zm-online - Titelstory: Phy... 20090902001135 - Praxis für ...
zm-online - Titelstory: Phy... 20090902001135 - Praxis für ...
zm-online - Titelstory: Phy... 20090902001135 - Praxis für ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
<strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften<br />
Erkrankungen der Kiefergelenksregion<br />
Matthias G. Fink<br />
16. Mai 2000<br />
Dr. med. Matthias G. Fink<br />
Geboren am 8. April 1959 in Straubing (Ndb.), 1980 bis 1982 Schule <strong>für</strong> Naturheilverfahren,<br />
München, Schwerpunkt Akupunktur, 1983 bis 1989 Studium der Humanmedizin, Hannover;<br />
1990 Promotion zum Dr. med., 1989 bis 1994 klinische Ausbildung in Anästhesie (AiP), Innere<br />
Medizin, Orthopädie, Schwerpunkt Schmerztherapie, seit 1994 Assistent und<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik <strong>für</strong> <strong>Phy</strong>sikalische Medizin und Rehabilitation,<br />
Medizinische Hochschule Hannover, klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt<br />
Akupunktur/Schmerztherapie, <strong>Phy</strong>sikalische Medizin in der Zahnheilkunde<br />
Das Ziel der <strong>Phy</strong>sikalischen Therapie bei craniomandibulären Dysfunktionen (CMD) ist es,<br />
Schmerzen zu lindern oder zu beseitigen und Bewegungsstörungen des Unterkiefers zu<br />
verbessern oder zu normalisieren. Arthrose, Arthritis, Diskopathie, Myalgie und muskuläre<br />
Hyperaktivität sowie Subluxation des Temporomandibulargelenkes sind Erkrankungen der<br />
Craniomandibularregion, die in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin erfolgreich behandelt werden<br />
können.<br />
Diagnostik<br />
Bei der CMD werden in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin neben dem lokalen Krankheitsprozess der<br />
Kiefergelenksregion (Arthrose, Arthitis, Diskopathie) zugleich Funktionsstörungen der<br />
Schultergürtelpartie und der Wirbelsäule erfasst, da immer wieder Wechselwirkungen<br />
zwischen der Craniomandibularregion und der Schultergürtelpartie sowie der gesamten<br />
Wirbelsäule beobachtet werden können. Die Untersuchung und auch die nachfolgende<br />
Therapie in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin konzentriert sich auf die in Tabelle 1 dargestellten<br />
Schwerpunkte.<br />
1 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
Die Einschränkung der Unterkieferbeweglichkeit, die Einschätzung der Schmerzintensität und<br />
die Lokalisation der Schmerzquelle bestimmen die Richtung <strong>für</strong> die Planung der<br />
<strong>Phy</strong>siotherapie: Ein Patient mit eingeschränkter Unterkieferbeweglichkeit und starkem<br />
Berührungs- und Ruheschmerz der Temporomandibularregion (Schmerzrating VAS > 7) in<br />
Muskulatur und/oder Gelenk infolge einer akuten Arthritis oder einer akuten<br />
Diskusvorverlagerung ohne Reposition kommt <strong>für</strong> eine physiotherapeutische<br />
Mobilisationbehandlung in diesem Krankheitsstadium noch nicht in Frage. Analgetische<br />
<strong>Phy</strong>siotherapie in Form von Eisanwendungen (Kryotherapie) oder Elektroanalgetische<br />
Verfahren wie TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation) sind in dieser hochakuten<br />
Phase nur als Adjuvans zu betrachten. Entscheidend ist hier die sofortige medikamentöse<br />
Behandlung mit Antiphlogistika (nichtsteroidale Antirheumatika, wie Ibuprofen) und<br />
Muskelrelaxantien (zum Beispiel Diaze-pam), gegebenenfalls in Verbindung mit zusätzlichen<br />
Analgetika (zum Beispiel Paracetamol). Erst nach einer Reduktion der Ruhe- und<br />
Berührungsschmerzen kann der Patient physiotherapeutisch behandelt werden. Wird die<br />
<strong>Phy</strong>sikalische Therapie hingegen zu früh begonnen, sind Befundverschlechterungen<br />
programmiert.<br />
<strong>Phy</strong>sikalische Medizin<br />
<strong>Phy</strong>sikalische Therapie kann häufig parallel zu einer zahnmedizinischen Behandlung erfolgen.<br />
Der in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin erfahrene Arzt muss ebenso wie der <strong>Phy</strong>siotherapeut in der<br />
Lage sein, eine laufende zahnärztliche Behandlung in seinem eigenen Therapieplan zu<br />
berücksichtigen. Bei schwierigen Erkrankungsfällen ist eine ausreichende Kommunikation<br />
zwischen Arzt und Therapeut äußerst wichtig - auch wenn dies gelegentlich mit einem<br />
erhöhten Zeitaufwand verbunden ist.<br />
Abb. 1: Caudaltraktion des Kondylus. Mit der passiven manuellen Untersuchung werden die<br />
Behandlungsebene und die Richtung der Bewegungseinschränkung des Kiefergelenks<br />
registriert. Bei der nachfolgenden Mobilisationsbehandlung wird eine Erweiterung des<br />
Bewegungsspielraums angestrebt. Bei einer eingeschränkten passiven Mobilität des Kondylus<br />
in caudaler Richtung erfolgt demgemäß eine Mobilisationsbehandlung nach caudal [Trott,<br />
1978], wie diese in der Abbildung dargestellt ist. Dabei liegt der Daumen auf der unteren<br />
Molarenreihe, II. und III. Finger umfassen die Mandibula seitlich von außen, die Finger IV und<br />
V greifen unter das Kinn. Mit der II oder III Fingerbeere der anderen Hand werden die<br />
Bewegungen des Kondylus kontrolliert. Entscheidend bei dieser Grifftechnik ist, nicht den<br />
Mund in einer Scharnierbewegung öffnen zu wollen, sondern den Kondylus streng nach kaudal<br />
2 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
zu mobilisieren. Wichtig ist dies vor allem bei einer frischen Diskusvorverlagerung ohne<br />
Reposition, wenn noch eine Chance auf eine Repositionierung besteht. Zugleich werden<br />
Bewegungseinschränkungen in mediolateraler und dorsoventraler Richtung geprüft und<br />
gegebenenfalls beim Behandlungsaufbau berücksichtigt.<br />
Wird eine physiotherapeutische Behandlung begonnen, so muss vor Behandlungsbeginn ein<br />
Zeitintervall festgelegt werden, in dem ein Behandlungserfolg zu erwarten ist: Bei akuter<br />
Myalgie auf dem Boden einer muskulären Hyperaktivität sollte spätestens nach der dritten<br />
Behandlung eine Besserung eintreten. Hingegen können bei einer chronischen<br />
craniomandibulären Dysfunktion (> 6 Monate) acht bis zehn Behandlungen und mehr nötig<br />
sein, bevor eine Befundverbesserung und eine subjektive Beschwerdereduktion sichtbar<br />
werden. Je ausgeprägter die morphologischen Veränderungen am Kiefergelenk sind, desto<br />
länger ist das Zeitintervall bis zu einer ersten Besserung der Krankeitssymptome. Sollte in<br />
dem vorab festgelegten Zeitraum keine Verbesserung erreicht werden, kann auch bei<br />
fortgesetzter <strong>Phy</strong>siotherapie häufig kein zufriedenstellendes Behandlungsergebnis erzielt<br />
werden, wie dies immer wieder bei chronischen Monarthritiden unterschiedlicher Genese zu<br />
beobachten ist.<br />
Die endgültige Dauer der Behandlung, die entweder zur völligen Beschwerdefreiheit führt oder<br />
- vor allem bei Kiefergelenksarthrosen - die Beschwerden des Patienten auf ein tolerables<br />
Maß senken kann, ist individuell sehr unterschiedlich und kann zu einer Dauerbehandlung mit<br />
niedriger Frequenz (ein- bis zweimal/Woche) führen. Die Dosierung muss individuell angepasst<br />
und die einzelnen Behandlungsverfahren befundgerecht ausgewählt werden. Die<br />
Behandlungsverfahren der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin, wie sie bei Erkrankungen am Kauorgan zur<br />
Anwendung kommen können, sind in Tabelle 2 aufgeführt.<br />
Behandlungsverfahren<br />
Die in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin zur Behandlung der CMD vorwiegend eingesetzten<br />
Therapieverfahren sind Bewegungstherapie (Manuelle Therapie) zur Mobilisation des<br />
Kiefergelenkes und der Muskulatur (Stretching) sowie zur muskulären Koordination der<br />
Unterkieferbewegung in Form passiver und assistiver (=vom Therapeuten geführte)<br />
Bewegungsübungen sowie Selbstübungsprogramme, Massagen der Muskulatur, kryo- und<br />
thermotherapeutische Maßnahmen zur Tonussenkung der Muskulatur und zur<br />
Schmerzdämpfung [Meyer und Lot<strong>zm</strong>ann 1989].<br />
Manuelle Therapie - Mobilisation<br />
Die gelenknahe Mobilisation ist eine so genannte "weiche" Technik der Manuellen Therapie.<br />
Dabei werden zwei Gelenkpartner mit einer kleinen Bewegungsamplitude und geringer<br />
Geschwindigkeit in Form einer Translation oder Traktion gegeneinander bewegt oder<br />
voneinander entfernt. Die gelenknahe Mobilisation wird vorsichtig dosiert und besteht in einem<br />
oszillierenden Schub [Friedman, 1984]. Ziel der Mobilisation am Kiefergelenk ist eine<br />
Funktionsverbesserung der aktiven Unterkieferbeweglichkeit.<br />
Indikationen <strong>für</strong> eine Manuelle Therapie am Kiefergelenk sind die Kiefergelenksarthrose, eine<br />
Limitation der Gelenkbeweglichkeit, die durch intraartikuläre Adhäsionen hervorgerufen wird<br />
3 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
und eine Diskusvorverlagerung ohne Reposition. Bei der Diskusvorverlagerung ohne<br />
Reposition, vor allem wenn die akute Vorverlagerung bereits Wochen oder Monate<br />
zurückliegt, ist eine Repositionierung nicht das primäre Ziel der Manuellen Therapie. Nach<br />
unseren bisherigen Erfahrungen kann mit der Manuellen Mobilisationsbehandlung trotz des<br />
vorverlagerten Diskus eine Schmerzreduktion und Verbesserung der Mundöffnungsbewegung<br />
erzielt werden.<br />
Manuelle Therapie - Stretching<br />
Dehnübungen der Muskulatur (=Stretching) werden in das Behandlungsprogramm integriert,<br />
wenn nachweislich muskuläre Verkürzungen und/oder eine muskuläre Hyperaktivität vorliegen.<br />
Das Stretching beginnt mit einer statischen Muskelanspannung. Die nachfolgende<br />
Entspannungsphase erleichtert die Muskeldehnung. Die Dehnbewegung wird langsam<br />
ausgeführt. Am Ende der Dehnbewegung wird diese Position vom Therapeuten gehalten<br />
[Evjenth, 1984]. Der Patient aktiviert <strong>für</strong> zehn bis zwölf Sekunden die Muskulatur durch eine<br />
erneute isometrische Anspannung gegen die Haltehand des Therapeuten (Abb. 2). In der<br />
nachfolgenden Entspannungsphase wird der Muskel aus der gehaltenen Vordehnung erneut<br />
weiter gedehnt [Lewit, 1986]. Schritt <strong>für</strong> Schritt wird somit eine Normalisierung der verkürzten<br />
Muskulatur angestrebt. Hierbei handelt es sich um Millimeterarbeit. In einer kontrollierten<br />
Untersuchung von Dall`Arancio et al. zeigten die Patienten mit myofascialen Schmerzen der<br />
Kaumuskulatur unter Stretching-Therapie eine deutliche Schmerzreduktion sowie eine<br />
Zunahme des Bewegungsumfanges [Dall`Arancio, 1993].<br />
Abb. 2: Muskeldehnung (Stretching-Behandlung) Muskeldehnung der linken Kieferschließer:<br />
Die Mandibula wird bis an das passive Ende der eingeschränkten Bewegungsamplitude<br />
herangeführt. Nach einer isometrischen Anspannung gegen die Therapeutenhand (zirka zehn<br />
Sekunden) wird die Muskulatur in der nachfolgenden Entspannungsphase, die mit der<br />
Ausatmung kombiniert wird, aus der gehaltenen Vordehnung erneut weiter gedehnt [Evjenth,<br />
1984]. Dabei handelt es sich um Millimeterarbeit. Schritt <strong>für</strong> Schritt wird somit eine<br />
Normalisierung der verkürzten Muskulatur angestrebt.<br />
Muskuläre Koordination<br />
Muskuläre Koordinationsübungen können eine wirkungsvolle Behandlung bei rezidivierender<br />
Subluxation des Kiefergelenkes sein. Sofern morphologische Ursachen (zum Beispiel<br />
abgeflachter Proc. articularis) <strong>für</strong> eine rezidivierende Subluxation des Kiefergelenkes<br />
ausgeschlossen werden können, sind als Ursache neben einer Bindegewebsschwäche mit<br />
einer Hyperlaxizität des Kapsel-Bandapparates auch Muskelfunktionsstörungen mit einer<br />
vermehrten Translationsbewegung zu diskutieren. Ziel der Koordinationsübungen sind in<br />
4 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
beiden Fällen eine Verbesserung der muskulären Führung und eine Harmonisierung der<br />
Öffnungsbewegung.<br />
Alle Koordinationsübungen werden hauptsächlich im Rahmen eines Selbstübungsprogrammes<br />
durchgeführt, das der Patient unter Anleitung und regelmäßiger Kontrolle des Therapeuten<br />
einstudiert.<br />
Mechanotherapie - Klassische Massage<br />
Massageanwendungen der Gesichtsregion erzielen sowohl eine Schmerzdämpfung<br />
[Fink,1999], eine Normalisierung des Muskeltonus als auch eine Steigerung der Beweglichkeit<br />
[Buschbacher,1994; Crosman, 1983]. Die Schmerzdämpfung wird zum Teil durch die<br />
Stimulation deszendierender Schmerzhemmsysteme erreicht. Gleichzeitig führt die Massage<br />
der Gesichtsregion zu einer tiefen psychischen Entspannung, ein Effekt, der durch<br />
EEG-Aufzeichnungen belegt werden konnte [Jodo, 1988].<br />
Die von uns angewandte Massagetechnik umfasst sowohl eine HWS-Extensionsmassage,<br />
eine klassische Muskelmassage der Cervical- und Schultergürtelregion sowie eine<br />
Streichmassage (Effleurage) der Gesichtsregion (Abb. 3).<br />
Abb. 3: Massage Effleurage (Streichmassage) der Gesichtsregion mit vorsichtigen<br />
Zirkelungen und Streichungen. Die Behandlung konzentriert sich nicht nur auf die Muskulatur<br />
der Gesichtsregion, Nacken und Schultergürtelregion werden ebenfalls in die<br />
Massagebehandlung eingeschlossen. Die Stimulation der fazialen Hautrezeptoren der<br />
Gesichtsregion führt sowohl zu einer Schmerzdämpfung [Kaada, 1989] als auch zu einer<br />
zentralnervösen Dämpfung und einer intensiven generalisierten Entspannung [Jodo, 1988].<br />
Kryotherapie<br />
Die Anhebung der Schmerzschwelle durch Kältetherapie (Kryotherapie) konnte in<br />
verschiedenen Untersuchungen demonstriert werden [Benson 1974, Jäger 1992]. In der <strong>Praxis</strong><br />
beobachtet man einen guten analgetischen Effekt, wenn der Patient bei der<br />
Mobilisationsbehandlung eine Schmerzzunahme angibt: Hier ist eine Schmerzdämpfung über<br />
die gesamte Dauer einer Behandlung (20 Minuten) zu beobachten. Der Patient wird entweder<br />
mit Eis vorbehandelt oder es wird, besonders bei postoperativen Patienten, <strong>für</strong> die Dauer der<br />
Behandlung ein Kühlpack über der Wangenregion fixiert (Abb. 4).<br />
5 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
Abb. 4: Kryotherapie Trotz der modernen Ausstattung vieler Praxen mit einer Kryojetanlage<br />
(Kaltluft) bevorzugen wir <strong>für</strong> die Kryotherapie am Kiefergelenk selbstgefertigte Kryopacks aus<br />
eiswassergefüllten Einmalhandschuhen. Sie können gut an die Präaurikularregion angepasst<br />
werden (1). Diese Form der Kryotherapie bietet die Möglichkeit einer lokal begrenzten,<br />
kontinuierlichen Kälteapplikation. Sie findet regelmäßig Anwendung bei einer<br />
Mobilisationsbehandlung des Kiefergelenks (2) beim vorliegen einer Arthritis oder nach<br />
operativen Eingriffen am Kiefergelenk.<br />
Thermotherapie<br />
Wärme bewirkt durch die gesteigerte Viskoelastizität der Kollagenfasern eine Verbesserung<br />
der Dehnbarkeit von Muskeln, Bändern und Gelenkkapselstrukturen [Engel, 1990, Kelley,<br />
1989]. Hieraus resultiert ein spürbarer Rückgang der Gelenksteifigkeit und der begleitenden<br />
Muskelverkürzungen. Weiterhin wird auch die Viskosität der Synovialflüssigkeit herabgesetzt,<br />
das heißt deren Gleitfähigkeit wird verbessert. Die Bedeutung unterschiedlicher thermischer<br />
Reize auf die Dehnbarkeit eines Muskels wurden von Lentell et al. untersucht. Das beste<br />
Ergebnis erzielten Wärmepackungen mit Fangoparaffin, wie sie in der Abbildung 5 dargestellt<br />
sind [Lentell, 1992].<br />
Abb. 5: Thermotherapie. Wärmeanwendungen dienen sowohl der muskulären Tonussenkung<br />
[Backlund, 1967] als auch der Schmerzdämpfung [Dellhag,1992; Michlowitz,1990]. Die<br />
intensivste Möglichkeit der lokalen Wärmezufuhr bietet Parafango di Battaglia. Parafango, ein<br />
Gemisch aus Paraffin und Fangopulver, besitzt gegenüber vielen anderen Wärmeträgern den<br />
Vorteil günstiger thermophysikalischer Eigenschaften. Es speichert besser Wärme als<br />
wasserhaltige Wärmeträger (~50°C) und kühlt während der Behandlungsphase von etwa 25<br />
Minuten kaum auf unter 40°C ab [Jahnke, 1953]. Beim Anlegen der Fangopackung wird darauf<br />
geachtet, dass sowohl Schultergürtel als auch Wangenregion mit Fango bedeckt sind.<br />
Indikationen - Behandlungsaufbau<br />
Bei craniomandibulärer Dysfunktion kön-nen Haltungsschulung bei Haltungsfehlern [Kraus,<br />
6 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
1988], die Berücksichtigung ergonomischer Gesichtspunkte am Arbeitsplatz, die Diagnostik<br />
und Mitbehandlung von anatomischen oder funktionellen Statikfehlern der Wirbelsäule sowie<br />
der Lenden-Becken-Hüft-Region [Fink, 1998] aber auch die symptomatische Mitbehandlung<br />
psychosozialer Belastungssituationen durch begleitende Entspannungsverfahren ebenso<br />
Bausteine der Behandlung in der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin sein wie die ärztlich durchgeführte<br />
Manuelle Therapie an der Wirbelsäule oder eine Schmerzakupunktur [Rosted, 1998] zur<br />
Behandlung von Myalgien.<br />
Unsere bisherigen Erfahrungen deuten da-rauf hin, dass gerade das frühzeitige gezielte<br />
therapeutische Zusammenwirken zwischen Zahnheilkunde und <strong>Phy</strong>sikalischer Medizin<br />
gegebenenfalls unter Einbeziehung einer Pharmakotherapie und auch der medizinischen<br />
Psychologie eine Chronifizierung der craniomandibulären Dysfunktion verhindert werden kann.<br />
Für die Mitbehandlung durch einen <strong>Phy</strong>siotherapeuten gibt es zwei Möglichkeiten, einen<br />
Patienten in der <strong>Phy</strong>siotherapie vorzustellen:<br />
Der Patient wird in eine Poliklinik oder <strong>Praxis</strong> <strong>für</strong> <strong>Phy</strong>sikalische Medizin überwiesen.<br />
Zahnarzt, Kieferchirurg oder Kieferorthopäde rezeptieren eigenhändig die Heilmittel <strong>für</strong><br />
die physiotherapeutische Behandlung. Mit dem Rezept ausgestattet wendet sich der<br />
Patient an einen sachkompetenten <strong>Phy</strong>siotherapeuten.<br />
In Tabelle 3 sind die häufigsten in unserer Ambulanz behandelten Indikationen und das jeweils<br />
verordnete therapeutische Basisprogramm zusammengefasst. Neben der sinnvollen<br />
Kombination eines Behandlungsaufbaus ist dabei die Erfahrung des jeweiligen Therapeuten<br />
entscheidend <strong>für</strong> den Behandlungserfolg. Erkrankungen und physiotherapeutische Behandlung<br />
am Kauorgan sind jedoch nicht Bestandteil der regulären physiotherapeutischen Ausbildung.<br />
Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland keine strukturierte Fortbildung <strong>für</strong><br />
<strong>Phy</strong>siotherapeuten auf diesem Gebiet, mittlerweile werden Fortbildungen zu diesem<br />
Themenkreis angeboten. Es ist somit von Vorteil, wenn sich der rezeptierende Arzt oder der<br />
Patient gezielt nach einem auf diesem Gebiet erfahrenen <strong>Phy</strong>siotherapeuten erkundigt.<br />
Zusammenfassung<br />
Patienten mit unklaren Schmerzen der Gesichts- und Wangenregion leiden häufig an einer<br />
Erkrankung des Kauorgans [Drechsel und Gerbershagen 1992]. Die Zahnmedizin in<br />
Deutschland betont seit nunmehr 30 Jahren den Wert der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin bei der<br />
Behandlung dieser Erkrankungen [Schulte, 1972; Freesmeyer, 1998]. Dabei mag es <strong>für</strong> die<br />
Zahnmedizin erstaunlich sein, dass Erkrankungen der Kopf- und Gesichtsregion nicht<br />
Bestandteil der regulären physiotherapeutischen Ausbildung sind und sich bisher nur wenige<br />
Therapeuten an dieses Behandlungsfeld heranwagen. Dies erklärt sich aus dem Lehrplan der<br />
normalen physiotherapeutischen Ausbildung: Hier reicht der Patient quasi nur "bis zum<br />
Okziput". Der <strong>Phy</strong>siotherapeut, der sich <strong>für</strong> eine fachübergreifende Zusammenarbeit mit der<br />
7 von 8 02.09.2009 00:11
<strong>zm</strong>-<strong>online</strong> - <strong>Titelstory</strong>: <strong>Phy</strong>sikalische Medizin bei schmerzhaften Erkran... http://www.<strong>zm</strong>-<strong>online</strong>.de/<strong>zm</strong>/10_00/pages2/titel7.htm<br />
Zahnmedizin qualifizieren will, ist auf eine zusätzliche Ausbildung in speziellen<br />
Fortbildungsseminaren angewiesen.<br />
Andererseits ist der kundige Therapeut oft erstaunt, dass Zahnärzte, Kieferorthopäden und<br />
Kieferchirurgen die Mitarbeit der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin zu selten in Anspruch nehmen, obwohl<br />
namhafte Vertreter aus den Reihen der Zahnmedizin dies immer wieder be<strong>für</strong>worten. Die<br />
bisherigen Erfahrungen aus Sicht der <strong>Phy</strong>sikalischen Medizin zeigen, dass Patienten mit<br />
Erkrankungen der Craniomandibularregion von einem interdisziplinären Behandlungsansatz<br />
profitieren können. Entscheidend hier<strong>für</strong> ist eine klare Indikationsstellung <strong>für</strong> den Einsatz der<br />
<strong>Phy</strong>sikalischen Medizin und ein erfahrener <strong>Phy</strong>siotherapeut <strong>für</strong> deren Durchführung.<br />
Dr. med. Matthias G. Fink<br />
Facharzt <strong>für</strong> <strong>Phy</strong>sikalische Medizin<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Phy</strong>sikalische Medizin und Rehabilitation<br />
Medizinische Hochschule Hannover<br />
30625 Hannover<br />
E-Mail: m.g.fink@t-<strong>online</strong>.de<br />
<strong>zm</strong> 10/2000, Seite 74<br />
8 von 8 02.09.2009 00:11