermutigt, ihr Kind zur<br />
Welt zu bringen? Deshalb drängt es sich<br />
geradezu auf, Gehsteigberatungen direkt<br />
vor solchen Spezialpraxen durchzuführen,<br />
ohne dass von einem willkürlichen Herausgreifen<br />
eines einzelnen Mediziners<br />
die Rede sein könnte. Hierzu besteht<br />
umso mehr Anlass, als den vom Bundesverfassungsgericht<br />
aufgezeigten Gefahren<br />
vonseiten des Staates bisher in keiner<br />
Weise begegnet worden ist.<br />
Welche Konsequenzen sollten <strong>Lebensrecht</strong>ler<br />
aus dem Urteil ziehen, die auf das Unrecht, welches<br />
eine vorgeburtliche Kindstötung darstellt, öffentlich<br />
aufmerksam machen wollen?<br />
Aus diesem Urteil folgt lediglich, dass<br />
sich Herr Stapf gegen die ihm unliebsame<br />
Gehsteigberatung des beklagten Vereins<br />
und seiner Mitarbeiter nicht mit Erfolg<br />
zur Wehr setzen kann. Durch diese<br />
Entscheidung dürfen sich <strong>Lebensrecht</strong>ler<br />
ermutigt fühlen, die eine Gehsteigberatung<br />
anderswo durchführen möchten,<br />
welche der in München praktizierten<br />
entspricht, bei der es also nur um Rat<br />
und Hilfe <strong>für</strong> Schwangere und nicht darum<br />
geht, einen einzelnen Tötungsspezi-<br />
LebensForum <strong>80</strong>
alisten anzuprangern und auf den speziellen<br />
Fall erkennbar Bezug nehmend mit<br />
Passanten über das Thema Abtreibung<br />
zu diskutieren und zugleich auf dieses<br />
Unrecht aufmerksam zu machen. Von<br />
einer Gehsteigberatung, die über die in<br />
München vor der Stapf-Klinik geübte<br />
Praxis hinausgeht, ist im Hinblick auf das<br />
oben erwähnte BGH-Urteil abzuraten.<br />
Was sollten <strong>Lebensrecht</strong>ler noch beachten?<br />
Ein hohes Prozessrisiko gehen auch<br />
Lebensschützer ein, die sich im räumlichen<br />
Nahbereich von Abtreibungspraxen<br />
mit Transparenten oder Flugblättern zum<br />
Thema Abtreibung in einer Art und Weise<br />
äußern, die als negative Bewertung<br />
der Tätigkeit eines bestimmten Mediziners<br />
verstanden werden könnte. Beispielsweise<br />
genügte bereits die auf einem<br />
Flugblatt formulierte Frage »Wussten<br />
Sie schon, dass in der Praxis des Dr. K.<br />
Hohes Prozessrisiko<br />
<strong>für</strong> Lebensschützer<br />
rechtswidrige Abtreibungen durchgeführt<br />
werden?«, eine solche weitere Behauptung<br />
gerichtlich zu untersagen. Die mit<br />
diesem Fall zuletzt befasst gewesene 1.<br />
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts<br />
ist gar so weit gegangen<br />
festzustellen, die Bezeichnung von<br />
Abtreibungen als rechtswidrig sei »unwahr«,<br />
obwohl diese Feststellung dem<br />
dabei völlig ignorierten Abtreibungsurteil<br />
desselben Gerichts von 1993 klar widerspricht.<br />
Von unverständlichen Gerichtsentscheidungen<br />
auf erfolgreiche Klagen Betroffener<br />
dürfen sich die <strong>Lebensrecht</strong>ler<br />
nicht davon abhalten lassen, das Unrecht<br />
der massenhaften Tötung ungeborener<br />
Kinder immer wieder klar und deutlich<br />
zu benennen. Damit tragen sie, wie das<br />
Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom<br />
23. April 2003) bemerkt hat, dazu bei,<br />
»das Rechtsbewusstsein der Öffentlichkeit<br />
im Sinne der maßgeblichen Entscheidung<br />
des BVerfG (…) nachhaltig zu schärfen.«<br />
Die Erhaltung und Stärkung des Rechtsbewusstseins<br />
ist nach diesem Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichts die Grundvoraussetzung<br />
eines wirksamen Lebensschutzes,<br />
von dem in Deutschland bereits<br />
seit langem keine Rede sein kann.<br />
Herr Büchner, haben Sie vielen Dank <strong>für</strong> das<br />
Gespräch.<br />
TITEL<br />
»Vom Handwerk<br />
fasziniert«<br />
Wer ist der Mann, der friedliche <strong>Lebensrecht</strong>ler vor Gericht zerrt<br />
und ihnen verbieten lassen will, schwangere Frauen noch <strong>für</strong> ein<br />
»Ja« zu ihrem Kind zu bewegen? Ein Porträt.<br />
In den frühen 90er Jahren, als in<br />
Politik und Gesellschaft der leidenschaftlich<br />
geführte Streit über<br />
eine Reform des Paragraphen 218 noch<br />
an der Tagesordnung war, kam so gut wie<br />
kein Beitrag zum Thema Abtreibung<br />
ohne ein Zitat von ihm aus. Jahre später,<br />
als es um die Zulassung der<br />
Abtreibungspille RU 486<br />
ging, die inzwischen unter<br />
dem Namen Mifegyne firmiert,<br />
war es ähnlich: In<br />
beinah jedem Artikel fand<br />
Deutschland bekanntester<br />
Abtreibungsarzt wenigstens<br />
kurz Erwähnung.<br />
Zu Recht: Denn auf seinem<br />
Gebiet ist Friedrich<br />
Andreas Stapf ein echter<br />
Spezialist. Seit mehr als<br />
einem Vierteljahrhundert<br />
führt der heute 60jährige in<br />
seinen Kliniken in München<br />
und Stuttgart jeweils bis zu<br />
20 vorgeburtliche Kindstötungen<br />
pro Tag durch. Etwa<br />
100.000 ungeborene Kinder<br />
dürfte er – hochgerechnet<br />
– in den zurückliegenden<br />
Jahren auf diese Weise vom Leben zum<br />
Tode befördert haben.<br />
Dabei hatte Stapf ursprünglich Medizin<br />
nur studiert, um vom Wehrdienst<br />
zurückgestellt zu werden. Und auch danach<br />
konnte er sich offensichtlich nicht<br />
mit allen Möglichkeiten anfreunden, die<br />
sein Fach bietet. Der Mann mit einer<br />
Vorliebe <strong>für</strong> schnelle Autos, teure Segelyachten<br />
und schöne Frauen besitzt weder<br />
einen Doktortitel noch eine Facharztausbildung.<br />
Weil er diese zwar begann, nach<br />
zwei Jahren jedoch hinschmiss, darf er<br />
sich nicht Gynäkologe nennen.<br />
»Abtreibungsarzt war immer mein<br />
Traumberuf«, verriet Stapf Ende der 90er<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
Jahre dem Magazin »Der Spiegel«, dem<br />
er auch erzählt, wie es dazu kam. Während<br />
des Studiums begleitet Stapf seine damals<br />
23 Jahre alte schwangere Freundin zur<br />
Abtreibung. Der illegale Eingriff – 1968<br />
wurde Abtreibung noch mit Gefängnis<br />
bedroht – fand ohne Narkose statt. Wie<br />
Gute Laune: Die Abtreiber Stapf (.l) und Freudemann 1998 in Karlruhe<br />
»Der Spiegel« wissen will, sei Stapf »beim<br />
Anblick der großen Blutmenge«, die auf<br />
den Boden rann, »in Ohnmacht« gefallen.<br />
»Doch«, zitiert das Blatt Stapf, das<br />
»Handwerk« habe ihn »fasziniert«.<br />
Offenbar so sehr, dass er bis vor das<br />
Bundesverfassungsgericht zog, wo er 1998<br />
schließlich erreichte, dass Abtreibungsärzte<br />
mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen<br />
mit der Durchführung vorgeburtlichen<br />
Kindstötungen erzielen dürfen. Der<br />
Freistaat Bayern hatte damals diese Grenze<br />
gezogen, um so das wirtschaftliche<br />
Interesse an Schwangerschaftsabbrüchen<br />
einzugrenzen. Vergeblich. Denn die<br />
Karlsruher Richter entschieden damals,<br />
LebensForum <strong>80</strong> 15<br />
DPA
eine solche Vorgabe sei verfassungswidrig,<br />
da sie sich mit dem Recht auf Berufsfreiheit<br />
nicht vereinen lasse.<br />
Dass Geld durchaus ein Motiv <strong>für</strong> die<br />
Durchführung von Abtreibungen darstelle,<br />
bestreitet Stapf nicht: »Heute will –<br />
außer des Geldes wegen – niemand mehr<br />
Abtreibungen machen.« Stapf selbst, der<br />
mit einer ersten Praxis in Wiesbaden<br />
Pleite ging als die Bank ihm sämtliche<br />
Kredite kündigte, während er wegen Kokain-Konsum<br />
im Gefängnis einsaß, dürfte<br />
davon inzwischen jedoch längst mehr als<br />
genug haben. Bei geschätzten 4.000 Abtreibungen<br />
pro Jahr und Preisen von<br />
355,00 Euro <strong>für</strong> eine Abtreibung mit<br />
Teilnarkose sowie 465,00 Euro bei Vollnarkose,<br />
dürfte allein seine Münchner<br />
Klinik einen Jahresumsatz von weit mehr<br />
als eine Million Euro generieren.<br />
Dass er 1991 in Stuttgart wieder Fuß<br />
fasste, wo er in den Räumen der städtischen<br />
Frauenklinik Berg eine private<br />
ambulante Abtreibungspraxis errichtete,<br />
verdankt Stapf übrigens einem CDU-<br />
Politiker. »Ihre Kokaingeschichte sehe<br />
ich als Jugendsünde an, Stuttgart ist<br />
Einem jungen Mann drohte er damit,<br />
ihn im Keller zu vermöbeln.<br />
schließlich auch in der Drogenrehabilitation<br />
engagiert. Sie haben den Vertrag«,<br />
habe ihm der damalige Stuttgarter Gesundheitsreferent<br />
und Erste Bürgermeister<br />
Rolf Thieringer gesagt.<br />
Auch zu den Vertretern anderer Parteien<br />
unterhielt Stapf enge Beziehungen.<br />
Ex-Bundesfamilienministerin Renate<br />
Schmidt (SPD) durfte einen Tag in seiner<br />
Praxis hospitieren, die FDP-Politikerin<br />
Uta Würfel, die maßgeblich am Zusammenkommen<br />
der geltenden gesetzlichen<br />
Regelungen beteiligt war, ließ sich von<br />
ihm soufflieren.<br />
Bekannt ist Stapf außer <strong>für</strong> gute Beziehungen<br />
zur Politik auch <strong>für</strong> seinen Jähzorn.<br />
Die katholische Kirche etwa, bezeichnet<br />
der Mann, der durchaus einräumt,<br />
dass er »Leben tötet«, auch schon<br />
einmal als die »größte Terrororganisation<br />
der Geschichte«, um die sich »der Verfassungsschutz«<br />
kümmern müsse. »Heute<br />
sagen sie‚ ›du sollst nicht vögeln‹ – morgen<br />
vielleicht, ›du sollst keine Süßigkeiten<br />
essen.‹«<br />
Gehsteigberatern und ihre betenden<br />
Begleiter, die vor seiner Praxis schwangeren<br />
Frauen in letzter Minute Auswege<br />
16<br />
TITEL<br />
offerieren, müssen damit rechnen, von<br />
ihm als »Arschlöcher« tituliert zu werden.<br />
Einen jungen Mann presste er gar gegen<br />
die Hauswand und drohte damit, mit ihm<br />
»in den Keller« zu gehen, um ihn dort<br />
zu »vermöbeln«.<br />
Dabei hätte der Mann allen Grund,<br />
ein wenig nachdenklicher zu sein. In einer<br />
TV-Talkshow mit Margarethe Schreinemakers<br />
berichtete er ausführlich vom<br />
»Ich war überhaupt nicht informiert«<br />
zweifachen Überschlag, den er bei 250<br />
km/h in einem Mercedes SL 500 auf der<br />
Autobahn Stuttgart-München hingelegt<br />
hatte, weil er am Steuer eingeschlafen<br />
war. Den Unfall, von dem die Polizei,<br />
offenbar um den Temposünder zu<br />
überführen, ein Video gedreht hatte, überlebte<br />
er unverletzt. Christen würden wohl<br />
sagen: Gott gibt eben nicht einmal einen<br />
wie ihn auf.<br />
LebensForum dokumentiert das bewegende Zeugnis einer jungen Mutter, der die ALfA<br />
durch Gespräche und tatkräftige Hilfe das »Ja« zu ihrem Kind ermöglichen konnte.<br />
Es war ein regnerischer Tag, an dem ich mich<br />
mit meinem Freund auf den Weg zur Praxis<br />
Stapf machte. Nach langem Zögern hatte ich<br />
mich <strong>für</strong> die Abtreibung entschieden. Mit 18<br />
Jahren fühlte ich mich zu jung <strong>für</strong> ein Kind.<br />
Auch die Beziehung zu meinem Freund war<br />
schwierig. Am meisten jedoch hatte ich Angst<br />
vor der Reaktion meines strengen Vaters.<br />
Mein Freund brachte mich zur Klinik und fuhr<br />
dann schnell davon, um sich mit Freunden zu<br />
treffen und mich dann später wieder abzuholen.<br />
Er hielt sich aus dem ganzen Konflikt<br />
heraus. Für ihn war es am einfachsten so,<br />
weil er sich keine Vorwürfe machen musste.<br />
Es war die schwierigste Entscheidung meines<br />
Lebens und ich fühlte mich ihr nicht gewachsen.<br />
Als Maria mich direkt ansprach, dachte ich<br />
anfangs, sie wäre vom Klinikpersonal und war<br />
verwundert, dass sie versuchte, mich von der<br />
Abtreibung abzuhalten. Im Gespräch wurde<br />
mir bewusst, dass ich die Entscheidung zur<br />
Abtreibung viel zu schnell getroffen hatte.<br />
Informiert war ich überhaupt nicht. Den Beratungsschein<br />
hatte ich nach einem kurzen<br />
Gespräch ausgehändigt bekommen und<br />
ansonsten hatte ich keine Ahnung was Abtreibung<br />
ist.<br />
Wie so ein kleiner Embryo schon aussieht<br />
wusste ich nicht. Natürlich hatte ich irgendwie<br />
ein ungutes Gefühl wegen der bevorstehenden<br />
Abtreibung, aber das war es auch.<br />
Es war schon komisch, dass ich die ersten<br />
Bilder von ungeborenen Kindern vor der Abtreibungsklinik<br />
zu Gesicht bekam und heute<br />
frage ich mich wirklich, warum wir nicht einmal<br />
in der Schule richtig aufgeklärt werden.<br />
Maria bot mir finanzielle Hilfe an und auch,<br />
dass sie bereit wäre, mit meinem Vater zu<br />
reden. Sie schenkte mir ein Buch von Frauen<br />
nach einer Abtreibung.<br />
Mit dem Handy rief ich meinen Freund an und<br />
bat ihn, mich abzuholen. Ich war mir in dem<br />
Gespräch mit Maria bewusst geworden, dass<br />
ich noch mehr Bedenkzeit brauche.<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
Am Abend setzte ich mich hin und begann in<br />
dem Buch zu lesen. Ich war schockiert über<br />
die Gedichte, die Frauen <strong>für</strong> ihre abgetriebenen<br />
Kinder schrieben. Von dem Post-Abortion-<br />
Syndrom hatte ich noch nie etwas gehört.<br />
Am nächsten Tag rief ich Maria an und wir<br />
telefonierten stundenlang.<br />
Maria Grundberger mit Alischa<br />
Das folgende Gespräch mit meinem Vater war<br />
ganz anders als ich mir vorgestellt hatte. Ich<br />
war fest davon überzeugt, dass er mich zum<br />
Abtreiben zwingen würde. Er war geschockt<br />
wegen der Schwangerschaft, doch sagte mir,<br />
dass ich nicht abtreiben soll. Damit hätte ich<br />
nie gerechnet, war doch die Angst vor ihm<br />
einer der Hauptgründe, warum ich abtreiben<br />
wollte.<br />
Jetzt war <strong>für</strong> mich endgültig klar, dass ich<br />
mein Baby behalte.<br />
Die Schwangerschaft war anstrengend und<br />
auch finanziell war es sehr schwer, da ich bei<br />
meinen Eltern ausziehen musste. Maria besorgte<br />
mir mehrere hundert Euro von der ALfA<br />
und so konnte ich den Umzug managen und<br />
Sachen <strong>für</strong> mein Baby kaufen. Für diese Hilfe<br />
bin ich sehr dankbar. Auch ein mit Maria<br />
befreundetes Ehepaar schenkte mir Geld zur<br />
Geburt. Mit so viel Hilfe hätte ich nicht gerechnet.<br />
Am 31. Mai diesen Jahres wurde meine Tochter<br />
Alisha geboren. Meine ganze Familie ist<br />
glücklich.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
IN EIGENER SACHE<br />
LebensForum ist eine populärwissenschaftliche Zeitschrift. Sie will<br />
jenen Orientierung bieten, die sich im Lebensschutz engagieren.<br />
Sie liefert Argumente, um das Recht auf Leben zu verteidigen und<br />
informiert über die, die es missachten. Nachdem Leser mehrfach<br />
Anstoß an einigen Titelbildern genommen haben, bezieht nun die<br />
Redaktion Stellung.<br />
Zugegeben, so manches Titelbild<br />
von LebensForum war nicht<br />
selten aufregend. Ja, schockierend!<br />
Da zeigen sich die Gesichter von<br />
Wunschkindern im Reagenzglas, Kinder<br />
werden nach persönlichem Geschmack<br />
geformt, vervielfältigt und zum »Verzehr«<br />
»gebacken«, da steht der Embryo im<br />
Fadenkreuz begehrlicher Stammzellforscher,<br />
da ist eine 100-köpfige Klonarmee<br />
<strong>für</strong> das »therapeutische Forschen« in<br />
ferner Zukunft vorbereitet, Embryonen<br />
werden <strong>für</strong> die Stammzellforschung, die<br />
Chimärenbildung und weitere Experimente<br />
als Biomaterial durch den Fleischwolf<br />
gedreht. Der Mutterleib kann – in<br />
angeblich selbstbestimmter, weitgehend<br />
beliebiger »sozialer Indikation« – zur<br />
Todesfalle werden. Und wird das<br />
unterjüngte Deutschland am Ende des<br />
inzwischen langen menschlichen Lebens<br />
– wieder einmal – »Gas geben«, der<br />
Handhabbarkeit und rationalen Endlösung<br />
wegen?<br />
Zweifellos sind diese Bilder provokativ.<br />
Aber, so lässt sich fragen, ist die Realität<br />
etwa weniger schlimm? Fachkompetenzen<br />
wie Professor Hubert Markl, vormals<br />
»Farbe belebt nicht nur,<br />
sie abstrahiert auch.«<br />
Wovon wir uns<br />
Bilder machen<br />
Chef der Max-Planck-Gesellschaft, und<br />
der Berliner Philosoph Volker Gerhardt<br />
wollen dem Embryo die Menschenwürde<br />
absprechen und sie nach je eigenem For-<br />
Dr. med. Dr. theol. h.c. Maria Overdick-Gulden<br />
ARCHIV<br />
schungsvorhaben und durchaus selbstbestimmend<br />
vielleicht dem reiferen Föten<br />
oder doch erst dem geborenen Säugling,<br />
wenn nicht gar wie der Australier Peter<br />
Das Kunstwerk »Acht rote Rechtecke« von Kasimir S. Malewitsch<br />
Singer nach der Geburt »zuerkennen«.<br />
Die Forschungsfreiheit will/wird die<br />
Würdegrenze festlegen? Wer zuerst an<br />
sich und sein Fortkommen denkt, in Forschung<br />
und Ökonomie den zu fordernden<br />
Respekt vor jedem Menschen als Ganzheit,<br />
also dem Mensch-Sein als solchem,<br />
verweigert und in Produktion und Verarbeitung<br />
von Menschenmaterial, – wie das<br />
unter anderem auch Professor Birnbacher<br />
oder der Hamburger Rechtsphilosoph<br />
Reinhard Merkel propagieren, – nur<br />
nützliche Forschungs-Chancen sieht,<br />
konfrontiert uns ziemlich auftrumpfend<br />
mit der nackten Realität, einer eiskalten<br />
»Humanität«, die einen frieren lässt.<br />
Einer »Ethik des Heilens« mittels Embryonenverbrauch<br />
stellt sich die Verteidigung<br />
der grundsätzlichen Unantastbarkeit<br />
der Menschenwürde und des<br />
prinzipiellen <strong>Lebensrecht</strong>s aller Menschenwesen<br />
als wissenschaftliches Hindernis<br />
und »Fesselung« dar, so Markl.<br />
Juristische Schützenhilfe erhielt diese<br />
bioethische Provokation von dem Neukommentar<br />
des Grundgesetzes durch<br />
Matthias Herdegen im Jahr 2003, der<br />
sich vom Naturrecht lossagt und rechtspositivistisch<br />
<strong>für</strong> eine gradualistisch reifende<br />
Menschenwürde ausspricht. Die<br />
Menschenwürde also »war unantastbar«?<br />
Der langjährige Richter am Bundesverfassungsgericht<br />
Professor Ernst-Wolfgang<br />
Boeckenförde kritisierte diese »neue«<br />
Rechtsprechung bedauernd. Mit Artikel<br />
1 Absatz 1 verschwinde der »Pfeiler im<br />
Strom«!<br />
Wie also solch »dunkle Materie« darstellen?<br />
Auf Symbole ausweichen, wenn<br />
der Embryo-Caust auf europäischem<br />
Boden zunehmend<br />
an Terrain gewinnt?<br />
Sie etwa darstellen als rote<br />
Rechtecke auf weißem<br />
Grund, wie sie der russische<br />
Avantgardist Kasimir S.<br />
Malewitsch gemalt hat –<br />
rote Rechtecke als Spuren<br />
solchen Tötens? Farbe belebt<br />
nicht nur, sie abstrahiert<br />
auch. Sie lässt sich deuten.<br />
Die Nichtfarbe Schwarz<br />
deckt zu. Wie das geschlossene<br />
Augen tun. Sollten wir<br />
unser LebensForum vielleicht<br />
mit einem Cover ganz<br />
in Schwarz drucken, weil<br />
die politischen und gesellschaftlichen<br />
Dinge gar zu<br />
schrecklich <strong>für</strong> unsere lebensnahe<br />
Wahr-Nehmung<br />
sind? Weil unsere Ästhetik<br />
angesichts der Anschläge<br />
auf <strong>Lebensrecht</strong> und Menschenwürde<br />
aufschreit und sich ihnen<br />
widersetzt? Sie von sich schieben und<br />
jedes Bild davon vermeiden will?<br />
Sicher gibt es auch Hoffnungszeichen,<br />
wir brauchen sie. Das Leben ist facettenreich.<br />
Gott sei Dank! Da werden durch<br />
mutig und verständnisvoll gesprochene<br />
Worte Kinder gerettet, Seelen befriedet,<br />
Verletzungen geheilt, Probleme gemeinsam<br />
angegangen. Auch davon machen<br />
wir uns ein Bild. Dort, wo es die Realität<br />
erlaubt.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 17
Einen Tag vor dem chinesischen<br />
Nationalfeiertag am 1. Oktober<br />
strahlte das ZDF in der Magazinsendung<br />
»heute-journal« Bilder eines<br />
Beitrags aus, die der in Peking stationierte<br />
Korrespondent der britischen Fernsehgesellschaft<br />
BBC, Rupert Wingfield-<br />
Hayes, mit versteckter Kamera im Zentralhospital<br />
Nr. 1 in Tinanjin aufgenommen<br />
hatte. Gefilmt hatte Wingfield-<br />
Hayes ein Gespräch, das er mit dem<br />
Chefchirurgen des Krankenhauses<br />
– eigenen Angaben zufolge Asiens<br />
größter Transplantationsklinik<br />
– und dem<br />
<strong>für</strong> Auslandsgeschäfte<br />
zuständigen Leiter<br />
führte, und das einen<br />
von vielen seit langem<br />
gehegten Verdacht zu<br />
bestätigen scheint: Im<br />
Land der Mitte, in dem<br />
mehr Todesurteile vollstreckt<br />
werden als in allen<br />
anderen Ländern der Welt<br />
zusammen, verkaufen Krankenhäuser<br />
die Organe von Hingerichteten<br />
an zahlungskräftige Ausländer. Chinesischen<br />
Presseberichten zufolge reisten in<br />
den letzten drei Jahren allein 3.000<br />
Südkoreaner nach China, um dort eine<br />
Organtransplantation durchführen zu<br />
lassen. Rund 50.000 Euro soll eine Niere,<br />
rund 125.000 Euro eine Lunge kosten.<br />
PASSENDE LEBER IN DREI WOCHEN<br />
Für den Beitrag, den die BBC selbst<br />
wenige Tage zuvor in China zu senden<br />
versucht hatte, hatte sich Wingfield-<br />
Hayes als Sohn eines Leberkranken ausgegeben,<br />
der auf der Suche nach einem<br />
passenden Organ sei. »Ja«, die Organe<br />
stammten von Hingerichteten, bestätigt<br />
Chefchirurg Deng vor der versteckten<br />
Kamera und fügt hinzu, dass vor dem<br />
Nationalfeiertag in China jedes Mal<br />
besonders viele Hinrichtungen stattfän-<br />
18<br />
AUSLAND<br />
Bei Bestellung Mord<br />
Nicht erst seit gestern werden in der Volksrepublik China Geschäfte mit den Organen von Hingerichteten<br />
gemacht. Doch nun drängt sich der Verdacht auf, die Vollstreckung der Todesurteile könnte sich gar<br />
an der Nachfrage aus dem Ausland orientieren.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
den. »Wir werden eine Menge Organe<br />
vorrätig haben«, erläutert Liu Wenzhi,<br />
mit dem Wingfield-Hayes die finanziellen<br />
Verhandlungen führte. Als er zusagte, die<br />
geforderten rund 75.000 Euro (50.000<br />
britische Pfund) auf ein Konto in Hongkong<br />
einzuzahlen, versprachen ihm Deng<br />
und Liu Wenzhi eine Wartezeit von nur<br />
drei Wochen <strong>für</strong> eine passende Leber.<br />
Die Zensurbehörde in Peking, die<br />
in jede Fernsehübertragung<br />
eingreifen kann, unterbrach<br />
den ausgestrahlten BBC-<br />
Beitrag und blendete<br />
in der Folge<br />
VOLKSREPUBLIK<br />
CHINA<br />
auch alle<br />
Wiederholungen<br />
des Beitrags aus.<br />
Wenig später nahm dann der Sprecher<br />
des chinesischen Außenministeriums, Qin<br />
Gang, zu dem Thema Stellung. Gegenüber<br />
der Nachrichtenagentur AFP<br />
räumte Gang ein, dass hingerichteten<br />
Menschen Organe entnommen werden<br />
könnten, allerdings würde mit ihrem<br />
Gebrauch »sehr vorsichtig« umgegangen.<br />
»Der Handel mit Organen ist verboten«,<br />
zitiert die Agentur den Sprecher. Eine<br />
Organspende setze das schriftliche Einverständnis<br />
des Spenders voraus und benötige<br />
Genehmigungen der örtlichen<br />
Gesundheitsbehörde und des örtlichen<br />
Gerichts. Sofern solche Operationen statt-<br />
fänden, geschehe dies jeweils in strikter<br />
Übereinstimmung mit dem Gesetz.<br />
Seit Mitte des Jahres gibt es in China<br />
erstmals eine Verordnung zum Umgang<br />
mit Organen, die einen Missbrauch verhindern<br />
sollen. Kritiker stuften die darin<br />
getroffenen Bestimmungen jedoch als<br />
völlig unzureichend ein. Laut der<br />
britischen Transplantations-<br />
Gesellschaft (BTS) gibt es<br />
immer mehr Hinweise,<br />
dass die Organe<br />
ohne Einwilligung<br />
der Gefangenen<br />
oder deren Angehörigen<br />
entnommen würden.<br />
8.000 HINRICHTUNGEN PRO JAHR<br />
In China, wo nach Angaben<br />
von der Menschenrechtsorganisation<br />
»Amnesty International« fast <strong>80</strong><br />
Prozent aller weltweiten Todesurteile<br />
vollstreckt werden, kann<br />
eine Person <strong>für</strong> mehr als 68<br />
Verbrechen zum Tode verurteilt<br />
werden. Auch auf gewaltlose Delikte<br />
wie Steuerbetrug, Veruntreuung<br />
und Drogenvergehen steht die Todesstrafe.<br />
Die genaue Zahl der Hinrichtungen<br />
hütet die chinesische Regierung<br />
seit Jahrzehnten wie ein Staatsgeheimnis.<br />
Für das Jahr 2005 ermittelte<br />
Amnesty International 1.770 Hinrichtungen.<br />
Auf ihrer Webseite verweist die Menschenrechtsorganisation<br />
jedoch auf einen<br />
chinesischer Rechtsexperten, der die<br />
tatsächliche Zahl der hingerichteten Menschen<br />
in China auf rund 8.000 pro Jahr<br />
schätzt.<br />
Bereits im Juli hatte der kanadische<br />
Menschenrechtsanwalt David Matas gemeinsam<br />
mit dem ehemaligen kanadischen<br />
Parlamentarier David Kilgour einen<br />
Aufsehen erregenden Bericht vorgelegt,<br />
der einen Zusammenhang zwischen Organhandel<br />
und Hinrichtungen nahe legt.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
Danach würden in China immer wieder<br />
Gefangene getötet, um ihnen die Organe<br />
zu entnehmen. In vielen Fällen soll es<br />
sich bei den Opfern um Angehörige der<br />
Falun-Gong-Bewegung handeln, die in<br />
der Volksrepublik China verfolgt wird.<br />
SPRITZE LÖST HERZVERSAGEN AUS<br />
Der 60seitige Bericht enthält unter<br />
anderem die Aufzeichnungen von Telefonaten<br />
zwischen Haftanstalten und<br />
Transplantationskliniken, in denen Behördenvertreter<br />
die schnelle Lieferung<br />
von Organen versprachen sowie ein Interview<br />
mit der Frau eines Chirurgen,<br />
der binnen zwei Jahren bei rund 2.000<br />
»Falun Gong« praktizierenden Inhaftierten<br />
die Hornhäute der Augen entfernte.<br />
Den Häftlingen soll zuvor eine Injektion<br />
verabreicht worden sein, die ein Herzversagen<br />
auslöste.<br />
Anfangs seien den noch lebenden Opfern<br />
von mehreren Ärzten in verschiedenen<br />
Räumen nacheinander die Organe<br />
entnommen worden. »Nachdem die Ärzte<br />
mehrere Organentnahmen durchgeführt<br />
hatten, wurden sie mutiger und begannen,<br />
die Organentnahme gemeinsam<br />
durchzuführen. Einer der Ärzte entnahm<br />
die Augenhornhaut, ein anderer die Niere,<br />
ein dritter Arzt operierte die Leber heraus.<br />
(...) Wenn die Haut des Opfers nicht<br />
entfernt worden war, sondern nur die<br />
inneren Organe, wurde der Körper wieder<br />
INFORMATION<br />
Falun Gong<br />
»Falun Gong« ist der Name <strong>für</strong> eine<br />
uralte buddhistische Meditationspraxis,<br />
die heute von immer mehr Chinesen<br />
praktiziert wird. Einer Selbstdarstellung<br />
zufolge handelt es sich dabei um »ein<br />
hoch entwickeltes System um Herz,<br />
Geist und Körper zu reinigen und zu<br />
stärken«. Ursprünglich sei die Methode<br />
nur von einem Meister an seinen Schüler<br />
weitergegeben worden. 1992 soll sie<br />
dann von Li Hongzhi in China erstmals<br />
der Öffentlichkeit vorgestellt worden<br />
sein. Falun Gong soll jenen, die es praktizieren,<br />
helfen, »das Gleichgewicht von<br />
Körper und Geist wieder herzustellen«<br />
und »mit der Natur und den Prinzipien<br />
des Kosmos in Einklang zu kommen«.<br />
Auch wenn das Ziel der Meditation vor<br />
allem darin bestehe, die Falun Gong-<br />
Praktizierenden »zu Harmonie und Weisheit«<br />
zu bringen, werde der Meditationstechnik<br />
nachgesagt, sich positiv auch<br />
auf die Gesundheit der Betreffenden<br />
auszuwirken.<br />
Manfred Nowak, UNO-Sonderbotschafter<br />
geschlossen und ein Beauftragter unterschrieb<br />
die Papiere«, heißt es etwa in dem<br />
Bericht.<br />
UNO PLANT UNTERSUCHUNG<br />
Nun will sich der UNO-Menschenrechtsrat<br />
in Genf mit den Vorwürfen<br />
befassen. Laut Matas erklärte sich der<br />
UNO-Sonderbotschafter <strong>für</strong> Folter, der<br />
Österreicher Manfred Nowak, bereit, die<br />
Vorwürfe zu untersuchen.<br />
Die Volksrepublik China steht seit<br />
längerem in dem Verdacht, eine Drehscheibe<br />
des internationalen Organhandels<br />
zu sein. Da sowohl nach dem konfuzianischen<br />
als auch nach dem buddhistischen<br />
Glauben die Leichen der Verstorbenen<br />
unangetastet bleiben müssen, übersteigt<br />
die Nachfrage nach Organen das Angebot<br />
im Fernen Osten bei weitem. Damit entsteht<br />
eine lukrative Ausgangslage <strong>für</strong> jene,<br />
die neben dem Organhandel auch vor<br />
dem Organraub nicht zurückschrecken.<br />
»Hingerichtete Gefangene dienen als<br />
eine der Hauptquellen <strong>für</strong> Organe«, zitiert<br />
die »Deutsche Welle«, den Transplantationsmediziner<br />
Cheng Zhonghua, Vorsitzender<br />
des Transplantationsinstituts der<br />
Uniklinik Tonji. Der Bericht von Matas<br />
und Kilgour führt zudem Internetseiten<br />
chinesischer Kliniken an, auf denen es<br />
unter anderem heißt: »weiche innere<br />
Organe (...) wie das Gehirn, Lungen,<br />
Herz, etc. können umgehend gefunden<br />
werden.«<br />
RIESIGE BANK LEBENDER SPENDER<br />
Die Webseite des Internationalen ChinesischenTransplantations-Betreuungszentrums<br />
offerierte etwa: »In nur<br />
einer Woche finden wir einen passenden<br />
(Nieren-)Spender, es dauert höchstens<br />
einen Monat.« Weiter heißt es: »Wenn<br />
etwas Unvorhergesehenes mit dem Organ<br />
eines Spenders passiert, hat der Patient<br />
die Möglichkeit, dass ihm ein anderer<br />
Organspender angeboten wird«. Die<br />
Operation könne »dann in einer Woche<br />
erneut stattfinden.« Auf der Webseite des<br />
Transplantationszentrums des Ostens<br />
hieß es Anfang April 2006, »die durchschnittliche<br />
Wartezeit (<strong>für</strong> eine passende<br />
Leber) beträgt zwei Wochen.« Und die<br />
Webseite des Changzheng Hospitals in<br />
Shanghai prahlte gar: »Die durchschnittliche<br />
Wartezeit <strong>für</strong> die Bereitstellung<br />
einer Leber beträgt <strong>für</strong> alle Patienten<br />
eine Woche.«<br />
Zur Orientierung: In Deutschland liegt<br />
die durchschnittliche Wartezeit auf eine<br />
Niere bei fünf Jahren. Da zudem die<br />
Überlebenszeit einer Niere bei 24 bis 48<br />
Stunden und die einer Leber bei ca. zwölf<br />
Stunden liegt, müsse es, folgern Matas<br />
und Kilgour, <strong>für</strong> die chinesischen Transplantationszentren<br />
»eine riesige Organbank<br />
von lebenden Nieren-/Leber-<br />
›Spendern‹ geben, da sie andernfalls ihren<br />
Kunden nicht solch kurze Wartezeiten<br />
zusichern könnten.« Die erstaunlich kurzen<br />
Wartezeiten, mit denen <strong>für</strong> perfekt<br />
passende Organe geworben wird, ließe<br />
die Existenz sowohl eines computergesteuerten<br />
Abgleichsystems vermuten, das<br />
die passenden Organe <strong>für</strong> Transplantationen<br />
findet als auch eine große Bank von<br />
potentiellen »Spendern«.<br />
Da wundert es kaum, dass sich der im<br />
Grunde ungeheuerliche Verdacht, Hinrichtungen<br />
und Organtransplantationen<br />
könnten im Reich der Mitte gar synchronisiert<br />
werden, ganz wie von selbst aufdrängt.<br />
Ob er sich aus der Welt schaffen<br />
lässt, kann nur eine gewissenhafte Prüfung<br />
zeigen. Dass die chinesische Regierung<br />
sich dabei als hilfreich erweisen wird,<br />
braucht nach den bisherigen Erfahrungen,<br />
welche die Welt mit der Kommunistischen<br />
Partei Chinas machen konnte, trotz<br />
der Fernsehberichte niemand zu erwarten.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 19<br />
EPOCHTIMES.COM<br />
MINGHUI.COM<br />
David Matas, Menschenrechtsanwalt
In der RTL-Sendung »Stern-TV«<br />
vom 16. August um 22.15 Uhr behandelte<br />
ein Beitrag das Post-<br />
Abortion-Syndrom. Günter Jauch, seit<br />
1990 Moderator der Sendung, kündigte<br />
diesen mit den Worten an, dass es mehr<br />
als 100.000 Abtreibungen pro Jahr in<br />
Deutschland gebe und viele Frauen in<br />
Folge eines Schwangerschaftsabbruchs<br />
schweres Leid ertragen müssten.<br />
Dann beginnt der aufgezeichnete Beitrag<br />
mit dem ersten Fall: Eine Frau nimmt<br />
einen Säugling aus dem Bettchen und<br />
lächelt ihn an; sie ist gut gelaunt. Das war<br />
nicht immer so: Vor drei Jahren hatte sie<br />
bereits drei Kinder und wurde dann<br />
20<br />
GESELLSCHAFT<br />
Das Schweigen gebrochen<br />
Nachdem die <strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> e.V. (ALfA) nicht zuletzt im LebensForum mehrfach umfassend<br />
über das Post-Abortion-Syndrom informiert hat, greifen nun auch andereMedien<br />
das wichtige Thema auf. Prominenteste Beispiele: Die Sendung »Stern-TV« und Eva Hermans<br />
vieldiskutiertes Buch »Das Eva-Prinzip«.<br />
Günter Jauch: Wagte sich an das Post-Abortion-Syndrom<br />
Von Matthias Lochner<br />
überraschend wieder schwanger. Eigentlich,<br />
so erzählt sie, sei <strong>für</strong> sie eine Abtreibung<br />
von Anfang an nicht in Frage gekommen.<br />
<strong>Alle</strong>rdings sei ihre finanzielle<br />
Situation so angespannt gewesen, dass<br />
ihr Mann sie zur Abtreibung gedrängt<br />
habe. Der Ehemann sagt dann vor der<br />
Kamera, er habe dies<br />
DPA<br />
als die <strong>für</strong> alle Beteiligten<br />
beste Lösung<br />
empfunden. Abgesehen<br />
davon, dass ein<br />
Kind infolge dieser<br />
»besten Lösung« getötet<br />
wurde, hat der er<br />
wohl nicht geahnt,<br />
welche schwerwiegenden<br />
Folgen die Abtreibung<br />
<strong>für</strong> seine Frau<br />
haben würde. Unmittelbar<br />
nach der Abtreibung,<br />
so schildert die<br />
Frau den Tränen nahe,<br />
habe sie eine innerliche<br />
Leere empfunden,<br />
Wut auf sich selbst gehabt,<br />
Schuldgefühle<br />
hätten sie geplagt. Erst<br />
dann habe sie sich<br />
langsam damit auseinander<br />
gesetzt, was sie<br />
eigentlich getan hatte.<br />
Sie fiel in eine schwere<br />
Depression und hegte<br />
Selbstmordgedanken:<br />
»Die Abtreibung ist<br />
auch Tötung. Ich habe<br />
es dann auch nicht besser verdient«, gibt<br />
sie wieder, was ihr damals durch den Kopf<br />
ging.<br />
»Man fühlt sich so was von elendig<br />
und traurig«, bestätigt eine andere Frau,<br />
die ebenfalls ihr viertes Kind abtreiben<br />
ließ, vor der Kamera. Wie so häufig, war<br />
auch bei ihr der Druck von außen groß;<br />
vom Partner, der Familie, den Bekannten.<br />
Keiner habe Verständnis <strong>für</strong> sie gehabt,<br />
bis sie schließlich auf die Selbsthilfegruppe<br />
»Rahel e.V.« gestoßen sei. Hier sei ihr<br />
Verständnis entgegengebracht worden<br />
und sie habe zum ersten Mal über die<br />
Abtreibung sprechen können. Sie habe<br />
gelernt, sich der Sache zu stellen und<br />
nicht weiter davon zu laufen, erklärt sie<br />
später im Beitrag. So konnte sie schließlich<br />
nach einem Jahr intensiver Gespräche<br />
bei »Rahel e.V.« die Folgen der Abtreibung<br />
verarbeiten.<br />
So ergeht es vielen Frauen, berichtet<br />
Gisela Koch, Vorsitzende der 1992<br />
gegründeten Selbsthilfegruppe. Etwa<br />
zehn Frauen kämen pro Woche zu ihr.<br />
Die meisten wollten einfach über sich<br />
und die Abtreibung sprechen. Sie suchten<br />
jemanden, der ihnen zuhöre, berichtet<br />
»Die Frau erzählt, wie sie auf ihren<br />
Bauch schlug, sich die Haare ausriss.«<br />
Koch gegenüber Stern-TV. Kaum eine<br />
Frau wüsste, dass sie wirklich krank sei,<br />
geschweige denn, dass sie das Post-<br />
Abortion-Syndrom habe.<br />
Zu diesen zählt auch eine dritte Frau,<br />
die zwar vor 40 Jahren abgetrieben hat,<br />
aber noch heute unter den Folgen leidet.<br />
Sie erzählt, dass ihr Kind sie bis heute in<br />
Gedanken verfolge. Jedes Jahr denke sie<br />
daran, wie alt das Kind jetzt sei, wie es<br />
sich wohl entwickelt hätte, was aus ihm<br />
geworden wäre. Jahrelang habe man ihr<br />
Psychopharmaka verschrieben, ohne ihr<br />
wirklich zu helfen. Erst bei »Rahel e.V.«<br />
habe man ihr helfen können, sie über das<br />
Post-Abortion-Syndrom aufgeklärt.<br />
»Das Post-Abortion-Syndrom wird<br />
nicht ernst genommen«, beklagt denn<br />
LebensForum <strong>80</strong>
auch der Gynäkologe Dr. Detlev Katzwinkel<br />
in dem Beitrag. Und das, obwohl<br />
die Situation dramatisch sei. Bei zwei von<br />
drei Frauen, die abgetrieben hätten, sei<br />
eine medizinische Behandlung notwendig,<br />
so Katzwinkel. Dies bestätigt auch der<br />
erste Fall des Beitrags: Die Frau erzählt,<br />
wie sie sich selbst verletzte, auf ihren<br />
Bauch schlug, sich die Haare ausriss. Ihre<br />
Sehnsucht nach dem Kind sei immer<br />
größer geworden. Sie habe unentwegt<br />
Babyalben angeschaut und begonnen,<br />
Briefe an ihr abgetriebenes Kind zu schreiben.<br />
Mehr und mehr zog sie sich aus der<br />
Familie zurück und lebte zunehmend in<br />
ihrer eigenen Welt. Schließlich empfand<br />
sie tiefen Hass gegenüber ihrem Ehemann,<br />
da er sie in ihren Augen zu der<br />
fatalen Entscheidung gezwungen hatte.<br />
»Die Wunde ist verblasst,<br />
aber sie ist noch da.«<br />
Ihre Krankheit und die Ehekrise konnten<br />
erst durch einen ungewöhnlichen Entschluss<br />
überwunden werden: Drei Jahre<br />
nach der Abtreibung entschied sich das<br />
Ehepaar bewusst <strong>für</strong> ein viertes, ein »ganz<br />
besonderes Wunschkind«. Zwar könne<br />
dieses Kind das abgetriebene nicht ersetzen,<br />
aber zumindest den Schmerz stillen,<br />
so die vierfache Mutter. »Die Wunde ist<br />
verblasst, aber sie ist noch da.« Auch der<br />
Ehemann bereut heute, seine Frau damals<br />
zur Abtreibung gedrängt zu haben: »Ich<br />
würde nie wieder den Schritt machen und<br />
sagen, wir lassen ein Kind abtreiben.«<br />
Am Ende des aufgezeichneten Beitrags<br />
ist das Ehepaar dann gemeinsam zu sehen:<br />
Sie weinend, er umarmend, mit dem Versuch<br />
sie zu trösten.<br />
Im Studio von »Stern-TV« sitzt das<br />
Ehepaar dann Günter Jauch gegenüber;<br />
die Frau hat den schlafenden Säugling,<br />
das »Wunschkind«, in den Armen. Jauch<br />
fragt, ob sie immer noch Schuldgefühle<br />
plagten und die vierfache Mutter erzählt,<br />
dass sie noch etwa einmal pro Monat von<br />
der Abtreibung eingeholt werde und in<br />
Tränen ausbreche, wie es zuvor am Ende<br />
des Beitrags zu sehen gewesen sei. Daran<br />
könne auch die Geburt des vierten Kindes<br />
nichts ändern. Auf die Frage, wie viele<br />
Frauen denn nun an den Folgen einer<br />
Abtreibung leiden, gibt die im Publikum<br />
sitzende Gisela Koch 70 Prozent an.<br />
Wenn diese Frauen zu »Rahel e.V.« kämen,<br />
sprudele es so aus ihnen heraus und<br />
es folgten 2-3stündige schwere Ge-<br />
spräche. »Abtreibung müsste verboten<br />
werden«, gibt die Vorsitzende der Selbsthilfegruppe<br />
denn auch die Meinung vieler<br />
betroffener Frauen wieder.<br />
Jauch, der sichtlich interessiert ist,<br />
wendet sich dann an Dr. Katzwinkel,<br />
Chefarzt der Abteilung Gynäkologie und<br />
Geburtshilfe am St. Martinus Krankenhaus<br />
Langenfeld, der ebenfalls im Publikum<br />
sitzt. Er berät viele Frauen vor einem<br />
möglichen Schwangerschaftsabbruch und<br />
ermutigt sie zu einem<br />
Leben mit dem Kind.<br />
Sie kämen gezielt zu<br />
ihm, da sie wüssten, dass<br />
in seinem Krankenhaus<br />
keine Abtreibungen<br />
durchgeführt werden,<br />
meint Katzwinkel. Er ist<br />
überzeugt: »Jede Frau<br />
trägt einen Wunsch zum<br />
Kind in sich«. Dies stelle<br />
er immer wieder in den<br />
Beratungsgesprächen<br />
fest. Die meisten Gründe<br />
<strong>für</strong> eine Abtreibung<br />
seien vordergründig und<br />
kämen, wie im Beitrag<br />
zu sehen, von außen, so<br />
der Gynäkologe. Jauch<br />
zeigt zwar Verständnis,<br />
fragt aber dennoch, ob eine Abtreibung<br />
nicht auch eine Erleichterung <strong>für</strong> eine<br />
Frau sein könne. Nach der Abtreibung<br />
seien die Frauen zwar häufig erst erleichtert,<br />
dann aber, nach fünf, zehn oder<br />
manchmal erst 30 Jahren empfänden sie<br />
tiefe Reue, so Gisela Koch am Ende der<br />
Sendung.<br />
Nicht nur die Tatsche, dass RTL solch<br />
ein Thema in einer seiner populärsten<br />
Sendungen behandelt, ist erfreulich, sondern<br />
auch die Resonanz auf den Beitrag.<br />
In den beiden vergangenen Monaten seit<br />
Ausstrahlung der Sendung hat »Rahel<br />
e.V.« eigenen Angaben zufolge unzählige<br />
Anrufe und Mails erhalten. »Wir werden<br />
von Anfragen geradezu überflutet und<br />
schaffen es kaum noch, sie alle zu bear-<br />
»Wir werden von Anfragen<br />
geradezu überflutet.«<br />
beiten«, sagt Gisela Koch gegenüber<br />
LebensForum. Die enorme Anfrage belegen<br />
auch die Zahlen der Besucher auf<br />
der Internetseite der Selbsthilfegruppe<br />
(www.rahel-ev.de). Während vor Ausstrahlung<br />
der Sendung im Schnitt 50 bis<br />
60 Leute pro Tag die Homepage besuchten,<br />
waren es am Tag der Ausstrahlung<br />
knapp 700 und einen Tag später sogar<br />
1.200. Auch in den Tagen danach waren<br />
es täglich zwischen 200 und 500 Besucher<br />
und mittlerweile sind es durchschnittlich<br />
etwa 100 bis 120 pro Tag, also doppelt<br />
so viele wie vor dem Beitrag in »Stern-<br />
TV«.<br />
Viele Frauen, die sich meldeten, würden<br />
ebenfalls an den Folgen einer Abtreibung<br />
leiden und seien<br />
einfach nur froh, dass<br />
nun endlich in den Medien<br />
darüber berichtet<br />
werde, verrät Koch<br />
gegenüber LebensForum.<br />
Auch habe es sie<br />
überrascht, dass es keine<br />
negativen Rückmeldungen<br />
gegeben habe.<br />
»Damit haben wir nicht<br />
gerechnet«, sagte die<br />
Vorsitzende der Selbsthilfegruppe<br />
dem LebensForum.<br />
Auch an anderer<br />
prominenter Stelle wird<br />
über Abtreibung und<br />
das Post-Abortion-<br />
Syndrom berichtet. In<br />
ihrem Buch »Das Eva-Prinzip«, über das<br />
in allen Medien immer noch heftig debattiert<br />
wird, widmet Eva Herman der<br />
Thematik immerhin ein ganzes Unterkapitel.<br />
Unter der Überschrift »Die Abwertung<br />
der Weiblichkeit« heißt es ab Seite<br />
208: »Man kann die fatale Bedeutung des<br />
Kampfes <strong>für</strong> die Legalisierung der Abtreibung<br />
gar nicht hoch genug einschätzen,<br />
wenn man sich mit dem Feminismus beschäftigt.<br />
Denn es ging dabei ja nicht nur<br />
um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs,<br />
es ging auch darum, ihn als<br />
harmlos herunterzuspielen, als sei das nur<br />
wie ein Zahnarztbesuch.«<br />
Gerade die Proteste gegen den Paragraphen<br />
218 enthüllten ein zutiefst bedrohliches<br />
Moment der Frauenbewegung.<br />
Es sei nicht nur der überaus feindselige<br />
und ablehnende Umgang mit einem<br />
ungeborenen Kind gewesen, es sei auch<br />
die wenig einfühlsame Auseinandersetzung<br />
mit den Frauen gewesen, schreibt<br />
Eva Herman weiter und fragt: »Ist das<br />
ungeborene Leben nicht ein Teil von<br />
uns? Wird bei einer Abtreibung nicht ein<br />
Stück von uns zerstört?«<br />
Nach dieser provokanten Einführung<br />
kommt Herman schließlich auf die<br />
schwerwiegenden Folgen der Abtreibung<br />
zu sprechen: »Die Diskussion um den<br />
Paragraphen 218 schien beendet, als die<br />
Abtreibung prinzipiell straffrei zugelassen<br />
LebensForum <strong>80</strong> 21
GESELLSCHAFT<br />
wurde. Doch so ist es nicht. Heute weiß<br />
man aus der ›Post-Abortion‹-Forschung,<br />
die sich mit den Folgen von Abtreibungen<br />
beschäftigt, dass ein Schwangerschaftsabbruch<br />
in den Biografien der meisten Frauen<br />
eine seelische Schädigung hinterlässt.«<br />
Oft trauerten Frauen ein Leben lang um<br />
Eva Herman stellte auf der Buchmesse ihr Buch »Das Eva Prinzip« vor<br />
das verlorene Kind, und es sei belegt, dass<br />
die meisten Beziehungen danach scheitern,<br />
so Herman weiter. »Heute werden<br />
in Deutschland täglich etwa 1.000 Abtrei-<br />
»Wenige Frauen ahnen,<br />
worauf sie sich einlassen.«<br />
bungen vorgenommen. Wenige Frauen<br />
ahnen, worauf sie sich einlassen, wenn<br />
sie das Risiko einer Schwangerschaft mit<br />
dem Bewusstsein eingehen, dass man ‚es’<br />
ja wegmachen lassen kann. Sie lassen sich<br />
blenden von Begriffen wie Selbstbestimmung<br />
und Entscheidungsfreiheit, die der<br />
Feminismus ihnen bescherte«, kritisiert<br />
die Autorin.<br />
22<br />
Heute sei nicht die Abtreibung ein<br />
Politikum, sondern die Erforschung der<br />
Folgen. Nur wenige Studien beschäftigten<br />
sich mit dem Post-Abortion-Syndrom –<br />
weil das einfach nicht zum Zeitgeist passe.<br />
Studien dieser Art seien gesellschaftlich<br />
nicht erwünscht, weil die Abtreibung<br />
heute als »unbedenk-<br />
DPA<br />
liches Mittel der Geburtenkontrollegewertet<br />
wird«, zitiert<br />
die Autorin Ingolf<br />
Schmidt-Tannwald,<br />
Professor <strong>für</strong> Frauenheilkunde<br />
und Geburtshilfe<br />
und langjähriger<br />
Leiter der Familienplanungsstelle<br />
an der Frauenklinik<br />
der Universität München<br />
im Klinikum<br />
Großhadern und Vorsitzender<br />
der Ȁrzte<br />
<strong>für</strong> das Leben e.V.«<br />
Ganz gleich ob man<br />
sich weltanschaulich<br />
<strong>für</strong> oder gegen Abtreibung<br />
ausspreche, die<br />
Konsequenzen <strong>für</strong><br />
Frauen seien weit reichend,<br />
so Herman<br />
weiter. Diese nennt sie<br />
dann auch beim Namen:<br />
medizinische Risiken<br />
wie Infektionen<br />
und Verletzungen der<br />
Gebärmutter, Verwachsungen<br />
im Unterleib,<br />
Probleme bei späterenSchwangerschaften,<br />
Fehlgeburten,<br />
sexuelle Störungen,<br />
Depressionen, Angstzustände, Medikamenten-<br />
und Drogenmissbrauch bis hin<br />
zur Gewalt gegen sich selbst.<br />
Auch auf die Folgen <strong>für</strong> Männer geht<br />
die Autorin ein und zitiert eine Studie aus<br />
dem Jahre 1984 von Arthur Shostak, Professor<br />
<strong>für</strong> Soziologie an der Drexel University<br />
in Philadelphia. Demnach dächten<br />
<strong>80</strong> Prozent der Männer, deren Frauen<br />
oder Freundinnen abgetrieben hatten,<br />
manchmal an das ungeborene Kind, träumten<br />
29 Prozent regelmäßig davon und<br />
sagten 68 Prozent, dass sie eine schwere<br />
Zeit durchgemacht hätten. Herman argumentiert<br />
dann, dass niemand bestreite,<br />
dass es Notlagen gebe, in denen Frauen<br />
als letzten Ausweg nur den Schwangerschaftsabbruch<br />
sehen. Dies sei vergleichbar<br />
mit dem Recht auf Notwehr. Doch<br />
genauso wenig wie Notwehr prinzipiell<br />
Mord rechtfertige, könne Abtreibung als<br />
Verhütungsmethode verniedlicht werden.<br />
ARCHIV<br />
»Die Verharmlosung des Eingriffs gehört<br />
zu den ideologischen Nebenwirkungen<br />
des Feminismus. Dass die Aufklärung<br />
über die Probleme nach der Abtreibung<br />
schon als ›konservativ‹ gilt, als tendenziöse<br />
Äußerung, muss jeden nachdenklich<br />
stimmen, dem am Wohl der Frauen gelegen<br />
ist. Die Frauenbewegung, die den<br />
Schwangerschaftsabbruch als Freiheits-<br />
»Das Post-Abortion-Syndrom<br />
wird in den Medien zum Thema.«<br />
beweis feierte, lässt kaum Abweichungen<br />
zu. <strong>Alle</strong>s Abwägen stellt Kritiker dieses<br />
Denkansatzes in eine rechte Ecke, Diskussionen<br />
sind nicht erwünscht«, findet<br />
Herman dann auch abschließend deutliche<br />
Worte.<br />
Unabhängig davon, wie man zu den<br />
Thesen des Buches steht, ist es äußerst<br />
erfreulich, dass Eva Herman so deutlich<br />
Stellung zur Problematik der Abtreibung<br />
und des Post-Abortion-Syndroms bezieht.<br />
Angesichts der Einschaltquoten von<br />
»Stern-TV« (eigenen Angaben zufolge<br />
bis zu drei Millionen) und den Verkaufszahlen<br />
von »Das Eva-Prinzip« (die erste<br />
Auflage von 50.000 Stück war nach einem<br />
Tag bereits ausverkauft), ist die Hoffnung<br />
nicht unbegründet, dass die fatalen Folgen<br />
der Abtreibung künftig in den Medien<br />
umfassender thematisiert werden. Sieht<br />
man vom LebensForum ab, dann stellen<br />
die beiden prominenten Beispiele zwar<br />
bislang Ausnahmen in der Medienlandschaft<br />
dar, aber es tut sich ettwas: »Das<br />
Post-Abortion-Syndrom wird in den Medien<br />
merklich zum Thema«, meinte denn<br />
auch Gisela Koch gegenüber LebensForum.<br />
Es scheint, als sei das Schweigen<br />
der Medien endlich gebrochen.<br />
IM PORTRAIT<br />
Matthias Lochner<br />
Der Autor, Jahrgang 1984, studiert<br />
Deutsch und Geschichte <strong>für</strong> das Lehramt<br />
an Gymnasien und<br />
Gesamtschulen an<br />
der Universität zu<br />
Köln. Er ist seit<br />
2001 Mitglied der<br />
ALfA. Als freier<br />
Journalist publiziert<br />
er regelmäßig auch im LebensForum.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
GESELLSCHAFT<br />
»Ein Kind ist etwas<br />
ganz Wunderbares«<br />
Der Kölner Regionalverband der ALfA feiert in diesem Jahr Jubiläum:<br />
Seit 20 Jahren engagieren sich seine Mitglieder in vielfältiger Weise<br />
ehrenamtlich <strong>für</strong> ungeborene Kinder und deren Familien. Sie machen<br />
Öffentlichkeitsarbeit, sind jedes Jahr über Monate jeden Samstag<br />
mit einem Stand in der Fußgängerzone präsent und helfen Müttern<br />
und Familien, die wegen einer Schwangerschaft in eine Notlage<br />
geraten sind.<br />
Vor etwa 17 Jahren wandte sich<br />
ein Ehepaar an den Regionalverband,<br />
weil sich die jungen<br />
Leute in einer aus ihrer Sicht ziemlich<br />
aussichtslosen Lage befanden: frisch verheiratet,<br />
beide am Beginn ihrer Ausbildung,<br />
keine familiäre Hilfe vor Ort, kaum<br />
Geld, eine Mini-Studentenwohnung. Eines<br />
Tages geht Aynur Erden zum Arzt,<br />
weil sie meint, eine Entzündung im Unterleib<br />
zu haben. Die Reaktion des Arztes:<br />
»Gratuliere – es sind zwei Entzündungen!«<br />
Zwillinge, ein »typischer« ALfA-<br />
Fall. Damals lernten Frau Erden und<br />
Frau Mannel sich kennen – jetzt, nach<br />
17 Jahren, treffen sie sich zum Kaffee –<br />
und zum Interview mit Alexandra Linder<br />
von LebensForum.<br />
LebensForum: Frau Erden, wie haben Sie auf<br />
diesen Satz des Arztes damals reagiert?<br />
Aynur Erden: Zuerst war ich sprachlos,<br />
dann habe ich geweint. Mir schoss<br />
alles mögliche durch den Kopf: unsere<br />
berufliche Zukunft, die Wohnsituation,<br />
die Finanzen. Als ich nach Hause kam,<br />
reagierte mein Mann ganz ähnlich. Die<br />
alles bestimmende Frage war: »Was mach´<br />
ich jetzt nur?«<br />
Was haben Sie dann unternommen?<br />
Erden: Wir sind zur Schwangerenberatungsstelle<br />
der Evangelischen Kirche<br />
gegangen, zu Herrn Kautz. Ein toller<br />
Mann, er hat uns in vieler Hinsicht sehr<br />
geholfen. Und nie werde ich seinen Satz<br />
vergessen: »<strong>Alle</strong>, die hier waren und gesagt<br />
haben, ich bekomme das Kind, haben das<br />
nie bereut.« Das hat uns schon Mut gemacht.<br />
Und dann hat er noch etwas<br />
besonders Gutes <strong>für</strong> uns getan, nämlich<br />
uns den Kontakt zur ALfA vermittelt, zu<br />
Frau Mannel. Die habe ich dann sofort<br />
angerufen.<br />
Was hat sie gesagt?<br />
Erden: Ihre ersten Worte waren<br />
»Herzlichen Glückwunsch!«. Das hat<br />
mich völlig überrascht, denn ich habe ja<br />
eigentlich nur angerufen,<br />
um von unseren<br />
großen Problemen zu<br />
erzählen. Sie hat sich<br />
erst einmal alles angehört<br />
und dann gesagt:<br />
»Wir haben schon so<br />
viele durchgekriegt, das<br />
kriegen wir auch hin.«<br />
Das war der Moment,<br />
in dem ich mich zum<br />
ersten Mal auf meine<br />
Zwillinge gefreut habe.<br />
Dann haben wir gemeinsam<br />
alles nach<br />
Dringlichkeit abgearbeitet<br />
– die Wohnung,<br />
die Finanzen, meine<br />
berufliche Zukunft, die<br />
ja erst einmal beendet<br />
war. Aber auch da haben<br />
wir eine phantastische<br />
Erfahrung gemacht. Die Ordensschwester<br />
der Klinik sagte, ich solle doch in Ruhe<br />
meine Kinder bekommen und mich einfach<br />
nach einem Jahr melden, dann<br />
würden sie mich einstellen und ausbilden.<br />
Das haben sie tatsächlich auch getan.<br />
Elke Mannel und Aynur Erden<br />
Elke Mannel: Dazu kam noch die<br />
Unsicherheit wegen einer möglichen Behinderung<br />
der Kinder.<br />
Was sagen Sie den Eltern, wenn dieses Thema<br />
zur Sprache kommt?<br />
Mannel: Ja, das wird immer schwieriger,<br />
weil die Eltern immer mehr unter<br />
Druck gesetzt werden. Ich habe 32 Jahre<br />
an einer Sonderschule gearbeitet und<br />
kann deshalb vor allem über die positiven<br />
Erfahrungen berichten, über die Fördermöglichkeiten,<br />
über die Freude an den<br />
Kindern, über die liebevolle Atmosphäre<br />
in den Familien. Aber gehen Sie mal zu<br />
den Ärzten! Einer meiner Mütter haben<br />
sie gesagt: »Investieren Sie nicht zu viel<br />
Liebe, das Kind bleibt sowieso ein Idiot.«<br />
Und eine andere Mutter, die sich bei<br />
einem Arztbesuch erschöpft zeigte, bekam<br />
zu hören: »Sehen Sie, das habe ich ja<br />
gesagt, das hätten Sie ja verhindern können.«<br />
Da kann man als Eltern nur Depressionen<br />
bekommen.<br />
Was sollen Eltern nach solchen Erfahrungen<br />
tun?<br />
Mannel: Sofort den Arzt wechseln,<br />
und das so lange, bis sie einen guten Arzt<br />
gefunden haben. Außerdem sollte man<br />
die Ärzte einmal fragen, ob sie dasselbe<br />
sagen, wenn ein Kind mit zwei Jahren<br />
einen Unfall und danach eine Behinderung<br />
hat.<br />
Erden: Ich kann mir überhaupt nicht<br />
vorstellen, wie man im Namen des Kindes<br />
entscheiden kann, dass es nicht leben darf,<br />
dass es nicht lebenswert ist, nur weil es<br />
eine Behinderung hat! Ich habe nach dem<br />
Gespräch mit Frau Mannel alle weiteren<br />
Untersuchungen abgelehnt, wir waren<br />
uns einig, dass wir die Kinder nehmen,<br />
wie sie sind. Ich kann nur von Glück<br />
sagen, dass wir an so wunderbare Men-<br />
LebensForum <strong>80</strong> 23<br />
ALEXANDRA LINDER
schen geraten sind. Von dem Moment<br />
an, als wir diese Kontakte hatten, ging es<br />
nur noch bergauf, obwohl ich aufgrund<br />
des psychischen Stresses zum Beispiel<br />
vier Monate nur gebrochen habe.<br />
Mannel: Die Kraft dieser Familie habe<br />
ich sehr bewundert, sie haben kompromisslos<br />
<strong>für</strong> ihre Kinder gekämpft, alles<br />
zusammen gemacht und zusammen geschafft,<br />
das ist heute leider nicht mehr<br />
der Normalfall.<br />
Was hat sich geändert?<br />
Mannel: Die Situation in einer Konfliktschwangerschaft<br />
hat sich eigentlich<br />
nicht geändert, sie ist heute wie früher<br />
im Wesentlichen dieselbe. Es geht um<br />
die Zukunft, um die Partnerschaft, Beruf,<br />
Wohnung, Geld. Aber die Frauen werden<br />
heute noch mehr alleingelassen als früher.<br />
Die Männer kommen mit der fadenscheinigen<br />
Ausrede, dass sie sich da nicht einmischen<br />
wollten, weil es nicht ihre Sache<br />
sei. Ganz oft sind es ja die Männer, die<br />
das Kind nicht haben wollen, die dann<br />
mit zum Gespräch kommen und gar<br />
nichts sagen außer: »Wir wollen abtreiben.«<br />
Den Frauen, die ihre Kinder abtreiben,<br />
um ihre Beziehung zu retten,<br />
kann ich aus unserer Erfahrung nur sagen,<br />
dass solche Beziehungen sowieso kaputtgehen.<br />
Da sollen sie lieber das Kind behalten.<br />
Erden: Das habe ich meinem Mann<br />
auch gesagt, als ich vor knapp zwei Jahren<br />
noch einmal schwanger geworden bin:<br />
Es ist mir völlig egal, ob das Haus wieder<br />
verkauft werden muss, und er kann ruhig<br />
von einer Brücke springen, wenn er will,<br />
aber das Kind bekomme ich! (Lacht)<br />
So sollten alle Frauen reagieren, wenn sie<br />
schwanger sind... Ihre Zwillinge sind heute 16<br />
Jahre alt. Haben Sie oder Ihr Mann Ihre Entscheidung<br />
von damals irgendwann einmal bereut?<br />
Erden: Nein, niemals. Mein Mann<br />
hat tagsüber studiert und abends die Kinder<br />
gehütet, als ich mit der Ausbildung<br />
anfing. Das war wirklich eine sehr harte<br />
Zeit, und das Ganze hat natürlich auch<br />
viel länger gedauert mit seinem Studium,<br />
aber ich möchte die Zeit nicht missen.<br />
Das Einzige, was ich anders gemacht hätte:<br />
Ich hätte mit der Ausbildung besser noch<br />
ein Jahr später angefangen, also als die<br />
Mädchen zwei Jahre alt waren. Das wäre<br />
nicht ganz so stressig geworden.<br />
Was würden Sie jungen Frauen raten, die in<br />
einer ähnlichen Situation sind?<br />
24<br />
GESELLSCHAFT<br />
Erden: Hilfe suchen und sich helfen<br />
lassen. Je mehr Hilfe man bekommt, umso<br />
stärker und selbstbewusster wird man<br />
selbst wieder. Und sich von niemandem<br />
einreden lassen, dass man abtreiben muss,<br />
das muss man einfach nicht. Ein Kind ist<br />
doch keine Tragödie, sondern etwas ganz<br />
Wunderbares!<br />
Mannel: Am schlimmsten sind die<br />
Leute, die sagen, wenn Du abtreibst, helfe<br />
ich Dir – wobei wollen die denn dann<br />
noch helfen? Die sollen gefälligst helfen,<br />
das Kind zu bekommen und großzuziehen.<br />
Und wenn eine Frau schwanger<br />
wird, weiß plötzlich jeder, was sie zu tun<br />
hat und was das Beste <strong>für</strong> sie ist. Ich habe<br />
oft junge Frauen, die mir erzählen, was<br />
Aynur Erden<br />
der Freund will, was die Eltern von ihr<br />
wollen und so weiter. Die frage ich dann<br />
erst einmal, was sie eigentlich selbst wollen.<br />
Meistens stellt sich heraus, dass das<br />
bisher noch niemand hat wissen wollen.<br />
Sind das typische erste Gespräche, die Sie mit<br />
den Frauen führen?<br />
Mannel: Seltsamerweise rufen oft<br />
zuerst gar nicht die Frauen selbst an,<br />
sondern deren Mütter oder irgendwelche<br />
anderen Leute. Sie möchten dann die<br />
Lage schildern und von mir einen Rat<br />
<strong>für</strong> die junge Frau haben. Und dann wundern<br />
sie sich, wenn ich vorschlage, dass<br />
die Schwangere mich einfach selbst anruft,<br />
damit ich mit ihr reden, mir ein Bild<br />
machen und gemeinsam mit ihr Lösungen<br />
finden kann.<br />
Ist es schwierig, mit den Angehörigen zu sprechen?<br />
ALEXANDRA LINDER<br />
Mannel: Ja, denn die wissen alles besser.<br />
Von den Angehörigen hört man auch<br />
die unglaublichsten Dinge: »Das kann<br />
die doch meinem Sohn nicht antun!«,<br />
sagte letztens eine ältere Dame zu mir<br />
am Telefon, als sie hörte, dass die Freundin<br />
ihres Sohnes schwanger war. Für<br />
besonders schlimm halte ich die absolute<br />
Wunschkind-Mentalität. Ein Kind ist<br />
schon gewollt, aber nicht hier und nicht<br />
jetzt – jetzt wollen wir die Stereoanlage,<br />
den Urlaub, das Haus, die berufliche<br />
Karriere. Denen stelle ich die Frage, wie<br />
viele Kinder sie denn <strong>für</strong> die Stereoanlage<br />
und das neue Auto opfern wollen, um<br />
dann irgendwann das eine perfekt zeitlich<br />
geplante Kind zu bekommen. Ich finde<br />
diese Haltung ganz <strong>für</strong>chterlich.<br />
Erden: Und die frisch gebackenen<br />
Mütter werden behandelt, als hätten sie<br />
mit der Schwangerschaft das Gehirn abgegeben.<br />
Mannel: Ja, das ist auch so ein seltsamer<br />
Punkt. Die Mütter werden plötzlich<br />
<strong>für</strong> unmündig erklärt, wahrscheinlich weil<br />
sie so »dumm« waren, schwanger zu werden.<br />
Da fehlt oft auch einfach das Selbstbewusstsein<br />
bei den jungen Frauen selbst.<br />
Kein Wunder, wenn man dauernd unter<br />
Druck von allen Seiten steht. Kürzlich<br />
rief mich eine junge Frau an, die gerade<br />
anfangen wollte, Jura zu studieren, und<br />
schwanger wurde. Sie sagte, das ginge ja<br />
wohl jetzt alles nicht mehr. Darauf habe<br />
ich gefragt, wie sie darauf käme, dass sie<br />
nicht mehr studieren könne, bloß weil<br />
sie ein Kind bekommt? Auf die Idee war<br />
bisher weder sie selbst noch ihre Umgebung<br />
gekommen....<br />
Was würden Sie aus 20 Jahren ALfA-Arbeit in<br />
Köln <strong>für</strong> ein Resümee ziehen?<br />
Mannel: Wie Frau Erden gesagt hat:<br />
Es würde vieles leichter, wenn eine<br />
Schwangerschaft nicht als Lebensende<br />
betrachtet würde, sondern als etwas Positives,<br />
als Bereicherung, als Chance.<br />
Natürlich gibt es unzählig viele Probleme,<br />
bis man das Kind im Arm und großgezogen<br />
hat, aber wenn man die Schwierigkeiten,<br />
die schlaflosen Nächte, die<br />
knapperen Finanzen und die größere<br />
berufliche Einschränkung, die ja meistens<br />
mit Kindern verbunden sind, vergleicht<br />
mit dem, was Kinder an Glück, an Bereicherung<br />
und an Lebenssinn geben, da<br />
kenne ich keine Frau, die ihr Kind bekommen<br />
und das dann bereut hat – im<br />
Gegenteil, wir hören immer nur: »Danke,<br />
dass Sie uns geholfen haben. Ich bin so<br />
froh, dass ich das Kind habe!«<br />
LebensForum <strong>80</strong>
GESELLSCHAFT<br />
Bei Anruf Hilfe<br />
Die Anrufe kommen morgens um sechs. Oder nachmittags um fünf.<br />
Oder nachts um zwei – egal, wann die Hilfe benötigt wird, eine der<br />
vitaL-Beraterinnen geht ans Telefon: 24 Stunden täglich, 7 Tage in<br />
der Woche. Seit sechs Jahren gibt es unsere bundesweite Telefonnummer<br />
(01<strong>80</strong>) 36 999 63, die Informationen, Rat und Hilfe anbietet.<br />
Was als Versuchsballon zur<br />
Ergänzung von Werbefilmen<br />
<strong>für</strong> das Leben gedacht<br />
war, hat sich inzwischen verselbständigt.<br />
Die Ausstrahlung der Filme ist kostenintensiv<br />
und wurde in Richtung Kino und<br />
Vorführung bei Veranstaltungen, Seminaren<br />
etc. konzentriert. Diese Öffentlichkeitsarbeit<br />
bringt immer noch die meisten<br />
Anrufe. Als im Frühjahr unser Werbespot<br />
über längere Zeit bei Bibel TV lief, stiegen<br />
die Anruferzahlen sprunghaft an.<br />
Beratung und Gesprächsführung am<br />
Telefon erfordern große Flexibilität, Konzentration<br />
und Einfühlungsvermögen der<br />
Beraterinnen. Und die Bandbreite der<br />
Die erste Frage lautet häufig:<br />
»Haben Sie einen Moment Zeit?«<br />
Themen ist vielfältig: Da ruft ein junges<br />
Mädchen an; es ist Freitagabend und sie<br />
will wissen, ob sie schwanger ist. Die<br />
Arztpraxen sind geschlossen. Ein Ehepaar<br />
bekommt vom Arzt gesagt, ihr noch nicht<br />
geborenes Kind wäre eventuell schwer<br />
krank. Die nächste Untersuchung fände<br />
erst in zwei Wochen statt. Der nächste<br />
Anruf kommt von einer jungen Frau, die<br />
dringend an einem anderen Ort untergebracht<br />
werden muss. Ein Mann, der in<br />
seiner Not anruft, versucht verzweifelt,<br />
sein Kind zu retten. Die Frau ist verschwunden,<br />
um abzutreiben. Ein anderer<br />
Mann protestiert dagegen, in seinem<br />
Briefkasten ein Embryonenmodell vorgefunden<br />
zu haben.<br />
Dies sind einige wenige Beispiele der<br />
Anrufe, die wir erhalten. Es gibt unzählige<br />
andere. Auffällig ist, dass fast jeder Anrufer<br />
sich zunächst wundert, dass wir zuhören<br />
Von Alexandra Maria Linder, M.A.<br />
wollen. Die erste Frage lautet häufig:<br />
»Haben Sie einen Moment Zeit?« Natürlich<br />
haben wir Zeit, antworten wir, das<br />
ist bereits der erste Überraschungseffekt.<br />
Viele der Anrufenden fühlen sich allein<br />
schon deshalb gut betreut, weil wir uns<br />
das gesamte Problem und die ganze Geschichte<br />
erst einmal anhören. Letztens<br />
rief eine junge Frau an, die mitten im<br />
Studium schwanger geworden war. Nachdem<br />
sie mir alles berichtet hatte, war<br />
meine erste spontane Wortmeldung, dass<br />
ihre Probleme eigentlich gar nicht so<br />
gravierend wären, und ob sie einmal daran<br />
gedacht hätte, was es an Positivem geben<br />
könnte. Immerhin würde sie ja einem<br />
Menschen das Leben schenken, eine Familie<br />
gründen, einen Grund <strong>für</strong> zügiges<br />
Weiterstudieren haben. Daraufhin sagte<br />
sie, dass sie das nur einmal hören wollte.<br />
Bis jetzt hätten alle gesagt, wie schrecklich<br />
es wäre, dass sie ein Kind bekäme. Als<br />
ich ihr Hilfe anbot, meinte sie, die bräuchte<br />
sie gar nicht, jetzt würde sie das schon<br />
schaffen. Auch der Mann, der sich über<br />
den Embryo in seinem Briefkasten beschwerte,<br />
konnte erst einmal alles einfach<br />
abladen, bis ich nachfragte, was der wirkliche<br />
Grund <strong>für</strong> seine Aufregung wäre.<br />
Er ließ sich auf ein Gespräch ein und es<br />
stellte sich heraus, dass er eine schwere<br />
In vielen Fällen können<br />
wir konkret weiterhelfen<br />
Last von früher mit sich trug, als er seine<br />
schwangere Freundin im Stich gelassen<br />
hatte – diese Erinnerung war durch den<br />
Embryo wieder hochgekommen. Am Ende<br />
unseres Gespräches fand er die <strong>Aktion</strong><br />
sogar sehr sinnvoll.<br />
Nicht immer gehen die Anrufe so gut<br />
aus. Wenn beispielsweise eine junge Frau<br />
schon zur Abtreibung entschlossen ist<br />
und nur noch wissen will, wohin man im<br />
sechsten Monat noch fahren kann, ist es<br />
sehr schwer, sie noch zu einem Gespräch<br />
zu bewegen. Dennoch versuchten wir es.<br />
Leider konnten wir danach nicht mehr<br />
nachvollziehen, wie sich diese junge Frau<br />
letztlich entschieden hat.<br />
In vielen Fällen aber können wir konkret<br />
weiterhelfen. Eine große Unterstützung<br />
hierbei sind die Regionalverbände<br />
der ALfA, andere Vereinigungen wie zum<br />
Beispiel KALEB und Pro Vita sowie einzelne<br />
hilfsbereite Personen, die sich zur<br />
Mitwirkung bereit erklärt haben, und<br />
viele Beratungsstellen. Bei den Beratungsstellen<br />
hängt die Zusammenarbeit sehr<br />
davon ab, wer dort arbeitet. Es gibt Caritas-Stellen<br />
in Bayern, die schicken Frauen<br />
in Konfliktschwangerschaften beratungslos<br />
sofort weiter zur ALfA. Es gibt<br />
SkF-Stellen in Norddeutschland, die kein<br />
VitaL-Beraterin bei der Arbeit<br />
Problem haben, eine Frau zu einer anderen<br />
Beratungsstelle zu schicken, um dort<br />
den gewünschten Schein zu bekommen,<br />
ohne sie vorher selbst beraten zu haben.<br />
vitaL verfügt über eine selbst erstellte<br />
Liste, die nach Postleitzahlen sortiert alle<br />
Ansprechstellen sammelt, so dass eine<br />
Beraterin, wenn die Anrufer es wünschen,<br />
sofort anbieten kann, in der entsprechenden<br />
Region einen persönlichen Kontakt<br />
herzustellen, was nicht selten gerne angenommen<br />
wird.<br />
Obwohl wir mit Hilfe unserer hervorragenden<br />
Beraterinnen schon viel leisten<br />
können, freuen wir uns über Hilfe aller<br />
Art: finanziell, ideell, im Beratungsdienst,<br />
mit guten Ideen oder Unterstützung bei<br />
Ausstrahlung der Werbefilme, die dasselbe<br />
tun wie wir am Telefon: Mut machen,<br />
Schwangerschaft als etwas Positives sehen,<br />
immer unter der Maxime: Es gibt Alternativen<br />
zur Abtreibung.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 25<br />
ARCHIV
JAN-PHILIPP GÖRTZ<br />
Mit einem Schweigemarsch durch die Bundeshauptstadt brachten weit mehr als 1.000 Teilnehmer ihre<br />
Trauer über die hunderttausendfache Tötung ungeborener Kinder im Mutterleib zum Ausdruck.<br />
<strong>Lebensrecht</strong>ler werteten die diesjährige 1.000-Kreuze-<strong>Aktion</strong> in Berlin als Erfolg.<br />
26<br />
GESELLSCHAFT<br />
»Kritische Masse erreicht«<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
Dass Tag <strong>für</strong> Tag so viele Kinder<br />
vor der Geburt getötet werden,<br />
sei »schon ziemlich krass«, sagt<br />
Johanna. Die 17-jährige sitzt auf den<br />
Stufen vor der Berliner Hedwigskathedrale.<br />
»Da wollte ich schon etwas machen«,<br />
begründet die Schülerin aus dem Erzgebirge<br />
ihre Teilnahme an der <strong>Aktion</strong> »1.000<br />
Kreuze <strong>für</strong> das Leben«, zu der der Bundesverband<br />
<strong>Lebensrecht</strong> (BVL) am 23.<br />
September in Berlin eingeladen hatte.<br />
Waren zahlreich: Junge <strong>Lebensrecht</strong>lerinnen<br />
Weit mehr als 1.000 <strong>Lebensrecht</strong>ler<br />
waren dem Aufruf gefolgt. Bei strahlendem<br />
Sonnenschein marschierten sie 1.000<br />
weiße Holzkreuze tragend vom Berliner<br />
Rathaus durch die Innenstadt der Bundeshauptstadt.<br />
»Damit machen wir auf<br />
die rund 1.000 Kinder aufmerksam, die<br />
an jedem Werktag in Deutschland abgetrieben<br />
werden«, erläutert Claudia Kaminski,<br />
Vorsitzende des BVL. Wie viele<br />
der Teilnehmer ist auch die Ärztin, die<br />
im Hauptberuf <strong>für</strong> die Malteser arbeitet,<br />
ganz in schwarz gekleidet. Damit wolle<br />
man der Trauer über den Tod so vieler<br />
»Die Leute merken, dass<br />
wir nicht aggressiv sind.«<br />
unschuldiger Kinder Ausdruck verleihen,<br />
hieß es von Seiten der Veranstalter.<br />
Am Vormittag hatte die Mitgliederversammlung<br />
des BVL eine Erklärung verabschiedet.<br />
In dem »Berliner Manifest«<br />
appellierten die im BVL zusammengeschlossenen<br />
<strong>Lebensrecht</strong>sorganisationen<br />
an den Gesetzgeber, angesichts der jährlich<br />
hunderttausendfachen Tötung unge-<br />
borener Kinder, »endlich Mut zur Wahrheit«<br />
zu zeigen.<br />
»ALS MANN, ALS MANN«<br />
Über die Karl-Liebknecht-Straße, vorbei<br />
am Berliner Dom, dem Lustgarten<br />
und dem Deutschen Historischen Museum<br />
ziehen die Demonstranten aller Altersgruppen<br />
begleitet von Polizeibeamten<br />
Richtung Brandenburger Tor. Wo immer<br />
der imposante, rund<br />
500 Meter lange Zug<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
vorbeikommt, taucht er<br />
die sonst so laute Metropole<br />
<strong>für</strong> einen Moment<br />
in eine wohltuende<br />
Stille. Nahezu alle<br />
Passanten, an denen<br />
die schweigenden Demonstranten<br />
vorbei<br />
schreiten, bleiben interessiert<br />
stehen und<br />
versuchen zu erfassen,<br />
was auf den vorbeiziehenden<br />
Transparenten<br />
und Schildern geschrieben<br />
steht. Gespräche<br />
verstummen. Nur ein<br />
einziges Mal empört<br />
sich eine Frau am Straßenrand.<br />
Was ihm einfiele,<br />
»als Mann hier auf die Straße zu<br />
gehen«, giftet sie einen der entgegenkommenden<br />
Teilnehmer an. Sichtlich<br />
erregt, wendet sie und läuft dem<br />
erstaunt blickenden Kreuzträger<br />
hinterher. »Als Mann, als Mann«<br />
ruft sie immer wieder. Schließlich<br />
lässt sie sich durch die verärgerten<br />
Blicke der übrigen Passanten zum<br />
Schweigen bringen.<br />
Auch wenn natürlich niemand<br />
wissen kann, was in den Köpfen<br />
der am Rand Stehenden vorgeht,<br />
so sprechen ihre Gesichter doch<br />
Bände. Ganz überwiegend scheinen<br />
sie die Demonstranten, die<br />
ruhig und friedlich ihr Anliegen<br />
zur Kenntnis bringen, zu respektieren.<br />
Das sieht auch ein junger<br />
Teilnehmer so, der in Berlin als<br />
Assistent einer Hoteldirektion<br />
arbeitet: »Die Leute merken, dass<br />
wir nicht aggressiv sind und Frauen,<br />
die abgetrieben haben, hier nicht verurteilt<br />
werden.« Es sei »ermutigend« zu<br />
sehen, »wie positiv die Menschen auf uns<br />
reagieren. Da müsse nun wirklich niemand<br />
mehr Angst haben.«<br />
Als die Quadriga in Sicht kommt, wendet<br />
der imposante Zug und marschiert<br />
die prachtvolle <strong>Alle</strong>e »Unter den Linden«<br />
zurück zur Hedwigskathedrale, wo die<br />
<strong>Aktion</strong> mit einem Ökumenischen Gottesdienst<br />
beschlossen wird. »Es hat sich<br />
gelohnt«, freut sich Sara. Die 20-jährige<br />
aus der Nähe von Chemnitz ist mit einer<br />
evangelischen Jugendgruppe nach Berlin<br />
gekommen. In den Gottesdienst geht sie<br />
nicht. In der Hedwigskathedrale, in der<br />
kein einziger Sitzplatz mehr frei ist, ist<br />
die Luft stickig. Die ganze Zeit habe man<br />
geschwiegen, nun wolle man sich unterhalten,<br />
sagen die Mädchen und sind sich<br />
einig: »Für so etwas kann man auch schon<br />
einmal eine längere Anreise auf sich nehmen.«<br />
TEILNEHMER AUS ALLEN TEILEN<br />
DEUTSCHLANDS<br />
Nicht wenige haben wohl so gedacht.<br />
Von überall her, so etwa aus Hamburg,<br />
Trier, Wiesbaden und Freiburg waren<br />
<strong>Lebensrecht</strong>ler <strong>für</strong> diesen Tag nach Berlin<br />
gekommen. In Stuttgart und Fulda hatten<br />
Ortsverbände der »<strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Alle</strong>« (ALfA) und der »Christdemokraten<br />
<strong>für</strong> das Leben« (CDL) sogar mehrere<br />
Busse organisiert, um Teilnehmern<br />
die Anreise zu erleichtern.<br />
Nicht wenige hätten sich wohl von<br />
einer angekündigten Gegendemonstration<br />
abschrecken lassen, vermuteten zahlreiche<br />
Teilnehmer. Im Internet hatte eine<br />
Gruppe mit dem Namen »Neue Caritas«<br />
zu Protesten aufgerufen: »Am 23.09.2006<br />
Der Trauermarsch erreicht die Hedwigskathedrale<br />
wollen christlich-fundamentalistische<br />
Abtreibungsgegner/innen, wie schon<br />
2004, einen Trauermarsch gegen selbstbestimmte<br />
Geburtenkontrolle durchführen.<br />
Hindern wir sie daran!« »Das<br />
klang doch sehr nach Gewalt. Ich habe<br />
mich jedenfalls auf Farbbeutel eingestellt«,<br />
sagt ein junger Teilnehmer aus dem<br />
Rheinland, der Verständnis da<strong>für</strong> äußerte,<br />
LebensForum <strong>80</strong> 27<br />
FRITZ POPPENBERG
dass sich dem »nun einmal nicht jeder<br />
aussetzen könne und wolle«.<br />
KAMINSKI: MEHR HILFEN FÜR MÜTTER<br />
Auf der Kundgebung am Neptunbrunnen<br />
vor dem Berliner Roten Rathaus, von<br />
wo aus der 1.000-Kreuze-Marsch startete,<br />
hatte die BVL-Vorsitzende Kaminski zum<br />
Beginn der <strong>Aktion</strong> dazu aufgefordert, die<br />
28<br />
GESELLSCHAFT<br />
Berliner Manifest<br />
»Tabuisierung der Abtreibung in der<br />
Öffentlichkeit« endlich zu beenden. Bei<br />
124.000 gemeldeten vorgeburtlichen<br />
Kindstötungen seien zusammen mit den<br />
betroffenen Müttern jährlich rund 1,2<br />
Millionen Menschen als Angehörige,<br />
Ärzte, Hebammen und Krankenpfleger<br />
direkt oder indirekt an Abtreibungen<br />
beteiligt. Dies erkläre auch die seltsame<br />
Schweigespirale im öffentlichen Bewusst-<br />
sein. Mit der <strong>Aktion</strong> wolle man das Thema<br />
wieder zurück ins öffentliche Bewusstsein<br />
rufen.<br />
Schuld an den Schwangerschaftsabbrüchen<br />
trage meist das Umfeld der<br />
Frauen. »Die meisten Frauen entscheiden<br />
sich nur mit großer Trauer gegen ein<br />
Kind«, sagte Kaminski. Um die Zahl der<br />
Abtreibungen zu verringern, müsse man<br />
den Müttern mehr Hilfe, Beratung und<br />
Anlässlich der <strong>Aktion</strong> „1.000 Kreuze <strong>für</strong> das Leben“ verabschiedete die Mitgliederversammlung des Bundesverband <strong>Lebensrecht</strong><br />
(BVL) am 23. September folgende Erklärung:<br />
Der Bundesverband <strong>Lebensrecht</strong> (BVL), ein<br />
Zusammenschluss von zwölf <strong>Lebensrecht</strong>sorganisationen<br />
in Deutschland mit Sitz in Berlin,<br />
appelliert an den <strong>für</strong> die Gesetzgebung verantwortlichen<br />
Bundestag, endlich Mut zur Wahrheit<br />
über die Praxis der jährlich hunderttausendfachen<br />
Tötung ungeborener Kinder zu<br />
zeigen. Vor nunmehr elf Jahren trat das<br />
Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz<br />
in Kraft, mit dem das erklärte Ziel verfolgt<br />
werden sollte, das Leben ungeborener Kinder<br />
besser als zuvor zu schützen. Weder die Bundesregierung<br />
noch der verantwortliche Gesetzgeber<br />
haben bisher danach gefragt, ob dieses<br />
Ziel erreicht worden ist. Bei sonst jedem Gesetz<br />
folgt nach seinem Inkrafttreten stets die Prüfung,<br />
ob es in der Praxis »greift«, der mit ihm<br />
verfolgte Zweck auch erreicht wird. Für ein<br />
Gesetz, das dem Schutz menschlichen Lebens<br />
dienen soll, muss das erst recht gelten. Deshalb<br />
hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber<br />
bezüglich der Gesetze zum<br />
»Schwangerschaftsabbruch« auch ausdrücklich<br />
eine Beobachtungspflicht auferlegt. In angemessenen<br />
zeitlichen Abständen ist er verpflichtet<br />
zu prüfen, ob die von ihm erlassenen Gesetze<br />
die erhoffte Schutzwirkung <strong>für</strong> das Leben Ungeborener<br />
tatsächlich entfalten oder ob sich<br />
Mängel des gesetzlichen Konzepts oder seiner<br />
praktischen Durchführung offenbaren. Dieser<br />
Pflicht ist der Bundesgesetzgeber bisher zu<br />
keiner Zeit nachgekommen. Das erklärte Ziel<br />
eines besseren Lebensschutzes Ungeborener<br />
ist offenkundig verfehlt worden. Obwohl die<br />
Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter und die<br />
der Geburten in den letzten zehn Jahren stetig<br />
gesunken sind, hat sich die statistisch ausgewiesene<br />
Gesamtzahl der Abtreibungen in<br />
Deutschland während dieses Zeitraums nicht<br />
nennenswert verringert. Die tatsächliche Gesamtzahl<br />
liegt mit Sicherheit deutlich höher.<br />
Die Abtreibungshäufigkeit jedenfalls nimmt in<br />
Deutschland ständig zu. Infolge der geltenden<br />
Gesetze und ihrer Praxis ist das Unrechtsbewusstsein<br />
<strong>für</strong> die Tötung ungeborener Kinder<br />
weithin geschwunden. Die Beratungspraxis<br />
offenbart bei näherem Hinsehen deutliche<br />
Mängel. Der Bundesverband <strong>Lebensrecht</strong> fordert<br />
den Bundesgesetzgeber deshalb erneut<br />
dazu auf, seiner Beobachtungspflicht bezüglich<br />
der Auswirkungen der Abtreibungsgesetze<br />
endlich nachzukommen. Diese Beobachtungspflicht<br />
darf nicht auf die Praxis der Spätabtreibungen<br />
beschränkt gesehen werden. Vordringlicher<br />
Korrekturbedarf besteht bezüglich der<br />
Spätabtreibungen. Solche Kindestötungen<br />
erfolgen in einem Stadium der Schwangerschaft,<br />
in dem das ungeborene Kind (ab etwa<br />
der 22. Woche) bereits außerhalb des Mutterleibes<br />
lebensfähig ist. Der Grund <strong>für</strong> die Tötung<br />
ist in aller Regel die nach einer Pränataldiagnose<br />
zu erwartende Behinderung des Kindes.<br />
Die Tötung ungeborener Kinder mit diagnostizierter<br />
Behinderung ist nach geltendem Gesetz<br />
während der gesamten Dauer der Schwangerschaft<br />
möglich. Grund hier<strong>für</strong> ist die weite<br />
Fassung der sozial-medizinischen Indikation<br />
(§ 218a Absatz 2 StGB), durch die nach dem<br />
Willen des Gesetzgebers die frühere embryopathische<br />
Indikation, welche die Tötung ungeborener<br />
Kinder wegen ihrer Behinderung erlaubte,<br />
»aufgefangen« werden soll. Mit<br />
namhaften Verfassungsrechtlern ist der Bundesverband<br />
<strong>Lebensrecht</strong> der Auffassung, dass<br />
§ 218a Absatz 2 StGB, soweit er die Tötung<br />
ungeborener Kinder wegen ihrer zu erwartenden<br />
Behinderung als »nicht rechtswidrig« ermöglicht,<br />
gegen das Diskriminierungsverbot<br />
(Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG: »Niemand darf<br />
wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.«)<br />
verstößt. Um diesem Verbot zu entsprechen,<br />
muss die weite sozial-medizinische Indikation<br />
durch Gesetzesänderung wieder auf<br />
eine rein medizinische zurückgeführt werden<br />
mit der Folge, dass embryopathisch begründete<br />
Spätabtreibungen nur noch bei Gefahr <strong>für</strong> das<br />
Leben der Mutter möglich sind. Die stattdessen<br />
bisher gemachten Vorschläge zur Verhinderung<br />
von Spätabtreibungen berühren nicht den Kern<br />
des Problems. Sie lassen bestenfalls eine<br />
Verbesserung des bestehenden Zustands erhoffen.<br />
Mit einer psychosozialen Beratung vor<br />
einer Pränataldiagnostik könnte erreicht werden,<br />
dass diese nicht mehr im Regelfall erfolgt,<br />
sondern auf begründete Ausnahmefälle beschränkt<br />
bleibt. Eine solche Beratung könnte<br />
dem »Recht auf Nichtwissenwollen« dienen<br />
und den Eltern das Risiko einer Pränataldiagnostik<br />
vor Augen führen. Ein verstärktes Angebot<br />
einer psycho-sozialen Beratung nach Vorliegen<br />
eines embryopathischen Befundes wäre<br />
hilfreich, insbesondere um den Eltern zu helfen,<br />
sich auf das Leben mit einem behinderten Kind<br />
einzustellen (z. B. bei Downsyndrom). Eine<br />
solche Beratung zur Pflicht zu machen, erscheint<br />
dagegen verfehlt und ist deshalb abzulehnen.<br />
In den Fällen der sozial-medizinischen Indikation<br />
muss der Schwangerschaftsabbruch »nach<br />
ärztlicher Erkenntnis angezeigt« sein. Dennoch<br />
hat sich die Praxis bei Vorliegen eines embryopathischen<br />
Befundes längst zu einer Tötung<br />
des Ungeborenen auf Wunsch der Schwangeren<br />
entwickelt. Diese mit dem Gesetz nicht zu<br />
vereinbarende Tendenz würde durch eine psycho-soziale<br />
Pflichtberatung bei embryopathischem<br />
Befund noch zusätzlich gefördert. Durch<br />
eine Ausdehnung des »Beratungskonzepts«<br />
auf solche Fälle würde dieses Konzept zudem<br />
- möglicherweise gewollt - verfestigt, noch<br />
ehe es einer Prüfung auf seine Wirksamkeit<br />
unterzogen worden ist. Ein weiteres Bedenken<br />
kommt hinzu: Eine Pflichtberatung in Fällen<br />
eines embryopathischen Befundes wäre<br />
zwangsläufig eine weitere Voraussetzung da<strong>für</strong>,<br />
dass ein nachfolgender Schwangerschaftsabbruch<br />
nach dem Gesetz »nicht rechtswidrig«<br />
ist. Die Bescheinigung einer solchen Pflichtberatung<br />
wäre unbestreitbar ein Erlaubnisschein<br />
und die Mitwirkung an der Pflichtberatung erst<br />
recht eine solche an der Tötung des Kindes.<br />
Eine Beschränkung der Arzthaftung auf Fälle<br />
grober Fahrlässigkeit könnte die Gefahr mindern,<br />
dass Schwangerschaftsabbrüche zur<br />
Vermeidung eines Haftungsrisikos auf Verdacht<br />
hin erfolgen.<br />
LebensForum <strong>80</strong>
soziale Unterstützung zukommen lassen.<br />
Die Ärztin schlug vor, die 40 Millionen<br />
Euro, mit denen der Staat jährlich Abtreibungen<br />
subventioniere, in die Familienförderung<br />
und die<br />
Konfliktberatung zu<br />
investieren.<br />
Gleichzeitig müsse<br />
der 1995 revidierte Abtreibungsparagraph<br />
218 StGB, der Abtreibungen<br />
in den ersten<br />
drei Schwangerschaftsmonaten<br />
nach einer<br />
Pflichtberatung straffrei<br />
stellt, neu geregelt<br />
werden. »Die Spirale<br />
der Tötung darf nicht<br />
weitergehen; wir brauchen<br />
einen besseren<br />
Lebensschutz«, so Frau<br />
Kaminski. Kritisch äußerte<br />
sich die Medizinerin<br />
über die von der<br />
CDU geforderte Einführung<br />
einer dreitägigen<br />
Bedenkzeit als<br />
Schutz vor übereilten<br />
Spätabtreibungen. »Jede<br />
weitere Pflichtberatung<br />
würde das Beratungssystem<br />
nur weiter<br />
zementieren«, so<br />
Kaminski. Das System<br />
müsse grundsätzlich geändert werden.<br />
Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen<br />
Allianz, Hartmut Steeb,<br />
begrüßte, dass es wenige Tage zuvor Gespräche<br />
zwischen den Kirchen und den<br />
Früh übt sich, wer ein <strong>Lebensrecht</strong>ler werden will.<br />
JAN-PHILIPP GÖRTZ<br />
Spitzen der Koalitionsfraktionen zum<br />
Thema Spätabtreibungen gegeben hatte.<br />
Eine Berlinerin war überrascht, »dass<br />
hier keine Bischöfe zu sehen sind.« Sie<br />
Sorgte auf Berlins Prachtallee »Unter den Linden« <strong>für</strong> Aufsehen: Die 1.000-Kreuze-<strong>Aktion</strong> <strong>für</strong> das Leben.<br />
hatte sich mit ihrem Fahrrad spontan in<br />
den Zug der Demonstranten eingereiht,<br />
als sich dieser vor der Hedwigskathedrale<br />
auflöst. »Die Kirchen müssten doch eigentlich<br />
dankbar sein <strong>für</strong> das, was hier<br />
geschieht«.<br />
FRITZ POPPENBERG<br />
ÖKUKEMNISCHER<br />
GOTTESDIENST ZUM SCHLUSS<br />
Da hatte die junge Frau noch<br />
nicht die ein wenig seltsam anmutende<br />
Predigt der Referentin<br />
<strong>für</strong> Spezialseelsorge der Evangelischen<br />
Kirche Berlin-<br />
Brandenburg-schlesische Oberlausitz,<br />
Oberkonsistorialrätin<br />
Dorothea Braeuer, gehört. In<br />
ihrer Predigt erwähnte Braeuer<br />
zwar die Zahl der Kinder, die in<br />
Deutschland jährlich abgetriebenen<br />
werden, gab sich dann<br />
jedoch damit zufrieden, klarzustellen,<br />
dass Christen niemanden<br />
verurteilen dürften und sich<br />
wie der barmherzige Samariter<br />
um die Wunden der Verbliebenen<br />
kümmern sollten. Es sei<br />
»Jesus Christus, der uns hilft,<br />
mit nicht so gradlinigen Lebens-<br />
entwürfen umzugehen.« Ende der Durchsage.<br />
Forderungen an den Gesetzgeber<br />
vermied sie ebenso wie Nähe zu den<br />
<strong>Lebensrecht</strong>lern.<br />
Die Teilnehmer ließen sich jedoch von<br />
der demonstrativen Distanz nicht entmutigen.<br />
Es sei sicher noch »ein sehr weiter<br />
Weg«, bis die Kirchen anfingen, aktiv<br />
»mit den <strong>Lebensrecht</strong>sorganisationen<br />
zusammenzuarbeiten«, meint einer der<br />
Demonstranten. Aber die <strong>Aktion</strong> habe<br />
doch gezeigt, dass man inzwischen die<br />
»Die Kirchen müssten<br />
eigentlich dankbar sein.«<br />
»kritische Masse« erreicht habe, und von<br />
der Bevölkerung akzeptiert werde. Eine<br />
Einschätzung, die von zahlreichen anderen<br />
Teilnehmern, die nach dem Gottesdienst<br />
zu Gesprächen vor der Hedwigskathedrale<br />
verweilten, geteilt wurde. Dass<br />
sie damit Recht haben könnten, zeigte<br />
auch ein sachlicher 30-sekündiger Fernsehbericht,<br />
den der ARD-Sender »Radio<br />
Berlin-Brandenburg« am selben Tag in<br />
seiner Nachrichtensendung ausstrahlte<br />
und der ohne eine einzige kritische Bemerkung<br />
auskam.<br />
LebensForum <strong>80</strong> 29
30<br />
BÜCHERFORUM<br />
Die Biologin und Leiterin des<br />
Berliner Instituts Mensch, Ethik<br />
und Wissenschaft (IMEW),<br />
Katrin Grüber, legt zusammen mit der<br />
Bioethikerin Sigrid<br />
Graumann jetzt<br />
den 3. Band aus<br />
ihrem Forschungsbereich<br />
vor, welcher<br />
dem Kontext<br />
biomedizinischer<br />
Forschung gewidmet ist. Zu diesem Umfeld<br />
gehören unterschiedliche religiöskulturelle<br />
Orientierungen, dargestellt am<br />
Beispiel von Embryonen- und Klonforschung<br />
in China und der weltweiten Differenzen<br />
in der Politiklandschaft der<br />
Stammzellforschung (Utilitarismus<br />
contra Würde des Menschen<br />
als anthropologisches<br />
Prinzip); ferner der »direktive«<br />
Einfluss von Massenmedien als<br />
»öffentlicher Hegemonie«, die<br />
<strong>für</strong> die so genannte Ethik des<br />
Heilens wirbt und ihren Hörern/Lesern<br />
nicht selten wissenschaftlich<br />
unausgereifte<br />
Therapiechancen ausmalt; des<br />
Weiteren die in Zypern aus<br />
Gründen der Gesundheitsökonomie praktizierte<br />
staatliche Familienplanung über<br />
obligatorische Screenings und eugenische<br />
Selektion; die gegenwärtige Routinisierung<br />
pränataler Diagnostik in der neoliberalen<br />
Gesellschaft Österreichs und am<br />
Standort Berlin, die im Kontrast zu einem<br />
mangelhaften Beratungsangebot bei vermuteter<br />
»kindlicher Behinderung« steht.<br />
Widerspricht ein solches Beratungsdefizit<br />
nicht der Verpflichtung zum »informed<br />
consent«? Lässt man Mütter gerade bei<br />
erhöhtem und umfassendem Beratungsbedarf<br />
bislang nicht allein?<br />
K. Grüber geht auf die »Narrativen«<br />
ein, welche die Forschungsförderung<br />
durch Wissenschaftspolitik begleiten: da<br />
ist stereotyp vom »Zusammenhang von<br />
Biomedizin und Gentechnik« und von<br />
der »Wettbewerbsfähigkeit« die Rede,<br />
wohingegen die Förderung von patientenund<br />
versorgungsorientierter Forschung<br />
zu Prävention und Palliativmedizin deutlich<br />
hinterherhinkt. U. Dolata befasst<br />
sich mit bedenklichen Folgen von Technologie-<br />
und Innovationspolitik, falls<br />
staatliche Wettbewerbsinitiativen zu<br />
asymmetrischer Regionenentwicklung<br />
führen und, wie bisher überwiegend, gesellschaftliche<br />
Technikkontroversen<br />
unberücksichtigt lassen. Solchen Einseitigkeiten<br />
können künftig nur die stärkere<br />
Repräsentation von Bürgerverbänden,<br />
die Stimmen kritischer Wissenschaftler<br />
Vom Umfeld der<br />
Biomedizin<br />
und Bioethiker sowie deren zunehmender<br />
Einfluss auf politische Strategie- und<br />
Entscheidungsfindung wehren. Zur Möglichkeit<br />
der Bürgerbeteiligung an bioethischenEntscheidungsprozes-<br />
sen etablierte S.<br />
Schicktanz ganz<br />
praktisch 2001 in<br />
Dresden einen<br />
»Bürgergipfel«<br />
zum »Streitfall Gendiagnostik«, 2002 in<br />
Berlin einen Workshop zur Wahrnehmung<br />
von »Gen, Geld und Gelehrte«.<br />
In seiner verfassungsrechtlichen Betrachtung<br />
»Pränataldiagnostik, Behinderung<br />
und Schwangerschaftsabbruch« präzisiert<br />
C. von Dewitz, Leiter der<br />
Ethikkommission der Geschäftsstelle<br />
des Landes Berlin,<br />
wie folgt: »Eine Nichtbestrafung<br />
des Schwangerschaftsabbruchs<br />
(kann) nur dann verfassungsrechtlich<br />
gerechtfertigt sein,<br />
wenn dieser nicht der Tötung<br />
des Fetus, sondern dem Schutz<br />
des nicht anders zu rettenden<br />
Lebens der Schwangeren dient«.<br />
Entscheidend sei, dass »die<br />
Grundrechte ... kein wie auch immer aussehendes<br />
Menschenbild, keine Idee, was<br />
der Mensch sein könnte, sondern allein<br />
die Gattungszugehörigkeit des Menschen,<br />
zur geistigen und tatsächlichen Grundlage<br />
haben« (S.135f.) »Das Grundgesetz schützt<br />
eben nicht den sich zu einem Menschen<br />
sich entwickelnden Nichtmenschen, sondern<br />
den von der Kernverschmelzung an<br />
vorhandenen Menschen in seinen verschiedenen<br />
Entwicklungsphasen als solchen.«<br />
Ein interessanter Fragenkomplex wird<br />
durch I. Schneider und B. Herrmann angeschnitten.<br />
Sind wir Eigentümer unserer<br />
Körper? Sind gespendete Eizellen oder<br />
Organe Sachwerte, bezahlbare Waren?<br />
Wird die »Ressource Mensch« etwa auch<br />
in Bezug auf Organspende »sozialpflichtig«,<br />
und ist die »Umverteilung« paariger<br />
Organe (Nieren, Augen) gar juristisch zu<br />
regeln? Wären dann Versuche an Nichteinwilligungsfähigen<br />
zu Gunsten der Allgemeinheit<br />
vertretbar? Welche politische<br />
Regulierung ist notwendig, um den Anreizen<br />
von »Organlotterien« zu widerstehen?<br />
Das ist Lektüre <strong>für</strong> »wache Bürgerverbände«.<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Siegrid Graumann, Katrin Grüber (Hrsg.)<br />
Biomedizin im Kontext. Beiträge aus dem Institut<br />
Mensch, Ethik und Wissenschaft, Bd. 3. LIT Verlag,<br />
Berlin 2006. 320 Seiten. 19,90 Euro.<br />
Im Schaufenster<br />
Bioethik<br />
Bei dem vorliegenden<br />
Bändchen handelt es<br />
sich um einen klaren<br />
Fall von Etikettenschwindel.<br />
Denn mit<br />
Ethik hat es nicht das<br />
Geringste zu tun. Es<br />
sei denn, jemand hielte<br />
den Ausgleich von<br />
Interessen <strong>für</strong> eine Frage der Moral, über deren<br />
Theorie es sich lohne Gedanken zu Papier<br />
zu bringen. Die wenigen, die sich der Autor<br />
hier macht, sind schnell referiert: Allgemeingültige<br />
Werte gibt es nicht. Abtreibung, aktive<br />
und passive Sterbehilfe sowie eine Embryonen<br />
verbrauchende Forschung lassen sich daher<br />
moralisch rechtfertigen. Es kommt allein auf<br />
die Motive an. Da der Mensch <strong>für</strong> den Autor<br />
von Natur aus ein Egoist ist, sind auch entsprechende<br />
Motive nicht von vorneherein unzulässig.<br />
Charles Darwin lässt hier ebenso<br />
grüßen wie Dieter Birnbacher, Norbert Hoerster<br />
und Peter Singer. Ethiker wie Mieth, Spaemann,<br />
Rhonheimer werden schlicht nicht zur<br />
Kenntnis genommen und finden nicht einmal<br />
im Literaturverzeichnis Erwähnung.<br />
Fazit: Es gibt angenehmere Möglichkeiten,<br />
seine Zeit zu verplempern als mit der Lektüre<br />
dieses verzichtbaren Büchleins. reh<br />
Franz M. Wuketits: Bioethik. Eine kritische Einführung.<br />
Verlag C.H. Beck, München 2006. 192 Seiten.<br />
12,90 EUR.<br />
Islam und<br />
Bioethik<br />
Aus welchen Gründen<br />
Christen etwa<br />
die embryonale<br />
Stammzellforschung<br />
ablehnen,<br />
die Forschung mit<br />
adulten Stammzellen<br />
jedoch begrüßen,<br />
ist hierzulande inzwischen hinlänglich<br />
bekannt. Weithin unbekannt dürfte dagegen<br />
sein, welche bioethischen Positionen in der<br />
islamischen Welt vertreten werden. Das Buch<br />
des Islamforschers Thomas Eich schafft hier<br />
Abhilfe. Die Lektüre macht deutlich, dass es<br />
nicht nur in der westlichen, weithin säkularisierten,<br />
sondern auch in der muslimischen<br />
Welt keinen Konsens darüber gibt, wann<br />
LebensForum <strong>80</strong>
menschliches Leben beginnt und welcher Umgang<br />
mit menschlichen Embryonen daher<br />
ethisch geboten erscheint. Anhand ausgesuchter<br />
Problemfelder wie der pränatalen Diagnostik,<br />
der Präimplantationsdiagnostik und<br />
dem Klonen zeichnet der Autor zunächst die<br />
Diskussion islamischer Rechtsgelehrter nach<br />
und stellt dann erstmals einige wichtige<br />
Rechtsgutachten islamischer Autoritäten in<br />
deutscher Sprache vor.<br />
Fazit: Eine nicht ganz leichte, aber durchaus<br />
lohnende Lektüre <strong>für</strong> jene, die gerne einmal<br />
über den westlichen Tellerrand hinausblicken.<br />
reh<br />
Thomas Reich: Islam und Bioethik. Eine kritische<br />
Analyse der modernen Diskussion im islamischen<br />
Recht. Reichert Verlag, Wiesbaden 2005. 127 Seiten.<br />
9,90 EUR.<br />
Die<br />
Menschenmacher<br />
Werden wir angesichts<br />
des rasanten<br />
Fortschritts in den Biowissenschaften<br />
in Zukunft<br />
tatsächlich zu<br />
»MenschenMachern«?<br />
In dem gleichnamigen<br />
Buch widmen sich der<br />
Genetiker Hans-Günter Gassen und die Biochemikerin<br />
Sabine Minol in aller Gründlichkeit<br />
dieser Frage. Sie erörtern die Einzigartigkeit<br />
des Menschen anhand der einander widerstreitenden<br />
Konzepte von Schöpfung und Evolution<br />
und führen – <strong>für</strong> Naturwissenschaftler<br />
recht ungewöhnlich – ein in die ungezügelte<br />
Phantasie der Literaten.<br />
Der Bogen, den sie dabei spannen, reicht von<br />
Shelleys Frankenstein bis zum Sandmann<br />
E.T.A. Hoffmanns und zeigt, wie viel gedankliche<br />
Vorarbeiten zu diesem Thema längst<br />
existieren. Das umfangreiche Buch berichtet<br />
von den Plänen <strong>für</strong> Cyborgs und Roboter und<br />
endet mit der Darstellung aktueller Probleme<br />
wie dem des Klonens von Lebewesen und der<br />
künstlichen Befruchtung. Dabei stellen die<br />
Autoren die Frage, ob sich bei diesen beiden<br />
Methoden letztlich nicht doch nur um zwei<br />
verschiedene Seiten ein und derselben Medaille<br />
handelt.<br />
Fazit: Man muss weder die Begeisterung der<br />
Autoren <strong>für</strong> ihr Thema, noch jedes Ergebnis<br />
ihrer Schlussfolgerungen teilen, um ein Buch,<br />
das zeigt, wie sehr der Mensch bestrebt sein<br />
kann, zum Schöpfer seiner selbst zu werden,<br />
<strong>für</strong> wichtig zu halten. reh<br />
Hans-Günter Gassen, Sabine Minol: Die Menschenmacher.<br />
Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Verlag<br />
Wiley-VCH, Weinheim 2006. 342 Seiten. 24,90 EUR.<br />
LebensForum <strong>80</strong><br />
Die Zahl der Geburten nimmt<br />
weiter ab, die Zahl der alten<br />
Menschen wächst. Obwohl diese<br />
Entwicklung in vielen Industrieländern<br />
ähnlich verläuft, handelt<br />
es sich dabei doch<br />
keineswegs um ein<br />
Naturgesetz. Im Gegenteil:<br />
Auch heute<br />
wünschen sich Umfragen<br />
zufolge die<br />
meisten jungen Menschen eine Familie<br />
und Kinder. <strong>Alle</strong>rdings setzen immer<br />
weniger diesen Wunsch<br />
auch in die Tat um.<br />
Wurden 1964 hierzulande<br />
noch 1,36 Millionen<br />
Kinder geboren, so durften<br />
2005 nur noch rund<br />
6<strong>80</strong>.000 Kinder das<br />
Licht der Welt erblicken.<br />
In dem von Rainer<br />
Beckmann, Mechthild<br />
Löhr und Stephan Baier<br />
herausgegebenen Sammelband,<br />
der auf ein<br />
Symposium zurückgeht,<br />
das die Christdemokraten<br />
<strong>für</strong> das Leben (CDL)<br />
im vergangenen Jahr in<br />
Kooperation mit der<br />
Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
ausgerichtet hatten,<br />
spüren namhafte Autoren der Frage nach,<br />
was da<strong>für</strong> verantwortlich ist, dass Wunsch<br />
und Wirklichkeit derart auseinander klaffen.<br />
Unterschiedlich in Stil und Konzeption<br />
beschreiben sie die bevölkerungsund<br />
familienpolitischen, die wirtschaftlichen,<br />
gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen,<br />
vor denen die Gesellschaft<br />
angesichts der bestehenden und<br />
weiter zunehmenden Kinderlosigkeit<br />
steht, und zeigen Lösungen <strong>für</strong> ihre Bewältigung<br />
auf.<br />
Gegliedert ist das durchweg lesenswerte<br />
Werk in vier Teile. Der erste unterzieht<br />
die demographische Krise einer detaillierten<br />
Analyse. Der zweite Teil fragt<br />
danach, wie der Stellenwert, den die Familie<br />
gegenwärtig in Politik und Gesellschaft<br />
besitzt, gestärkt werden kann. Der<br />
dritte blickt über den deutschen Tellerrand<br />
und beleuchtet am Beispiel Österreichs,<br />
Lettlands, Polens sowie der internationalen<br />
Politik, dass der Mangel an<br />
Kindern auch eine internationale Herausforderung<br />
darstellt. Unter der Überschrift<br />
»Familie konkret« beschreiben im vierten<br />
Teil berufstätige Frauen, wie sie Familie<br />
und Beruf vereinbaren. Der Anhang offeriert<br />
die viel beachtete familienpolitische<br />
Rede, die Bundespräsident Horst Köhler<br />
Wunsch und<br />
Wirklichkeit<br />
zu Beginn dieses Jahres beim Jahresempfang<br />
der Evangelischen Akademie in Tutzing<br />
gehalten hat. Gemeinsam ist den<br />
Autoren, dass sie viele Facetten des<br />
Problems <strong>für</strong> hausgemacht<br />
halten. So<br />
weist etwa Rainer<br />
Beckmann in einer<br />
detaillierten Analyse<br />
der geltenden rechtlichen<br />
Bestimmungen<br />
nach, dass die Familien in Deutschland<br />
sozialrechtlich nicht gefördert werden,<br />
sondern durch das<br />
Recht, welches die Kosten<br />
der Kindererziehung<br />
privatisiert, den gesellschaftlichen<br />
Mehrwert<br />
der Kindererziehung jedoch<br />
sozialisiert, vielmehr<br />
massiv benachteiligt<br />
werden.<br />
Einige der Autoren<br />
weisen in ihren Beiträgen<br />
ausdrücklich darauf<br />
hin, dass es angesichts<br />
sinkender Geburtenzahlen<br />
völlig unverständlich<br />
sei, dass der Gesetzgeber<br />
die bestehende Abtreibungsregelung<br />
<strong>für</strong> unantastbar<br />
erachte. Am<br />
deutlichsten wird der<br />
Salzburger Weihbischof Andreas Laun.<br />
In seinem Beitrag vergleicht Laun die<br />
heutige Lage plastisch mit der der Ölkrise.<br />
Während man damals sofort den Ölverbrauch<br />
eingeschränkt und zudem Überlegungen<br />
angestellt habe, wie neue Quellen<br />
erschlossen werden könnten, tue man<br />
jetzt »wo die ›Fördermengen‹ des ›Rohstoffes<br />
Kind‹ dramatisch gesunken sind,<br />
das Gegenteil: Die Verhinderung und<br />
Vernichtung des ›Rohstoffes Kind‹, der<br />
so dringend benötigt wird, geht ungebremst<br />
weiter, wird teilweise sogar staatlich<br />
gefördert, und man wagt es nicht,<br />
den ursächlichen Zusammenhang zwischen<br />
Kindermangel und Abtreibung<br />
auch nur zu denken (...).«<br />
Mit »Kindern: Wunsch und Wirklichkeit«<br />
ist ein Buch gelungen, das kompetent,<br />
interdisziplinär und in nahezu umfassender<br />
Weise Gründe und Folgen<br />
des demographischen Wandels beleuchtet.<br />
Stefan Rehder<br />
Rainer Beckmann, Mechthild Löhr, Stephan Baier (Hrsg.):<br />
Kinder: Wunsch und Wirklichkeit – Kinder und<br />
Familien in einer alternden Gesellschaft. Sinus-Verlag,<br />
Krefeld 2006. 304 Seiten. 14,<strong>80</strong> EUR.<br />
31
32<br />
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis verbis<br />
»<br />
Wir wollen die Parteien des Deutschen<br />
Bundestags dazu bringen, sich darauf zu<br />
einigen, nur das Thema medizinische Indikation<br />
anzupacken und sich selber dazu zu<br />
verpflichten, den Rest des Paragraphen 218<br />
ungeschoren zu lassen.«<br />
Der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-<br />
Dietrich Hoppe in einem Interview mit dem<br />
Deutschen Ärzteblatt.<br />
» Angesichts der direkten Vernichtung des<br />
Menschen darf es weder Kompromisse<br />
noch Ausflüchte geben; man darf nicht denken,<br />
dass eine Gesellschaft wirksam Kriminalität<br />
bekämpfen kann, wenn sie selbst<br />
das Verbrechen am ungeborenen Leben<br />
legalisiert.«<br />
Papst Benedikt XVI. in einer Ansprache an die<br />
Teilnehmer der Internationalen Konferenz<br />
»Stammzellen und die Zukunft der Therapie –<br />
wissenschaftliche Aspekte und bioethische Probleme«,<br />
die vom 14.-16. September in Rom<br />
stattfand.<br />
» Man kann die fatale Bedeutung des Kampfes<br />
<strong>für</strong> die Legalisierung der Abtreibung gar<br />
nicht hoch genug einschätzen, wenn man<br />
sich mit dem Feminismus beschäftigt. Denn<br />
es ging dabei ja nicht nur um die Straffreiheit<br />
des Schwangerschaftsabbruchs, es ging<br />
auch darum, ihn als harmlos herunterzuspielen,<br />
als sei das nur wie ein Zahnarztbesuch.<br />
(...) Heute ist nicht die Abtreibung ein<br />
Politikum, sondern die Erforschung der Folgen.«<br />
Eva Herman, TV-Moderatorin und Buchautorin<br />
in ihrem Buch »Das Eva-Prinzip – Für eine neue<br />
Weiblichkeit«.<br />
» Es ist wichtig, den Frauen – wenn die Umstände<br />
dies erlauben – ausdrücklich Mut<br />
auszusprechen, ja zum eigenen Kind zu<br />
sagen. Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich,<br />
dass auch diejenigen Beratungsstellen<br />
finanziell gefördert werden, die keinen<br />
Beratungsschein, der eine Abtreibung<br />
ermöglicht, ausstellen.«<br />
Claudia Ravensburg, frauenpolitische Sprecherin<br />
der CDU-Landtagsfraktion, Anfang Oktober im<br />
Hessischen Landtag.<br />
Tops & Flops<br />
Mit einem Kommentar, der<br />
an Klarheit nichts zu wünschen<br />
übrig lässt, hat sich der<br />
Bischof von Fulda, Bischof<br />
Heinz Josef Algermissen, am 19. September<br />
anlässlich des so genannten Spitzengesprächs<br />
zum Thema Spätabtreibungen<br />
öffentlich zu Wort gemeldet. An dem<br />
Tag, an dem sich in Berlin die Fraktionschefs<br />
von Union und SPD mit dem<br />
Vorsitzenden des Rats der Evangelischen<br />
Kirchen in Deutschland (EKD), Wolfgang<br />
Huber, und dem<br />
Vorsitzenden der<br />
Deutschen Bischofskonferenz,<br />
Karl Kardinal<br />
Lehmann, trafen,<br />
schrieb Algermissen<br />
in der katholischen<br />
Zeitung<br />
»Die Tagespost«<br />
unter anderem:<br />
»Wenn auch auf der politischen Ebene<br />
die Chancen einer gesetzlichen Neufassung<br />
zum späten Schwangerschaftsabbruch,<br />
das heißt die Rechtsgrundlage der<br />
Spätabtreibungen zu überprüfen, äußerst<br />
gering sind, wird sich jedoch unsere Kirche<br />
mit dieser hingenommenen Praxis niemals<br />
abfinden. Politik und Gesellschaft, die<br />
solche Form der Selektion von Menschenleben<br />
sprachlos akzeptieren, müssen damit<br />
rechnen, dass die Kirche nicht aufhört,<br />
das Evangelium des Lebens zu verkünden.<br />
Sie fordert, über das Problem der Spätabtreibungen<br />
hinaus die gesamte Abtreibungsregelung<br />
wieder auf den Prüfstand<br />
zu stellen. Diese Regelung ist auf der<br />
ganzen Linie gescheitert.« reh<br />
ARCHIV<br />
Alter schützt vor Torheit<br />
nicht. Doch dürfte der <strong>80</strong>jährige<br />
italienische Staatspräsident<br />
Giorgio Napolitano,<br />
der als Modernisierer der Kommunistischen<br />
Partei Italiens (PCI) gilt<br />
und maßgeblich an deren Umwandlung<br />
in die sozialdemokratische DS (Democratici<br />
di Sinistra) beteiligt war, gewusst<br />
haben, was er tat, als er eine parlamentarische<br />
Debatte über die Zulassung der<br />
Sterbehilfe in Italien forderte. Mit seinem<br />
Ansinnen hatte<br />
Napolitano auf einen<br />
offenen Brief<br />
reagiert, den der<br />
an Muskeldystrophie<br />
erkrankte<br />
Piergiorgio Welby<br />
an ihn gerichtet<br />
hatte und der<br />
Bischof Algermissen zuvor in der Ta- Giorgio Napolitano<br />
ARCHIV<br />
geszeitung»Corriere della Sera« veröffentlicht worden<br />
war. Nach den Einlassungen Napolitanos<br />
heizte der TV-Sender Raitre die losgetretene<br />
Debatte weiter an und strahlte die<br />
Dokumentation einer 1995 vollzogenen<br />
Euthanasie aus. Der in den Niederlanden<br />
gedrehte Film löste schon bei der Erstausstrahlung<br />
eine heftige Kontroverse<br />
aus – obwohl die Sterbeszene des 62jährigen<br />
Protagonisten vorsorglich herausgeschnitten<br />
worden war. In Italien<br />
wurden nun auch diese Bilder gezeigt.<br />
Wenn sich <strong>Lebensrecht</strong>ler in Italien nun<br />
gezwungen sehen, sich auch diesem Thema<br />
zu widmen, wird es – wie üblich –<br />
heißen, eine so ernste Frage dürfe nicht<br />
emotionalisiert werden. reh<br />
LebensForum <strong>80</strong>
Aus dem Netz gefischt<br />
Dass Themen wie Tod und Sterben<br />
immer häufiger in den Fokus des öffentlichen<br />
Interesses rücken, dürfte in einer<br />
alternden Gesellschaft kaum jemanden<br />
verwundern. Und da der Tod nun einmal<br />
zum Leben gehört, ist eine wachsende<br />
Auseinandersetzung mit den Fragen rund<br />
um das Lebensende auch durchaus zu<br />
begrüßen. Gleichwohl ist<br />
vielerorts eine gewisse<br />
Orientierungslosigkeit zu<br />
spüren, wenn plötzlich<br />
wieder vom Tod und Sterben<br />
die Rede ist. Kein<br />
Wunder, nachdem diese<br />
Themen jahrzehntelang<br />
an den Rand gedrängt<br />
wurden.<br />
Wer nun Orientierung<br />
sucht oder anderen geben will, dem kann<br />
jetzt ein neues Informationsportal der<br />
»InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik<br />
Deutschland« empfohlen werden.<br />
Unter www.sterbehilfe-debatte.de finden<br />
Internetnutzer umfangreiche Informationen<br />
zu Themen wie Patientenverfügung,<br />
menschenwürdige Pflege, Sterbebegleitung,<br />
Hospizarbeit contra Sterbehilfe<br />
und Palliativmedizin versus Euthanasie.<br />
www.sterbehilfe-debatte.de<br />
»Deutschland. Das von morgen« (8)<br />
Das Deutschland von morgen wird<br />
vermutlich ganz ohne Robbenpelze und<br />
Omega3-Öle auskommen. Der Ausschuss<br />
<strong>für</strong> Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz zeigte sich schockiert<br />
über Berichte von der kanadischen<br />
Robbenjagd. Dabei würden vor<br />
allem Jungtiere im Alter von drei Wochen<br />
bis zu einem Jahr zunächst brutal<br />
erschlagen und dann mit Enterhaken<br />
an Bord gezogen. Nun wollen die Abgeordneten<br />
einen Einfuhrstopp verhängen.<br />
Laut der Grünen-Politikerin Bärbel<br />
Höhn gäbe es gute Chancen <strong>für</strong> einen<br />
parteiübergreifenden Konsens.<br />
Dem Vernehmen nach will die SPD<br />
bei den anstehenden Beratungen auf<br />
das so genannte Insel-Argument verzichten.<br />
In der Stammzelldebatte hatten<br />
SPD-Politiker noch argumentiert,<br />
Deutschland sei keine Insel, weshalb<br />
Der wöchentlich aktualisierte Pressespiegel<br />
ermöglicht einen raschen Überblick<br />
über die Berichterstattung der Medien.<br />
Eine umfangreiche Sammlung von<br />
Gesetzestexten und Diskussionsvorlagen<br />
aus dem Parlament, Stellungnahmen und<br />
Positionspapiere von Experten sowie zahlreiche<br />
Literaturempfehlungen und Rezensionen<br />
bieten die<br />
Möglichkeit, sich tiefer<br />
mit der Materie vertraut<br />
zu machen.<br />
Last but not least<br />
können über das Portal<br />
zahlreiche Adressen von<br />
Verbänden und Vereinen<br />
sowie von Einrichtungen<br />
ermittelt<br />
werden, die praktische<br />
Hilfe leisten – etwa Hospize und palliativmedizinische<br />
Dienste. Trotz der wenig<br />
anspruchsvollen Grafik überzeugt das<br />
Portal durch Inhaltsdichte und eine einfache<br />
Benutzerführung. Wer gezielt Informationen<br />
zu einem bestimmten Themenbereich<br />
sucht, wird die Domain<br />
ebenso zu schätzen wissen, wie derjenige,<br />
der sich einen Überblick über die verschiedenen<br />
Themenfelder verschaffen<br />
will. reh<br />
ein generelles Import-Verbot <strong>für</strong> embryonale<br />
Stammzellen, <strong>für</strong> die im Ausland<br />
menschliche Embryonen getötet<br />
werden, wirkungslos sei. Der CDU-<br />
Politiker Peter Hintze ließ unbestätigten<br />
Berichten zufolge durchblicken, er<br />
wolle im Bundestag nicht auf die nachgewiesene<br />
essentielle Bedeutung von<br />
Omega3-Ölen <strong>für</strong> die Gesundheit hinweisen.<br />
In der Stammzelldebatte hatte<br />
Hintze noch geäußert, es sei ein »Gebot<br />
der Menschlichkeit« mit embryonalen<br />
Stammzellen zu forschen, da die Chance<br />
bestehe, dass sich mit ihnen Krankheiten<br />
heilen ließen. Die FDP, die sich in<br />
der Stammzelldebatte stets <strong>für</strong> eine<br />
»Forschung ohne Fesseln« stark gemacht<br />
hatte, ließ wissen, obwohl es unter<br />
ihren Wählern überdurchschnittlich<br />
viele Jäger gebe, sei die »Jagdfreiheit«<br />
nicht grenzenlos. Stefan Rehder<br />
KURZ & BÜ NDIG<br />
Ausstellung: Tödliche Medizin<br />
Unter dem Titel »Tödliche Medizin: Rassenwahn<br />
im Nationalsozialismus« zeigt das Deutsche<br />
Hygiene-Museum Dresden noch bis 24.<br />
Juni 2007 eine Ausstellung des United States<br />
Holocaust Memorial Museums. Die Ausstellung,<br />
die erstmals außerhalb der USA gezeigt<br />
wird, beleuchtet die Vernichtung der Juden<br />
im Zusammenhang mit den Euthanasie-Verbrechen<br />
der Nazis. Laut dem Aussteller ist<br />
die Thematik auch von »aktueller Relevanz«.<br />
So verdeutlichten anhaltende rechtsradikale<br />
Bestrebungen in Deutschland die Notwendigkeit<br />
einer intensiven Auseinandersetzung mit<br />
der Geschichte, dokumentiere die Ausstellung<br />
einen wichtigen Bezugspunkt <strong>für</strong> aktuelle<br />
ethische Debatten, so über die Folgen einer<br />
anwendungsorientierten Genforschung, die<br />
Anerkennung von Menschen mit Behinderung<br />
und der Definition von Leben und Tod im Zusammenhang<br />
mit Sterbehilfe. reh<br />
Adulte Stammzellen gegen Krebs<br />
Die Behandlung mit adulten Stammzellen hat<br />
im Tierversuch die Nebenwirkungen von Strahlentherapien<br />
gegen Krebs gelindert. Auf dem<br />
25. Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Radioonkologie in Leipzig berichteten<br />
Forscher über entsprechende Tests an Mäusen<br />
und Ratten. So habe etwa eine Untersuchung<br />
der Universität Groningen gezeigt, dass sich<br />
die Strahlennebenwirkungen in der Schleimhaut<br />
und der Haut durch den Einsatz adulter<br />
Stammzellen reduzieren ließe. Auch eine<br />
Studie der TU Dresden zeige, dass Nebenwirkungen<br />
reduziert würden. Zudem erhöhe sich<br />
die Strahlentoleranz von Mäusen, wenn diese<br />
vor oder während der Bestrahlung eine Knochenmarkspende<br />
erhielten. Forscher hoffen<br />
nun, dass sich Tumore künftig besser behandeln<br />
ließen, wenn sich dieser Effekt auch<br />
beim Menschen nachweisen lasse, da dann<br />
die Strahlendosis erhöht werden könne. reh<br />
Abgeordnete fragen nach<br />
Die Fraktion »Die Linke« hat eine Kleine Anfrage<br />
(Drucksache 16/2756) an die Regierung<br />
zur Entwicklung öffentlicher Aufwendungen<br />
<strong>für</strong> die Stammzellforschung gestellt. Die Parlamentarier<br />
wollen wissen, welche Projekte<br />
in Deutschland seit 2004 von der Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen<br />
von Normalverfahren, in Sonderforschungsprogrammen<br />
oder durch Unterstützung von<br />
Forschergruppen gefördert wurden. Weiter<br />
wird gefragt, welche Projekte vom Bundesforschungsministerium<br />
gefördert und welche<br />
Projekte von außeruniversitären Einrichtungen<br />
durchgeführt wurden, die vom Bund gefördert<br />
werden. reh<br />
LebensForum <strong>80</strong> 33
»Homo homini lupus« - »Der Mensch<br />
ist dem Menschen ein Wolf«. Dieser Satz<br />
von Plautus kam mir in den Sinn, als ich<br />
das neue LebensForum zur Hand nahm.<br />
Und wie wahr: Die Titelgeschichte von<br />
Stefan Rehder zeigt eindrucksvoll, dass<br />
Sie mit Ihrem Titelbild wieder einmal<br />
richtig liegen, wenngleich es durchaus<br />
auch »schocken« kann – auf heilsame<br />
Weise. Was mir be-<br />
sonders imponiert,<br />
ist, dass die Autoren<br />
von LebensForum<br />
weder Furcht vor<br />
großen Namen zu<br />
kennen scheinen,<br />
noch parteipolitisch<br />
festgelegt sind. Von<br />
Anwälten <strong>für</strong> das<br />
Leben darf man<br />
zwar erwarten, dass<br />
sie sich <strong>für</strong> die Sache<br />
einsetzen, ganz<br />
gleich, wer sie verrät<br />
und aus welchen<br />
Gründen. Dennoch<br />
möchte ich Ihnen<br />
meinen Dank da<strong>für</strong><br />
aussprechen, dass Sie so sorgfältig hinter<br />
die Kulissen blicken und das, was andere<br />
lieber im Dunkeln lassen, ans Licht holen.<br />
Weil sie darin nicht nachlassen, ist die<br />
Lektüre von LebensForum <strong>für</strong> mich<br />
immer mit einem Zugewinn an Realität<br />
verbunden, selbst wenn diese sich oft<br />
schmerzlicher ausnimmt als man dies<br />
eigentlich wahrhaben möchte.<br />
Heinrich Mellein, Köln<br />
34<br />
LESERFORUM<br />
»Heilsam«<br />
Plautus<br />
ARCHIV<br />
Im Freundes- und Bekanntenkreis<br />
höre ich oft, zum Thema<br />
Lebensschutz sei längst alles<br />
gesagt. Sie zeigen mit jeder Ausgabe<br />
neu, dass davon keine Rede<br />
sein kann. Herzlichen Dank <strong>für</strong><br />
die tiefen Einblicke, die etwa die<br />
aufrüttelnden Beiträge über den<br />
Lebensschutz in Europa und Lateinamerika<br />
ermöglichen.<br />
Alexandra Baumann, Berlin<br />
»Entsetzlich«<br />
Ihrem Anliegen, die Abtreibung als<br />
Mord erkennbar zu machen, stimme ich<br />
voll zu. Meine Frage ist, ob die Gestaltung<br />
Ihrer Zeitschrift LebensForum dazu beiträgt<br />
– oder ob die Gestaltung Menschen,<br />
an sich am Thema Interessierte davon<br />
abhält, das Heft zu öffnen. Material, durch<br />
das etwas vermittelt werden soll, muss<br />
»verlockend« sein. Die Abbildungen auf<br />
den ersten Seiten von »LebensForum«<br />
Nr. 77, 78, und 79 sind das nicht. Der<br />
Kritik von Dr. Stephan H. Rank in Nr.<br />
77 über das Titelbild schließe ich mich<br />
an. (...) Der Blick auf den Fleischwolf ist<br />
entsetzlich. Das Bild soll etwas Grauenhaftes<br />
aussagen, womit es Recht hat. Doch<br />
eine solche Aussage sollte auch als Bild<br />
anschaubar sein. (...) Ich habe erlebt, dass<br />
diese Bilder abstoßend wirkten. Ich finde<br />
sie geschmacklos – wie auch die »Witzzeichnungen««<br />
unter »Tops & Flops«.<br />
Hermenegilde von Weichs, Münster<br />
Unglaubwürdig<br />
Die Diskussion der Menschenrechts-<br />
Organisation »amnesty international«<br />
darüber, ob Abtreibung ein Menschenrecht<br />
sein soll, ist an Absurdität kaum zu<br />
überbieten. In einem Selbstporträt auf<br />
der Homepage der Organisation heißt<br />
es: »Auf Grundlage der Allgemeinen Erklärung<br />
der Menschenrechte wendet sich<br />
ai gegen schwer wiegende Verletzungen<br />
der Rechte eines jeden Menschen auf<br />
Meinungsfreiheit, auf Freiheit von Diskriminierung<br />
sowie auf körperliche und<br />
HOPI-MEDIA<br />
geistige Unversehrtheit.« Wie dieser<br />
Grundsatz mit der Forderung eines Menschenrechts<br />
auf Abtreibung vereinbar sein<br />
soll, bleibt wohl das Geheimnis von Irene<br />
Khan. Setzte die Generalsekretärin sich<br />
wirklich durch, so würde »amnesty international«<br />
jede Glaubwürdigkeit verlieren.<br />
Denn was ist die Tötung eines ungeborenen<br />
Menschen anderes, als eine schwerwiegende<br />
Verletzung seines Rechts auf<br />
körperliche Unversehrtheit?<br />
Johannes Schwedhelm, Aachen<br />
Ausgehöhlt<br />
Als Österreicherin bin ich zwar froh,<br />
dass wenigstens unsere Forschungsministerin<br />
Elisabeth Gehrer erneut Flagge<br />
gezeigt hat <strong>für</strong> das Leben, mich schaudert<br />
aber bei dem Gedanken, dass die Europaparlamentarier<br />
und Forschungsminister<br />
sich mehrheitlich von der Unantastbarkeit<br />
des Lebens verabschiedet haben. Durch<br />
die Finanzierung der Forschung an em-<br />
Elisabeth Gehrer (l.) mit Annette Schavan<br />
bryonalen Stammzellen ist der Geschäftemacherei<br />
mit dem Leben Tür und Tor<br />
geöffnet – ist den handelnden Personen<br />
eigentlich bewusst, dass auch sie am Anfang<br />
ihres Lebens kleine Embryonen<br />
waren? Der Katholische Familienverband<br />
Österreichs, dessen steirische Diözesanvorsitzende<br />
ich bin, und die Föderation<br />
der Katholischen Familienverbände in<br />
Europa sind in Lebensschutzfragen in<br />
engem Kontakt mit der Europäischen<br />
Bischofskonferenz COMECE, doch wo<br />
sind die christdemokratischen Politiker<br />
– der großen EU-Länder, wenn es um<br />
den Respekt vor der unantastbaren Würde<br />
des Lebens geht?<br />
Embryonenzerstörung und Abtreibung<br />
des jungen Lebens haben ihr Pendant am<br />
Ende des Lebens in der Euthanasie –<br />
müssen wir be<strong>für</strong>chten, dass der nächste<br />
Schritt Experimente an und Geschäfte<br />
mit Sterbenden sind? Oder sind wir auch<br />
da schon mittendrin?<br />
Sissi Potzinger, Vorsitzende des Kath. Familienverbandes<br />
Steiermark<br />
LebensForum <strong>80</strong>
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
LEBENSFORUM<br />
Ausgabe Nr. <strong>80</strong>, 4. Quartal 2006<br />
ISSN 0945-4586<br />
Verlag<br />
<strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> (ALfA) e.V.<br />
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Herausgeber<br />
<strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> e.V.<br />
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />
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Redaktion<br />
Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />
Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />
Tannwald (Ärzte <strong>für</strong> das Leben e.V.)<br />
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LETZTE SEITE<br />
Fehlerhaft<br />
Nicht jeder kann sich über das neue<br />
Elterngeld freuen. Vor allem schwangere<br />
Frauen ohne Einkommen stehen ab<br />
kommendem Jahr schlechter da als zuvor.<br />
Von Sebastian Sander<br />
Ab 1. Januar 2007 gibt es das neue<br />
Elterngeld. Das von Bundesfamilienministerin<br />
Ursula von der<br />
Leyen (CDU) gegen massive Widerstände<br />
auch aus den eigenen Reihen durchgesetzte<br />
Elterngeld löst das bisherige Erziehungsgeld<br />
ab, das noch <strong>für</strong> Kinder gezahlt<br />
wird, die bis zum 31. Dezember das Licht<br />
der Welt erblicken. Eltern, deren Jahresnettoeinkommen<br />
nicht mehr als 30.000<br />
Euro überstieg, sicherte das Erziehungsgeld<br />
zwei Jahre lang staatliche Zuschüsse<br />
in Höhe von 300 Euro pro Monat.<br />
Doch damit ist zum Jahreswechsel<br />
Schluss. Denn von dem neuen Elterngeld<br />
profitieren künftig vor allem Gutverdienende.<br />
Anders als das Erziehungsgeld<br />
handelt es sich beim Elterngeld jedoch<br />
»Das Elterngeld wird vielen ungeborenen<br />
Kindern das Leben kosten«<br />
um eine Lohnersatzleistung, deren Höhe<br />
sich am bisherigen Einkommen des betreuenden<br />
Elternteils orientiert.<br />
Eltern, deren Kinder ab dem 1. Januar<br />
2007 geboren werden, erhalten zwölf<br />
Monate lang 67 Prozent des entfallenen<br />
Netto-Einkommens, maximal 1.<strong>80</strong>0 Euro<br />
pro Monat. Unterbricht auch der andere<br />
Elternteil die Berufstätigkeit und widmet<br />
sich stattdessen der Betreuung und Erziehung<br />
des Kindes, wird das Elterngeld<br />
zwei weitere Monate gezahlt. Gutverdienende<br />
Paare, die die Maximalförderung<br />
des Elterngeldes voll ausschöpfen können,<br />
erhalten über den Zeitraum von 14 Monaten<br />
auf diese Weise 25.200 Euro.<br />
Mütter und Väter ohne Einkommen,<br />
wie etwa so genannte Vollzeit-Mütter<br />
oder -Väter, Studierende oder Arbeitslosengeld<br />
II-Empfänger, müssen sich dagegen<br />
mit 300 Euro pro Monat bescheiden.<br />
PIXELQUELLE.DE<br />
Gegenüber dem Erziehungsgeld büßen<br />
sie mit dem neuen Elterngeld im zweiten<br />
Lebensjahr des Kindes die früher gewährten<br />
staatlichen Hilfen mit einer Höhe<br />
von insgesamt 3.600 Euro ein.<br />
Für Frauen, die überraschend schwanger<br />
geworden sind, stellt diese neue Regelung<br />
ein Problem dar. »<strong>Alle</strong>in in den<br />
vergangenen Wochen haben wir über<br />
zehn Studentinnen beraten, die abtreiben<br />
Hat noch gut lachen: Seinen Eltern sicherte das Erziehungsgeld 7.200 Euro<br />
wollen, weil ihre Kinder erst Anfang<br />
nächsten Jahres zur Welt kommen würden<br />
und sie somit unter die Regelung des<br />
neuen Elterngeldes fallen«, zitierte »Focus<br />
online« kürzlich die Bundesvorsitzende<br />
der <strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> (ALfA),<br />
Claudia Kaminski.<br />
Denn laut Kaminski fühlten sich Frauen<br />
ohne Einkommen als Verliererinnen<br />
des neuen Gesetzes. »Es ist ein Skandal,<br />
dass arme Mütter ab Januar 2007 auf die<br />
Hälfte des bisherigen Erziehungsgeldes<br />
verzichten müssen, damit gutverdienende<br />
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />
Deutsche Post AG (DPAG)<br />
<strong>Aktion</strong> <strong>Lebensrecht</strong> <strong>für</strong> <strong>Alle</strong> e.V. (ALfA)<br />
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />
Paare bis zu 25.200 Euro Elterngeld einstreichen<br />
können«, so die ALfA-Bundesvorsitzende,<br />
die <strong>für</strong>chtet, dass das neue<br />
Elterngeld »viele ungeborenen Kinder<br />
das Leben kosten wird«.<br />
Wie Kaminski berichtet, seien durch<br />
die »Gehsteigberatung« von Frauen direkt<br />
vor Abtreibungseinrichtungen, bei<br />
der sich die ALfA personell und finanziell<br />
engagiert, die sozialen Ausgaben des ge-<br />
meinnützigen Vereins im ersten Halbjahr<br />
2006 dramatisch gestiegen. Die so genannte<br />
Gehsteigberatung zeige, dass die<br />
»Zusage finanzieller Hilfe und persönlicher<br />
Begleitung viele Frauen vom Gang<br />
in die Abtreibungseinrichtung abhalten<br />
können«, so Kaminski. Wolle man nun<br />
noch die mit dem Elterngeld verbundene<br />
Kürzung der Familienförderung <strong>für</strong> Frauen<br />
ohne Einkommen kompensieren, sei<br />
die ALfA »auf viel mehr Spenden als<br />
bisher angewiesen«, so Kaminski weiter.