Demografieentwicklung - Gemischter Chor der Polizei Berlin e. V.
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<strong>Demografieentwicklung</strong><br />
FEBRUAR 2013<br />
Neue Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
an Politik und Gesellschaft<br />
Bayreuth<br />
„Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth<br />
zusammen und fragen uns, wir wir es nur<br />
irgendwo an<strong>der</strong>s aushalten konnten.“<br />
Friedrich Nietzsche<br />
Kulmbach<br />
Die Marktgrafenstadt mit Flair im Herzen<br />
Oberfrankens
Adventure Camps<br />
für Jugendliche<br />
im Alter von 11 bis 15 Jahren<br />
KOSTENLOSE<br />
TEILNAHME!<br />
www.kmdd.de<br />
Lust auf Mutproben und den ganz großen Kick. O<strong>der</strong> genau das Gegenteil:<br />
Gelangweilt herumhängen, mit sich und <strong>der</strong> Welt unzufrieden. Stimmungslagen<br />
wie diese motivieren so manchen Jugendlichen zum Griff nach Alkohol<br />
und illegalen Drogen. Was nur einmal aus einer Laune heraus probiert wird,<br />
kann schnell dazu führen, dass ein missbräuchliches Konsummuster über den<br />
ganzen weiteren Lebensweg aufrechterhalten wird.<br />
Mit unseren Adventure Camps bieten wir Jugendlichen abseits von Schule und<br />
Alltagstrott ein altersgemäßes Alternativangebot: Grenzerfahrungen, zum Beispiel<br />
beim Klettern, und das Gewinnen neuer Freundschaften draußen in <strong>der</strong><br />
Natur stärken Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Durch das Erproben und<br />
Erleben <strong>der</strong> eigenen Leistungsfähigkeit lassen sich die Jugendlichen begeistern.<br />
Auch das Erlernen von sozialen Fähigkeiten und die Bereitschaft, an<strong>der</strong>en zu<br />
helfen werden geför<strong>der</strong>t. So erfahren Jugendliche, dass <strong>der</strong> Erfolg einer Aktivität<br />
von einer guten Zusammenarbeit und gegenseitigem Vertrauen abhängt.<br />
Eingebunden in diese erlebnispädagogischen Elemente werden die Jugendlichen<br />
für die Themen Sucht, Drogen und Gewalt sensibilisiert. Durch interaktive<br />
Übungen, Kurzvorträge und Diskussionen wecken wir ihr Interesse. Gemeinsam<br />
mit Gleichaltrigen werden Sachverhalte kritisch hinterfragt und Problemlösungsstrategien<br />
entwickelt.<br />
„Mir hat das Camp sehr gut gefallen und ich werde viele Dinge mit nach Hause<br />
nehmen, z.B. dass Drogen keine Probleme lösen und dass man mit Teamarbeit<br />
sehr viel erreichen kann. Ich würde je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong>kommen.“<br />
(Jonas, 15 Jahre)<br />
„Teamwork war eine große Schwierigkeit für mich, aber durch das Camp habe ich<br />
gelernt, besser mit an<strong>der</strong>en umzugehen, ich habe viele neue Freunde gefunden<br />
und sehr viele hilfreiche Kenntnisse über Drogen gewonnen.“<br />
(Anne-Sophie, 13 Jahre)<br />
„Ich habe mitgenommen, dass Alkohol und Drogen immer schlechte Folgen<br />
haben. Man kann auch ohne sie Spaß haben. Die Camps sind auf jeden Fall sinnvoll<br />
und helfen Jugendlichen definitiv, die Finger von Drogen zu lassen.“<br />
(Niklas, 12 Jahre)<br />
Die Jugendlichen erhalten so positive Antworten auf die drängenden Fragen:<br />
„Wer bin ich?“, „Was kann ich?“, „Wie kann ich zu meiner Meinung stehen und<br />
auch mal gegen den Strom schwimmen?“. Im intensiven „Sich-selbst-Erleben“<br />
und im Austausch mit Gleichaltrigen wird Sucht- und Gewaltprävention zum Erlebnis.<br />
Unsere Adventure Camps basieren auf <strong>der</strong> Überzeugung, dass man<br />
Jugendliche nicht nur über die Gefahren des Drogenkonsums<br />
informieren, son<strong>der</strong>n auch in ihrer Persönlichkeit und Lebenskompetenz<br />
stärken muss, damit sie Alkohol und illegalen Drogen wi<strong>der</strong>stehen<br />
können.<br />
®
Peer-Education<br />
als Handlungsansatz<br />
zur Sucht- und Gewaltprävention<br />
®<br />
Cool sein und erwachsen wirken o<strong>der</strong> einfach nur, weil es die Freunde machen<br />
– aus Gruppenzwang. Mit Beginn <strong>der</strong> Pubertät ist es vor allem die Gruppe <strong>der</strong><br />
Gleichaltrigen und wenig Älteren, die so genannte Peergroup, die wesentlich<br />
zur Herausbildung jugendlicher Identität beiträgt und das Kennenlernen von<br />
Lebensstilen wie auch den Konsum von Rauschmitteln beeinflusst.<br />
Diese beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>der</strong> Peergroup nutzen wir in unseren Adventure Camps.<br />
Aus den jährlich 300 jugendlichen Teilnehmern wählen wir gezielt bis zu<br />
25 beson<strong>der</strong>s engagierte Jugendliche aus und laden diese zu unserem weiterführenden<br />
Lea<strong>der</strong>ship Programm ein. Das Schulungsprogramm beinhaltet die<br />
drei Themenbereiche:<br />
• Wissen zu Sucht und Sucht-/Gewaltvorbeugung: Hintergründe und<br />
Argumentationen zum Themenbereich Sucht- und Gewaltvorbeugung<br />
werden vermittelt.<br />
• Kommunikation/Umgang mit Konflikten und Krisen: Die Jugendlichen<br />
lernen, Gruppendiskussionen zu führen und zu mo<strong>der</strong>ieren sowie mit<br />
Konflikten und Krisen umzugehen.<br />
• Persönliche Entwicklung: Die Jugendlichen lernen, sich selbst und<br />
an<strong>der</strong>e besser zu verstehen und werden in ihren sozialen Fertigkeiten<br />
gestärkt.<br />
Gezielt setzen wir diese Jugendlichen dann selbst als Peerlea<strong>der</strong> bzw. Juniorbetreuer<br />
bei unseren Adventure Camps ein. Denn Jugendliche tauschen<br />
ihre Erfahrungen und Meinungen gerade zu „heiklen“ Themen lieber mit an<strong>der</strong>en<br />
Gleichaltrigen aus. Und unser Handlungsansatz <strong>der</strong> Peer-Education zeigt<br />
Wirkung:<br />
Fast 54 Prozent unserer Jugendlichen geben an, dass die Teilnahme an den<br />
Adventure Camps bei ihnen zu einer kritischeren Einstellung zu Alkohol, Tabak<br />
und illegalen Drogen geführt hat!<br />
Ausführliche Informationen zu unseren Adventure Camps sowie den Zugang<br />
zum Online-Anmeldeportal finden Sie unter www.kmdd.de.<br />
Unterstützen Sie unsere Aktion<br />
„Sport gegen Gewalt und Drogen“<br />
im Behördenmagazin – Fachzeitschrift für <strong>Polizei</strong>beamte und den öffentlichen<br />
Dienst, damit wir auch zukünftig unsere vielfältigen Präventionsmaßnahmen<br />
umsetzen können. Vielen Dank!<br />
KEINE MACHT DEN DROGEN<br />
Gemeinnütziger För<strong>der</strong>verein e. V.<br />
Höchlstraße 4<br />
81675 München<br />
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Web: www.kmdd.de
Vorwort<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
<strong>der</strong> demografische Wandel wird in den kommenden<br />
Jahrzehnten Deutschland tiefgreifend<br />
verän<strong>der</strong>n. Wir werden älter, wir werden<br />
weniger und unsere Gesellschaft wird vielfältiger.<br />
Dabei ist nicht die Frage, ob sich etwas<br />
än<strong>der</strong>n wird, son<strong>der</strong>n wie und was wir daraus<br />
machen. Was bedeutet diese Entwicklung<br />
für jeden Einzelnen und für unser Land<br />
als Ganzes?<br />
Die längeren Lebensspannen werden die Biografien<br />
<strong>der</strong> einzelnen Menschen auf neue<br />
Weise prägen. Die klassischen Lebensphasen<br />
werden vielfältiger und weniger klar abgrenzbar;<br />
Zeiten <strong>der</strong> Bildung, <strong>der</strong> Familie, des Berufs<br />
und des Ruhestands brauchen eine neue<br />
Flexibilität. Entscheidend ist: Für die allermeisten<br />
Menschen geht es um gewonnene<br />
Jahre für ein erfülltes Leben. Es kommt darauf<br />
an, sie auch als solche zu erkennen und zu<br />
nutzen. Das Verhältnis <strong>der</strong> Generationen<br />
muss sich an die gewandelten Umstände –<br />
deutlich mehr Ältere, weniger Junge – anpassen.<br />
Fragen <strong>der</strong> Weitergabe von Erfahrung,<br />
des Austausches zwischen den Generationen,<br />
<strong>der</strong> Betreuung und Pflege gewinnen an Gewicht.<br />
Dieser Prozess bietet zugleich Raum<br />
für neue Formen <strong>der</strong> gegenseitigen Hilfe, Zusammenarbeit<br />
und Bestätigung.<br />
Die sozialen Sicherungssysteme müssen ihre<br />
Schutzkraft unter den sich verän<strong>der</strong>nden<br />
Rahmenbedingungen bewahren, ohne die<br />
generationengerechte Verteilung von Chancen<br />
und Lasten aus dem Auge zu verlieren.<br />
Die langfristige Tragfähigkeit <strong>der</strong> Staatsfinanzen<br />
zu sichern, ist schon angesichts <strong>der</strong><br />
Schuldenkrise im Euroraum eine Aufgabe, die<br />
keinen Aufschub duldet. Vor dem Hintergrund<br />
<strong>der</strong> demografischen Verän<strong>der</strong>ungen erhält<br />
sie eine doppelte Dringlichkeit.<br />
Um bei einer kleiner und auch älter werdenden<br />
Erwerbsbevölkerung nachhaltiges<br />
Wachstum und unseren Wohlstand zu erhalten,<br />
werden sich Arbeitsleben und Wirtschaftsweise<br />
darauf ausrichten müssen, das<br />
kostbarste Kapital des Landes – unser Wissen<br />
und Können – optimal einzusetzen. So rückt<br />
noch mehr in den Mittelpunkt, was ohnehin<br />
im Zentrum je<strong>der</strong> Politik stehen sollte: die Fähigkeiten<br />
und Talente jedes Einzelnen, unabhängig<br />
von Herkunft und sozialem<br />
Hintergrund.Die Bundesregierung hat im Jahr<br />
2011 einen Bericht zur demografischen Lage<br />
und zukünftigen Entwicklung des Landes und<br />
ein Jahr später daraus ableitend eine Demografiestrategie<br />
vorlegt. Auszüge aus <strong>der</strong> Zusammenfassung<br />
bei<strong>der</strong> Berichte lesen Sie auf<br />
Seite 6.<br />
Eine Folge <strong>der</strong> demografischen Entwicklung<br />
ist die zunehmende Zahl älterer Menschen<br />
und die rasant steigende Gruppe <strong>der</strong> Hochbetagten.<br />
Laut einer Prognose des Statistischen<br />
Bundesamtes wird im Jahr 2030 etwa<br />
die Hälfte <strong>der</strong> Menschen hierzulande über 50<br />
und jede dritte älter als 65 sein. Die wertvollen<br />
Potentiale des Alters müssen erhalten,<br />
besser genutzt und vervielfältigt werden und<br />
zugleich muss die Lebensqualität im Alter geför<strong>der</strong>t<br />
werden. Welche Ziele sich eine Forschungsagenda<br />
unter dem Stichwort „Das<br />
Alter hat Zukunft“ gesetzt hat, können Sie<br />
auf Seite 11 nachlesen.<br />
Die Bevölkerungsentwicklung verläuft auf<br />
<strong>der</strong> Erdkugel diametral: Während auf <strong>der</strong><br />
Südhalbkugel die Bevölkerung wächst,<br />
nimmt sie auf <strong>der</strong> Nordhalbkugel ab. Welche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen ergeben sich hieraus und wie<br />
muss die Politik regieren, hat Prof. Schnei<strong>der</strong><br />
in seinem Beitrag auf Seite 19 dargestellt.<br />
Können familienpolitische Maßnahmen demografierelevant<br />
sein? Lassen sich durch solche<br />
politischen Ziele die Geburtenraten<br />
beeinflussen? Antworten auf diese Fragen<br />
gibt Dr. Bujard in seinem Artikel auf Seite 44.<br />
Ist die durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau<br />
in Deutschland weiterhin rückgängig o<strong>der</strong><br />
sind an<strong>der</strong>e Trends erkennbar? Gibt es Unterschiede<br />
zwischen west- und ostdeutschen<br />
Frauen? Das Max-Plank-Institut für demografische<br />
Forschung in Rostock hat hierzu eine<br />
Expertise erstellt. Die Ergebnisse können Sie<br />
auf Seite 49 nachlesen.<br />
Die Swinging Sixties mit den Schwerpunkten<br />
Beatles und Beat, Gammler und Provos, die<br />
heile Bravo-Welt und Hippies beinhalten den<br />
zweiten Teil auf Seite 53 <strong>der</strong> Serie <strong>der</strong> Jugendkulturen<br />
in Deutschland. Die Fortsetzung<br />
mit dem Untertitel “Aufstand <strong>der</strong><br />
Bildungseliten“ folgt in <strong>der</strong> Ausgabe 4/2013<br />
des Behördenmagazins.<br />
BOB-Initiativen in Deutschland verfolgen alle<br />
ein gemeinsames Ziel: Reduzierung <strong>der</strong> durch<br />
junge alkoholisierte Fahrerinnen und Fahrer<br />
verursachten schweren Verkehrsunfälle.<br />
Hierzu trafen sich die Mitglie<strong>der</strong> zu einem Erfahrungsaustausch<br />
auf Einladung des <strong>Polizei</strong>präsidiums<br />
Mittelhessen. Die Ergebnisse<br />
dieses Treffens hat Martin Ahlich auf Seite 59<br />
zusammengefasst.<br />
Warum werden Senioren öfter betrogen als<br />
jungere Menschen? Können jüngere Menschen<br />
besser erkennen, ob jemand vertrauenswürdig<br />
ist o<strong>der</strong> nicht? Hierzu gibt es eine<br />
Untersuchung <strong>der</strong> Universität von Kalifornien<br />
in Los Angeles. Die Ergebnisse sind in einem<br />
Bericht auf Seite 61 zusammengefasst.<br />
Es wird wohl <strong>der</strong> größte Terrorismusprozess<br />
seit den 1970er-Jahren. Vor dem Oberlandesgericht<br />
München findet wahrscheinlich im<br />
Frühjahr 2013 <strong>der</strong> Prozess gegen Beate<br />
Zschäpe und vier Helfer und Unterstützer<br />
statt. Allein 50 Anwälte und 57 Nebenkläger<br />
sind bislang als Prozessbeteiligte zugelassen.<br />
Vor welche logistischen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts<br />
gestellt ist, wird auf Seite 62 erläutert.<br />
Nach mancherlei Nachbesserungen hat das<br />
Bundeskabinett im Dezember 2012 die Reform<br />
<strong>der</strong> Flensburger Verkehrssün<strong>der</strong>kartei<br />
beschlossen. Wie dieses Zentralregister jetzt<br />
im Amtsdeutsch heißt und welche Neuerungen<br />
eingetreten sind, ist in einem Bericht auf<br />
Seite 63 dargestellt.<br />
Einer Studie zufolge verstoßen die meisten<br />
Richter bei Absprachen im Strafprozess<br />
gegen das Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht<br />
verhandelte im November 2012 über<br />
die Zulässigkeit sogenannter Deals im Strafprozess<br />
aufgrund von Klagen dreier Beschwerdeführer.<br />
Die Ergebnisse dieser<br />
mündlichen Verhandlung und <strong>der</strong> Studie stellen<br />
wir auf Seite 66 dar.<br />
Am Anfang wurde aus Baracken in Eschborn<br />
bei Frankfurt gesendet. In diesem Jahr wird<br />
das ZDF 50 Jahre alt. Einzelheiten sind auf<br />
Seite 68 nachlesbar.<br />
Einen weiteren runden Geburtstag feierte am<br />
26.11.2012 <strong>der</strong> Film “Casablanca“. Vor 70<br />
Jahren wurde er uraufgeführt. Highlights dieses<br />
Films sind auf Seite 69 wie<strong>der</strong>gegeben.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Spaß, informative<br />
Unterhaltung und Vergnügen beim Lesen; bei<br />
Bedarf können wir Ihnen weitere Exemplare<br />
dieser Ausgabe zur Verfügung stellen. Teilen<br />
Sie bitte dem Verlag die Anzahl <strong>der</strong> noch benötigten<br />
Hefte mit.<br />
Über Meinungsäußerungen und Leserbriefe<br />
würden wir uns sehr freuen.<br />
Ihr Redaktionsteam
6 Demografiebericht Bundesregierung<br />
11 Das Alter hat Zukunft<br />
Forschungsagenda <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
Bevölkerungsentwicklung und<br />
19 Bevölkerungspolitik<br />
Prof. Dr. Norbert F. Schnei<strong>der</strong>, Bundesinstitut für<br />
Bevölkerungsforschung<br />
22 Demografiepolitik<br />
Prof. Dr. Tilman Mayer, Universität Bonn<br />
26 Stadtvorstellung Bayreuth<br />
34 Stadtvorstellung Kulmbach<br />
Perspektiven einer familienorientierten<br />
44 Demografiepolitik<br />
Dr. Martin Bujard, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung<br />
Gibt es eine Trendumkehr in <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>zahl nach Geburtsjahrgängen<br />
49 in Deutschland?<br />
Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld, Max-Plank-Institut für<br />
demografische Forschung, Rostock<br />
22<br />
6<br />
34<br />
33<br />
Inhalt<br />
Februar<br />
53 Jugendkulturen in Deutschland, Teil 2<br />
Klaus Farin, Bundeszentrale für politische Bildung<br />
59 BOB-Initiativen<br />
Martin Ahlich, <strong>Polizei</strong>präsidium Mittelhessen<br />
Frühwarnsystem versagt – Warum<br />
61 Senioren oft betrogen werden<br />
62 Prozess <strong>der</strong> Superlative<br />
Flensburger Verkehrssün<strong>der</strong>datei wird<br />
63 entrümpelt<br />
65 Ein inszenierter Tod<br />
66 Deutliche Kritik am Deal in Strafprozessen<br />
68 Das ZDF wird 50<br />
69 70 Jahre Casablanca<br />
71 Musikindustrie<br />
26<br />
69<br />
68<br />
36
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Demografiebericht<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung<br />
Im Folgenden werden die Aussagen<br />
zum demografischen Wandel in<br />
Deutschland, seinen Auswirkungen<br />
auf die einzelnen Politikbereiche und<br />
die damit verbundenen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Gestaltungsaufgaben zusammengefasst.<br />
Die durch die<br />
Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen<br />
können hier nur beispielhaft<br />
dargestellt werden. Im Einzelnen wird<br />
hierzu auf die ausführliche Fassung<br />
des Berichts verwiesen.<br />
Auftrag und Zielsetzung<br />
Der demografische Wandel in Deutschland ist<br />
gekennzeichnet durch eine niedrige Geburtenrate<br />
und den Rückgang <strong>der</strong> Bevölkerungszahl.<br />
Der erfreuliche Anstieg <strong>der</strong> Lebenserwartung,<br />
die damit verbundene Alterung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung sowie <strong>der</strong> wachsende Bevölkerungsanteil<br />
mit Migrationshintergrund betreffen<br />
Deutschland mehr als an<strong>der</strong>e<br />
entwickelte Län<strong>der</strong>. Der demografische Wandel<br />
hat vielfältige Auswirkungen auf nahezu<br />
alle Lebensbereiche <strong>der</strong> Menschen in<br />
Deutschland und wird die gesellschaftliche<br />
und wirtschaftliche Entwicklung in den<br />
nächsten Jahrzehnten erheblich beeinflussen.<br />
Die Bundesregierung sieht daher in <strong>der</strong> Gestaltung<br />
des demografischen Wandels eine<br />
<strong>der</strong> großen Zukunftsaufgaben. Sie hat deshalb<br />
im November 2009 den Bundesminister<br />
des Innern beauftragt, bis zum Jahr 2011<br />
einen „Bericht <strong>der</strong> Bundesregierung zur<br />
demografischen Lage und künftigen Entwicklung<br />
des Landes“ und darauf aufbauend bis<br />
zum Jahr 2012 einen Vorschlag für eine ressortübergreifende<br />
Demografiestrategie <strong>der</strong><br />
Bundesregierung vorzulegen.<br />
Mit dem vorliegenden Demografiebericht<br />
beschreibt die Bundesregierung die<br />
demografische Entwicklung sowie die Auswirkungen<br />
des demografischen Wandels auf<br />
die einzelnen Lebens- und Politikbereiche.<br />
Der Bericht stellt die bisher eingeleiteten<br />
Maßnahmen des Bundes ressortübergreifend<br />
dar und zeigt künftige Handlungsschwerpunkte<br />
auf. Die Bundesregierung<br />
möchte damit zu einer breiten öffentlichen<br />
Diskussion zum demografischen Wandel beitragen.<br />
6 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Demografischer Wandel:<br />
Fakten und Trends<br />
Die Bevölkerung nimmt in Deutschland<br />
seit dem Jahr 2003 ab und ist<br />
bis Ende März 2011 auf 81,7 Millionen<br />
Einwohner gesunken. Ursächlich<br />
dafür ist, dass die Zahl <strong>der</strong><br />
Sterbefälle die Zahl <strong>der</strong> Geburten<br />
immer mehr übersteigt. Die hohen<br />
Sterbefallüberschüsse werden seit<br />
2003 nicht mehr von Wan<strong>der</strong>ungsüberschüssen,<br />
das heißt <strong>der</strong> Differenz<br />
zwischen Zuzügen nach und<br />
Fortzügen aus Deutschland, ausgeglichen.<br />
Dieser Trend wird sich in<br />
den kommenden Jahren fortsetzen.<br />
Nach den Modellberechnungen des<br />
Statistischen Bundesamtes wird die<br />
Bevölkerung bis 2060 auf 65 bis 70<br />
Millionen Menschen zurückgehen.<br />
Das wären bis zu 17 Millionen Einwohner<br />
weniger o<strong>der</strong> ein Rückgang um 15 % bis 21<br />
% innerhalb von 50 Jahren. Damit einher<br />
geht auch ein Rückgang <strong>der</strong> Bevölkerung im<br />
erwerbsfähigen Alter.<br />
Auch <strong>der</strong> Altersaufbau <strong>der</strong> Bevölkerung wird<br />
sich elementar verän<strong>der</strong>n. Bereits in den<br />
kommenden beiden Jahrzehnten wird <strong>der</strong> Anteil<br />
älterer Menschen an <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
deutlich steigen. Heute besteht die Bevölkerung<br />
mit jeweils einem Fünftel noch fast zu<br />
gleichen Teilen aus Kin<strong>der</strong>n und jungen Menschen<br />
unter 20 Jahren und aus 65-Jährigen<br />
und Älteren. Im Jahr 2030 werden die 65-Jährigen<br />
und Älteren bereits etwa 29 % <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
ausmachen. 2060 wird dann je<strong>der</strong><br />
Dritte (34 %) mindestens 65 Lebensjahre<br />
durchlebt haben.<br />
Die Alterung hat zwei Ursachen: Deutschland<br />
gehört seit vielen Jahren zu den Län<strong>der</strong>n mit<br />
geringen Geburtenzahlen. Nach einem Höhepunkt<br />
Mitte <strong>der</strong> 60er-Jahre, dem sogenannten<br />
Babyboom, sind die durchschnittlichen<br />
Geburtenzahlen kontinuierlich gesunken. Seit<br />
Mitte <strong>der</strong> 70er-Jahre befindet sich die Geburtenrate<br />
in Deutschland auf einem anhaltend<br />
niedrigen Niveau von durchschnittlich rund<br />
1,4 Kin<strong>der</strong>n je Frau. Sie liegt damit deutlich<br />
unterhalb <strong>der</strong> Quote von 2,1 Kin<strong>der</strong>n, die für<br />
den Ersatz <strong>der</strong> Elterngeneration notwendig<br />
wäre. Das niedrige Geburtenniveau geht<br />
unter an<strong>der</strong>em auf einen hohen Anteil kin-<br />
<strong>der</strong>loser Frauen, vor allem bei<br />
Hochqualifizierten, eine spätere Geburt <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> sowie einen Wandel traditioneller<br />
Ausprägungen und Vorstellungen von Familie<br />
zurück.<br />
Daneben steigt seit über 150 Jahren die Lebenserwartung<br />
in Deutschland wie auch in<br />
an<strong>der</strong>en entwickelten Län<strong>der</strong>n um knapp drei<br />
Monate pro Jahr. Dieser Zugewinn an Lebensjahren<br />
beruhte zunächst auf dem Rückgang<br />
<strong>der</strong> Säuglings- und Kin<strong>der</strong>sterblichkeit.<br />
Seit über sechs Jahrzehnte findet <strong>der</strong> Zugewinn<br />
an Lebensjahren aber vor allem in den<br />
späten Lebensabschnitten statt. Zu dieser<br />
Entwicklung haben maßgeblich <strong>der</strong> gestiegene<br />
Wohlstand, verbesserte Arbeitsbedingungen<br />
und <strong>der</strong> medizinische Fortschritt<br />
beigetragen.<br />
Die bisherige Entwicklung <strong>der</strong> Lebenserwartung<br />
wird sich fortsetzen. Nach den Annahmen<br />
in den Modellrechnungen des<br />
Statistischen Bundesamtes steigt sie bei neugeborenen<br />
Jungen bis zum Jahr 2060 um<br />
acht auf 85 Jahre und bei neugeborenen<br />
Mädchen um sieben auf 89,2 Jahre. Zudem<br />
wird auch die statistisch zu erwartende Lebenszeit<br />
für die Menschen in den fortgeschrittenen<br />
Altersgruppen – die sogenannte<br />
fernere Lebenserwartung – weiter ansteigen.<br />
Die Chancen, ein hohes Lebensalter in Gesundheit<br />
zu erreichen, sind nicht für alle<br />
Menschen gleich. Zu den Ursachen <strong>der</strong> Un-
terschiede gehören Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
ebenso wie das Gesundheitsverhalten<br />
o<strong>der</strong> etwa Krankheiten in <strong>der</strong> Kindheit.<br />
Festzuhalten ist: Immer mehr Menschen erreichen<br />
ein hohes Alter bei immer besserer<br />
körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit,<br />
und die Anzahl <strong>der</strong> Lebensjahre, die die Menschen<br />
in Gesundheit verbringen, wächst.<br />
Deutschland war in den letzten Jahrzehnten<br />
ein Land mit starken Wan<strong>der</strong>ungsgewinnen.<br />
Sie haben den Alterungsprozess abgemil<strong>der</strong>t<br />
und den Prozess des Bevölkerungsrückgangs<br />
verzögert. Nachdem in den Jahren 2008 und<br />
2009 erstmals mehr Menschen Deutschland<br />
verließen als zugezogen waren, gab es im<br />
Jahr 2010 wie<strong>der</strong> einen Wan<strong>der</strong>ungsüberschuss<br />
von rund 128.000 Personen, <strong>der</strong> dem<br />
Durchschnitt <strong>der</strong> Jahre 2000 bis 2007 entspricht.<br />
Bei <strong>der</strong> negativen Wan<strong>der</strong>ungsbilanz<br />
<strong>der</strong> Jahre 2008 und 2009 spielte allerdings<br />
die Bereinigung <strong>der</strong> Mel<strong>der</strong>egister in diesem<br />
Zeitraum eine erhebliche Rolle. Die<br />
demografischen Entwicklungen verlaufen regional<br />
sehr unterschiedlich. Neben den Regionen<br />
mit Bevölkerungsrückgang stehen<br />
Regionen mit Bevölkerungszuwächsen. Alterung<br />
findet hingegen in allen Regionen statt,<br />
wenn auch mit unterschiedlicher Dynamik. Es<br />
zeichnet sich jedoch ab, dass beson<strong>der</strong>s periphere<br />
ländliche Regionen von dem<br />
demografischen Wandel betroffen sein werden.<br />
Viele ostdeutsche Regionen waren bereits<br />
in den vergangenen Jahren mit einem<br />
deutlichen – durch die Binnenwan<strong>der</strong>ung<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
verstärkten – Rückgang <strong>der</strong> Bevölkerung und<br />
einer starken Alterung konfrontiert. Zunehmend<br />
sind auch ländliche und städtische Regionen<br />
in Westdeutschland von dieser<br />
Entwicklung betroffen.<br />
Zur Alterung und zum Rückgang <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
kommen zwei weitere demografisch<br />
bedeutsame Entwicklungen hinzu. Erstens<br />
haben sich die Lebens- und Familienformen<br />
in Deutschland in den letzten Jahrzehnten erheblich<br />
gewandelt und sind vielfältiger geworden.<br />
Zweitens ist die Heterogenität <strong>der</strong><br />
Bevölkerung bezogen auf die Herkunft <strong>der</strong><br />
Menschen gewachsen. Der Anteil <strong>der</strong> Einwohner<br />
mit Migrationshintergrund nimmt zu<br />
und liegt <strong>der</strong>zeit bei fast einem Fünftel <strong>der</strong><br />
Gesamtbevölkerung. Dieser Trend wird sich<br />
fortsetzen. Die Verschiebung im Altersaufbau<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung in Deutschland erweist sich<br />
dabei als eine größere Herausfor<strong>der</strong>ung als<br />
<strong>der</strong> langfristige Bevölkerungsrückgang. Der<br />
Prozess lässt sich durch ansteigende Geburtenzahlen<br />
o<strong>der</strong> durch eine verstärkte Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
jüngerer Menschen lediglich<br />
abmil<strong>der</strong>n, nicht aber stoppen. Das hängt<br />
damit zusammen, dass die demografische Alterung<br />
bereits im heutigen Altersaufbau <strong>der</strong><br />
Bevölkerung angelegt ist. Sie beschleunigt<br />
sich mit dem Älterwerden <strong>der</strong> geburtenstarken<br />
Jahrgänge <strong>der</strong> Babyboomer-Generation.<br />
Familie und Gesellschaft<br />
Die Familie ist für die demografische Entwicklung<br />
von zentraler Bedeutung. Die Mehrheit<br />
<strong>der</strong> in Deutschland lebenden Menschen<br />
räumt <strong>der</strong> Familie einen hohen Stellenwert<br />
ein. Die Familie ist <strong>der</strong> Lebensbereich, in dem<br />
Zuneigung, Verantwortung, Zusammenhalt<br />
und Solidarität eine beson<strong>der</strong>e Rolle spielen.<br />
Eine starke Familienorientierung ist in allen<br />
Altersgruppen vorzufinden, und die Familie<br />
nimmt unter den persönlichen Lebenszielen<br />
eine wesentliche Position ein. Die Bedeutung<br />
<strong>der</strong> generationenübergreifenden familiären<br />
Beziehungen hat – oft über räumliche Trennungen<br />
hinweg – im Laufe <strong>der</strong> vergangenen<br />
Jahrzehnte zugenommen.<br />
Die Lebensentwürfe und das Geburtenverhalten<br />
haben sich in den letzten Jahrzehnten<br />
verän<strong>der</strong>t. Damit einher geht auch ein gewandeltes<br />
Verständnis davon, was Familie ist.<br />
Neben <strong>der</strong> klassischen Familienform des verheirateten<br />
Paares mit Kin<strong>der</strong>n, die immer<br />
noch die häufigste Form partnerschaftlichen<br />
Zusammenlebens ist, haben nichteheliche Lebensformen<br />
o<strong>der</strong> Alleinerziehende eine zunehmende<br />
Akzeptanz als Familie erfahren.<br />
Ziel <strong>der</strong> Familienpolitik ist es, Familien zu<br />
schützen und zu för<strong>der</strong>n. Dazu gehört es, Familien<br />
zu stabilisieren, Armutsrisiken zu re-<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
duzieren und Familien- und Berufsleben in<br />
Einklang zu bringen. Deutschland verfügt<br />
über eine Vielzahl von staatlichen Maßnahmen<br />
und Leistungen, die Familien in unterschiedlichen<br />
Lebenslagen und Lebensphasen<br />
unterstützen. Im Jahr 2008 betrugen die familienbezogenen<br />
Leistungen des Bundes<br />
114,8 Milliarden Euro, davon waren 24 Milliarden<br />
Euro Geldleistungen für Familien. Die<br />
Bundesregierung för<strong>der</strong>t Familien finanziell<br />
zum Beispiel mit dem Mutterschaftsgeld,<br />
dem Elterngeld und dem Kin<strong>der</strong>geld, in <strong>der</strong><br />
Sozialversicherung durch die Anerkennung<br />
von Erziehungsleistung, in <strong>der</strong> Rentenversicherung<br />
durch die beitragsfreie Mitversicherung<br />
von Ehegatten und Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />
Gesetzlichen Krankenversicherung. Familien<br />
mit geringem Einkommen stehen Kin<strong>der</strong>zuschlag<br />
und Wohngeld zur Verfügung.<br />
Wichtige Voraussetzung zur Entscheidung für<br />
Elternschaft ist es, dass sich Beruf und Familie<br />
besser miteinan<strong>der</strong> vereinbaren lassen. Nach<br />
wie vor sind es überwiegend die Frauen, die<br />
familiäre Aufgaben übernehmen und dies in<br />
Einklang mit einer Erwerbstätigkeit bringen<br />
müssen. Viele Frauen verzichten zugunsten<br />
ihrer Erwerbstätigkeit auf Kin<strong>der</strong>, und viele<br />
Mütter verzichten auf eine Erwerbstätigkeit<br />
o<strong>der</strong> schränken ihre Berufstätigkeit auf Dauer<br />
ein. Beides, berufliche Entwicklung und Familie,<br />
sind jedoch wichtige Lebensziele von<br />
Frauen. Zudem bietet die Erwerbstätigkeit<br />
den mehrheitlich gut ausgebildeten Frauen<br />
und Müttern die Chance, die wirtschaftliche<br />
Stabilität <strong>der</strong> Familien zu sichern. Ferner sind<br />
Frauen und Mütter eine wichtige Erwerbspersonengruppe<br />
auf dem Arbeitsmarkt, <strong>der</strong>en<br />
Potenzial noch unzureichend genutzt wird.<br />
Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
ist <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung eine<br />
8 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
wichtige Komponente. Neben frühkindlicher<br />
Betreuung sind vor allem auch flexiblere Betreuungsangebote,<br />
zum Beispiel Ganztagsbetreuung<br />
für Schulkin<strong>der</strong>, erfor<strong>der</strong>lich. Denn<br />
fast jede zweite Familie mit Schulkin<strong>der</strong>n hat<br />
Schwierigkeiten, Beruf und Familie in eine<br />
gute Balance zu bringen. Eine familienfreundliche<br />
Arbeitswelt trägt dem<br />
demografischen Wandel in doppelter Hinsicht<br />
Rechnung. Beschäftigte gewinnen dadurch<br />
mehr Zeit für ihre Familie, und die Rahmenbedingungen<br />
für die Familiengründung werden<br />
verbessert. Zugleich ist es für eine<br />
wirtschaftlich zukunftsfähige Gesellschaft<br />
unerlässlich, das Potenzial gut ausgebildeter<br />
Frauen und Mütter zu nutzen. Viele Unter-<br />
nehmen haben bereits erkannt, dass Angebote<br />
zur Vereinbarung von Familie und Beruf<br />
ein wichtiger Standortfaktor im Wettbewerb<br />
um die besten Arbeitskräfte sein können. Die<br />
Bundesregierung unterstützt beson<strong>der</strong>s den<br />
Ausbau <strong>der</strong> frühkindlichen Bildung und Betreuung,<br />
neue Wege zur Entwicklung familienfreundlicher<br />
Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
und eine familienbewusste Personalpolitik.<br />
Mit dem Anstieg <strong>der</strong> Lebenserwartung bei<br />
immer besserer Gesundheit verlängert sich<br />
die aktive Altersphase. Den Menschen in <strong>der</strong><br />
Nacherwerbsphase kommt <strong>der</strong> Zugewinn an<br />
Lebenszeit am stärksten zugute. Sie können<br />
und wollen sich mit ihren Potenzialen weitaus<br />
stärker für Familie, Nachbarschaft und<br />
Gesellschaft einbringen als bisher. Auf die Erfahrung<br />
und das Engagement <strong>der</strong> Älteren<br />
kann Deutschland nicht verzichten. Die verlängerte<br />
gemeinsame Lebenszeit <strong>der</strong> Generationen<br />
verän<strong>der</strong>t die Familienbeziehungen<br />
(Großeltern – Enkelkin<strong>der</strong>) und bietet neue<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Weiterbeschäftigung und<br />
des bürgerschaftlichen Engagements im<br />
Alter. In Regionen, die beson<strong>der</strong>s von Alterung<br />
und Bevölkerungsrückgang betroffen<br />
sind, kann das Engagement gerade <strong>der</strong> älteren<br />
Menschen dazu beitragen, wichtige Infrastrukturen<br />
zu erhalten. Doch nicht nur<br />
Ältere, son<strong>der</strong>n auch die Jüngeren wollen<br />
sich für die Gesellschaft engagieren. Damit<br />
die Menschen in Deutschland unabhängig<br />
von ihrem Alter ihren Wunsch nach bürgerschaftlichem<br />
Engagement umsetzen können,<br />
sind die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen<br />
weiter zu verbessern.<br />
Migration und Integration<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Menschen, die nach Deutschland<br />
ein- o<strong>der</strong> auswan<strong>der</strong>n, ist eine weitere<br />
Einflussgröße für die demografische Entwicklung.<br />
Nachdem in den Jahren 2008 und 2009<br />
mehr Menschen Deutschland verlassen<br />
haben als eingewan<strong>der</strong>t sind, gab es im Jahr<br />
2010 wie<strong>der</strong> mehr Zuzüge. Bei entsprechenden<br />
Rahmenbedingungen ist zu erwarten,<br />
dass sich <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ungssaldo in den nächsten<br />
Jahren wie<strong>der</strong> zwischen jährlich 100.000<br />
und 200.000 Personen einpendeln wird.<br />
Während <strong>der</strong> Familiennachzug und auch <strong>der</strong><br />
Zuzug von Spätaussiedlern seit Jahren<br />
rückläufig sind, gibt es bei <strong>der</strong> Arbeitsmigration<br />
in einigen Bereichen eine verstärkte Zuwan<strong>der</strong>ung.<br />
So ist die Zahl <strong>der</strong> Zustimmungen<br />
zu einem Aufenthaltstitel für<br />
Akademiker sowie für leitende Angestellte<br />
und Spezialisten auf 13.477 im Jahr 2010 gestiegen.<br />
Deutschland benötigt in den kommenden<br />
Jahren voraussichtlich eine verstärkte Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
von Fachkräften und Hochqualifizierten,<br />
um negative Auswirkungen<br />
eines drohenden Fachkräftemangels auf Produktivität<br />
und Wachstum abzumil<strong>der</strong>n. Um<br />
die Attraktivität Deutschlands für<br />
Hochqualifizierte und Fachkräfte noch weiter<br />
zu steigern, wird die Bundesregierung bürokratische<br />
Hin<strong>der</strong>nisse für qualifizierte Arbeitnehmer<br />
abbauen und die Rahmenbedingungen<br />
für ihre Nie<strong>der</strong>lassungs- und<br />
Aufenthaltserlaubnis verbessern und prüfen,<br />
wie <strong>der</strong> Zugang von ausländischen Hoch -<br />
qualifizierten und Fachkräften zum deutschen<br />
Arbeitsmarkt noch systematischer an<br />
den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes<br />
ausgerichtet und nach zusammenhängenden,<br />
klaren, transparenten und<br />
gewichteten Kriterien wie Bedarf, Quali -<br />
fizierung und Integrationsfähigkeit gestaltet<br />
werden kann. Wie viele Arbeitskräfte, differenziert<br />
nach Berufen und Quali fikationen, in<br />
einer bestimmten Region und Branche in<br />
Deutschland in Zukunft gebraucht werden,
ist nur schwer zu prognostizieren, da <strong>der</strong> Arbeitskräftebedarf<br />
unter an<strong>der</strong>em von <strong>der</strong><br />
konjunkturellen Entwicklung abhängig ist.<br />
Auch können nur in begrenztem Umfang differenzierte<br />
Aussagen über mögliche künftige<br />
Arbeitskräfteengpässe getroffen werden. Die<br />
dazu aktuell vorliegenden Projektionen und<br />
Einschätzungen variieren mitunter sehr stark.<br />
Derzeit wird ein Instrumentarium zur Feststellung<br />
des aktuellen und perspektivischen<br />
Arbeitskräfte-bedarfs nach Branchen, Regionen<br />
und Qualifikationen (Jobmonitor) mit<br />
Hilfe wissenschaftlicher Unterstützung entwickelt.<br />
Aus den Ergebnissen dieses Jobmonitors<br />
werden noch stärker zielgerichtete und<br />
bedarfsgerechte Maßnahmen abgeleitet werden<br />
können.<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Fortzüge Deutscher hat sich seit<br />
den 70er-Jahren nahezu verdreifacht. Im Jahr<br />
2010 wurden 141.000 Fortzüge Deutscher registriert.<br />
Gleichzeitig wurden 115.000 Zuzüge<br />
von Deutschen nach Deutschland<br />
registriert, von denen <strong>der</strong> weit überwiegende<br />
Teil deutsche Rückkehrer sind. Die Abwan<strong>der</strong>ung<br />
ist vor dem Hintergrund einer fortschreitenden<br />
Globalisierung und zunehmen<strong>der</strong><br />
internationaler Verflechtungen zu sehen. Die<br />
Jedes Alter zählt<br />
Bereits in diesem und im nächsten Jahrzehnt<br />
wird die Bevölkerung in Deutschland deutlich<br />
altern und auch zurückgehen. Für fast alle<br />
Bereiche unseres Landes und unser Zusammenleben<br />
hat das erhebliche Folgen:<br />
Die längeren Lebensspannen werden die Biografien<br />
vielfältiger machen. Die Weitergabe<br />
von Erfahrung, <strong>der</strong> Austausch zwischen den<br />
Generationen, Betreuung und Pflegegewinnen<br />
an Gewicht. Die gewonnenen Jahre bieten<br />
zugleich Raum für neue Formen <strong>der</strong><br />
gegenseitigen Hilfe, Zusammenarbeit und Bestätigung.<br />
Es wird noch dringlicher, die Staatsfinanzen<br />
tragfähig zu halten und die<br />
Schutzkraft <strong>der</strong> sozialen Sicherungssysteme<br />
zu bewahren. Da die Bevölkerung im erwerbsfähigen<br />
Alter erheblich abnimmt, müssen wir<br />
das kostbarste Kapital Deutschlands – unser<br />
Wissen und Können – optimal einsetzen,<br />
wenn wir den Wohlstand sichern wollen.<br />
Aus dem demografischen Wandel ergeben<br />
sich große Aufgaben, aber auch Chancen. Vor<br />
diesem Hintergrund verfolgt die Bundesregierung<br />
mit ihrer Demografiestrategie drei übergreifende<br />
Ziele:<br />
Bundesregierung unterstützt vorübergehende<br />
Fortzüge ins Ausland zum Erwerb von<br />
Qualifikationen. Die dauerhafte Auswan<strong>der</strong>ung<br />
Deutscher wird hingegen häufig als Verlust<br />
empfunden. Daher setzt sich die<br />
Bundesregierung dafür ein, den bereits abgewan<strong>der</strong>ten<br />
eine Rückkehr in die Heimat zu erleichtern.<br />
Integrationspolitik zielt darauf ab,<br />
Zuwan<strong>der</strong>ern eine gleichberechtigte Teilhabe<br />
am wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen<br />
Leben in Deutschland zu ermöglichen<br />
und zugleich den sozialen<br />
Zusammenhalt zu stärken. Die staatlich geför<strong>der</strong>ten<br />
Integrationsmaßnahmen sind auf<br />
Chancengleichheit ausgerichtet, das heißt<br />
Schaffung <strong>der</strong> Bedingungen, die Teilhabe am<br />
wirtschaftlichen und sozialen Leben ermöglichen.<br />
Sie richten sich an alle Migranten mit<br />
rechtmäßigem Aufenthaltsstatus und Bleibeperspektive,<br />
unabhängig von ihrer nationalen,<br />
ethnischen o<strong>der</strong> religiösen Herkunft. Das im<br />
September 2010 veröffentlichte bundesweite<br />
Integrationsprogramm enthält eine Bestandsaufnahme<br />
<strong>der</strong> Integrationsangebote auf <strong>der</strong><br />
Ebene des Bundes, <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Kommunen<br />
und <strong>der</strong> freien Träger sowie Empfehlungen für<br />
<strong>der</strong>en Weiterentwicklung in den Handlungs-<br />
Die Demografiestrategie <strong>der</strong> Bundesregierung - Zusammenfassung<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Jedem Einzelnen entsprechend seiner<br />
Lebenssituation und seines Alters die<br />
Chance geben, seine Fähigkeiten zu entwickeln<br />
Wachstumsdynamik, Innovationskraft<br />
und Wohlstand erhalten.<br />
Den Zusammenhalts in unserem Land<br />
bewahren – zwischen Jungen und Alten,<br />
Gesunden und Kranken, Einheimischen<br />
und Zugewan<strong>der</strong>ten, aber auch zwischen<br />
Regionen, Städten und Dörfern.<br />
Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Demografiestrategie stehen<br />
die Lebensbereiche, in denen die Menschen<br />
die Auswirkungen des demografischen<br />
Wandels ganz unmittelbar erfahren: Familie,<br />
Arbeit, Alter. Insgesamt umfasst die Strategie<br />
sechs Handlungsfel<strong>der</strong>, in denen die Bundesregierung<br />
jeweils ein Bündel von Maßnahmen<br />
auf den Weg bringt; Maßnahmen zur<br />
Gestaltung des demografischen Wandels, die<br />
längerfristig angelegt sind:<br />
1. Familie als Gemeinschaft stärken.<br />
Ein Ziel <strong>der</strong> Bundesregierung ist es, die Zeitsouveränität<br />
von Familien zu erhöhen, u.a.<br />
durch<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
fel<strong>der</strong>n sprachliche Integration, Bildung, Arbeit<br />
und gesellschaftliche Integration.<br />
Wichtigste bundespolitische Einzelmaßnahme<br />
ist <strong>der</strong> Integrationskurs als Grundangebot<br />
für alle bereits hier lebenden und neu<br />
zuwan<strong>der</strong>nden Migranten zur Vermittlung<br />
von Sprachkenntnissen und Alltagsorientierungswissen.<br />
Der Integrationskurs ist seit seiner<br />
Einführung durch das Zuwan -<br />
<strong>der</strong>ungs gesetz im Jahre 2005 auf gute Resonanz<br />
gestoßen. Bis Ende 2010 haben über<br />
900.000 Personen eine Berechtigung zur Teilnahme<br />
erhalten, fast 700.000 Personen<br />
haben bereits den Kurs begonnen und mehr<br />
als die Hälfte dieser Teilnehmer hat ihn mittlerweile<br />
erfolgreich abgeschlossen.<br />
Um bestehende Unterschiede zwischen Personen<br />
mit und ohne Migrationshintergrund<br />
in den Kern-bereichen <strong>der</strong> Integration zu verringern,<br />
ist es erfor<strong>der</strong>lich, dass in allen Politikbereichen<br />
das Thema Integration als<br />
Handlungspflicht verstanden wird und Zuwan<strong>der</strong>ung,<br />
wie nach dem Aufenthaltsgesetz<br />
vorgesehen, unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Aufnahme-<br />
und Integrationsfähigkeit sowie <strong>der</strong><br />
wirtschaft-lichen und arbeitsmarktpolitischen<br />
Interessen Deutschlands erfolgt.<br />
u eine flexiblere Elternzeit, die auch eine<br />
Großelterzeit umfassen soll,<br />
u die stärkere Nutzung von Lebensarbeitszeitkonten,<br />
um mehr Raum für Zeiten zu<br />
schaffen, in denen man Verantwortung in <strong>der</strong><br />
Familie übernehmen kann,<br />
u die Prüfung von Möglichkeiten, haushaltsnahe<br />
Dienstleistungen besser zu för<strong>der</strong>n.<br />
2. Motiviert, qualifiziert und gesund<br />
arbeiten.<br />
Die Bundesregierung will die Entwicklung<br />
einer Kultur des erfüllten längeren Arbeitslebens<br />
unterstützen – z. B: durch<br />
u eine gesundheitliche Präventionsstrategie<br />
mit betrieblichem Schwerpunkt,<br />
u den Aufbau regionaler Weiterbildungsallianzen,<br />
u Rahmenbedingungen, um die Verteilung<br />
<strong>der</strong> Arbeitszeit über den Lebenslauf und den<br />
Übergang in die Rente individueller gestalten<br />
zu können.<br />
3. Selbstbestimmtes Leben im Alter.<br />
Schwerpunkte sind hier u.a.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 9
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
u ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept,<br />
um das Wissen und die Lebenserfahrung<br />
<strong>der</strong> Älteren besser zu aktivieren sowie<br />
ein langes, selbstbestimmtes Leben in <strong>der</strong> gewohnten<br />
Umgebung zu ermöglichen.<br />
u <strong>der</strong> Aufbau einer Nationalen Allianz für<br />
Menschen mit Demenz einschließlich <strong>der</strong> Unterstützung<br />
von Hilfenetzwerken vor Ort<br />
4. Lebensqualität in ländlichen Räumen<br />
und integrative Stadtpolitik.<br />
Zwei wichtige Maßnahmen sind<br />
u die Entwicklung eines nationalen Koordinierungsrahmens<br />
für die För<strong>der</strong>instrumente<br />
<strong>der</strong> EU, des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, um Regionen,<br />
die beson<strong>der</strong>s vom demografischen<br />
Wandel betroffen sind, gezielter zu unterstützen.<br />
u die Weiterentwicklung <strong>der</strong> Breitbandstrategie,<br />
um bis 2018 eine flächendeckende Versorgung<br />
mit 50 MBit/s zu erreichen.<br />
5. Grundlagen für nachhaltiges Wachstum<br />
und Wohlstand sichern.<br />
Dazu wird die Bundesregierung u. a.<br />
u vorrangig die Bildungspotentiale in allen<br />
Lebensphasen för<strong>der</strong>n,<br />
u ihr Fachkräftekonzept jährlich überprüfen<br />
und weiterentwickeln,<br />
u mit einem Maßnahmenbündel dazu beitragen,<br />
dass in Deutschland eine echte Willkommenskultur<br />
entsteht und sich die<br />
10 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Potentiale des europäischen Arbeitsmarktes<br />
besser nutzen lassen,<br />
u systematisch eine Grün<strong>der</strong>kultur und<br />
damit die Bereitschaft von Menschen stärken,<br />
unternehmerisch tätig zu werden.<br />
6. Handlungsfähigkeit des Staates erhalten.<br />
Als zentrale Bestandteile <strong>der</strong> Demografiestrategie<br />
wird die Bundesregierung<br />
u auch im Hinblick auf kommende Generationen<br />
die Schuldenregel umsetzen und die<br />
öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungen<br />
weiter konsolidieren,<br />
u die Attraktivität<br />
des öffentlichen<br />
Dienstes steigern und<br />
ihn zum Vorreiter für<br />
eine familienfreundliche<br />
und altersgerechte<br />
Personalpolitik<br />
machen.<br />
Die Gestaltung des<br />
demografischen Wandels<br />
kann nur gelingen,<br />
wenn sich daran<br />
alle staatlichen Ebenen,gesellschaftlichen<br />
Akteure sowie<br />
die Bürgerinnen und<br />
Bürger beteiligen.<br />
Die Strategie beschreibt<br />
deshalb auch<br />
die Fel<strong>der</strong>, in denen die Bundesregierung mit<br />
Län<strong>der</strong>n und Kommunen, Verbänden, Sozialpartnern<br />
und an<strong>der</strong>en Organisationen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />
gemeinsame Antworten<br />
entwickeln und umsetzen will.<br />
Die Bundesregierung hat den Dialogprozess<br />
am 24 April 2012 mit einer Demografietagung<br />
im Kanzleramt angestoßen. Im Herbst<br />
sollen bei einem Demografiegipfel die konkreten<br />
Ziele und Arbeitsstrukturen für die Zusammenarbeit<br />
vereinbart werden.<br />
Zahlreiche Informationen zur Demografiestrategie<br />
finden Sie auf <strong>der</strong><br />
Themenseite<br />
www.jedes-alter-zählt.de.<br />
ProCurand, um sich<br />
im Alter sicher und gut<br />
versorgt zu fühlen<br />
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Seniorenzentrum „Haus von Leveling“<br />
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Das Alter hat Zukunft<br />
I. Ziele <strong>der</strong> Forschungsagenda<br />
Der demografische Wandel verän<strong>der</strong>t unser<br />
Land. Die durchschnittliche Lebenserwartung<br />
in Deutschland ist heute so hoch wie nie<br />
zuvor – und sie wird voraussichtlich noch<br />
weiter steigen. Zugleich sinkt die Bevölkerungszahl<br />
aufgrund einer anhaltend niedrigen<br />
Geburtenrate. Die Folge ist ein deutlicher<br />
Wandel in <strong>der</strong> Altersstruktur unseres Landes.<br />
Laut Prognose des Statistischen Bundesamtes<br />
wird im Jahr 2030 etwa die Hälfte <strong>der</strong><br />
Menschen hierzulande über 50 und fast jede<br />
dritte Person älter als 65 Jahre sein.<br />
Fragen bündeln<br />
Die Bundesregierung fasst mit <strong>der</strong> vorliegenden<br />
Agenda relevante Fragestellungen <strong>der</strong><br />
Forschung zum demografischen Wandel zusammen<br />
und zeigt wichtige Handlungsfel<strong>der</strong><br />
auf. Im Fokus stehen ältere Menschen, insbeson<strong>der</strong>e<br />
diejenigen, die sich in den letzten<br />
Jahren ihres Berufslebens befinden o<strong>der</strong> bereits<br />
aus dem Berufsleben ausgeschieden<br />
sind. Dabei nehmen wir auch übergreifende<br />
gesellschaftliche Fragestellungen und Auswirkungen<br />
auf die Gesellschaft in den Blick.<br />
Ältere Menschen sind heute meist besser<br />
ausgebildet, leistungsfähiger und vitaler als<br />
noch vor wenigen Jahrzehnten. Ein steigen<strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Seniorinnen und Senioren kann<br />
und will bis ins hohe Alter aktiv am gesellschaftlichen<br />
Leben teilnehmen. Individuelle<br />
Lebensstile und vielfältige Lebensentwürfe<br />
ersetzen das überkommene, eher negativ besetzte<br />
Altersbild. Dies ist unlängst auch vom<br />
Sechsten Altenbericht <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
unterstrichen worden.<br />
Forschung ressortübergreifend und<br />
interdisziplinär ausrichten<br />
Mit den in dieser Forschungsagenda formulierten<br />
Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung<br />
dafür ein, die wertvollen Potenziale<br />
des Alters zu erhalten, zu nutzen und zu vervielfältigen<br />
und zugleich die Lebensqualität<br />
im Alter zu för<strong>der</strong>n. Hiervon profitieren nicht<br />
nur die älteren Menschen selbst, son<strong>der</strong>n alle<br />
Generationen. Die Bundesregierung richtet<br />
die Forschungsprogramme konsequent auf<br />
die Herausfor<strong>der</strong>ungen und Potenziale einer<br />
Gesellschaft des längeren Lebens aus:<br />
•<br />
Wir haben bereits im Rahmenprogramm<br />
„Gesundheitsforschung“ einen Schwerpunkt<br />
auf die Verbesserung <strong>der</strong> Prävention,<br />
Diagnose und Therapie von<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Krankheiten gelegt, die beson<strong>der</strong>s im<br />
Alter auftreten.<br />
Wir richten ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk<br />
auf demenzielle Erkrankungen sowie auf<br />
die Unterstützung von Pflegebedürftigen<br />
und die Entlastung von Pflegenden. Zum<br />
Beispiel mit einer Zukunftswerkstatt zum<br />
Thema Demenz und dem „Modellprogramm<br />
zur Verbesserung <strong>der</strong> Versorgung<br />
Pflegebedürftiger“ greift das zuständige<br />
Fachministerium diese Fragen konkret<br />
auf.<br />
Wir beachten auch die Rolle von Ange-<br />
hörigen in <strong>der</strong> Pflege, indem wir Maßnahmen<br />
zu ihrer Entlastung und<br />
Unterstützung weiterentwickeln, zum<br />
Beispiel im Projekt „Potenziale und Risiken<br />
in <strong>der</strong> familialen Pflege alter Menschen“.<br />
Wir richten das Programm „Informati-<br />
ons- und Kommunikationstechnologien<br />
2020“ entsprechend aus: Geför<strong>der</strong>t werden<br />
die Entwicklung von Mobilitätsund<br />
Kommunikationstechnologien, die<br />
die gesellschaftliche Teilhabe älterer<br />
Menschen unterstützen, sowie Innovationen,<br />
mit denen Wohn- und Lebensräume<br />
altersgerecht gestaltet werden.<br />
Wir för<strong>der</strong>n die Entwicklung neuartiger<br />
Lösungen zur Anpassung kommunaler<br />
und sozialer Infrastrukturen. In Forschungsprojekten<br />
und Modellversuchen<br />
werden die Themen öffentlicher Personenverkehr,<br />
Planung und Bau von Verkehrsinfrastruktur,<br />
Mobilitätssicherung im<br />
Alter und Verkehrssicherheit adressiert.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 11
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
•<br />
•<br />
Wir werden die Forschungsprogramme<br />
zum lebenslangen Lernen, zur Arbeitsplatzgestaltung,<br />
zu Produktionstechnologien<br />
und zu innovativen Dienst -<br />
leistungen so weiterentwickeln, dass ältere<br />
Menschen künftig ihr Wissen und<br />
ihre Erfahrungen noch besser und länger<br />
in die Gesellschaft einbringen können –<br />
sei es beruflich, privat o<strong>der</strong> im Ehrenamt.<br />
Wir werden im Rahmenprogramm<br />
„Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“<br />
verstärkt die Beschäftigung<br />
mit den Grundsatzfragen einer<br />
älter werdenden Gesellschaft för<strong>der</strong>n.<br />
Mit diesen Forschungsaktivitäten führen wir<br />
die relevanten wissenschaftlichen Disziplinen<br />
zusammen und rücken diejenigen Handlungsfel<strong>der</strong><br />
in den Mittelpunkt, die für ältere<br />
Menschen von beson<strong>der</strong>er Bedeutung sind:<br />
Mobilität und Kommunikation, längere Beschäftigungsfähigkeit,<br />
Wohnen, Gesundheit<br />
und Plege sowie gesellschaftliches und kulturelles<br />
Engagement.<br />
II. Schwerpunkte <strong>der</strong><br />
Forschungsagenda<br />
Forschungsfeld 1:<br />
Grundsatzfragen einer Gesellschaft<br />
des längeren Lebens<br />
Forschung, die darauf abzielt, Konzepte, Modelle<br />
und Lösungen für eine Gesellschaft des<br />
längeren Lebens zu finden, muss sich an <strong>der</strong><br />
Frage orientieren, in welcher Gesellschaft wir<br />
künftig leben wollen. Der geistes- und sozialwissenschaftlichen<br />
Forschung kommt bei<br />
dem gesellschaftlichen Verständigungsprozess<br />
über diese Frage eine tragende Rolle zu.<br />
Die Wissensbasis ausbauen<br />
Basis für die erfolgreiche Gestaltung einer<br />
älter werdenden Gesellschaft ist das Wissen<br />
um die weitere demografische Entwicklung.<br />
Die Bundesregierung wird daher auch künftig<br />
die Erforschung <strong>der</strong> Ursachen und Konsequenzen<br />
des demografischen Wandels för<strong>der</strong>n.<br />
Die Weiterentwicklung geeigneter<br />
Methoden, <strong>der</strong> Ausbau hierfür erfor<strong>der</strong>licher<br />
statistischer Systeme, <strong>der</strong> interdisziplinäre<br />
Austausch, die internationale Vernetzung und<br />
<strong>der</strong> Wissens- und Technologietransfer in die<br />
Praxis stehen dabei im Mittelpunkt.<br />
Ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk richten wir auf<br />
die Lebenssituation älterer Menschen, einschließlich<br />
<strong>der</strong> schnell wachsenden Gruppe<br />
<strong>der</strong> Hochbetagten. Wichtig sind auch geschlechterspezifische<br />
Analysen, um beste-<br />
12 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
hende und sich abzeichnende<br />
Ungleichheiten in<br />
<strong>der</strong> Lebenssituation von<br />
Seniorinnen und Senioren<br />
zu ermitteln und<br />
auszugleichen. Auf<br />
Grundlage dieser Erkenntnissewerden<br />
wir die<br />
bereits ergriffenen<br />
Maßnahmen<br />
zur Gestaltung des<br />
demografischen<br />
Wandels anpassen<br />
und ergänzen.<br />
Ein realistisches<br />
Bild<br />
vom Alter<br />
etablieren<br />
Viele Menschen fürchten das<br />
Alter und eine Gesellschaft, in<br />
<strong>der</strong> immer mehr Ältere immer<br />
weniger Jüngeren gegenüberstehen.<br />
Allzu leicht rücken jedoch<br />
bei einer solchen<br />
Betrachtungsweise die Probleme<br />
in den Vor<strong>der</strong>grund und<br />
verstellen den Blick auf die<br />
Chancen. Die Bundesregierung<br />
unterstützt daher die Forschung über die kulturellen<br />
Rahmenbedingungen von Altersbil<strong>der</strong>n<br />
und zur Schaffung und Verbreitung<br />
realistischer Altersbil<strong>der</strong>. Damit wollen wir<br />
ein Umdenken anstoßen und ein differenziertes<br />
Bild vom Alter und einer Gesellschaft des<br />
längeren Lebens zeichnen – weg von Klischees<br />
und Stereotypen. Von Bedeutung sind<br />
dabei auch die Auswirkungen von Än<strong>der</strong>ungen<br />
gesetzlicher Rahmenbedingungen etwa<br />
durch die Formulierung eines gesetzlichen<br />
Verbots von Altersdiskriminierung. Es gilt,<br />
Vorurteile ab- zubauen, sich dem Thema Alter<br />
unbefangen zu nähern und anzuerkennen,<br />
dass eine älter werdende Gesellschaft an<strong>der</strong>s<br />
strukturiert sein wird als die heutige. Dies eröffnet<br />
jedoch neue Perspektiven und Chancen<br />
– in sozialer, kultureller und individueller<br />
Hinsicht.<br />
Generationenkonflikte erkennen<br />
und entschärfen<br />
Eine Gesellschaft des längeren Lebens muss<br />
sich auch <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Verteilung von<br />
Lasten und Ressourcen stellen. Wir unterstützen<br />
daher die vorsorgliche Erforschung des<br />
Selbstverständnisses <strong>der</strong> Generationen und<br />
<strong>der</strong> Rollen, die sie jeweils für sich beanspru-<br />
chen und einnehmen.<br />
Damit för<strong>der</strong>n<br />
wir<br />
nachhaltige Lösungsansätze<br />
für Gerechtigkeit und Solidarität<br />
zwischen den Generationen. Zusätzlich<br />
zur elementaren Frage nach materieller Absicherung<br />
geht es uns auch um die Entwicklung<br />
einer Kultur <strong>der</strong> gegenseitigen und<br />
generationenübergreifenden Wertschätzung.<br />
Eine solche Kultur soll die Potenziale einer<br />
jeden Generation sichtbar machen und dabei<br />
vor allem den Blick auf die Beiträge älterer<br />
Menschen für Familie und Gesellschaft richten,<br />
die allzu oft als selbstverständlich angesehen<br />
werden.<br />
Akzeptanz technologischer<br />
Lösungen bedenken<br />
Bei <strong>der</strong> Entwicklung und dem Einsatz von<br />
technologischen Lösungen müssen auch<br />
ethische, rechtliche und soziale Gesichtspunkte<br />
von vornherein bedacht und berücksichtigt<br />
werden – insbeson<strong>der</strong>e dort, wo<br />
Technologien beispielsweise neuartige Assistenzfunktionen<br />
für den Menschen übernehmen.<br />
Die Bundesregierung wird daher<br />
bei allen ihren Maßnahmen auch die Forschung<br />
zur Akzeptanz und zu den Akzeptabilitätsbedingungen<br />
neuer technologischer<br />
Anwendungen für eine Gesellschaft des längeren<br />
Lebens unterstützen.
Forschungsfeld 2:<br />
Kompetenzen und Erfahrungen<br />
älterer Menschen für<br />
Wirtschaft und Gesellschaft<br />
nutzen<br />
Möglichst lange die eigenen Erfahrungen,<br />
Zeit und Kraft in eine sinnvolle Tätigkeit<br />
einzubringen, ist befriedigend<br />
für den Einzelnen und eine wertvolle<br />
Ressource für die gesamte Gesellschaft.<br />
Zwar lassen Reaktionsgeschwindigkeit<br />
und körperliche<br />
Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter<br />
meist nach, mögliche Defizite werden aber<br />
durch eine hohe soziale und fachliche Kompetenz<br />
sowie den kontinuierlichen Aufbau<br />
eines breiten Wissens- und Erfahrungsschatzes<br />
entlang <strong>der</strong> Bildungs- und Erwerbsbiografie<br />
ausgeglichen.<br />
Dies bedeutet eine große Chance für die Wissensgesellschaft,<br />
die nicht nur auf die Vermehrung<br />
von Erkenntnissen, son<strong>der</strong>n auch<br />
auf die Einordnung und Bewertung dieser Erkenntnisse<br />
angewiesen ist. Durch den engagierten<br />
Einsatz erfahrener Arbeitskräfte kann<br />
möglichen Produktivitätsverlusten und einem<br />
demografisch bedingten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts<br />
entgegengewirkt werden.<br />
Hier gilt es zudem, die Beschäftigungspotenziale<br />
von erwerbslosen älteren Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmern zu aktivieren.<br />
Die Bundesregierung verstärkt ihre Forschungs-<br />
und Entwicklungsmaßnahmen zur<br />
Nutzung des Wissens und einer höheren Erwerbsbeteiligung<br />
älterer Menschen, damit<br />
die spezifischen, oftmals brach liegenden Potenziale<br />
noch besser genutzt werden können<br />
– ob beruflich, privat o<strong>der</strong> im Ehrenamt. So<br />
werden wir Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Fortschritt auch in einer älter<br />
w e r d e n d e n<br />
Gesellschaft erhalten<br />
und<br />
sogar ausbauen.<br />
Kompetenzen<br />
erhalten, för<strong>der</strong>n<br />
und erweitern<br />
Ältere Menschen<br />
lernen an<strong>der</strong>s als<br />
junge. Das<br />
menschliche Gehirn<br />
benötigt<br />
daher altersspezifische<br />
Stimuli<br />
für das Lernen<br />
einerseits aber<br />
auch für die Erhaltung<br />
und<br />
Entwicklung <strong>der</strong><br />
Beschäftigungsfähigkeitan<strong>der</strong>erseits.<br />
Wir treiben<br />
die Erforschung<br />
des lebenslangen<br />
Lernens voran<br />
und för<strong>der</strong>n die<br />
Entwicklung altersspezifischer<br />
Konzepte, die sich an<br />
den individuellen Bedürfnissen<br />
und Fähigkeiten orientieren. Dazu gehören<br />
die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Medienkompetenz und<br />
die Nutzung elektronischer Lernsysteme, um<br />
maßgeschnei<strong>der</strong>te und nachhaltige Lernprozesse<br />
zu ermöglichen. So tragen wir dazu bei,<br />
dass Menschen auf ihrem gesamten aktiven<br />
Lebensweg im Betrieb, Ehrenamt o<strong>der</strong> auf<br />
freischaffen<strong>der</strong> Basis ihre Kompetenzen nicht<br />
nur erhalten, son<strong>der</strong>n auch anpassen, erneuern<br />
und erweitern können. Dabei werden wir<br />
auch untersuchen, wie ein über den Beruf hinausgehendes,<br />
bürgerschaftliches Engagement<br />
gestärkt und gestaltet werden kann.<br />
Die Vorteile altersgemischter Teams<br />
nutzen<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen,<br />
dass aus unterschiedlichen Altersstrukturen<br />
zusammengesetzte Teams ein Erfolgsfaktor<br />
im Wettbewerb sein können. Alle Beteiligten<br />
können voneinan<strong>der</strong> lernen und profitieren.<br />
Die Erforschung des effizienten Zusammenwirkens<br />
von Gruppen unterstützt insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch kleine und mittlere Unternehmen<br />
dabei, Belegschaften und jedes einzelne<br />
Teammitglied in generationenübergreifenden<br />
Gruppen optimal einzusetzen. Zusammen mit<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
<strong>der</strong> Entwicklung von flexiblen Modellen für<br />
ein weiter verbessertes Gesundheitsmanagement<br />
sichert dies die Wirtschaftlichkeit und<br />
Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> Unternehmen, unterstützt<br />
<strong>der</strong>en Ausbau und führt zu mehr Zufriedenheit<br />
bei Arbeitnehmerinnen und<br />
Arbeitnehmern.<br />
Arbeitsmodelle und Personalgewinnung<br />
überdenken<br />
Um die Integration älterer Menschen, insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch erwerbsloser Älterer, und ihrer<br />
Kompetenzen in Arbeitsprozesse zu unterstützen,<br />
för<strong>der</strong>n wir eine alterssensible und<br />
geschlechterdifferenzierte Personalpolitik.<br />
Gemeinsam mit Unternehmen entwickeln wir<br />
mo<strong>der</strong>ne Konzepte für die Personalgewinnung,<br />
das Talentmanagement und die Betriebsorganisation<br />
sowie wegweisende<br />
Arbeitszeitmodelle. Mit diesen Maßnahmen<br />
werden unterschiedliche Bildungs- und Erwerbsbiografien<br />
sowie Kompetenzprofile<br />
auch alters- und geschlechtsspezifisch berücksichtigt<br />
und in einem ganzheitlichen<br />
Konzept integriert. Mit einem demografieorientierten<br />
Personalmanagement, das alle Altersstufen<br />
berücksichtigt, kann eine<br />
Gesellschaft des längeren Lebens ihre unternehmerische<br />
Innovationsfähigkeit erhalten<br />
und eine höhere Erwerbsbeteiligung Älterer<br />
unterstützen.<br />
Individuelle Fähigkeiten gezielter<br />
nutzen<br />
Um vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
im Berufsalltag zu unterstützen, för<strong>der</strong>t die<br />
Bundesregierung die Entwicklung von technischen<br />
Assistenzsystemen, die insbeson<strong>der</strong>e<br />
ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei<br />
ihren Aufgaben unterstützen. Diese Systeme<br />
sind als „Fähigkeitsverstärker“ zu verstehen,<br />
welche die körperlichen Fertigkeiten o<strong>der</strong> das<br />
Wissenspotenzial von Arbeitnehmerinnen<br />
und -nehmern individuell ergänzen. Wir wollen,<br />
dass Wissen und Fertigkeiten zum Wohle<br />
des einzelnen Menschen und auch für den<br />
gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozess<br />
gezielt ausgebaut werden.<br />
Forschungsfeld 3:<br />
Älter werden bei guter Gesundheit<br />
Dank verbesserter Lebensbedingungen und<br />
guter medizinischer Versorgung sind wir dem<br />
Menschheitstraum eines langen, gesunden<br />
Lebens heute näher denn je. Je<strong>der</strong> Mensch<br />
will möglichst lange in guter Gesundheit<br />
leben und den Eintritt von Krankheiten so<br />
weit wie möglich hinauszögern. Mit dem An-<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 13
Bild: Petra Bork / pixelio.de<br />
14 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
stieg <strong>der</strong> Lebenserwartung erhöht sich jedoch<br />
auch die Zahl <strong>der</strong> Menschen, die an im Alter<br />
vermehrt auftretenden Krankheiten leiden.<br />
Dazu gehören vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen,<br />
muskoskelettale und Krebserkrankungen<br />
sowie Diabetes mellitus,<br />
Demenzen und Depressionen. Häufig liegen<br />
auch mehrere Erkrankungen gleichzeitig vor.<br />
Daher liegt einer <strong>der</strong> zentralen Schwerpunkte<br />
des „Rahmenprogramms Gesundheitsforschung“,<br />
das die Bundesregierung im Dezember<br />
2010 verabschiedet hat, auf <strong>der</strong><br />
Verbesserung <strong>der</strong> gesundheitlichen Versorgung<br />
älterer Menschen.<br />
Die Grundlagen des Alterns erforschen<br />
Der Alterungsprozess und das Auftreten von<br />
Krankheiten im Alter werden durch ein komplexes<br />
Zusammenspiel von persönlichen Anlagen,<br />
<strong>der</strong> Umwelt und dem Lebensstil<br />
beeinflusst. Auch <strong>der</strong> sozioökonomische Status,<br />
soziale Stressfaktoren, <strong>der</strong> Familienstand<br />
und das Wohnumfeld gelten als Einflussgrößen.<br />
Um die Gesundheit zu för<strong>der</strong>n und möglichst<br />
lange zu erhalten, unterstützt die<br />
Bundesregierung die weiterführende lebenswissenschaftliche<br />
Grundlagenforschung zu<br />
den Mechanismen des Alterns. Ziel ist die<br />
Verbesserung <strong>der</strong> Diagnose, Therapie und<br />
Prävention <strong>der</strong> im Alter relevanten Beeinträchtigungen<br />
und Krankheiten.<br />
Gesundheit för<strong>der</strong>n und Krankheiten<br />
vorbeugen<br />
Untersuchungen zeigen, dass Prävention und<br />
Gesundheitsför<strong>der</strong>ung in jedem Lebensalter<br />
sinnvoll und effektiv sind. Die Bundesregierung<br />
för<strong>der</strong>t daher die Entwicklung, Erprobung<br />
und Evaluation neuer<br />
Präventionsmaßnahmen wie auch die Verbesserung<br />
bestehen<strong>der</strong> Gesundheitsangebote für<br />
ältere Menschen. Ziel ist es, die individuelle<br />
Eigenverantwortung zu steigern, Erwerbsmin<strong>der</strong>ungen<br />
zu vermeiden, die Zahl <strong>der</strong> Pflegebedürftigen<br />
zu verringern, körperliche wie<br />
kognitive Fähigkeiten zu erhalten und dadurch<br />
die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu<br />
verbessern. Hierbei för<strong>der</strong>n wir auch die Ernährungsforschung<br />
und entwickeln Lösungsansätze<br />
für altersspezifische Symptome, etwa<br />
das mit zunehmendem Alter verän<strong>der</strong>te Appetit-<br />
und Durstempfinden und die damit verbundenen<br />
Mangelerscheinungen.<br />
Diagnose- und Therapieansätze<br />
verbessern<br />
Im „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“<br />
för<strong>der</strong>t die Bundesregierung die Ent-<br />
wicklung innovativer Medizinprodukte und<br />
Behandlungsansätze für spezifische Beeinträchtigungen<br />
und Krankheiten im Alter.<br />
Dabei achten wir beson<strong>der</strong>s auf Mehrfacherkrankungen<br />
und Wechselwirkungen von Medikamenten.<br />
Hilfreich sind beispielsweise<br />
hochauflösende bildgebende Verfahren, die<br />
eine frühzeitige und genaue Diagnose ermöglichen.<br />
Mit intelligenten Implantaten, die<br />
etwa individuell und automatisch Wirkstoffe<br />
dosieren, mit neuen Arzneimitteln und minimalinvasiven<br />
Methoden werden zielgerichtete<br />
und weniger belastende Therapien<br />
möglich.<br />
Auch mit <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> individualisierten<br />
Medizin tragen wir zu einer besseren Behandlung<br />
altersspezifischer Erkrankungen<br />
bei. Mobile Diagnostik- und telemedizinische<br />
Unterstützungssysteme bieten älteren Patientinnen<br />
und Patienten die Möglichkeit einer<br />
komfortableren Gesundheitsversorgung im<br />
häuslichen Umfeld. Dies ist beson<strong>der</strong>s im<br />
ländlichen Raum wichtig. Um den Transfer<br />
von Wissen und Technologie in die Praxis zu<br />
beschleunigen und effektiver zu gestalten,<br />
för<strong>der</strong>n wir die Einbindung forschungsintensiver<br />
Unternehmen in interdisziplinäre Netzwerke,<br />
wie etwa in <strong>der</strong> medizinischen<br />
Biotechnologie.<br />
Funktionen unterstützen und positiv<br />
stimulieren<br />
Wir unterstützen die Entwicklung technischer<br />
Assistenzsysteme, die Funktionsverluste detektieren<br />
und helfen, diese zu kompensieren.<br />
Sensoren können beispielsweise mit Hilfe<br />
einer Analyse von Bewegungsmustern erkennen,<br />
ob eine Person zu stürzen droht, und stabilisierende<br />
Handlungen zur Sturzvermeidung<br />
anregen. Auch bei <strong>der</strong> häuslichen Rehabilitation<br />
können technische Assistenzsysteme eine<br />
wichtige Rolle spielen, zum Beispiel physiotherapeutische<br />
Trainingssysteme bei Schlaganfallpatientinnen<br />
und -patienten. Durch<br />
gezielte Stimulation <strong>der</strong> betroffenen Gliedmaßen<br />
kann die Bewegungsfähigkeit oftmals<br />
deutlich verbessert und die Mobilität wie<strong>der</strong><br />
hergestellt werden. Darüber hinaus för<strong>der</strong>n<br />
wir die Entwicklung von Lösungen, die zu<br />
einer besseren Vernetzung älterer Menschen<br />
und ihrer Angehörigen mit den behandelnden<br />
Ärztinnen und Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern<br />
beitragen.<br />
Evidenzbasierte<br />
Gesundheitsversorgung<br />
Je<strong>der</strong> kranke Mensch soll eine sichere und<br />
wirksame Therapie erhalten. Dabei steht das<br />
Gesundheitssystem vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,
die altersgerechte Versorgung medizinisch<br />
und organisatorisch zu verbessern, gleichzeitig<br />
aber die Ausgaben zu begrenzen. Die Bundesregierung<br />
treibt die Versorgungsforschung<br />
voran und stellt sicher, dass sowohl<br />
neue als auch etablierte Verfahren auf<br />
ihre Wirksamkeit hin geprüft werden, um<br />
sinnvolle und wirksame Maßnahmen gezielt<br />
anzuwenden. Die Kosten-Nutzen-Relation<br />
von Behandlungen wird in klinischen Studien<br />
und vor allem im Versorgungsalltag dokumentiert.<br />
Alle Aktivitäten zielen auf den Erhalt<br />
einer nachhaltigen Exzellenz im<br />
Gesundheitssystem.<br />
Forschungsfeld 4:<br />
Gesellschaftliche Teilhabe: Mobil und<br />
in Verbindung bleiben<br />
Mobilität darf keine Frage des Alters sein. In<br />
jedem Lebensalter wollen sich Menschen<br />
möglichst frei, sicher und autark in ihrer Umgebung<br />
bewegen – auch wenn sie möglicherweise<br />
körperlich beeinträchtigt sind.<br />
Genauso wichtig wie <strong>der</strong> Zugang zu lebenswichtigen<br />
Einrichtungen sind Kontakt und<br />
Austausch mit den Mitmenschen. Mit neuen<br />
Lösungen für mehr Mobilität schafft die Bundesregierung<br />
dafür die Voraussetzungen. In<br />
Kombination mit mo<strong>der</strong>nen Informationsund<br />
Kommunikationstechnologien erreichen<br />
wir so, dass Menschen sich auch im Alter mitten<br />
im Leben bewegen und ihre Erfahrungen,<br />
Kenntnisse und Wünsche in die Gesellschaft<br />
einbringen können. Dabei för<strong>der</strong>n wir auch<br />
die Entwicklung entsprechen<strong>der</strong> Geschäftsmodelle<br />
und sorgen mit geeigneten Maßnahmen<br />
dafür, dass ältere Menschen mit den<br />
neuen technischen Möglichkeiten souverän<br />
umgehen und sie optimal nutzen können.<br />
Dies gilt auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes<br />
Handeln als Verbraucher angesichts<br />
neuer Geschäftsformen in <strong>der</strong> digitalen Welt,<br />
neuer Angebote und neuer Märkte, zum Beispiel<br />
in Bereichen wie Telekommunikation<br />
o<strong>der</strong> Gesundheit und Pflege.<br />
Mobil in <strong>der</strong> Stadt<br />
Wer das Leben eigenständig gestalten will,<br />
braucht Bewegungsspielraum – ob zu Fuß,<br />
beim Radfahren, im öffentlichen Personennahverkehr<br />
o<strong>der</strong> im Auto. In vielen Städten<br />
und Gemeinden fällt es älteren Menschen jedoch<br />
oft schwer, barrierefrei und selbstständig<br />
einzukaufen, zur Arztpraxis o<strong>der</strong> zum<br />
Restaurant zu gelangen. Wir stärken diese im<br />
Alltag so wichtige Mobilität im persönlichen<br />
Umfeld, indem wir bei <strong>der</strong> Weiterentwicklung<br />
<strong>der</strong> Verkehrsinfrastruktur ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk<br />
auf die Bedürfnisse <strong>der</strong> älteren Ge-<br />
neration legen. Dabei untersuchen wir, wie<br />
die Verkehrssicherheit, aber auch die Orientierungs-<br />
und Fortbewegungsfähigkeit von<br />
älteren Menschen mit Hightech-Hilfen unterstützt<br />
werden können, zum Beispiel durch<br />
technische Begleit- und Führsysteme o<strong>der</strong><br />
personalisierte Navigationssysteme. Unser<br />
Ziel sind intelligente und barrierefreie Mobilitätsangebote<br />
und -infrastrukturen, die auf<br />
die spezifischen Bedürfnisse älterer Menschen<br />
zugeschnitten, leistungsfähig und bezahlbar<br />
sind.<br />
Komfortabel und sicher im Auto<br />
Die Fahrtüchtigkeit nimmt mit fortschreitendem<br />
Alter oft ab. Wir wollen, dass ältere<br />
Menschen sich weiterhin sicher im Straßenverkehr<br />
bewegen können. Assistenzsysteme<br />
im Auto können helfen, körperliche Unzulänglichkeiten<br />
und das mangelnde Vertrauen<br />
in die eigenen Fahrkünste zu kompensieren.<br />
Deshalb för<strong>der</strong>n wir die Weiterentwicklung<br />
unterstützen<strong>der</strong> Technologien in diesen Bereichen,<br />
um sie speziell an die Erfor<strong>der</strong>nisse<br />
von Seniorinnen und Senioren anpassen zu<br />
können.<br />
Unkompliziert unterwegs mit dem<br />
öffentlichen Personennahverkehr<br />
Öffentliche Verkehrsmittel und private Verkehrsanbieter<br />
sind nicht nur eine gute und<br />
Ressourcen schonende Alternative zur Fahrt<br />
mit dem eigenen Auto, sie sind vor allem unverzichtbar<br />
zur Sicherung eines selbstbestimmten<br />
Alltags vieler älterer Menschen. Wir<br />
entwickeln deshalb technische Systeme und<br />
intelligente Dienstleistungen im öffentlichen<br />
Personennahverkehr, die sich auch an den<br />
Wünschen und Möglichkeiten <strong>der</strong> älteren Generation<br />
orientieren. Dazu gehören eine individuelle<br />
Routenplanung und eine flexible<br />
Kombination aus Linienverkehr, auf individuelle<br />
Bedarfe angepasst Rufbus-Systeme und<br />
eine Beför<strong>der</strong>ung bis an die Haustür, die auch<br />
bei körperlichen Einschränkungen bequem<br />
und sicher genutzt werden können.<br />
Gut informiert auf Reisen<br />
Seniorinnen und Senioren sind heute mobiler<br />
denn je und bewegen sich nicht nur in ihrer<br />
gewohnten Umgebung. Wir entwickeln die<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
so weiter, dass älteren Menschen auch<br />
auf Reisen fernab <strong>der</strong> vertrauten Pfade eine<br />
intuitive Orientierung möglich wird – trotz<br />
frem<strong>der</strong> Situationen, Sprachen o<strong>der</strong> Transportmittel.<br />
Wird die Navigation einfacher,<br />
steigt auch das Sicherheitsempfinden und äl-<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
tere Menschen können ihren Aktionsradius<br />
weiter ausdehnen.<br />
Immer richtig verbunden<br />
Wer Kontakte hat, bleibt länger fit und kann<br />
auch an<strong>der</strong>en Anregungen geben und helfen.<br />
Auch körperlich eingeschränkte o<strong>der</strong> allein<br />
lebende ältere Personen sind dazu in <strong>der</strong><br />
Lage, wenn sie mo<strong>der</strong>ne Informations- und<br />
Kommunikationstechnologien nutzen. Mit<br />
Familie, Freunden, Arzt o<strong>der</strong> Ärztin sprechen,<br />
sie dabei sogar sehen, sich über tagesaktuelle<br />
Geschehnisse informieren o<strong>der</strong> sich in<br />
Netzwerken begegnen – so bleiben Menschen<br />
in Verbindung. Hierfür wollen wir leichtere<br />
Zugänge entwickeln, die den<br />
individuellen Bedürfnissen und technischen<br />
Fähigkeiten <strong>der</strong> Benutzerinnen und Benutzer<br />
entsprechen.<br />
Zuverlässig auch in den Regionen<br />
Der demografische Wandel wird sich in einzelnen<br />
Regionen unterschiedlich schnell und<br />
unterschiedlich stark auswirken. Im ländlichen<br />
Raum, wo die Entfernungen größer und<br />
die Infrastrukturen dünner sind, sorgen wir<br />
gemeinsam mit den regionalen Akteuren<br />
dafür, dass die Grundversorgung mit örtlichen<br />
Leistungsangeboten gewährleistet<br />
bleibt. Mit einer Kombination von individuell<br />
angepassten haushaltsnahen Diensten und<br />
Angeboten verbessern wir somit auch hier<br />
für ältere Menschen die Chance zur Mobilität<br />
und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.<br />
Wir schaffen die Voraussetzungen für den<br />
Aufbau multifunktionaler Anlaufstellen, die<br />
sich mit persönlicher Betreuung und unterstützt<br />
von Tele-Diensten um die Versorgung<br />
älterer Menschen im Alltag kümmern. Typische<br />
Alltagstätigkeiten wie Behördengänge,<br />
Post, medizinische Betreuung o<strong>der</strong> Bestellungen<br />
können so an einem zentralen Ort erledigt<br />
werden.<br />
Forschungsfeld 5: Sicher und unabhängig<br />
wohnen<br />
Menschen brauchen Schutz, Sicherheit und<br />
Geborgenheit. Vor allem im Alter sind eine<br />
vertraute Umgebung und ein individueller<br />
Rückzugsort wichtig. Benötigt werden Wohnräume,<br />
die funktional, ökonomisch und ökologisch<br />
sind, über ein gesundes Raumklima<br />
verfügen und eine Wohnkultur nach eigenen<br />
Vorlieben und Bedürfnissen ermöglichen. Wir<br />
untersuchen, wie die eigenen vier Wände<br />
auch im letzten Lebensabschnitt so gestaltet<br />
werden können, dass sich die Bewohnerinnen<br />
und Bewohner möglichst lange in ihrem<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 15
Bild: Gerda Mahmens / pixelio.de<br />
Zuhause wohlfühlen. Dabei ist auch das unmittelbare<br />
Wohnumfeld von Bedeutung.<br />
Wohnen ohne Barrieren<br />
Im Alter än<strong>der</strong>n sich viele Bedürfnisse. Häuser,<br />
Wohnungen und Wohnumfeld müssen<br />
entsprechend angepasst werden. Damit in<br />
Zukunft genügend geeigneter Wohnraum für<br />
die ältere Generation zur Verfügung steht,<br />
untersucht die Bundesregierung den <strong>der</strong>zeitigen<br />
Bestand sowie den künftigen Bedarf an<br />
geeigneten Wohnungen für Seniorinnen und<br />
Senioren. Darüber hinaus unterstützen wir<br />
Modellvorhaben im altersgerechten Wohnungsumbau.<br />
Hierbei för<strong>der</strong>n wir auch die<br />
Entwicklung von Lösungsansätzen zum kostengünstigen<br />
Abbau bestehen<strong>der</strong> Barrieren<br />
in Gebäuden. Dabei achten wir auf die Qualität<br />
<strong>der</strong> Bausubstanz, die Ausstattung und<br />
Einrichtung des Wohnraumes sowie die Lage<br />
<strong>der</strong> Wohnung und <strong>der</strong>en Anbindung an Versorgung<br />
und Dienstleistungen. Im Mittelpunkt<br />
stehen Produkte und Dienste, die von<br />
älteren Menschen uneingeschränkt genutzt<br />
werden: von <strong>der</strong> Wohnungseinrichtung über<br />
die Unterstützung bei Tätigkeiten des tägli-<br />
16 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
chen Lebens bis zum sicheren Bewegen in<br />
<strong>der</strong> Wohnumgebung und im Wohnquartier.<br />
Selbstbestimmt und sicher im Alltag<br />
Ältere Menschen benötigen ein sicheres und<br />
stimulierendes Wohnumfeld – auch um ihre<br />
Angelegenheiten möglichst lange ohne die<br />
praktische o<strong>der</strong> rechtliche Unterstützung an<strong>der</strong>er<br />
selbst besorgen zu können. Hochentwickelte<br />
technische Systeme bieten ihnen die<br />
Möglichkeit eines langen selbstbestimmten<br />
Lebens in <strong>der</strong> eigenen Wohnung, beispielsweise<br />
über Personenerkennung, als Erinnerungshilfe,<br />
zur Überwachung von Aktivitätsniveau<br />
und Gesundheitszustand o<strong>der</strong> als<br />
Kraftverstärkung. Für Sicherheit sorgt etwa<br />
ein über Sensoren gesteuertes Hausnotrufsystem,<br />
das im Fall von Stürzen automatisch den<br />
Rettungsdienst informiert. Aufsteh- und Führungshilfen<br />
können Seniorinnen und Senioren<br />
die Orientierung in <strong>der</strong> Wohnumgebung erleichtern.<br />
Die Bundesregierung för<strong>der</strong>t Lösungen,<br />
die eine weitestgehend intuitive<br />
Bedienung ermöglichen. Ziel sind robuste,<br />
leistungsfähige und lernende Assistenzsysteme,<br />
die einfach und preiswert nachzurüsten<br />
sind, die Privatsphäre achten und auf kombinierten<br />
Sensoren, intelligenter Datenauswertung<br />
und kognitiven Prinzipien basieren.<br />
Mehr Lebensqualität durch die<br />
Verbindung von Technik und<br />
Dienstleistungen<br />
Ein Zuhause muss Geborgenheit und die Erfüllung<br />
<strong>der</strong> Grundbedürfnisse bieten. Dazu<br />
gehören Sauberkeit, die Versorgung mit Lebensmitteln<br />
o<strong>der</strong> auch die Wartung von Geräten.<br />
Hausarbeiten wie die Reinigung <strong>der</strong><br />
Wohnung werden bei älteren Personen häufig<br />
von Angehörigen o<strong>der</strong> Dienstleistern erledigt.<br />
Die Bundesregierung schafft zusätzlich<br />
neue Versorgungsansätze, die technische Innova-tionen<br />
mit den von Menschen erbrachten<br />
Dienstleistungen kombinieren. Dazu<br />
untersuchen wir, wie technische Systeme die<br />
Arbeit von Dienstleistern unterstützen und<br />
welche Geschäftsmodelle geeignet sind, entsprechende<br />
Produkte zu etablieren. Durch die<br />
Kombination von Technik mit menschlicher<br />
Fürsorge stellen wir die soziale Komponente<br />
und Achtung <strong>der</strong> menschlichen Würde in <strong>der</strong><br />
Betreuung sicher.
Alt und Jung wohnen zusammen –<br />
in <strong>der</strong> Stadt und auf dem Land<br />
Vom Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generationen profitieren<br />
alle. Die Bundesregierung entwickelt deshalb<br />
mo<strong>der</strong>ne und wegweisende<br />
Wohnkonzepte, in denen unterschiedliche Altersgruppen<br />
zusammenwohnen. Hierfür werden<br />
zum einen innerstädtische Quartiere als<br />
lebenswerter Raum für Jung und Alt gestaltet.<br />
Wir schaffen räumliche Bedingungen<br />
dafür, dass auch ältere Menschen in den<br />
Städten wohnen bleiben, weil sie die Qualitäten<br />
städtischer Quartiere schätzen und<br />
wie<strong>der</strong>entdecken.<br />
Zum an<strong>der</strong>en unterstützen wir mit unserem<br />
„Aktionsprogramm regionale Daseinsvorsorge“<br />
die Entwicklung von Strategien für<br />
ländlich strukturierte, zum Teil stark schrumpfende<br />
Modellregionen, mit denen den infrastrukturellen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen des<br />
demografischen Wandels durch eine vorausschauende<br />
und kooperative Regionalstrategie<br />
begegnet werden kann. Wir wollen<br />
älteren Menschen ein nachbarschaftliches<br />
„Tür an Tür“ ermöglichen. Hierfür entwickeln<br />
wir Konzepte, die sowohl im realen Lebensumfeld<br />
als auch mit Hilfe von Informationsund<br />
Kommunikationstechnologien – etwa<br />
durch altersgerechte Internet-Plattformen für<br />
soziale Netzwerke – eingesetzt werden. Über<br />
soziale Interaktion för<strong>der</strong>n wir so die Zusammengehörigkeit<br />
und schaffen eine Kultur <strong>der</strong><br />
Unterstützung zwischen Alt und Jung.<br />
Forschungsfeld 6: Mit guter Pflege<br />
zu mehr Lebensqualität<br />
Mit dem allgemeinen Anstieg <strong>der</strong> Lebenserwartung<br />
wird auch die Zahl <strong>der</strong> Pflegebedürftigen<br />
künftig zunehmen. Im Jahr 2010 waren<br />
in Deutschland bereits 2,4 Millionen Menschen<br />
pflegebedürftig. Prognosen des Statistischen<br />
Bundesamtes zufolge wird diese Zahl<br />
bis 2020 auf 2,9 Millionen und bis 2030 auf<br />
etwa 3,4 Millionen ansteigen. Somit rückt die<br />
dauerhafte Sicherstellung <strong>der</strong> menschenwürdigen<br />
Pflege in einer Gesellschaft des<br />
längeren Lebens in den Fokus.<br />
Die Forschung kann hier einen wesentlichen<br />
Beitrag liefern, beispielsweise zum Erhalt<br />
einer möglichst lang andauernden Selbstständigkeit<br />
o<strong>der</strong> zur Unterstützung <strong>der</strong> Pflegekräfte.<br />
So können Belastungen aller<br />
Beteiligten verringert und die Lebensqualität<br />
von Betroffenen, Angehörigen und Pflegekräften<br />
verbessert werden. Die Bundesregierung<br />
hat in ihrer Forschungs- und<br />
Innovationspolitik deshalb bereits Akzente im<br />
Bereich <strong>der</strong> Pflege gesetzt, die weitergeführt<br />
und überarbeitet werden sollen.<br />
Erhalt <strong>der</strong> Selbstständigkeit<br />
älterer Menschen<br />
Wichtige Komponenten für ein menschenwürdiges<br />
Leben auch im hohen Alter sind <strong>der</strong><br />
Erhalt und die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Selbstständigkeit.<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen, die<br />
sich mit den Ursachen <strong>der</strong> Pflegebedürftigkeit<br />
und möglichen Präventionsstrategien beschäftigen,<br />
sind deshalb von beson<strong>der</strong>er Bedeutung.<br />
Ebenso relevant sind<br />
Forschungsvorhaben, die eine Verbesserung<br />
bestehen<strong>der</strong> Interventionsstrategien und die<br />
Entwicklung neuer übergreifen<strong>der</strong> Versorgungskonzepte<br />
nach dem Grundsatz „ambulant<br />
vor stationär“ verfolgen. Darüber hinaus<br />
stehen Pflegeforscher vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
offene Fragen zu beantworten, die sich<br />
mit den Folgen von steigen<strong>der</strong> (Multi-) Morbidität<br />
unter Pflegebedürftigen beschäftigen.<br />
Entlastung von Pflegebedürftigen<br />
und Pflegenden<br />
Der ambulanten häuslichen Pflege gilt ein<br />
beson<strong>der</strong>es Augenmerk. Viele Menschen in<br />
Deutschland wünschen sich, auch im Falle<br />
einer Pflegebedürftigkeit zuhause zu leben.<br />
Pflegende Angehörige sind oft stark beansprucht<br />
und zum Teil auch überlastet.<br />
Sie brauchen eine gezielte Begleitung, vor<br />
allem wenn sie zusätzlich noch für eine eigene<br />
Familie sorgen und berufstätig sind. Die<br />
familialen Ressourcen in <strong>der</strong> Pflege müssen<br />
gezielt gestärkt werden. Technische Assistenzsysteme<br />
können hier sinnvolle Lösungen<br />
zur Entlastung bieten. Durch die Forschungsför<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung werden Angebote<br />
entwickelt, die Technik und<br />
Dienstleistungen auf neue Weise miteinan<strong>der</strong><br />
kombinieren und so Pflegebedürftige, Angehörige<br />
und Pflegekräfte im Alltag unterstützen.<br />
Dabei entstehen Prozess- und Produktinnovationen,<br />
mit denen Pflegemaßnahmen erleichtert<br />
werden können, beispielsweise<br />
durch die Integration von neu- und weiterentwickelten<br />
Systemen zur automatischen<br />
Notfallerkennung, zur verbesserten Pflegedokumentation<br />
o<strong>der</strong> auch zur intelligenten Medikamentendosierung.<br />
Gezielt und<br />
verantwortungsvoll eingesetzt, unterstützen<br />
Assistenzsysteme Pflegebedürftige und tragen<br />
maßgeblich zu <strong>der</strong>en Selbstständigkeit<br />
und Sicherheit bei, etwa durch Lokalisierung,<br />
Navigation o<strong>der</strong> eine Erinnerungsfunktion.<br />
Darüber hinaus för<strong>der</strong>t die Bundesregierung<br />
Forschungsprojekte, die dazu beitragen, internationale<br />
Erfahrungen und Ansätze zur<br />
Optimierung des Praxishandelns in die familiale<br />
Pflege zu integrieren, und so neben an-<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
<strong>der</strong>en gewaltpräventiven Projekten einen<br />
wichtigen Beitrag zur Vermeidung problematischer<br />
Pflegebeziehungen leisten. Um Menschen<br />
auch dort begleiten zu können, wo<br />
an<strong>der</strong>e Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen,<br />
för<strong>der</strong>n wir zudem die Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
palliativen Versorgung. Dabei beachten wir<br />
beson<strong>der</strong>s die speziellen Bedürfnisse von Demenzkranken.<br />
Oberstes Gebot <strong>der</strong> gesamten<br />
Pflege- und Versorgungsforschung ist die<br />
Achtung <strong>der</strong> menschlichen Würde, Integrität<br />
und Privatsphäre.<br />
Gut qualifiziert und informiert<br />
für eine bessere Pflege<br />
In <strong>der</strong> Langzeitpflege sind <strong>der</strong>zeit mehr als<br />
890.000 Beschäftigte tätig. Zukünftig wird<br />
angesichts <strong>der</strong> wachsenden Nachfrage eine<br />
zusätzliche Zahl an Pflegekräften benötigt.<br />
Bereits jetzt entfaltet die Bundesregierung<br />
vielfältige Aktivitäten, um den künftigen Bedarf<br />
zu sichern. Wir werden auch durch die<br />
Pflegeforschung verstärkt dazu beitragen,<br />
dass das Berufs- und Beschäftigungsfeld <strong>der</strong><br />
Pflege mo<strong>der</strong>n, leistungsfähig und attraktiv<br />
weiterentwickelt wird.<br />
Fundiertes Wissen für die Praxis<br />
Forschung soll auch dazu beitragen, eine fundierte<br />
Wissensgrundlage für pflegerisches<br />
Handeln zu entwickeln. Ein effizientes und<br />
hochwertiges Versorgungssystem braucht<br />
den schnellen Transfer von wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen und Innovationen in die<br />
Praxis. Hier wird die Bundesregierung verstärkt<br />
Anstrengungen zur För<strong>der</strong>ung unternehmen.<br />
Aber nicht nur die professionellen<br />
Pflegekräfte, son<strong>der</strong>n auch die pflegenden<br />
Angehörigen sind auf fundiertes Wissen angewiesen.<br />
Die Bundesregierung unterstützt<br />
För<strong>der</strong>projekte, in <strong>der</strong>en Mittelpunkt gezielte<br />
Patienteninformationen und Schulungsprogramme<br />
zum Beispiel für chronisch Kranke<br />
stehen. Durch die Vermittlung von Wissen<br />
und Kompetenzen wird <strong>der</strong> eigenverantwortliche<br />
Umgang mit <strong>der</strong> eigenen Pflegesituation<br />
geför<strong>der</strong>t.<br />
III. Internationale Vernetzung<br />
<strong>der</strong> Forschungsagenda<br />
Die Entwicklung zu einer Gesellschaft des<br />
längeren Lebens vollzieht sich nicht nur in<br />
Deutschland. Der demografische Wandel ist<br />
auch in vielen an<strong>der</strong>en Industriestaaten<br />
schon heute Realität. Nicht zuletzt bei unseren<br />
europäischen Nachbarn sowie in Län<strong>der</strong>n<br />
wie Japan, Kanada und Korea ist die Bevölkerungsalterung<br />
bereits sehr fortgeschritten.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 17
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Im Einklang mit <strong>der</strong> Strategie <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
zur Internationalisierung von Wissenschaft<br />
und Forschung werden wir die<br />
nationalen För<strong>der</strong>schwerpunkte durch Kooperationen<br />
mit wichtigen Partnerlän<strong>der</strong>n<br />
und Institutionen innerhalb und außerhalb<br />
Europas ausbauen. So för<strong>der</strong>n wir den Austausch<br />
über Erfolgsmethoden (so genannte<br />
„best practices“), die Entwicklung gemeinsamer<br />
Ansätze und Maßnahmen, die Nutzung<br />
von Synergieeffekten sowie eine enge<br />
Verzahnung nationaler und internationaler<br />
Initiativen.<br />
Die Bundesregierung beteiligt sich aktiv an<br />
<strong>der</strong> Entwicklung des Europäischen Rahmenprogramms<br />
für Forschung und Innovation<br />
„Horizon 2020“. Mit ihm werden auf <strong>der</strong><br />
Basis <strong>der</strong> EU-Strategie „Europa 2020“ die<br />
Grundlagen für die nächsten Schritte in <strong>der</strong><br />
europäischen Zusammenarbeit geschaffen<br />
und auch gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen,<br />
die die weitere Entwicklung Europas und seiner<br />
Mitgliedsstaaten betreffen, thematisiert.<br />
Dabei bringen wir die von uns angeregte Gemeinsame<br />
Programmplanungs-Initiative<br />
„Mehr Jahre, Bessere Leben – Die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Potenziale des demografischen<br />
Wandels“ voran. Diese Initiative will<br />
die nationalen Forschungsaktivitäten <strong>der</strong> europäischen<br />
Staaten zum demografischen<br />
Privatpraxis<br />
Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Pries<br />
Internist, Kardiologe, Angiologe<br />
Praxis und Tagesklinik:<br />
Hermann-Aust-Straße 16<br />
Tel. 0 82 47 – 3 31 88<br />
Fax 0 82 47 – 33 44 71<br />
D-86825 Bad Wörishofen<br />
E-Mail: w.pries@web.de<br />
18 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Wandel koordinieren und damit effektiver<br />
und effizienter gestalten.<br />
Außerdem wird sich Deutschland weiter an<br />
<strong>der</strong> Gemeinsamen ProgrammplanungsInitiative<br />
zu neurodegenerativen Erkrankungen<br />
beteiligen und sich bei <strong>der</strong> Konzeption und<br />
Umsetzung von gemeinsamen europaweiten<br />
För<strong>der</strong>programmen für ein gesundes und unabhängiges<br />
Leben engagieren.<br />
Ziel unserer Forschungs- und Innovationskooperationen<br />
ist es, die Zusammenarbeit in<br />
Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu<br />
optimieren und Synergieeffekte zu erzeugen.<br />
Hierzu werden wir inhaltliche Anknüpfungspunkte<br />
identifizieren und mit den jeweiligen<br />
Partnern zusammen ausarbeiten und umsetzen.<br />
Dabei können auch Kooperationen über<br />
Europa hinaus hilfreich sein, insbeson<strong>der</strong>e<br />
mit Län<strong>der</strong>n, <strong>der</strong>en Gesellschaften ähnliche<br />
Alterungsprozesse durchlaufen.<br />
IV. Umsetzung <strong>der</strong><br />
Forschungsagenda<br />
Mit <strong>der</strong> vorliegenden Agenda will die Bundesregierung<br />
in den kommenden Jahren<br />
einen entscheidenden Impuls für Forschung<br />
und Entwicklung zum demografischen Wandel<br />
setzen. Ziel ist es, grundlegende Fragen<br />
<strong>der</strong> gesellschaftlichen Teilhabe älterer Men-<br />
schen zu erforschen und innovative Lösungen,<br />
einschließlich neuer Produkte und<br />
Dienstleistungen, für ein langes und gesundes<br />
Altern zu entwickeln.<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung stehen nicht<br />
technologische Einzelergebnisse, son<strong>der</strong>n die<br />
Umsetzung von innovativen Lösungen, die<br />
auch soziale, ethische, rechtliche und an<strong>der</strong>e<br />
gesellschaftliche Aspekte umfassen und zumeist<br />
von Nutzerbedürfnissen angetrieben<br />
werden. Geför<strong>der</strong>t werden vorrangig Verbundprojekte,<br />
die alle notwendigen Forschungsdisziplinen<br />
einbeziehen. Die Vergabe erfolgt im<br />
Wettbewerb, das heißt, ihr geht in <strong>der</strong> Regel<br />
eine öffentliche Bekanntmachung voraus, in<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> jeweilige Themenausschnitt und weitere<br />
spezielle Kriterien genannt werden.<br />
Die Forschungsagenda ist zunächst auf einen<br />
Zeitraum von fünf Jahren bis zum Ende des<br />
Jahres 2016 ausgerichtet. Sie soll am Ende<br />
<strong>der</strong> ersten För<strong>der</strong>periode evaluiert und gegebenenfalls<br />
nach einer Anpassung <strong>der</strong> operativen<br />
Ziele über das Jahr 2016 hinaus<br />
fortgesetzt werden.<br />
Herausgeber: Bundesministerium für Bildung<br />
und Forschung (BMBF)<br />
Referat Demograischer Wandel;<br />
Mensch-Technik-Kooperation<br />
53170 Bonn<br />
Keine Macht den Drogen e.V. und das Behördenmagazin bedanken sich für die Unterstützung
Bevölkerungsentwicklung<br />
und Bevölkerungspolitik<br />
Prof. Dr. Norbert F. Schnei<strong>der</strong><br />
Aktuell leben etwa sieben Milliarden Menschen<br />
auf <strong>der</strong> Erde. Die Weltbevölkerung<br />
wächst <strong>der</strong>zeit jährlich in einer Größenordnung,<br />
die annähernd <strong>der</strong> Einwohnerzahl<br />
Deutschlands entspricht. In den kommenden<br />
Dekaden wird die Weltbevölkerung weiter<br />
zunehmen, allerdings wird die Wachstumsrate<br />
deutlich sinken. Gegenwärtig findet das<br />
Wachstum <strong>der</strong> Weltbevölkerung vor allem auf<br />
<strong>der</strong> Südhalbkugel statt. Auf <strong>der</strong> Nordhalbkugel,<br />
insbeson<strong>der</strong>e in Europa und in einigen<br />
asiatischen Län<strong>der</strong>n, namentlich Südkorea<br />
und Japan, schrumpft dagegen die Bevölkerung.<br />
Im Zuge dieser Entwicklung wird <strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Bevölkerung Europas an <strong>der</strong> Weltbevölkerung<br />
weiter abnehmen. Bereits in den<br />
letzten vierzig Jahren hat er sich von damals<br />
zwanzig auf heute elf Prozent beinahe halbiert.<br />
Mit <strong>der</strong> Schrumpfung geht auch eine Alterung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung einher, die in einigen<br />
Län<strong>der</strong>n, wozu auch Deutschland zählt, beson<strong>der</strong>s<br />
rasch erfolgen wird. So wird das Medianalter<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung in Deutschland 1<br />
von heute etwa 45 Jahren in den kommenden<br />
vier Jahrzehnten voraussichtlich auf 52<br />
steigen. Das Medianalter <strong>der</strong> Weltbevölkerung<br />
beträgt zum Vergleich <strong>der</strong>zeit etwa 29<br />
Jahre, es wird sich bis 2050 laut Vorausberechnungen<br />
<strong>der</strong> Vereinten Nationen auf 38<br />
Jahre erhöhen.<br />
Die Bevölkerungsentwicklung ist ein vielschichtiger,<br />
beständig ablaufen<strong>der</strong> Prozess,<br />
<strong>der</strong> durch strukturelle (z.B.: wirtschaftliche<br />
und politische Situation) und kulturelle (z.B.:<br />
Verhaltensnormen, Geschlechterrollen) Faktoren<br />
sowie durch episodenhafte Ereignisse<br />
(z.B.: politische Umstürze, Epidemien) beeinflusst<br />
wird. Richtung, Tempo und Ausmaß <strong>der</strong><br />
Bevölkerungsentwicklung variieren zwischen<br />
Län<strong>der</strong>n, meist sind aber auch beträchtliche<br />
Divergenzen innerhalb von Län<strong>der</strong>n beobachtbar.<br />
So sind regelmäßig regionale Unterschiede,<br />
etwa zwischen städtischer und<br />
ländlicher Bevölkerung, und sozialstrukturelle<br />
Divergenzen etwa zwischen ethnischen<br />
Gruppen o<strong>der</strong> zwischen sozialen Milieus,<br />
feststellbar. Bevölkerungsentwicklung als Gesamtprozess<br />
ist die Folge des Zusammenwirkens<br />
<strong>der</strong> bestehenden Bevölkerungsstruktur<br />
mit drei demografischen Grundprozessen:<br />
dem Fertilitäts-, dem Mortalitäts- und dem<br />
Wan<strong>der</strong>ungsgeschehen. Einfluss hat zudem<br />
<strong>der</strong> Wandel <strong>der</strong> Familie.<br />
Häufig werden beim Thema Bevölkerungsentwicklung<br />
nur Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Größe<br />
und des Medianalters einer Bevölkerung in<br />
den Fokus gerückt. Solche Betrachtungen<br />
sind jedoch verkürzend. Die Bevölkerungsentwicklung<br />
umfasst alle Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Größe und <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Bevölkerung. Es<br />
geht um Fragen von Wachstum und Zusammensetzung<br />
einer Population sowie ihre Verteilung<br />
im Raum. Der Aufbau einer<br />
Bevölkerung wird neben <strong>der</strong> Altersstruktur<br />
wesentlich durch die Geschlechter- und die<br />
Bildungsstruktur, die ethnische Zusammensetzung,<br />
die Struktur <strong>der</strong> Haushalts- und Lebensformen<br />
sowie die regionale Verteilung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung bestimmt. Auch eine in ihrer<br />
Gesamtheit nach Alter und Größe stabile Bevölkerung<br />
kann sich somit rasch wandeln,<br />
etwa indem Binnenwan<strong>der</strong>ungen zu einer<br />
merklichen Umverteilung <strong>der</strong> Bevölkerung im<br />
Raum führen o<strong>der</strong> ein Wandel in <strong>der</strong> Bildungsbeteiligung<br />
die sozialstrukturelle Zusammensetzung<br />
verän<strong>der</strong>t.<br />
Seit dem Altertum befassen sich Menschen<br />
mit dem Zusammenhang von Bevölkerungswachstum<br />
und gesellschaftlicher Wohlstandsentwicklung.<br />
Grob sortiert lassen sich<br />
die meisten dieser Betrachtungen als Varianten<br />
auf einer Dimension verorten. Je nach<br />
theoretischer Perspektive wird das (weitere)<br />
Wachstum <strong>der</strong> Bevölkerung als notwendige<br />
Voraussetzung für die Wohlstandsentwicklung<br />
einer Gesellschaft gesehen – o<strong>der</strong> als<br />
<strong>der</strong>en hauptsächliche Bedrohung. Über Richtung<br />
und Intensität <strong>der</strong> Relation bestehen unterschiedliche<br />
Auffassungen, aber stets wird<br />
ein Zusammenhang unterstellt. Wissenschaftlich<br />
exakt ist dies bislang jedoch nicht<br />
nachgewiesen worden. Es existiert keine belastbare<br />
empirische Evidenz, dass ein unmittelbarer<br />
Zusammenhang zwischen<br />
Bevölkerungswachstum und Wohlstandsentwicklung<br />
besteht. Grundsätzlich kann von<br />
hochkomplexen Wirkungszusammenhängen<br />
zwischen Bevölkerungs- und Gesellschaftsentwicklung<br />
ausgegangen werden, wobei<br />
neben wirtschaftlichen vor allem kulturelle,<br />
soziologische und psychologische Faktoren<br />
bedeutsam sind. Mithin sind die immer wie<strong>der</strong><br />
anzutreffenden Überlegungen über optimale<br />
Bevölkerungsgrößen o<strong>der</strong> über die<br />
Tragfähigkeitsgrenze <strong>der</strong> Erde obsolet. Wir<br />
wissen heute, dass nicht in erster Linie die<br />
Zahl, son<strong>der</strong>n das Verhalten <strong>der</strong> Menschen<br />
den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung<br />
und Prosperität wesentlich mo<strong>der</strong>iert.<br />
Verstärkt wird in <strong>der</strong> Gegenwart <strong>der</strong><br />
Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />
einer Bevölkerung und <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Entwicklung thematisiert. Hierbei<br />
finden die Bildungs- und Altersstruktur beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmerksamkeit. Im Hinblick auf die<br />
Altersstruktur wird meist davon ausgegan-<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 19
gen, dass im Zuge einer voranschreitenden<br />
Alterung die Innovationskraft einer Bevölkerung<br />
abnimmt und alternde Bevölkerungen<br />
im globalen Wettbewerb gegenüber jüngeren<br />
zurückfallen. Diese Position ist weit verbreitet,<br />
jedoch ebenfalls ohne ausreichende empirische<br />
Evidenz. Nicht belegt ist, ob die<br />
Innovationsfähigkeit gut ausgebildeter und<br />
weithin gesun<strong>der</strong> älterer Menschen tatsächlich<br />
signifikant geringer ist. Als sicher kann<br />
gelten, dass das Marktpotential älter werden<strong>der</strong><br />
Industriegesellschaften bislang systematisch<br />
unterschätzt wird. Große Kohorten<br />
materiell gut situierter älterer Menschen<br />
haben eine enorme Kaufkraft und können mit<br />
ihren spezifischen Bedürfnissen zur Entwicklung<br />
neuer Märkte und damit auch zu einer<br />
hohen gesellschaftlichen Innovationskraft<br />
beitragen.<br />
Im Hinblick auf die Auswirkungen <strong>der</strong> Bildungsstruktur<br />
und damit auch <strong>der</strong> sozialstrukturellen<br />
Zusammensetzung von Bevölkerungen<br />
auf die gesellschaftliche Entwicklung<br />
sind zwei Diskurse erkennbar. Beim einen<br />
besteht weithin Einigkeit, dass Bildungsinvestitionen<br />
sinnvoll und lohnend sind. Umstritten<br />
ist jedoch, wie diese Investitionen am besten<br />
getätigt werden können. Einige Experten argumentieren,<br />
dass Bildungsinvestitionen<br />
einen höheren Ertrag erbringen, wenn sie in<br />
die Breite fließen und eine grundständige Bildung<br />
für alle zum Ziel haben, an<strong>der</strong>e dagegen<br />
auf Elitenför<strong>der</strong>ung. Der zweite Diskurs ist<br />
unter dem Stichwort „Vermeidung von Dequalifizierung“<br />
mit zwei Themen befasst.<br />
Beim ersten Thema geht es um qualitative Zuwan<strong>der</strong>ung,<br />
also um mögliche staatliche Strategien,<br />
die Zuwan<strong>der</strong>ung von Menschen mit<br />
erwünschten Qualifikationen und Kenntnissen<br />
gezielt zu för<strong>der</strong>n, beim zweiten um die<br />
Frage, ob „die Falschen die Kin<strong>der</strong> bekommen“.<br />
Hintergrund dieser Position ist die Annahme,<br />
dass sich Kin<strong>der</strong> aus sozial schwachen<br />
Milieus nicht in dem Maße zu Leistungserbringern<br />
entwickeln werden wie an<strong>der</strong>e Kin-<br />
20 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
<strong>der</strong>. Dieser Zusammenhang ist, soweit er empirische<br />
Evidenz besitzt, politisch beeinflussbar<br />
und kann durch gezielte Bildungs- und<br />
För<strong>der</strong>initiativen abgeschwächt werden.<br />
Damit verliert diese Frage, jenseits ihrer ethischen<br />
Problematik, auch an Plausibilität.<br />
Versuche, die Bevölkerungsentwicklung durch<br />
politisches Handeln gezielt zu beeinflussen,<br />
sind Teil <strong>der</strong> menschlichen Zivilisationsgeschichte.<br />
Sie waren meist durch Annahmen<br />
motiviert, dass Politik unmittelbar Einfluss auf<br />
die Bevölkerungsentwicklung nehmen kann<br />
und dass ein Wachstum <strong>der</strong> Bevölkerung die<br />
gesamtstrategische und regionalpolitische<br />
Bedeutung einer Nation stärkt und ihre Wohlstandsposition<br />
verbessert.<br />
Entgegen <strong>der</strong> Annahme<br />
einer unmittelbaren<br />
Einflussnahme verlaufen<br />
demografische Entwicklungen<br />
meist<br />
langfristig. Sie beruhen<br />
auf stabilen Zusammenhängen<br />
und Abläufen<br />
o<strong>der</strong> folgen, wie<br />
generative Entscheidungen,<br />
recht stabilen<br />
Handlungsmustern und<br />
Präferenzstrukturen.<br />
Jedoch sind sie nicht<br />
schicksalhaft determiniert<br />
und stehen daher politischer Einflussnahme<br />
prinzipiell offen. Allerdings kann nicht<br />
davon ausgegangen werden, dass Einflussversuche<br />
kurzfristig signifikante Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung hervorrufen;<br />
auch sind unmittelbare Effekte singulärer<br />
Maßnahmen selten zu erwarten. Politische<br />
Akteure in mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften<br />
sind mithin gehalten anzuerkennen, dass nur<br />
längerfristig ausgerichtete Handlungsstrategien<br />
geeignet sind, angestrebte Verän<strong>der</strong>ungen<br />
zu zeitigen.<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Entwicklung und Etablierung demografiepolitischer<br />
Handlungsstrategien ist<br />
zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsentwicklung<br />
einem speziellen Trägheitseffekt,<br />
dem „demografischen Momentum“, unterliegt,<br />
da demografische Handlungsweisen<br />
früherer Kohorten die weitere Entwicklung<br />
einer Bevölkerung langfristig auch dann beeinflussen,<br />
wenn sich das Verhalten jüngerer<br />
Kohorten grundlegend verän<strong>der</strong>t hat. So können<br />
Bevölkerungen trotz eines Anstiegs <strong>der</strong><br />
Geburtenrate schrumpfen. Dies kann, jenseits<br />
von Wan<strong>der</strong>ungsverlusten, dann geschehen,<br />
wenn zahlenmäßig kleine Elterngenerationen,<br />
trotz erhöhter Geburtenraten, im Vergleich<br />
zu den Großelternkohorten kleinere<br />
Kin<strong>der</strong>kohorten hervorbringen.<br />
Staatliches Handeln im Bereich <strong>der</strong> Bevölkerungspolitik,<br />
das zeigen die historischen Erfahrungen,<br />
ist missbrauchsgefährdet. Daher<br />
sind die Ziele, Strategien und Maßnahmen<br />
bevölkerungspolitischen Handelns im gesellschaftlichen<br />
Konsens zu entwickeln. Vor dem<br />
Hintergrund <strong>der</strong> Beschlüsse zur Weltbevölkerungsentwicklung<br />
auf <strong>der</strong> Ersten und <strong>der</strong><br />
Dritten Weltbevölkerungskonferenz, die 1974<br />
in Bukarest und 1994 in Kairo stattfanden,<br />
stellt sich freilich die Frage, ob Staaten überhaupt<br />
legitimiert sind, aktiv auf die Bevölkerungsentwicklung<br />
einzuwirken. Mit dem<br />
„World Population Plan of Action“ wurde<br />
1974 beschlossen, dass alle Paare und Individuen<br />
das Recht auf freie Entscheidung über<br />
Anzahl und Altersunterschied ihrer Kin<strong>der</strong><br />
haben. Das heißt, die Entscheidung für Kin<strong>der</strong><br />
obliegt allein <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Paare<br />
und darf nicht durch staatliche Institutionen<br />
zielgerichtet beeinflusst werden. Einige Län<strong>der</strong><br />
lehnen deshalb eine explizite Fertilitätspolitik<br />
ab.<br />
1994 wurde zudem festgestellt, dass bevölkerungsbezogene<br />
Ziele und Politiken integrale<br />
Bestandteile <strong>der</strong> kulturellen,<br />
ökonomischen und sozialen Entwicklung<br />
eines Landes sind. Es heißt weiter, dass als
allgemeines Ziel bevölkerungspolitischen<br />
Handelns die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
<strong>der</strong> Menschen und nicht die Erreichung<br />
einer für wünschenswert erachteten Größe<br />
o<strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Bevölkerung anzusehen ist.<br />
Die Beschlüsse mahnen zur politischen Zurückhaltung,<br />
bedeuten jedoch auch, dass Bevölkerungspolitik<br />
als eine Kernaufgabe von<br />
Politik gesehen werden kann.<br />
Bezogen auf die gegenwärtige demografische<br />
und bevölkerungspolitische Situation in<br />
Deutschland stellen sich vornehmlich zwei<br />
Fragen: Erstens: Ist eine aktive und zielgerichtete<br />
Steuerung <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
legitim und wünschenswert? Zweitens:<br />
Soll bevölkerungspolitisches Handeln eine<br />
Anpassung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Strukturen<br />
an den demografischen Wandel anstreben<br />
o<strong>der</strong> versuchen, die Bevölkerungsentwicklung<br />
so zu beeinflussen, dass die bestehenden<br />
gesellschaftlichen Strukturen und<br />
Institutionen stabilisiert werden?<br />
Ein völliger Verzicht auf bevölkerungspolitisches<br />
Handeln, so können die aktuellen Positionen<br />
zusammenfassend interpretiert<br />
werden, scheint nicht angeraten – das gilt<br />
global, national und regional. Aus heutiger<br />
Sicht scheinen indirekte Formen <strong>der</strong> Beeinflussung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung adäquater<br />
zu sein als direkte Maßnahmen. Ihre<br />
Ziele sind es, durch die Gestaltung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen indirekt<br />
auf Handlungsweisen einzuwirken sowie die<br />
wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen<br />
Strukturen an die Dynamik <strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung<br />
anzupassen und so <strong>der</strong>en Folgen<br />
besser bewältigen zu können. Es steht also<br />
nicht primär die „Anpassung“ <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
an vorhandene Strukturen, son<strong>der</strong>n die<br />
angemessene Adaption <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Strukturen an den Wandel <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
im Fokus. Allgemeines Ziel kann es sein,<br />
die Wahlfreiheit <strong>der</strong> Lebensführung sicherzustellen.<br />
Konkretes Handlungsziel hierfür ist<br />
die Beseitigung jener (Infra-)Strukturen, die<br />
diese Wahlfreiheit in unerwünschter Weise<br />
einschränken, um auf diesem Wege die Lebensqualität<br />
<strong>der</strong> Menschen zu erhöhen.<br />
Ausgangspunkt und Grundlage einer mo<strong>der</strong>nen<br />
Bevölkerungspolitik sind Erkenntnisse,<br />
die sich aus <strong>der</strong> langfristigen demografischen<br />
Entwicklung ableiten lassen. Dazu gehört die<br />
Feststellung, dass <strong>der</strong> demografische Wandel<br />
nicht auf Wachstum und Schrumpfung <strong>der</strong><br />
Bevölkerung reduzierbar ist und Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
ebenfalls relevant sind. Eine erfolgversprechende<br />
Bevölkerungspolitik ist also nicht vordringlich<br />
auf Fragen <strong>der</strong> Quantität, son<strong>der</strong>n<br />
auch auf Fragen <strong>der</strong> „Qualität“ und beson<strong>der</strong>s<br />
des Verhaltens <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> einer Bevölkerung<br />
auszurichten. Im Zentrum einer<br />
darauf fokussierten Politik kann eine weitere<br />
För<strong>der</strong>ung von Bildung und Ausbildung <strong>der</strong><br />
Menschen mit dem Ziel stehen, die Individuen<br />
auf diese Weise zu befähigen, sich zu<br />
ihrem eigenen Wohlbefinden möglichst gut<br />
in die Gesellschaft zu integrieren und damit<br />
auch zur kollektiven Wohlstandssteigerung<br />
beizutragen.<br />
Mo<strong>der</strong>ne und schrumpfende Gesellschaften<br />
sind gehalten, über Zuwan<strong>der</strong>ungen ebenso<br />
nachzudenken wie dafür Sorge zu tragen,<br />
dass nicht, wie dies gegenwärtig in Deutschland<br />
<strong>der</strong> Fall ist, erhebliche Teile <strong>der</strong> nachwachsenden<br />
Geburtskohorten aufgrund<br />
sogenannter fehlen<strong>der</strong> „Ausbildungsreife“<br />
langfristig nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung<br />
stehen werden. Derzeit hat etwa<br />
je<strong>der</strong> sechste junge Erwachsene in Deutschland<br />
keinen Berufs- o<strong>der</strong> Ausbildungsabschluss,<br />
und es ist zu befürchten, dass sich<br />
viele dieser Personen zu dauerhaften Leistungsempfängern<br />
am Rande <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
entwickeln werden. Darin besteht möglicherweise<br />
ein größeres Problem als in <strong>der</strong> Dynamik<br />
<strong>der</strong> Schrumpfung. Das Phänomen <strong>der</strong><br />
mangelhaften Ausbildungsreife ist nicht neu;<br />
neu ist, dass für diese Personen aufgrund des<br />
großflächigen Wegfalls von Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
für „Ungelernte“ kaum noch<br />
Arbeitsplätze angeboten werden.<br />
Beim Thema Zuwan<strong>der</strong>ung ist festzuhalten,<br />
dass Migrationspolitik immanenter Bestandteil<br />
einer mo<strong>der</strong>nen Bevölkerungspolitik ist.<br />
Sie kann mit dem Ziel betrieben werden, den<br />
Standort Deutschland beson<strong>der</strong>s für Hochqualifizierte<br />
attraktiver zu machen. Hierbei<br />
bestehen erhebliche Spielräume. Ziel von Migrationspolitik<br />
kann es nicht sein, die<br />
Schrumpfung und Alterung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
in Deutschland durch intensive Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
zu stoppen, sie kann diese Entwicklungen nur<br />
abmil<strong>der</strong>n. Dies verdeutlicht ein Blick auf die<br />
zur Stabilisierung <strong>der</strong> Bevölkerungszahl erfor<strong>der</strong>liche<br />
rechnerische Netto-Zuwan<strong>der</strong>ung.<br />
Sie liegt für die kommenden fünfzig Jahre<br />
jährlich bei 350 bis 400 Tausend Personen.<br />
Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> jährlichen Abwan<strong>der</strong>ung<br />
in Höhe <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Größenordnung<br />
wären bis zum Jahr 2060 insgesamt<br />
etwa 40 Millionen Zuwan<strong>der</strong>er erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Deutliche Spuren wird <strong>der</strong> demografische<br />
Wandel in Deutschland im Hinblick auf regionale<br />
Disparitäten entfalten. Die von<br />
Schrumpfung beson<strong>der</strong>s betroffenen Regionen<br />
Ostdeutschlands werden innerhalb eines<br />
Vierteljahrhun<strong>der</strong>ts einen Bevölkerungsrückgang<br />
von zum Teil über 40 Prozent erfahren.<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Diese Entwicklungen werden eine Neubestimmung<br />
des Begriffs <strong>der</strong> „Gleichwertigkeit<br />
<strong>der</strong> Lebensverhältnisse“ und eine Neugestaltung<br />
<strong>der</strong> staatlichen „Daseinsvorsorge“ erfor<strong>der</strong>lich<br />
machen. Angesichts <strong>der</strong><br />
bevorstehenden Schrumpfung wird in einigen<br />
Regionen die Grundversorgung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
mit sozialen Infrastrukturen nicht<br />
mehr in bisheriger Weise flächendeckend sichergestellt<br />
werden können. Antworten auf<br />
die Fragen eines sozialverträglichen Rückbaus<br />
und eines tendenziellen Rückzugs des<br />
Staates aus <strong>der</strong> Fläche werden gefunden<br />
werden müssen.<br />
Mo<strong>der</strong>ne Gesellschaften können auf bevölkerungspolitische<br />
Maßnahmen nicht verzichten,<br />
solche Maßnahmen sind jedoch achtsam<br />
zu entwickeln und einzusetzen, um <strong>der</strong> Gefahr<br />
des Missbrauchs zu begegnen.<br />
Die Bevölkerung in Deutschland wird aller<br />
Voraussicht nach rasch schrumpfen. Allerdings<br />
ist damit zu rechnen, dass gegen 2040<br />
eine Bevölkerungsgröße erreicht wird, die <strong>der</strong><br />
des Jahres 1960 entspricht. Es wird also im<br />
Hinblick auf die Bevölkerungsgröße kein Neuland<br />
betreten. Schrumpfung ist per se keine<br />
substanzielle Bedrohung. Sie hat womöglich<br />
sogar positive Begleiterscheinungen, etwa<br />
größere gesellschaftliche Teilhabechancen für<br />
den Einzelnen. Bedrohungs- o<strong>der</strong> gar Katastrophenszenarien,<br />
wie sie zahlreich kursieren,<br />
sind im Hinblick auf die Größe <strong>der</strong><br />
Bevölkerung nicht angebracht. Der demografische<br />
Wandel, wie er gegenwärtig in<br />
Deutschland stattfindet, stellt beson<strong>der</strong>s hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Alterung und <strong>der</strong> starken regionalen<br />
Disparitäten eine große<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung dar, die es anzunehmen und<br />
zu bewältigen gilt. Falsch wäre es, die Wucht<br />
und Dynamik <strong>der</strong> zukünftigen Entwicklungen<br />
zu unterschätzen o<strong>der</strong> gar zu ignorieren.<br />
Wenn es gelingt, passende Antworten auf die<br />
Folgen <strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung für<br />
Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Sozialstatt und Zivilgesellschaft<br />
durch aktiv gestaltendes<br />
staatliches, bürgerschaftliches und privatwirtschaftliches<br />
Handeln zu finden, dann beinhaltet<br />
<strong>der</strong> demografische Wandel auch die<br />
Chance zur zukunftsorientierten gesellschaftlichen<br />
Fortentwicklung Deutschlands.<br />
1 Das Alter, das die Bevölkerung in eine jüngere und in<br />
eine ältere Hälfte teilt<br />
Norbert F. Schnei<strong>der</strong><br />
Professor für Soziologie;<br />
Direktor des Bundesinstitutes für<br />
Bevölkerungsforschung<br />
Friedrich-Ebert-Allee 4, 65185 Wiesbaden<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 21
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Demografiepolitik<br />
Prof. Dr. Tilman Mayer<br />
Demografiepolitik stellt ein neu entstandenes<br />
Politikfeld (policy) dar, mit dem auf verschiedenen<br />
Ebenen – Bund, Land, Kommunen –<br />
und in verschiedenen Ressorts auf die demografischen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen geantwortet<br />
werden soll.<br />
Eine Antwort auf Bundesebene ist <strong>der</strong> seit<br />
Oktober 2011 verliegende „Bericht <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
zur demografischen Lage und<br />
künftigen Entwicklung des Landes“. Dem Bericht<br />
folgt im Frühjahr des Jahres 2012 ein<br />
Vorschlag für eine Demografiestrategie.<br />
Im „Ausblick“ des Berichts heißt es: „Die<br />
Bundesregierung versteht ihren Demografiebericht<br />
und – darauf aufbauend – die Demo-<br />
22 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
grafiestrategie als Beiträge zur Entwicklung<br />
einer ebenenübergreifenden Demografiepolitik<br />
für Deutschland und zu einer insgesamt<br />
nachhaltigen Entwicklung. Sie wird ausgehend<br />
von <strong>der</strong> bestehenden Zusammenarbeit<br />
im Rahmen ihrer Demografiestrategie auch<br />
Vorschläge unterbreiten, wo und in welcher<br />
Form eine zusätzliche ebenen- und maßnahmenübergreifende<br />
Koordinierung in Bezug<br />
auf Handlungsfel<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich ist.“ 1 Weiter<br />
heißt es dort programmatisch richtig, Demografiepolitik<br />
sei eine „langfristige Gestaltungsaufgabe“<br />
(ebd.).<br />
Wer den Begriff Demografiepolitik verwendet,<br />
erkennt an, dass Politik auf den demografischen<br />
Wandel Einfluss nehmen kann und<br />
muss. Wie groß dieser Einfluss ist, bleibt aus<br />
wissenschaftlicher Sicht seit Jahrzehnten umstritten<br />
und hängt zudem auch vom jeweils<br />
anstehenden Konzept ab. Mit dem Begriff <strong>der</strong><br />
Demografiepolitik wird jedenfalls zum Ausdruck<br />
gebracht, dass Politik sich nicht länger<br />
neutral o<strong>der</strong> in Distanz zum demografischen<br />
Prozess verstehen kann. Auch nichts zu tun<br />
wäre eine Entscheidung.<br />
Deshalb hält die Bundesregierung in dem erwähnten<br />
„Ausblick“ des Demografieberichtes<br />
fest: „Um die Chancen des demo -<br />
grafischen Wandels zu nutzen und die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
positiv zu gestalten, wird<br />
die Bundesregierung ihre demografiepolitischen<br />
Aktivitäten mit einer Demografiestrategie<br />
(…) ressortübergreifend koordinieren.“<br />
2<br />
Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen,<br />
Demografiepolitik zu betreiben: Eine gestalterische<br />
und anpassende Strategie. Die Strategien<br />
unterscheiden sich dabei grob nach<br />
•<br />
•<br />
•<br />
dem zeitlichen Horizont ihrer Ziele und<br />
Maßnahmen<br />
den ihnen zugrunde liegenden „Vorstellungen“<br />
von <strong>der</strong> politischen Wirkungskraft<br />
und Reichweite sowie<br />
den institutionellen und organisatorischen<br />
Konsequenzen.<br />
Eine gestalterische Demografiepolitik versucht,<br />
auf den demografischen Prozess proaktiv<br />
einzuwirken, ungeachtet <strong>der</strong> Frage, in<br />
wieweit Politik dazu in <strong>der</strong> Lage ist. Das legt<br />
den Akzent auf die Einflussnahme auf den<br />
demografischen Wandel, auf dessen Gestaltung<br />
und nimmt die demografischen Entwicklungen<br />
als Ganzes in den Blick. Eine<br />
gestalterische Demografiepolitik ist im Zweifel<br />
optimistisch, was die mittel- o<strong>der</strong> langfristigen<br />
Effekte eines <strong>der</strong>artigen Politikansatzes<br />
angeht, und nimmt die Entwicklungen nicht<br />
als Schicksal hin. Die gestaltende Demografiepolitik<br />
impliziert eine Generationenpolitik,<br />
die sich in diesen langen Zeiträumen abspielen<br />
muss. 3 Diese Vorgabe setzt eine strategische<br />
Herangehensweise – eine Demografiestrategie<br />
(s.u.) – voraus, d.h. es gilt,<br />
Ziele zu setzen, die in diesem Wandlungsprozess<br />
erreicht werden sollen. Die Ziele können<br />
auch in einer Korrektur von bisherigen Entwicklungen<br />
liegen. So wären Ziele etwa, das<br />
Geburtendefizit deutlich zu reduzieren, eine<br />
stabile Zahl von Zuwan<strong>der</strong>ern zu erreichen,<br />
angepasst an den Alterungsprozess die Lebensarbeitszeit<br />
auszuweiten sowie gleichzeitig<br />
im sinkenden Anteil jüngerer Menschen<br />
eine höhere Bildungsbeteiligung zu erreichen.<br />
Eine Demografiepolitik, die weniger korrektiv-gestalterisch<br />
angelegt ist, beschränkt sich<br />
an<strong>der</strong>erseits weitgehend darauf, anpassungsbezogene<br />
Prozesse zu initiieren, also in<br />
schrumpfenden Räumen den sogenannten<br />
Rückbau zu bewerkstelligen, die Verwaltung<br />
vor Ort mobil zu machen, Infrastruktureinrichtungen<br />
und Versorgungssysteme zu konzentrieren,<br />
Daseinsvorsorge auch weiterhin<br />
zu ermöglichen u.a.m. Eine solche Herangehensweise<br />
geht auf die aktuellen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
ein, analysiert treffend den Verlauf<br />
des demografischen Wandels und widmet<br />
sich <strong>der</strong> konkreten Machbarkeit in kurz- bis<br />
mittelfristiger Perspektive. Das strategische<br />
Vorgehen bedeutet in diesem Fall stärker das<br />
Koordinieren von Maßnahmen. 4<br />
Man kann also bei <strong>der</strong> Demografiepolitik unterscheiden<br />
zwischen
1<br />
2<br />
einer Langfristpolitik, die sozusagen regenerativ<br />
angelegt ist, eine pronatalistische<br />
Komponente enthält,<br />
bildungspolitisch anspruchsvoll angelegt<br />
ist, Migrationssteuerung mit qualitativen<br />
Erwartungen zu betreiben sucht,<br />
und<br />
einer Politik auf Sicht, die mehr mit Anpassungsfragen,<br />
Verwaltung des Wandels,<br />
Vorbereitung auf Rückbaumaßnahmen<br />
beschäftigt ist.<br />
Exkurs: Unstrittig ist die klare Abgrenzung<br />
<strong>der</strong> Demografiepolitik von einer Bevölkerungspolitik.<br />
Bevölkerungspolitik besteht<br />
jenseits rechtsstaatlich vertretbarer Maßnahmen<br />
auf Interventionen, etwa in <strong>der</strong><br />
Form von Abtreibungsverboten, <strong>der</strong> Begrenzung<br />
freier Partnerwahl und weiterer<br />
qualitativer Eingriffe, die im Sinne einer<br />
Eugenik oktroyiert werden. Bevölkerungspolitik<br />
zielt eindeutig auf das Wachstum<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung insgesamt – während<br />
Demografiepolitik schon erfolgreich wäre,<br />
würde es ihr gelingen, auch nur den<br />
Schumpfungsprozess mittelfristig aufzufangen<br />
o<strong>der</strong> abzubremsen. Die Sache <strong>der</strong><br />
Bevölkerungspolitik ist in Deutschland<br />
aufgrund <strong>der</strong> Politik des Dritten Reiches<br />
und als inhaltliches Konzept ohnehin nicht<br />
vertretbar.<br />
Nun kommt <strong>der</strong> Bundesregierung <strong>der</strong> Verdienst<br />
zu, einen Demografiebericht vorgelegt<br />
zu haben, <strong>der</strong> den demografischen Ist-Zustand<br />
überhaupt erfasst und eine verantwortungsvolle<br />
Sammlung einschlägiger Daten<br />
aufbereitet.<br />
Da aus dem Bericht eine Demografiestrategie<br />
entwickelt werden soll, seien deshalb zur<br />
weiterführenden Lageanalyse und Erkenntnisgewinnung<br />
unter strategischen Gesichtspunkten<br />
folgende identifiziert:<br />
Den größten Umfang des Berichts nehmen<br />
Anpassungsstrategien ein, die aufzeigen,<br />
welche Maßnahmen vor Ort erledigt werden<br />
sollten, um weiterzukommen.<br />
Auffallend ist aber auch eine Mobilisierungsstrategie,<br />
d.h. ein mehrfacher Appell an die<br />
Gesellschaft, dass aus ihr heraus Initiativen<br />
erfolgen müssen, um den Wandel bewältigen<br />
zu können. Der Rückzug des Staates als Leistungsverwaltung<br />
5 ist an vielen Stellen realistischerweise<br />
angekündigt.<br />
Deutlich kritisch ist allerdings doch anzumerken,<br />
dass eine eigentliche Korrekturstrategie,<br />
<strong>der</strong> man sich verschreiben muss, nicht ohne<br />
weiteres bisher erkennbar ist. Natürlich lässt<br />
sich über das Ausmaß korrigieren<strong>der</strong> Eingriffe<br />
diskutieren, auch im Parteienwettbewerb.<br />
Nur dürfte es kaum nachvollziehbar sein,<br />
dass zwar eine Lageanalyse vorgenommen<br />
wird, dann aber aus <strong>der</strong> Lage keine sachadäquate<br />
Konsequenz in <strong>der</strong> beanspruchten strategischen<br />
Dimension vollzogen wird. Die<br />
Bundesregierung muss vielmehr nachdrücklich<br />
ermutigt werden, die Kraft zu diesem<br />
Neuansatz aufzubringen. Die Opposition<br />
sollte bei dieser elementaren Aufgabe ihrerseits<br />
die Chance nutzen, konstruktiv und<br />
kreativ den Prozess zu beför<strong>der</strong>n.<br />
Wie lässt sich <strong>der</strong> Spielraum – im engeren<br />
und im weiteren Sinne – entwickeln bzw. unterscheiden,<br />
den eine Demografiepolitik politisch<br />
neu eröffnet? Folgende<br />
Differenzierung bietet sich an: Integration<br />
des Politikfeldes, als zusätzliches (Querschnitts-)Politikfeld<br />
und als eigenständiges<br />
Politikfeld.<br />
Demografiepolitik lässt sich in die bestehenden,<br />
themenverwandten Politikfel<strong>der</strong> integrieren.<br />
Alle Ressorts betreiben dann<br />
Demografiepolitik, so wie Umweltpolitik früher<br />
einmal überall verteilt war. Der integrative<br />
Ansatz hätte den Vorteil, dass viele von<br />
dem neuen Politikansatz profitieren könnten.<br />
Mit einem zusätzlichen Politikfeld Demografiepolitik<br />
täte sich ein Ansatz auf, <strong>der</strong> die bestehenden<br />
Politikfel<strong>der</strong> um ein Neues<br />
ergänzte. Es ließe sich eine Art arbeitsteilige<br />
Herangehensweise feststellen. Allerdings mit<br />
<strong>der</strong> Gefahr, dass <strong>der</strong> Querschnittscharakter<br />
den Herausfor<strong>der</strong>ungen des Demografieprozesses<br />
nicht gewachsen ist.<br />
Eine avancierte Position von Demografiepolitik<br />
würde das Politikfeld als organisatorisch<br />
eigenständiges konzipieren. Das bedeutet,<br />
das Politikfeld würde auch institutionell eine<br />
Konzentration <strong>der</strong> Beobachtungs- und Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
als allein zielführend ansehen.<br />
Letztlich verlangte dieser Ansatz auch<br />
haushalterisch eine Kompetenzzuschreibung.<br />
Familien-, Frauen-, Jugend-, Alten-, Generationen-,<br />
Emanzipations-, Gleichstellungs-, Integrations-,<br />
Migrationspolitik u.a.m. sind die<br />
– sicherlich gut vertretbaren, spezifisch sinnvollen<br />
und hier unbestritten- unterschiedlichen<br />
Ansätze (und Bezeichnungen von<br />
Ministerien), die nun von einer Demografiepolitik<br />
überwölbt werden. Es kommt nicht zu<br />
einem Einschmelzen <strong>der</strong> für wichtig erachteten<br />
Politikansätze. Der Neuansatz bedeutet,<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
dass man eine Art Superversion aufbaut, die<br />
nötig ist, um dem Wandlungsprozess gewachsen<br />
zu sein.<br />
Eine demografiepolitische Agenda umfasst<br />
mindestens die folgenden bereits diskutierten<br />
Maßnahmen und Ziele:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Verlängerung <strong>der</strong> Lebensarbeitszeit,<br />
gesundheitsgestützte Erhöhung <strong>der</strong><br />
Leistungsfähigkeit Älterer im Erwerbsleben,<br />
Weiter- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>beschäftigung von<br />
Eltern in/nach Erziehungsphasen,<br />
mehr Angebote von höherer Teilzeitbeteiligung<br />
im Erwerbsleben durch Erziehende,<br />
Anwerbung hochqualifizierter Migranten<br />
(Fachkräftesicherung),<br />
höhere Anerkennung von Erziehungsleistungen<br />
in <strong>der</strong> Alterssicherung,<br />
alterssicherungsbezogener Ausbau von<br />
Rückstellungen (Pensionen).<br />
Machbarkeit<br />
Essentials einer<br />
Demografiepolitik<br />
Zwar werden Linien z.B. aus <strong>der</strong> Familienpolitik<br />
und vielen weiteren Politikfel<strong>der</strong>n ausgezogen,<br />
die schon angelegt sind, aber<br />
Demografiepolitik – zumindest im Sinne<br />
einer Synopse gedacht – führt zusammen,<br />
was bisher getrennt voneinan<strong>der</strong> verhandelt<br />
und betrieben wurde. Die Machbarkeit ist<br />
nicht das Problem.<br />
Kompetenz<br />
Es muss Politiker geben, die den demografischen<br />
Wandel überschauen können.<br />
Ebenen<br />
Eine Demografiepolitik erfasst die ganze Bevölkerung<br />
und ist deshalb auf <strong>der</strong> Bundesebene<br />
erfor<strong>der</strong>lich zu entfalten. Zugleich<br />
werden auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> und<br />
<strong>der</strong> Kommunen demografiepolitische Konzepte<br />
und Programm bereits aufgelegt.<br />
Erfahrung<br />
Aus den bestehenden Politikfel<strong>der</strong>n können<br />
Erfahrungen eingebracht werden, wobei<br />
zweifelsfrei die meisten demografierelevanten<br />
Erfahrungen im Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorliegen<br />
dürften. Zusätzliche Kenntnisse in den<br />
Bereichen Alterung, Migration und das dazu-<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 23
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
gehörende politisch-gouvernementale, operative<br />
Wissen lassen sich organisieren.<br />
Messbarkeit des Erfolgs<br />
Erfolge im demografischen Wandel, <strong>der</strong> gar<br />
seitens <strong>der</strong> Politik bedingt sein soll, messen<br />
zu wollen, ist nicht einfach. Ein Erfolgsset<br />
dürfte das Folgende sein, das graduell unterschiedlich<br />
stark in <strong>der</strong> Öffentlichkeit o<strong>der</strong> im<br />
politischen Wettbewerb mitgetragen werden<br />
dürfte:<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
Anhebung <strong>der</strong> durchschnittlichen Kin<strong>der</strong>zahl<br />
pro Frau<br />
Erhöhung <strong>der</strong> Lebensarbeitszeit, um die<br />
Alterssicherung länger als zur Zeit zu gewährleisten<br />
Vereinbarkeit von beruflichen und familiären<br />
Leistungen durch adäquate Rahmenbedingungen<br />
gewährleisten<br />
Steuerlich bessere Entlastung von Menschen<br />
mit Kin<strong>der</strong>n (Familiensplitting)<br />
Neue Akzentuierung von Gleichstellungspolitiken,<br />
die das Vorhandensein<br />
von Kin<strong>der</strong>n berückschtigen<br />
Ergänzende, produktivitätsför<strong>der</strong>nde Zuwan<strong>der</strong>ung,<br />
die Fachkräfte sichert<br />
Gesundheitsstand <strong>der</strong> älteren Generation<br />
zusätzlich erhöhen.<br />
Institutionelle Konsequenz: -structure follows<br />
strategy-<br />
Es kann keine Überraschung mehr sein, zu<br />
konstatieren, dass ein neuer Politikansatz aus<br />
24 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
einem Guss erfolgen und insofern am besten<br />
in einer Hand liegen sollte. Sofern die Chance<br />
besteht, das breite Spektrum <strong>der</strong> Demografiepolitik<br />
zu konzentrieren und überwiegend<br />
in eine Hand zu geben, sollte es das Bundesministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen und<br />
Jugend (BMFSFJ) sein. Auch um ein Zeichen<br />
zu setzen bzw. um die Aufgabenerfüllung<br />
überwiegend einem Ressort zuzusprechen,<br />
das sich bereits ohnehin stark mit demografischen<br />
Prozessen beschäftigt. Das BMFSFJ<br />
müsste ausgebaut werden und zu seiner<br />
Stärkung im neuen Politikfeldkontext haushalterisch<br />
die entsprechende Zuständigkeit<br />
zugebilligt bekommen.<br />
Das BMFSFJ müsste als Instanz fungieren, die<br />
den demografischen Wandel in eine gesellschaftserhaltende,<br />
den Zusammenhalt <strong>der</strong><br />
Gesellschaft gewährleistende Richtung<br />
bringt. Insgesamt würde damit eine Demografiestrategie<br />
konsequent institutionell unterfüttert.<br />
Neben Arbeit und Soziales,<br />
Wirtschaft, Bildung, Umwelt, Verteidigung<br />
u.a. träte Demografie als neues Regierungssegment<br />
und Politikfeld integrativ hinzu.<br />
„Der demografische Wandel und seine Gestaltung<br />
sind ein komplexer Prozess. Demografiepolitik<br />
ist daher eine langfristige<br />
Gestaltungsaufgabe“ 6 Dabei sind folgende<br />
Punkte zu bedenken:<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Demografische Prozesse dürfen nie als<br />
quasi schicksalsartige, determinierte und<br />
unbeeinflussbare Prozesse festgeschrieben<br />
werden. Denn wenn es keine Spielräume<br />
für ein konstruktives politisches<br />
Handeln gäbe, wäre die Entwicklung<br />
einer Demografiestrategie ein überflüssiges<br />
Unterfangen.<br />
Ein notwendiger, aber sicherlich kein hinreichen<strong>der</strong><br />
Ansatz wäre es, den Strom<br />
bzw. die Richtung des demografischen<br />
Prozesses zu kanalisieren. Die gestalterische<br />
Einflussnahme auf den demografischen<br />
Wandel in seiner ganzen Breite<br />
ist das Gebot <strong>der</strong> Stunde.<br />
Eine demografiepolitische Agenda, ressortübergreifend,<br />
ist bereits angedacht<br />
und kann sicherlich das bekannte Set<br />
von Maßnahmen umfassen.<br />
Demografiepolitik steht für die Erkenntnis,<br />
dass <strong>der</strong> demografische Wandel<br />
kaum aus nur begrenzten Politikfel<strong>der</strong>n<br />
heraus gestaltbar ist, die zwar alle ihre<br />
spezifische Berechtigung haben, aber<br />
einer übergeordneten Strategie bedürfen.
5<br />
Die Durchsetzung <strong>der</strong> geplanten Demografiestrategie einer lockeren<br />
Querschnittspolitik zu überantworten, ließe an <strong>der</strong> Erfolgsmöglichkeit<br />
sehr zweifeln. Aufgaben müssen konzentriert,<br />
nicht verteilt werden. Das bedeutet keinen Dispens für an<strong>der</strong>e<br />
Ressorts, im Gegenteil, sie sind nun auf Augenhöhe angehalten,<br />
demografische Faktoren zu beachten.<br />
Demografiepolitische Konzepte bedürfen <strong>der</strong> Einbettung in ein gesellschaftliches<br />
Klima, welches<br />
• das Kin<strong>der</strong>haben für selbstverständlich ansieht und viel mehr<br />
als bisher mit trägt,<br />
• Migration nicht einfach als Gefahr diskutiert,<br />
• in <strong>der</strong> Alterung auch Chancen sieht,<br />
• die regenerative Entscheidung als Leistung für die gesamte<br />
Gesellschaft goutiert und deshalb<br />
• Eltern im Erwerbsleben beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>t, darunter beson<strong>der</strong>s<br />
die Frauen.<br />
•<br />
Das Mediensystem hat ebenfalls in gesellschaftsklimatischer Hinsicht<br />
eine nicht zu unterschätzende, Richtung gebende, Bedeutung.<br />
Neben <strong>der</strong> wichtigen und neutralen Berichtspflicht sollte darauf<br />
geachtet werden, dass weniger normativ vorgegeben wird, wie<br />
gelebt werden woll.<br />
Schließlich ist auch in diesem sensiblen, den Menschen unmittelbar<br />
betreffenden Sektor <strong>der</strong> Gesellschaft darauf zu achten, dass es zu<br />
keinen Dogmatisierungen o<strong>der</strong> Ideologisierungen von Konzepten<br />
kommt. Es gibt viele legitime Ansätze. 7<br />
Es sollte aber Konsens im Ziel bestehen, dass <strong>der</strong> Bevölkerungswandel<br />
seitens <strong>der</strong> Politik einer konzeptionellen Begleitung bzw.<br />
Steuerung bedarf, die den Erhalt wie den Zusammenhalt <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
als gemeinsames normatives Ziel zur Grundlage hat.<br />
Tilman Mayer<br />
Professor für politische Theorie, Ideen- und Zeitgeschichte an <strong>der</strong><br />
Universität Bonn;<br />
Präsident <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Demographie<br />
Universität Bonn<br />
Lennèstr. 25, 53113 Bonn<br />
1 Bundesministerium des Innern (2011): Demografiebericht, Bericht<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung zur Demografischen Lage und zukünftigen<br />
Entwicklung des Landes, Seite 245<br />
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/demografiebericht.pdf?_blob=publicationFile<br />
2 Ebd. S. 242<br />
3 Vgl. dazu auch Tilman Mayer (2011): Demografiepolitik – gestalten<br />
o<strong>der</strong> verwalten? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur<br />
Wochenzeitung „Das Parlament“. 10-11, S. 18<br />
4 Ebd.<br />
5 Bundesministerium des Innern (2011): Demografiebericht, Bericht<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung zur Demografischen Lage und zukünftigen<br />
Entwicklung des Landes, Seite 211<br />
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/demografiebericht.pdf?_blob=publicationFile<br />
7 Dass die generative Entscheidung nur eine <strong>der</strong> Eltern sein kann<br />
und nicht, wie in <strong>der</strong> Bevölkerungspolitik, staatlich ertrotzt wird,<br />
es also um die freie Verwirklichung des Kin<strong>der</strong>wunsches geht, charakterisierte<br />
eine mo<strong>der</strong>e Demographiepolitik.<br />
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DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 25
Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
Bayreuth<br />
„Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen<br />
und fragen uns, wir wir es nur<br />
irgendwo an<strong>der</strong>s aushalten konnten.“<br />
Richard Wagner<br />
Friedrich Nietzsche<br />
Das beschauliche Dasein <strong>der</strong> fränkischen Kleinstadt fand ein Ende,<br />
als 1876 die Richard-Wagner-Festspiele ihren Anfang nahmen. Schon<br />
1873 hatte Richard Wagner sein Wohnhaus, von ihm „Wahnfried“<br />
genannt, bezogen. Die Stadtväter erhofften sich von den Festspielen<br />
zurecht eine starke Belebung und Fortentwicklung. Nach dem Tod<br />
Wagners wurde das Festspielunternehmen von seiner Witwe Cosima<br />
fortgeführt. Hochrangige Musiker und Literaten, aber auch immer<br />
mehr Prominenz aus Wirtschaft und Politik unter den Besuchern sorgten<br />
dafür, dass sich die Bayreuther Festspiele ab 1888 im kulturellen<br />
und gesellschaftlichen Leben Europas fest etablierten.<br />
26 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Festspielhaus
Richard-Wagner-Jubiläum<br />
Bayreuth 2013<br />
Rund um den 200. Geburtstag Richard Wagners<br />
bietet die Stadt Bayreuth ein vielfältiges Kulturprogramm<br />
„Bayreuth 2013 – Da steckt Wagner drin!“ –<br />
Unter diesem Motto feiert die Stadt Bayreuth<br />
mit einem vielfältigen Programm den 200. Geburtstag<br />
Richard Wagners, dem die Stadt ihre<br />
weltweite Bekanntheit zu verdanken hat.<br />
Schon 1850 äußerte Richard Wagner erstmals die Idee, seine Opern-<br />
Tetralogie Der Ring des Nibelungen im Rahmen beson<strong>der</strong>er „Festspiele“<br />
aufzuführen. Doch erst das Mäzenat des bayerischen Königs<br />
Ludwig II., <strong>der</strong> Wagner und seine Musik vergötterte, ermöglichte ihm<br />
über 25 Jahre später im oberfränkischen Bayreuth die Realisierung<br />
seines Lebenstraums: 1876 fand im eigens hierfür errichteten Festspielhaus<br />
die Uraufführung des Rings statt. Kurz vor seinem Tod<br />
konnte er „hier, wo mein Wähnen Frieden fand“, wie die Inschrift auf<br />
<strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>seite seines Bayreuther Wohnhauses Wahnfried lautet,<br />
auch noch sein letztes Werk, Parsifal, vollenden.<br />
Das kürzlich von <strong>der</strong> UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Markgräfliche<br />
Opernhaus (erbaut 1748) war <strong>der</strong> Anlass für Richard Wagner,<br />
auf <strong>der</strong> Suche nach geeigneten Aufführungsorten für seinen Ring<br />
1871 <strong>der</strong> Stadt Bayreuth einen Besuch abzustatten, er hatte von dessen<br />
enormer Bühnengröße gehört. Jedoch waren Orchestergraben<br />
und Zuschauerraum für seine Pläne zu klein, ihm gefiel aber die Stadt.<br />
Bereits ein Jahr später – ein visionärer Bürgermeister hatte ihm das<br />
Grundstück am Grünen Hügel geschenkt – dirigierte er zur Grundsteinlegung<br />
seines Festspielhauses Beethovens Neunte Symphonie<br />
im Markgräflichen Opernhaus.<br />
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Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
Am 22. Mai 2013 jährt sich <strong>der</strong> Geburtstag des Komponisten und<br />
Grün<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Bayreuther Festspiele zum 200. Mal, sein Todestag am<br />
13. Februar 1883 zum 130. Mal – ein willkommener Anlass für die<br />
Stadt Bayreuth, Interessierte und Wagnerbegeisterte aus <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt nach Bayreuth einzuladen, um an diesem wichtigsten seiner<br />
Wirkungsorte sein Jubiläum zu begehen.<br />
Christian Thielemann dirigiert im Festspielhaus am Geburtstag des<br />
Jubilars das Orchester <strong>der</strong> Bayreuther Festspiele – mit hochrangigen<br />
Solisten. Im Anschluss gibt es ein Geburtstagsfest für alle (Veranstalter:<br />
BF Medien GmbH).<br />
Während des gesamten Jahres 2013 bietet ein groß angelegter Programm-Reigen<br />
mit Konzerten, Musiktheaterproduktionen bis hin zu<br />
Ausstellungen und vielfältigem Rahmenprogramm einen erlebnisrei-<br />
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DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 27
Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
chen Zugang zu Richard Wagners Musik, seinem musikdramatischen<br />
Werk und seinen Lebensstationen – in Zusammenarbeit mit vielen<br />
Bayreuther Kultureinrichtungen.<br />
Wagner – szenisch<br />
Das Jubiläumsjahr eröffnen die sieben Blechbläser von Mnozil Brass<br />
mit einer „Wagner-Blech-Comedy“. Die Uraufführung von HOJO-<br />
TOHO – ein Auftragswerk <strong>der</strong> Stadt Bayreuth – findet am 6. Januar<br />
in <strong>der</strong> Stadthalle statt. Die Produktion unter Regie von Philippe Arlaud<br />
verneigt sich einerseits vor dem großen Meister, an<strong>der</strong>erseits wird<br />
auch <strong>der</strong> theatralen Umsetzung – mit einem gewissen Augenzwinkern<br />
– gehöriger Platz eingeräumt.<br />
Musiktheater im besten Sinne verspricht „Rheingold-Feuerland“ im<br />
Mai 2013. Das Ensemble <strong>der</strong> Neuköllner Oper präsentiert ein Stück<br />
nach Motiven des Ring des Nibelungen, die Musik von Simon Stockhausen<br />
verbindet darin Rückbesinnung und Neukomposition.<br />
Ganz an<strong>der</strong>s nähert sich Stefan Kaminski (deutscher Synchronsprecher<br />
des Kermit im aktuellen Muppets-Film) dem Ring. An vier Abenden<br />
im August lässt er die vier Teile als Live-Hörspiel-Theater<br />
erklingen, indem er fließend von einer Rolle in die nächste schlüpft<br />
und so akustisch ein ganzes Schauspiel-Ensemble ersetzt.<br />
Dahingegen arbeitet „Der Ring an einem Abend“ mit einem tatsächlichen<br />
Ensemble, zeigt aber das Monumentalwerk in einer Kurzfassung<br />
von vier Stunden. Für das Jubiläumsjahr wird es eine<br />
Neuproduktion des Werks geben, unter <strong>der</strong> Regie von Philippe Arlaud,<br />
die musikalische Leitung hat Nicolaus Richter. Premiere ist am 24.<br />
Juli.<br />
Die Bayreuther Festspiele bringen 2013 die bereits angekündigte<br />
Neuinszenierung des Ring des Nibelungen heraus. In Kooperation mit<br />
<strong>der</strong> Oper Leipzig werden im Jubiläumsjahr Wagners Frühwerke Die<br />
Feen, Das Liebesverbot und Rienzi – teilweise konzertant – durch die<br />
BF Medien GmbH produziert.<br />
Wagner –<br />
symphonisch bis vokal<br />
2013 werden herausragende Orchester, Chöre und Solisten zu Gast<br />
in Bayreuth sein, um Werke Richard Wagners in verschiedenen Interpretationen<br />
und Traditionen erlebbar zu machen, beson<strong>der</strong>s auch<br />
neben Werken seiner Zeitgenossen.<br />
Mitte Juni gibt sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks<br />
München unter <strong>der</strong> Leitung von Andris Nelsons die Ehre. Auf<br />
28 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
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Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
dem Programm stehen Wagners Wesendonck-Lie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Sopranistin<br />
Christianne Stotijn, Ouvertüre und Bacchanal aus Tannhäuser<br />
sowie Dvořaks 8. Symphonie.<br />
Natürlich darf im Wagner-Jubiläumsjahr die Bayerische Staatsphilharmonie<br />
nicht fehlen: Die Bamberger Symphoniker, die sich seit ihrer<br />
Gründung den Werken Wagners widmen, präsentieren in einem exklusiven<br />
Konzert konzertante Auszüge aus <strong>der</strong> Ring-Tetralogie unter<br />
Leitung von Chefdirigent Jonathan Nott.<br />
Einen großen Abend verspricht die Sächsische Staatskapelle Dresden<br />
unter ihrem neuen Chefdirigenten Christian Thielemann zur Festspielzeit.<br />
Auf dem Programm stehen Ouvertüren und Vorspiele zu Hollän<strong>der</strong>,<br />
Tannhäuser, Rienzi und Lohengrin sowie „Isoldes Tod“ des<br />
kürzlich verstorbenen H.W. Henze. Der Tenor Johan Botha, in Bayreuth<br />
zuletzt aus Siegmund zu hören, interpretiert das Gebet des Rienzi<br />
und die Rom-Erzählung aus dem Tannhäuser.<br />
Wagners einziges Oratorium „Das Liebesmahl <strong>der</strong> Apostel“ stellt das<br />
Festival Musica Bayreuth als Beitrag zum Wagnerjahr vor. Ergänzt<br />
wird das Programm durch Chöre aus Opern von Wagner, Meyerbeer,<br />
<strong>der</strong> ihn stark beeinflusste, und Verdi.<br />
Einen Lie<strong>der</strong>abend präsentiert Annette Dasch, die Elsa aus Neuenfels<br />
Lohengrin-Inszenierung (am Klavier: Wolfram Rieger), einen weiteren<br />
Adrian Eröd, Beckmesser in Katharina Wagners Meistersinger-Inszenierung.<br />
Er interpretiert Lie<strong>der</strong> von Wagner, Britten und Schumann<br />
(am Klavier: Eduard Kutrowatz).<br />
Höhepunkte des kammermusikalischen Programms markieren Konzerte<br />
des Trio Parnassus zum Todestag Wagners am 13. Februar mit<br />
<strong>der</strong> Uraufführung einer Auftragskomposition <strong>der</strong> Stadt Bayreuth, des<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 29
Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
Anima String Quartet, des Klavierduo Tal/ Groethuysen und, veranstaltet<br />
von Steingraeber & Söhne, ein Abend mit Fazil Say, <strong>der</strong> sich<br />
ganz Wagner-Paraphrasen und -Adaptionen verschreibt.<br />
Ein weiteres Highlight des Sommers wird mo<strong>der</strong>iert von Götz Alsmann:<br />
Unter dem Motto „Wagner für alle“ gibt die Staatskapelle<br />
Weimar ein Open-Air-Konzert auf dem Marktplatz <strong>der</strong> Stadt – umsonst<br />
und draußen.<br />
Wagner für die Jugend und<br />
Education-Programm<br />
Das Mahler Chamber Orchestra (MCO) ist ein führendes internationales<br />
Kammerorchester, das weltweit auf den bedeutenden Bühnen<br />
spielt. Im Richard-Wagner-Jubiläumsjahr 2013 wird es zum einen ein<br />
großes Orchesterkonzert mit Werken von Wagner und Schumann,<br />
zum an<strong>der</strong>en auch ein kammermusikalisches Konzert <strong>der</strong> Mahler<br />
Chamber Soloists geben. Darüber hinaus engagieren sich die Musiker<br />
des MCO zunehmend im sozialen und pädagogischen Bereich, so<br />
dass auch in Bayreuth ein großes Education-Projekt zu den Themen<br />
„Wie funktioniert ein Orchester“ und „Programmheftgestaltung“<br />
stattfinden wird.<br />
Auch die Produktion von „Der Ring an einem Abend“ lädt dazu ein,<br />
einen Tag lang hinter die Kulissen zu schauen. Ganz im Zeichen <strong>der</strong><br />
Jugend stehen auch die Aufführungen des Young Philharmonic Orchestra<br />
Jerusalem Weimar, das junge Musikstudenten aus Deutschland<br />
und Israel unter <strong>der</strong> Leitung von Michael San<strong>der</strong>ling<br />
zusammenführt, sowie die <strong>der</strong> jungen deutsch-französischen philharmonie,<br />
ein professionelles Nachwuchsorchester unter <strong>der</strong> musikalischen<br />
Leitung von Nicolaus Richter. Als Botschafter Bayreuths wird<br />
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30 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
es zum Jubiläum <strong>der</strong> Elysée-Verträge eine Tournee nach Paris, Straßburg,<br />
<strong>Berlin</strong>, Leipzig und Budapest antreten.<br />
Einen Überblick über diese und alle weiteren Education-Projekte und<br />
Veranstaltungen für Kin<strong>der</strong> gibt es in <strong>der</strong> Broschüre „Junges Publikum“.<br />
Darüber hinaus gibt es ein attraktives und buntes Rahmenprogramm<br />
mit Ausstellungen, Vorträgen, Seminaren und Lesungen<br />
sowie Führungen, beson<strong>der</strong>en Erlebnisprogrammen und Reiseangeboten<br />
rund um Richard Wagner, sein Leben und Wirken. Beson<strong>der</strong>es<br />
Augenmerk gilt dabei dem Haus Wahnfried, wo trotz Baustelle die<br />
Wan<strong>der</strong>ausstellung „Götterdämmerung – König Ludwig II. und seine<br />
Zeit“ vom 26. Juli bis 29. September präsentiert wird.<br />
Gestaltet und realisiert wird das äußerst vielfältige Programm zum<br />
Richard-Wagner-Jubiläum 2013 insbeson<strong>der</strong>e von den zahlreichen<br />
Partnern <strong>der</strong> Stadt Bayreuth: Anthroposophische Gesellschaft Bayreuth,<br />
BF Medien GmbH, Deutsch-Polnische Gesellschaft, Haus <strong>der</strong><br />
Bayerischen Geschichte, Hochschule für evangelische Kirchenmusik,<br />
Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft, Jazzforum Bayreuth,<br />
Kirchenmusik an <strong>der</strong> Schlosskirche, Kulturfreunde Bayreuth, Kulturund<br />
Sozialstiftung Bayreuther Osterfestival, Marionettentheater<br />
Operla, Mozartgemeinde Bayreuth, Musica Bayreuth, Opernstudio<br />
Oberfranken, Richard-Wagner-Museum, Richard-Wagner-Stipendienstiftung,<br />
Richard-Wagner-Verband Bayreuth, Städtische Musikschule<br />
Bayreuth, Steingraeber & Söhne KG, Studiobühne Bayreuth,<br />
Tonkünstlerverband Bayreuth, Tourist-Information Bayreuth, Universität<br />
Bayreuth, Volkshochschule Bayreuth sowie Zeit für Neue<br />
Musik.<br />
Weitere Informationen gibt es auf www.wagnerstadt.de sowie in <strong>der</strong><br />
druckfrisch erschienenen, zweiten Auflage <strong>der</strong> Broschüre zum Richard-Wagner-Jubiläumsjahr<br />
2013.
Veranstaltungen 2013<br />
Bayreuther Osterfestival<br />
(29. März bis 7. April)<br />
Das Osterfestival bietet hochkarätige Konzerte <strong>der</strong> Internationalen<br />
Jungen Orchesterakademie von Klassik bis Jazz. Die Einnahmen werden<br />
<strong>der</strong> Kultur- und Sozialstiftung Internationale Junge Orchesterakademie<br />
zur Verfügung gestellt, die einen Beitrag zur Heilung<br />
chronisch kranker und krebskranker Kin<strong>der</strong> leistet.<br />
Frühlingsfest<br />
(30. März - 07. April 2013)<br />
Mit einem Böllerschuss, dem Verkauf von Überraschungskuverts und<br />
einem offiziellen Bieranstich im Festzelt auf dem Volksfestplatz beginnt<br />
traditionell das Bayreuther Frühlingsfest. Spektakuläre Fahrgeschäfte,<br />
vielfältige Veranstaltungen und ein buntes musikalisches<br />
Programm sorgen eine Woche lang für Kirmesatmosphäre.<br />
Musica Bayreuth<br />
(Mai 2013)<br />
Die klassische Konzertreihe mit Orchesterkonzerten, Kammerkonzerten<br />
und Solistenabenden ist seit Jahrzehnten eine feste Konstante im<br />
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Kulturleben <strong>der</strong> Stadt und eines <strong>der</strong> großen Kulturereignisse außerhalb<br />
<strong>der</strong> Festspiele. Die Musica bietet ein vitales und abwechslungsreiches<br />
Programm – von Barock bis Gegenwartsmusik.<br />
Maisel's Weißbierfest<br />
(02.-05. Mai 2013)<br />
Ein Festvergnügen für Bayreuth und die ganze Region: Die Brauerei<br />
Gebrü<strong>der</strong> Maisel lädt alljährlich zum Feiern auf das Brauereigelände<br />
ein. In über zwei Jahrzehnten hat das Weißbierfest stets an Attraktivität<br />
gewonnen und ist zugleich eine <strong>der</strong> größten Auftaktveranstaltungen<br />
in die Open-Air-Saison. Tausende von Besuchern sind an den<br />
vier Tagen auf dem Brauereihof an <strong>der</strong> Hindenburgstraße zu Gast.<br />
Und für jede Generation ist etwas dabei.<br />
Bayreuther Volksfest<br />
(17. Mai- 27. Mai 2013)<br />
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Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
Bayeuth bietet an elf Tagen über Pfingsten eines <strong>der</strong> größten Volksfeste<br />
in Franken. Mit rund 50 Schaustellergeschäften, zwei Festzelten<br />
und erlebnisreichen Rahmenprogrammen, zum Beispiel Feuerwerke<br />
zum Auftakt und Abschluss, einem Familientag, <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Miss<br />
Volksfest o<strong>der</strong> attraktiven Boxveranstaltungen ist das Volksfest ein<br />
beliebter Treffpunkt für Jung und Alt.<br />
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DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 31
Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
Bayreuther Bürgerfest<br />
(05.-07. Juli 2013)<br />
Das Bürgerfest findet alljährlich am ersten Juliwochenende im historischen<br />
Zentrum Bayreuths statt. Neben dem Bayreuther Volksfest ist<br />
es das Highlight <strong>der</strong> Festsaison schlechthin. Hatte das Bürgerfest<br />
1977 noch als eintägiges Straßenfest begonnen, so entwickelte es<br />
sich rasch zur beliebtesten Festveranstaltung im sommerlichen Bayreuth.<br />
Heute ist es eine dreitägige Megaveranstaltung mit bis zu<br />
120.000 Besuchern.<br />
Künstlermarkt<br />
(07.07.2013)<br />
Eingebettet ins Bayreuther Bürgerfest lädt <strong>der</strong> Künstlermarkt Kunstschaffende<br />
und Kunstliebhaber aus nah und fern zum Schauen, Staunen,<br />
Diskutieren und Kaufen ein. Künstler aus <strong>der</strong> Region und darüber<br />
hinaus präsentieren sich mit ihren Arbeiten im Bereich <strong>der</strong> Malerei,<br />
Grafik und Plastik dem Bayreuther Publikum.<br />
Afro-Karibik-Festival<br />
(18.-21. Juli 2013)<br />
Das Afro-Karibik-Festival ist ein großes Straßenfest in <strong>der</strong> Bayreuther<br />
Innenstadt. Musik aus Afrika und <strong>der</strong> Karibik, dazu traditionelle Speisen<br />
aus diesen Län<strong>der</strong>n und ein Markt, <strong>der</strong> mehr einem Basar gleicht:<br />
Vier Tage darf auf dem Stadtparkett gefeiert und getanzt werden.<br />
"Wakadjo" - lass' uns tanzen - heißt das Motto und feurige Rhythmen<br />
heizen den Besuchern regelmäßig ein. An über 50 Waren- und<br />
Kulinarikständen wird die afrikanische und karibische Kultur präsentiert.<br />
Der Eintritt ist an allen Tagen frei!<br />
Richard-Wagner-Festspiele<br />
(25. Juli bis 28. August 2013)<br />
Alljährlich im Sommer wird Bayreuth zum kulturellen Zentrum <strong>der</strong><br />
künstlerischen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Musik Richard Wagners. Die<br />
Bayreuther Festspiele haben die Stadt ebenso international bekannt gemacht<br />
wie ihre Sänger, Dirigenten, Regisseure und Bühnenbildner. Rufen<br />
die Fanfarn zum Beginn <strong>der</strong> Richard-Wagner-Festspiele, strömt ein internationales<br />
Publikum zum Festspielhaus auf den Grünen Hügel.<br />
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Sommernachtsfest<br />
(27. Juli 2013)<br />
Eines <strong>der</strong> schönsten und mit Sicherheit romantischsten Feste Frankens<br />
ist das Bayreuther Sommernachtsfest in <strong>der</strong> Eremitage, das alljährlich<br />
Ende Juli/Anfang August den weitläufigen Park in eine riesige Festwiese<br />
verwandelt. An alte, markgräfliche Traditionen anknüpfend,<br />
wurde dieses Fest 1969 wie<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Taufe gehoben. Heute zieht<br />
es als Aktien-Pilsner-Sommernachtsfest viele Tausend Besucher in seinen<br />
Bann.<br />
Festival Junger Künstler<br />
(August 2013)<br />
Das internationale Jugend-Festspieltreffen – heute Festival junger<br />
Künstler Bayreuth – hat im Laufe <strong>der</strong> Jahre viele tausend Studenten<br />
aus über 80 Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erde willkommen geheißen. Es wird alljährlich<br />
zur Festspielzeit zum Forum <strong>der</strong> internationalen Begegnung und<br />
zum Experimentierfeld für neue Ideen in fast allen Disziplinen <strong>der</strong><br />
Kunst.<br />
Theater auf Touren<br />
(Oktober bis Dezember)<br />
Im Rahmen des von <strong>der</strong> Stadt angebotenen Herbstabonnements, das<br />
in <strong>der</strong> Regel in den Monaten Oktober bis Dezember stattfindet, werden<br />
interessante Schauspiel- sowie Opernproduktionen von Tourneetheatern<br />
präsentiert.<br />
Bayreuther Christkindlesmarkt<br />
(29.11. - 23.12.2013)<br />
Rund um den Neptunbrunnen am Markt, vor dem Hintergrund <strong>der</strong><br />
barocken Spitalkirche, präsentiert sich <strong>der</strong> Christkindlesmarkt vor <strong>der</strong><br />
weihnachtlichen Kulisse des historischen Bayreuth. Neben <strong>der</strong> längsten<br />
Lichterkette Frankens bietet das weihnachtliche Bayreuth einen<br />
<strong>der</strong> schönsten Christkindlesmärkte mit weihnachtlichen Ständen,<br />
Krippenausstellung und einem reichhaltigen kulturellen Rahmenprogramm.<br />
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Eine Stadt stellt sich vor - Bayreuth<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 33
Kulmbach<br />
34 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Der Rote Turm ist Teil <strong>der</strong><br />
Stadtbefestigung des 13.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts. In diesem<br />
fünfgeschossigen Turm –<br />
das oberste Geschoss in<br />
Fachwerkbau – befand<br />
sich die Wohnung des<br />
Stadtpfeifers.<br />
Foto: Harald-KU / pixelio.de<br />
Die fränkische stadt mit flair
In Kulmbach lässt sich’s leben !<br />
Nicht nur, weil sich hier <strong>der</strong> alte Spruch „Essen und<br />
Trinken halten Leib und Seele zusammen“ immer<br />
wie<strong>der</strong> bewahrheitet. Nein, diese schöne Markgrafenstadt<br />
im Herzen Deutschlands ist voller Dynamik und<br />
vergisst dabei ihre gewachsenen Werte nicht. Und bei<br />
aller Lebensfreude muss auch die wirtschaftliche<br />
Basis stimmen. Darüber herrscht bei den Kulmbachern<br />
– bodenständig und gleichzeitig zukunftsorientiert,<br />
wie sie nun einmal sind – höchste Einigkeit.<br />
KULINARISCH<br />
Kulmbach ist eine Stadt voller Geschichte und Kultur, in <strong>der</strong> die leiblichen<br />
Genüsse schon aus Tradition hochgehalten werden: Wer gutes<br />
Essen und Trinken zu schätzen weiß, ist in Kulmbach bestens aufgehoben.<br />
Eine vielfältige Gastronomie und Hotellerie sorgt für das Wohl<br />
ihrer Gäste. Altfränkische Wirtshäuser, gemütliche Straßencafés und<br />
urige Biergärten, gepflegte Restaurants, Bistros und Kneipen, mo<strong>der</strong>ne<br />
Stadthotels mit Tagungsbetrieb – da ist wirklich für jeden etwas<br />
dabei.<br />
LEBENSMITTELSTANDORT<br />
Man hat eben so seine Verpflichtung in Sachen Genuss<br />
und Geselligkeit, nicht nur als weltberühmte<br />
Bierstadt: Kulmbach gehört zu den wichtigen deutschen<br />
Standorten lebensmittelverarbeiten<strong>der</strong> Industrie<br />
und ist zurecht Standort eines bayerischen<br />
Lebensmittelclusters. Die überregionale Bedeutung<br />
in diesem Bereich wird durch das Max-Rubner-Institut<br />
(ehem. Bundesforschungsanstalt für Ernährung<br />
und Lebensmittel) und die Staatliche<br />
Fachschule für Lebensmitteltechnik unterstrichen.<br />
Großen Anteil daran hat die Brauindustrie, <strong>der</strong>en<br />
Erzeugnisse den Namen <strong>der</strong> Stadt Kulmbach über<br />
die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht<br />
haben. Daneben beheimatet die Bierstadt<br />
mit den Firmen IREKS und RAPS zwei <strong>der</strong> weltweit<br />
führenden Unternehmen im Gewürz- und Backmittelsektor. Eine<br />
starke Bedeutung in ganz Deutschland hat <strong>der</strong> Standort als Zentrum<br />
des Kälteanlagenbaus.<br />
BILDUNG<br />
Doch mit gutem Essen und Trinken allein ist es natürlich nicht getan.<br />
Die knapp 30.000 Einwohner können<br />
auf all die Behörden und Einrichtungen<br />
eines optimal ausgestatteten<br />
Mittelzentrums zugreifen.<br />
Das gut ausgebaute Bildungssystem<br />
umfasst neben zwei<br />
Klinikum<br />
Gymnasien, einer Real- und sieben<br />
Volksschulen auch staatliche Fachschulen, dazu kommen<br />
Akademien und Forschungsstellen. Kulmbach ver-<br />
fügt über ein eigenes Klinikum <strong>der</strong> Versorgungsstufe 3 mit 450<br />
Betten, mehrere Seniorenwohnheime und betreut mit über 20 Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen,14<br />
Kin<strong>der</strong>gärten, 5 Kin<strong>der</strong>horten und einer<br />
Kin<strong>der</strong>krippe insgesamt 1000 Kin<strong>der</strong>.<br />
WIRTSCHAFT<br />
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
Als Einkaufsstadt ist Kulmbach mit seinem großen Angebot an Einzelhandelsgeschäften<br />
auch für die weitere Umgebung interessant.<br />
Die Stadt verfügt über mehr als 100.000 m² freie Gewerbeflächen,<br />
<strong>der</strong>en Preise im Vergleich zu den benachbarten Städten als günstig<br />
bezeichnet werden können.<br />
Im oberfränkischen Vergleich <strong>der</strong> Büromieten in guter Lage liegt<br />
Kulmbach um ca. 2,00 €/m² niedriger als die Nachbarstädte.<br />
Zu den günstigen Mieten und Grundstückspreisen in Kulmbach<br />
kommt ein überdurchschnittlich niedriger Gewerbesteuerhebesatz<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 35
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
von 350 Punkten. Bei <strong>der</strong> Grundsteuer A beträgt <strong>der</strong> Hebesatz 270<br />
und bei <strong>der</strong> Grundsteuer B 320 Punkte.<br />
Unvergleichlich gut harmonieren damit die bayernweit niedrigsten<br />
Wasser-, Abwasser- und Müllgebühren.<br />
VERANSTALTUNGEN UND FESTE<br />
Wenn Markttag ist, verwandelt sich <strong>der</strong> historische Marktplatz mit<br />
den schönen Fassaden in ein nostalgisch-charmantes Einkaufsparadies.<br />
Seit <strong>der</strong> Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ liegt die Stadt wie<strong>der</strong><br />
im Herzen Deutschlands, und die Kulmbacher haben somit jene zentrale<br />
Lage zurückgewonnen, die ihrer Dynamik und Weltoffenheit<br />
entspricht. Kulmbach ist alles an<strong>der</strong>e als provinziell, keine Großstadt,<br />
aber ein vitaler Ort, <strong>der</strong> trotz Traditionen mit <strong>der</strong> Zeit geht.<br />
Neben den jährlich fest stattfindenden Events wie Altstadt- o<strong>der</strong><br />
Bierfest, verleiht ein lebendiges Kulturleben dem Kulmbacher Jahr<br />
zudem beson<strong>der</strong>e Akzente und sorgt für Unterhaltung und Abwechslung.<br />
Die Veranstaltungen konzentrieren sich zum einen auf die historische<br />
Plassenburg mit ihren Museen, Open Air-Konzerten und<br />
Kunstausstellungen, zum an<strong>der</strong>en auf die mo<strong>der</strong>ne Dr.-Stammberger-Halle<br />
(Stadthalle), die als Veranstaltungsort für Theateraufführungen,<br />
Konzerte und Lesungen dient, aber auch als<br />
Kommunikationszentrum für alle kulturell Interessierten.<br />
36 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Open-Air<br />
SPORT UND FREIZEIT<br />
Auch in dem Bereich Sport und Freizeit hat Kulmbach einiges zu bieten:<br />
In zahlreichen Vereinen kann man seinen Hobbys nachgehen.<br />
Schießgraben<br />
Freibad, Hallenbad, Kunsteisbahn, Skaterpark, Jugendzentrum sowie<br />
das Naherholungszentrum Mainaue mit seinen Bade-, Surf- und Angelmöglichkeiten<br />
runden das breite Freizeitangebot für die gesamte<br />
Familie ab.<br />
Die herrliche Umgebung Kulmbachs mit ihren vielen Rad- und Wan<strong>der</strong>wegen<br />
ist beson<strong>der</strong>s reizvoll und abwechslungsreich. Hier treffen<br />
vier Urlaubslandschaften aufeinan<strong>der</strong>, wovon jede ihren speziellen<br />
Reiz hat: Der Frankenwald mit seinen dunklen Tannen und <strong>der</strong> würzigen<br />
Luft, das sagenumwobene Fichtelgebirge, bekannt als Erho-
Plassenburg<br />
lungsgebiet für die ganze Familie, die Fränkische Schweiz mit ihren<br />
bizarren Felsformationen und Wachol<strong>der</strong>hängen und nicht zuletzt das<br />
liebliche Obermaintal. Überhaupt besticht <strong>der</strong> Main durch seinen<br />
Charme. Ruhig und gelassen schlängeln sich seine beiden Quellflüsse<br />
Weißer und Roter Main durch die grünen Täler des Kulmbacher Landes,<br />
bis sie sich auf Stadtgebiet zum Main vereinigen. Ruhe und Erholung<br />
findet man aber auch in <strong>der</strong> Stadt selbst, im Kulmbacher<br />
Stadtpark beispielsweise o<strong>der</strong> an den vielen idyllischen Ecken und<br />
Plätzen, die das Bild <strong>der</strong> Altstadt prägen.<br />
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SEHENSWÜRDIGKEITEN UND<br />
PLASSENBURG<br />
Dass die kleine Stadt<br />
Kulmbach eine große<br />
Geschichte zu erzählen<br />
hat, wird vielen Besuchern<br />
schon auf den<br />
ersten Blick bewusst.<br />
Hoch über allen Häusern<br />
thront majestätisch<br />
die Plassenburg,<br />
eine trutzige Landesfestung<br />
und prächtige<br />
Hohenzollernresidenz.<br />
Zu ihren Füßen liegt die<br />
Stadt <strong>der</strong> Bürger, mit<br />
abwechslungsreichen<br />
Türmen, Fassaden und<br />
winkligen Gassen –<br />
alles im Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
gewachsen.<br />
Die erste urkundliche<br />
Erwähnung wird um<br />
1035 datiert, als die im<br />
alten königlichen Bannforst<br />
gelegene Siedlung<br />
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
Schöner Hof von<br />
Plassenburg<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 37
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
Rathaus<br />
Kulma in den Besitz des Bamberger Bischofs übergeht. Später gehört<br />
Kulmbach zur weitgestreuten Herrschaft <strong>der</strong> Grafen von Dießen-Andechs,<br />
den späteren Herzögen von Andechs-Meranien, ehe nach Erbstreitigkeiten<br />
die thüringischen Grafen von Orlamünde die Herrschaft<br />
Plassenberg mit <strong>der</strong> Residenz Kulmbach erhalten.<br />
1340 schließlich treten die Hohenzollern-Burggrafen von Nürnberg<br />
einem schon früher geschlos-senen Vertrag zufolge das Erbe <strong>der</strong> Grafen<br />
von Orlamünde an. So beginnt die mehr als ein halbes Jahrtausend<br />
währende Herrschaft <strong>der</strong> Hohenzollern über Kulmbach, die erst mit <strong>der</strong><br />
Eroberung durch Napoleon im Jahre 1806 endete. Seit 1810 ist Kulmbach<br />
bayerisch und bereits zu dieser Zeit ein Juwel in Sachen Bier.<br />
BRAUKUNST UND BIERGESCHICHTE<br />
Unweigerlich wird Kulmbach heutzutage mit Bier assoziiert. Eng ist<br />
die „heimliche Hauptstadt des Bieres“ mit ihren Brauereien verbunden<br />
und was den weltweiten Bekanntheitsgrad anbelangt, hat das<br />
Bier die Stadt längst überflügelt.<br />
38 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
Aus einer langen Tradition entstanden, hat die Kulmbacher Braukunst<br />
eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte erlebt. Nach einem Konzentrationsprozess<br />
in den 1980er- und 90er-Jahren sind heute alle örtlichen<br />
Brauereien unter dem Dach <strong>der</strong> Kulmbacher Brauerei vereint. Und so<br />
ist Kulmbach heute mit einer Vielfalt von über 20 verschiedenen Biersorten<br />
in <strong>der</strong> ersten Reihe nicht nur <strong>der</strong> bayerischen, son<strong>der</strong>n auch<br />
<strong>der</strong> europäischen Bierstädte zu finden.<br />
WICHTIGE PERSÖNLICHKEITEN AUS<br />
UND IN KULMBACH<br />
Kulmbach hat eine Menge an kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten,<br />
Gastronomie, Unterhaltung, Spaß und Erholung für die ganze Familie<br />
zu bieten.<br />
Der Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt, <strong>der</strong> ehemalige Landtagsabgeordnete<br />
Henry Schramm (CSU), sieht das genauso. Seit dem 16. Januar<br />
2007 im Amt, setzt er beständig seine politischen Ziele in die Tat um.<br />
Als engagierter Partner <strong>der</strong> Wirtschaft sucht und för<strong>der</strong>t er verstärkt<br />
die interkommunale Zusammenarbeit, insbeson<strong>der</strong>e innerhalb <strong>der</strong><br />
oberfränkischen Zentren. Die Kultur hat bei ihm ebenso einen hohen<br />
Stellenwert wie die Schulstadt Kulmbach. „Kulmbach ist eine familienfreundliche<br />
Stadt. Dank <strong>der</strong> guten Arbeit unserer Kin<strong>der</strong>gärten und<br />
Einrichtungen haben Familien heute schon kompetente Ansprechpartner“,<br />
bestätigt Schramm, für den es gleichzeitig auch Priorität<br />
hat, den Lebensmittelstandort Kulmbach weiter nach vorne zu bringen.<br />
Dazu gehöre auch die vertiefte Zusammenarbeit sowohl mit dem<br />
40 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Lohnabbund<br />
Bedachungen<br />
Holzhäuser<br />
Zimmerei Geißler GmbH & Co KG<br />
Döllnitz 56<br />
95359 Kasendorf<br />
Tel. 0 92 28 / 54 90<br />
Fax 0 92 28 / 84 09<br />
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Landkreis als auch mit seinen Städten,<br />
Märkten und Gemeinden, um<br />
unseren Platz in <strong>der</strong> Mitte Europas<br />
zur Geltung zu bringen, so <strong>der</strong><br />
Oberbürgermeister.<br />
Fünf lebendige Städtepartnerschaften<br />
mit Städten in Italien,<br />
Österreich, Schottland, <strong>der</strong> Türkei<br />
und in Thüringen bestätigen den<br />
europäischen Gedanken <strong>der</strong> Völkerverständigung,<br />
<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Verleihung <strong>der</strong> Europa-Fahne <strong>der</strong> Europäischen<br />
Union 2001 gewürdigt wurde. Der <strong>der</strong>zeitige<br />
EU-Kommissar Günter Verheugen vertrat lange Jahre als Bundestagsabgeordneter<br />
des Kulmbacher Stimmkreises die Interessen <strong>der</strong><br />
oberfränkischen Stadt.<br />
Doch er ist nicht <strong>der</strong> berühmteste Sohn <strong>der</strong> Stadt. Diesen Rang hat<br />
ihm <strong>der</strong> TV-Mo<strong>der</strong>ator und Sunnyboy Thomas Gottschalk abgelaufen.<br />
In Kulmbach aufgewachsen, wagte er hier seine ersten Schritte als<br />
DJ und Mo<strong>der</strong>ator, ehe er beim Bayerischen Rundfunk in München<br />
seine steile Karriere begann. Seine Leistungen würdigte die Stadt<br />
Kulmbach mit <strong>der</strong> Ehrenbürgerschaft im Jahre 2002. Trotz vollem Ter-<br />
Veranstaltungen<br />
Zusammen mit dem Kulturbeirat hat die Kulturabteilung <strong>der</strong> Stadt<br />
Kulmbach ein abwechslungsreiches Programm aus Ausstellungen,<br />
Kleinkunst, Lesungen und Kunstaktionen für 2013 zusammengestellt.<br />
Mittelpunkt des Kunstgeschehens ist dabei unser historisches Badhaus,<br />
das sich in den vergangenen Jahren zu einem kleinen, aber feinen<br />
Kulturzentrum mitten in <strong>der</strong> Kulmbacher Altstadt entwickelt hat.<br />
Ein Anziehungspunkt, <strong>der</strong> im Jahr ca. 7.000 Besucher zählen konnte.<br />
Es gibt nur 8 mittelalterliche Badehäuser in Deutschland, die als Museen<br />
geöffnet sind, eines davon ist unser historisches Badhaus im<br />
Oberhacken.<br />
minkalen<strong>der</strong> stattet er seiner Heimatstadt regelmäßige Besuche ab,<br />
meistens zur weltbekannten Kulmbacher Bierwoche im letzten Juli-<br />
Wochenende, die mit über 150.000 Besuchern inzwischen Kult-Status<br />
besitzt – ähnlich wie das Altstadtfest Anfang Juli.<br />
Tourismus & Veranstaltungsservice <strong>der</strong> Stadt Kulmbach<br />
Sutte 2, 95326 Kulmbach<br />
Tel.: 0 92 21/95 88-0<br />
Fax: 0 92 21/95 88-44<br />
E-Mail: touristinfo@stadt-kulmbach.de<br />
www.kulmbach.de<br />
www.Maler-AK.de<br />
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
<strong>der</strong> Kulturabteilung und des Kulturbeirates <strong>der</strong> Stadt Kulmbach<br />
(Stand Januar 2013)<br />
Kleine Ausschnitte aus dem vielfältigen Programm:<br />
Autorenlesung mit Sabine Weigand<br />
„Die Tore des Himmels“<br />
Am 15.März 2013 um 19.30 Uhr liest die fränkische Erfolgsautorin<br />
in <strong>der</strong> Kulmbacher Spitalkirche aus ihrem packenden<br />
und mitreißenden Roman.<br />
Regentin, Rebellin, Heilige: wer war die bekannte Elisabeth von Thüringen<br />
wirklich?<br />
Wie kaum eine an<strong>der</strong>e versteht es Sabine Weigand die Welt des Mit-<br />
• Renovierungen<br />
• Vollwärmeschutzarbeiten<br />
• dekorative Raumgestaltung<br />
• Trockenbau • Fassadenanstriche<br />
Jean-Paul Str. 8 • Kulmbach<br />
Tel.: 09221/8 21 34 55 • Mobil: 0176/ 63 22 53 19<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 41
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
telalters nicht nur historisch fundiert, son<strong>der</strong>n auch sehr plakativ darzustellen<br />
und die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen.<br />
Die Lesung findet im Rahmen des Kulturprojektes „Wortspiele“ statt<br />
und wird vom Bezirk Oberfranken geför<strong>der</strong>t.<br />
Ein ganz beson<strong>der</strong>er Höhepunkt im Jahr wird die 2. Kulmbacher<br />
Kulturnacht am Samstag, 15. Juni sein.<br />
Unter dem Motto „Liebesrauschen“ werden im Oberhacken zwischen<br />
Bad- und Färberhaus viele kulturelle Highlights an einem hoffentlich<br />
wun<strong>der</strong>baren lauschigen Sommerabend zu sehen und zu<br />
erleben sein. Die Besucher sollen die Vielfalt <strong>der</strong> heimischen Kunstund<br />
Kulturszene kennenlernen. Kunstmeile, historische Führungen,<br />
Felsenkeller sowie Ausstellungen im Badhaus waren nur einige <strong>der</strong><br />
Höhepunkte, die letztes Jahr fast 1.000 Besucher aus nah und fern<br />
angezogen haben.<br />
Sommerausstellung des Bundes Fränkischer Künstler auf<br />
<strong>der</strong> Plassenburg.<br />
Seit 1929 zeigt diese Künstlervereinigung in <strong>der</strong> großen Hofstube ein<br />
Schmankerl für alle Kunstinteressierten. Rund 200 Bil<strong>der</strong> und Skulpturen<br />
repräsentieren das künstlerische Schaffen von Künstlern aus<br />
Franken, o<strong>der</strong> mit Bezug zu Franken.<br />
Die Ausstellung läuft vom 07. Juli bis zum 08. September.<br />
Sommerkunstwochen in Zusammenarbeit<br />
mit Focus Europa.<br />
Bereits zum 4. Mal werden in Kulmbach<br />
Kunstworkshops angeboten. Unter fachkundiger<br />
Anleitung können auch wenig Geübte<br />
die ersten eigenen Schritte im Kunst- und Kulturbereich<br />
unternehmen. Die Vielfalt <strong>der</strong><br />
Workshops (Schauspiel, Malen, Bildhauen,<br />
Töpfern, kreatives Schreiben und mehr) bietet<br />
nahezu für jeden Bereich etwas. Die Kurse<br />
sind aber genauso für Künstler geeignet, die<br />
sich bereits ihre ersten Sporen verdient<br />
haben.<br />
Jean Paul feiert im Jahre 2013 seinen<br />
250. Geburtstag.<br />
Jean Pauls Beziehungen zu Kulmbach liegen<br />
vor allem in <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Verehrung des<br />
hiesigen Kulmbacher Bieres.<br />
Die Stadt bietet anlässlich dieses Jubiläums<br />
drei hochkarätige Veranstaltungen an.<br />
Zaigler Maschinenbau GmbH<br />
Gummistr. 28<br />
95326 Kulmbach<br />
Deutschland<br />
42 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
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Mit Hans-Jürgen Schatz und Stephan Klenner-Otto konnten zwei<br />
treue und glühende Anhänger von Jean Paul gefunden werden, die<br />
sich seit Jahren künstlerisch mit ihm beschäftigen:<br />
Ausstellung mit Stephan Klenner-Otto mit Illustrationen und Skizzen<br />
zu Jean Paul und seinen Werken.<br />
Lesung mit Hans-Jürgen Schatz, „Dr. Katzenbergers Ba<strong>der</strong>eise“<br />
Lesung, Samstag 19.10.2013 um 17:00 Uhr Rathaus, Historischer<br />
Sitzungssaal, anschließend Vernissage im Historischen Badhaus<br />
Ausstellungsdauer 20.10.2013 – 24.11.2013<br />
Zusätzlich wird ein Konzert „Jean Paul- musikalische Reminiszenzen“<br />
zusammen mit <strong>der</strong> Musikhochschule Frankfurt am 08.11.2013 19.00<br />
Uhr in <strong>der</strong> Städtischen Musikschule- Musiksaal stattfinden.<br />
Kulmbacher Motorrad-<br />
Sternfahrt 2013<br />
Samstag, 27. /28. Apri 2013<br />
Die Motorradsternfahrt nach Kulmbach ist das größte Motorradtreffen<br />
Süddeutschlands.<br />
Das Biker-Wochenende in Kulmbach ist nicht nur für Biker ein Ausflugsziel,<br />
son<strong>der</strong>n auch zunehmend für an<strong>der</strong>e Besucher aus ganz<br />
Oberfranken.<br />
Mit Minister Hermann bei <strong>der</strong> Kulmbacher Motorradsternfahrt
Museen in Kulmbach<br />
Deutsches Zinnfigurenmuseum<br />
In ihren Mauern beherbergt die Burg die größte Zinnfigurensammlung<br />
<strong>der</strong> Welt. Im Jahr 1929 gegründet, zählt das Museum heute über<br />
300.000 Einzelfiguren. Rund 150 Dioramen lassen Geschichte en miniature<br />
lebendig werden.<br />
Museum "Die Hohenzollern<br />
in Franken" und "Armeemuseum<br />
Friedrich <strong>der</strong> Große"<br />
Die Plassenburg, die den "schönsten Renaissancehof nördlich <strong>der</strong><br />
Alpen" umschließt, beherbergt unter an<strong>der</strong>em das Museum "Hohenzollern<br />
in Franken". In den Markgrafen- und Fürstenzimmern im Ostflügel<br />
<strong>der</strong> Burg lassen Möbel und wertvolle Ölportraits die Geschichte<br />
<strong>der</strong> Hohenzollern lebendig werden. Aus dem originalen Bestand<br />
stammt das prunkvolle Baldachinbett <strong>der</strong> Markgräfin Maria (um<br />
1630). Im Ostflügel befindet sich die Schlosskirche, eine <strong>der</strong> ältesten<br />
evangelischen Kirchenbauten Frankens.<br />
Öffnungszeiten:<br />
April - Oktober: Mo - So von 9 - 18 Uhr<br />
Nov. - März: Mo - So von 10 - 16 Uhr<br />
(geschlossen am 01.01., 24.12., 25.12., 31.12. + Faschingsdienstag)<br />
Hotel Weißes Roß Kulmbach<br />
Schönes Altstadthotel<br />
in zentraler Lage,<br />
ruhig gelegen, direkt<br />
am Marktplatz mit<br />
herrlichem Blick auf<br />
die Plassenburg.<br />
Komplett renoviert,<br />
mo<strong>der</strong>ne Zimmer,<br />
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Tel: 09221-95650<br />
Eine Stadt stellt sich vor - Kulmbach<br />
Bayerisches Brauereimuseum<br />
Kulmbach<br />
Flaschenausstellung im Bayerischen Brauereimuseum<br />
Es ist schon lange kein Geheimtipp mehr, dass aus dem 1994 eröffneten<br />
und damals noch kleinen Spezialmuseum heute ein regelrechtes<br />
Bierkulturzentrum geworden ist, das sich auf über 3000 m²<br />
gekonnt des breiten Spektrums Bier annimmt.<br />
Bayerisches Bäckereimuseum<br />
Kulmbach<br />
Sie starten den Rundgang bei<br />
einem alten Backhäuschen aus<br />
dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Es wirkt, als<br />
würde die Hexe von Hänsel und<br />
Gretel jeden Augenblick um die<br />
Ecke kommen. Über eine kurze<br />
landwirtschaftliche Abhandlung<br />
"vom Halm zum Korn" wird dann<br />
<strong>der</strong> Blick frei auf eine dreistöckige<br />
Mühle. Rund um eine alte Backstube<br />
ist das Thema "vom Mehl<br />
zu den Backwaren" inszeniert.<br />
Welche Gebäckarten gibt es? Welche<br />
Zutaten werden benötigt und<br />
wie werden sie zubereitet? Welche<br />
Maschinen und Backformen<br />
wurden verwendet? Welche Essgewohnheiten<br />
sind uns überliefert?<br />
Auf all diese Fragen finden<br />
Sie hier eine Vielzahl von Exponaten,<br />
Hörstationen und Info-Tafeln,<br />
die Ihnen eine Antwort geben. Ein "Tante-Emma-Bäckerladen" und<br />
ein "Bäckereiausfuhrwagen" beschreiben den Weg des Brotes vom<br />
Bäcker zum Kunden. Am Ende des Rundgangs geht es um Brauchtumgsgebäck<br />
und wie das Brot zuhause aufbewahrt wird.<br />
Öffnungszeiten:<br />
Dienstag - Sonntag 10 - 17 Uhr und nach Vereinbarung<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 43
1. Das breite Spektrum<br />
von Demografiepolitik<br />
Demografiepolitik hat eine enorme gesellschaftspolitische<br />
Dimension, sie ist sogar<br />
konstitutives Element einer mo<strong>der</strong>nen Gesellschaftspolitik.<br />
Allerdings wurde <strong>der</strong> Begriff<br />
Demografiepolitik, <strong>der</strong> diverse<br />
demografierelevante Politiken bündelt, bisher<br />
relativ wenig beachtet. Dies liegt am<br />
Querschnittscharakter <strong>der</strong> Demografiepolitik.<br />
Einerseits gibt es kein expliziertes Demografieressort<br />
dafür, an<strong>der</strong>erseits ist auch eine<br />
wissenschaftliche Betrachtung hochgradig<br />
komplex, so dass die Bündelung aller demografierelevanten<br />
Politiken unter <strong>der</strong> Chiffre<br />
Demografiepolitik mehrerer Differenzierungen<br />
bedarf: hinsichtlich demografischer Parameter,<br />
demografischer Folgen, Politikmaßnahmen,<br />
Instituitionen und Wirkungen<br />
sowie Wechselwirkungen mit an<strong>der</strong>en politischen<br />
Zielen.<br />
Demografiepolitik unterscheidet zwischen<br />
Reaktionen und demografischen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen<br />
und strategischem Einfluss<br />
auf die demografischen Kernfaktoren dieses<br />
Wandels. 1 Dass Politik angesichts <strong>der</strong> weitreichenden<br />
Folgen des demografischen Wandels<br />
die Aufgabe hat, darauf zu reagieren,<br />
indem negative Effekte möglichst reduziert,<br />
aber auch Chancen genutzt werden (siehe<br />
Kapitel 2), ist konsensual. Umstritten ist jedoch,<br />
inwieweit <strong>der</strong> Staat einen Einfluss auf<br />
die demografische Entwicklung – v.a. auf die<br />
Geburtenrate – nehmen soll. In Kapitel 3<br />
wird gezeigt, dass eine strategische Einflussnahme<br />
legitim und wirksam ist, jedoch einige<br />
Prämissen berücksichtigen muss. Im<br />
letzten Kapitel werden Perspektiven für eine<br />
familienorientierte Demografiepolitik entwickelt.<br />
44 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Perspektiven einer<br />
familienorientierten<br />
Demografiepolitik<br />
Dr. Martin Bujard<br />
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung<br />
2. Demografische Folgen<br />
managen<br />
Die demografischen Verän<strong>der</strong>ungen wirken<br />
sich auf viele Politikfel<strong>der</strong> in höchst unterschiedlicher<br />
Weise aus. Alle Bundesministerien<br />
sind zumindest indirekt betroffen. Einige<br />
Politikfel<strong>der</strong> sind für eine reaktive Demografiepolitik<br />
zentral: 2<br />
•<br />
•<br />
Familien-, Senioren und Generationenpolitik:<br />
In <strong>der</strong> Familien- und Generationenpolitik<br />
lassen sich Maßnahmen, die<br />
auf Demografie reagieren und sie<br />
gleichzeitig beeinflussen, verbinden<br />
(siehe Kapitel 4). Die längere Lebenserwartung<br />
und das längere gesunde<br />
Leben sind hochgradig erfreuliche Entwicklungen<br />
für viele Menschen und die<br />
ganze Gesellschaft. Seniorenpolitik wird<br />
dadurch immer wichtiger. Sie wird aber<br />
auch an<strong>der</strong>s, da gesün<strong>der</strong>e und aktivere<br />
Senioren an<strong>der</strong>e Lebenswünsche haben,<br />
an<strong>der</strong>e Wege einschlagen können und<br />
sich zunehmend gesellschaftlich einbringen<br />
wollen. Daher ist die These <strong>der</strong> Akademiegruppe<br />
Altern in Deutschland, 3 die<br />
auch dem Tenor des Demografieberichts<br />
ähnelt, plausibel: „Der Gewinn an Lebenszeit<br />
stellt ein noch unausgeschöpftes<br />
Fortschrittspotential dar.“<br />
Arbeitsmarkt und Bildungspolitik: Das<br />
„Hereinwachsen“ <strong>der</strong> geburtenschwachen<br />
Jahrgänge in den Arbeitsmarkt<br />
führt tendenziell zu einem Fachkräftemangel.<br />
Die demografisch bedingten<br />
Effekte auf dem Arbeitsmarkt lassen<br />
sich langfristig planen, hier können Bildung<br />
und Qualifizierung neben einer<br />
gezielten Fachkräfteanwerbung hilfreich<br />
sein. Insofern könnte <strong>der</strong> demografische<br />
Wandel eine Chance sein,<br />
dass vorhandene Potentiale besser genutzt<br />
werden.
•<br />
•<br />
Soziale Sicherungspolitik: Die demografischen<br />
Folgen für die sozialen Sicherungssysteme<br />
sind immens. Eine<br />
Verdopplung des Altersquotienten, wie<br />
sie in Deutschland zwischen 2000 und<br />
2035 stattfindet, bedeuten für umlagenfinanzierte<br />
Sozialversicherungen, dass<br />
vereinfacht gesagt, ein Arbeitnehmer<br />
doppelt so viele Rentner finanzieren<br />
muss. Diese Folgen sind tatsächlich gravierend<br />
und wohl auch <strong>der</strong> Grund dafür,<br />
dass <strong>der</strong> demografische Wandel im öffentlichen<br />
Diskurs für viele Menschen mit<br />
Ängsten verbunden ist. Auf die Folgen<br />
kann in <strong>der</strong> Rentenversicherung durch<br />
vier Stellschrauben reagiert werden: Anheben<br />
<strong>der</strong> Rentenbeiträge, Absenken <strong>der</strong><br />
Rentenbezüge, Anstieg des Renteneintrittsalters4<br />
und höhere Steuerzuschüsse.<br />
Eine Kombination dieser vier Stellschrauben<br />
hat die Anpassung <strong>der</strong> Sozialsysteme<br />
an die demografische Entwicklung <strong>der</strong><br />
nächsten Jahrzehnte geprägt.<br />
Regionale Strukturpolitik und öffentliche<br />
Daseinsvorsorge: Durch Binnenwan<strong>der</strong>ungen<br />
wird <strong>der</strong> Bevölkerungsrückgang<br />
in einigen Regionen verstärkt und in an<strong>der</strong>en<br />
kompensiert. Der verstärkte Bevölkerungsrückgang<br />
v.a. in Nord- und<br />
Ostdeutschland stellt eine große Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
für die öffentliche Daseinsvorsorge<br />
dar. Dies betrifft Schulen,<br />
medizinische Versorgung, Verkehrsinfrastruktur,<br />
Einkaufsmöglichkeiten bis zu<br />
schnellen Internetanschlüssen etc. Hier<br />
ist ein geschicktes Management auf<br />
kommunaler und Landesebene gefragt,<br />
wobei günstige Mieten und Umgestaltungsmaßnahmen<br />
auch Chancen implizieren<br />
können. Dieser langfristige<br />
regionale Bevölkerungsrückgang ist ein<br />
historisch neues Phänomen, ambivalent<br />
und als solches nicht abschließend zu<br />
bewerten.<br />
3. Demografische<br />
Entwicklungen beeinflussen<br />
Nachdem die Geburtenrate als zentraler Parameter<br />
für demografische Folgen identifiziert<br />
wird (siehe 3.1), geht es um die beiden<br />
Fragen, ob die Politik zu einem Anstieg <strong>der</strong><br />
Geburtenrate beitragen kann und darf. Lässt<br />
sich die Geburtenrate durch Familienpolitik<br />
beeinflussen? Ist eine solche Beeinflussung<br />
überhaupt legitim? Die erste Frage kann nur<br />
auf <strong>der</strong> Basis von empirischen Wirkungsstudien<br />
beantwortet werden. Die zweite Frage<br />
ist normativ; ihre Beantwortung sollte den<br />
breiteren gesellschaftlichen Kontext und die<br />
Wünsche potentieller Eltern berücksichtigen.<br />
3.1. Demografische Folgen,<br />
demografische Parameter und<br />
politische Beeinflussung<br />
Zwischen zwei völlig unterschiedlichen Dimensionen<br />
demografischer Folgen ist zu differenzieren:<br />
dem Rückgang <strong>der</strong> Bevölkerungsgröße<br />
und <strong>der</strong> Verschiebung <strong>der</strong><br />
Altersstruktur. Während die Alterung sich<br />
massiv auf die sozialen Sicherungssysteme<br />
auswirkt, hat <strong>der</strong> Bevölkerungsrückgang<br />
langfristige Auswirkungen auf Stimmrechte<br />
in internationalen Organisationen, nicht zuletzt<br />
<strong>der</strong> EU. Die Kombination aus Alterung<br />
und Bevölkerungsrückgang hat Folgen für die<br />
Abbildung 1: Wirkung <strong>der</strong> demografischen Parameter auf Alterung und Geburtenrückgang<br />
Einfluss niedriger<br />
Geburtenraten<br />
Einfluss Migration gering<br />
Einfluss steigende<br />
Lebenserwartung<br />
Alterung Bevölkerungsrückgang<br />
Verstärkt enorm die Alterung<br />
Einfluss steigende<br />
Lebenserwartung<br />
Verstärkt enorm den<br />
Bevölkerungsrückgang<br />
Hoher Einwan<strong>der</strong>ungssaldo<br />
Kann Bevölkerungsrückgang<br />
abbremsen<br />
Hemmt etwas den<br />
Bevölkerungsrückgang<br />
Wirtschaft wie den Fachkräftemangel und<br />
unterschiedliche Effekte auf das Sozialprodukt<br />
bzw. das Sozialprodukt pro Kopf. Die gesellschaftlichen<br />
Folgen bei<strong>der</strong> Entwicklungen<br />
sind vielschichtig, sie betreffen den Strukturwandel<br />
insbeson<strong>der</strong>e in ländlichen Regionen<br />
ebenso wie kulturelle Aspekte und steigende<br />
Chancen für die (Weiter-)bildung.<br />
Die demografische Entwicklung – also auch<br />
die Phänomene Alterung und Bevölkerungsrückgang<br />
– ist im Kern von den drei Parame-<br />
tern Geburtenrate, Lebenserwartung und Migration<br />
geprägt. Wie Abb. 1 zeigt, wirken sich<br />
diese Parameter unterschiedlich auf die demografischen<br />
Folgen aus. Dauerhaft niedrige<br />
Geburtenraten, wie wir sie mit zusammengefassten<br />
Geburtenraten von 1,24 bis 1,45 seit<br />
1975 in Deutschland haben, führen sowohl<br />
zu Alterung als auch zum Bevölkerungsrückgang.<br />
Die steigende Lebenserwartung verstärkt<br />
den Anstieg des Altenquotienten, wirkt<br />
tendenziell jedoch leicht gegen den Bevölkerungsrückgang.<br />
Internationale Migration hat<br />
auf die Alterung nur einen geringen Effekt. 5<br />
Wie ließen sich diese Parameter demografiepolitisch<br />
beeinflussen? Die Migration lässt<br />
sich vergleichsweise leichter politisch steuern,<br />
ihr Effekt auf die Alterung ist jedoch nur<br />
minimal. Zudem ist eine Einwan<strong>der</strong>ungspolitik<br />
mit wichtigen Fragen verbunden, u.a. <strong>der</strong><br />
Integration, <strong>der</strong> Bildung aber auch <strong>der</strong> Anwerbestrategie.<br />
Die steigende Lebenserwar-<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 45
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
tung ist ein Glücksfall, dessen verstärkenden<br />
Effekt auf den Anstieg des Altersquotienten<br />
alle gerne in Kauf nehmen. Bleibt <strong>der</strong> dritte<br />
Parameter, die Geburtenrate: Ein Anstieg in<br />
Richtung <strong>der</strong> Ausgleichsrate, die bei 2,08<br />
liegt, würde sich positiv auf beide demografischen<br />
Phänomene auswirken. Dieser Parameter<br />
ist folglich <strong>der</strong> zentrale einer<br />
Demografiepolitik, die nicht nur auf den demografischen<br />
Wandel reagiert, son<strong>der</strong>n die<br />
den Anspruch hat, diesen zu beeinflussen. Die<br />
zwei Fragen bezüglich <strong>der</strong> Möglichkeit und<br />
<strong>der</strong> Legitimität von geburtenerhöhenden Politikmaßnahmen<br />
werden im Folgenden analysiert.<br />
3.2 Sind familienpolitische<br />
Maßnahmen demografierelevant?<br />
Wenn ja, welche und wie?<br />
In <strong>der</strong> wissenschaftlichen Forschung war die<br />
Frage nach Wirkungen <strong>der</strong> Familienpolitik auf<br />
die Geburtenrate lang umstritten. Viele Befunde<br />
sind inkohärent, da oft unterschiedliche<br />
Zeitpunkte und Län<strong>der</strong> analysiert wurden.<br />
Zudem ist die Entscheidung für Kin<strong>der</strong> hochgradig<br />
komplex: sie hängt von einer Vielzahl<br />
gesellschaftlicher, ökonomischer und technischer<br />
Faktoren, aber auch von politischen<br />
Rahmenbedingungen ab, und sie ist in zweierlei<br />
Hinsicht dynamisch, da sie im Lebenslauf<br />
und zwischen zwei Partnern getroffen wird.<br />
Neue Studien 6 zeigen im Län<strong>der</strong>vergleich,<br />
dass Familienpolitik einen erheblichen Einfluss<br />
auf die Höhe <strong>der</strong> Geburtenrate hat. Familienpolitik<br />
wirkt. Jedoch wäre es<br />
übertrieben, von einer politischen Steuerung<br />
<strong>der</strong> Geburtenentwicklung zu sprechen, denn<br />
die Wirkung hat bestimmte Grenzen und<br />
wird von kulturellen und ökonomischen Kontextfaktoren<br />
beeinflusst. Die Wirkung hängt<br />
46 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
auch damit zusammen, dass die Familienpolitik<br />
verschiedener Industrielän<strong>der</strong> unterschiedlich<br />
stark und adäquat auf den<br />
gesellschaftlichen Wandel reagiert hat. D.h.<br />
dass niedrige Geburtenraten mit politischen<br />
Anpassungsdefiziten gegenüber Entwicklungen<br />
wie Frauenemanzipation, Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
<strong>der</strong> Arbeitsmärkte und Wandel <strong>der</strong><br />
Familienformen zusammenhängen. Bis sich<br />
die volle Wirkung entfaltet, dauert es auch<br />
mehrere Jahre, da Informationen über neue<br />
politische Maßnahmen sich nur langsam verbreiten<br />
und gesellschaftliche Normen sich<br />
nur mit <strong>der</strong> Zeit än<strong>der</strong>n.<br />
Von einer einzelnen familienpolitischen Maßnahme<br />
ist kein Anstieg <strong>der</strong> Geburtenrate zu<br />
erwarten. Das Zusammenspiel mehrerer familienpolitischer<br />
und arbeitsmarktpolitischer<br />
Maßnahmen ist entscheidend. Die Kombination<br />
<strong>der</strong> familienpolitischen Trias Zeit, Infrastruktur<br />
und Geld, die <strong>der</strong> Siebte<br />
Familienbericht 7 geprägt hat, kann 63% <strong>der</strong><br />
Variation <strong>der</strong> Geburtenraten von 28 OECD-<br />
Län<strong>der</strong>n erklären. 8 Demnach sind die Geburtenraten<br />
in den Län<strong>der</strong>n höher, in denen die<br />
Kin<strong>der</strong>betreuungsquote für unter Dreijährige<br />
hoch ist, in denen es viel Teilzeitarbeit gibt,<br />
in denen das Kin<strong>der</strong>geld in Relation zum<br />
Durchschnittseinkommen hoch ist. Vergleicht<br />
man statt des Querschnitts die Verän<strong>der</strong>ungen<br />
familienpolitischer Indikatoren mit Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Geburtenrate seit Mitte <strong>der</strong><br />
1980er, zeigt sich an Hand von Regressionsanalysen<br />
deutlich, dass Anstiege <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuungsausgaben<br />
und <strong>der</strong> Elternausgaben<br />
zu höheren Geburtenraten beigetragen<br />
haben. Interessant ist auch <strong>der</strong> Effekt<br />
des Generationskoeffizienten auf die Geburtenrate.<br />
Je höher die Familienausgaben im<br />
Vergleich zu Rentenausgaben sind, desto<br />
mehr Kin<strong>der</strong> werden geboren.<br />
Wenn potentielle Eltern zur Einschätzung<br />
kommen, dass die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie möglich ist, da es ausreichend<br />
Kitas, Ganztagsschulen, Teilzeitangebote, unbefristete<br />
Stellen und Elternzeit gibt, werden<br />
sie auch eher ihre Kin<strong>der</strong>wünsche realisieren.<br />
Der internationale Vergleich zeigt zudem,<br />
dass die empirisch messbaren Kin<strong>der</strong>wünsche<br />
junger Menschen positiv von familienfreundlichen<br />
Rahmenbedingungen beeinflusst<br />
werden. Es bedarf also einer umfassenden<br />
und verlässlichen familienpolitischen<br />
Strategie, die Zeit, Geld und Infrastruktur im<br />
Lebenslauf gleichermaßen berücksichtigt.<br />
Diese Strategie sollte gut kommuniziert werden,<br />
geeignete Anlaufstellen für Familien bieten<br />
und die Perspektive <strong>der</strong> betroffenen<br />
Familien konsequent berücksichtigen.<br />
3.3 Ist eine familienorientierte<br />
Demografiepolitik legitim?<br />
Und wenn ja, unter welchen<br />
Bedingungen?<br />
Es gibt zwei konträre Thesen im normativen<br />
Diskurs, ob Familienpolitik demografische<br />
Ziele verfolgen sollte. Diese Thesen lassen<br />
sich vereinfacht etwa so formulieren: (a) „Familienpolitik<br />
darf keine demografischen Ziele<br />
(mit-)verfolgen.“ (b) „Familienpolitische<br />
Maßnahmen sollen als Bevölkerungspolitik<br />
konzipiert werden.“ Beide Thesen sind zu<br />
pauschal und daher irreführend. Im Folgenden<br />
werden vier Prämissen aufgestellt, die<br />
für die Legitimationsfrage wichtig sind:<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Familienpolitik sollte als oberstes Ziel<br />
die Lebensqualität <strong>der</strong> Familien verbessern;<br />
das mehrdimensionale Konzept<br />
des kindlichen und elterlichen Wohlbefindens<br />
ermöglicht, dieses individuelle<br />
Ziel empirisch zu messen. 9<br />
Die Entscheidung zu Kin<strong>der</strong>n ist eine<br />
freie Entscheidung von jungen Frauen<br />
und Männern. Familien und Kin<strong>der</strong> dürfen<br />
nicht für gesellschaftliche Ziele instrumentalisiert<br />
werden. Aber gerade<br />
um die freie Entscheidung zu sichern ist<br />
es notwendig, jungen Menschen zu helfen,<br />
vorhandene Kin<strong>der</strong>wünsche umzusetzen.<br />
Da die Folgen dauerhaft niedriger Geburtenraten<br />
sich negativ auf viele gesellschaftliche<br />
und ökonomische Bereiche<br />
auswirken, ist es legitim und sogar notwendig,<br />
dass die Politik demografische<br />
Ziele nicht nur reaktiv, son<strong>der</strong>n auch das<br />
Ziel höherer Geburtenraten verfolgt.<br />
Familienpolitische Maßnahmen, insbeson<strong>der</strong>e<br />
wenn man sie im weiteren<br />
Sinne als familienrelevante Maßnahmen
Abb. 2 Kindeswohl • Elterliches Wohl • Gesellschaftliche Ziele<br />
Z<br />
E<br />
I<br />
T<br />
I<br />
N<br />
F<br />
R<br />
A<br />
S<br />
T<br />
R<br />
U<br />
K<br />
T<br />
U<br />
R<br />
G<br />
E<br />
L<br />
D<br />
Bildung<br />
GesundheitSicherheit<br />
Zeit<br />
LastenausgleichArmutsprävention<br />
Gleichstellung<br />
Arbeitsmarktpartizipation<br />
Demografische<br />
Ziele<br />
Teilzeitarbeit,<br />
Gleitzeitarbeit √ √ √ √<br />
Elternzeit, Arbeitsplatzgarantie<br />
Normieren<br />
(Institution<br />
Familie<br />
stärken)<br />
√ √ √ √ √<br />
Vätermonate √ √ √ √<br />
Rentenansprüche,<br />
Erziehungszeiten √ √<br />
Kin<strong>der</strong>betreuung<br />
und Kin<strong>der</strong>garten √ √ √ √ √ √ √<br />
Schulsystem<br />
halb- bzw. ganztags<br />
Kommunale Infrastruktur<br />
√ √ √ √ √ √<br />
Mitversicherung<br />
in GKV √ √<br />
√<br />
Kin<strong>der</strong>geld und<br />
Steuerfreibeträge √ √ √ √ √ √ √<br />
Besteuerung<br />
Zweitverdiener √ √ √ √ √ √<br />
Elterngeld √<br />
Son<strong>der</strong>transfers<br />
Mehrkindfamilien √ √<br />
Adressat: Kin<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
Eltern und<br />
Kin<strong>der</strong><br />
Eltern<br />
Eltern und<br />
Wirtschaft<br />
Gesellschaft<br />
Gesellschaft<br />
Anmerkungen: Die Häkchen zeigen eine potentielle Wirkung des Instruments auf das entsprechende<br />
Ziel an.<br />
interpretiert, haben eine komplementäre<br />
Zielstruktur. Sie können für individuelle<br />
und gesellschaftliche Ziele gleichzeitig<br />
hilfreich sein.<br />
Eine familienorientierte Demografiepolitik ist<br />
folglich legitim, wenn sie Entscheidungsfreiheit<br />
unterstützt und die Lebensqualität von<br />
Familien primär im Auge hat. Bei demografischen<br />
Zielen <strong>der</strong> Familienpolitik ist zu beachten,<br />
dass politische Maßnahmen zwar die<br />
Geburtenrate unterstützen können, diese jedoch<br />
nicht gesteuert werden kann. Die Legitimationsfrage<br />
und die Frage <strong>der</strong><br />
Kommunikation familienpolitischer Maßnahmen,<br />
die mehrere Ziele gleichzeitig unterstützen,<br />
sind enorm wichtig, insbeson<strong>der</strong>e<br />
in Deutschland. Der internationale<br />
Vergleich zeigt, dass in Län<strong>der</strong>n mit historischen<br />
Erfahrungen eines<br />
pronatalistischen Missbrauchs die Geburtenrate<br />
signifikant niedriger ist. 10<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
4. Perspektiven einer<br />
familienorientierten<br />
Demografiepolitik<br />
4.1. Die komplementäre Zielstruktur<br />
In Deutschland gibt es seit einigen Jahren<br />
eine sehr vorteilhafte Konstellation einer<br />
komplementären Zielstruktur <strong>der</strong> Familienpolitik<br />
(und familienrelevanter Politiken). Dies<br />
bedeutet, dass einzelne Maßnahmen positiv<br />
auf mehrere Ziele wirken (siehe Abb. 2). Maßnahmen<br />
können auch dann Effekte auf bestimmte<br />
Zielebenen verursachen, wenn diese<br />
nicht intendiert sind. Wird aus sozialpolitischen<br />
Motiven das Kin<strong>der</strong>geld erhöht, ist bei<br />
entsprechen<strong>der</strong> Größenordnung auch eine<br />
demografische Wirkung denkbar. Werden aus<br />
Gleichstellungsmotiven die Vätermonate ausgebaut,<br />
wirkt sich das positiv auf die Erziehungskompetenz<br />
des Vaters und das Kindeswohl<br />
aus. Tatsächlich liegen für die meisten<br />
Maßnahmen Mischmotive vor. Die gestiegene<br />
Bedeutung eines Ziels kann zu Maßnahmen<br />
führen, die auch an<strong>der</strong>e Ziele<br />
unterstützen, für die alleine nicht genug politischer<br />
Willen aufbringbar war. Beispielsweise<br />
wäre <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong><br />
Kleinkindbetreuung ohne die Artikulation demografischer<br />
und arbeitsmarktpolitischer<br />
Ziele weniger ambitioniert. Hilfreich sind <strong>der</strong>artige<br />
Konstellationen für die Kompromissfindung<br />
bei Koalitionsregierungen und in<br />
Parteien. Denkbar ist, dass bestimmte Maßnahmen<br />
von einem Akteur aus sozialpolitischen<br />
und von an<strong>der</strong>en aus<br />
emanzipatorischen, demografischen o<strong>der</strong> arbeitsmarktpolitischen<br />
Motiven unterstützt<br />
werden. Die komplementäre Zielstruktur erleichtert<br />
die Mehrheitsfindung für familienpolitische<br />
Verbesserungen und ermöglicht<br />
eine breite Legitimation gegenüber <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />
Die Grafik verdeutlicht auch, dass demografische<br />
Zielsetzungen nur einen Teil <strong>der</strong><br />
Ziele von familienrelevanten Politiken ausmachen.<br />
Daher – und auch aufgrund <strong>der</strong><br />
zeitverzögerten und kontextgebundenen<br />
Wirkung – ist davor zu warnen, einzelne<br />
Maßnahmen primär über einen erwarteten<br />
Geburtenanstieg zu legitimieren. Umgekehrt<br />
ist die Perspektive einer strategischen Demografiepolitik<br />
hilfreich, da sie sozialpolitisch<br />
und gleichstellungspolitisch sinnvolle<br />
Maßnahmen zusätzlich legitimiert. Sind die<br />
Rahmenbedingungen für Familien gut, dann<br />
entscheiden sich einfach auch mehr Menschen<br />
dazu, vorhandene Kin<strong>der</strong>wünsche<br />
umzusetzen. Diese zusätzliche Legitimation<br />
sollte in die Waagschale geworfen werden<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 47
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
für die Weiterentwicklung einer nachhaltigen<br />
Familienpolitik und die Verbesserung familienpolitischer<br />
Rahmenbedingungen.<br />
4.2 Demografiepolitik und<br />
Familienpolitik<br />
Die Dimension des Reformbedarfs <strong>der</strong> Demografiepolitik<br />
und <strong>der</strong> Rahmenbedingungen<br />
für Familien entspricht einer großen<br />
sozialstaatlichen Reform, denn es geht<br />
darum, Familien-, Bildungs- und Arbeitsbiografien<br />
im Lebenslauf kompatibel zu<br />
machen und gleichzeitig die Generationengerechtigkeit<br />
zu beachten. Dies betrifft die<br />
Sozialsysteme, den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem<br />
und genuine Fel<strong>der</strong> von Demografie-<br />
und Familienpoltik. Demografiepolitik<br />
sollte definiert, ressort- über-<br />
greifend koordiniert und zentral gesteuert<br />
werden. Die Erstellung des ersten Demografieberichts<br />
und einer Demografie -<br />
strategie durch die Bundesregierung sind<br />
hierfür eminent wichtige Schritte.<br />
Eine familienorientierte Demografiepolitik<br />
sollte auch die Perspektive junger, mittlerer<br />
und älterer Generationen gemeinsam<br />
berücksichtigen. In <strong>der</strong> Lebensverlaufsperspektive<br />
wird <strong>der</strong> Generationszusammenhang<br />
deutlich: Die längere Lebenserwartung<br />
ermöglicht einen späteren Renteneintritt,<br />
dieser eröffnet Spielräume, die Rushhour des<br />
Lebens für die jüngere Generation zu entzerren.<br />
Demografische Entwicklungen wie<br />
Geburtenaufschub und Anstieg <strong>der</strong> Lebenser-<br />
48 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
wartung können in <strong>der</strong> Generationsperspektive<br />
verbunden zu sinnvollen Lösungen<br />
führen. Ältere Generationen haben zudem<br />
ein großes Interesse daran, dass es jungen<br />
Familien gut geht und jüngere Frauen und<br />
Männer ihre Kin<strong>der</strong>wünsche realisieren können:<br />
erstens haben sie meistens selber Kin<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> Enkel, zweitens sind höhere Geburtenraten<br />
für Sozialsysteme hilfreich, und drittens<br />
ist es für ältere Generationen in ländlichen<br />
Räumen ein Segen, wenn junge Familien dort<br />
Perspektiven finden.<br />
Demografiepolitik hat zum einen die Aufgabe,<br />
demografische Folgen zu managen,<br />
ihren Problemen konzeptionell und<br />
langfristig zu begegnen und ihre Chancen zu<br />
nutzen. Zweitens sollte Demografiepolitik die<br />
drei Parameter <strong>der</strong> demografischen Entwicklung<br />
– Lebenserwartung, Migration und<br />
Geburtenentwicklung – beachten und sie<br />
unter den genannten Prämissen strategisch<br />
beeinflussen. Der Befund, dass Familienpolitik<br />
auf die Geburtenrate wirkt und in welcher<br />
Weise, ist hier zentral. Eine familienorientierte<br />
Demografiepolitik führt die Demografen<br />
in die Arena <strong>der</strong> Familienpolitik<br />
und gibt den Familienpolitikern weitere Argumente<br />
für die Stärkung dieses Politikfeldes<br />
an die Hand.<br />
Autor: Dr. Martin Bujard<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesinstitut<br />
für Bevölkerungsforschung;<br />
Koordinator <strong>der</strong> interdisziplinären Arbeits-<br />
gruppe „Zukunft mit Kin<strong>der</strong>n“ (<strong>Berlin</strong>-Brandenburgische<br />
Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
und Nationale Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
Leopoldina)<br />
Friedrich-Ebert-Allee 4<br />
65185 Wiesbaden<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend.<br />
1 Mayer differenziert in ähnlicher Weise zwischen „Verwalten“<br />
und „Gestalten“ (Tilman Mayer 2012 BDF)<br />
2 Ausführlich sind diese Politikfel<strong>der</strong> im Demographiebericht<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung (BMI 2011) dargestellt,<br />
siehe: www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/<br />
Broschueren/2011/demographiebericht.html<br />
3 Akademiegruppe Altern in Deutschland, 2009: Gewonnene<br />
Jahre, Nova Acta Leopoldina 371, Band 107, S. 16<br />
4 Betrachtet man die Rentenformel, geht es hier um den<br />
Quotienten aus Rentner und Erwerbstätigen-Koeffizienten.<br />
Eine Anhebung des Renteneintrittsalters wirkt erheblich<br />
auf diesen Quotienten, da er Nenner und Zähler<br />
günstig beeinflusst. Zudem kann <strong>der</strong> Erwerbstätigen-Koeffizient<br />
auch durch eine Verbreiterung <strong>der</strong> Basis (Selbstständige,<br />
Frauenerwerbsquote, Arbeitslosigkeit)<br />
verbessert werden.<br />
5 Vgl. United Nations, 2000: Replacement Migration,<br />
New York.<br />
6 Martin Bujard 2011: Geburtenrückgang und Familienpolitik,<br />
Nomos. Vgl. auch Oliver Thevenon und Angela<br />
Luci, i.E., Reconciling Work, Family and Children Outcomes,<br />
in: Population Research and Policy Review. Zu Mikrostudien<br />
siehe: Katharina Spieß 2012, Zeit, Geld,<br />
Infrastruktur und Fertilität, in: Bertram/Bujard (Hrsg.):<br />
Zeit, Geld, Infrastruktur – zur Zukunft <strong>der</strong> Familienpolitik,<br />
Son<strong>der</strong>band Soziale Welt 19.<br />
7 BMFSFJ, 2006: Siebter Familienbericht. Familie zwischen<br />
Fexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für<br />
eine lebenslaufbezogene Familienpolitik, in:<br />
http://www.bmfsfj.de/doku/familienbericht/haupt.html<br />
8 BMFSFJ, 2011: Familienpolitik und Geburtenrate: Ein<br />
internationaler Vergleich, in: http://bmfsfj.de/BMFSFJ/<br />
Service/Publikationen/publikationsliste.did=174296.ht<br />
ml<br />
9 Amartja Sen 1993: Capability and Well-Being, in:<br />
Sen/Nussbaum (Hrsg.), The Quality of Life. Oxford 30-53;<br />
Jonathan Bradshaw, Petra Hoelscher und Dominic Richardson,<br />
2006: Comparing Child Well-Being in OECD<br />
Countries: Concepts und Methods, UNICEF IWP 2006-<br />
03; Akademiegruppe Zukunft mit Kin<strong>der</strong>n 2012 i.E., Zukunft<br />
mit Kin<strong>der</strong>n – Fertilität und gesellschaftliche<br />
Entwicklung, Campus.<br />
10 Dies bezieht sich auf den empirischen Vergleich von<br />
28 OECD-Län<strong>der</strong>n, wobei in sechs dieser Län<strong>der</strong><br />
(Deutschland, Österreich, Japan, Portugal, Griechenland<br />
und Spanien) die Bevölkerung eine pronatalistsiche<br />
durch ein autoritäres bzw. faschistisches Regime erfahren<br />
hatte. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in den<br />
sechs Län<strong>der</strong>n in 2006 bei 1,36 und in den an<strong>der</strong>en 22<br />
OECD-Staaten bei 1,67. Vgl. Martin Bujard 2011: Geburtenrückgang<br />
und Familienpolitik, Nomos.
Gibt es eine Trendumkehr<br />
in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl nach<br />
Geburtsjahrgängen in<br />
Deutschland?<br />
Prof. Joshua R. Goldstein PH.D.,<br />
Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld, Felix Rößner<br />
1. Einleitung<br />
Ähnlich wie in an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n<br />
ist die durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl pro<br />
Frau in Deutschland kontinuierlich zurückgegangen.<br />
Während die westdeutschen Frauen<br />
des Geburtsjahrganges 1940 etwa 2 Kin<strong>der</strong><br />
bekommen haben, hatten Frauen des Geburtsjahrganges<br />
1965 nur noch 1,5 Kin<strong>der</strong> im<br />
Durchschnitt. Für Ostdeutschland lässt sich<br />
eine ähnliche Entwicklung aufzeigen, da<br />
auch hier die durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl<br />
rückläufig war. Aktuelle empirische Befunde<br />
deuten jedoch darauf hin, dass <strong>der</strong> über mehrere<br />
Frauengenerationen andauernde Rückgang<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl nun zum Stillstand<br />
gekommen ist und sich sogar eine leichte<br />
Trendumkehr einstellt (Goldstein und Kreyenfeld<br />
2011). Diese Befunde zur Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl basieren zum Teil auf prognostizierten<br />
Werten. Ziel dieser Expertise ist es,<br />
die Methode zu beschreiben, auf <strong>der</strong>en Basis<br />
diese Prognosen durchgeführt wurden.<br />
Zudem sollen die Ergebnisse in die allgemeine<br />
gesellschaftliche und demografische<br />
Entwicklung eingeordnet werden. Folgende<br />
Fragestellungen stehen damit im Vor<strong>der</strong>grund<br />
<strong>der</strong> Expertise:<br />
1<br />
2<br />
Wie lässt sich das Geburtenverhalten<br />
<strong>der</strong> jüngeren Geburtsjahrgänge prognostizieren?<br />
Inwiefern deuten die Prognosen auf eine<br />
Trendumkehr hin?<br />
Da die Geburtenentwicklung in Ost- und<br />
Westdeutschland in <strong>der</strong> Vergangenheit unterschiedlich<br />
verlaufen ist, werden im Folgenden<br />
die Berechnungen für beide Landesteile getrennt<br />
durchgeführt. 1 Alle Darstellungen beziehen<br />
sich zudem, wie dies in <strong>der</strong><br />
demografischen Forschung üblich ist, auf die<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau. Die durchschnittliche<br />
Kin<strong>der</strong>zahl für Männer wird nicht ausgewiesen.<br />
2. Darstellung <strong>der</strong> Methode<br />
2.1. Perioden- versus Kohortenperspektive<br />
Will man die Geburtenentwicklung beschreiben,<br />
ist es sinnvoll, einleitend einige Anmerkungen<br />
zur Aussagekraft <strong>der</strong> standardmäßig<br />
verwendeten Fertilitätsindikatoren zu machen.<br />
Die in <strong>der</strong> Öffentlichkeit am häufigsten<br />
verwendete Kennziffer zur Charakterisierung<br />
des Geburtenverhaltens ist die auf Jahresbasis<br />
berechnete zusammengefasste Geburtenziffer<br />
(„total period fertility rate“ TFR). Diese<br />
Kennziffer liegt in Westdeutschland seit den<br />
1970er-Jahren auf einem Wert von etwa 1,4<br />
Kin<strong>der</strong>n pro Frau. In Ostdeutschland ist die<br />
TFR nach <strong>der</strong> Wende eingebrochen, liegt aber<br />
mittlerweile auf einem ähnlichen Niveau wie<br />
in Westdeutschland. Die TFR ist eine auf Basis<br />
von Jahresdaten geschätzte Fertilitätsziffer,<br />
die häufig als durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl<br />
pro Frau interpretiert wird. Tatsächlich ist die<br />
TFR nur ein Schätzwert für die durchschnittliche<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau. Dieser Schätzwert<br />
wird verzerrt, wenn sich das Alter, in dem<br />
Frauen Kin<strong>der</strong> bekommen, verän<strong>der</strong>t. Da dieses<br />
Alter in Westdeutschland seit den 1970er-<br />
Jahren und in Ostdeutschland seit 1990 gestiegen<br />
ist, steht fest, dass die jährliche Geburtenziffer<br />
tatsächlich verzerrt ist. Sie ist<br />
damit kein verlässliches Maß, um die durchschnittliche<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau anzugeben.<br />
Vor dem Hintergrund, dass die jährliche Geburtenziffer<br />
ein problematischer Indikator ist,<br />
wird zunehmend in Frage gestellt, ob sie<br />
überhaupt noch berechnet werden sollte (Sobotka<br />
und Lutz 2011).<br />
Um verlässliche Aussagen zur durchschnittlichen<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau zu machen, werden<br />
in <strong>der</strong> demografischen Forschung <strong>der</strong>zeit<br />
zwei Varianten verwendet. Eine erste Variante<br />
basiert auf so genannten „Tempo-Korrekturen“.<br />
Diese Korrekturverfahren fußen<br />
auf <strong>der</strong> Vorstellung, dass sich die erwähnten<br />
„Tempo-Verzerrungen“ aus den jährlichen<br />
Geburtenraten herausrechnen lassen. Seitdem<br />
die ersten „Tempokorrekturmethoden“<br />
in <strong>der</strong> Forschung vorgeschlagen wurden<br />
(Bongaarts und Feeney 1998), sind sie vielfach<br />
modifiziert und verfeinert worden (Kohler<br />
et al. 2002: 648ff.). Gemeinsam ist diesen<br />
Methoden, dass sie prinzipiell davon ausgehen,<br />
dass eine durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl<br />
nach Kalen<strong>der</strong>jahren berechnet werden kann.<br />
Damit wird eine Periodenperspektive verfolgt.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Die zweite Variante nimmt eine Kohortenperspektive<br />
ein. Sie basiert auf <strong>der</strong> Vorstellung,<br />
dass die durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl nicht<br />
auf Jahresbasis angegeben werden kann, da<br />
Geburtenentscheidungen im Kontext des Lebenslaufs<br />
getroffen werden. Nach dieser<br />
Logik kann eine durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl<br />
nur nach Geburtsjahrgängen (Kohorten) von<br />
Frauen berechnet werden. Fertilitätsziffern,<br />
die auf Basis <strong>der</strong> Kohortenperspektive berechnet<br />
werden, bilden das tatsächliche Verhalten<br />
von Frauen ab und sind damit keine<br />
Schätzwerte. Der Nachteil <strong>der</strong> Kohortenperspektive<br />
ist jedoch, dass gesicherte Angaben<br />
zur Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau erst gemacht werden<br />
können, wenn <strong>der</strong> jeweilige Frauenjahrgang<br />
das Ende seiner „reproduktiven“ Phase erreicht<br />
hat, also keine Kin<strong>der</strong> mehr bekommen<br />
kann. Derzeit liegen Fertilitätsdaten bis zum<br />
Jahr 2010 für Deutschland vor. Geht man<br />
davon aus, dass für Frauen die „reproduktive“<br />
Phase frühestens im Alter von 45 Jahren<br />
abgeschlossen ist, bedeutet dies, dass bislang<br />
nur gesicherte Aussagen zur durchschnittlichen<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau für den Jahrgang<br />
1965 und älter gemacht werden können. 2<br />
2.2 Die Methode <strong>der</strong> Kohortenprognose<br />
Ein Problem <strong>der</strong> Kohortenperspektive ist, wie<br />
oben beschrieben, dass die durchschnittliche<br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau erst mit Sicherheit berechnet<br />
werden kann, wenn ein Geburtsjahrgang<br />
das Alter 45 erreicht hat. Dies ist von<br />
Nachteil, da auf Basis dieser Methode keine<br />
Aussagen zum aktuellen Geburtenverhalten<br />
gemacht werden können. Zudem vernachlässigt<br />
dieses Vorgehen vorhandene Informationen.<br />
Die Frauen, die bislang noch nicht das<br />
Ende ihrer „reproduktiven“ Phase erreicht<br />
haben, haben Kin<strong>der</strong> bekommen, und es liegen<br />
Daten zu ihrem bisherigen Fertilitätsverlauf<br />
vor. Mit <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong><br />
Kohortenprognose werden diese Nachteile<br />
umgangen, indem für die Jahrgänge, die<br />
noch im „reproduktiven“ Alter sind, die noch<br />
fehlenden Angaben geschätzt werden (Li und<br />
Wu 2003). Dies bedeutet, dass die Kohortenprognose<br />
zwar prognostische Elemente beinhaltet,<br />
aber sich in erster Linie am<br />
tatsächlichen Verhalten <strong>der</strong> jeweiligen Geburtskohorten<br />
orientiert.<br />
Calot-Methode<br />
Um die fehlenden Werte einer Geburtskohorte<br />
zu schätzen, sind in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
verschiedene Verfahren angewendet worden.<br />
Ein klassisches Verfahren ist die „Calot-Methode“,<br />
die im englischen Sprachgebrauch<br />
auch als „freeze-method“ bekannt ist. Bei<br />
50 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
<strong>der</strong> Calot-Methode werden die fehlenden<br />
Werte eines Geburtsjahrganges durch die beobachteten<br />
Werte des jeweils älteren Geburtsjahrganges<br />
ersetzt (Frejka und Calot<br />
2001). Beispielsweise liegen im Jahr 2010 für<br />
den Geburtsjahrgang 1966 Werte bis zum<br />
Alter 44, jedoch noch nicht für das Alter 45<br />
vor. Um die endgültige Kin<strong>der</strong>zahl dieses<br />
Frauenjahrganges zu berechnen, wird im<br />
Rahmen <strong>der</strong> Calot-Methode angenommen,<br />
dass die Fertilität <strong>der</strong> Frauen im Alter 45 genauso<br />
hoch sein wird wie die Fertilität in<br />
demselben Alter des Vorgängerjahrganges.<br />
Die Calot-Methode ist in <strong>der</strong> Forschung kritisch<br />
hinterfragt worden. Problematisch an<br />
dieser Methode ist, dass sie auf <strong>der</strong> Annahme<br />
basiert, dass sich die zukünftigen Kohorten<br />
ähnlich verhalten wie die bisherigen Jahrgänge.<br />
Diese Annahme ist für Län<strong>der</strong> wie<br />
Deutschland eher konservativ, da nicht berücksichtigt<br />
wird, dass Frauen ihre Kin<strong>der</strong> zunehmend<br />
im späteren Alter bekommen. In<br />
den hohen Altersstufen haben sich in den<br />
letzten Jahren die Fertilitätsraten folglich<br />
durchweg erhöht. Dies bedeutet, dass bisherige<br />
Prognosen für Deutschland, die auf Basis<br />
<strong>der</strong> Calot-Methode durchgeführt wurden, die<br />
Fertilität <strong>der</strong> jüngeren Kohorten systematisch<br />
unterschätzt haben.<br />
Methode <strong>der</strong> linearen Trendinterpolatation<br />
Auf Grund <strong>der</strong> Verschiebung <strong>der</strong> Geburten in<br />
höhere Altersstufen ist es nicht möglich,<br />
davon auszugehen, dass sich die Frauen, die<br />
noch im „reproduktiven“ Alter sind, genauso<br />
verhalten werden wie ihre Vorgängerinnen.<br />
Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese<br />
Frauen im höheren Alter eine relativ höhere<br />
Fertilität aufweisen werden. Wie hoch <strong>der</strong>en<br />
Fertilität ist, lässt sich nicht mit Sicherheit<br />
sagen. Es kann jedoch ein Trend berechnet<br />
werden. Statt die Werte des Vorgängerjahrganges,<br />
die dies bei <strong>der</strong> Calot-Methode geschieht,<br />
zu übernehmen, wird in <strong>der</strong> Methode<br />
<strong>der</strong> linearen Trendinterpolation berücksichtigt,<br />
dass Fertilitätsraten in einem bestimmten<br />
Alter einem Trend unterliegen. Will man<br />
beispielsweise für den Jahrgang 1966 die Geburtenrate<br />
von Frauen für das Alter 45 berechnen,<br />
untersucht man den Trend <strong>der</strong><br />
Fertilität im Alter 45 und schreibt diesen fort<br />
(Siegel et al. 2004: 567ff).<br />
Kohortenprojektion in dieser Expertise<br />
In den folgenden Analysen haben wir die Methode<br />
<strong>der</strong> linearen Trendinterpolation verwendet,<br />
um die Fertilität <strong>der</strong> ost- und<br />
westdeutschen Geburtsjahrgänge 1950 und<br />
1975 darzustellen. Dabei haben wir die letz-<br />
ten fünf Beobachtungswerte herangezogen,<br />
um einen linearen Trend für die Interpolation<br />
<strong>der</strong> fehlenden Werte zu bestimmen. 3 Die<br />
Jahrgänge, die 1965 o<strong>der</strong> früher geboren<br />
wurden, haben bereits das „reproduktive“<br />
Alter durchlebt. Entsprechend werden nur für<br />
die jüngeren Kohorten fehlende Daten ergänzt.<br />
Der jüngste Jahrgang, für den wir<br />
Schätzungen darstellen, sind die 1975 geborenen<br />
Frauen, die im Jahr 2010 35 Jahre alt<br />
geworden sind. In <strong>der</strong> Tabelle A1 im Anhang<br />
sind die geschätzten Werte wie auch die beobachtete<br />
Kin<strong>der</strong>zahl <strong>der</strong> Jahrgänge 1950 bis<br />
1975 bis zum Jahr 2010 abgebildet. Die Tabelle<br />
gibt Hinweise darauf, in welchem Umfang<br />
die Fertilität <strong>der</strong> jeweiligen Kohorten<br />
beobachtet und geschätzt wurde.<br />
Für jede Art von Prognose ist es wichtig abzuschätzen,<br />
wie treffgenau die Vorhersagen<br />
sind. Da die Kohorten 1950 bis 1975 bereits<br />
vollständig o<strong>der</strong> zumindest einen großen Teil<br />
ihrer „reproduktiven“ Phase hinter sich<br />
haben, ist <strong>der</strong> Schätzfehler gering. Dennoch<br />
ist die Prognose <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl, insbeson<strong>der</strong>e<br />
für die jüngeren Kohorten, mit Unsicherheiten<br />
behaftet. Um abzuschätzen, wie sensibel<br />
die Schätzungen gegenüber alternativen Annahmen<br />
sind, wird in einem zweiten Schritt<br />
in einer Sensitivitätsanalyse die eher konservative<br />
Calot-Methode verwendet und den Ergebnissen<br />
<strong>der</strong> linearen Trendinterpolation<br />
gegenübergestellt.<br />
3. Ergebnisse<br />
3.1 Kann man eine Trendumkehr beobachten?<br />
Abbildung 1 gibt die Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau für<br />
die Jahrgänge 1950 bis 1975 wie<strong>der</strong>. Für die<br />
Jahrgänge, die 1966 o<strong>der</strong> später geboren<br />
wurden, basieren Daten auf Schätzungen<br />
mithilfe <strong>der</strong> linearen Trendinterpolation. Betrachtet<br />
man zunächst die Fertilität für die<br />
Jahrgänge 1950 bis 1965, also <strong>der</strong> Jahrgänge,<br />
<strong>der</strong>en „reproduktive“ Phase abgeschlossen<br />
ist, zeigt sich ein kontinuierlicher<br />
Rückgang <strong>der</strong> durchschnittlichen Kin<strong>der</strong>zahl<br />
pro Frau in West- und Ostdeutschland. Während<br />
<strong>der</strong> westdeutsche Geburtsjahrgang<br />
1950 noch 1,70 Kin<strong>der</strong> hatte, liegt die Fertilität<br />
für den Jahrgang 1965 nur noch bei 1,53<br />
Kin<strong>der</strong>n pro Frau. In Ostdeutschland bekamen<br />
Frauen <strong>der</strong> Geburtsjahrgänge 1950 bis<br />
1965 deutlich mehr Kin<strong>der</strong> als in Westdeutschland.<br />
Allerdings ist <strong>der</strong> Rückgang <strong>der</strong><br />
Fertilität in diesem Landesteil ausgeprägter.<br />
Betrachtet man die Schätzungen zum Verlauf<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl <strong>der</strong> Jahrgänge 1966 bis 1975,<br />
erkennt man für Westdeutschland, dass <strong>der</strong><br />
rückläufige Trend zum erliegen kommen wird.
Mit dem Geburtsjahrgang 1968 wird <strong>der</strong> Tiefpunkt<br />
mit 1,47 erreicht; danach zeigt sich ein<br />
leichter Anstieg <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau. In<br />
Ostdeutschland wird ein Tiefpunkt mit <strong>der</strong><br />
Kohorte 1970 erreicht, aber auch hier steigt<br />
für die darauffolgenden Jahrgänge die Kin<strong>der</strong>zahl<br />
wie<strong>der</strong> leicht an.<br />
Abbildung 2 zeigt, dass auch Ergebnisse auf<br />
Basis <strong>der</strong> Calot-Methode ein Ende des rückläufigen<br />
Trends in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau in<br />
Ost- und Westdeutschland indizieren. Während<br />
in Ostdeutschland die Kin<strong>der</strong>zahl sich<br />
demnach auf einen Wert von 1,5 Kin<strong>der</strong>n pro<br />
Frau ab dem Geburtsjahrgang 1970 stabili-<br />
Abbildung 1: Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau nach Geburtsjahrgängen, Berechnungen auf Basis <strong>der</strong><br />
Methode <strong>der</strong> linearen Trendinterpolation<br />
3.2 Sensivitätsanalyse<br />
Um zu veranschaulichen, inwieweit die<br />
Schätzungen von <strong>der</strong> gewählten Prognosemethode<br />
abhängen, haben wir im Folgenden<br />
alternative Schätzungen auf Basis <strong>der</strong> Calot-<br />
Methode dargestellt. 5 Die Calot-Methode<br />
tendiert, wie oben beschrieben, eher dazu,<br />
die zukünftige Fertilitätsentwicklung zu unterschätzen,<br />
da sie den Aufschub <strong>der</strong> Fertilität,<br />
den wir für Deutschland weiterhin<br />
beobachten können, nicht berücksichtigt. Dadurch<br />
wird die Fertilität in den noch ausstehenden<br />
Altersstufen aller Voraussicht nach<br />
unterschätzt.<br />
siert, steigt sie in Westdeutschland ab dem<br />
Geburtsjahrgang 1968 leicht an. Die Schlussfolgerung<br />
eines rückläufigen Trends kann<br />
folglich als nahezu gesichert gelten.<br />
4. Zusammenfassung<br />
und Diskussion<br />
Ziel dieser Expertise war <strong>der</strong> Frage nachzugehen,<br />
inwieweit eine Trendumkehr in <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau in Deutschland zu erwarten<br />
ist. Dazu wurde die Methode <strong>der</strong> Trendinterpolation<br />
erläutert. Diese Methode wurde<br />
verwendet, um die Kin<strong>der</strong>zahl <strong>der</strong> ost- und<br />
westdeutschen Frauen <strong>der</strong> Geburtsjahrgänge<br />
Abbildung 2: Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau nach Geburtsjahrgängen, Berechnungen auf Basis <strong>der</strong><br />
Calot-Methode<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
1966 bis 1975 zu prognostizieren. Auf Basis<br />
dieser Methode zeigt sich, dass <strong>der</strong> Rückgang<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl in Westdeutschland etwa mit<br />
den Jahrgängen, die um 1968 geboren wurden,<br />
zum Erliegen kommt, bevor die Kin<strong>der</strong>zahl<br />
pro Frau erneut leicht ansteigt. Für<br />
Ostdeutschland deutet sich an, dass mit dem<br />
Jahrgang 1970 die Kin<strong>der</strong>zahl nicht weiter<br />
zurückgehen wird. Um zu überprüfen, wie<br />
sensibel diese Schätzungen gegenüber alternativen<br />
Annahmen sind, wurde das „Calot-<br />
Verfahren“ verwendet. Auch auf Basis dieses<br />
eher konservativen Verfahrens ergibt sich,<br />
dass es keinen weiteren Rückgang <strong>der</strong> Geburtenziffern<br />
geben wird. Insgesamt zeigen<br />
die Analysen damit, dass ein Ende des rückläufigen<br />
Fertilitätstrends in beiden Teilen des<br />
Landes als nahezu gesichert gelten kann. Die<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau nach<br />
Geburtsjahrgängen hat sowohl in Ost- wie<br />
auch in Westdeutschland ihre Talsohle durchschritten.<br />
Wie stark <strong>der</strong> Anstieg <strong>der</strong> Fertilität<br />
jedoch ausfallen wird, kann zu diesem Zeitpunkt<br />
noch nicht mit ausreichend großer Sicherheit<br />
beurteilt werden.<br />
Welche Gründe sprechen dafür, dass <strong>der</strong><br />
Rückgang <strong>der</strong> Fertilität mit den Jahrgängen,<br />
die um 1970 geboren wurden, tatsächlich<br />
zum Erliegen kommt? Welche Argumente lassen<br />
sich für einen Anstieg <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl pro<br />
Frau für die jüngeren Jahrgänge anführen?<br />
Welche Aspekte sprechen eher für eine Stabilisierung<br />
<strong>der</strong> Fertilität auf einem niedrigen<br />
Niveau?<br />
Für eine Stabilisierung auf einem niedrigen<br />
Niveau spricht, dass es auch an<strong>der</strong>e europäische<br />
Län<strong>der</strong> gibt, in denen die Geburtsraten<br />
nicht weiter zurückgehen. Jedoch wurde bislang<br />
für kein Land ein deutlicher Anstieg <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>zahl beobachtet (Sobotka et al. 2011a:<br />
38). Die Prognosen für Deutschland (nach <strong>der</strong><br />
Methode <strong>der</strong> linearen Trendinterpolation) zeigen<br />
für die Frauen, die zwischen 1970 und<br />
1975 geboren wurden, einen Anstieg <strong>der</strong><br />
durchschnittlichen Kin<strong>der</strong>zahl von 1,50 auf<br />
1,57. Dies ist nur ein sehr mo<strong>der</strong>ater Anstieg,<br />
<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Vorstellung kompatibel ist, dass<br />
sich die Fertilität auf einem niedrigen Niveau<br />
eingependelt hat. Gegen das Argument einer<br />
Trendwende spricht zudem, dass gerade die<br />
jüngeren Kohorten von <strong>der</strong> globalen Finanzkrise<br />
betroffen sind und es unwahrscheinlich<br />
ist, dass, angesichts <strong>der</strong> unsicheren Zukunftsaussichten,<br />
sich Paare vermehrt für Kin<strong>der</strong><br />
entscheiden (Sobotka et al. 2011b).<br />
Für eine Trendwende in <strong>der</strong> Geburtenentwicklung<br />
würden insbeson<strong>der</strong>e die Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in den familienpolitischen<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 51
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Rahmenbedingungen und in den Einstellungen<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung sprechen. Die Unvereinbarkeit<br />
von Kind und Beruf wurde in <strong>der</strong><br />
Vergangenheit häufig als zentrale Ursache<br />
für niedrige Fertilitätsraten in entwickelten<br />
Gesellschaften angeführt (Esping-An<strong>der</strong>sen<br />
1999; McDonald 2000; Castles 2003). Da fast<br />
alle Län<strong>der</strong> in den letzten Jahren Anstrengungen<br />
unternommen haben, die Unvereinbar-<br />
keiten zu lösen, wäre eine Trendwende im<br />
Geburtenverhalten mit den Verän<strong>der</strong>ungen in<br />
den familienpolitischen Rahmenbedingungen<br />
erklärbar. Diese Argumentation bietet sich<br />
auch für Deutschland an, wo seit 2005 <strong>der</strong><br />
Ausbau <strong>der</strong> Betreuung von Kin<strong>der</strong>n unter drei<br />
Jahren vorangetrieben wird und 2007 das Elterngeld<br />
eingeführt wurde. Die Kohorten, die<br />
um 1970 geboren worden sind, dürften die<br />
ersten sein, die zumindest teilweise von diesen<br />
Maßnahmen profitiert haben. Neben den<br />
familienpolitischen Maßnahmen kommen als<br />
weitere Erklärungsfaktoren in Betracht, dass<br />
sich auch die Einstellungen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben.<br />
Dies gilt sowohl für die Akzeptanz <strong>der</strong> Frauenerwerbstätigkeit<br />
wie auch für Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in den Einstellungen zur Betreuung von<br />
Kin<strong>der</strong>n in Tageseinrichtungen und Tagespflege<br />
(Bauernschuster und Rainer 2011).<br />
Zudem zeigen Jugendstudien, dass die Familienorientierung<br />
<strong>der</strong> jüngeren Geburtsjahrgänge<br />
zugenommen hat (Albert et al. 2010).<br />
Diese Argumente deuten darauf hin, dass<br />
eine Trendumkehr in <strong>der</strong> Geburtenentwick-<br />
52 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
lung für Deutschland zumindest plausibel ist.<br />
Falls die verbesserte Vereinbarkeit von Kind<br />
und Beruf und die Verän<strong>der</strong>ungen in den Einstellungen<br />
<strong>der</strong> jungen Generation das Geburtenverhalten<br />
beeinflusst haben, würde man<br />
für die Zukunft einen weiteren Anstieg im<br />
Geburtenniveau erwarten können. Zudem<br />
würde man erwarten, dass die Kin<strong>der</strong>losigkeit,<br />
insbeson<strong>der</strong>e unter den hoch qualifizier-<br />
Tabelle A1: Beobachtete und prognostizierte Kohortenfertilität (Kin<strong>der</strong>zahl pro Frau)<br />
ten und erwerbsorientierten Frauen,<br />
zurückgegangen ist. Die Datenlage erlaubt es<br />
jedoch bislang nicht, zu untersuchen, inwiefern<br />
dies tatsächlich <strong>der</strong> Fall gewesen ist. Gesicherte<br />
Befunde dürften hier die Daten des<br />
Mikrozensus 2012 liefern, auf dessen Basis<br />
die Kin<strong>der</strong>zahl und die Kin<strong>der</strong>losigkeit nach<br />
Geburtskohorten und Bildungsniveau von<br />
Frauen berechnet werden kann.<br />
Autorin und Autoren:<br />
Prof. Joshua Goldstein, Ph.D, Direktor Max-Plank-Institut<br />
für demografische Forschung<br />
Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld, Max-Planck-Institut für<br />
demografische Forschung<br />
Felix Rößger, Max-Planck-Institut für demografische<br />
Forschung<br />
Korrespondenzanschrift:<br />
Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld<br />
Max-Planck-Institut für demografische Forschung<br />
Konrad-Zuse-Str. 1, D-18057 Rostock<br />
Tel.: 0381/2081 136, Fax: 0381/2081 436<br />
Im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren,<br />
Frauen und Jugend<br />
Literatur:<br />
Albert, Mathias, Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel (2010).<br />
Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt. Fischer<br />
Bauernschuster, Stefan und Helmut Rainer (2011). Political<br />
regimes and the family: how sexrole attitudes continue to differ<br />
in reunified Germany. Journal Population economics (im Erscheinen)<br />
Bongaarts, John und Griffith Feeney (1998). On the quantum<br />
an tempo of fertility. Population and Development Review 24:<br />
271-291.<br />
Castles, Francis Geoffrey (2003) The world turned upside down:<br />
Below replacement fertility, changing preferences and familyfriendly<br />
public policy in 21 OECD countries. Journal of European<br />
Social Policy 13: 209-227.<br />
Esping-An<strong>der</strong>sen, Gosta (1999) Social Foundations of Postindustrial<br />
Economies. Oxford. Oxford University Press.<br />
Frejka, Tomas und Gerad Calot (2001) Cohort reproductive patterns<br />
in low-fertility countries. Population und Development Review<br />
27: 103-132.<br />
Goldstein, Joshua R. (2010) A behavioral Gompertz model for<br />
cohort fertility schedules in low and mo<strong>der</strong>ate fertility populations.<br />
MPIDR Working Paper. WP-2010-021.<br />
Goldstein, Joshua und Michaela Kreyenfeld (2011). Has East<br />
Germany overtaken West Germany? Recent trends in or<strong>der</strong>-specific<br />
fertility. Population and development Review 37:453-472<br />
Kohler, Hans-Peter, Francesco C. Billiari und Jose Antonio Ortega<br />
(2002). The ermergence of lowest-low fertility in europe during<br />
the 1990s. Population and development Review 28: 641-680.<br />
Kreyenfeld, Michaela, Olga Pötsch und Karolin Kubisch (2010).<br />
Data Documentation Germany: Documentation for the Human<br />
Fertility Database. http://www.humanfertility.org<br />
Li,Nan und Zheng Wu (2003) Forecasting cohort incomplete fertility:<br />
A method and an application. Population Studies 57: 303-<br />
320<br />
McDonald, Peter (2000) Gen<strong>der</strong> equity, social institutions and<br />
the future of fertility. Journal of Population Research 17: 1-16<br />
Siegel, Jacob S., David Swanson und Henry S. Shryock (2004).<br />
The Methods and Materials of Demography. Elsevier Academic<br />
Press.<br />
Sobotka, Tomas und Wolfgang Lutz (2011) Misleading policy<br />
messages <strong>der</strong>ived from the period TFR: Should we stop using<br />
it? Comparative Population Studies 35: 637-664.<br />
Sobotka, Tomas, Krystof Zeman, Ron Lesthaeghe und Tomas Frejka<br />
(2011a). Postponement and recuperation in cohort Fertility:<br />
New Analytical and projection methods and their application.<br />
European Demographic Research Papers 2. Vienna: Vienna Institute<br />
of demography of the Austrian Academy of Sciences.<br />
Sobotka, Tomas, Vegard Skirbekk und Dimiter Philipov (2011b).<br />
Economic recession and fertility in the developed world. Population<br />
an Development Review 37: 267-306.<br />
1 <strong>Berlin</strong> wurde ab 1990 aus diesen Analysen ausgeschlossen, da<br />
eine durchgängige Ost-West-Trennung <strong>der</strong> Stadt aufgrund <strong>der</strong><br />
Gebietsreform nicht mehr möglich ist (siehe Krevenfeld et al.<br />
2010). Die Schätzungen verän<strong>der</strong>n sich nur geringfügig, wenn<br />
<strong>Berlin</strong> berücksichtigt wird (siehe Goldstein und Krevenfeld<br />
2011).<br />
2 Auch nach dem Alter 45 finden noch Geburten statt, jedoch<br />
machen diese bislang maximal 0,1 Prozent <strong>der</strong> zusammengefassten<br />
Geburtenziffern aus und können somit für die Analyse<br />
vernachlässigt werden, da sich die Ergebnisse kaum beeinflussen<br />
würden.<br />
3 Diese Methode berücksichtigt nicht, dass <strong>der</strong> Aufschub <strong>der</strong> Fertilität<br />
in ein höheres Alter an biologische Grenzen stößt. Daraus<br />
folgt, dass <strong>der</strong> lineare Trend nicht in die weite Zukunft fortgeschrieben<br />
werden sollte. Diese Problematik ist jedoch für die<br />
hier verwendeten Kohorten kaum relevant, da nur ein kleiner<br />
Teil des zukünftigen Fertilitätsverlaufs dieser Kohorten geschätzt<br />
werden muss.<br />
4 Für den Rückgang in Ostdeutschland sind u.a. vereinigungsbedingte<br />
Faktoren relevant, die vor allem das Verhalten <strong>der</strong> Kohorten<br />
1965 bis 1970 beeinflusst haben. Insbeson<strong>der</strong>e jene<br />
Frauen, die ihr erstes Kind direkt vor <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung bekommen<br />
haben, haben häufig keine weiteren Kin<strong>der</strong> bekommen<br />
(siehe im Detail Goldstein und Kreyenfeld 2011).<br />
5 Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit stellen Methoden dar, die den bisherigen<br />
Fertilitätsverlauf des betrachteten Geburtsjahrganges nutzen,<br />
um die Kohortenfertilität zu prognostizieren (siehe bspw.<br />
Das „Gompertz model with infertility“, Goldstein 2010). Diese<br />
Methoden führen für Deutschland zu sehr ähnlichen Ergebnissen<br />
wie die lineare Trendinterpolation, so dass wir sie in dieser<br />
Expertise nicht dargestellt haben.
Swinging Sixties<br />
"And when the night is cloudy,<br />
There is still a light that shines on me,<br />
Shine until tomorrow, let it be." (The Beatles, 1969)<br />
Jugendkulturen in Deutschland Teil 2 Klaus Farin<br />
Mehr als 100 Firmen stellen <strong>der</strong>zeit<br />
150 Massenartikel her, auf denen die<br />
Konterfeis o<strong>der</strong> die Namen <strong>der</strong> vier<br />
Beatles prangen.<br />
Beatles-Puppen aus Plastik für das Weihnachtsgeschäft<br />
1964. (© AP)<br />
Mehr als 100 Firmen stellen <strong>der</strong>zeit 150 Massenartikel<br />
her, auf denen die Konterfeis o<strong>der</strong><br />
die Namen <strong>der</strong> vier Beatles prangen: Damenstrümpfe,<br />
Luftballons, Pullover, Slips und<br />
Hemden, Schuhe, Hüte, Hosen, Jacken, Keksverpackungen,<br />
Limonadengläser und Schals,<br />
Eierbecher, Puppen, Kaugummipäckchen,<br />
Broschen und Ringe und natürlich die 'Original'-Beatles-Perücken.<br />
(Lamprecht 1965, S.<br />
100)<br />
Die Beatles erzielten bis Mitte <strong>der</strong> Sechzigerjahre<br />
mit 150 Millionen verkauften Platten<br />
einen Umsatz von umgerechnet mehr als<br />
zwei Milliarden DM. Die Zahl ihrer Fans<br />
wurde auf 360 Millionen geschätzt. Von<br />
ihren bis dahin 88 Songs waren 2 921 Coverversionen<br />
an<strong>der</strong>er Bands erschienen.<br />
Dazu gab es allein in Deutschland Tausende<br />
von Amateurbeatbands, die ihr Repertoire<br />
ausschließlich live präsentierten. Allein in<br />
Göttingen und Umgebung existierten laut<br />
Dieter Baacke rund 60 Beatformationen, in<br />
Essen 100, in Hannover rund 200 Bands und<br />
20 'Beatkeller'. Hans-Jürgen Klitsch nennt in<br />
seiner voluminösen Beatmonographie 84<br />
<strong>Berlin</strong>er Bands, 78 aus Hamburg, 39 aus Gelsenkirchen<br />
... In Recklinghausen, Frankfurt<br />
am Main und im Hamburger Star-Club fanden<br />
Jahr für Jahr große Beatfestivals statt,<br />
so genannte Beat-Battles gehörten zum Veranstaltungskalen<strong>der</strong><br />
vieler Jugendheime und<br />
Lokale mit jugendlichem Publikum (vgl. Baacke<br />
1972, S. 33 u. 171). 1965, auf dem Höhepunkt<br />
<strong>der</strong> Beatwelle, gab es in<br />
Deutschland bis zu 150 Profibeatbands, die<br />
ausschließlich von <strong>der</strong> Musik lebten (Klitsch<br />
2000, S. 55).<br />
Beat<br />
Nach dem Rock'n'Roll <strong>der</strong> Fünfzigerjahre<br />
entstand ab 1963 mit <strong>der</strong> Beatbewegung<br />
nun die zweite<br />
Musikkultur, die "alleiniges Eigentum<br />
<strong>der</strong> Jugend" war.<br />
Noch ganz brav. Die Beatles bei einer Probepause<br />
in London 1963. (© AP)<br />
"Wie<strong>der</strong> schaffen sich die Jugendlichen hier<br />
ihre eigene kulturelle Welt und entziehen<br />
sich damit den Vorschriften und Verboten,<br />
die die Gesellschaft für sie vorsieht. Sexualität,<br />
Alkohol, Rauchen, früher Privilegien <strong>der</strong><br />
Erwachsenen, sind fortan Teil des jugendlichen<br />
Alltags, ob es die Eltern wollen o<strong>der</strong><br />
nicht." (Shell Deutschland 2002, S. 53). Wie<strong>der</strong><br />
ist es nicht politische Opposition (die<br />
Mehrzahl <strong>der</strong> Jugendlichen dachte politisch<br />
ohnehin nicht an<strong>der</strong>s als ihre Eltern), son<strong>der</strong>n<br />
eine alltagskulturelle Rebellion, die die<br />
Gemüter erhitzt. "Obwohl die 'Beat-Kids' im<br />
Vergleich zu den Halbstarken <strong>der</strong> Fünfzigerjahre<br />
weit weniger aggressiv rebellierten<br />
und kaum gewalttätig waren, reichte ihre<br />
Titelthema - <strong>Demografieentwicklung</strong><br />
Provokation doch weiter." (Siebert 2002, S.<br />
42) Es geht um Musik, "Benehmen", (noch)<br />
längere Haare und - Sex. Unaufhaltsam entzieht<br />
sich die Sexualität <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
nun <strong>der</strong> elterlichen Kontrolle. Waren bisher<br />
noch die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen,<br />
wenn es um Fragen zu Sexualität und<br />
Partnerschaft ging, so übernehmen diese<br />
Rolle nun Medien und gleichaltrige Freunde<br />
und Freundinnen.<br />
Ein bedeuten<strong>der</strong> Umbruch in <strong>der</strong> Diskussion<br />
ergab sich 1962: Die Antibabypille kam auch<br />
in Deutschland in den Handel. Die Fronten<br />
entspannten sich nun ganz gewaltig: Beate<br />
Uhse eröffnet noch im gleichen Jahr in Flensburg<br />
ihr erstes "Fachgeschäft für Ehe-Hygiene",<br />
Oswalt Kolle wird mit Filmen wie<br />
"Dein Mann/Deine Frau, das unbekannte<br />
Wesen" o<strong>der</strong> "Das Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Liebe - Sexualität<br />
in <strong>der</strong> Ehe" zum bekanntesten Missionar<br />
in Sachen Sexualaufklärung, und <strong>der</strong><br />
"Kinsey-Report" zum Sexualverhalten <strong>der</strong><br />
Frau steht in mehr als 100000 deutschen<br />
Haushalten. Das Gespräch über "die<br />
schönste Nebensache <strong>der</strong> Welt" war plötzlich<br />
en vogue. Die Sitten lockerten sich. Die Rocksäume<br />
<strong>der</strong> Mädchen rutschten immer höher,<br />
<strong>der</strong> "Mini" wurde geboren.<br />
Doch Vorsicht vor falschen Mythen über die<br />
"freizügigen Sechziger": Die neue Liberalität<br />
erreicht noch längst nicht alle Schichten und<br />
Altersgruppen <strong>der</strong> Gesellschaft. Noch immer<br />
versuchen viele Erwachsene, das Rad <strong>der</strong> Zeit<br />
zurückzudrehen - manchmal mit etwas skurrilen<br />
Methoden. So lässt ein Kinobetreiber bei<br />
<strong>der</strong> Vorführung des ersten Oswalt-Kolle-Films<br />
ein Seil mitten durch den Saal spannen. "Auf<br />
die linke Seite des Seils setzt er die weiblichen<br />
und auf die rechte die männlichen Besucher.<br />
Die ersten beiden Plätze links und rechts jenseits<br />
<strong>der</strong> Seite bleiben frei. Sicher ist sicher,<br />
lautet die Devise. Moral und Anstand werden<br />
so zumindest für die Dauer des Films gewahrt."<br />
(Shell Deutschland 2002, S. 36)<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 53
"Meine Freundin hatte mir einen Knutschfleck<br />
am Hals gemacht - meine Mutter ging<br />
zur Mutter dieses 'Flittchens', machte eine<br />
irrsinnige Szene, wurde rausgeschmissen, mir<br />
wurde je<strong>der</strong> Kontakt mit meiner Freundin verboten<br />
- es hätte meine Mutter nicht gewun<strong>der</strong>t,<br />
wenn diese 'Hure' bald ein Kind von mir<br />
gekriegt hätte. (An<strong>der</strong>thalb Jahre später habe<br />
ich das erste Mal mit einem Mädchen geschlafen.)"<br />
(Jaenicke 1980, S. 24)<br />
Für die Mehrzahl <strong>der</strong> Jugendlichen war die<br />
Beatmusik ein Angebot des Freizeitmarktes,<br />
nicht mehr. Erst die überzogenen Reaktionen<br />
<strong>der</strong> Erwachsenenwelt luden an sich harmlose<br />
Freizeitvergnügungen und Modetrends mit<br />
rebellischen Interpretationsmustern auf.<br />
"Im Schülerheim, in dem ich nach <strong>der</strong> Scheidung<br />
meiner Eltern wohnte, hatten wir alle<br />
die Wände um unsere Betten mit Bil<strong>der</strong>n und<br />
Postern von Stones, Beatles usw. beklebt. Bei<br />
einem Besuch riss meine Mutter vor den<br />
Augen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Jungs die Bil<strong>der</strong> über<br />
meinem Bett ab, zerknüllte sie und verließ<br />
wortlos das Heim. Was ich da empfand an<br />
Wut, Demütigung, an Verlassenheit ..."<br />
(a.a.O.)<br />
"Der Beat trennte uns von den Eltern, er gab<br />
uns Identität, er gab uns Ausdrucksmittel - er<br />
machte das UNS. In aller Vereinzelung<br />
schaffte <strong>der</strong> Beat die Gemeinsamkeit, den Zusammenhang,<br />
das Wir-Gefühl <strong>der</strong>er, die die<br />
gleiche Musik liebten, die Haare lang trugen,<br />
das gleiche feeling hatten, unter <strong>der</strong> gleichen<br />
Verachtung litten. Der Beat wollte nur uns,<br />
die Jugendlichen ansprechen, er war nicht für<br />
alle, nicht für die Eltern, die Alten, die Reaktionäre,<br />
die Gefühllosen und auch nicht für<br />
die Pfadfin<strong>der</strong>, die ordentlichen Kin<strong>der</strong>, die<br />
mit ihren Eltern Hausmusik machten, die<br />
nicht neugierig waren auf die Wirkung des<br />
Alkohols, die Bügelfalten in den Hosen hatten<br />
und auf den Köpfen kurze Haare. Der Beat<br />
trennte uns von den Alten und den An<strong>der</strong>en.<br />
Er war <strong>der</strong> mächtige Geburtshelfer <strong>der</strong> neuen<br />
Teilkultur <strong>der</strong> Jugendlichen, er gab uns Ausdruck<br />
und Identität. Aber erst <strong>der</strong> erbitterte<br />
Kampf <strong>der</strong> Alten machte den Beat zum Ausdruck<br />
und zur Identität GEGEN die Alten, die<br />
Bürger, die an<strong>der</strong>en." (a.a.O., S. 26)<br />
Bereits Mitte <strong>der</strong> Sechzigerjahre erzielte <strong>der</strong><br />
Beat diese emphatische Wirkung nur noch<br />
bei einer Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Jugendlichen. Denn<br />
die Beat-Fans waren inzwischen zur dominanten<br />
Jugendkultur aufgestiegen, quer<br />
durch alle Schichten und sozialen Milieus,<br />
von den Älteren mehr belächelt als gefürchtet.<br />
So präsentiert selbst Springers spießig-<br />
54 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
konservative Fernsehillustrierte Hörzu auf<br />
ihrem hauseigenen Label Ende 1965 anlässlich<br />
<strong>der</strong> Deutschland-Tour <strong>der</strong> Rolling Stones<br />
eine eigene LP <strong>der</strong> "härtesten Band <strong>der</strong><br />
Welt": "... zu viele messen die neue Zeit mit<br />
alten Maßstäben. Und es gehört eine Menge<br />
Mut dazu, gegen Vorurteile anzurennen.<br />
Mick, Keith, Brian, Bill und Charlie sind fünf<br />
Individualisten, die als Rolling Stones weltberühmt<br />
wurden. Die Jugend jubelt ihnen zu,<br />
und manchmal gehen in <strong>der</strong> Begeisterung für<br />
sie ein paar Stühle kaputt. Die Welt wird jedenfalls<br />
durch Idole wie die Rolling Stones<br />
nicht in Scherben fallen." (aus dem Backcover-Text)<br />
Doch wie immer, wenn eine Subkultur prächtig<br />
gedeiht und wächst, schließlich die von<br />
<strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft um sie herum aufgebauten<br />
Mauern sprengt und sich mit dem<br />
Mainstream vermischt, spalten sich erneut<br />
kleinere Subkulturen ab: die Härteren, die<br />
statt <strong>der</strong> Beatles zukünftig lieber The Doors<br />
o<strong>der</strong> Jimi Hendrix hörten, und diejenigen, die<br />
ihre Musik- und Modeleidenschaft (wie<strong>der</strong>)<br />
zu einem ganzheitlichen Lebensstil verdichteten.<br />
Zum Beispiel die Gammler.<br />
Gammler vs Provos<br />
"Dann kamen die Gammler. Sie probten<br />
keinen Aufstand, sie erhoben sich<br />
nicht. Sie legten sich nie<strong>der</strong>. Die jungen<br />
Helden waren müde. Sie kreierten<br />
die langsamste Jugendbewegung<br />
aller Zeiten: den Müßiggang."<br />
Gammeln vor <strong>der</strong> Botschaft in Paris. Ein beliebter<br />
Treffpunkt für amerikanische Auswan<strong>der</strong>er<br />
1970. (© AP)<br />
An den "Gammlern", die spätestens seit<br />
1964 zum alltäglichen Bild <strong>der</strong> europäischen<br />
Metropolen gehörten, schieden sich die<br />
Geister: "Die Gammler waren in Haltung<br />
und Kleidung lebendiger Protest. Ungepflegt<br />
und teilweise heruntergekommen, störten<br />
sie das bürgerliche Sauberkeitsempfinden<br />
entschieden; ihr langes Haar attackierte das<br />
Image vom männlichen Mann mit Familie,<br />
Haus, Besitz und Erfolg. Was <strong>der</strong> Gammler<br />
war und besaß, zeigte er ungeniert und trug<br />
ers bei sich. Öffentlich stellte er die Leistungsgesellschaft<br />
infrage, indem er sich ob<br />
<strong>der</strong> Sonne freute, las o<strong>der</strong> musizierte, wenn<br />
die Gesellschaft mit Arbeit und Fleiß ihr Sozialprodukt<br />
mehrte. Ohne die Autorität unmittelbar<br />
zu verhöhnen, verhöhnte <strong>der</strong><br />
Gammler sie doch, weil er Normen, Regeln<br />
und Tabus verachtete." (Hollstein 1969, S.<br />
38) Dabei waren die Gammler we<strong>der</strong> aggressiv<br />
wie die Halbstarken <strong>der</strong> Fünfzigerjahre<br />
noch politisch wie die sich unter an<strong>der</strong>em<br />
aus den Gammlern formierende Hippie-Kultur.<br />
Die Gammler wollten die Welt nicht programmatisch<br />
verän<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n im Grunde<br />
nur in Ruhe gelassen werden, selbst zumeist<br />
<strong>der</strong> Mittelschicht entstammend, aus dem<br />
aufgezwungenen Kanon <strong>der</strong> so genannten<br />
"Pflichten" aussteigen. "Seht mal, das<br />
Ganze ist nämlich eine Welt von Rucksackwan<strong>der</strong>ern,<br />
die sich weigern zu unterschreiben,<br />
was die Konsumgesellschaft for<strong>der</strong>t:<br />
dass man Produziertes verbrauchen soll und<br />
daher arbeiten muss, um überhaupt konsumieren<br />
zu dürfen, das ganze Zeug, das sie<br />
eigentlich gar nicht haben wollen, wie Kühlschränke,<br />
Fernsehapparate, Wagen, zumindest<br />
neue Wagen zum Angeben, bestimmte<br />
Haaröle und Parfüms und lauter solchen<br />
Kram, den man schließlich immer wie<strong>der</strong><br />
eine Woche später auf dem Mist wie<strong>der</strong>findet,<br />
alle gefangen in einem System von Arbeit,<br />
Produktion, Verbrauch, Arbeit,<br />
Produktion, Verbrauch, ich habe eine Vision<br />
von einer großen Rucksackrevolution, Tausende<br />
o<strong>der</strong> sogar Millionen junger Amerikaner,<br />
die mit Rucksäcken rumwan<strong>der</strong>n, auf<br />
Berge gehen, um zu beten, Kin<strong>der</strong> zum Lachen<br />
bringen und alte Männer froh machen,<br />
junge Mädchen glücklich machen und alte<br />
Mädchen noch glücklicher, alles Zen-Besessene,<br />
die rumlaufen und Gedichte schreiben<br />
und die durch Freundlichkeit und auch durch<br />
seltsame, unerwartete Handlungen ständig<br />
je<strong>der</strong>mann und je<strong>der</strong> lebenden Kreatur die<br />
Vision ewiger Freiheit vermitteln" (aus Jack<br />
Kerouac: Gammler, Zen und Hohe Berge, S.<br />
75).<br />
Die Gammler inszenierten ihren Ausstieg aus<br />
<strong>der</strong> Leistungsgesellschaft nur für sich selbst,<br />
sie "wollte(n) nicht Macht erobern, son<strong>der</strong>n<br />
sich von <strong>der</strong>en Einfluss befreien. Solches<br />
reichte indessen schon, um das System zu<br />
beunruhigen." (Hollstein 1969, S. 39) Allein<br />
ihre lässige Präsenz provozierte die noch nationalsozialistisch<br />
geprägte Wie<strong>der</strong>aufbaugeneration.<br />
"Solange ich regiere, werde ich<br />
alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören",<br />
versprach Bundeskanzler Ludwig Erhard im<br />
Juni 1966, und die NPD for<strong>der</strong>te in ihrem Par-
teiblatt, "das ganze Problem radikal und im<br />
Sinne des gesunden Volksempfindens zu<br />
lösen" (Der Spiegel 39/1966, S. 72). "Unter<br />
Hitler hätte es so etwas nicht gegeben", empörten<br />
sich Passanten beim Anblick <strong>der</strong> Langhaarigen<br />
an <strong>der</strong> <strong>Berlin</strong>er Gedächtniskirche<br />
o<strong>der</strong> am Hannoveraner Georgsplatz. Die<br />
Mehrzahl <strong>der</strong> Bundesbürger, die sich rechtschaffen<br />
empörten, kannte Gammler allerdings<br />
nur aus den Medien: Mehr als 5000 bis<br />
7000, die sich vorwiegend in den wenigen<br />
Großstädten Deutschlands sammelten, gab<br />
es wohl nicht.<br />
Die Provos<br />
Die Provos "setzten den impulsiven Wi<strong>der</strong>stand<br />
<strong>der</strong> Gammler in bewusste und vorsätzliche<br />
Provokation des Systems um - Sie<br />
leisteten die ersten bewussten und ausdrücklich<br />
politisch-rational angelegten Ansätze, alternative<br />
Strukturen einzurichten." (Jaenicke<br />
1980, S. 55 u. 57) Doch an<strong>der</strong>s als die Hippies<br />
waren die Provos keine Aussteiger, ging es<br />
ihnen nicht um den Aufbau einer von <strong>der</strong><br />
Mehrheitsgesellschaft möglichst autonomen<br />
Alternativkultur. "Sie wollten keine Subkultur,<br />
ihre Aktionen zielten darauf, erstarrte Strukturen<br />
aufzubrechen, sie wollten Provokation<br />
und Infiltration, nicht Autonomie. Allerdings<br />
begann das Provotariat auf dem Höhepunkt<br />
seiner Bewegung den Aufbau einer Gegengesellschaft<br />
mit Zeitungen, Läden, Kommunen,<br />
Zentren, Selbsthilfeorganisationen usw.,<br />
um sich so die materielle Basis für ihre Ideen,<br />
Aktionen und eigenen Lebenszusammenhänge<br />
zu schaffen." (a.a.O.)<br />
Provos in den Nie<strong>der</strong>landen, <strong>der</strong> Geburtsstätte<br />
dieser Bewegung, bezeichneten sich selbst als<br />
"Jugendbewegung, die agitiert, provoziert<br />
und Unruhe stiftet". Wie schon die Gammler<br />
bildeten die Provos keine feste Organisation,<br />
son<strong>der</strong>n "eine ebenso bunte wie heterogene<br />
Menge ähnlich gesinnter Jugendlicher ohne<br />
Führung, Hierarchie, Apparat o<strong>der</strong> Hauptquartier.<br />
Planung, Berechnung, Organisation und<br />
Ka<strong>der</strong>bildung waren den Provos ein Greuel"<br />
(Hollstein 1969, S. 55). Ihr Hauptangriffsziel<br />
war die autoritäre Gesellschaftsstruktur, die<br />
stets aufs Neue durch provokative Aktionen<br />
demaskiert werden sollte.<br />
Die heile Bravo Welt<br />
Organisierte Konsumverweigerung -<br />
das ging selbst Bravo zu weit. Das einstige<br />
Sprachrohr <strong>der</strong> Rock-'n'-Roll-Jugend<br />
versuchte jetzt eifrig zu bremsen.<br />
50 Jahre Bravo". Deutschlands bekannteste<br />
Jugendzeitschrift feierte 2006 ihren Geburtstag<br />
mit Stars von damals bis heute. (© AP)<br />
So empfahl Bravo, als britische Teenager angesichts<br />
<strong>der</strong> Beatles bereits serienweise in<br />
Ohnmacht fielen: "Die Teens und Twens von<br />
heute haben das Blue-Jeans-Benehmen ausgewachsen<br />
und tragen wie<strong>der</strong> Herz und Höflichkeit,<br />
frisierte Köpfe, fesche Klei<strong>der</strong> und<br />
frische Bügelfalten." (zitiert nach Herrwerth<br />
1997, S. 40). "Die Beatles mit ihren Pilzfrisuren<br />
waren für den überwiegenden Teil <strong>der</strong> älteren<br />
Generation eine beispiellose<br />
Provokation. Ein mit Postern <strong>der</strong> vier Liverpooler<br />
vollgekleistertes Jugendzimmer im elterlichen<br />
Eigenheim wurde als Affront gegen<br />
das gesamte herkömmliche Wertesystem angesehen",<br />
erinnert sich Thommi Herrwerth,<br />
Jahrgang 1949. Dabei waren die Beatles ja<br />
erst <strong>der</strong> Anfang. "Die weit größeren Bürgerschrecks<br />
standen den Eltern erst noch bevor:<br />
die Rolling Stones. Sie waren noch kompromissloser,<br />
noch radikaler, 'vergammelter' und<br />
obszöner. Sie gebärdeten sich sexuell in nicht<br />
misszuverstehen<strong>der</strong> Eindeutigkeit, führten<br />
mit ihren Unterkörpern Bewegungen aus, die<br />
bei den sauber herausgeputzten Stars <strong>der</strong><br />
vergangenen Jahre undenkbar gewesen<br />
wären, ihre Haartracht war noch wil<strong>der</strong> als<br />
die <strong>der</strong> Beatles und sie trugen im Gegensatz<br />
zu ihren Konkurrenten – damals schier unvorstellbar!<br />
– nicht einmal eine Krawatte. 'I<br />
can't get no Satisfaction', so lautete ihr<br />
Schlachtruf, mit dem sie weltweit die Bestsellerlisten<br />
stürmten." (a.a.O.)<br />
Nur nicht die <strong>der</strong> Bravo. "Sie lassen sich die<br />
Haare ungekämmt und unappetitlich auf die<br />
schmalen Schultern hängen. Sie stecken in erbarmungswürdig<br />
schäbigen Anzügen. Und<br />
sie sehen überhaupt höchst verhungert und<br />
verkommen aus!", kanzelte Bravo (Nr.<br />
13/1964) die Stones ungnädig ab und hoffte<br />
wohl, das Thema sei damit durch. Es sollte<br />
natürlich an<strong>der</strong>s kommen, und Bravo vergaß<br />
angesichts <strong>der</strong> realen Gefahr, einen Großteil<br />
ihres Publikums zu verprellen, schnell jegliche<br />
pädagogischen Ambitionen und setzte sich<br />
an die Spitze <strong>der</strong> Beatbewegung: Schon ein<br />
Jahr später sponserte Bravo die Deutschland-<br />
Tournee <strong>der</strong> Stones, und bei den Otto-Wahlen<br />
konnten Bravo-Käufer ab 1966 auch ihre<br />
Lieblings-Beatband wählen. Die Stones gewannen<br />
allerdings nie ...<br />
Bravo, seit Juli 1965 im Besitz von Axel Springer,<br />
entwickelte sich im Laufe <strong>der</strong> Sechzigerjahre<br />
immer deutlicher zum Sprachrohr <strong>der</strong><br />
Spießer. "Es ist eine heile, nette Welt, die<br />
Bravo-Lesern vorgegaukelt wird. Da gibt es<br />
keinen Krieg in Vietnam, keinen Hunger in<br />
<strong>der</strong> Welt, keine Rassenkrawalle in Amerika<br />
und keine Studenten-Rebellionen in <strong>Berlin</strong>,<br />
Frankfurt und München. Während an<strong>der</strong>e<br />
Springer-Zeitungen die jungen Rebellen an<br />
den Universitäten als 'verrückte Halbstarke'<br />
abkanzeln, verlangt Bravo, 'dass es an <strong>der</strong><br />
Zeit ist, ein Vorurteil zu korrigieren'."(Der<br />
Spiegel 7/1968, S. 65) "Die Jugend" ist in<br />
Wirklichkeit nett und brav, lautet die Botschaft.<br />
So erwiesen sich auch die Stars, die<br />
Bravo präsentierte, stets als wohlanständige,<br />
moralisch einwandfreie, prüde Jungs und<br />
Mädchen. Selbst Mick Jagger mutierte in<br />
Bravo zum "treuen Lebensgefährten", und<br />
die Ehefrau von Stones-Bassist Bill Wyman<br />
durfte zu Protokoll geben, ihr Bill sei "kein<br />
Schmutzfink" und wasche seine Haare täglich.<br />
"Meine Frau müsste immer für mich da<br />
sein und dürfte keine an<strong>der</strong>en Interessen als<br />
ihre Familie haben", ließ sich Filmstar Robert<br />
Hoffmann zitieren – eine von unzähligen<br />
Aussagen, mit denen die Bravo ihr Hauptkampffeld<br />
<strong>der</strong> Sechzigerjahre bestückte, die<br />
befürchtete Auflösung tradierter Geschlechterrollen<br />
und damit die Emanzipation <strong>der</strong><br />
Frauen.<br />
"Wahre Orgien an Moral und Bie<strong>der</strong>sinn legten<br />
sie ihrem neuen Lieblingsstar in den<br />
Mund: Roy [Black; kf] wetterte gegen Mädchen,<br />
die rauchen, die ihr Äußeres nicht genügend<br />
pflegen, die sich allzu aufreizend<br />
schminken o<strong>der</strong> die 'nur an das eine denken'.<br />
Nichts war für ihn verabscheuungswürdiger<br />
als 'superkurze Miniröcke. Weil sie ungraziös<br />
sind und weil sie mich immer an die kaltkessen<br />
Anbie<strong>der</strong>ungsversuche einer Profi-Koketten<br />
erinnern.' An Jungs verabscheute er<br />
ungepflegte Kleidung und lange Haare. 'Ich<br />
finde ja auch kein Mädchen schön, das sich<br />
die Haare militärisch kurz schneidet und<br />
einen Scheitel zieht und alles fest am Schädel<br />
anklatscht. Denn das ist männlich. Und fließend<br />
lange Haare sind weiblich.' Selbst<br />
gegen Bestrebungen, <strong>der</strong> Prü<strong>der</strong>ie <strong>der</strong> Nachkriegsära<br />
ein halbwegs ungezwungenes Verhältnis<br />
zur Sexualität entgegenzusetzen,<br />
wetterte Saubermann Roy Black energisch:<br />
'Ich bin dagegen, dass Kin<strong>der</strong> ihre Eltern<br />
nackt sehen. Der Abstand, <strong>der</strong> zwischen Vater<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 55
und Mutter und Kin<strong>der</strong>n bestehen sollte, geht<br />
damit verloren.'" (Und das noch 1969!, zitiert<br />
nach Herrwerth 1997, S. 53)<br />
Merkwürdigerweise existieren von Roy Black,<br />
<strong>der</strong> seine Karriere als Rock-'n'-Roll-Sänger<br />
begann, auch ganz an<strong>der</strong>e Zitate. So sprach<br />
er sich zum Beispiel gegen den Vietnamkrieg<br />
aus ("Dieser Krieg ist grausam und rechtmäßig<br />
von Amerika nicht mehr zu vertreten")<br />
o<strong>der</strong> "absolut für die Anti-Baby-Pille. Und sie<br />
sollte auch nicht nur an verheiratete Frauen<br />
ausgegeben werden, son<strong>der</strong>n an jedes Mädchen<br />
– sagen wir frühestens ab achtzehn –<br />
das sie haben will." Gäbe es eine Anti-Baby-<br />
Pille für Männer, "würde ich sie nehmen"<br />
(Löb 1997, S. 33), bekannte Roy Black für<br />
jene Jahre sogar ungewöhnlich progressiv –<br />
nur nicht in <strong>der</strong> Bravo. Dafür durfte er ab<br />
1966 bis zum Ende <strong>der</strong> Dekade alljährlich<br />
einen "Otto" entgegennehmen. Ein sexuelles<br />
Leben hatten Bravo-Stars grundsätzlich nicht.<br />
Noch bis in die späten Sechziger hinein<br />
wurde das Thema weitgehend gemieden, und<br />
wenn es mal angesprochen wurde, dann im<br />
Stil katholischer Ratgeber für junge Mädchen<br />
aus den Fünfzigerjahren. Selbstbefriedigung<br />
sei eigentlich "Selbstbefleckung", warnt<br />
Bravo in einer Ausgabe von 1966, denn sie<br />
"bringt keinen Frieden, im Gegenteil, sie löst<br />
fast immer ein Gefühl innerer Leere und tiefer<br />
Nie<strong>der</strong>geschlagenheit aus". Mädchen könnten<br />
davon sogar "frigid" werden, "sie eignen<br />
sich nicht mehr, eine gute und erfüllte Ehe zu<br />
führen." Das Gleiche gilt für Petting: "Ein<br />
Mädchen, das lange und ausdauernd Petting<br />
betrieben hat – meist bleibt es ja auch da<br />
nicht bei einem Partner – wird verdorben und<br />
ist verdorben." (a.a.O., S. 71) "Ein Junge, <strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Lust an sich selbst nachgibt, verkennt<br />
gründlich, wozu <strong>der</strong> Sex von <strong>der</strong> Natur bestimmt<br />
ist", heißt es noch 1968 in <strong>der</strong> Serie<br />
"Jugend und Sex '68". – Da darf es dann<br />
auch nicht weiter verwun<strong>der</strong>n, wenn Bravo-<br />
Ratgeber "Dr. Vollmer" Homosexualität für<br />
"abartig" erklärt und männlichen Lesern in<br />
einem solchen Fall empfiehlt, einen Psychiater<br />
aufzusuchen o<strong>der</strong> sich "männliche Hormone"<br />
injizieren zu lassen, und<br />
"Lesbierinnen" rät, ihre "tiefe unbewusste<br />
Angst vor den Männern" loszuwerden.<br />
Nachdem jedoch das Missverhältnis zwischen<br />
den von Bravo vertretenen Positionen<br />
und denen ihrer Käuferinnen und Käufer<br />
immer auffälliger wurde (so hatten etwa<br />
1968 in einer Umfrage 89 Prozent <strong>der</strong> Jungen<br />
zwischen 15 und 20 Jahren mitgeteilt, sie<br />
würden auch ein Mädchen heiraten, das<br />
keine Jungfrau mehr ist), schwenkte Bravo<br />
um, und die "junge schwedische Ärztin Kirs-<br />
56 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
ten Lindstroem" durfte 1969 in <strong>der</strong> Serie<br />
"Liebe ohne Geheimnis" verkünden: "Es ist<br />
noch gar nicht lange her, dass in Deutschland<br />
von den Mädchen verlangt wurde, sie sollten<br />
ihre Unschuld bis zur Trauung bewahren und<br />
als Jungfrau vor den Standesbeamten treten.<br />
Mit dieser doppelten Moral ist es nun endgültig<br />
vorbei." (a.a.O., S. 74)<br />
Den nötigen Denkanstoß für die Umorientierung<br />
von Bravo hatte wie üblich nicht die Redaktion<br />
gegeben, son<strong>der</strong>n die<br />
Marketingabteilung. Die hatte nämlich feststellen<br />
müssen, dass sich die Käufer von<br />
Bravo zunehmend aus <strong>der</strong> Altersstufe unter<br />
14 Jahren rekrutierten – und die verfügten<br />
seinerzeit noch nicht über das notwendige Taschengeld,<br />
um all die schönen Waren zu kaufen,<br />
für die Unternehmen in <strong>der</strong> Bravo<br />
warben. Der Konservatismus und die Prü<strong>der</strong>ie<br />
<strong>der</strong> Bravo-Redaktion waren spürbar schlecht<br />
fürs Geschäft: Es wurde für Bravo immer<br />
schwieriger, Anzeigenkunden zu finden. Da<br />
legte eine vertrauliche Leseranalyse den Verlegern<br />
"den Zeitpunkt dar, zu dem viele Jugendliche<br />
die Lektüre ihrer Star-Postille<br />
aufgaben: sobald sie nämlich begannen, sich<br />
für Sex zu interessieren." (a.a.O., S. 64) Schon<br />
wenige Monate danach, in <strong>der</strong> Ausgabe<br />
43/1969, war es dann so weit – Bravo baute<br />
sich, wie es später in einer Verlagserklärung<br />
heißen wird, "ein zweites Bein" auf, das<br />
neben dem Starkult "zu einem zweiten tragenden<br />
Element in Bravo geworden ist": "Ein<br />
Mann von heute spricht mit den Bravo-Lesern<br />
über ihre Sorgen und Probleme: Dr. Sommer."<br />
Die Hippies<br />
Der passive Ausstieg <strong>der</strong> Gammler<br />
und Beatniks und das bloße Provozieren<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft durch Aktionen<br />
<strong>der</strong> Provos reichten den Hippies nicht<br />
aus. Wer Freiheit und Glück suche,<br />
müsse dieser Gesellschaft radikal und<br />
ganzheitlich den Rücken zuwenden.<br />
Der "Summer of Love" auf dem VW-Bus. Besucher<br />
des Woodstock Festivals 1969. (© AP)<br />
Statt zu versuchen, die Gesellschaft von<br />
innen zu reformieren, wollten sie aus ihr aussteigen<br />
und eine Gegengesellschaft aufbauen,<br />
<strong>der</strong>en positive Ausstrahlung schon<br />
bald vor allem Gleichaltrige ebenfalls zum<br />
Ausstieg motivieren sollte. Die Mehrzahl <strong>der</strong><br />
Hippies war eigentlich nicht "politisch" motiviert,<br />
doch bald merkten sie, dass man aus<br />
<strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft nicht aussteigen<br />
kann, ohne politisch zu werden. Denn an<strong>der</strong>s<br />
als die Gammler wollten sie nicht nur dem<br />
Leistungsdruck <strong>der</strong> Gesellschaft entfliehen,<br />
son<strong>der</strong>n zugleich neue, menschlichere Lebensweisen<br />
und Umgangsformen finden.<br />
Doch <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft <strong>der</strong> Sechzigerjahre<br />
fehlte das Selbstbewusstein, die<br />
"Fliehenden" einfach ziehen zu lassen, und<br />
so betrachtete sie jegliche Suche nach einem<br />
eigenen Lebensstil fernab <strong>der</strong> vorgegebenen<br />
Standards (Lohnarbeit, Kleinfamilie, Konsumfreude)<br />
bereits als radikalen politischen Angriff.<br />
Das Ziel <strong>der</strong> Hippies war eine "antiautoritäre<br />
und enthierarchisierte Welt- und Wertordnung<br />
ohne Klassenunterschiede, Leistungsnormen,<br />
Unterdrückung, Grausamkeit und<br />
Kriege. Der Gesellschaft <strong>der</strong> Angst, wo ein<br />
je<strong>der</strong> sich vor dem Vorgesetzten, dem Nachbarn,<br />
<strong>der</strong> <strong>Polizei</strong>, dem Schicksal und dem<br />
Anonymen fürchtet, boten die Hippies mit<br />
einer Gemeinschaft Paroli, in <strong>der</strong> die Freiheit<br />
die Autorität, Zusammenarbeit den Wettbewerb,<br />
Gleichheit die Hierarchie, Kreation die<br />
Produktivität, Ehrlichkeit die Heuchelei, Einfachheit<br />
den Besitz, Individualität den Konformismus<br />
und Glück den platten<br />
Materialismus dominieren sollten" (Hollstein<br />
1981, S. 50). Ihr Blick richtete sich jedoch weniger<br />
auf ein an<strong>der</strong>es System als auf die Verän<strong>der</strong>ung<br />
des einzelnen Menschen. Der<br />
Kapitalismus, so ihre zentrale Weltanschauung,<br />
hatte "nur die materielle Seite des Lebens<br />
entwickelt und Seele und Geist verloren.<br />
Alle Werte wurden ihres Inhalts entleert und<br />
erstarren in bloßer Rhetorik. Die Menschen<br />
degenerierten zu Empfangsstationen einer<br />
entseelten Bürokratie." (Hollstein 1969, S.<br />
67) Der Kapitalismus habe den "natürlichen"<br />
Menschen von seinem eigentlichen Wesen<br />
entfremdet und in konsumsüchtige "Plastic<br />
People" (Frank Zappa) verwandelt. "Authentizität,<br />
Direktheit, Ehrlichkeit fand man jetzt<br />
nur noch in den vereinzelten Nischen <strong>der</strong><br />
westlichen Gesellschaft - bei den Armen, den<br />
Untauglichen, den Stigmatisierten." (Willis<br />
1981, S. 122f.) Armut und Unterdrückung<br />
sahen die Hippies eher global, bei ganzen<br />
Völkern, möglichst solchen, die weit entfernt<br />
lebten und sich so aufgrund nicht vorhandener<br />
realer Kontakte und Kenntnisse hervorragend<br />
zur Idealisierung und Mystifizierung
eigneten, wie etwa die Indianer Nordamerikas.<br />
Die Realität vor <strong>der</strong> eigenen Haustür interessierte<br />
die meisten weniger. Die Tatsache,<br />
dass die Mehrzahl von ihnen selbst aus privilegierten<br />
Verhältnissen kam, freiwillig ausgestiegen<br />
war und materielle Dinge<br />
verachtete, machte sie häufig blind für soziale<br />
Probleme um sie herum. "Armut"<br />
bekam bei ihnen fast etwas Erstrebenswertes,<br />
eine Ambivalenz, die sich auch in ihrem<br />
Stil ausdrückte: "Überall in <strong>der</strong> Kleidung <strong>der</strong><br />
Hippies gab es neben den Symbolen des<br />
Überflusses Symbole <strong>der</strong> Armut. Beson<strong>der</strong>s<br />
prächtige Kleidungsstücke waren fleckig,<br />
schmutzig o<strong>der</strong> zerknittert; damit wurde verleugnet,<br />
dass sie einen Stellenwert in irgendeiner<br />
klassenbedingten Vorstellung von<br />
Kleidung hatten. Schlechte Stoffe, farblose<br />
Hemden, abgewetzte Jeans, Jacken o<strong>der</strong><br />
Westen aus Jeansstoff waren sorgfältig gewaschen<br />
und gereinigt; so sollte jede Assoziation<br />
mit Armut vermieden werden. Mit<br />
nackten Füßen trotzten sie den kältesten<br />
Tagen, doch wenn es sehr heiß war, hüllten<br />
sie sich in dicke Schaffellmäntel, schwere<br />
Umhänge und knöchellange Strickjacken."<br />
(a.a.O., S. 128f.)<br />
Natürlich spielte auch Musik im Leben <strong>der</strong><br />
Hippies eine große Rolle. Sie mochten vom<br />
Blues beeinflussten, auf einer kraftvollen, oft<br />
virtuos beherrschten Leadgitarre aufbauenden<br />
Heavy Rock à la Cream o<strong>der</strong> Led Zeppelin,<br />
beson<strong>der</strong>s aber, wenn sich darin - wie im<br />
so genannten Acid Rock - LSD- und an<strong>der</strong>e<br />
psychedelische Erfahrungen deutlich wi<strong>der</strong>spiegelten<br />
(The Doors, Grateful Dead, Jimi<br />
Hendrix, Jefferson Airplane und an<strong>der</strong>e in<br />
Amerika; "intellektueller" und weniger rockig<br />
Pink Floyd in Großbritannien). Frank Zappa<br />
war seit seiner LP "Freak Out" (1966) <strong>der</strong> rebellische<br />
Gott aller Un<strong>der</strong>ground-Fraktionen<br />
und betrachtet noch heute von Tausenden<br />
von Wohngemeinschafts-(Klo-) Wänden ein<br />
wenig überrascht den Wandel <strong>der</strong> Geschichte.<br />
Hippies hörten LPs, nicht Singles, am liebsten<br />
sogar programmatische Themen- o<strong>der</strong> Konzeptalben<br />
wie "Sergeant Pepper´s Lonely Hearts<br />
Club Band" von den Beatles - 1967 ein<br />
Meilenstein im Aufbrechen alter musikalischer<br />
Muster, nach späteren Aussagen <strong>der</strong><br />
Band allerdings gar nicht als Konzeptalbum<br />
konzipiert, eine LP, die vielen Hippies den<br />
Weg in die Szene ebnete. Sie hörten "Happy<br />
Jack" (1967) und "Tommy" (1969) von The<br />
Who - also Produktionen, die nicht mehr öffentlich,<br />
etwa in Klubs und Discotheken, konsumiert<br />
wurden, oft auch nicht mehr live<br />
aufgeführt werden konnten, son<strong>der</strong>n eine<br />
konzentrierte Zuhörerschaft erfor<strong>der</strong>ten, die<br />
"sich nicht viel bewegt, still dasitzt, sich nicht<br />
mit an<strong>der</strong>en Dingen beschäftigt und bereit<br />
ist, beträchtliche Zeit allein <strong>der</strong> kritischen Rezeption<br />
von Musik zu widmen" (Willis 1981,<br />
S. 98). Auch einzelne Songs wurden immer<br />
länger (etwa "In-a-gadda-da-vida" von Iron<br />
Butterfly o<strong>der</strong> "Live Dead" von Grateful<br />
Dead, <strong>der</strong> gleich drei Plattenseiten füllte), die<br />
Texte immer wichtiger, zugleich aber auch<br />
abstrakter, transportierten zum Beispiel nur<br />
noch Traumbil<strong>der</strong> (wie etwa diverse Songs<br />
von John Lennon) und verweigerten sich <strong>der</strong><br />
eindeutigen Interpretation. Bei Konzerten<br />
kamen komplexe Lichtanlagen, Filmausschnitte,<br />
Dias, Texteinspielungen vom Tonband<br />
zum Einsatz, asymmetrische Rhythmen<br />
und Verzerrereffekte machten Tanzen unmöglich.<br />
Die Musik <strong>der</strong> Hippies war immer mehr<br />
Nahrung für den Geist, nicht für den Körper.<br />
"Überraschung, Wi<strong>der</strong>spruch und Unsicherheit<br />
waren genau das, was die Hippies in<br />
ihrer Musik hoch einschätzten. Sie wollten<br />
überrascht und verunsichert werden. Der allgemeine<br />
Ruf nach Klarheit in <strong>der</strong> Popmusik<br />
war ihnen fremd. Sie vertrauten ihrer Musik<br />
vor allem deswegen, weil <strong>der</strong>en Komplexität<br />
und Schwierigkeit das logozentrische Denken<br />
in Schach hielt und spirituelle Bedeutungsgehalte<br />
nahe legte, ohne diese auf eine Weise<br />
klären zu wollen, die sie unweigerlich reduziert<br />
hätte. Statt "Bedeutung" gab es in dieser<br />
Musik eine Vieldeutigkeit, die genügend<br />
Ansatzpunkte, Gesten und Hinweise barg,<br />
um einer Gruppe, <strong>der</strong>en Denken bereits in<br />
diese Richtung ging, eine spirituelle Interpretation<br />
zu ermöglichen." (Willis, S. 201)<br />
Die Waffe des Systems war die Rationalität,<br />
die kalte Logik <strong>der</strong> Leistungs- und Warengesellschaft.<br />
Das Gegenmittel <strong>der</strong> Hippies logischerweise<br />
spirituelle Intensität, Fühlen statt<br />
Denken. "Protest und Leben <strong>der</strong> Hippies<br />
waren optimistisch, bunt, gewaltfrei, fröhlich.<br />
Ihre Ablehnung <strong>der</strong> westlichen Industriekultur<br />
total. So wurden auch Logik, Rationalität,<br />
Systematik und Zweckbestimmheit <strong>der</strong> westlichen<br />
Kultur abgelehnt, <strong>der</strong> Protest war intuitiv,<br />
gefühlsbetont, unsystematisch,<br />
hedonistisch. Nicht Analyse, nicht Marx und<br />
Marcuse waren interessant, son<strong>der</strong>n Intuition,<br />
Spontaneität, unvermittelte Theorie und<br />
Praxis, direkte Erfahrung. Kreativität, Gemeinschaft<br />
und Freunde bestimmten die Hippies,<br />
sie versuchten zu lernen, sich wie<strong>der</strong><br />
über kleine Dinge zu freuen: Tautropfen, Sonnenstrahlen,<br />
eine Perle, Blumen, Farben - und<br />
sie veräußerlichten ihre Haltung in ihrer bunten<br />
Kleidung, in ihrem Lächeln, ihren Blumen."<br />
(Jaenicke 1980, S. 61)<br />
Um die Fähigkeit zum entspannten Genuss<br />
<strong>der</strong> kleinen Freuden des Alltags zu steigern,<br />
nutzten die Hippies (und viele an<strong>der</strong>e, vorwiegend<br />
langhaarige Jugendliche weit über<br />
die Szene hinaus) gerne Marihuana als Hilfsmittel,<br />
das wahlweise als "Gras", "Hasch",<br />
"Joint", "Pot", "Mary Jane", "Shit" o<strong>der</strong><br />
"Ganja" firmierte. Neben Marihuana sollte<br />
vor allem das (halb)synthetische Halluzinogen<br />
LSD ("Acid") den von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
verkrüppelten Hippies die "Pforten <strong>der</strong> Wahrnehmung"<br />
(Aldous Huxley) öffnen. "LSD<br />
kann ein politisches Kampfmittel sein. Wer es<br />
nimmt, sollte sich aber darüber klar sein, dass<br />
er sich damit Erfahrungen und Einsichten<br />
aussetzt, die seine bisherigen Erfahrungen<br />
und Einsichten zu wi<strong>der</strong>legen imstande sind,<br />
was zum Ausgangspunkt eines psychischen<br />
Konflikts werden kann. Nur <strong>der</strong> sollte LSD<br />
nehmen, <strong>der</strong> eine gesellschaftliche Vorausentscheidung<br />
getroffen, sich zum Drop Out<br />
entschlossen und damit <strong>der</strong> bestehenden<br />
Ordnung sowieso schon den Kampf angesagt<br />
hat." (Salzinger 1982, S. 142) Auf ihren chemisch<br />
verstärkten Abenteuerreisen ins eigene<br />
Selbst entdeckten die Hippies völlig neue<br />
Welten - und vergaßen darüber allerdings<br />
häufig die äußere Welt. "Psychedeliker neigen<br />
dazu, sich sozial passiv zu verhalten",<br />
musste selbst <strong>der</strong> Hippie-Kultautor und LSD-<br />
Prophet Timothy Leary zugestehen. So stellten<br />
sie letztlich eher ein dankbares<br />
Rekrutierungsfeld für neue religiöse Bewegungen<br />
dar als eine "Reservearmee <strong>der</strong> Revolution".<br />
"Die Hippies tragen zur<br />
Verschönerung des Kapitalismus bei, nicht zu<br />
seiner Abschaffung", kritisierte denn auch<br />
<strong>der</strong> linke <strong>Berlin</strong>er Extra-Dienst (Nr. 91, hier zitiert<br />
nach Schwendter 1993, S. 170).<br />
Risse im Wirtschaftswun<strong>der</strong>land<br />
In den Sechzigern wird die bundesdeutsche<br />
Gesellschaft spürbar offener,<br />
internationaler. Der Autoboom<br />
erzeugt eine hohe Mobilität, die Urlaubswelle<br />
zieht die Deutschen in ihre<br />
europäischen Nachbarlän<strong>der</strong>.<br />
"Vater des Wirtschaftswun<strong>der</strong>s" Ludwig Ehrhard<br />
1957 - Deutscher Wirtschaftsminister<br />
und Bundeskanzler. (© AP)<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 57
Migranten kommen nun verstärkt ins Land,<br />
um hier als "Gastarbeiter" eine Zeit lang zu<br />
arbeiten, doch viele bleiben. Familien reisen<br />
nach o<strong>der</strong> entstehen hier, und die deutsche<br />
Alltagskultur vom Speiseplan bis zum Konzertereignis<br />
bekommt ein internationales<br />
Flair. In <strong>Berlin</strong> wird <strong>der</strong> Döner Kebab erfunden.<br />
Der kulturelle Aufbruch erreicht allerdings<br />
zunächst nur Min<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong><br />
Gesellschaft. So befürworteten noch 1967 46<br />
Prozent <strong>der</strong> westdeutschen Erziehungsberechtigten<br />
gelegentliche, 36 Prozent regelmäßige<br />
Schläge in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung – nur 16<br />
Prozent waren prinzipiell dagegen (Jahrbuch<br />
1965/67, S. 2). Die Mehrheit fühlte sich<br />
durchaus durch die CDU und ihre christlichkonservativen<br />
Ideen vertreten, die nahezu<br />
unumschränkt seit 1949 die politische, wirtschaftliche<br />
und kulturelle Richtung vorgab:<br />
Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus<br />
wurde weiterhin verdrängt bzw. zahlreiche<br />
ehemalige Nazis wurden sogar zu Repräsentanten<br />
demokratischer Institutionen ernannt.<br />
Staatliche und an<strong>der</strong>e Autoritäten for<strong>der</strong>ten<br />
und genossen eine unhinterfragte Akzeptanz;<br />
ein ungebrochenes Wirtschaftswachstum und<br />
Vollbeschäftigung waren "die Garanten für<br />
eine Phase allgemeinen Wohlstands, die sich<br />
auf eine fraglos akzeptierte Arbeits- und Konsumorientierung<br />
nebst breiter Entpolitisierung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung stützte" (Lindner 1996,<br />
S. 91). Zehn Jahre lang, seit Beginn des "Wirtschaftswun<strong>der</strong>s",<br />
wurde die Bonner Politik<br />
"mit <strong>der</strong> Gürtelschnalle gemessen" (Ulrike<br />
Meinhof, in: konkret Nr. 11/1963, zitiert nach<br />
Meinhof 1980/1995, S. 34). Umfragen jener<br />
Jahre zeigen allerdings, dass es im Untergrund<br />
gärt – so spricht sich die Mehrheit <strong>der</strong><br />
Bevölkerung gegen die von Bundeskanzler<br />
Konrad Adenauer forcierte atomare Aufrüs-<br />
Keine Macht den Drogen e.V. und das Behördenmagazin<br />
bedanken sich für die Unterstützung<br />
58 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
tung <strong>der</strong> Bundeswehr aus und 40 Prozent for<strong>der</strong>n<br />
zur Wie<strong>der</strong>vereinigung Deutschlands<br />
"Verhandlungen mit <strong>der</strong> DDR". Die Demoskopie<br />
verzeichnet seit den frühen Sechzigerjahren<br />
eine steigende Politisierung <strong>der</strong><br />
Bevölkerung: "Bei den Bundestagswahlen<br />
von 1953 und 1957 dominierten die wirtschaftlichen<br />
und sozialpolitischen Motive.<br />
Schon 1961 hatte eine Umschichtung <strong>der</strong><br />
Werte stattgefunden. Die elementaren wirtschaftlichen<br />
Bedürfnisse traten in den Hintergrund.<br />
Wir erleben den Übergang zu einer<br />
Wohlstandsgesellschaft mit den ihr eigenen<br />
politisch-psychologischen Gesetzmäßigkeiten.<br />
Die Atmosphäre wird auf eine interessante<br />
Weise politischer. Die Bevölkerung<br />
greift in ihren Wünschen über die primären<br />
Bedürfnisse hinaus. Sie interessiert sich für<br />
Gesundheitsfragen, Arbeitsbedingungen, für<br />
den Schutz <strong>der</strong> Landschaft und <strong>der</strong> Wasserläufe,<br />
für klare Luft. Der Blick für nationale<br />
Fragen und für die Außenpolitik wird frei. Die<br />
Frage <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung stand bisher im<br />
Schatten elementarer wirtschaftlicher Probleme.<br />
Jetzt ist es für die Deutschen das Problem<br />
Nummer 1, an zweiter Stelle allerdings<br />
die Preisentwicklung. Dann geht <strong>der</strong> Wunsch<br />
auf Abrüstung, Reduzierung <strong>der</strong> Kriegsgefahr,<br />
Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Atomrüstung, Zusammenschluss<br />
Europas." (Schmidtchen 1965, S. 108<br />
u. 112)<br />
Noch überdeckt <strong>der</strong> wachsende Wohlstand<br />
die Wi<strong>der</strong>sprüche zur herrschenden Politik.<br />
Doch 1965 zeichnen sich erste Risse in <strong>der</strong><br />
identitätsstiftenden<br />
Kraft <strong>der</strong> Wirtschaftswun<strong>der</strong>ideologie<br />
ab.<br />
Die Bauindustrie<br />
schwankt, <strong>der</strong> Boom<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufbaujahre ist vorbei. Ein Jahr<br />
später kriselt es auch spürbar in <strong>der</strong> Eisenund<br />
Stahlindustrie, im Bergbau und in <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft. Das "Zechensterben" im<br />
Ruhrgebiet stürzt die bevölkerungsreichste<br />
Region Westdeutschlands in eine tiefe Krise.<br />
Der "Weltmarkt" formiert sich, die deutsche<br />
Wirtschaft sieht sich plötzlich in Konkurrenz<br />
zu Anbietern aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n und entdeckt<br />
auch selbst an<strong>der</strong>e Märkte. Die Deutschen<br />
lernen ein neues Wort: "multinationale<br />
Konzerne". Preissteigerungen verunsichern<br />
und verärgern die Bevölkerung. "Gelingt es<br />
<strong>der</strong> CDU nicht, den Wunsch <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
nach umfassen<strong>der</strong> sozialer Sicherung und<br />
wirtschaftlicher Stabilität zu erfüllen,<br />
schwingt das Pendel zur SPD", analysiert <strong>der</strong><br />
Sozialforscher Gerhard Schmidtchen im Frühjahr<br />
1965 (a.a.O., S. 116). 1966 gibt es erstmals<br />
seit Jahren wie<strong>der</strong> Arbeitslose in<br />
Deutschland, "nur" 600000 (ein Prozent),<br />
doch das Wirtschaftswachstum verlangsamt<br />
sich weiter und technische Innovationen –<br />
Computer, Mikroelektronik, Automation –<br />
künden Umbrüche an. Die Rezepte <strong>der</strong> CDU<br />
wirken nicht mehr. Nach dem Scheitern <strong>der</strong><br />
Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP<br />
tritt am 1. Dezember 1966 eine "Große Koalition"<br />
aus CDU/CSU und SPD an, um die<br />
Krise zu meistern – und löst damit jedoch ein<br />
Beben aus, das an den Universitäten beginnt<br />
und drei Jahre lang als "außerparlamentarische<br />
Opposition" (APO) ganz Deutschland in<br />
Atem halten wird.
BOB<br />
Initiativen<br />
2. Treffen <strong>der</strong> "BOB Initiativen"<br />
aus Deutschland.<br />
Deutschlandweite Vernetzung<br />
nimmt Formen an.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> Redensart "Viele Köche<br />
ver<strong>der</strong>ben den Brei" trifft für die Vertreter <strong>der</strong><br />
BOB-Initiativen in Deutschland ganz sicher<br />
nicht zu. Die BOB Initiativen verfolgen alle<br />
das gleiche Ziel. Sie wollen die durch alkoholisierte<br />
junge Fahrerinnen und Fahrer verursachten,<br />
schweren Verkehrsunfälle re -<br />
duzieren und ziehen dafür an einem Strang,<br />
und zwar alle in die gleiche Richtung.<br />
"BOB ist einfach und deswegen genial", sagt<br />
Mittelhessens <strong>Polizei</strong>präsident Manfred<br />
Schweizer bei <strong>der</strong> Tagung. "Der persönliche<br />
Aufwand eines BOB's ist gering, sein Beitrag<br />
zur Verkehrssicherheit enorm. Je<strong>der</strong> BOB rettet<br />
effektiv Leben und verhin<strong>der</strong>t menschliches<br />
Leid. Die Vernetzung <strong>der</strong> schon<br />
existenten BOB-Initiativen, eine gemeinsame<br />
Ideensammlung und die Entwicklung zukünftiger<br />
Projekte o<strong>der</strong> von Programminhalten<br />
trägt sicher zu einer Nachhaltigkeit des<br />
Präventionsprogramms und einer größtmöglichen<br />
Verbreitung bei. All das bringt die Initiativen<br />
dem gemeinsamen Ziel und dem<br />
Erfolg ein Stück näher."<br />
Nach dem ersten Treffen im letzten Jahr im<br />
Saarland folgten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Initiativen<br />
aus Aichach/Friedberg und Weißenburg/Gunzenhausen<br />
(Bayern), aus Trier und Kaiserslautern<br />
(Rheinland-Pfalz) und St. Ingbert und<br />
Saarlouis (Saarland) <strong>der</strong> Einladung <strong>der</strong> Aktion<br />
BOB aus Mittelhessen.<br />
Zu Gast waren als För<strong>der</strong>er und Unterstützer<br />
<strong>der</strong> ersten Stunde <strong>der</strong> Aktion BOB <strong>der</strong> Bund<br />
gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr<br />
(B.A.D.S.) sowie die Deutsche Verkehrswacht<br />
e.V. mit einer Repräsentantin, die extra aus<br />
<strong>Berlin</strong> anreiste.<br />
Vertreter <strong>der</strong> BOB-Aktionen aus Eichsfeld und<br />
Eisenach in Thüringen sowie ganz kurzfristig<br />
auch aus Kassel waren lei<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>t.<br />
Die Tagung stand u.a. im Zeichen <strong>der</strong> Analyse,<br />
Diskussion und dem Austausch von Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> BOB-Initiativen, sowie <strong>der</strong> Vorstellung<br />
von Neuerungen, Beson<strong>der</strong>heiten und<br />
<strong>der</strong> neuen bundesweiten Homepage. Dazu<br />
kamen Präsentationen <strong>der</strong> Evaluationen des<br />
Trier-BOB´s und <strong>der</strong> Aktion BOB aus Mittelhessen.<br />
Nach den Prinzipien "von an<strong>der</strong>en lernen"<br />
und "best practice" nahmen die Tagungsteilnehmer<br />
durch den regen Informationsaustausch<br />
an<strong>der</strong>e Ideen und neue Wege zur<br />
Weiterentwicklung und Optimierung des eigenen<br />
BOB-Programms mit.<br />
Ein Thema war die Gewinnung weiterer För<strong>der</strong>er<br />
z.B. von Gaststätten mit Hilfe eines<br />
neuen Betreuungskonzeptes.<br />
Weitere Punkte waren die Diskussion zur<br />
Nutzung sozialer Netzwerke wie Facebook<br />
und die Formen <strong>der</strong> Werbung im öffentlichen<br />
Raum, beispielsweise mit <strong>der</strong> Bereitstellung<br />
einer APP fürs Handy bzw. den Tablet-PC.<br />
Die BOB-Initiativen einigten sich auf den in<br />
Mittelhessen entstandenen Entwurf einer gemeinsamen<br />
Internetseite. Ab sofort sieht <strong>der</strong><br />
Internetznutzer unter <strong>der</strong> freundlicherweise<br />
überlassenen Domain www.bob-deutschland.de<br />
mit einem Blick über die dort abgebildete<br />
Deutschlandkarte das Verbreitungsgebiet<br />
von BOB. Von dort aus führen Links<br />
unmittelbar auf die Internetseiten <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Initiativen.<br />
Besprochen wurde auch die noch im Aufbau<br />
befindliche Netzwerkplattform, die später<br />
über die BOB-Deutschlandseite abrufbar sein<br />
wird. Diese Plattform dient zur verbesserten<br />
Vernetzung untereinan<strong>der</strong> und zur Bereitstellung<br />
von Informationen, Bil<strong>der</strong>n und Logos<br />
sowohl für die vorhandenen Initiativen als<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 59
auch für die, die sich anschließen möchten.<br />
Mindestens fünf BOB-Initiativen präsentieren<br />
beim Deutschen Präventionstag 2013 in Bielefeld<br />
gemeinschaftlich das erfolgreiche Präventionsprogramm.<br />
Sehr konstruktiv diskutierten die Initiativen<br />
die Anschaffung neuer, sehr verschiedener<br />
Werbemittel. Die vorgestellte Palette war<br />
vielfältig, kreativ und innovativ.<br />
Wesentliche Rollen spielten<br />
eine bundesweite Identifikation<br />
mit dem Symbol <strong>der</strong> Aktion<br />
BOB, die Sinn- und Zweckmäßigkeit<br />
sowie eine Kostenreduktion<br />
durch gemeinsame<br />
Beschaffungen. Unmittelbar<br />
nach <strong>der</strong> Diskussion einigten<br />
sich die Vertreter bereits auf die<br />
Prüfung konkreter gemeinschaftlicher<br />
Anschaffungen, die<br />
hier natürlich noch nicht verraten<br />
werden sollen. Die Berichte<br />
<strong>der</strong> Initiativen nähren die Hoffnung,<br />
dass sich BOB bundesweit<br />
weiter entwickelt. Es<br />
mehren sich die Anfragen interessierter<br />
Kommunen, Gemeinden,<br />
Landkreise o<strong>der</strong> Städte mit<br />
unterschiedlichen Trägern. Diese<br />
Anfragen kommen auch aus angrenzenden<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n wie<br />
z.B. Nordrhein-Westfalen und<br />
Baden-Württemberg. Die Initia-<br />
60 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
tiven werden nicht müde, diese Interessierten<br />
zum Mitmachen zu ermutigen und weitere<br />
zu finden.<br />
<strong>Polizei</strong>direktor Manfred Kaletsch, Leiter <strong>der</strong><br />
Aktion BOB in Mittelhessen und Organisator<br />
<strong>der</strong> zweiten Tagung <strong>der</strong> BOB-Initiativen<br />
Deutschlands, war hoch zufrieden mit dem<br />
erfolgreichen Veranstaltungsverlauf und den<br />
Ergebnissen.<br />
"Ich bin stolz auf die von Mittelhessen<br />
ausgegangene Entwicklung<br />
in Deutschland und<br />
auf den Erfolg von BOB. BOB erreicht<br />
die jungen Leute und<br />
stärkt <strong>der</strong>en Verantwortungsbewusstsein.<br />
Das Präventionsprogramm<br />
ist ein Mosaikstein, um<br />
die von alkoholisierten jungen<br />
Fahrerinnen und Fahrern verursachten<br />
Verkehrsunfälle mit beson<strong>der</strong>s<br />
schweren Folgen zu<br />
reduzieren. Die Eignung des<br />
Programms dazu belegen u.a.<br />
die Zahlen zur Unfallentwicklung<br />
in Mittelhessen und die Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Studien zur Aktion BOB<br />
in Mittelhessen und dem BOB<br />
Trier", sagte Kaletsch am<br />
Schluss <strong>der</strong> Tagung und<br />
wünschte sich eine andauernde<br />
gute Zusammenarbeit mit allen<br />
vorhandenen und hoffentlich<br />
bald neu hinzukommenden<br />
BOB-Initiativen. Alle Teilnehmer<br />
waren sich einig, sich im Jahr<br />
2013 erneut zu treffen.<br />
Die BOB-Initiativen sind im Internet unter<br />
www.bob-deutschland.de erreichbar.<br />
Zur Aktion BOB des <strong>Polizei</strong>präsidiums Mittelhessen<br />
gibt es unter folgenden Adressen Informationen:<br />
www.aktion-bob.de und<br />
www.polizei.hessen.de/aktion-bob<br />
Martin Ahlich
Frühwarnsystem<br />
versagt:<br />
Warum Senioren oft betrogen werden<br />
Jüngere können besser am Gesicht erkennen,<br />
ob ein Mensch vertrauenswürdig ist o<strong>der</strong> nicht dpa)<br />
Sie geben sich am Telefon als Enkel aus und<br />
bitten um Geld. Trickbetrüger haben es vor<br />
allem auf Senioren abgesehen, weil diese<br />
häufig auf solche Betrugsmaschen hereinfallen.<br />
Warum das so ist, glauben Forscher herausgefunden<br />
zu haben. Ältere Menschen<br />
können nach einer US-Studie schlechter als<br />
jüngere am Gesicht erkennen, ob ein Mensch<br />
vertrauenswürdig ist. Bei ihnen lasse die Aktivität<br />
in einer Gehirnregion nach, die normalerweise<br />
wie ein Frühwarnsystem ein ungutes<br />
Bauchgefühl vermittele. Das berichten die<br />
Forscher in den „Proceedings“ <strong>der</strong> US-Nationalen<br />
Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften.<br />
Die Forscher um Elizabeth Castle von <strong>der</strong> Universität<br />
von Kalifornien in Los Angeles hatten<br />
einer Reihe von Testpersonen zwischen 20<br />
und 84 Jahren zunächst Fotos von Menschen<br />
gezeigt und sie gefragt, für wie vertrauenswürdig<br />
sie die Personen halten. Zuvor hatten<br />
die Forscher die Menschen auf den Fotos in<br />
drei Kategorien eingestuft: vertrauenswürdig,<br />
neutral, nicht vertrauenswürdig.<br />
Es stellte sich heraus, das Senioren vertrauenswürdige<br />
und neutrale Personen richtig<br />
einstuften, wenig vertrauenswürdige Men-<br />
schen jedoch zu positiv beurteilten. „Wir fanden<br />
diesen Effekt bei den meisten Älteren“,<br />
erklärt Studienleiterin Shelley Taylor.<br />
In einem zweiten Versuch steckten die Forscher<br />
Versuchspersonen in einen Magnetresonanztomographen<br />
und ließen sie dort<br />
Gesichter auf Fotos beurteilen. So konnten<br />
sie beobachten, was im Gehirn <strong>der</strong> Probanden<br />
passierte. Bei den jüngeren Erwachsenen<br />
war beim Beurteilen <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> und vor allem<br />
beim Betrachten von wenig vertrauenswürdigen<br />
Gesichtern eine bestimmte Region im<br />
Gehirn aktiv; die anteriore Insula. Bei den Älteren<br />
hingegen war diese Region nur<br />
schwach aktiv.<br />
Die positive Seite:<br />
Senioren fühlen sich<br />
dadurch wohler<br />
Aus früheren Untersuchungen ist bekannt,<br />
das die anteriore Insula bei Gefühlen von Abneigung<br />
o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Bewertung von Risiken<br />
eine Rolle spielt. Sie nimmt innere Gefühle<br />
wahr, interpretiert diese für das Gehirn und<br />
ist so vermutlich an <strong>der</strong> Entstehung eines<br />
Bauchgefühls beteiligt. „Bei den älteren<br />
Menschen ist das Frühwarnsignal <strong>der</strong> anterioren<br />
Insula schwächer; ihre Gehirne melden<br />
nicht im gleichen Maße wie bei jüngeren: sei<br />
vorsichtig“, so Taylor.<br />
Die Forscher berichten weiter, dass die Vertrauensseligkeit<br />
<strong>der</strong> Senioren erhebliche Auswirkungen<br />
habe. So seien US-Bürgern über 60<br />
Jahren einer neuen Studie zufolge im Jahr<br />
2010 durch Betrügereien ein finanzieller Schaden<br />
in Höhe von mindestens 2,9 Milliarden<br />
US-Dollar entstanden, angefangen von kleineren<br />
Schwindeleien bei Haushaltsreparaturen<br />
bis hin zu ausgemachten Betrugsdelikten.<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite trage die Vertrauensseligkeit<br />
älterer Menschen vermutlich auch<br />
zum Wohlbefinden bei. Senioren seien vielen<br />
Untersuchungen zufolge glücklicher mit<br />
ihrem Leben, empfänden negative Gefühle<br />
weniger stark o<strong>der</strong> behielten positive Informationen<br />
besser als schlechte. „Die geringere<br />
Empfänglichkeit für negative Reize, wie<br />
sie etwa in nicht vertrauenswürdigen Gesichtern<br />
zu finden sind, könnte auf positive Weise<br />
dazu beitragen, dass sich Senioren die meiste<br />
Zeit gut fühlen“, schreiben die Forscher.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 61
Prozess <strong>der</strong> Superlative:<br />
Fünf Angeklagte, rund 50 Anwälte und 57 Nebenkläger<br />
Verfahren um die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ for<strong>der</strong>t die Justiz heraus<br />
Es wird wohl <strong>der</strong> größte Terrorismusprozess<br />
in Deutschland seit dem RAF-Verfahren in<br />
den 1970er-Jahren: Von kommendem Frühjahr<br />
an soll vor dem Oberlandesgericht München<br />
gegen die mutmaßliche Neonazi-<br />
Terroristin Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche<br />
Helfer und Unterstützer des „Nationalsozialistischen<br />
Untergrunds (NSU)“<br />
verhandelt werden. Derzeit kämpft sich <strong>der</strong><br />
Staatsschutzsenat des OLG durch die Akten,<br />
rund 1000 Stehordner sind das. Am 8. November<br />
hatte Generalbundesanwalt Harald<br />
Range die Anklageschrift vorgelegt, nach<br />
einem Jahr intensiver Ermittlungen.<br />
Es ist eine maximale Anklage: Beate Zschäpe<br />
wird Mittäterschaft bei allen Verbrechen des<br />
NSU vorgeworfen – darunter die neun Morde<br />
an Geschäftsleuten ausländischer Herkunft,<br />
<strong>der</strong> Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn<br />
sowie zwei Bombenattentate in Köln.<br />
Zschäpe sei nicht direkt vor Ort beteiligt gewesen,<br />
so die Bundesanwaltschaft, sie habe<br />
jedoch die „unverzichtbare Aufgabe“ gehabt,<br />
„dem Dasein <strong>der</strong> terroristischen Vereinigung<br />
den Anschein von Normalität und Legalität<br />
zu geben“. Bis zum 7. Januar haben die Verteidiger<br />
Zeit, sich zu <strong>der</strong> Anklage zu äußern,<br />
dann muss das Gericht über die Eröffnung<br />
des Hauptverfahrens entscheiden. „Vor Früh-<br />
62 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
jahr rechne ich nicht mit einem etwaigen<br />
Start des Prozesses“, sagte die Sprecherin<br />
des Oberlandesgerichts, Margarete Nötzel.<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> des Staatsschutzsenats ist <strong>der</strong><br />
59-jährige Manfred Götzl – ein erfahrener Jurist,<br />
er gilt als gründlich und hart. Bereits als<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schwurgerichtskammer am<br />
Landgericht München 1 verhandelte er spektakuläre<br />
Fälle: 2005 verurteilte er den Mör<strong>der</strong><br />
des Modezaren Rudolph Moshammer zu lebenslanger<br />
Haft. 2009 verhängte er gleichfalls<br />
eine lebenslange Haftstrafe gegen den damals<br />
90-jährigen früheren Wehrmachtsoffizier<br />
Josef Scheungraber wegen eines Massakers<br />
an italienischen Zivilisten. 2010 übernahm<br />
Götzl den 6. Senat am Oberlandesgericht, zuletzt<br />
verhandelte er gegen acht Helfer <strong>der</strong><br />
deutschen Sektion des Propagandanetzwerkes<br />
„Globale Islamische Medienfront“.<br />
Der erwartete NSU-Prozess stellt das Gericht<br />
vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Ein seit langem<br />
geplanter Hochsicherheitssaal auf dem Gelände<br />
<strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Stadelheim<br />
soll erst 2015 fertig sein – im Frühjahr sollen<br />
die ersten Bagger rollen. Bleibt nur <strong>der</strong><br />
Schwurgerichtssaal 101 im Strafjustizzentrum<br />
Nymphenburger Straße. „Es gibt keinen<br />
an<strong>der</strong>en Sitzungssaal – wir haben gar keine<br />
Ausweichmöglichkeit“, sagt Nötzl.<br />
In dem fensterlosen Saal 101 war bereits<br />
gegen den Nazi-Helfer John Demjanjuk verhandelt<br />
worden. Aus dem In- und Ausland<br />
reisten Journalisten und Nebenkläger an –<br />
es schien, als platze <strong>der</strong> Raum aus allen<br />
Nähten. Regulär gibt es 136 Zuschauerplätze.<br />
Beim NSU-Prozess wird es aber wohl mehr<br />
als 100 Prozessbeteiligte geben. Bisher wollen<br />
57 Nebenkläger teilnehmen, vertreten<br />
durch mehr als 40 Anwälte. Die mutmaßliche<br />
Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe und ihre<br />
vier mutmaßlichen Helfer haben weitere<br />
zehn Anwälte. Schon jetzt wird überlegt, wie<br />
<strong>der</strong> Saal für die beson<strong>der</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
eines Mega-Verfahrens umstrukturiert werden<br />
kann.<br />
Am 4. Dezember gab es eine Begehung mit<br />
Vertretern des Justizministeriums und des<br />
Oberlandesgerichts. Dabei seien umfangreiche<br />
Eckpunkte festgelegt worden, erläuterte<br />
ein Ministeriumssprecher.<br />
Es handele sich um den „am besten abgesicherten<br />
Sitzungssaal in den Münchner Justizgebäuden“,<br />
betonte <strong>der</strong> Sprecher. „Er ist zum<br />
Beispiel nicht einsehbar, verfügt über eigene<br />
Haftzellen und eine separate Gefangenenzuführung.
Ramsauers schwere Geburt -<br />
Flensburger Verkehrssün<strong>der</strong>kartei wird entrümpelt<br />
Einfacher, gerechter, mehr Sicherheit auf <strong>der</strong> Straße. Diese Ziele verknüpft Verkehrsminister Peter<br />
Ramsauer mit seiner Reform <strong>der</strong> Flensburger Sün<strong>der</strong>kartei. Doch ob das erreicht wird, ist umstritten.<br />
<strong>Berlin</strong> (dpa) - Eigentlich ist <strong>der</strong> Beruf des Verkehrsministers<br />
ein ziemlich schöner. Hier mal<br />
ein Band für einen neuen Autobahnabschnitt<br />
durchschneiden, dort einen Eisenbahntunnel<br />
freigeben. Doch kurz vor Weihnachten beschert<br />
das Amt Minister Peter Ramsauer<br />
(CSU) wenig Erbauliches. Ein Flughafen in<br />
<strong>Berlin</strong>, dessen geplante Eröffnung im Oktober<br />
2013 vielleicht schon wie<strong>der</strong> nicht zu halten<br />
ist. Und ein Bahnhof in Stuttgart, <strong>der</strong> deutlich<br />
teurer werden dürfte als geplant. Wie gut,<br />
dass da wenigstens ein Prestigeprojekt nun<br />
Formen annimmt.<br />
Aber auch die am Mittwoch vom Bundeskabinett<br />
beschlossene Reform <strong>der</strong> Flensburger<br />
Verkehrssün<strong>der</strong>kartei ist eine eher schwere<br />
Geburt,ausgerechnet die Bürger erzwangen<br />
bei einer Befragung zu den Plänen eine Verschärfung.<br />
Mehrfach besserte Ramsauer<br />
seine Reform nach – vor <strong>der</strong> Bundestagswahl<br />
dürfte sie daher nicht mehr in Kraft treten.<br />
Zudem ist noch nicht sicher, ob die<br />
Län<strong>der</strong> die Flensburg-Reform durchwinken<br />
werden. Wahrscheinlich startet die Reform<br />
erst 2014. Dann werden die bisher angesammelten<br />
mehr als 47 Millionen Punkte umgerechnet.<br />
Künftig muss sich <strong>der</strong> Autofahrer erstmal an<br />
einen neuen Namen gewöhnen. Das seit<br />
1958 bestehende Verkehrszentralregister<br />
beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg -<br />
kurz: Flensburg-Kartei - wird in «Fahreignungsregister»<br />
(Abkürzung: FaER) umbenannt.<br />
Statt sieben verschiedenen<br />
Punktekategorien gibt es nur noch drei: 1, 2<br />
o<strong>der</strong> 3 Punkte. Statt bei 18 Punkten ist <strong>der</strong><br />
Lappen bei 8 Punkten weg.<br />
Nicht die Verkehrssicherheit gefährdende Verstöße<br />
werden nicht mehr mit Punkten geahndet.<br />
Bisher gespeicherte Punkte für solche<br />
Vergehen, etwa für das Einfahren in Umweltzonen<br />
ohne Plakette, werden bei <strong>der</strong> Umrechnung<br />
in das neue System gestrichen. Dafür<br />
sind hierfür auf Druck des Umweltministeriums<br />
künftig 80 statt 40 Euro zu zahlen. Auch<br />
das Handy-Telefonieren am Steuer wird teurer:<br />
60 statt 40 Euro.<br />
Zunächst wollte Ramsauer nur noch zwei<br />
Punktekategorien – schwere Verstöße für die<br />
es einen Punkt gibt und beson<strong>der</strong>s schwere<br />
Verstöße, die mit zwei Punkten geahndet<br />
werden. Doch das war vielen Bürgern bei<br />
dem Reform-Dialog zu wenig Differenzie-<br />
rung, zumal <strong>der</strong> Führerschein dann erst bei<br />
vier beson<strong>der</strong>s schweren Verstößen weggewesen<br />
wäre, nun ist beim dritten drastischen<br />
Verstoß Feierabend mit dem Autofahren.<br />
Bei mehrmonatigen Fahrverboten für einzelne<br />
Straftaten bleibt es. Wer 6 o<strong>der</strong> 7 Punkte auf<br />
dem «Punkte-Tacho hat», muss an einem<br />
Fahreignungsseminar teilnehmen. Ein Freikaufen<br />
soll es nicht mehr geben. Derzeit können<br />
durch die Teilnahme an Schulungen bis<br />
zu 6 Punkte eliminiert werden. Ramsauers<br />
Maxime: «Keine Rabatte für notorische Verkehrsrowdys».<br />
Hier ist er standhaft geblieben<br />
– auch gegen die mächtige Autolobby des<br />
ADAC, <strong>der</strong> die Reform grundsätzlich lobt. Der<br />
Leiter Verkehrsrecht, Markus Schäpe, kritisiert<br />
aber: «Es ist bedauerlich, dass keine Punkte -<br />
rabatte mehr vorgesehen sind».<br />
Bisher werden jährlich rund 5000 Führerscheine<br />
eingezogen, erst nach einem Jahr Praxistest<br />
wird sich zeigen, ob die Reform<br />
wirklich mehr Transparenz, Gerechtigkeit und<br />
Verkehrssicherheit bringt, wie Ramsauer es<br />
verkündet. Die Gewerkschaft <strong>der</strong> <strong>Polizei</strong> hatte<br />
schon zu Beginn <strong>der</strong> Initiative gemahnt, ein<br />
Herumschrauben am Punktekatalog sei das<br />
eine. Notwendig sei vor allem mehr Personal<br />
für Kontrollen. Die Grünen sehen in einem Autobahn-Tempolimit<br />
eine echte Reform.<br />
Auch zeigen muss sich noch, ob die neue Kartei<br />
unbürokratischer ist. Ursprünglich sollten<br />
die sogenannten Überliegefristen wegfallen<br />
- doch das Justizministerium blockte das ab.<br />
Dabei werden Punkte nach <strong>der</strong> Tilgung noch<br />
ein Jahr «aufbewahrt». So soll garantiert<br />
werden, dass neue Verstöße o<strong>der</strong> erst später<br />
ergangene Urteile für Taten, die sich während<br />
<strong>der</strong> Tilgungsfrist ereignet haben, noch berücksichtigt<br />
werden können. Künftig werden<br />
Vergehen wie volltrunken am Steuer erst<br />
nach elf Jahren (zehn Jahre Tilgungs- und ein<br />
Jahr Überliegefrist) endgültig gestrichen. Allerdings<br />
soll je<strong>der</strong> Verstoß künftig für sich verjähren.<br />
Bisher verhin<strong>der</strong>t jede neue Tat, dass<br />
Punkte wegfallen.<br />
Rainer Hillgärtner vom Auto Club Europa<br />
(ACE) sieht die Reform kritisch. Er verweist<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 63
auf eine eigene Umfrage unter mehr als<br />
1000 Bürgern, von denen 59 Prozent das bisherige<br />
Punktesystem behalten o<strong>der</strong> nur eine<br />
Modifizierung <strong>der</strong> bisherigen Flensburg-Kartei<br />
wollen. «Jetzt aber soll das herrschende<br />
komplizierte System durch ein nicht min<strong>der</strong><br />
kompliziertes System ersetzt werden», kritisiert<br />
Hillgärtner. «Das Problem <strong>der</strong> sogenannten<br />
Überliegefristen bleibt bestehen.<br />
Normalbürger verlieren dabei schnell den<br />
Überblick.»<br />
Entlastung fürs Autofahrer-<br />
Punktekonto<br />
Für viele Autofahrer dürfte sich das<br />
Punktekonto in Flensburg bald spürbar<br />
leeren, wenn die Delikte keine unmittelbare<br />
Gefahr verursacht haben.<br />
Geahndet werden sollen Verstöße<br />
aber trotzdem.<br />
<strong>Berlin</strong> (dpa) - Wenn demnächst ihr ganz spezieller<br />
Kontostand sinkt, dürfte das Millionen<br />
Autofahrern in Deutschland gar nicht unrecht<br />
sein - es geht um ihr Punktekonto bei <strong>der</strong><br />
Sün<strong>der</strong>datei in Flensburg. Bundesverkehrsminister<br />
Peter Ramsauer (CSU) will bestimmte<br />
Delikte künftig nicht mehr mit Punkten ahnden<br />
lassen, die nicht direkt mit <strong>der</strong> Sicherheit<br />
auf <strong>der</strong> Straße zu tun hatten. Deswegen sollen<br />
auch manche gespeicherten Punkte gelöscht<br />
werden.<br />
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64 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Welche Punkte sollen wegfallen?<br />
«Es wird keine generelle Amnestie geben»,<br />
betont das Ministerium, das Grundzüge <strong>der</strong><br />
Reform im Februar präsentiert und nun einen<br />
Entwurf erarbeitet hat. In die Datei sollen<br />
keine Delikte mehr, «die keine verkehrssicherheitsbeeinträchtigende<br />
Ordnungswidrigkeit<br />
darstellen». Das gilt etwa für das Fahren in<br />
die Umweltzonen von Großstädten ohne vorgeschriebene<br />
Plakette, wofür es bisher einen<br />
Punkt gibt. Gibt es dafür keinen Punkt mehr,<br />
könnten gespeicherte Punkte für dasselbe<br />
Vergehen doch nicht erhalten bleiben, argumentieren<br />
die Experten. Etwa eine Million<br />
Bürger könnten so ganz aus <strong>der</strong> Datei verschwinden.<br />
Bisher sind rund neun Millionen<br />
Fahrer in Flensburg vermerkt.<br />
Werden leichtere Verstöße also gar<br />
nicht mehr bestraft?<br />
Für die Ahndung von Verstößen kommt es<br />
nicht nur auf Punkte an, denn daneben gibt<br />
es noch Geldbußen. Die Kombination aus beidem<br />
soll teils neu justiert werden. So sollen<br />
zum Beispiel für Umweltzonen- Verstöße<br />
künftig zwar keine Punkte, dafür aber 80<br />
statt 40 Euro fällig werden. Insgesamt müssen<br />
für die Reform rund 47 Millionen gespeicherte<br />
Punkte in Flensburg umgerechnet<br />
werden. Dabei sieht das neue System vor,<br />
dass Delikte nicht mehr mit 1 bis 7 Punkten<br />
bewertet werden, son<strong>der</strong>n je nach Schwere<br />
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nur noch mit 1, 2, o<strong>der</strong> 3 Punkten. Der Führerschein<br />
ist dadurch schon mit 8 statt bisher<br />
18 Punkten weg.<br />
Was sagt <strong>der</strong> ADAC?<br />
Der Autofahrerclub ADAC hält die Konzentration<br />
auf gefährliche Delikte für sinnvoll.<br />
«Was nicht unmittelbar <strong>der</strong> Verkehrssicherheit<br />
dient, hat in Flensburg nichts zu suchen»,<br />
sagt Rechtsexperte Markus Schäpe.<br />
Bisher seien in <strong>der</strong> Kartei millionenfach Delikte<br />
eingetragen, die eher mit dem Umweltschutz<br />
o<strong>der</strong> Versicherungsfragen zu tun<br />
haben, wie etwa Kennzeichenvorschriften.<br />
Das Punkte-Löschen verursache am Anfang<br />
Kosten, dann werde aber Verwaltungsaufwand<br />
gespart.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Als Starttermin <strong>der</strong> Reform erwartet <strong>der</strong><br />
ADAC den 1. Februar 2014. Der Referentenentwurf<br />
wird nun aber erst mit Län<strong>der</strong>n und<br />
Verbänden diskutiert, bis Jahresende soll er<br />
ins Kabinett kommen. Dann müssen Bundestag<br />
und Bundesrat zustimmen. Die SPD meldete<br />
Vorbehalte an. «Ich bin noch nicht<br />
endgültig überzeugt, wo <strong>der</strong> konkrete Nutzen<br />
<strong>der</strong> groß angekündigten Reform liegt», sagt<br />
<strong>der</strong> verkehrspolitische Sprecher <strong>der</strong> SPD-Bundestagsfraktion,<br />
Sören Bartol. Immerhin sei<br />
endlich vom Tisch, dass es nur zwei Punktekategorien<br />
geben sollte.<br />
Keine Macht den Drogen e.V. und das Behördenmagazin bedanken sich für die Unterstützung
Ein inszenierter Tod -<br />
Rätsel um Leiche aus <strong>der</strong> Elbe gelöst<br />
Eine Leiche treibt in einem Leinensack in <strong>der</strong> Elbe. Ein mysteriöser Kriminalfall, wird anfangs vermutet. Doch das vermeintliche<br />
Verbrechen entpuppt sich als Selbstmord. Für die Hamburger <strong>Polizei</strong> ist es ihr bisher ungewöhnlichster Fall.<br />
Hamburg (dpa/lno) - Es sieht aus wie ein<br />
Mord. Im Kopf eine Schusswunde, <strong>der</strong> Körper<br />
in Planen verschnürt. Als ein Angler an einem<br />
warmen Tag Ende Juni einen Leinensack mit<br />
einer Leiche aus <strong>der</strong> Elbe fischt, fängt die<br />
Hamburger Mordkommission an zu ermitteln.<br />
Fünf Monate später ist für die Beamten klar:<br />
Der Mann hat sich selbst getötet, allen Insze-<br />
nierungen zum Trotz. Die Polizisten sind dem<br />
spektakulären Selbstmord eines Einzelgängers<br />
auf die Spur gekommen. Nur die Frage<br />
nach dem Warum bleibt offen.<br />
Schon die Identität des Mannes gibt den Beamten<br />
anfangs Rätsel auf. Niemand fragt<br />
nach ihm, niemand gibt eine Vermisstenan-<br />
zeige auf. Trotz <strong>der</strong> Verwesung können<br />
Rechtsmediziner die Fingerabdrücke des<br />
Toten sichern, <strong>der</strong> Abgleich mit <strong>der</strong> Datenbank<br />
des Bundeskriminalamts ergibt einen<br />
Treffer: Das - vermeintliche - Opfer ist 43<br />
Jahre alt und lebte allein in einer Einzimmerwohnung<br />
im Stadtteil Wilstorf im Süden<br />
Hamburgs.<br />
Auch dort finden die Ermittler aber kaum Anhaltspunkte.<br />
Die Wohnung ist frisch renoviert,<br />
gründlich geputzt - und völlig leer. Nicht ein<br />
einziges Möbelstück steht dort. Näheren<br />
Kontakt zu seinen Nachbarn vermied <strong>der</strong> 43-<br />
Jährige, auch seine Angehörigen wussten fast<br />
nichts über ihn. Bis heute hat die <strong>Polizei</strong> keinen<br />
einzigen Freund o<strong>der</strong> engen Bekannten<br />
des Mannes gefunden. Sein Leben hat fast<br />
etwas Unsichtbares, die <strong>Polizei</strong> spricht von<br />
einem «geheimnisvollen» Lebenswandel.<br />
Auch mehrere Wochen nach dem Leichenfund<br />
stehen nur wenige Fakten fest: Der 43-<br />
Jährige zog 2008 von <strong>Berlin</strong> nach Hamburg,<br />
eine Arbeit hatte er nicht. Er ging häufiger in<br />
ein Internet-Café in Hamburg-Harburg und<br />
fuhr mit dem Bus. Auf Fotos, die die <strong>Polizei</strong><br />
veröffentlicht, ist ein Mann mit schmalem<br />
Gesicht und kurzen Haaren zu sehen, er wirkt<br />
schlank und sehnig.<br />
Die Ermittler bringen schließlich in Erfahrung,<br />
dass er bereits 2004 in <strong>Berlin</strong> ungebremst<br />
mit einem Transporter gegen eine<br />
Mauer gerast war. «Auch da hatte er die<br />
Wohnung blitzsauber hinterlassen», heißt es<br />
bei <strong>der</strong> Hamburger <strong>Polizei</strong>. War er da bereits<br />
lebensmüde?<br />
Acht Jahre später zieht <strong>der</strong> 43-Jährige nach<br />
Erkenntnissen <strong>der</strong> Beamten eine dunkle Kapuzenjacke,<br />
eine dunkle Hose, Sicherheitsschuhe<br />
und Arbeitshandschuhe an. Er<br />
schnallt sich einen Rucksack mit mehreren<br />
Steinen auf den Rücken und wickelt sich von<br />
den Füßen aufwärts in zwei Planen, die er mit<br />
Kabelbin<strong>der</strong>n zusammenschnürt. Nur für<br />
seine Arme lässt er Platz, so die <strong>Polizei</strong>. Dann<br />
lässt er sich ins Wasser fallen - und schießt<br />
sich im Sturz eine Kugel in den Kopf. «Es ist<br />
die einzige Theorie, die schlüssig ist», sind die<br />
Beamten überzeugt.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 65
Strafrichter verletzen beim «Deal»<br />
im Prozess oft das Gesetz<br />
Absprachen im Strafprozess sind heikel<br />
- die seit 2009 gültige gesetzliche<br />
Regelung ist umstritten. Vor <strong>der</strong> Verhandlung<br />
des Bundesverfassungsgerichts<br />
zeigt eine Studie, dass Richter<br />
selbst oft gegen die Regeln verstoßen.<br />
Karlsruhe (dpa) - Bei Absprachen im Strafprozess<br />
verstoßen die meisten Richter einer<br />
wissenschaftlichen Studie zufolge gegen das<br />
Gesetz. Demnach wird ein großer Teil <strong>der</strong> Absprachen<br />
entgegen <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung<br />
informell getroffen. Mehr als die Hälfte<br />
aller Verteidiger habe schon Fälle erlebt, in<br />
denen Angeklagte ein möglicherweise falsches<br />
Geständnis ablegten, um eine mil<strong>der</strong>e<br />
Strafe zu bekommen. Das ist das Ergebnis<br />
einer Untersuchung, die das Bundesverfassungsgericht<br />
in Auftrag gegeben hat und<br />
über die am Freitag zunächst die «Süddeutsche<br />
Zeitung» berichtet hatte.<br />
Am kommenden Mittwoch (7. November)<br />
verhandeln die Verfassungsrichter über die<br />
Zulässigkeit des sogenannten Deals im Strafprozess.<br />
Drei Beschwerdeführer wehren sich<br />
gegen Verurteilungen nach Absprachen. Sie<br />
sehen unter an<strong>der</strong>em das Recht auf ein faires<br />
Verfahren verletzt. In einem Fall hatte ein <strong>Polizei</strong>beamter<br />
gestanden, Schwarzmarkthändlern<br />
mit Gewalt Zigaretten abgenommen zu<br />
66 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
haben, um diese für sich zu verwenden. Vorher<br />
soll ihm das Gericht gedroht haben, dass<br />
er ohne Geständnis keine Bewährungsstrafe<br />
bekäme.<br />
2009 hatte <strong>der</strong> Gesetzgeber die umstrittene<br />
Praxis <strong>der</strong> Absprachen geregelt. Nach <strong>der</strong><br />
Umfrage unter rund 330 Richtern, Staatsanwälten<br />
und Strafverteidigern, die <strong>der</strong> Düsseldorfer<br />
Strafrechtsprofessor Karsten Altenhain<br />
im Auftrag des Verfassungsgerichts erstellte,<br />
werden die gesetzlichen Vorschriften aber in<br />
vielen Fällen nicht eingehalten.<br />
So gaben fast 60 Prozent <strong>der</strong> befragten Richter<br />
an, dass sie entgegen <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung<br />
mehr als die Hälfte ihrer Absprachen<br />
informell treffen. Mehrheitlich werde nach<br />
einer Absprache «immer» o<strong>der</strong> «häufig» auf<br />
Rechtsmittel verzichtet - obwohl ein Rechtsmittelverzicht<br />
in solchen Fällen verboten ist.<br />
Mit <strong>der</strong> Ermittlung <strong>der</strong> Wahrheit scheinen es<br />
viele Richter nach einem Deal nicht mehr so<br />
genau zu nehmen: Nach eigenen Angaben<br />
überprüfen 28 Prozent <strong>der</strong> Richter die Glaubhaftigkeit<br />
des Geständnisses nur «manchmal»,<br />
«selten» o<strong>der</strong> «nie»; Staatsanwälte<br />
und Verteidiger schätzen diese Quote noch<br />
weitaus höher ein. Als Hauptgründe für Absprachen<br />
nannten die Richter den Zeugeno<strong>der</strong><br />
Opferschutz, eine an<strong>der</strong>nfalls drohende<br />
langwierige Beweisaufnahme und die eigene<br />
Arbeitsüberlastung.<br />
Die Gewerkschaft <strong>der</strong> <strong>Polizei</strong> wandte sich<br />
gegen eine «inflationäre Anwendung» <strong>der</strong><br />
Absprachen im Strafverfahren. Sonst entstünde<br />
<strong>der</strong> Eindruck, «dass <strong>der</strong> Staat seinen<br />
Verfolgungsanspruch vernachlässigt», erklärte<br />
ihr Bundesvorsitzen<strong>der</strong> Bernhard Witthaut<br />
Deutliche Kritik am «Deal» in<br />
Strafprozessen<br />
Schadet <strong>der</strong> Handel mit <strong>der</strong> Wahrheit im<br />
Strafprozess <strong>der</strong> Gerechtigkeit? Die Justizministerin<br />
zeigte sich nach <strong>der</strong> Verhandlung in<br />
Karlsruhe «erschreckt» über die Realität vor<br />
den Gerichten. Karlsruhe (dpa) - Die Praxis<br />
<strong>der</strong> Absprachen in Strafprozessen stößt<br />
bei Verfassungsrichtern, Richtern und <strong>der</strong> Justizministerin<br />
auf große Bedenken. Bundesjustizministerin<br />
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger<br />
(FDP) kündigte am Mittwoch vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht an, sie werde<br />
«alles tun, um mögliche Missentwicklungen<br />
zu korrigieren». Das Karlsruher Gericht verhandelte<br />
über drei Verfassungsbeschwerden<br />
gegen Strafurteile, die nach einer Absprache<br />
zustande gekommen waren.<br />
In Deutschland ist die «Verständigung zwischen<br />
Gericht und Verfahrensbeteiligten» seit
2009 gesetzlich geregelt - in <strong>der</strong> Praxis halten<br />
sich viele Richter allerdings nicht an die Bestimmungen,<br />
wie <strong>der</strong> Düsseldorfer Kriminologe<br />
Karsten Altenhain ausführte. Er hatte<br />
eine Studie im Auftrag des Gerichts erstellt:<br />
Demnach treffen fast 60 Prozent <strong>der</strong> Richter<br />
die Mehrzahl ihrer Absprachen - sogenannte<br />
Deals - ohne die vorgeschriebene Protokollierung,<br />
also informell.<br />
Das rief kritische Fragen hevor: «Müsste das<br />
nicht eigentlich illegale Verständigung heißen?»,<br />
fragte etwa Verfassungsrichterin Gertrude<br />
Lübbe-Wolff.<br />
Problematisch fanden die Verfassungsrichter<br />
auch, dass die Erforschung <strong>der</strong> Wahrheit bei<br />
einer Absprache oft zu kurz kommt: Nach Altenhains<br />
Studie überprüfen 28 Prozent Richter<br />
nach einem Deal bestenfalls<br />
«manchmal», ob das ausgehandelte Geständnis<br />
auch glaubhaft ist. BGH-Präsident<br />
Klaus Tolksdorf, <strong>der</strong> als Sachverständiger gehört<br />
wurde, sprach von einem strukturellen<br />
Problem. «Ich glaube, im Prinzip vertragen<br />
sich Konsens und Strafrecht nicht.»<br />
Generalbundesanwalt Harald Range sagte, er<br />
mache sich «Sorgen um die Wahrheitserforschung».<br />
Er sprach sich aber grundsätzlich<br />
für die Möglichkeit von Verständigungen vor<br />
Gericht aus. Dabei solle es aber nicht ausreichen,<br />
wenn <strong>der</strong> Angeklagte lediglich ein «formales»<br />
Geständnis abgebe - also nur<br />
pauschal einräume, dass die Anklage zutreffe.<br />
Für den Deutschen Anwaltverein warnte <strong>der</strong><br />
Strafverteidiger Rainer Hamm vor <strong>der</strong> Gefahr<br />
von Fehlurteilen. 55 Prozent <strong>der</strong> Verteidiger<br />
hatten <strong>der</strong> Studie zufolge angegeben, dass<br />
ihre Mandanten schon mutmaßlich falsche<br />
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Geständnisse abgegeben hätten, um die Zusage<br />
einer milden Strafe zu erlangen.<br />
Mehrere Vorsitzende Richter von Strafkammern<br />
berichteten zum Teil über eine «exzessive<br />
Praxis» <strong>der</strong> Absprachen vor Gericht, die<br />
sogar dazu führe, «dass man die Akten nicht<br />
mehr liest». Der Freiburger Strafrechts-Professor<br />
Wolfgang Frisch führte aus, nach einer<br />
Absprache ersetze das Geständnis «fast<br />
durchgängig die Beweisaufnahme».<br />
Die Justizministerin ließ in einer Verhandlungspause<br />
erklären, es sei «erschreckend,<br />
dass Beschränkungen <strong>der</strong> Verständigung im<br />
Strafverfahren in <strong>der</strong> Praxis oft nicht angewandt<br />
werden. Das muss die Politik beunruhigen.»<br />
Die mit <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung<br />
angestrebte Rechtssicherheit sei nicht eingetreten.<br />
Die Richter des Zweiten Senats suchten nach<br />
Alternativen. Sollten sie die Regelung für verfassungswidrig<br />
erklären, könnte das die Praxis<br />
an den Gerichten «weiter in die Illegalität<br />
treiben», fürchtete Verfassungsrichter Herbert<br />
Landau. Diskutiert wurde über eine Berichtspflicht<br />
<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft über<br />
Verständigungen und darüber, Verstöße<br />
gegen die Verständigungsregeln als absoluten<br />
Revisionsgrund zu werten. Mit einem Urteil<br />
ist erst im kommenden Jahr zu rechnen.<br />
Generalbundesanwalt: «Deals»<br />
müssen eingeschränkt werden<br />
Hamburg/Karlsruhe (dpa) - Generalbundesanwalt<br />
Harald Range for<strong>der</strong>t strengere Regeln<br />
für Absprachen in Strafprozessen. Die<br />
sogenannten Deals müssten «über die bisherige<br />
Rechtsanwendung hinaus» einge-<br />
schränkt werden, zitiert das Magazin «Der<br />
Spiegel» aus einer schriftlichen Stellungnahme<br />
Ranges zu einer Verhandlung vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht an diesem Mittwoch.<br />
Dann verhandeln die Karlsruher Richter<br />
über die Zulässigkeit des Deals im<br />
Strafprozess.<br />
Range spricht sich in dem Schreiben für eine<br />
deutlich «restriktivere Anwendung» <strong>der</strong> gesetzlichen<br />
Vorschriften aus. Der Generalbundesanwalt<br />
attestiert dem Deal eine «nicht<br />
unbeträchtliche Sogwirkung», die verfassungsrechtliche<br />
Prinzipien zu beeinträchtigen<br />
drohe. Wenn es etwa um Tötungsdelikte geht,<br />
sollte eine Verständigung zwischen Gericht,<br />
Staatsanwaltschaft und Verteidigung über<br />
den Ausgang eines Verfahrens aus seiner<br />
Sicht nicht zulässig sein.<br />
Ein «schlankes» Geständnis ohne echte Reue<br />
könne nur zu einer geringen Strafmil<strong>der</strong>ung<br />
führen, schreibt das Blatt weiter. Beson<strong>der</strong>s<br />
kritisch sieht Range auch das «Aufzeigen von<br />
Alternativstrafen» seitens <strong>der</strong> Richter, was als<br />
Drohkulisse verstanden werden könnte. Es sei<br />
zu erwägen, «ein <strong>der</strong>artiges Vorgehen gänzlich<br />
zu untersagen».<br />
2009 hatte <strong>der</strong> Gesetzgeber die umstrittene<br />
Praxis <strong>der</strong> Absprachen geregelt. Nach einer<br />
Ende <strong>der</strong> Woche bekanntgewordenen Umfrage<br />
unter rund 330 Richtern, Staatsanwälten<br />
und Strafverteidigern, die <strong>der</strong><br />
Düsseldorfer Strafrechtsprofessor Karsten Altenhain<br />
im Auftrag des Verfassungsgerichts<br />
erstellt hatte, werden die gesetzlichen Vorschriften<br />
in vielen Fällen nicht eingehalten.<br />
So wird beispielsweise ein großer Teil <strong>der</strong> Absprachen<br />
entgegen <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung<br />
informell getroffen.<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 67
Das ZDF feiert 2013 den 50. Geburtstag.<br />
Am Anfang wurde noch aus Baracken<br />
gesendet. Inzwischen ist das ZDF<br />
eine ganze Sen<strong>der</strong>familie. Die Macher<br />
setzen für die Zukunft auf ein verjüngtes<br />
Programm.<br />
Mainz (dpa) - Für das ZDF ist es so etwas wie<br />
ein vorgezogenes Geschenk zum 50. Geburtstag:<br />
In diesem Jahr wird <strong>der</strong> öffentlichrechtliche<br />
Sen<strong>der</strong> aus Mainz bei den<br />
Einschaltquoten voraussichtlich die Nase<br />
vorn haben und vor RTL und <strong>der</strong> ARD liegen.<br />
Im nächsten Jahr steht das Jubiläum an. Das<br />
soll auch gebührend gefeiert werden, zum<br />
Beispiel mit speziellen Shows mit Jörg Pilawa.<br />
Am 1. April 1963 abends war Premiere: Das<br />
ZDF ging auf Sendung, noch in Schwarz-<br />
Weiß, aus Baracken in Eschborn bei Frankfurt.<br />
Gründungsintendant Karl Holzamer<br />
eröffnete das bundesweite Programm: Danach<br />
kamen die «heute»-Nachrichten, eine<br />
Ansprache des damaligen baden-württembergischen<br />
Ministerpräsidenten Kurt Georg<br />
Kiesinger (CDU) und die Unterhaltungssendung<br />
«<strong>Berlin</strong> Melodie». Der Sendeablauf ist<br />
dokumentiert im Deutschen Fernsehmuseum<br />
Wiesbaden.<br />
68 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Das ZDF wird 50<br />
Bevor das ZDF startete, gab es einen regelrechten<br />
«Krimi» um das bundesweite Fernsehen:<br />
Das Bundesverfassungsgericht verbot<br />
1960 nach einer Klage <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />
einen bundeseigenen Fernsehsen<strong>der</strong>, weil die<br />
Län<strong>der</strong> die Zuständigkeit für Rundfunk hätten.<br />
1961 beschlossen die Ministerpräsidenten<br />
dann ein zweites TV-Programm.<br />
Ein Jahr nach dem Sendestart zog das ZDF<br />
von Eschborn nach Wiesbaden, bis <strong>der</strong> Sen<strong>der</strong><br />
1974 das Hauptgebäude auf dem Mainzer<br />
Lerchenberg bezog. 1984 wurde das<br />
damals mo<strong>der</strong>nste Sendezentrum Europas<br />
fertig - und das ZDF auf dem Lerchenberg<br />
war komplett. Inzwischen arbeiten rund 3600<br />
feste Mitarbeiter in Mainz, im Hauptstadtstudio<br />
<strong>Berlin</strong> und in 16 Inlands- und 18 Auslandstudios.<br />
Seit 1963 hat sich viel verän<strong>der</strong>t, nicht nur<br />
das Sendezentrum. Das ZDF-Programm ist<br />
ungleich umfangreicher. Hinzugekommen<br />
sind neben 3sat und Arte auch die Digitalkanäle<br />
ZDFinfo, ZDFkultur und ZDFneo. «Mit<br />
dem Hauptprogramm, den Digitalkanälen<br />
und Partnerprogrammen haben wir eine zeitgemäße<br />
Aufstellung», sagt ZDF-Intendant<br />
Thomas Bellut. «Damit erreichen wir erstmals<br />
seit vielen Jahren auch verstärkt jün-<br />
Vom Anfang<br />
in Baracken<br />
zum großen<br />
Sen<strong>der</strong><br />
gere Zuschauer.» Mit 50 will das ZDF also<br />
jünger werden.<br />
Bellut und Programmchef Norbert Himmler<br />
mo<strong>der</strong>nisieren das Programm, seitdem sie<br />
angetreten sind. Langjährige Sendungen wie<br />
«Rosa Roth», «Forsthaus Falkenau» o<strong>der</strong><br />
«Der Landarzt» sollen den Planungen zufolge<br />
verschwinden, dafür kommt aber Neues -<br />
nicht nur Serien, auch Comedy-Formate sind<br />
in Planung, verrät Himmler. «Wir werden das<br />
Angebot im Hauptprogramm schrittweise<br />
und maßvoll verjüngen.»<br />
Der Sen<strong>der</strong> muss zugleich aber kräftig sparen:<br />
Bis 2016 sollen maximal 400 Stellen abgebaut<br />
werden, um Personalkosten in Höhe von<br />
75 Millionen Euro einzusparen - das ist eine<br />
Vorgabe <strong>der</strong> Kommission zur Ermittlung des<br />
Finanzbedarfs <strong>der</strong> Rundfunkanstalten (KEF).<br />
Die Mainzelmännchen feiern im Internet übrigens<br />
schon den 50. Geburtstag - ihren eigenen<br />
und den des Sen<strong>der</strong>s, für den sie täglich arbeiten.<br />
Sie legten am 2. April 1963 los, einen Tag<br />
nach dem ZDF-Sendestart. Ihr «Vater» Wolf<br />
Gerlach starb im November dieses Jahres im<br />
Alter von 84 Jahren. Die Fans brauchen keine<br />
Befürchtungen zu haben: Die Mainzelmännchen<br />
sind fest für die ZDF-Zukunft eingeplant.
AS TIME GOES BY -<br />
70 JAHRE «CASABLANCA»<br />
Vor 70 Jahren feierte «Casablanca»<br />
Premiere. Von kaum einem an<strong>der</strong>en<br />
Film sind so viele Zitate ins kollektive<br />
Gedächtnis gewan<strong>der</strong>t: «Spiel es<br />
einmal, Sam». O<strong>der</strong>: «Ich seh' dir in<br />
die Augen, Kleines.»<br />
<strong>Berlin</strong>/New York/Casablanca (dpa) - Eines <strong>der</strong><br />
bekanntesten und vielleicht sogar besten<br />
Werke <strong>der</strong> Kinogeschichte: «Casablanca» mit<br />
Humphrey Bogart als Rick Blaine und Ingrid<br />
Bergman als Ilsa Lund. Auch wenn keiner so<br />
recht weiß, warum dieser zum Teil schlampig<br />
gemachte Streifen von Michael Curtiz, den<br />
viele beim ersten Anschauen für unlogischen<br />
Kitsch halten, eine <strong>der</strong>art magische Wirkung<br />
entfalten konnte: Irgendwie ist und bleibt<br />
«Casablanca» <strong>der</strong> Film <strong>der</strong> Filme.<br />
Eine einleuchtende These lautet: das Anti-<br />
Nazi-Melodram, das am 26. November 1942<br />
in New York Premiere feierte, bevor es dann<br />
am 23. Januar '43 in die US-Kinos kam, ist<br />
eine Essenz von allen nur denkbaren Liebesfilmen.<br />
Ein Feuerwerk von Klischees, aber gerade<br />
deshalb so zitierbar. Und auch nach<br />
sieben Jahrzehnten wirkt <strong>der</strong> mit drei Oscars<br />
ausgezeichnete Film noch so, als hätten sich<br />
alle Hollywood-Schmonzetten davor<br />
und danach in dieser einen verdichtet.<br />
«Spiel es einmal, Sam. Zur Erinnerung<br />
an damals» lautet eines <strong>der</strong> berühmtesten<br />
Zitate (und nicht «Spiel's noch<br />
einmal, Sam», wie viele glauben). Ilsa<br />
sagt diesen Satz, als sie mit ihrem<br />
Mann Victor Laszlo (Paul Henreid) unerwartet<br />
in «Rick's Café Americain»<br />
in Casablanca auftaucht und den Pianisten<br />
Sam (Dooley Wilson) wie<strong>der</strong>trifft,<br />
Ricks guten Freund und<br />
Begleiter.<br />
Und dieses «Damals», das sie meint, ist natürlich<br />
klischeegerecht Paris, die Stadt <strong>der</strong><br />
Liebe, in <strong>der</strong> Ilsa und Rick im Sommer 1940<br />
eine Affäre hatten, kurz bevor die Nazis<br />
Frankreichs Hauptstadt besetzten. Und zwar<br />
in einer Zeit, in <strong>der</strong> Ilsa dachte, dass ihr zu<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 69
schützen<strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskämpfer<br />
Laszlo, womöglich tot ist.<br />
In kitschigen Rückblenden erfährt <strong>der</strong> Zuschauer,<br />
wie das damals war, wie sich Ilsa und<br />
Rick in den letzten Tagen vor dem Einmarsch<br />
<strong>der</strong> Deutschen das Leben versüßten («Wir<br />
haben doch ausgemacht: keine Fragen»). Romantisch<br />
fällt hier auch <strong>der</strong> Satz, den je<strong>der</strong><br />
kennt und den Bogart viermal im Film sagt:<br />
«Ich seh' dir in die Augen, Kleines» (also nicht:<br />
«Schau mir in die Augen, Kleines», <strong>der</strong> Originalsatz<br />
lautet «Here's looking at you, kid»).<br />
Die namensgebende Stadt Casablanca ist für<br />
den Film, <strong>der</strong> Ende 1941 spielt, zu einem<br />
Tummelplatz für Emigranten aus dem eingeschlossenen<br />
Europa verklärt, die alle zum<br />
großen Auswan<strong>der</strong>erhafen Lissabon wollen<br />
und dann nach Amerika. Doch <strong>der</strong> historische<br />
Hintergrund ist ein bisschen konstruiert - am<br />
ehesten kam in Marokko noch Tanger an das<br />
heran, was hier für Casablanca beschrieben<br />
wird. Die Bar im dortigen Hotel «El Minzah»<br />
war ein Refugium, ähnlich wie «Rick's Café»<br />
im Film.<br />
Egal: Das alles hin<strong>der</strong>te die Amerikanerin<br />
Kathy Krieger nicht daran, vor ein paar Jahren<br />
in <strong>der</strong> Innenstadt von Casablanca «Rick's<br />
Café» zu eröffnen - aus Zelluloid wurde sozusagen<br />
ein echtes, stilvolles Lokal.<br />
Doch zurück zum Film: erst im Laufe <strong>der</strong> etwa<br />
100 Minuten versteht man, warum das Lied<br />
«As Time Goes By» so viel Wehmut bei den<br />
Beteiligten hervorruft («You must remember<br />
this/A kiss is just a kiss/A sigh is just a sigh...»)<br />
Der in Casablanca als Zyniker bekannte Rick<br />
(«Ich halte für niemanden den Kopf hin»),<br />
den Humphrey Bogart darstellt - man möchte<br />
gar nicht sagen, dass er ihn «spielt», denn er<br />
scheint mit <strong>der</strong> Rolle zu verschmelzen -,<br />
selbst dieser Rick hat eine weiche pathetische<br />
Seite und ein Herz. Und am Ende wächst<br />
er über sich hinaus.<br />
Doch zunächst gibt es herrlich schräge Dialoge<br />
mit Bogart, etwa: «Welche Nationalität<br />
haben Sie?» Antwort: «Ich bin Trinker.» O<strong>der</strong><br />
aber: «Wo warst Du letzte Nacht?» Antwort:<br />
«Das ist so lange her, ich erinnere mich<br />
nicht.» «Sehen wir uns heute Nacht?», Antwort:<br />
«Ich plane nie so weit im voraus.»<br />
O<strong>der</strong>: «Was hat Sie nur in Gottes Namen<br />
nach Casablanca verschlagen?» Antwort:<br />
«Meine Gesundheit. Ich kam nach Casablanca<br />
wegen <strong>der</strong> Quellen.» «Quellen? Was<br />
für Quellen? Wir sind in <strong>der</strong> Wüste.» «Man<br />
hat mich falsch informiert.»<br />
70 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013<br />
Rick ergeht sich zunächst in Selbstmitleid:<br />
«Nicht zu fassen: von allen Kaschemmen <strong>der</strong><br />
ganzen Welt kommt sie ausgerechnet in<br />
meine.» Doch am Schluss wählt er nicht die<br />
Rache o<strong>der</strong> Eifersucht, son<strong>der</strong>n stellt die unbezahlbaren,<br />
sicheren Transitvisa Ilsa und<br />
ihrem Mann zur Verfügung - damit die beiden<br />
als Paar weiter für die gute Sache kämpfen<br />
können. Es gibt Wichtigeres als die Liebe.<br />
O<strong>der</strong>: Die größte Liebe ist die, die sich nie<br />
(ganz) erfüllt.<br />
Und noch was: <strong>der</strong> Film ist ein Hoch auf die<br />
Freundschaft, denn Rick bleibt in (Französisch-)Marokko,<br />
bei dem korrupten <strong>Polizei</strong>chef<br />
Louis Renault (Claude Rains): «Louis, ich<br />
glaube, dies ist <strong>der</strong> Beginn einer wun<strong>der</strong>baren<br />
Freundschaft.»
Musikindustrie:<br />
BGH-Entscheidung<br />
kein Freifahrtschein<br />
für Piraterie<br />
Der BGH hat die Musikindustrie vor eine neue Situation in ihrem<br />
Kampf gegen Raubkopien im Netz gestellt. Eltern müssen nicht automatisch<br />
für Urheberrechtsverletzungen min<strong>der</strong>jähriger Kin<strong>der</strong> haften.<br />
Werden jetzt Kin<strong>der</strong> belangt? O<strong>der</strong> sind Familien nun ganz aus<br />
dem Schnei<strong>der</strong>?<br />
<strong>Berlin</strong> (dpa) - Nach <strong>der</strong> Entscheidung des Bundesgerichtshofs, <strong>der</strong> die<br />
Haftung von Eltern für den illegalen Musiktausch min<strong>der</strong>jähriger Kin<strong>der</strong><br />
einschränkte, ist die Industrie um Schadensbegrenzung bemüht.<br />
Das Urteil bedeute nicht, dass Eltern sich nach einmaliger Belehrung<br />
nicht mehr um das Surfverhalten ihrer Kin<strong>der</strong> kümmern müssten,<br />
warnte <strong>der</strong> Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, Florian<br />
Drücke, am Freitag.<br />
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am Donnerstag entschieden, dass<br />
Eltern grundsätzlich nicht für den illegalen Musiktausch ihres min<strong>der</strong>jährigen<br />
Kindes haften, wenn sie es ausreichend über das Verbot<br />
einer Teilnahme an Tauschbörsen im Internet belehrt haben und ihnen<br />
keine konkreten Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen vorlagen. Das<br />
Urteil bedeutete eine Schlappe für die Musikindustrie, die mehrere<br />
tausend Euro Schadenersatz und Anwaltsgebühren verlangte. In dem<br />
konkreten Fall hatte ein 13-Jähriger illegal Musik heruntergeladen<br />
und im Netz verbreitet. (Az. I ZR 74/12)<br />
«Die aktuelle Erklärung des BGH sollte keinesfalls als ein Freifahrtschein<br />
für betroffene Eltern bzw. ihre Kin<strong>der</strong> zum "sorglosen Filesharing"<br />
missinterpretiert werden», erklärte Drücke. «Welche<br />
Maßnahmen Eltern konkret zu treffen haben - vor allem auch bei<br />
wie<strong>der</strong>holten Rechtsverletzungen - bleibt mit Blick auf die Urteilsgründe<br />
abzuwarten.» Es solle dabei auch nicht um eine Überwachung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> gehen, son<strong>der</strong>n um ein frühzeitig gewecktes<br />
Bewusstsein für den Wert von Musik, Filmen o<strong>der</strong> Büchern.<br />
Zumindest theoretisch sei denkbar, dass Kin<strong>der</strong>, die die erfor<strong>der</strong>liche<br />
Einsichtsfähigkeit besäßen, selbst in Haftung genommen werden<br />
könnten, erklärte am Freitag <strong>der</strong> Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke,<br />
<strong>der</strong> das Verfahren für die beklagten Eltern geführt hatte.<br />
Die Musikindustrie müsste in diesem Fall allerdings die erfor<strong>der</strong>liche<br />
Einsichtsfähigkeit beweisen, was man wohl erst ab einem Alter von<br />
13 bis 14 Jahren annehmen könne. «Derzeit ist noch völlig offen, ob<br />
es die Musikindustrie wagen wird, die Kin<strong>der</strong> selbst in die Haftung<br />
zu nehmen», schränkte <strong>der</strong> Rechtsanwalt allerdings ein.<br />
Zugleich sei unklar, inwieweit Eltern auf ihre Kin<strong>der</strong> verweisen können,<br />
ohne diese konkret zu belasten, ergänzte Solmecke. Es sei denkbar,<br />
dass schon die Möglichkeit ausreiche, dass ein im Haushalt lebendes<br />
Kind als Täter bei einer Urheberrechtsverletzung infrage komme. Er<br />
verwies als Beispiel auf den Fall einer Frau, die vom Oberlandesgericht<br />
Köln von <strong>der</strong> Haftung für eine Urheberrechtsverletzung befreit wurde.<br />
Sie hatte hinreichend plausibel dargelegt, dass ihr Ehemann als Täter<br />
infrage kommen würde. «Diese Rechtsauffassung ließe sich auch auf<br />
das Eltern-Kind Verhältnis übertragen», argumentierte <strong>der</strong> Anwalt.<br />
«Konkret belasten müssten die Eltern ihr Kind aber nicht.»<br />
Die BGH-Richter hatten festgestellt, dass es keine grundsätzliche Verpflichtung<br />
<strong>der</strong> Eltern gebe, «die Nutzung des Internet durch das Kind<br />
zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen o<strong>der</strong> dem<br />
Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren». Zu <strong>der</strong>artigen<br />
Maßnahmen seien sie nur dann verpflichtet, wenn sie konkrete<br />
Anhaltspunkte dafür haben, dass ihr Kind den Internetanschluss für<br />
Rechtsverletzungen nutzt – etwa aufgrund einer Abmahnung.<br />
Keine Macht den Drogen e.V. und das Behördenmagazin<br />
bedanken sich für die Unterstützung<br />
DAS BEHÖRDENMAGAZIN Februar/2013 71<br />
Bild: Thorben Wengert / pixelio.de
WIR UNTERSTÜTZEN DEN KAMPF<br />
GEGEN DROGEN UND DIE DROGENKRIMINALITÄT<br />
Abenberg Stadt Abenberg • Rock Elektromotoren Abensberg L 2 GmbH Adelsried Bäckerei Guggemoos Affing Bäckerei Eichner Aichach MR-Stb-Gesellschaft<br />
Aidenbach Dr. W. Bauer Allersberg Car-Beauty Center • Gasthaus Altenfelden Allershausen Glonn Apotheke • Gernot Dreher Alling Manfred O. Glasneck GmbH<br />
Ammerndorf Gemeinde Ammerndorf Anger Autohaus Hogger KG Ansbach RA Christoph Schmitt • Lotto-Toto-Tabak Ludwig Antdorf Annette Gernhardt Anzing<br />
Georg König GmbH Arnsberg Nicole Matzke Arnstorf Markt Arnsdorf Aschheim DBV Electronic GmbH & Co. KG • Dr. J. Augustin • Dokuho J. Meindl • Heinz GmbH<br />
• Franz Derflinger • Pro Lighting e. K. Au/Hallertau Alfons Butt e. K. Auerbach i. d. OPf. Harald Schattke • Dr. E. Marbach • Radau Fahrradladen GmbH • Orthopädie<br />
Rogner • Schuster Bedachungs & Fassaden GmbH • Uwe Senft • Autohaus Schnödt Aufseß Gemeinde Aufseß Augsburg Juweliere Hörl • Roschiwal & Partner<br />
GmbH • Drs. Ch. M. & P. Römer • Dr. A. Walter • Ka-Trans GmbH • Dr. St. McMillan • Lotto-Toto Steidl • Hielscher & Besser GmbH • Dr. R. Kirchmair • Modena<br />
Bau GmbH • Fuss & Kosmetikoase Bad Aibling Stefan Rossteuscher • Dr. F. D. Hellmund Bad Grießbach Dr. B. Schinabeck Bad Homburg Fides Treuhand Bad<br />
Lausick Dr. S. Schmidt Bad Liebenzell Dr. S. Rinninger Bad Neustadt Kfz Ammon Bad Neustadt Anwaltskanzlei Klett u. Kollegen Bad Reichenhall Physio-Centrum<br />
• Petra Lazarus • Gaststätte Schwabenbräu Bad Tölz Dr. H. O. Gronau • DGVT-Mchn-Bad Tölz Bad Vilbel Sybille Moos Bad Wildbad Flößer-Apotheke • Milch<br />
Günthner e. K. Baden-Baden Frank Friedrich • Dr. I. Kath • Dr. K. Ruffmann • Krankengymnastik Vaupel-Schweizer • Dr. K. Küstermann • RA Bernd Steinmayer • Dr.<br />
H. K. König • Fahrschule Hohenbaden GmbH • Goldschmiede Weber Bamberg W. Kieselbach • Farben Leicht • Montagetechnik GmbH & Co. KG • Elektro-Innung<br />
Bamberg • Dialex GmbH • Schreinerinnung Bamberg • Delikatess Müller OHG • Aumüller Autolackiererei • Ideal Automotive GmbH • Lurtz Gartenbau GmbH • Wetz<br />
GmbH & Co. KG • Reha Aktiv Gesundheitszentrum GmbH • Optik Dassler Bayreuth BTS Sportgaststätte • Suchy GmbH • Hagen Scho<strong>der</strong> Bechhofen Bau Fischer<br />
• Unternehmensberatung Schellmann GmbH Beilngrieß Dr. R. Schmidbauer Berchtesgaden Waldhauser Bräu <strong>Berlin</strong> Dr. H. Wegner • Dr. U. Michel • Dilax Intelcom<br />
GmbH • Bernhrad Mößler • Jörg Brieger • Dr. Ch. Herbst & Koll. • Dr. R. Hardung • Dr. T. Althoff • Drs. A. Reles & M. Stoll • S. Kunn & A. Zornow GbR • Karla<br />
Kettner • MG-GmbH Personaldienstl. • Dr. D. Haensch • BSI Private Sprachschule <strong>Berlin</strong> GmbH • Dr. K.-P. Falkowski & C. Frohoff • Dr. A. Erben • Dr. Ch. Kramer • Drs.<br />
K. Bachus-Banaschak & R. Van Heys • Rest. Kuchi • Hörgeräte an <strong>der</strong> Kaisereiche GmbH • Alltours Reisecenter • I.QV.GmbH • Wegner & Ehlert GbR Birkenfeld Schnellrest.<br />
Lale Bischofswerda M. Viehrig & M. Maus Blieskastel Dr. H. Braun Blumberg Dr. J. Holzke Bonn Dr. F. Striesow & M. Moll-Müller • Beate Huber • Dr. M.<br />
Teßmann • Zentrum f. Europäisches Wirtschaftsrecht <strong>der</strong> Univ. Bonn • Prof. Dr. A. Ranjbar • Dr. Svanström • Dr. T. Gheorghiu & J. Marschner Borna Katrin Junghanns<br />
Brandis Dr. G. Kühn Breisach Munsta Tattoo & Piercing • Kosmetikstudio Flair • Witech • Martin Nastulla Bremen Veritas Treuhandges. mbH • Drs. H. Riedel & K.<br />
Schopmaus Bretten Sport-Park Bretten Bruchsal Dr. Th. Frangenheim • Juwelier Yolki • Cut Friseursalon Buch am Wald Hannelore Streng Buchen Drs. A. Seifert<br />
& S. Büttner • Dr. M. Jaudas Buchholz Gasthaus zur Straußi Buchloe RA Michael Walter Bühlental Drs. H. & V. Hüttemann Burgebrach Brauerei Zehendner GmbH<br />
Burghausen Stadt Burghausen Burgoberbach Rudolf Gaab Burgsalach Möbel Auernhammer Burgthann Gebr. Band GmbH • Abraham GmbH • Autohaus Weth<br />
• Espen-Apotheke • Drs. J. & M. Ehrnsberger • Sun Line Travel GbR Buxheim Gemeinde Buxheim Calw Dr. Ch. Dempe Chemnitz Dr. R. Ruppert Coburg ATC Dental<br />
Labor Cottbus Thomas Ramisch Creußen Ergotherapie-Stemmler Deggendorf Eis-Cafe La Crema • Shell-Station Schiller • Dr. A. Netzer Deisenhofen Dr. I.<br />
Schleiwies Deuerling Allianz Generalvertretung e.K. Diebach Stadt Schillingsfürst • Gemeinde Diebach Dietenhofen Wening PC Dinkelsbühl Marlos GmbH Dippoldiswalde<br />
Dr. St. Palm Dollnstein Markt Dollnstein • Berghold GmbH • Bittlmayer Fuhrunternehmen Dombühl Markt Dembühl Donauwörth Notariat Dr. Ch.<br />
Auer Donnersdorf Gabriele Arnold Dortmund Dr. A. Geißler Dresden Dr. A. Schindhelm • Dr. K. Niekler • Friseursalon Haarmonie • Finanz-Guks • Hannelore Rzitki<br />
• Jörg Großer • Birgit Lange Düren Drs. B. Franzen & O. Niehaus & M. Dreja & Ch. Faber-Bester • Daniel Molitor Ebensfeld Dr. M. Schwenk Ebermannstadt<br />
Physiotherapie Renner Eching Böhm & Wiedemann AG • Hein Chemie GmbH • Jürgen Wagner Eckental Drs. H. Ze<strong>der</strong> & H. Biwank • MKG Chirurgie Wolski Eggolsheim<br />
Markt Eggolsheim Egweil Jürgen Neumeier Eichstätt Cafe-Bistro Journal • Drs. H. & M. Rie<strong>der</strong> • Czech´s Autowasch-Center Eilenburg Frank Winkler Emmendingen<br />
Brezelstüble • Stadt-Apotheke Endingen Rest. Merkles • Friseursalon Kniebühler • L & M Service GmbH • Quiltfun Kiefer & Witte GbR Engelsbrand H 10<br />
Techn. Diamanten GmbH • Rosen Apotheke Erding Dr. A. Schwanner Ergersheim Gemeinde Ergersheim Erlangen ViroLogik GmbH • Gerd-Rüdiger Junghans •<br />
Dr. E. Grützmacher • Obst Wagner • Dr. St. Buchholz • Salon Christof Eschborn Dr. M. Brockmann • Dr. M. Kurtz Eschenbach Bitterer Tiefbau GmbH • Drs. G. Bayerl<br />
& F. Schrö<strong>der</strong> & H. Lippiotta • Getränke Kontor Siegler Esslingen Bistro & Imbiss Blue Line • Pizza & Kebaphaus Harran • Cafe Viva • Automobil Meisterwerkstatt<br />
• Reifen Reutter Ettlingen Werkzeugbau Herrmann Fahrenzhausen Gemeinde Fahrenzhausen Feldkirchen Dr. A. Ziegner Feucht Vodafone Shop Feucht •<br />
LWF GmbH Feuchtwangen Orthopädie Schuhtechnik Horn Fil<strong>der</strong>stadt Hantat Supermarkt Forchheim Drs. S. Henkel & C. Haas • Pack mer´s gGmbH • Dental-<br />
Labor Brück • Akademie <strong>der</strong> Friseure Frankenberg Dr. A. Völker Frankenhardt Jürgen H. Fricker Frankenthal FVG - GmbH • Columbus Apotheke Frankfurt Dr.<br />
P. Hille • Dr. Th. Link • Dr. H. Bögner • Dr. B. Schäfer • SPG Prematechnik GmbH • Kontrast Möbel-Leuchten-Accesoires • Drs. M. Mauz & M. Sens • Rest. Zum Storch<br />
am Dom • Dr. L. Bierbrauer • Wilhelm M. Döbritz • Theater-Apotheke Freiberg Dr. G. Poser • CHP GmbH • Prof. Dr. J. Staiger • RA Ulrich Marquardt • FSP-Stadtplanung<br />
• Harteck & Partner • Rheintacho GmbH • W. Kienzler & A. Kunzelmann • Clarion Hotel Hirschen • Küche & Co. Freiburg • Russischer Laden Trojka • Hotel<br />
Schloß Reinach • Bella Donna • Autokosmetik Kextra Service • Stefan Meier • KatzundMaus Computerkurse • Klecks Schreibwaren • Florale Werkstatt • schwarzundwald<br />
• Musikinstrumente Bim Bam • Tcheliko Textile Originale • Der Schmuckladen • Perplex • M & R Kfz • BSD Doll GmbH Freilassing Physiohaus Haas Freudenstadt<br />
Dr. C. Kugler • Drs. E. Stöhr & H. Pfeiffer Freystadt Christa Billner Freyung Drs. Stömmer u. Buhr Friedberg Ing.-Büro Sandmair Friesenheim Rest.<br />
Zum Engel Fuchsmühl Markt Fuchsmühl Fürth Fischer & Partner GbR • J. Lauer Nachf. GmbH & Co. KG Gaimersheim Dr. R. Hagmeyer • Dr. M. Angermann Garmisch-Partenkirchen<br />
Hans Wieland • Katharinen Hof • Kult Jeans • Dr. Martens-Rogall • Dr. D. Beckmann • Drs. D. & S. D. Wohlmann Gefrees Stadt Gefrees Geislingen<br />
Pizzeria Europa • Moda GmbH • Adrian Warner Geltendorf Gasthof Alter Wirt Georgensgmünd Niki’s Schreib- & Spielparadies • Auto Kopp • Spalter Kunststofftechnik<br />
• MEM Meyer-E<strong>der</strong>-Müller Germering Mlase AG • Imm GmbH Marketing Geroldsgrün Gemeinde Geroldsgrün Gerolfingen Car Arts Schielb<br />
Gerolzhofen Dr. E. Herterich Gesees Geseeser Landbäckerei Geslau BEB GmbH Glattbach Gemeinde Glattbach Gmund Oberland Steuerberatungsges. mbH Gochsheim<br />
Bike Business Office GmbH Goldbach Drs. M. J. Künstler & M. Rauch-Künstler • Tuchbaum GmbH Goldkronach Stadt Goldkronach Görlitz Dr. L. Hille Gottenheim<br />
Heizung-Sanitär Hubert Maurer Gräfelfing Fotosatz Pfeifer GmbH Grafenrheinfeld Trips GmbH Grafing Drs. B. Grzesiek & A. Allmann Greding Omnibusse<br />
Elko Tours • Dr. M. Wurm Gröbenzell Physiotherapie Birgit Buß Großeibstadt Carsten Baltzer u. Sabine Heisler Großenseebach Gemeinde Großenseebach<br />
Großhabersdorf Gemeinde Großhabersdorf Großwallstadt Main-Medical-Klinik • Gemeinde Großwallstadt Gundelfingen Dr. H. Behling Gunzenhausen KP<br />
Ingenieurgesellschaft mbH • Dr. R. Pfenninger Haar Typwes GmbH • Thomas Pilz • Werner Beck Halle Michael Grimm Hallerndorf Gemeinde Hallerndorf Hamburg<br />
Özka Lebensmittel • Zahnarztpraxis Collonaden • RA Michael Fischer • Dr. N. Never • Drs. J. Klenke & Ch. Regel Hanau Dr. A. B. Arzuyan • Farid Mohammad<br />
& Said Masud Raufi Hannover Dr. H. W. Remeke Hartheim Fensterbau Spitzer GmbH Haßfurt AVIA Station Hausen Manfred Winkler GmbH & Co. KG • Konzepte<br />
f. Apotheken GmbH Heidelberg Dr. P.-M. Zink Heidenau Kin<strong>der</strong>haus Annett Heilbronn Juwelier Sandkühler OHG Heiligenstadt Frischmarkt Sponsel Heimbuchenthal<br />
Gemeinde Dammbach Heimsheim Tadija Peijic GmbH Heinersreuth Gemeinde Heinersreuth Helmstadt Markt Helmstadt Herbolzheim Breisgau<br />
Sport • Drucker-Tankwart Schmidt Herrenberg RA Thomas Reinhardt Herrieden Gemeinde Herrieden • Fenster - Türen Robert Schrotberger • Gipser- u. Malerbedarf<br />
Zahner Herrsching Holiday Service GmbH Herzogenaurach Beyschlag´sche Apotheke Hiltpoltstein Dr. L. Meyer • Ergotherapie Lugbauer • LMT Technik GmbH<br />
• Dr. M. Zeiler Himmelkron Gemeinde Himmelkron Hirschaid Dr. S. Rösch Hofheim Bäckerei Jung Hofkirchen Markt Hofkirchen Hohenfels Markt Hohenfels<br />
Höhenkirchen Gemeinde Höhenkirchen-Siegertsbrunn Holzkirchen Dr. M.-Th. Schildhauer • Michael Lippmann • Dr. E. Fromm & S. Pandey-Fromm • Franz Hugel<br />
• Dr. G. Vogt Homburg Rae Backes & Schnei<strong>der</strong> Hopfen am See Gästehaus Hartung Hutthurm Markt Hutthurm Iffezheim NC-TEC GmbH Illertissen Achim<br />
Domschat sen. • Physio Aktiv Ingolstadt Architekt Sauer • Ursula Barth • A & S Architekten • Krumpholz-Team • Dr. N. M. Womes • Sibein Fleisch GmbH • Dervisi<br />
GmbH • Eye-Net GmbH • TV-Video Schmidl • Dr. F. Strobl • Kfz-Service Amm • Dr. S. Mayer Ismaning Smartronic GmbH • Baufinanz 24 GmbH • Amb. Pflegedienst
WIR UNTERSTÜTZEN DEN KAMPF<br />
GEGEN DROGEN UND DIE DROGENKRIMINALITÄT<br />
CARE-SIG • Business Mail Service Ispringen Dr. M. Volz Kalchreuth Drs. O. & M. Reissinger • Modellbau-Conrad • Logitrans GmbH Kallmünz Trattoria Trenacria<br />
Kamenz Uwe Behnisch Karlsfeld Dr. H. Pross • Dr. Ch. Ried • Dr. U. Vogel Karlshuld Fahrschule Eubel Karlsruhe Rest. Tulla Eck • Dr. M. Herrmann • Dr. Th. Rupnik<br />
• Drs. A. Riegsinger & L. Krieglstein • Ben<strong>der</strong> & Urich • Soccer Center • Bühler & Ertle • Basislager Sport Handels GmbH • Möbel Ham • Zettwerk Software Engineering<br />
GmbH • Polymaili GmbH • Maxikauf GmbH • Rae Wülfrath & Partner • Fun Sportsbar XL • Cafe Oxford Gastro GmbH • EDEKA Nah & Gut Holzer Kassel<br />
Dr. A. El Hariri & Kollegen Kaufbeuren Uwe Tietz • H. Reckziegel & A. Krumm Kaufungen Dr. K. Lill Kelheim Eduard Ziereis Kempten Amiron Treuhand GmbH •<br />
Dr. F. Tratzmüller Kipfenberg PNZ Produkte GmbH Kirchdorf OMV-Tankstelle Kirchenlamitz Dr. A. Reul Kirchheim Esmer GmbH • PIV Hans Kleinhapl • Kanzlei<br />
J. Angermeier • KHS GmbH Kleinostheim Gemeinde Kleinostheim Kochel Gemeinschafts-Praxis Loisachtal Kolitzheim Gemeinde Kolitzheim Köln E. Steffens<br />
& A. Winckelmann & B. Kertz • Günther Reinhardt • Barbara Bedorf • Prof. Dr. B. Hünermann & Kollegen • Dr. M. Rath • Maritta Möhn • Harald Mielke • Drs. Graebner<br />
& Priller & Fekete • Physiotherapie Hogeback • MEDIFIT • Dr. E. Liermann • Prof. Dr. K. J. Schlüter Königsbrunn Rae Gabrielli & Collegen Korntal-Münchingen<br />
Asia-Rest. Harmonie Kronach Cafe Riverside Kulmain Gemeinde Kulmain Kupferberg Stadt Kupferberg Küps Markt Küps Lahr Löwen Apotheke • Hotel Rest.<br />
Da Vinci • Thomas Lösle • Autoschmiede Lahr Landau Dr. J. Erdel Landsberg Drs. A. Elbertshagen & Kollegen Landshut Die-Reha • Dr. H. Prelicz • Dr. M. Fendl •<br />
Ernst Reinwald Langenaltheim Schmidtkonz GmbH Langenau Drs. F. X. Rist & S. Musati • Da Mario e William Langensendelbach Gemeinde Langensendelbach<br />
Langquaid Gemeinde Herrngiersdorf • Ralf Steller GmbH Lauf a.d. Pegnitz Drs. F. Petschelt & Kollegen Leinach Gemeinde Leinach Leinfelden-Echterdingen<br />
Cafe-Bar-Rest. Flair Leipzig Thomas & Barbara Kleinert • Dr. St. Windau Leonberg Aladin Markt • Drs. R. Merk & S. Mundinger Leutershausen Dentallabor Pflug<br />
• Massagepraxis Hermanutz Lichtenfels Dr. Ch. M. Wicovsky • Stadt Lichtenfels Limbach Oberfrohna Lutz Wiegand Lindau Hotel-Garni Brugger • Architekt Chr.<br />
Preis • Drs. H. u. H. Wille • Dr. O. Nurberdi • Bürgerliches Brauhaus Ravensburg-Lindau AG Lörrach Metzgerei Capizzi • Dr. G. Kuhlmann Lübeck Dr. K. Hoffmann<br />
Ludwigshafen Rest. Hemingway´s • KfH Nierenzentrum Lupburg Markt Lupburg Mainburg Drs. Pöschl & Kollegen Mannheim Dr. M. Teich • Dr. G. Hein Mantel<br />
Markt Mantel Markt In<strong>der</strong>sdorf XAL GmbH Marktzeuln Markt Marktzeuln Marloffstein Hotel-Rest. Alter Brunnen Martinsried Industrie-Vers. Makler GmbH<br />
Mehlmeisel Gemeinde Mehlmeisel Meinheim Gemeinde Alesheim Meißen Dr. C. Huse Mellrichstadt Gemeinde Stockheim Memmelsdorf Wolfram Markert<br />
Memmingen Drs. G. & Th. Wetzel • Gaststätte Zur Blauen Traube • Gemeinde Benningen Mistelgau Gemeinde Glashütten Mittweida Katrin Rudolph • Ingolf<br />
Genz Mörnsheim Markt Mörnsheim • Lamm Reisen Mühlacker Der Blumenladen Mühldorf Dr. C. Maier • Sax OHG Müllheim Dr. S. Falk München Dr. K. Vyhnalek<br />
• Kfz-Sachverst.-Büro München Ost e.K. • Dr. S. Hoenes • Hotel Pension Beck • Harner Ingenieure GmbH • Gompelmann & Huber GmbH • H & F Service f. Getränkemärkte<br />
• Plugarlis Versandservice • RA Dr. G. Engler • M.G.S. Automobile • Dr. G. Wildi • G. Windwehr • Art of Travel GmbH • Dr. P. Bosiljanoff & Koll. • Dr. W. Krueger<br />
• Dr. D. Bretagne • Dr. Ch. Wenninger & S. Hilgert • Dr. W. Zimmermann • Modeagentur S. Wagner • Dr. F. Kessel & Partner OHG • Prof. Dr. G. Riess • Dr. D. Zaboulas<br />
• Dr. M. Post • Twin-C-Distribution • Physio Limes • Dr. Ch. Bredl • Dr. G. Domann • Drs. Edelmann & Schu<strong>der</strong>er & Serr & Schur • Dr. J. G. Sebastian • Rae Bodo &<br />
Mark Nibbe • Dr. U. Kopp • Dr. E. Engl • RA Eva-Maria Minor • Dr. O. H. Bertermann • Rae Klein & Partner • Dr. K. Sochurek • Dr. F. Schmaus • Druckerei Lehrmann<br />
• Kanzlei Schnei<strong>der</strong> • Dr. H. Bruckmayer • Saffer Wein GmbH • Ralf Neumann • Gabrijela Jankovic • Rae Treuheit & Volpers • Dr. H. H. Wörl • Dr. E. Vonhof • Matthias<br />
Bergmann • S46 Lauterbach Architekten • Dr. C. Mosavi • Dr. W. Vogt • Alantum Europe GmbH • Lehn & Partner • ReMax Finest Homes • Sicura GmbH • Dr.<br />
Th. Dengjel • Dr. D. Koch • Dreyer-Jakob-Offner GmbH & Co. KG • Wächtershäußer & Harz • Xenon-Human Resources GmbH • Weissraum • Immobilienmanagement<br />
GmbH • Dr. M. Kellner • Dr. M. Kroth • Kosmetisches Institut München • RA Thomas Krauss • Gaststätte bei Charly • Schreiber-Sportverband • Notarbartolo & Gervasi<br />
GmbH • Oas-Company GmbH • Dr. H. Krietsch • Urban & Zwanziger GmbH & Co. KG • Altmann-Santihanser • Physio Fleischmann • Dr. K. Warmedinger • Pommer<br />
& Pommer • Klinghardt & Partner GmbH • Karl Hümeyer • Physikalische Therapie Meier • Fritz Kuschel & Söhne GmbH • Dr. P. Deutinger • Rae Dr. Solf & Zapf<br />
• RA Dr. St. Prager • Dr. Ch. M. Loebel • Aquila Apotheke • Eichenlaub GbR • Stadler & Wild • Dr. P. Cohn • U.C.A. AG • Zentrum f. Gefäßgesundheit • Dr. B. Wörle •<br />
Katharina Schmid • Dr. M. Saban • Der Hufnagel GG GmbH • Hubertus Magerstädt • RA Sabine Vortmeyer • Anna Schmidhuber • Brasserie L´Atelier • Mohren-Apotheke<br />
• Kanzlei Litzlbeck • Dr. J. Kukonya • Mapfre Re Compania de Reaseguros S. A. • Löwenzahn • Dr. P. Hering • Dr. H. Feldmaier • Domino Haus- und Grundbesitz<br />
GmbH • Krankengymnastik Burgstrasse • Wolfgang Richter & Florian Ebner • Rücker & Co. Spedition GmbH • Juwelier Niesen • Dr. J. Pin<strong>der</strong> • Zehentner & Partner<br />
GmbH • Dr. Th. Schrott • Uschi Vogg PR e. k. • Peter Hüpper • Verwaltung Filser • Grundbaulabor GmbH • Dr. Th. Winkler • Dr. E. Fath • Dr. G. Schmidt • Dr. M.<br />
Venhofen • Ries Immobilien KG • Kretschmar & Partner • Bauer & Kleber OHG • Hermann Wörz Geigenbau GmbH • The Foun<strong>der</strong>s • Markus Wörz • Barcode GmbH<br />
• I-Tech Works • Claudia Böllner • Dr. B. Pongratz Münster Rist. Il Teatrino Müttenhausen Getränkemarkt Oberbauer Nassenfels Verw.-Gemeinde Nassenfels Nekkarsulm<br />
Zelle 18 Nersingen Rist. La Rustica Neu-Ulm Drs. Marschner & Kollegen Neubiberg Dr. St. Böll Neuburg a. d. Donau Dr. U. Rieger Neuenbürg Dr.<br />
U. Rether Neuendettelsau Drs. B.-E. Raum & K. Hein • Dr. M. Raum Neumarkt F. H. Automobile • Herrle Konfektionierung • Dr. M. Wilhelm Neunburg vorm<br />
Wald Stadt Neunburg v. Wald Neunkirchen Segafredo Espressobar Neuötting Drs. F. Gleissner & G.Rodammer & J. Kubr Neuried-Ichenheim Neurie<strong>der</strong>-Pizza<br />
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Redaktionsschluss: 15.03.2013<br />
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