PDF-Dokument - Wolf Nkole Helzle
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Homo donzdorfensis<br />
Ein Kunstprojekt von <strong>Wolf</strong> <strong>Nkole</strong> <strong>Helzle</strong> mit Beteiligung von 100 Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Donzdorf<br />
Simone Jung<br />
Hört oder liest man den Titel dieses Kunstprojektes zum ersten Mal, stellt sich vermutlich meist unmittelbar die<br />
Frage: Wer oder was ist dieses „Homo donzdorfensis“? Wie sieht es aus? Und was hat das mit mir, was hat es mit<br />
Donzdorf zu tun?<br />
Assoziationen an natur- und geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, an fossile Funde längst ausgestorbener<br />
Vorfahren unserer Menschengattung werden geweckt und lassen uns über die menschlichen Ursprünge innerhalb der<br />
Evolution und die seit dem vollzogenen kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen nachdenken.<br />
Und so handelt es sich bei dem fotografischen Projekt des Medienkünstlers <strong>Wolf</strong> <strong>Nkole</strong> <strong>Helzle</strong> auch tatsächlich um<br />
eine Art Forschungsprojekt, bei dem es zwar nicht um die Entschlüsselung unserer Urahnen, jedoch um einen wesentlichen<br />
Kern der Weltbevölkerung geht. Denn ein zentrales Thema seiner künstlerischen Auseinandersetzung ist die<br />
Frage nach der Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv: „Wie kann ich das Verhältnis verstehen zwischen mir<br />
als Individuum und der Menschheit insgesamt, diesen mehr als 6 Milliarden Menschen?“<br />
Um sich im wahrsten Sinne des Wortes „ein Bild“ von diesen Zusammenhängen zu machen, verfolgt der Künstler schon<br />
seit Mitte der 90er Jahre ein groß angelegtes, performatives Projekt unter dem titelgebenden Motto: „… und ich<br />
bin ein Teil“. Innerhalb dessen sammelt er weltweit, bei verschiedenen Anlässen Gesichter von Menschen – sei´s<br />
im Kunstkontext oder in einer Kirche, bei einem Firmenevent oder von zufällig vorbeikommenden Passanten auf der<br />
Straße – die sich bei einem kurzen Shooting, in frontaler Ansicht und vor schwarzem Hintergrund in seiner mobilen<br />
Fotostation porträtieren lassen. Der Fokus ist dabei lediglich auf das Gesicht gerichtet. Es entsteht ein reines<br />
Kopfporträt, extrahiert aus jeglichen kontextuellen Zusammenhängen, so dass nichts von der jeweils individuellen<br />
Physiognomie der Porträtierten ablenkt.<br />
Auf diese Weise hat <strong>Wolf</strong> <strong>Nkole</strong> <strong>Helzle</strong> bis heute (Dezember 2008) ein digitales Archiv von über 20.000 Porträts aus<br />
verschiedenen Ländern Europas, Asiens und Afrikas angelegt und ständig werden es mehr. Diese setzt er in seinen<br />
künstlerischen Projekten in immer neue Beziehungen zueinander, die unter verschiedenen Aspekten auf die globale<br />
Gesellschaft und das wechselseitige Verhältnis von Individualität und Gemeinschaft verweisen.<br />
„Der Zugang zum Kollektiven gelingt nur über das Individuelle, denn das Kollektiv ist ohne die Individuen und die<br />
Individuen ohne das Kollektiv nicht denkbar.“ Für <strong>Wolf</strong> <strong>Nkole</strong> <strong>Helzle</strong> ist das Sammeln der Gesichter wie eine Verbeugung<br />
vor der unendlichen Vielfalt der Menschen, deren Abbilder gemäß der jeweiligen Ausrichtung seiner Werke<br />
in seriellen Abfolgen ein gemeinsames Ganzes bilden. (Beispiele dazu finden Sie unter: www.helzle.com)<br />
Dieser Leitgedanke liegt auch der Werkserie der „Multiplen Porträts“ zugrunde. In einem speziellen Computerprogramm<br />
werden dazu 100 Einzelporträts transparent übereinander geschichtet und bilden so ein „neues“, gemeinsames<br />
Gesicht. Die meist gleichnishaft verwendete Formulierung „ein Gemeinwesen bilden“ wird somit beim Wort genommen<br />
und in einer idealtypischen Weise anschaulich gemacht. So ermöglicht die Computertechnologie eine absolut gleichberechtigte<br />
Überlagerung, oder vielmehr Vereinigung der Porträts, da im digitalen Datenraum weder Reihenfolge,<br />
noch Prägnanz eines individuellen Merkmals ein vordergründiges Mehr an Aufmerksamkeit erzeugen. Faszinierend<br />
dabei ist, dass durch die Überlagerung die spezifischen Gesichtszüge zwar verwischen, die Übergänge durch die vielen<br />
Schichtungen jedoch so weich werden und sich zugleich in markanten Gesichtspunkten wie Augen, Nase und Mund<br />
verdichten, dass tatsächlich ein neues, einzigartiges Gesicht von malerischer Qualität entsteht.<br />
Eine solch wundersame Erscheinung blickt uns auch aus dem hier präsentierten, multiplen Porträt des „Homo donzdorfensis“<br />
entgegen. In seinen Ausmaßen von 80 x 80 cm ist es die bislang größte Ausführung innerhalb der Werkserie.<br />
Mit seinem freundlichen Äußeren und den uns scheinbar in jeder Perspektive in Augenschein nehmenden Blick wirkt<br />
es sehr lebendig. Zugleich ist es aber in Alter und Geschlecht, sowie in seinem konkreten Gesichtsausdruck nur<br />
schwer festzumachen, und während es von einer gewissen Distanz relativ deutlich erscheint, entzieht es sich – je<br />
mehr man sich ihm nähert – einer eindeutigen Beschreibung. Entsprechend wirkt es zugleich nah und entrückt, vertraut<br />
und doch fremd, hält aber gerade deshalb unseren Blick gefangen und strahlt darin etwas von einer zeitlosen,<br />
allgegenwärtigen Präsenz aus.<br />
Während <strong>Wolf</strong> <strong>Nkole</strong> <strong>Helzle</strong> bei den vorhergehenden Studien lediglich Gesichter aus seiner umfangreichen Porträtsammlung<br />
verwendete, wurde die Idee nun auch erstmalig im Zusammenhang mit einem konkreten Ort aufgegriffen, und<br />
in dem Wissen um das vielseitige bürgerliche Engagement und das aktive Donzdorfer Gemeindeleben in einem konzeptionell<br />
weiterentwickelten Projekt umgesetzt. – Dabei war „ein Gemeinwesen bilden“ nicht nur allegorisch gemeint,<br />
sondern auch in der tatsächlichen Umsetzung gefordert!<br />
Um sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinn ein möglichst „vielschichtiges Bild“ der Donzdorfer Bevölkerung<br />
zu erhalten, wurden daher 100 Bürgerinnen und Bürger aus verschiedenen Gruppierungen (Vereine, Kirchengemeinden,<br />
Schulen, Betriebe etc.) eingeladen, sich an diesem Gemeinschafts-Projekt zu beteiligen. Dazu waren die<br />
Gruppen zunächst gebeten, selbst die Auswahl ihrer Repräsentanten zu treffen und dabei auch auf ein ausgeglichenes<br />
Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Vertretern zu achten.