BERLIN - Veranstaltungskalender für Körper Geist und Seele
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Foto: © detailblick - Fotolia.com<br />
Zeit der<br />
Schwangerschaft<br />
Gerald Hüther <strong>und</strong> Inge Krens über unsere vorgeburtlichen<br />
Prägungen – ein Ausschnitt aus<br />
ihrem neuen Buch „Das Geheimnis der ersten<br />
neun Monate“ mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung<br />
des Beltz-Verlages.<br />
Verb<strong>und</strong>en sein <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en bleiben<br />
Die Vorstellungen davon, wie die vorgeburtliche Entwicklung<br />
abläuft <strong>und</strong> worauf es dabei besonders ankommt,<br />
haben sich im Lauf der Zeit immer wieder<br />
verändert. Durch neue Erkenntnisse hat sich nicht<br />
nur das Wissen über die intrauterin ablaufenden Reifungsprozesse<br />
erweitert. Wir sind dem ungeborenen<br />
Kind auch emotional näher gekommen. Wir spüren<br />
nicht nur, sondern wissen inzwischen auch besser als<br />
je zuvor, wie sehr es auf uns angewiesen, mit unserem<br />
eigenen Leben verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> von uns abhängig ist.<br />
Vorbei sind die Zeiten, als wir noch glaubten, dass<br />
das Kind im Kopf der Spermafäden bereits in zusammengekauerter<br />
Form als Miniaturmensch vorgebildet<br />
ist <strong>und</strong> nach der Verschmelzung mit der Eizelle nur<br />
noch zu wachsen <strong>und</strong> zu einem richtigen Menschen<br />
heranwachsen muss. Heute lächeln wir nur noch über<br />
eine solch absurde Vorstellung. Aber bis vor Kurzem<br />
haben wir auch noch geglaubt, dass die vorgeburtliche<br />
Entwicklung weitgehend durch genetische Programme<br />
gesteuert wird. Und wir waren sogar der Meinung,<br />
dass wir durch die Entschlüsselung dieser Programme<br />
verstehen könnten, wie ein Kind zu dem wird, was es<br />
wird. Auch diese Vorstellung hat sich inzwischen als<br />
Irrtum erwiesen. Wir mussten begreifen, dass die in der<br />
befruchteten Eizelle verschmolzenen DNA-Sequenzen<br />
des väterlichen <strong>und</strong> mütterlichen Genoms lediglich ein<br />
Spektrum von Optionen bereitstellen, das festlegt, wie<br />
sich die weitere Entwicklung vollziehen könnte.<br />
Lernen durch menschliche Beziehungen<br />
Viele Wahrnehmungen, die die Welt des ungeborenen<br />
Kindes ausmachen, sind Reize, die sozusagen von<br />
„außen“ kommen, weil sie aus dem mütterlichen Organismus<br />
oder aus der direkten Lebensumgebung der<br />
Mutter stammen. Sie können das Kind erreichen, weil<br />
es von Anfang an auf „Empfang“ eingestellt ist wie<br />
z.B. ein sechs Monate alter Fötus: Da begegnet uns im<br />
Ultraschallbild ein kleines Kind, das zweifellos sehr<br />
menschlich aussieht <strong>und</strong> sich auch entsprechend verhält.<br />
Manchmal schwebt es friedlich im Fruchtwasser<br />
<strong>und</strong> lässt sich von den gleichmäßigen Gehbewegun-<br />
gen der Mutter in den Schlaf schaukeln. Manchmal<br />
schlägt es Purzelbäume <strong>und</strong> bewegt sich aufgeregt in<br />
der Gebärmutter hin <strong>und</strong> her. Es kann die Stirn runzeln,<br />
sich die Augen reiben <strong>und</strong> sich bei einem lauten Geräusch<br />
erschreckt zusammenziehen. Manchmal hat es<br />
Schluckauf, muss gähnen, es kratzt sich oder schluckt<br />
sichtbar Fruchtwasser. Schon jetzt saugt es genüsslich<br />
an seinem Daumen, seinen Füßen oder Zehen. Es spielt<br />
mit der Nabelschnur <strong>und</strong> berührt die Plazenta. Es übt<br />
Atembewegungen, wobei sich sein kleiner Brustkorb<br />
hebt <strong>und</strong> senkt. Und es reagiert auf die Gefühlszustände<br />
der Mutter: Wenn sie aufgeragt ist, ist es auch aufgeregt.<br />
Beruhigt sie sich, entspannt auch es sich.<br />
Mithilfe der dreidimensionalen Ultraschalltechnik,<br />
mit der man selbst die Bewegungen der Pupille wahrnehmen<br />
kann, ist sogar zu beobachten, dass das Kind ab<br />
der 26. Woche lächeln kann, eine Fähigkeit, die bis jetzt<br />
nur neugeborenen Babys im Alter von sechs Wochen<br />
zugesprochen wurde.<br />
Von Anfang an<br />
Wichtig ist die zeitliche Ordnung, also die richtige<br />
Reihenfolge, in der Erfahrungen gemacht werden: zunächst<br />
während der vorgeburtlichen Entwicklung, dann<br />
als Baby, als Kleinkind, während der Vorschulzeit <strong>und</strong><br />
schließlich in der Schule <strong>und</strong> später im Beruf. Bevor<br />
man in Büchern herumstöbern kann, muss man lesen<br />
gelernt haben. Bevor man laufen lernen kann, muss man<br />
seinen <strong>Körper</strong> aufrichten können. Bevor man sprechen<br />
kann, muss man erfahren haben, dass es möglich ist,<br />
jemandem seine eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> Absichten<br />
mitzuteilen. Und bevor man etwas mitteilen kann, muss<br />
man das, was in einem vorgeht, wahrnehmen. Und<br />
letztlich muss man die Erfahrung gemacht haben, dass<br />
es jemanden gibt, der diese Äußerungen der eigenen<br />
Befindlichkeit nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern<br />
angemessen <strong>und</strong> feinfühlig darauf reagiert, der sich einem<br />
zuwendet, den man spüren kann <strong>und</strong> mit dem man<br />
verb<strong>und</strong>en ist – <strong>und</strong> zwar von Anfang an.<br />
Gerald Hüther/Inge Krens: Das Geheimnis der ersten neun Monate,<br />
Beltz Verlag, Weinheim, 2013, 157 Seiten, 9,95 Euro<br />
KGSBerlin 01/2013 27