1 Der Eiffelturm (1889)
1 Der Eiffelturm (1889)
1 Der Eiffelturm (1889)
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Vortrag Kanti 2<br />
1 <strong>Der</strong> <strong>Eiffelturm</strong> (<strong>1889</strong>)<br />
Die Kanten des <strong>Eiffelturm</strong>s werden von vier ebenen Kurven<br />
gebildet. Auf vielen Postkarten sieht man in etwa die<br />
Parallelprojektion dieser Kurven in die Ebene E. Diewahre<br />
Kurve und die Postkartenkurve sind affin zueinander, so<br />
dass Eigenschaften der einen leicht auf die andere übertragen<br />
werden können. Wir versuchen die Postkartenkurve mathematischzubeschreiben.<br />
Um die Struktur des Turmes zu vereinfachen, füllen wir ihn mit<br />
einem homogenen Material gleicher totaler Masse. Aus Gründen<br />
der Statik setzen wir zudem voraus, dass der Druck auf eine horizontale<br />
Schnittfläche auf jeder Höhe gleich ist. In einem geeigneten<br />
Koordinatensystem liefert dies die Gleichung<br />
p =<br />
g · m<br />
A = c1 ·<br />
�H<br />
x<br />
f 2 (t) dt<br />
f 2 (x) =konst<br />
Man macht gleichnamig, verwendet den Hauptsatzder<br />
Differential- und Integralrechnung und findet der Reihe nach<br />
�H<br />
x<br />
f 2 (t) dt = c2 · f 2 (x)<br />
f 2 (x) = c3 · f ′ (x) · f(x)<br />
f(x) = c3 · f ′ (x)<br />
f(x) = A · e x/B<br />
Aus den wahren Abmessungen liest man zwei Anfangsbedingungen aus,<br />
z.B. f(0) = 64.5 (halbe Basislänge) und f(115) = 18 (2. Plattform).<br />
Daraus errechnen sich A =64.5 und B = −91.<br />
Die Qualität der Rechnung zeigt folgende Tabelle und nebenstehendes<br />
Bild:<br />
Höhe wahre Quadratseite gerechnete Quadratseite<br />
Boden 0 64.5 64.5<br />
1. Plattform 57 33 34<br />
2. Plattform 115 18 18<br />
3. Plattform 274 8 3<br />
4. Plattform 300 7 2.3<br />
Abb.1: <strong>Der</strong> <strong>Eiffelturm</strong> von oben<br />
Abb.2: <strong>Eiffelturm</strong> von vorn<br />
Abb.3: Theorie und Realität<br />
B. Ruh, 1999
Vortrag Kanti 3<br />
Anregungen<br />
1. Berechne Volumen und Dichte (m=8090 t) des Turms.<br />
2. Zu wie vielen Prozent ist der Turm tatsächlich ausgefüllt (ρ Fe =7.86).<br />
3. Unter welchem Winkel steigt die Kurve an und welche Länge hat sie?<br />
4. Ist der Druck tatsächlich konstant?<br />
2 Die Golden Gate Bridge (1937)<br />
Welche Form haben die Kabel zwischen den beiden Hauptpfeilern? Wir treffen diesmal die Annahme,<br />
dass das Gewicht der Kabel gegenüber dem Gewicht der Fahrbahn vernachlässigt werden kann<br />
(tatsächlich beträgt ihr Anteil 24%).<br />
Die drei an einem Stück Kabel angreifenden Kräfte T,T0<br />
und FG sind im Gleichgewicht. Somit ist<br />
T0 = T cos α und FG = T sin α<br />
und deshalb<br />
f ′ (x) =<br />
T sin α FG<br />
=<br />
T cos α T0<br />
Abb.4: Die 3 auf das Kabel wirkenden Kräfte<br />
Nun ist T0 eine Konstante und FG = c · x (unsere Annahme), wobei c das Gewicht eines Laufmeters<br />
der Brücke bezeichnet. Das eher überraschend einfache Resultat ist damit die Parabelfunktion<br />
f(x) = c<br />
x<br />
2 T0<br />
2<br />
Aus den technischen Daten<br />
L = Länge zwischen den Pfeilern = 1280 m<br />
H = Höhe der Pfeiler = 227 m<br />
B = Höhe der Brücke = 84 m<br />
c = Gewicht pro Laufmeter = 37 t/m<br />
ergibt sich<br />
f(x) = 143<br />
640 2 x2 und T0 = 53000 t<br />
Anregungen<br />
1. Berechne αmax und daraus Tmax.<br />
2. a) Berechne annähernd die Länge des Kabels zwischen den Pfeilern.<br />
b) Das Kabel besteht aus 61 Strängen. Jeder Strang besteht aus 452 Drähten. Welche Länge<br />
besitzen alle Drähte zusammen?<br />
3. <strong>Der</strong> Durchmesser des Kabels beträgt 92 cm. Welcher maximale Druck wirkt auf das Kabel?<br />
B. Ruh, 1999
Vortrag Kanti 4<br />
3 <strong>Der</strong> Gateway Arch von Saint Louis (1965)<br />
Im Jahre 1947 schrieb die Stadt Saint Louis einen Wettbewerb für ein Bauwerk aus, das die Öffnung<br />
Amerikas symbolisieren sollte.<strong>Der</strong> erste Preis ging an den Finnen Eero Saarinen, dessen Werk - eine<br />
Art Triumphbogen - erst nach jahrelangem Planen im Jahre 1965 vollendet wurde, 4 Jahre nach<br />
Saarinens Tod.<br />
Die Form des Bogens entspricht jener einer hängenden Kette (Kettenlinie), welche nach oben gedreht<br />
wurde. Bekanntlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem Graphen der Funktion<br />
f(x) =cosh(x) = ex + e −x<br />
und der Kettenlinie. Hier die Herleitung:<br />
2<br />
Im Unterschied zum Brückenproblem ist nun FG = c · s.Wegen<br />
folgt<br />
s =<br />
�x<br />
0<br />
f ′ (x) = FG<br />
T0<br />
�<br />
1+(f ′ (t)) 2 dt<br />
�<br />
= c<br />
0<br />
x<br />
�<br />
1+(f ′ (t)) 2 dt .<br />
Differenzieren liefert die Differentialgleichung<br />
f ′′2 2<br />
= c � �<br />
′2<br />
1+f<br />
,<br />
Abb.5: Die 3 auf eine Kette wirkenden Kräfte<br />
welche mit etwas Technik gelöst werden kann. Etwas einfacher geht es, wenn man noch einmal differenziert<br />
2f ′′ f ′′′ = 2c 2 f ′ f ′′<br />
f ′′′ = c 2 f ′<br />
f ′′ = c 2 f<br />
Bekannte Lösungen sind f1(x) =e cx und f2(x) =e −cx . Die allgemeine Lösung lautet also<br />
f(x) =Ae cx + Be −cx<br />
Die Integrationskonstanten findet man aus f ′ (0) = 0 und f(0) = 1<br />
c . Es folgt<br />
f(x) = 1<br />
c<br />
Anregungen<br />
e cx + e −cx<br />
2<br />
= 1<br />
c cosh(cx)<br />
1. Berechne die Gleichung des äusseren Bogens (Höhe = Breite = 192 m) und jene des inneren<br />
Bogens (Höhe = 187 m, Breite = 163 m). Zeichne die Kurven.<br />
2. Berechne die Längen und die grössten Steigungswinkel der Kurven.<br />
B. Ruh, 1999
Vortrag Kanti 5<br />
Bemerkung<br />
Die Schülerinnen und Schüler sollten erleben, dass die Kettenlinie keine Parabel ist. Dazu eignet sich<br />
z.B. ein festes Blatt, auf dem man in den Punkten (−5/25) und (5/25) eine Kette hängt, die durch<br />
den Ursprung geht. Die entsprechende Parabel y = x 2 unterscheidet sich klar von der Kettenlinie.<br />
4 Schlusswort (1999)<br />
Abb.6: Parabel und Kettenlinie<br />
<strong>Der</strong> Unterricht in den mathematischen Fächern wird sich im Zusammenhang mit der berüchtigten<br />
MAR ziemlich verändern (müssen). So ist das Fach ’Anwendungen der Mathematik’ mit dem Kapitel<br />
darstellende Raumgeometrie nur noch im Schwerpunktfach ’Physik und Anwendungen der Mathematik’<br />
ein Thema (was die künftigen Chemiker sicher bald bedauern werden.)<br />
Immerhin zwingt uns die Reform auch dazu, neue Akzente zu setzen, was sich durchaus auch positiv<br />
auswirken kann. So sehen wir uns dazu aufgefordert, geeignete Probleme gemeinsam mit anderen<br />
Fächern (insbesondere mit der Physik) zu behandeln. Dazu soll mein Vortrag eine Anregung sein. Zur<br />
Vertiefung sei auf folgendes Buch hingewiesen:<br />
Robert B. Bank, Towing Icebergs, Falling Dominoes, Princeton 1998<br />
Die Unterlagen sind didaktisch nicht bis ins letzte Detail aufbereitet. Eine ’perfekte’ Vorlage ist meiner<br />
Erfahrung nach nicht nur unnötig sondern sogar hinderlich, da jede Lehrkraft das Stoffgebiet dem<br />
eigenen Stil anpassen muss (und will!).<br />
B. Ruh, 1999
Vortrag Kanti 6<br />
Anhang: ’Seiligumpe’<br />
Wird ein hängendes Seil rotiert, so entsteht eine Kurve (Troposkein),<br />
deren mathematische Behandlung schwieriger ist.<br />
Auf das Seil wirkt an jeder Stelle die Zentrifugalkraft<br />
Daher gilt<br />
FZ = m · ω2 · y<br />
y = mω2 y<br />
�<br />
a<br />
0<br />
x<br />
y · � 1+f ′ (t) 2 dt = −f ′ (x), a = ρω2<br />
woraus die Differentialgleichung<br />
−ay � 1+f ′2 = f ′′<br />
T0<br />
,<br />
Abb.7: Rotierendes Seil<br />
abgeleitet wird. Diese Differentialgleichung enthält die Variable x nicht und kann daher durch die<br />
Einführung von p(y) =f ′ (x), d.h. p ′ · p = f ′′ , um einen Grad reduziert werden:<br />
−ay � 1+p 2 = p ′ p<br />
Separieren der Variablen und Integration führt auf<br />
�<br />
−a<br />
ydy =<br />
�<br />
p<br />
� 1+p 2 dp<br />
−cy 2 + A = � 1+p 2 , c = a<br />
2<br />
Die Integrationskonstante wird aus p(H) = 0 berechnet. Es folgt nun<br />
p(y) = � c(H 2 − y 2 )(2+c(H 2 − y 2 )) = f ′ (x)<br />
Nun wird wieder separiert:<br />
� �<br />
dx =<br />
dy<br />
�<br />
c(H2 − y2 )(2+c(H2 − y2 ))<br />
Nach der Substitution y = H sin ϕ und etwas Algebra erhält man<br />
wobei<br />
x + B = F (k, ϕ) , k 2 =<br />
F (k, ϕ) =<br />
�ϕ<br />
0<br />
dϕ<br />
� 1 − k 2 sin 2 ϕ<br />
1<br />
1+ 4T0<br />
ρω 2 H 2<br />
das elliptische Integral erster Art bezeichnet. Aus den Randbedingungen erhält man schliesslich die<br />
Parameterdarstellung der Kurve:<br />
�<br />
�<br />
x = d 1 − , y = H sin(ϕ)<br />
F (k, ϕ)<br />
F (k, π<br />
2 )<br />
B. Ruh, 1999
Vortrag Kanti 7<br />
Beispiel: Schnell rotierendes Seil und hängendes Seil gleicher Länge (mit MAPLE)<br />
> restart;k:=99/100;d:=1;H:=1;<br />
k := 99<br />
100<br />
d := 1<br />
H := 1<br />
> F:=phi->int(1/sqrt(1-k^2*sin(t)^2),t=0..phi):<br />
Definition von x(ϕ)<br />
> x:=unapply(d*(1-F(phi)/F(Pi/2)),phi);<br />
> y:=phi->-H*sin(phi):<br />
> x1:=D(x):y1:=D(y):<br />
Die Länge des rotierenden Seiles<br />
x := φ → 1 −<br />
� φ<br />
0<br />
100<br />
�<br />
10000 − 9801 sin(t) 2 dt<br />
EllipticK( 99<br />
100 )<br />
> s:=evalf(int(sqrt(x1(phi)^2+y1(phi)^2),phi=0. .Pi));<br />
s := 3.198599853<br />
> RotSeil:=plot([x(phi),y(phi),phi=0..Pi],color =black):<br />
Das hängende Seil<br />
> f:=x->cosh(c*x)/c+A:<br />
> f1:=D(f):<br />
> ss:=int(sqrt(1+f1(x)^2),x=-d..d):<br />
> fsolve({ss=s,f(1)=0},{c,A});<br />
> assign(");<br />
{c =1.756087451, A= −1.697654548}<br />
> Seil:=plot(f(x),x=-1..1,thickness=2,color=bla ck):<br />
> with(plots):display(RotSeil,Seil);<br />
-1 -0.5<br />
0<br />
x<br />
0.5 1<br />
-0.2<br />
-0.4<br />
-0.6<br />
-0.8<br />
-1<br />
B. Ruh, 1999