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Abtreibung im Film

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G E S E L L S C H A F T<br />

<strong>Abtreibung</strong> <strong>im</strong> <strong>Film</strong><br />

Das Kino und auch die <strong>Film</strong>industrie in Hollywood haben neue Heldinnen gefunden: Ungewollt<br />

schwangere Mädchen und Frauen, die sich allen Schwierigkeiten zum Trotz jeweils<br />

für ihr Kind entscheiden. In »LebensForum« stellt der renommierte <strong>Film</strong>kritiker José García neun<br />

Leinwandproduktionen vor, die in den letzten Jahren für erhebliches Aufsehen gesorgt haben.<br />

Von José García<br />

In ihrem Spielfilmdebüt »17 Mädchen«<br />

(»17 Filles«) bringen die Regisseurinnen<br />

Delphine und Muriel<br />

Coulin eine Begebenheit auf die Kinoleinwand,<br />

die sich in den Vereinigten Staaten<br />

zugetragen haben soll. Im Frühjahr<br />

2008 verabredete sich in Massachusetts<br />

eine Gruppe von Schülerinnen, um zur<br />

gleichen Zeit schwanger zu werden. Das<br />

Regisseurinnenduo verlegte die Spielfilmhandlung<br />

in eine langweilige Stadt<br />

der Bretagne namens Lorient: Camille<br />

(Louise Grinberg) kann es kaum erwarten,<br />

der heruntergekommenen Stadt den<br />

Rücken zu kehren. Als die Schülerin erfährt,<br />

dass sie ungewollt schwanger ist,<br />

entscheidet sich Camille für das Kind.<br />

Die anderen Mädchen aus ihrer Clique<br />

kommen auf den Gedanken, ihr nachzueifern.<br />

Bald erwarten insgesamt 17 Schülerinnen<br />

aus Lorient ein Kind.<br />

Zwar verstehen die Schülerinnen ihre<br />

Schwangerschaft zunächst einmal als eine<br />

Art Rebellion gegen die Erwachsenenwelt.<br />

Dies schließt jedoch auch die Auflehnung<br />

gegen eine Generation mit ein,<br />

28<br />

die <strong>Abtreibung</strong> als etwas Selbstverständliches<br />

sieht. Mit einem Wechselbad der<br />

Gefühle, das in der Inszenierung durch<br />

ein ständiges Abwechseln von nachdenklichen<br />

zu humorvollen Momenten umgesetzt<br />

wird, zeichnet »17 Mädchen« ein<br />

von widersprüchlichen Empfindungen<br />

geprägtes Lebensgefühl – von der Entschlossenheit,<br />

die eigenen Träume zu realisieren,<br />

bis zur existenziellen Unsicherheit.<br />

Den Regisseurinnen gelingen <strong>im</strong>mer<br />

wieder kraftvolle Bilder, etwa wenn<br />

Der <strong>Film</strong> Juno wurde mit dem Oscar für das beste Original-Drehbuch ausgezeichnet.<br />

sie die glänzenden Augen junger Frauen<br />

be<strong>im</strong> Betrachten der Ultraschallbilder<br />

ihres Babys in Großaufnahme zeigen.<br />

Mit ungewollt schwangeren jungen<br />

Frauen oder gar minderjährigen Schwangeren<br />

beschäftigt sich das Kino seit einiger<br />

Zeit vermehrt, so etwa <strong>im</strong> Drogenkurier-Drama<br />

»Maria voll der Gnade«<br />

(2005). Der <strong>Film</strong> handelt von der 17-jährigen<br />

Maria, die in der kolumbianischen<br />

Provinz kein einfaches Leben führt: Maria<br />

ist unzufrieden mit ihrer Arbeit und ihrer<br />

Familie, und den Kindeserzeuger liebt sie<br />

auch nicht mehr. In ihrem Spielfilmdebüt<br />

20TH CENTURY FOX<br />

»Die Perlenstickerinnen« (2005) zeichnete<br />

die französische Regisseurin Eléonore<br />

Faucher ein Porträt der ebenfalls 17-jährigen<br />

Claire, die den Vater ihres zukünftigen<br />

Kindes nicht liebt. Dieser interessiert<br />

sich lediglich dafür, ob sie das Kind<br />

abtreiben will und Geld dafür braucht.<br />

Nein, abtreiben will Claire nicht, ebenso<br />

wenig wie Maria. Sowohl Maria als auch<br />

Claire entscheiden sich mit aller Selbstverständlichkeit<br />

für ihr Kind.<br />

In den Jahren 2007-2008 zeigte das Kino<br />

eine Reihe Spielfilme mit ungewollt<br />

schwanger gewordenen jungen Frauen, ja<br />

sogar Teenagern, die sich allen Widrigkeiten<br />

zum Trotz für ihr Kind entscheiden.<br />

So etwa die 16-jährige Juno in der<br />

gleichnamigen amerikanischen Komödie,<br />

die mit dem Oscar für »das beste Original-Drehbuch«<br />

ausgezeichnet wurde.<br />

Im Mittelpunkt des <strong>Film</strong>es steht die<br />

vor Selbstbewusstsein nur so strotzende<br />

Schülerin Juno MacGuff (Ellen Page). Als<br />

sie zweifelsfrei feststellt, dass sie schwanger<br />

ist, sucht die Schülerin eine <strong>Abtreibung</strong>sklinik<br />

auf. Wie soll eine 16-Jährige<br />

eine Schwangerschaft physisch und<br />

psychisch überstehen? Doch es kommt<br />

ganz anders. Vor dem Eingang der <strong>Abtreibung</strong>spraxis<br />

begegnet sie einer Mitschülerin,<br />

einer »Pro Life«-Aktivistin,<br />

die Juno darauf hinweist, dass der Fötus<br />

bereits über Fingernägel verfügt. Dies<br />

und die St<strong>im</strong>mung in der Praxis selbst,<br />

in der sie wie ein Objekt behandelt wird,<br />

st<strong>im</strong>mten die 16-Jährige um: <strong>Abtreibung</strong><br />

ist der falsche Weg. So entscheidet sich<br />

Juno, ihr Kind auszutragen. Sie sucht<br />

Adoptiveltern – diese sind ganz einfach<br />

über eine Annonce in der örtlichen Zeitung<br />

zu finden – für ihr Kind. Besonders<br />

aufschlussreich n<strong>im</strong>mt sich in Reitmans<br />

<strong>Film</strong> die Reaktion von Junos Eltern aus.<br />

Entgegen landläufigen Klischees, Eltern<br />

reagierten über die Schwangerschaft ihrer<br />

minderjährigen Tochter stets so entsetzt,<br />

dass sie das Mädchen regelrecht<br />

drängen, »das Problem wegzumachen«,<br />

L e b e n s F o r u m 1 0 3


veranschaulicht »Juno« die umgekehrte<br />

Möglichkeit: Die Eltern einer schwangeren<br />

Minderjährigen können sehr wohl ihre<br />

Tochter in ihrer Entscheidung unterstützen,<br />

das Kind auszutragen.<br />

Szene aus »Jennas Kuchen – Für Liebe gibt es kein Rezept«<br />

Auch konventionellere Hollywood-<br />

<strong>Film</strong>e nehmen sich des Themas zunehmend<br />

an. In der klischeehaften Komödie<br />

»Be<strong>im</strong> ersten Mal« (»Knocked Up«,<br />

2007) kommen sich ein chaotischer Faulenzer<br />

und eine karrierefixierte Fernsehjournalistin<br />

trotz aller Unterschiede nach<br />

einem Diskothekenbesuch näher, als sie<br />

eigentlich beabsichtigt hatten. Als die<br />

junge Frau schwanger wird, steht für sie<br />

der Entschluss fest: »Ich will das Baby<br />

behalten.« Eine <strong>Abtreibung</strong> kommt für<br />

sie von vorne herein überhaupt nicht in<br />

Frage, obwohl wenigstens auf den ersten<br />

Blick eine gemeinsame Zukunft mit dem<br />

Nichtsnutz kaum vorstellbar erscheint,<br />

und darüber hinaus für ihre berufliche<br />

Karriere eine Schwangerschaft eher hinderlich<br />

scheint.<br />

Von einer jungen Frau, der eine<br />

Schwangerschaft <strong>im</strong> Wege steht, handelt<br />

ebenfalls »Jennas Kuchen – Für Liebe<br />

gibt es kein Rezept« (»Waitress«, 2007).<br />

Auch die charmante Kellnerin Jenna, die<br />

mit einem gewalttätigen Taugenichts verheiratet<br />

ist, wird ungewollt schwanger.<br />

Ihr kommt die Schwangerschaft insbesondere<br />

in die Quere, weil ihre einzige<br />

Hoffnung, von ihrem Macho-Ehemann<br />

wegzukommen, in einem Backwettbewerb<br />

liegt. Mit dessen Preisgeld würde<br />

sie ein neues Leben beginnen können.<br />

Und gerade dieser Ausweg wird ihr<br />

durch die Schwangerschaft verbaut. Jenna<br />

wird <strong>im</strong>mer wieder von Zweifeln gequält,<br />

ob sie das Kind »wegmachen« sollte,<br />

bis sie sich zu der Einsicht durchringt:<br />

»Ich respektiere sein Recht auf Leben.«<br />

Doch eine Zuneigung fürs Baby will sie<br />

<strong>im</strong> Ke<strong>im</strong>e ersticken – bis zur Geburt. In<br />

dem Moment, wo sie das Neugeborene<br />

erblickt, ist ihre Abneigung indes blitzartig<br />

verflogen.<br />

Wie Jenna ergeht<br />

20TH CENTURY FOX<br />

DFA SPEKTRUM<br />

es etwa auch »Juno«,<br />

nur dass hier bereits<br />

das Ultraschallbild<br />

des Ungeborenen<br />

diese Wirkung erzielt:<br />

Die Szene, in<br />

der sich Juno zusammen<br />

mit ihrer<br />

Freundin und ihrer<br />

Stiefmutter die Ultraschallbilder<br />

des<br />

ungeborenen Kindes<br />

anschaut, gehört<br />

zu den stärksten<br />

Augenblicken<br />

dieses <strong>Film</strong>es. In<br />

»The Philadelphia<br />

Inquirer« führte<br />

Rick Santorum dazu<br />

aus: »Die Ultraschallbilder<br />

– und nun auch Hollywood<br />

– zeigen, dass Augen, Rückgrat, Nervensystem,<br />

Leber und Magen des ungeborenen<br />

Kindes bereits <strong>im</strong> ersten Monat entwickelt<br />

sind. Dass sein Herz bereits am 18.<br />

Tag schlägt. Dass das ungeborene Baby<br />

<strong>im</strong> dritten Monat eine kleine Faust ballen<br />

und Schluckauf<br />

haben kann, einschläft<br />

und aufwacht.<br />

Vielleicht ist<br />

dies etwas Winziges<br />

in unserer riesigen<br />

Popkultur,<br />

aber was für ein<br />

großartiges Kleines<br />

kann dies sein!«<br />

In »Ein Teil von<br />

mir« (Christoph<br />

Röhl, 2008) fasst<br />

die ungewollt<br />

schwanger gewordene<br />

16-jährige Vicky<br />

(Karoline Teska)<br />

den Entschluss,<br />

ihr Kind zur Welt<br />

zu bringen. Erschreckt<br />

von der<br />

emotionalen Unreife ihrer eigenen Mutter,<br />

will sie für sich und ihre kleine Tochter<br />

eine Familie. Ohne große Gesten setzt<br />

sie denn auch alles daran, den Kindesvater<br />

Jonas (Ludwig Trepte) an seine Verantwortung<br />

zu erinnern.<br />

»Der ganz normale Wahnsinn« (»I<br />

Don‘t Know How She Does It«, 2011)<br />

von Douglas McGrath handelt zwar von<br />

der Geschäftsfrau und Mutter Kate Reddy<br />

(Sarah Jessica Parker), die als wahre<br />

»Jongleurin« beides miteinander vereinbart.<br />

In einer Nebenhandlung bietet<br />

der <strong>Film</strong> aber auch ein Plädoyer für die<br />

Mutterschaft, exemplifiziert an der Nebenfigur<br />

der jungen Karrieristin Momo<br />

(Olivia Munn), die zunächst von Familie<br />

und Kindern nichts wissen will, weshalb<br />

sie auch eine <strong>Abtreibung</strong> erwägt. Als sie<br />

sich für das Kind entscheidet, kann sie<br />

dann ihr Glück kaum fassen.<br />

Das Sujet der schwangeren Minderjährigen<br />

begegnet darüber hinaus auch<br />

in <strong>Film</strong>en, die sich erklärtermaßen an<br />

ein Publikum zwischen 14 und 18 Jahren<br />

wenden. Besonders ergreifend inszeniert<br />

Regisseur Mani Masserrat-Agah<br />

<strong>im</strong> schwedischen Spielfilm »Ciao Bella«<br />

(2007) die Entscheidung der 17-jährigen<br />

Linnéa (Chanelle Lindell) für ihr Kind.<br />

Die junge Frau ist nach einer flüchtigen<br />

»Urlaubsbekanntschaft« schwanger geworden<br />

und wird von ihrem oberflächlichen<br />

Vater und dessen Freundin geradezu<br />

zur <strong>Abtreibung</strong> bedrängt. Linnéa<br />

ringt lange Zeit mit der Entscheidung.<br />

In einem Augenblick, in dem sie sich besonders<br />

kraftlos dafür fühlt, die Schwangerschaft<br />

durchzustehen, steckt sie sich<br />

eine <strong>Abtreibung</strong>spille in den Mund. Sie<br />

schaut sich aber plötzlich <strong>im</strong> Spiegel in<br />

die Augen – und n<strong>im</strong>mt schleunigst die<br />

Pille wieder heraus.<br />

Auch in »Ein Teil von mir« sagt das Paar »Ja« zum ungeplanten Kind.<br />

Nicht nur »17 Mädchen«, sondern<br />

auch eine ganze Reihe Spielfilme aus<br />

den letzten Jahren verdeutlichen, dass<br />

nach Jahrzehnten, in denen <strong>im</strong> <strong>Film</strong> andere<br />

Lebensentwürfe überwogen, nun<br />

das Kino eine neue Heldin gefunden<br />

hat: Die ungewollt Schwangere, die sich<br />

allen Schwierigkeiten zum Trotz für ihr<br />

Kind entscheidet.<br />

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