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Die Verfolgung und Ermordung jüdischer Lehrerinnen und Lehrer in ...

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<strong>Die</strong> <strong>Verfolgung</strong> <strong>und</strong> <strong>Ermordung</strong><br />

<strong>jüdischer</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern<br />

1933 bis 1945


Nachruf der israelitischen <strong>Lehrer</strong> im BLV auf Karl Heiß dem Gründer des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s (BLZ 1911, S. 285)


<strong>Die</strong> <strong>Verfolgung</strong> <strong>und</strong> <strong>Ermordung</strong><br />

<strong>jüdischer</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern<br />

1933 bis 1945<br />

Bayerischer <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>verband


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Bayerischer <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>verband (BLLV)<br />

Bavariar<strong>in</strong>g 37<br />

80336 München<br />

Redaktion:<br />

<strong>Die</strong>ter Reithmeier<br />

Grafik:<br />

creativ3 werbeagentur gmbh<br />

Fotos:<br />

BLLV, Studio Roeder,<br />

Stadtarchiv München,<br />

Yad Vashem Photo Archive,<br />

Archiv Begegnungsstätte<br />

Alte Synagoge Wuppertal,<br />

istockphoto, fotolia<br />

Druck:<br />

OrtmannTe@m A<strong>in</strong>r<strong>in</strong>g<br />

Das Recherche- <strong>und</strong> Biografieprojekt<br />

ist im Zusammenhang mit<br />

dem 150jährigem Jubiläum des<br />

BLLV 2011 entstanden.


<strong>in</strong>hAlt<br />

Aufstehen!<br />

GeGen VerGessen <strong>und</strong> unrecht 4<br />

Klaus Wenzel<br />

Jüdische schulen <strong>und</strong> lehrer <strong>in</strong> BAyern während der nAzidiktAtur 6<br />

<strong>Die</strong>ter Reithmeier<br />

er<strong>in</strong>nern 14<br />

<strong>Die</strong> verfolgten <strong>und</strong> ermordeten jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern<br />

stAtionen der VernichtunG 54<br />

der jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> aus Bayern<br />

e<strong>in</strong>kreisunG, entrechtunG, VernichtunG 58<br />

Chronologie der <strong>Verfolgung</strong> der deutschen Juden zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945<br />

leBensGeschichten Jüdischer lehrer <strong>und</strong> lehrer<strong>in</strong>nen 80<br />

Sab<strong>in</strong>e Gerhardus<br />

der BlV im nAtionAlsoziAlismus 94<br />

<strong>Die</strong>ter Reithmeier, Fritz Schäffer


Vorwort<br />

Aufstehen!<br />

GeGen VerGessen <strong>und</strong> unrecht<br />

Zum Gedenken an die verfolgten <strong>und</strong> ermordeten jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong><br />

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten <strong>in</strong> Deutschland an die Macht kamen, war e<strong>in</strong>e ihrer ersten gesetzgeberischen<br />

Initiativen die Verabschiedung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Mit diesem<br />

Unrechtsgesetz wurde bereits e<strong>in</strong>en Monat nach der Reichstagswahl die Möglichkeit geschaffen, politisch missliebige<br />

Personen <strong>und</strong> Juden aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nst zu vertreiben. Mit diesem Gesetz begann die juristische Legitimation<br />

der <strong>Verfolgung</strong> <strong>und</strong> später der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung <strong>in</strong> Deutschland ebenso wie der politischen<br />

Opposition, allen voraus der Kommunisten <strong>und</strong> Sozialdemokraten. <strong>Die</strong> Durchführungsbestimmungen zum Gesetz<br />

wurden mehrmals verschärft <strong>und</strong> zeugen von e<strong>in</strong>er besonders perfiden Form der Entrechtung <strong>und</strong> Demütigung der<br />

Juden auf dem Weg zum Holocaust. Das Gesetz stand Pate für zahlreiche weitere Gesetze <strong>und</strong> vor allem Berufsverordnungen,<br />

die Juden aus den verschiedenen Berufen drängten.<br />

Von diesem Gesetz waren die ersten verbeamteten jüdischen <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> vor allem <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>, weil es für sie ke<strong>in</strong>e<br />

Ausnahmeregelungen wegen des E<strong>in</strong>satzes als Frontsoldaten im 1. Weltkrieg gab, betroffen. Sie wurden <strong>in</strong> den<br />

Ruhestand versetzt <strong>und</strong> verloren ihre Arbeit. <strong>Die</strong> Ruhestandsbezüge wurden dann <strong>in</strong> den folgenden Jahren immer<br />

stärker reduziert, so dass neben die Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> <strong>Verfolgung</strong> auch die zunehmende Verarmung das Schicksal<br />

der betroffenen Menschen bestimmte. Neben den verbeamteten <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n gab es auch viele<br />

Pädagogen an den damals existierenden privaten jüdischen Schulen ebenso wie jüdische Religionslehrer, die als<br />

sog. Wanderlehrer <strong>in</strong> den Dorfschulen den <strong>in</strong> der Diaspora lebenden jüdischen K<strong>in</strong>dern Religionsunterricht erteilten.<br />

Bis zum Ausbruch des Krieges konnte etwa die Hälfte der deutschen Juden emigrieren. Darunter waren auch<br />

viele <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>. Viele aber blieben zurück <strong>und</strong> arbeiteten entweder an den jüdischen Schulen als<br />

Pädagogen oder schlugen sich mit Gelegenheitsarbeiten oder als Privatlehrer durch. Viele von ihnen standen bis<br />

zuletzt den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> den jüdischen Schulen zur Seite, versuchten, ihnen e<strong>in</strong> letztes Stück Würde, Anerkennung<br />

<strong>und</strong> auch Glück zu geben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt, die sie ausgrenzte, demütigte <strong>und</strong> bedrohte. Wir verneigen uns vor diesen<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen. Fast alle von ihnen wurden zwischen 1940 <strong>und</strong> 1942 deportiert <strong>und</strong> ermordet. E<strong>in</strong>ige<br />

von ihnen beg<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> ihrer Verzweiflung vor der Deportation Suizid.<br />

Als BLLV schämen wir uns, weil wir Schuld auf uns geladen haben. Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> hat se<strong>in</strong>e eigenen<br />

demokratischen <strong>und</strong> humanistischen Wurzeln verleugnet. <strong>Die</strong> Überzeugungen der handelnden Personen waren<br />

nicht stark genug, wirklich Widerstand zu leisten. Bereits am 25. April 1933 wurde die Führung des BLV <strong>in</strong> die<br />

Hände nationalsozialistischer <strong>Lehrer</strong> gegeben. <strong>Die</strong> vorausgehenden <strong>in</strong>haltlichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit der<br />

nationalsozialistischen Ideologie zu Beg<strong>in</strong>n der 30er Jahre <strong>in</strong> der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung waren wenig überzeugend.<br />

Sie waren stärker von dem Versuch geprägt, e<strong>in</strong>e Brücke zur „neuen Bewegung“ zu bauen als ihr verbrecherisches<br />

<strong>und</strong> antidemokratisches Auftreten zu h<strong>in</strong>terfragen geschweige denn zu kritisieren oder zu verurteilen.<br />

Ab Herbst 1933 wurde aus der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung e<strong>in</strong> nationalsozialistisches Kampfblatt, <strong>in</strong> dem Aufsätze<br />

zur Rassenhygiene, zur völkischen Erziehung <strong>und</strong> zur Wehrerziehung publiziert wurden <strong>und</strong> auf dessen Deckblättern<br />

Texte von Hitler, Goebbels <strong>und</strong> dem bayerischen Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Vorsitzenden des Nationalsozialistischen<br />

<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es (NSLB) Schemm prangten.<br />

4


5 Vorwort<br />

<strong>Die</strong> jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> verstanden sich bis zu Beg<strong>in</strong>n der 30er Jahre auch als Teil des Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s, wie e<strong>in</strong>e bemerkenswerte Notiz aus der Israelitischen Wochenschrift aus dem Jahr 1911 anlässlich<br />

des Todes von Karl Heiß, dem Gründer des BLV, belegt: „<strong>Die</strong> jüdischen <strong>Lehrer</strong> Bayerns stehen mit ihren Kollegen<br />

christlichen Glaubens trauernd an der Bahre des Begründers des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s. In e<strong>in</strong>er Zeit, da die<br />

Juden noch nicht <strong>in</strong> allen Fragen des Bürgerrechts gleichgestellt waren, erhob dieser Edle die Forderung nicht der<br />

Toleranz – denn Toleranz erniedrigt die Empfänger, sie ist Duldung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Gnadengeschenk, ke<strong>in</strong> Recht – wohl<br />

aber die Gleichberechtigung zum Gr<strong>und</strong>recht des 1861 <strong>in</strong> Regensburg begründeten <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s. Im gleichen<br />

Geiste führten Koppenstädter <strong>und</strong> Schubert ihren Vere<strong>in</strong>. Und wenn die Giftpflanze des Antisemitismus, die <strong>in</strong> so<br />

vielen Kreisen des deutschen Volkes wuchert, <strong>in</strong> der bayerischen <strong>Lehrer</strong>welt ke<strong>in</strong>e Wurzeln fassen konnte, so danken<br />

wir dies diesen pr<strong>in</strong>zipientreuen Männern. Unvergesslich bleibt jene St<strong>und</strong>e der Würzburger <strong>Lehrer</strong>versammlung,<br />

als Heiß <strong>und</strong> Schubert, umbraust vom Jubelruf der <strong>Lehrer</strong> aus allen Gauen Bayerns, den Schwur erneuerten,<br />

dass Religion <strong>und</strong> Konfession ke<strong>in</strong>e Trennung herbeiführen können. Treu stehen Bayerns jüdische <strong>Lehrer</strong> zum<br />

Bruderb<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> trauernd weihen wir dem Gründer dieses B<strong>und</strong>es unsern Abschiedsgruß. Treue um Treue –<br />

Liebe um Liebe.“ Für die Kollegen christlichen Glaubens war es auch <strong>in</strong> der Weimarer Republik nie e<strong>in</strong>e Frage,<br />

dass die jüdischen Kollegen zum Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>, zu unserer Berufsgeme<strong>in</strong>schaft gehören.<br />

Umso unverzeihlicher ist es, dass wir unsere jüdischen Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen <strong>in</strong> der Zeit ihrer <strong>Verfolgung</strong> im<br />

Stich ließen, dass auch wir sie aus unserer Solidargeme<strong>in</strong>schaft ausschlossen <strong>und</strong> dass wir sehr lange diesen<br />

Teil unserer Verbands- <strong>und</strong> unserer Professionsgeschichte verdrängt haben. Für dieses Verhalten gibt es ke<strong>in</strong>e<br />

Entschuldigung. <strong>Die</strong> Scham darüber wird uns immer begleiten. Das e<strong>in</strong>zige was wir tun können <strong>und</strong> tun wollen:<br />

Wir wollen dieser Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen gedenken. Wir wollen sie der Anonymität entreißen <strong>und</strong> an sie er<strong>in</strong>nern.<br />

Und wir wollen uns verpflichten, alles zu tun, dass Unrecht <strong>und</strong> Ausgrenzung <strong>in</strong> unserer Gesellschaft ke<strong>in</strong>e<br />

Chancen bekommen. Wir wollen unsere Mitglieder ermutigen <strong>und</strong> sie dabei unterstützen, sensibel zu se<strong>in</strong> für jede<br />

Form der Ausgrenzung <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung im Schulalltag <strong>und</strong> darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> der Gesellschaft – <strong>und</strong> wann immer<br />

es nötig ist, mutig dagegen aufzustehen. Und wir wollen uns selbst als Verband verpflichten, uns immer wieder<br />

unsere gesellschaftliche Verantwortung als größter Berufsverband von Pädagogen <strong>in</strong> Bayern bewusst zu machen<br />

<strong>und</strong> kompromisslos für Menschlichkeit, die Menschenwürde <strong>und</strong> die Menschenrechte e<strong>in</strong>zustehen <strong>und</strong> gegen alle<br />

Formen der Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> Ausgrenzung aufzustehen.<br />

Ich danke dem Landesgeschäftsführer des BLLV, Dr. <strong>Die</strong>ter Reithmeier, für die Initiative zur Aufarbeitung dieses<br />

Kapitels der Geschichte des BLLV <strong>und</strong> für die Betreuung der dazu notwendigen Recherchearbeiten. Ich danke<br />

Sab<strong>in</strong>e Gerhardus für die engagierte Projektleitung.<br />

Klaus Wenzel<br />

Präsident des BLLV


Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

Jüdische schulen <strong>und</strong> lehrer <strong>in</strong> BAyern<br />

während der nAzi-diktAtur<br />

In Bayern lebten nach der Statistik des Deutschen Reichs (zit. nach Walk S. 14) zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1933,<br />

dem Zeitpunkt der Machtergreifung der Nationalsozialisten, 42 000 Juden, das entsprach e<strong>in</strong>em Bevölkerungsanteil<br />

von 0,5 %. Nach dem Historischen Lexikon Bayern gab es <strong>in</strong> Bayern 198 jüdische Geme<strong>in</strong>den, wovon die<br />

Stadtgeme<strong>in</strong>den München, Nürnberg, Fürth, Würzburg, Bamberg <strong>und</strong> Augsburg die größten waren. Bei allen<br />

Geme<strong>in</strong>den handelte es sich um Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Sie waren im Verband Bayerischer<br />

Israelitischer Geme<strong>in</strong>den organisiert, der sie auch gegenüber den Behörden <strong>und</strong> der Politik vertrat. Ihr Vere<strong>in</strong>sorgan<br />

war die Bayerische Israelitische Geme<strong>in</strong>dezeitung.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der deutschen Juden hatte <strong>in</strong> ganz Deutschland seit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende deutlich abgenommen: In<br />

Bayern g<strong>in</strong>g sie alle<strong>in</strong> von 1925 bis 1933 um knappe 15 % zurück. Der Anteil der K<strong>in</strong>der unter 15 Jahren an<br />

der jüdischen Gesamtbevölkerung betrug <strong>in</strong> Deutschland im Jahr 1933 19,1 % (Gesamtbevölkerung 25,8 %),<br />

auf Bayern hochgerechnet waren dies ca. 8 000 K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche. In den 20er Jahren fand e<strong>in</strong>e zunehmende<br />

Landflucht der jüdischen Bevölkerung statt. Joseph Walk sieht im traditionellen Bildungsbewusstse<strong>in</strong> der<br />

Juden e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong> dafür. Viele junge Familien zogen <strong>in</strong> die Städte, um ihren K<strong>in</strong>dern den Besuch e<strong>in</strong>er höheren<br />

Schule zu ermöglichen.<br />

Für die verbleibende jüdische Landbevölkerung hatte die Abwanderung <strong>in</strong> die Städte erhebliche Folgen. Immer<br />

weniger Geme<strong>in</strong>den waren noch <strong>in</strong> der Lage, eigene Schulen zu betreiben. In Bayern gab es 1932 gerade noch<br />

26 öffentliche <strong>und</strong> private jüdische Volksschulen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e jüdische Realschule.<br />

Von 26 Volksschulen <strong>in</strong> Bayern am Jahresende 1932 hatten 19 Schulen unter 30 Schüler – es handelte sich<br />

also um e<strong>in</strong>klassige Schulen – drei besuchten zwischen 21 <strong>und</strong> 50 K<strong>in</strong>der, e<strong>in</strong>e über 50 K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> drei zwischen<br />

101 <strong>und</strong> 200 Schüler. Von den ca. 8 000 schulpflichtigen jüdischen K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> Bayern<br />

besuchten demnach nur etwa 15 % jüdische Schulen. <strong>Die</strong>s entspricht <strong>in</strong> etwa dem Anteil der orthodoxen Juden.<br />

<strong>Die</strong> große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung bekannte sich zum Reformjudentum. Ihre K<strong>in</strong>der wurden <strong>in</strong> den<br />

öffentlichen Volksschulen, bei denen es sich um Konfessionsschulen handelte, beschult. Es gab ke<strong>in</strong>e eigenen<br />

jüdischen Gymnasien <strong>in</strong> Bayern. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige weiterführende Schule war die Israelitische Realschule <strong>in</strong> Fürth<br />

(orthodoxe Ausrichtung). 1<br />

1<br />

Fürth hatte schon im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert e<strong>in</strong>e relativ große jüdische Geme<strong>in</strong>de. 1862 war die Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Privathaus als jüdische Knabenschule gegründet worden. Sie zog 1869 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> eigenes Haus um.<br />

Zum Schuljahr 1860/61 wurde der Ausbau zur sechsjährigen Realschule mit vier Vorklassen genehmigt. 1888 wurde sie <strong>in</strong> „israelitische Realschule“ umbenannt. Ab 1931/32 lief zeitgleich der Ausbau e<strong>in</strong>er<br />

vierklassigen Vorschule. Sie wurde 1939/40 wegen zu weniger Schüler geschlossen. (Quelle: The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem)<br />

6


7 Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

Schüler der jüdischen Schule<br />

Ohel Jakob <strong>in</strong> München 1932,<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

<strong>Die</strong> 85 % der jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen, die ke<strong>in</strong>e jüdische Schule besuchten, besuchten die staatlichen<br />

Volksschulen, die <strong>in</strong> Bayern konfessionell getrennt waren, oder die höheren Schulen. In der Volksschule<br />

nahmen die jüdischen K<strong>in</strong>der ebenso wie die K<strong>in</strong>der der jeweiligen m<strong>in</strong>oritären christlichen Konfession am regulären<br />

Unterricht der jeweiligen Volksschule im Schulsprengel teil, erhielten aber getrennten Religionsunterricht.<br />

Für die jüdischen K<strong>in</strong>der, die <strong>in</strong> Orten mit e<strong>in</strong>er jüdischen Kultusgeme<strong>in</strong>de lebten, wurde der Religionsunterricht<br />

häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sog. Religionsschule der Kultusgeme<strong>in</strong>de abgehalten oder aber e<strong>in</strong> <strong>jüdischer</strong> Religionslehrer übernahm<br />

die anfallenden Religionsst<strong>und</strong>en <strong>in</strong> der örtlichen Volksschule. Jüdische K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Volksschulen <strong>in</strong> Orten,<br />

<strong>in</strong> denen es ke<strong>in</strong>e Kultusgeme<strong>in</strong>de gab, wurden <strong>in</strong> der Regel von sog. „Wanderlehrern“ zwei Wochenst<strong>und</strong>en <strong>in</strong><br />

<strong>jüdischer</strong> Religionslehre unterrichtet. Über 13 % der jüdischen K<strong>in</strong>der waren vom Religionsunterricht suspendiert.<br />

Zwischen 1933 <strong>und</strong> dem Ausbruch des Krieges im September 1939 emigrierte etwa die Hälfte der Juden im<br />

deutschen Reich <strong>in</strong> Folge der sich überall manifestierenden Diskrim<strong>in</strong>ierung. <strong>Die</strong> jüdischen Schulen hatten vor<br />

diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> mit zwei gegenläufigen Bewegungen fertig zu werden. E<strong>in</strong>erseits nahm durch das Herausdrängen<br />

der jüdischen K<strong>in</strong>der aus den staatlichen Schulen die Zahl der zu beschulenden jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

den jüdischen Schulen deutlich zu, andererseits aber nahm sie <strong>in</strong> Folge der Emigration aus Deutschland ab. Für<br />

das konkrete Schulleben bedeutete dies nicht nur e<strong>in</strong> Arbeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fe<strong>in</strong>dlichen, von Übergriffen geprägten<br />

Umwelt, sondern auch e<strong>in</strong>e ständige Veränderung der Zusammensetzung der Schülerschaft, die sich dann nach<br />

1939 durch die beg<strong>in</strong>nenden Deportationen noch verschärfte.<br />

Jüdische lehrer<br />

Bei der Recherche nach den Namen <strong>jüdischer</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>in</strong> Bayern <strong>in</strong> unterschiedlichen Archiven<br />

(Hauptstaatsarchiv, Archive von Regierungsbezirken <strong>und</strong> von Geme<strong>in</strong>den), die der BLLV 2009 <strong>in</strong>itiierte, konnten<br />

bis dato 650 Namen zu Tage gefördert werden. Aus gr<strong>und</strong>sätzlichen Erwägungen wurden alle Personen erfasst,<br />

die pädagogisch tätig waren <strong>und</strong> sich als <strong>Lehrer</strong> bezeichneten, also auch Privatlehrer, Musik- <strong>und</strong> Gesangslehrer.<br />

Man kann von fünf unterschiedlichen Kategorien an jüdischen Pädagogen sprechen:


Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

1. religionslehrer<br />

<strong>Die</strong> größte Zahl an <strong>Lehrer</strong>n machten die Religionslehrer aus. Bei der Mehrheit der Religionslehrer handelte es sich<br />

ähnlich wie bei den christlichen Kirchen um Geistliche (Rabb<strong>in</strong>er). Sie hatten bei ihrer theologischen Ausbildung<br />

im Haupt- oder Nebenfach am Rabb<strong>in</strong>ersem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> oder Breslau Religionslehre studiert. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

gab es aber auch Religionslehrer, die am israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungssem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Würzburg studiert hatten. Geht<br />

man davon aus, dass die meisten der jüdischen Kultusgeme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Bayern e<strong>in</strong>en Religionslehrer angestellt<br />

hatten oder aber der Rabb<strong>in</strong>er als Religionslehrer tätig war, muss man von ca. 250 Religionslehrern ausgehen.<br />

2. Volksschullehrer<br />

Das zahlenmäßige Verhältnis von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n zu jüdischen Schülern <strong>in</strong> der Volksschule lag im gesamten<br />

deutschen Reich bei 1:96,6. Für Bayern bedeutet dies, dass es 1931/32 zwischen. 80 <strong>und</strong> 100 ausgebildete<br />

Volksschullehrer gab. In Bayern wurden am Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungssem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Würzburg jüdische <strong>Lehrer</strong><br />

ausgebildet. 2 E<strong>in</strong>e Anstellung fanden diese <strong>Lehrer</strong> angesichts der konfessionellen Organisation der Volksschulen<br />

nur <strong>in</strong> den jüdischen Volksschulen. In den Fällen, <strong>in</strong> denen es sich um öffentliche jüdische Schulen <strong>und</strong> nicht<br />

um private jüdische Volksschulen handelte, waren diese Lehrpersonen Beamte. 3 Bei privaten jüdischen Schulen<br />

wurden sie von der Kultusgeme<strong>in</strong>de bezahlt, wobei diese teilweise von den Geme<strong>in</strong>den Zuschüsse für das<br />

Betreiben ihrer Schulen erhielten.<br />

3. Fachlehrer<br />

In den jüdischen Volksschulen <strong>und</strong> an berufsbildenden E<strong>in</strong>richtungen unterrichteten auch jüdische Fachlehrer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Fachlehrer z. B. für Handarbeit, Sprachen, Musik, Kunst, Zeichen- <strong>und</strong> Werken, Turnen. Welche<br />

Ausbildungen diese absolviert hatten, ist nicht bekannt.<br />

4. Gymnasiallehrer<br />

An den Gymnasien gab es nur vere<strong>in</strong>zelt jüdische <strong>Lehrer</strong>. Da diese e<strong>in</strong>e volle akademische Fachausbildung an der<br />

Universität absolviert hatten, waren sie den „deutschen“ <strong>Lehrer</strong>n statusmäßig gleichgestellt, d. h. sie waren Beamte.<br />

5. erzieher<br />

Schließlich gab es auch E<strong>in</strong>richtungen für Waisenk<strong>in</strong>der, an denen Erzieher<strong>in</strong>nen arbeiteten. In Bayern am<br />

bekanntesten war das Israelitische Waisenhaus <strong>in</strong> Fürth. 4<br />

2 <strong>Die</strong> <strong>Lehrer</strong>bildung für Volksschullehrer wurde <strong>in</strong> Bayern ebenso wie die Volksschulen nach Konfessionen organisiert. Um Volksschullehrer werden zu können, musste man nach dem Besuch der Volksschule e<strong>in</strong>e<br />

Präparandenschule besuchen, die für den Besuch der <strong>Lehrer</strong>sem<strong>in</strong>are vorbereitete <strong>und</strong> deshalb auch Unterstufe des <strong>Lehrer</strong>sem<strong>in</strong>ars genannt wurde. In Bayern gab es Israelitische Präparandenschulen u. a. <strong>in</strong><br />

Höchberg <strong>und</strong> Burgreppach.<br />

3 In Bayern gab es 1933 nur vier private jüdische Volksschulen.<br />

4 Das israelitische Waisenhaus <strong>in</strong> Fürth wurde 1763 eröffnet, es war das erste jüdische Waisenhaus <strong>in</strong> Deutschland. Zu Beg<strong>in</strong>n wurden Waisenk<strong>in</strong>der dort nur tagsüber versorgt, untergebracht waren sie <strong>in</strong><br />

Privatfamilien. Maximal 12 K<strong>in</strong>der konnten das Waisenhaus besuchen. Erst 1867 konnte e<strong>in</strong> größeres geeignetes Haus erworben werden, so dass die K<strong>in</strong>der dort auch wohnten. 1936 beantragte der Leiter des<br />

Waisenhauses Dr. Isaak Hallemann die geme<strong>in</strong>same Emigration der K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> nach Paläst<strong>in</strong>a. <strong>Die</strong>s wurde abgelehnt. Dr. Hallemann wurde zusammen mit 33 K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> dem verbliebenem Personal<br />

<strong>in</strong> das „Durchgangsghetto“ Izbica deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

8<br />

Dr. Siegfried Kessler, Leiter der<br />

jüdischen Schule Ohel Jakob <strong>in</strong> München,<br />

wurde 1943 nach Auschwitz<br />

deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Quelle: Stadtarchiv München


9 Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass sich mit dem Erlass der Rassegesetze im<br />

Jahr 1935 der verfolgte <strong>und</strong> von Berufsverbot bedrohte Personenkreis <strong>jüdischer</strong> <strong>Lehrer</strong> nochmals deutlich vergrößerte.<br />

Alle Personen aus sog. „Mischehen“, bei denen Mutter oder Vater <strong>jüdischer</strong> Herkunft war, galten nun<br />

als Jude, auch wenn sie getauft waren. Da es im Zuge der Assimilation der jüdischen Bevölkerung <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> der Mittelschicht bereits zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts Heiraten von christlichen <strong>und</strong> jüdischen Personen<br />

gab, muss davon ausgegangen werden, dass es <strong>in</strong> diesem Personenkreis auch <strong>Lehrer</strong> gab, die allerd<strong>in</strong>gs erst<br />

nach den Rassegesetzen als „jüdisch“ bezeichnet wurden. Konkrete Zahlenangaben fehlen.<br />

Jüdische lehrer <strong>und</strong> schüler unter der<br />

nAtionAlsoziAlistischen GewAltherrschAft<br />

<strong>Die</strong> Entfernung <strong>jüdischer</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> aus den öffentlichen Schulen begann unmittelbar nach der<br />

Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Am 7. April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des<br />

Berufsbeamtentums“ verabschiedet, das Menschen „nichtarischer Abstammung“ <strong>in</strong> den vorzeitigen Ruhestand<br />

versetzte <strong>und</strong> sie so aus der öffentlichen Verwaltung drängte. <strong>Die</strong>ses Gesetz stand Modell für zahlreiche weitere<br />

Gesetze <strong>in</strong> anderen Berufssparten. Bis 1935 erlaubte es allerd<strong>in</strong>gs Ausnahmen. <strong>Die</strong> Versetzung <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

galt nicht für Beamte, „die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen s<strong>in</strong>d oder die im Weltkrieg an<br />

der Front für das Deutsche Reich oder für se<strong>in</strong>e Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im<br />

Weltkrieg gefallen s<strong>in</strong>d.“ Da relativ viele der männlichen jüdischen <strong>Lehrer</strong> unter die Ausnahmen fielen, tangierte<br />

dieses Gesetz zunächst <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie alle <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>. Erst mit dem Abbau der Ausnahmen <strong>in</strong> Form von mehreren<br />

Novellierungen des Gesetzes bis 1935 waren dann auch alle männlichen jüdischen <strong>Lehrer</strong> betroffen.<br />

Ebenso begann die Ausgrenzung <strong>jüdischer</strong> Schüler umgehend nach der Machtergreifung. Am 25. April 1933<br />

wurde vom Deutschen Reichstag das „Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen <strong>und</strong> Hochschulen“<br />

verabschiedet. Es legte fest, dass bei den Neuaufnahmen von Schülern der Prozentsatz <strong>jüdischer</strong> Schüler an<br />

e<strong>in</strong>er Schule oder Hochschule nicht höher als 1,5 % se<strong>in</strong> darf. Das waren zwar 0,7 % mehr als der Anteil von<br />

Juden an der Gesamtbevölkerung. Im höheren Schulwesen allerd<strong>in</strong>gs war auch der Anteil <strong>jüdischer</strong> K<strong>in</strong>der mit<br />

2,0 % überproportional hoch. Probleme gab es <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> solchen großstädtischen Quartieren, <strong>in</strong> denen<br />

viele Juden lebten. <strong>Die</strong>se Regelung entfaltete erst über die Jahre ihre volle Wirkung. Währen 1933 ca. 85 % aller<br />

jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen im schulpflichtigen Alter öffentliche Lehranstalten alle Schularten besuchten,<br />

waren es nach e<strong>in</strong>er statistischen Erhebung vom 1. März 1937 zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1937 nur noch 38,7 %.


Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

<strong>Die</strong> antisemitische Hetze der neuen Machthaber <strong>und</strong> ihre rassistische Propaganda führten <strong>in</strong> vielen Fällen zu<br />

e<strong>in</strong>er äußerst angespannten Situation für die jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> den „deutschen“ Schulen.<br />

Sie waren immer wieder Beschimpfungen <strong>und</strong> Gewalt ihrer „deutschen“ Schulkameraden ausgesetzt. Häufig<br />

lungerten ihnen HJ-Mitglieder <strong>und</strong> andere Schulkameraden auf dem Nachhauseweg auf, beschimpften <strong>und</strong><br />

verprügelten sie. <strong>Die</strong>se Erfahrungen wurden für viele zu e<strong>in</strong>em Martyrium <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em lebenslangen Trauma,<br />

wie zahlreiche Er<strong>in</strong>nerungsberichte von Überlebenden zeigen.<br />

In der Schule selbst h<strong>in</strong>g die Form der Diskrim<strong>in</strong>ierung stark von den Lehrpersonen ab. Es gibt Berichte über<br />

gezielte, oft perfide Demütigungen <strong>jüdischer</strong> K<strong>in</strong>der durch <strong>Lehrer</strong>. Gleichzeitig f<strong>in</strong>den sich aber auch Berichte<br />

darüber, dass <strong>Lehrer</strong> die jüdischen K<strong>in</strong>der gegen Übergriffe <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungen ihrer Klassenkameraden <strong>in</strong><br />

Schutz nahmen. <strong>Die</strong> bereits ab dem Jahr 1934 zu unterrichtende Rasselehre <strong>und</strong> der überarbeitete Lehrplan,<br />

der die Juden als m<strong>in</strong>derwertig <strong>und</strong> als Bedrohung der deutschen Rasse <strong>und</strong> des Weltfriedens zeichnete, stellte<br />

für die jüdischen K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e große Belastung dar <strong>und</strong> erschütterte sie <strong>in</strong> den meisten Fällen nachhaltig <strong>in</strong> ihrer<br />

persönlichen Entwicklung.<br />

Sowohl die Begrenzung des Anteils <strong>jüdischer</strong> K<strong>in</strong>der an der Gesamtzahl der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>er Schule als auch die<br />

zunehmende Angst <strong>jüdischer</strong> Eltern um ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den „deutschen“ Schulen führten zu e<strong>in</strong>em vorübergehenden<br />

Ausbau der jüdischen Schulen. Auch das bayerische Kultusm<strong>in</strong>isterium zeigte sich bereit, die Gründung<br />

privater <strong>jüdischer</strong> Schulen zu genehmigen, wobei man sich allerd<strong>in</strong>gs weigerte, an solchen Schulen die Kosten<br />

des Personals zu übernehmen. In Bayern entstanden zwischen 1934 <strong>und</strong> 1938 zwei neue private jüdische<br />

Schulen <strong>in</strong> Aschaffenburg <strong>und</strong> Bad Kreuznach.<br />

die VorBereitunG des holocAust<br />

Auch für das Leben <strong>in</strong> den jüdischen Schulen stellte die Reichspogromnacht am 9. November 1938 e<strong>in</strong>en<br />

Wendepunkt dar. Nun wurde allen deutlich, dass die jüdische Bevölkerung nicht nur der Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong><br />

Demütigung, sondern der <strong>Verfolgung</strong> ausgesetzt war. In der Reichspogromnacht wurden neben Synagogen,<br />

Geschäften <strong>und</strong> jüdischen Wohnhäusern auch jüdische E<strong>in</strong>richtungen attackiert, darunter auch Schulen. Ab<br />

dem 10. November wurden die letzten verbliebenen jüdischen Schüler aus den öffentlichen Schulen ausgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> meisten jüdischen <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> wurden verhaftet <strong>und</strong> <strong>in</strong> das KZ Dachau transportiert,<br />

<strong>in</strong> dem sie teilweise mehrere Wochen bleiben mussten. Viele nahmen sich nach der Reichspogromnacht aus<br />

schierer Verzweiflung das Leben, darunter befanden sich auch viele <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>.<br />

10


11 Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

Joseph Walk beschreibt die Situation an den Schulen mit folgenden Worten: „Früher oder später wurden sich<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Schüler der <strong>in</strong>neren Wandlung bewusst, die sie <strong>in</strong> diesen Schreckenstagen erfahren hatten. ‚Etwa 80 %<br />

der verhafteten <strong>Lehrer</strong> verloren ihr seelisches Gleichgewicht’ berichtete e<strong>in</strong> Augenzeuge. … Erzieher, welche die<br />

Qualen der Konzentrationslager überstanden hatten, drängten zur Auswanderung. Auch die Schüler waren mit<br />

den Gedanken nicht mehr beim Unterricht. Gleich ihren niedergedrückten <strong>und</strong> verzweifelten Eltern hielten sie <strong>in</strong><br />

Gedanken Ausschau nach dem ersehnten Zertifikat [für die Auswanderung] <strong>und</strong> Affidavit“ 5 (Walk: S. 210). <strong>Die</strong><br />

Zahl der jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen unter 18 Jahren verr<strong>in</strong>gerte sich zwischen Oktober 1938 <strong>und</strong> Februar<br />

1939 von 39 000 auf ca. 25 000. Etwa 12 000 von ihnen verließen Deutschland ohne ihre Eltern <strong>in</strong> den sog.<br />

K<strong>in</strong>dertransporten vor allem nach England <strong>und</strong> Paläst<strong>in</strong>a. Nur wenige <strong>Lehrer</strong> konnten sich ihnen anschließen. <strong>Die</strong><br />

Zahl der K<strong>in</strong>der unter 14 Jahren sank bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939 im gesamten deutschen<br />

Reich schließlich auf etwa 15 000.<br />

Bis zum 30. Juni 1939 wurden die öffentlichen jüdischen Schulen von den Länderregierungen <strong>und</strong> den Kommunen<br />

f<strong>in</strong>anziert. Ebenso erhielt e<strong>in</strong> Teil der privaten jüdischen Schulen für ihre Arbeit e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>anziellen Zuschuss.<br />

Träger <strong>und</strong> Ansprechpartner für die Behörden war das jüdische Schulwerk. Mit dem 1. Juli 1939 hörte das<br />

jüdische Schulwerk auf, Bestandteil des allgeme<strong>in</strong>en deutschen Schulwesens zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Schulen wurden<br />

der Verwaltung der Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland unterstellt. <strong>Die</strong> verbeamteten <strong>Lehrer</strong> an den<br />

öffentlichen jüdischen Volksschulen wurden <strong>in</strong> den Ruhestand versetzt <strong>und</strong> die städtischen Subventionen an die<br />

jüdischen Schulen aufgehoben (Walk S. 213). In Bayern (<strong>in</strong>kl. der Pfalz) zählte die Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden<br />

<strong>in</strong> Deutschland am 1. Dezember 1939 noch 756 Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler, die an 17 Schulen unterrichtet<br />

wurden, davon hatten nur noch zwei Schulen mehr als 100 Schüler.<br />

Angesichts der zunehmenden E<strong>in</strong>schränkung der Mobilität der Juden war e<strong>in</strong> regulärer Unterricht immer schwieriger<br />

aufrecht zu erhalten. In den Städten durften die jüdischen K<strong>in</strong>der ke<strong>in</strong>e öffentlichen Verkehrsmittel mehr<br />

benutzen <strong>und</strong> mussten oft st<strong>und</strong>enlange Fußmärsche bis zur Schule auf sich nehmen. <strong>Die</strong> erzwungene Kündigung<br />

<strong>und</strong> Zusammenlegung <strong>jüdischer</strong> Familien <strong>in</strong> sog. „Judenhäusern“, Geme<strong>in</strong>schaftsunterkünften <strong>und</strong> Barackensiedlungen<br />

machten den Schulweg immer schwieriger. <strong>Die</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung versuchte trotzdem e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>igermaßen<br />

geordneten Schulbetrieb <strong>in</strong> den jüdischen Schulen aufrechtzuerhalten – e<strong>in</strong> fast unmögliches Unterfangen, das<br />

durch perfide Verordnungen <strong>und</strong> Weisungen der deutschen Behörden erschwert wurde. Zusätzlich drängte die<br />

Gestapo, die dem Reichssicherheitsamt zugeordnet war <strong>und</strong> die die Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland<br />

kontrollierte <strong>und</strong> drangsalierte, ständig auf e<strong>in</strong>e Reduzierung der Ausgaben für die Schulen. E<strong>in</strong>e wesentliche Maßnahme<br />

war dabei die mehrmalige drastische Senkung der Gehälter der <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>.<br />

Elisabeth Braun unterrichtete an der<br />

Jüdischen Schule <strong>in</strong> München. Sie<br />

wurde 1941 nach Kaunas deportiert<br />

<strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

5 Es handelte sich hierbei um e<strong>in</strong>e beglaubigte Bürgschaftserklärung von Menschen außerhalb Deutschlands, die ihnen ermöglichte, verfolgte Juden aus Deutschland bei sich aufzunehmen.


Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

Mit dem Beg<strong>in</strong>n der systematischen Deportationen im Oktober 1941 schließlich begann auch das Ende der<br />

jüdischen Schulen <strong>in</strong> Deutschland. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten fanden die Deportationen statt. Teilweise<br />

wurden die K<strong>in</strong>der von Schulen mit angeschlossenen Internaten <strong>und</strong> von K<strong>in</strong>derheimen geme<strong>in</strong>sam mit ihren<br />

<strong>Lehrer</strong>n <strong>und</strong> Erziehern deportiert. Von ihren Eltern wurden sie getrennt. Man teilte diesen kurzerhand mit, man<br />

werde sie <strong>in</strong> den neuen Siedlungsgebieten im Osten wieder zusammenführen.<br />

Viele der Briefe der Schulleitungen an die deutschen Behörden, <strong>in</strong> denen diese darum bitten, die Schließung<br />

ihrer Schulen noch h<strong>in</strong>auszögern zu dürfen, ebenso wie die Mitteilungen über die Schulschließungen selbst s<strong>in</strong>d<br />

erhalten. Sie s<strong>in</strong>d bewegende, <strong>in</strong> Amtsdeutsch gehaltene Dokumente von Pädagogen, die trotz der aussichtslosen<br />

Situation um e<strong>in</strong>en Rest von Würde für ihre K<strong>in</strong>der kämpfen. Kaum vorstellbar s<strong>in</strong>d die Verzweiflung, Angst <strong>und</strong><br />

Resignation, die <strong>Lehrer</strong>, K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Eltern <strong>in</strong> dieser Situation erfasst haben mussten. In allen Schulen gab es e<strong>in</strong><br />

letztes Verabschieden der K<strong>in</strong>der von ihren Kameraden <strong>und</strong> von ihren <strong>Lehrer</strong>n, e<strong>in</strong> letzter Dank für die geme<strong>in</strong>samen<br />

St<strong>und</strong>en im Klassenzimmer, für das Zusammenstehen <strong>in</strong> den St<strong>und</strong>en größter <strong>Verfolgung</strong> <strong>und</strong> Not. Danach<br />

folgte dann das letzte Kapitel des Verbrechens. Der Transport der K<strong>in</strong>der, der Eltern, der <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Güterzügen<br />

durch das deutsche Reich <strong>in</strong> die Ghettos <strong>und</strong> Konzentrationslager <strong>in</strong> Polen <strong>und</strong> ihre systematische <strong>Ermordung</strong>.<br />

Am 20. Juni 1942 erließ der Reichsm<strong>in</strong>ister des Inneren im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Reichsm<strong>in</strong>isterium der<br />

Erziehung e<strong>in</strong>e geheime Verordnung, wonach alle jüdischen Schulen zum 30. Juni – also <strong>in</strong>nerhalb zweier Wochen –<br />

zu schließen seien. Auch hier wieder bürokratische Gründlichkeit: Es gab exakte Ausführungsbestimmungen,<br />

es mussten Abschlusszeugnisse erstellt werden, falls vorhanden mussten die Erlaubnissche<strong>in</strong>e für die<br />

Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zurückgegeben werden, die Schulgebäude waren freizumachen, das Inventar<br />

zu erfassen. Am 7. Juli meldete die Reichsvere<strong>in</strong>igung dem Reichsm<strong>in</strong>ister des Inneren, dass alle jüdischen<br />

Schulen geschlossen seien. Den Schlusspunkt schließlich bildete e<strong>in</strong>e Anweisung der Gestapo: „<strong>Die</strong> <strong>Lehrer</strong><br />

e<strong>in</strong>schließlich ihrer Familienangehörigen s<strong>in</strong>d zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu evakuieren.“ Bis zu ihrer eigenen<br />

Deportation wurden viele von ihnen von der Gestapo noch für den sog. „Ordnungsdienst“ bei der Deportation<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. (Walk S. 259)<br />

Quellen:<br />

Hildegard Feidel-Mertz: Schicksale <strong>jüdischer</strong> <strong>Lehrer</strong>/<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Bayern; <strong>in</strong>: Max Liedtke (Hg.):<br />

Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens (Kl<strong>in</strong>khardt Verlag), Band III, S. 440 -452<br />

Israelitischer <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> für das Königreich Bayern: Denkschrift über die soziale Lage der israelitischen <strong>Lehrer</strong><br />

<strong>in</strong>sbesondere der Religionslehrer <strong>und</strong> Vorschläge zu deren Verbesserung. München 1908<br />

Wolfgang Keim: Erziehung unter der Nazi-Diktatur. Band 2: Kriegsvorbereitung, Krieg <strong>und</strong> Holocaust. Darmstadt 1997.<br />

Rolf Kiessl<strong>in</strong>g, Jüdische Geme<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>: Max Sp<strong>in</strong>dler (Begr.)/Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Vierter Band:<br />

Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: <strong>Die</strong> <strong>in</strong>nere <strong>und</strong> kulturelle Entwicklung, München 2. Auflage 2007, 356-384.<br />

Joseph Walk: Jüdische Schule <strong>und</strong> Erziehung im Dritten Reich. Frankurt/Ma<strong>in</strong> 1991.<br />

http://www.compactmemory.de/, http://www.juden<strong>und</strong>bayern.de/, http://www.alemannia-judaica.de/<br />

12<br />

Vor der Deportation im Sammelllager<br />

Milbertshofen, München, 1942,<br />

Quelle: Stadtarchiv München


13 Jüdische Schulen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Bayern während der Nazi-Diktatur<br />

Juden <strong>in</strong> BAyern<br />

*In Gunzenhausen gab es im Jahr 1934 e<strong>in</strong>en Judenpogrom<br />

1925 1933 1939<br />

Amberg 63 64 41<br />

Ansbach 232 197 18<br />

Aschaffenburg 643 591 190<br />

Augsburg 1203 1030 554<br />

Bad Kiss<strong>in</strong>gen 504 344 63<br />

Bamberg 972 812 548<br />

Bayreuth 306 261 108<br />

Coburg 316 233 65<br />

Erlangen 161 130 26<br />

Gunzenhausen* 219 184 3<br />

Ingolstadt 103 100 0<br />

Kempten 56 50 25<br />

Kitz<strong>in</strong>gen 421 360 165<br />

Landshut 45 48 18<br />

Memm<strong>in</strong>gen 170 161 104<br />

München ca. 12 000 ca. 4 500<br />

Neumarkt (Opf) 114 105 31<br />

Nördl<strong>in</strong>gen 233 186 71<br />

Nürnberg ca. 6 000 ca. 3 800<br />

Passau 48 40 8<br />

Regensburg 478 427 226<br />

Rosenheim 39 38 7<br />

Schwe<strong>in</strong>furt 414 363 120<br />

Straub<strong>in</strong>g 115 110 51<br />

Weiden 154 168 57<br />

Würzburg 2 261 2 145 1 081<br />

Quelle: Baruch Ophir, Falk Wiesemann (Hg.): <strong>Die</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Bayern 1918 bis 1945, München, Wien 1979.


Er<strong>in</strong>nern<br />

er<strong>in</strong>nern<br />

<strong>Die</strong> Namen der verfolgten <strong>und</strong> ermordeten jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong><br />

Bayern während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft<br />

chArlotte ABrAhAm<br />

Fachlehrer<strong>in</strong> für Sprachen an der Israelitischen Volksschule Würzburg<br />

geb. 29.4.1866 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. 13.10.1942 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Charlotte Abraham <strong>und</strong> ihre Schwester Helene wurden am 23.9.1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Dort starb Charlotte am 13.10.1942, ihre Schwester am 23.10.1942.<br />

helene ABrAhAm<br />

Fachlehrer<strong>in</strong> für Handarbeit <strong>und</strong> Zeichnen an der Israelitischen Volksschule <strong>in</strong> Würzburg<br />

geb. am 31.5.1867 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. am 23.10.1942 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Helene Abraham <strong>und</strong> ihre Schwester Charlotte wurden am 23.9.1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Dort starb Helene am 23.10.1942, ihre Schwester am 13.10.1942.<br />

BernhArd Adler<br />

<strong>Lehrer</strong> – vermutlich an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt<br />

geb. am 7.11.1869 <strong>in</strong> Gnodstadt (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt<br />

gest. am 27.2.1943 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Bernhard Adler wurde am 9.9.1942 nach Nürnberg deportiert, von Nürnberg am 10.9.1942 nach<br />

Theresienstadt. Dort starb Bernhard Adler am 27.2.1943.<br />

14


15 Er<strong>in</strong>nern<br />

fAnny Adler<br />

Erzieher<strong>in</strong> am Israelitischen Waisenhaus <strong>in</strong> Fürth<br />

geb. am 15.9.1920 <strong>in</strong> Fürth<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. <strong>in</strong> Izbica<br />

Fanny Adler wurde am 22.3.1942 <strong>in</strong> das KZ <strong>in</strong> Izbica deportiert <strong>und</strong> ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

mAx Adler<br />

Hauptlehrer an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 24.3.1894 <strong>in</strong> Bad Brückenau (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Max Adler war von 10.11.1938 bis 13.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Er wurde am 20.11.1941<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

nAthAn Adler<br />

Hauptlehrer an der gewerblichen Fortbildungsanstalt <strong>in</strong> Ansbach <strong>und</strong><br />

an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 18.11.1879 <strong>in</strong> Burgpreppach<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. im Februar 1942 <strong>in</strong> Riga-Jungfernhof<br />

Nathan Adler gelang es, se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der nach Paläst<strong>in</strong>a emigrieren zu lassen.<br />

Er selbst wurde mit se<strong>in</strong>er Frau 1941 <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> dort getötet.<br />

© ollo - istockphoto.com


Er<strong>in</strong>nern<br />

Aron AlBrecht<br />

Mitarbeiter an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 12.12.1885 <strong>in</strong> Heubach/Geme<strong>in</strong>de Kalbach/Kreis Fulda<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Aron Albrecht war von 14.11.1938 bis 21.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Am 4.4.1942 wurde er <strong>in</strong> das KZ Piaski deportiert, dort ist er verschollen.<br />

dr. phil. hAns Andorn<br />

Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Religionslehrer vermutlich am Humboldt-Realgymnasium Karlsruhe, später <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 7.8.1903 <strong>in</strong> Hatt<strong>in</strong>gen<br />

wohnhaft bis zur Flucht <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. am 26.2.1945 <strong>in</strong> Bergen-Belsen<br />

Aus Nürnberg floh Hans Andorn mit se<strong>in</strong>er Familie im September 1938 nach Den Haag. Dadurch entg<strong>in</strong>g er<br />

der Deportation der männlichen Nürnberger Juden <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau während der reichsweiten<br />

Judenpogrome im November 1938. In Den Haag arbeitete er als Rabb<strong>in</strong>er der liberalen jüdischen Geme<strong>in</strong>de.<br />

Nach der Besatzung der Niederlande durch die deutschen Truppen im Mai 1940 musste die Familie <strong>in</strong> die<br />

holländische Stadt Zwolle übersiedeln.<br />

<strong>Die</strong> jüdische Geme<strong>in</strong>schaft Zwolle wurde 1943 <strong>in</strong> das KZ Westerbork deportiert. Von dort kam die Familie im<br />

Januar 1944 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Austauschlager für Juden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Hans Andorn starb<br />

dort am 26.2.1945 an Entkräftung <strong>und</strong> Unterernährung. Se<strong>in</strong>e Frau Charlotte <strong>und</strong> die elfjährige Tochter<br />

Susanne wurden aus e<strong>in</strong>em Evakuierungszug befreit <strong>und</strong> emigrierten später nach Argent<strong>in</strong>ien. Hans Vater<br />

wurde 1942 mit se<strong>in</strong>er zweiten Frau Anna nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> ermordet.<br />

sentA BAch<br />

Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 18.5.1890 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Senta Bach wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> wurde dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

16


17<br />

ilse Bär<br />

Gymnasiallehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 3.5.1908 <strong>in</strong> Fürth<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. <strong>in</strong> Izbica<br />

Ilse Bär wurde zusammen mit ihrem Ehemann Oskar am 22.3.1942 <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert<br />

<strong>und</strong> vermutlich dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

herm<strong>in</strong>e BAssfre<strong>und</strong><br />

Oberstudienrät<strong>in</strong> am Mädchenlyzeum <strong>in</strong> Fürth<br />

(heute Helene-Lange-Gymnasium)<br />

geb. am 25.5.1885 <strong>in</strong> Tanowitz/Oberschlesien<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. <strong>in</strong> Riga-Jungfernhof<br />

Herm<strong>in</strong>e Baßfre<strong>und</strong> wurde nach dem 13.10.1933 <strong>in</strong> den Ruhestand versetzt.<br />

Am 26.11.1941 wurde sie <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert. Dort ist sie verschollen.<br />

AnnA Behr<br />

Versicherungsagent<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 22.5.1874 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. am 13. oder 18.1.1943 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Anna Behr wurde am 23.9.1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Dort starb sie am 13. oder 18.1.1943 an Flecktyphus.<br />

Er<strong>in</strong>nern


Er<strong>in</strong>nern<br />

mArGot Behrens<br />

Handarbeitslehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 29.4.1913 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Margot Behrens wurde zusammen mit ihren Eltern, Siegfried <strong>und</strong> der Mutter Ida, geb. Baum,<br />

am 22.3.1942 <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. phil. sieGfried Behrens<br />

Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Religionslehrer<br />

geb. am 23.12.1873 <strong>in</strong> Rethem/Aller<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. <strong>in</strong> Izbica oder Majdanek<br />

Siegfried Behrens wurde am 24.3.1942 mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er jüngsten Tochter Margot<br />

<strong>in</strong> das KZ von Izbica oder das KZ Majdanek deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. rudolf BenArio<br />

Dozent an der Nürnberger Handelshochschule<br />

geb. am 20.9.1908 <strong>in</strong> Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. am 12. oder 14.4.1933 <strong>in</strong> Dachau<br />

Rudolf Benario wurde am 11.4.1933 <strong>in</strong>s KZ Dachau gebracht <strong>und</strong> dort getötet.<br />

18


19<br />

Arthur Berl<strong>in</strong>Ger<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor – vermutlich an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt<br />

geb. am 30.12.1889 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Arthur Berl<strong>in</strong>ger wurde am 16.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau verschleppt. Am 23.9.1942 oder<br />

am 17.6.1943 wurde er nach Theresienstadt <strong>und</strong> am 28.9.1944 <strong>in</strong> das KZ Auschwitz deportiert.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

mAx Bernheimer<br />

Volksschullehrer an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 10.12.1874 <strong>in</strong> Ichenhausen<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. am 6.2.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Max Bernheimer wurde am 10.9.1942 von Nürnberg nach Theresienstadt deportiert.<br />

Er starb dort am 6.2.1944.<br />

elodie Bernste<strong>in</strong><br />

Pianist<strong>in</strong> <strong>und</strong> Klavierlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 3.1.1873 <strong>in</strong> Neustadt/Saale<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Elodie Bernste<strong>in</strong> wurde am 23.6.1942 nach Theresienstadt deportiert<br />

<strong>und</strong> im Ghetto von M<strong>in</strong>sk oder im Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka ermordet.<br />

Er<strong>in</strong>nern


Er<strong>in</strong>nern<br />

Anni BrAun<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 31.12.1892 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Anni Braun wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

elisABeth BrAun<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> <strong>und</strong> Schriftsteller<strong>in</strong><br />

geb. am 24.07.1887 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Elisabeth Braun wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

chArlotte luise cArney<br />

geschiedene Hermann<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 17.8.1900 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. im April 1943 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Charlotte Luise Carney wurde am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert<br />

<strong>und</strong> dort kurz darauf ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

20


21<br />

m<strong>in</strong>A dickhoff<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

Geburtstag <strong>und</strong> Todestag unbekannt<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

M<strong>in</strong>a Dickhoff wurde nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

chArlotte mArGArete eckArdt<br />

geb. Schwarz<br />

Atemlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 26.4.1904 <strong>in</strong> Augsburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 8.6.1942 <strong>in</strong> Bernburg/Saale<br />

Charlotte Eckart emigrierte am 13.4.1934 nach Meran. Von dort wurde sie nach Ravensbrück <strong>und</strong><br />

dann <strong>in</strong> die Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale deportiert, wo sie am 8.6.1942 ermordet wurde.<br />

he<strong>in</strong>emAnn edelste<strong>in</strong><br />

Hauptlehrer i. R. an der Jüdischen Elementarschule Sugenheim<br />

geb. am 7.9.1870 <strong>in</strong> Unterriedenburg/Brückenau (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Sugenheim<br />

gest. am 10.6.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Er<strong>in</strong>nern<br />

He<strong>in</strong>emann Edelste<strong>in</strong> wurde am 10.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau gebracht. Am 1.7.1942 wurde er mit se<strong>in</strong>er Frau<br />

Jeanette nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> starb dort am 10.6.1944. Se<strong>in</strong>e Frau war bereits am 6.2.1943<br />

gestorben. M<strong>in</strong>destens zwei der drei K<strong>in</strong>der der Familie konnten nach Paläst<strong>in</strong>a emigrieren.


Er<strong>in</strong>nern<br />

nAthAn ehrenreich<br />

Hauptlehrer an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 27.7.1880 <strong>in</strong> Schopfloch (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Riga-Jungfernhof<br />

Nathan Ehrenreich wurde am 11.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau verschleppt. Später wurde er <strong>in</strong> das<br />

KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> getötet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

BertA ehrlich<br />

geb. Brody<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 11.3.1867 <strong>in</strong> Nagydém/Vesz (Ungarn)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 30.12.1943 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Berta Ehrlich wurde am 20.4.1943 nach Theresienstadt <strong>und</strong> am 18.12.1943 nach Auschwitz deportiert.<br />

Dort wurde sie am 30.12.1943 ermordet.<br />

roBert e<strong>in</strong>städter<br />

Hauptlehrer an der Volksschule <strong>in</strong> Nürnberg <strong>und</strong> der Israelitischen Volksschule <strong>in</strong> Kitz<strong>in</strong>gen<br />

Sem<strong>in</strong>arhilfslehrer an der Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungsanstalt <strong>in</strong> Würzburg<br />

geb. am 10.10.1880 <strong>in</strong> Bad Königshofen (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. <strong>in</strong> Krasniczyn<br />

Robert E<strong>in</strong>städter wurde am 25.4.1942 von Würzburg nach Krasnystaw (Krasniczyn)<br />

im Distrikt Lubl<strong>in</strong> des „Generalgouvernements Polen“ deportiert <strong>und</strong> getötet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

22


23<br />

emAnuel eldod<br />

<strong>Lehrer</strong> an der Israelitischen Präparandenschule Höchberg<br />

geb. am 25.9.1863 <strong>in</strong> Höchberg (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Höchberg<br />

gest. am 10.11.1942 oder 1943 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Emanuel Eldod wurde am 23.9.1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Dort starb er am 10.11.1942. E<strong>in</strong>e Quelle nennt als Todesjahr 1943.<br />

nAftAli eldod<br />

Gymnasiallehrer an der Israelitischen Schule an der Carol<strong>in</strong>enstraße <strong>in</strong> Hamburg<br />

geb. am 3.2.1899 <strong>in</strong> Höchberg (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zu se<strong>in</strong>er Übersiedelung nach Hamburg <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Riga-Jungfernhof<br />

Naftali Eldod wurde am 6.12.1941 von Hamburg aus mit se<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong> das<br />

KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

hedwiG enGelmAnn<br />

Pianist<strong>in</strong> <strong>und</strong> Musiklehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 22.02.1897 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Hedwig Engelmann wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

Er<strong>in</strong>nern


Er<strong>in</strong>nern<br />

m<strong>in</strong>nA ettl<strong>in</strong>Ger<br />

Erzieher<strong>in</strong> am Israelitischen Waisenhaus <strong>in</strong> Fürth<br />

geb. am 31.3.1911 <strong>in</strong> Fürth<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

M<strong>in</strong>na Ettl<strong>in</strong>ger wurde zusammen mit ihrem Vater Benzion <strong>und</strong> der Stiefmutter Cäcilie am 22.3.1942 <strong>in</strong><br />

das KZ von Izbica deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

Betti BilhA fArntroG<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 21.10.1920 <strong>in</strong> Fürth<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Sobibor<br />

Betti Farntrog wurde am 11.6.1942 aus Frankfurt <strong>in</strong> das Vernichtungslager Sobibor deportiert<br />

<strong>und</strong> dort ermordet. Auch ihre Eltern <strong>und</strong> drei ihrer vier Geschwister wurden ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. phil. Bruno f<strong>in</strong>kelscherer<br />

Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Religionslehrer<br />

geb. am 08.4.1906 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 5.4.1943 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Bruno F<strong>in</strong>kelscherer war vom 10.11.1938 bis 22.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Am 13.3.1943 wurde er nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> dort kurz darauf ermordet.<br />

24


25<br />

pAulA fischer<br />

geb. Tahlmann<br />

Sprachen- <strong>und</strong> Geigenlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 21.11.1876 <strong>in</strong> Frankenthal<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 6.11.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Paula Fischer wurde am 3.7.1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie starb dort am 6.11.1944.<br />

sieGBert friedmAnn<br />

Volksschullehrer an der Privaten Israelitischen Schule Schwanfeld<br />

<strong>und</strong> an der Israeltischen Volksschule Ma<strong>in</strong>stockheim<br />

geb. am 20.12.1880 <strong>in</strong> Ha<strong>in</strong>sfarth (Schwaben)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>stockheim (Unterfranken)<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Siegbert Friedmann wurde am 24.3.1942 von Nürnberg <strong>in</strong> das Ghetto Izbica deportiert.<br />

Das Gedenkbuch des B<strong>und</strong>esarchivs führt auch Ida Friedheim, geb. Kiss<strong>in</strong>ger am 15.9.1888<br />

<strong>in</strong> Ermershausen, die 1942 <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert wurde sowie Lily Friedmann,<br />

geb. am 22.7.1920 <strong>in</strong> Schwanfeld <strong>und</strong> wohnhaft <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>stockheim <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>, die ebenfalls<br />

am 24.3.1942 <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert wurde.<br />

GeorG friess<br />

<strong>Lehrer</strong> an der Israelitischen Volksschule Würzburg<br />

geb. am 18.07.1913 <strong>in</strong> Nürnberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. im April 1945 <strong>in</strong> Bergen-Belsen<br />

Georg Friess wurde am 29.11.1941 zusammen mit se<strong>in</strong>er Ehefrau Käthe <strong>und</strong> möglicherweise mit<br />

e<strong>in</strong>er Gruppe se<strong>in</strong>er Schüler aus Nürnberg <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert. Georg Friess starb<br />

im April 1945 im KZ Bergen-Belsen an Typhus. Se<strong>in</strong>e Frau überlebte den Holocaust.<br />

Er<strong>in</strong>nern


Er<strong>in</strong>nern<br />

Arthur Godlewsky<br />

Kantor <strong>und</strong> Religionslehrer <strong>in</strong> Rülzheim<br />

geb. am 18.5.1892 <strong>in</strong> Sulzbach (Oberpfalz)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Rülzheim (Pfalz)<br />

gest. 1942 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Arthur Godlewsky wurde 1934 aus dem staatlichen Schuldienst entlassen. Am 12.11.1938 wurde er <strong>in</strong>s<br />

KZ Dachau verschleppt <strong>und</strong> wieder freigelassen. Am 22.10.1940 wurde er mit se<strong>in</strong>er Frau Elise <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Stiefmutter Sara von Konstanz nach Gurs deportiert. Von dort kam er im Januar 1942 nach Noé <strong>und</strong> am<br />

7. oder 9.8.1942 nach Drancy. Am 28.8.1942 wurden Arthur <strong>und</strong> Elise dann nach Auschwitz deportiert<br />

<strong>und</strong> ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

leopold Godlewsky<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor <strong>in</strong> Amberg<br />

geb. am 28.9.1878 <strong>in</strong> Hirschaid (Oberfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Amberg<br />

Leopold Godlewsky wurde während der Reichspogromnacht von e<strong>in</strong>em befre<strong>und</strong>eten SA-Mann beschützt.<br />

1942 wurde er mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Töchter deportiert. Se<strong>in</strong> Todestag ist nicht bekannt.<br />

hirsch GoldBerG<br />

Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Privatlehrer<br />

geb. am 11.4.1889 <strong>in</strong> Ichenhausen (Schwaben)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Pforzheim<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Hirsch Goldberg wurde am 11.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau gebracht. Er wurde am 22.10.1940 <strong>in</strong>s<br />

Internierungslager Gurs <strong>und</strong> von dort nach Drancy deportiert. Am 10.8.1942 wurde er weiter nach Auschwitz<br />

deportiert. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

26


27<br />

willy GoldBerG<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Hürben/Krumbach<br />

geb. am 11.1.1896 <strong>in</strong> Ichenhausen (Schwaben)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Krumbach<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Willy Goldberg wurde am 11.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau verschleppt. Am 4.4.1942 wurde er <strong>in</strong><br />

das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> mit se<strong>in</strong>er Frau M<strong>in</strong>a <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Sohn Josi ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

klArA Goldstern<br />

geb. Fuchs<br />

Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 8.6.1880 <strong>in</strong> Wien<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 16.10.1943 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Klara Goldstern lebte <strong>in</strong> München.<br />

Sie wurde am 10.6.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

leo Grünfeld<br />

<strong>Lehrer</strong><br />

geb. am 17.10.1901 <strong>in</strong> Tauberrettersheim (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Ochsenfurt<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Litzmannstadt (Lodz)<br />

Leo Grünfeld wurde am 15.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau gebracht. Am 20.10.1941 wurde er aus Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

Er<strong>in</strong>nern


Er<strong>in</strong>nern<br />

elsA Gunz<br />

Handelslehrer<strong>in</strong> an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 3.8.1884 <strong>in</strong> Augsburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Elsa Gunz wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

Josef Gunzenhäuser<br />

Jurist <strong>und</strong> Sprachlehrer<br />

geb. am 6.7.1896 <strong>in</strong> Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 1.7.1942 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Josef Gunzenhäuser wurde am 5.6.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> starb dort am 1.7.1942.<br />

dr. phil. lilly hAGelBerG<br />

Kunsthistoriker<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 25.04.1895 <strong>in</strong> Wien<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Lilly Hagelberg wurde am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

28


29 Er<strong>in</strong>nern<br />

klArA hAllemAnn<br />

geb. Mandelbaum<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> an der Israelitischen Waisenanstalt Fürth<br />

geb. am 24.1.1896 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Klara Hallemann wurde am 22.3.1942 mit ihrem Mann Isaak, den beiden jüngeren neun <strong>und</strong> fünfzehn<br />

Jahre alten Töchtern <strong>und</strong> den verbliebenen Waisenhausk<strong>in</strong>dern zusammen <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert<br />

<strong>und</strong> ermordet. Auch die Eltern <strong>und</strong> die Schwiegereltern wurden Opfer.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. phil. isAAk hAllemAnn<br />

Direktor der Israelitischen Waisenanstalt <strong>und</strong><br />

Religionslehrer an der Israelitischen Realschule <strong>in</strong> Fürth<br />

geb. am 18.4.1896 Drohobycz (Galizien)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Fürth<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Isaak Hallemann wurde am 22.3.1942 mit se<strong>in</strong>er Frau Klara, den beiden jüngeren neun <strong>und</strong> fünfzehn<br />

Jahre alten Töchtern <strong>und</strong> zusammen mit den verbliebenen Waisenhausk<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> das KZ von Izbica<br />

deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

chArlotte hArBurGer<br />

Geigenvirtuos<strong>in</strong> <strong>und</strong> Musiklehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 9.10.1893 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Charlotte Harburger wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.


Er<strong>in</strong>nern<br />

mArthA hArBurGer<br />

geb. Jacob<br />

Handarbeitslehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 03.05.1882 <strong>in</strong> Regensburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Martha Harburger wurde zusammen mit ihrem Ehemann am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert<br />

<strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

rosA hArBurGer<br />

geb. Jordan, verw. Berl<strong>in</strong>er<br />

Turnlehrer<strong>in</strong>, Modist<strong>in</strong><br />

geb. am 27.8.1892 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 17.3.1943 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Rosa Harburger wurde zusammen mit ihrem Mann am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert<br />

<strong>und</strong> dort am 17.3.1943 ermordet.<br />

irmA mAriAnne hecht<br />

Privatlehrer<strong>in</strong> für alte Sprachen <strong>und</strong> wissenschaftliche Hilfskraft<br />

geb. am 6.11.1885 <strong>in</strong> Nürnberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Irma Marianne Hecht wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

30


31 Er<strong>in</strong>nern<br />

Betty heilBronner<br />

geb. Preßburger<br />

Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 2.2.1850 <strong>in</strong> Altenstadt<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Memm<strong>in</strong>gen<br />

gest. am 2.4.1943 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Betty Heilbronner wurde am 15.5.1942 nach Fellheim, am 29.7.1942 nach München <strong>und</strong><br />

von dort am 30.7.1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort ist sie am 2.4.1943 gestorben.<br />

idA heilBronner<br />

Privatlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 27.4.1878 <strong>in</strong> Memm<strong>in</strong>gen<br />

bis zur Deportation wohnhaft <strong>in</strong> Memm<strong>in</strong>gen<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Ida Heilbronner wurde am 31.3.1942 zunächst nach München <strong>und</strong> von dort am 3.4.1942 <strong>in</strong> das<br />

KZ von Piaski deportiert. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

Julie hellmAnn<br />

Volksschullehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 13.8.1913 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Flucht <strong>in</strong> München<br />

gest. im Jahr 1943 <strong>in</strong> Sobibor<br />

Julie Hellmann emigrierte im Dezember 1938 <strong>in</strong> die Niederlande. Sie wurde von dort<br />

<strong>in</strong> das Vernichtungslager Sobibor deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

moritz hellmAnn<br />

Volksschullehrer <strong>und</strong> Rektor der Israelitischen Volksschule Würzburg<br />

geb. am 19.7.1877 <strong>in</strong> Marktbreit (Unterfranken)<br />

gest. 1943 <strong>in</strong> Sobibor<br />

Moritz Hellmann emigrierte im Dezember 1938 zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Rachel <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en drei K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />

die Niederlande. <strong>Die</strong> Eltern <strong>und</strong> die beiden Töchter wurden erst nach Westerbork <strong>und</strong> dann am 10.3.1943<br />

(Moritz <strong>und</strong> Rachel) bzw. am 18.5.1943 (Julie) <strong>und</strong> am 20.7.1943 (Reg<strong>in</strong>a) <strong>in</strong> das Vernichtungslager Sobibor<br />

deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Nur dem jüngsten Sohn Norbert gelang die Emigration aus Holland <strong>in</strong> die USA.<br />

elsBeth herold<br />

geb. Rosenthal<br />

Kunstlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 4.1.1880 <strong>in</strong> Brüssel<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 15.12.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Elsbeth Herold wurde am 29.7.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> starb dort am 15.12.1944.<br />

mAriAnne herthel<br />

geb. Bach<br />

Zeichenlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 6.5.1896 <strong>in</strong> Breslau<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Marianne Herthel war Zwangsarbeiter<strong>in</strong>. Sie wurde 1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

32


33 Er<strong>in</strong>nern<br />

herm<strong>in</strong>e hiller<br />

Erzieher<strong>in</strong> <strong>und</strong> Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 12.1.1871 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 7.3.1942 <strong>in</strong> München<br />

Herm<strong>in</strong>e Hiller beg<strong>in</strong>g am 7.3.1942 Suizid.<br />

ilse holzer<br />

Musiklehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 17.8.1897 <strong>in</strong> Freis<strong>in</strong>g<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 7.3.1942 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Ilse Holzer wurde am 11.7.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> wurde dort am 31.12.1942 ermordet.<br />

Julie hellmAnn<br />

Volksschullehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 13.8.1913 <strong>in</strong> Würzburg<br />

wohnhaft bis zur Flucht <strong>in</strong> München<br />

gest. im Jahr 1943 <strong>in</strong> Sobibor<br />

Julie Hellmann emigrierte im Dezember 1938 <strong>in</strong> die Niederlande. Sie wurde von dort <strong>in</strong><br />

das Vernichtungslager Sobibor deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

Justus hommel<br />

Oberlehrer an der Jüdischen Volksschule <strong>in</strong> Thalmäss<strong>in</strong>g (Mfr)<br />

geb. am 3.8.1878 <strong>in</strong> Thalmäss<strong>in</strong>g (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Thalmäss<strong>in</strong>g<br />

gest. <strong>in</strong> Riga<br />

Justus Hommel wurde am 29.11.1941 von Nürnberg <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert<br />

<strong>und</strong> dort ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dAVid kAhn<br />

Religionslehrer<br />

geb. am 2.1.1894 <strong>in</strong> Mittels<strong>in</strong>n (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Hirschaid (Oberfranken)<br />

Todesdatum <strong>und</strong> Ort unbekannt<br />

David Kahn wurde am 11.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau verschleppt. 1942 wurde er deportiert.<br />

leo kAhn<br />

<strong>Lehrer</strong> an der Israelitischen Volksschule <strong>in</strong> Ichenhausen<br />

geb. am 2.3.1901 <strong>in</strong> Mittels<strong>in</strong>n (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Gaukönigshofen<br />

gest. <strong>in</strong> Izbica<br />

Leo Kahn wurde 1938 <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau verschleppt. Am 21.3.1942 wurde Leo Kahn<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau M<strong>in</strong>a <strong>und</strong> der neunjährigen Tochter Hannelore <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert.<br />

Alle s<strong>in</strong>d dort verschollen.<br />

34


35 Er<strong>in</strong>nern<br />

clothilde kAtz<br />

Opern- <strong>und</strong> Konzertsänger<strong>in</strong> <strong>und</strong> Gesangslehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 19.8.1881 <strong>in</strong> Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Piaski<br />

Clothilde Katz wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

melAnie kAtz<br />

geb. Keller<br />

Opern- <strong>und</strong> Konzertsänger<strong>in</strong> <strong>und</strong> Gesangslehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 15.6.1873 <strong>in</strong> Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Melanie Katz wurde am 23.6.1942 nach Theresienstadt <strong>und</strong> von dort am 19.9.1942 weiter<br />

<strong>in</strong> das Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

hellA kAuders<br />

Privatlehrer<strong>in</strong><br />

Geburtsdatum unbekannt<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 24.12.1937<br />

Hella Kauders beg<strong>in</strong>g am 24.12.1937 Suizid.


Er<strong>in</strong>nern<br />

dr. rudolf kAufmAnn<br />

<strong>Lehrer</strong> am Internat Prediger Hirsch <strong>in</strong> Coburg<br />

geb. am 3.4.1909 <strong>in</strong> Königsberg/Preußen<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Coburg<br />

gest. vermutlich im Jahr 1941 <strong>in</strong> Litauen<br />

Rudolf Kaufmann wurde 1936 verhaftet. Am 11.2.1938 wurde ihm der Doktortitel entzogen.<br />

1941 wurde er <strong>in</strong> Litauen ermordet. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. phil. sieGfried kessler<br />

Oberlehrer <strong>und</strong> Schulleiter an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 17.6.1883 <strong>in</strong> Iserlohn (Westfalen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich im Jahr 1943 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Siegfried Keßler wurde am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

ferd<strong>in</strong>And kiss<strong>in</strong>Ger<br />

Hauptlehrer an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 13.10.1891 <strong>in</strong> Urspr<strong>in</strong>gen/Marktheidenfeld (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Ferd<strong>in</strong>and Kiss<strong>in</strong>ger war vom 10.11.1938 bis 12.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Am 20.11.1941 wurde er zusammen mit se<strong>in</strong>em Bruder Julius nach Kaunas deportiert<br />

<strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

36


37 Er<strong>in</strong>nern<br />

Julius kiss<strong>in</strong>Ger<br />

<strong>Lehrer</strong> an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 7.11.1894 <strong>in</strong> Urspr<strong>in</strong>gen/Marktheidenfeld (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Julius Kiss<strong>in</strong>ger wurde zusammen mit Ferd<strong>in</strong>and Kiss<strong>in</strong>ger, den K<strong>in</strong>dern Albert <strong>und</strong> Manfred<br />

sowie Jenny Kiss<strong>in</strong>ger am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

AnnA kle<strong>in</strong><br />

Maler<strong>in</strong> <strong>und</strong> Zeichenlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 16.2.1883 <strong>in</strong> Nürnberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Anna Kle<strong>in</strong> wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

dr. ewAld kohn<br />

Fachlehrer<br />

geb. am 14. oder 19.5.1884 <strong>in</strong> Essen<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 14.6.1939 <strong>in</strong> München<br />

Ewald Kohn war vom 11.11.1938 bis 19.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Am 14.6.1939 starb er, vermutlich an den Folgen der KZ-Haft.


Er<strong>in</strong>nern<br />

mArie luise kohn<br />

Fachlehrer<strong>in</strong> an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 25.1.1904<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

verschollen<br />

Marie Luise Kohn wurde wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> ist dort verschollen.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

JAkoB korBer<br />

<strong>Lehrer</strong><br />

geb. vermutlich am 5.10.1903 <strong>in</strong> Betzendorf (Niedersachsen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Jakob Korber war Zwangsarbeiter.<br />

Er wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> am 25.11.1941 dort ermordet.<br />

edith hildeGArd kühnert<br />

geb. Teutsch<br />

Englisch- <strong>und</strong> Französischlehrer<strong>in</strong> vermutlich an der Jüdischen Schule Schwe<strong>in</strong>furt<br />

geb. am 28.7.1885 <strong>in</strong> Aussig (Tschechoslowakei)<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 18.2.1945<br />

Edith Hildegard Kühnert beg<strong>in</strong>g am 18.2.1945 Suizid.<br />

38


39 Er<strong>in</strong>nern<br />

Julius lAchmAnn<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor<br />

geb. am 21.5.1887 <strong>in</strong> Schwersenz (Polen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Piaski<br />

Julius Lachmann wurde zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Meta am 4.4.1942<br />

<strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

emmi lesser<br />

Geb. Heilbronner<br />

Diplom Sprach- <strong>und</strong> Geschichtslehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 6.5.1888 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Piaski<br />

Emmi Lesser wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

mAx leVite<br />

Hauptlehrer an der Israelitischen Elementarschule Forth (Mittelfranken) <strong>und</strong><br />

der Israelitischen Volksschule <strong>in</strong> Gunzenhausen (Mittelfranken)<br />

geb. am 28.10.1878 <strong>in</strong> Mönchsroth (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Gunzenhausen<br />

gest. <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Max <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau Selma Levite wurden am 22.8.1942 nach Theresienstadt deportiert.<br />

Sie wurden für tot erklärt. Das Todesdatum ist nicht bekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

emilie cäcilie leVyn<br />

Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 25.11.1874 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 4.1.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Emilie Levyn wurde am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> starb dort am 4.1.1944.<br />

elsA lew<strong>in</strong><br />

Turnlehrer<strong>in</strong><br />

an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 14.2.1889 <strong>in</strong> Thorn (Polen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Elsa Lew<strong>in</strong> wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> wurde dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

AlmA GoldA mAennle<strong>in</strong><br />

geb. Danz<strong>in</strong>ger<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 6.12.1890 <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>haslach (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Alma Golda Maennle<strong>in</strong> wurde zusammen mit ihrem Mann Moritz am 20.11.1941 nach<br />

Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet. Der Sohn konnte nach Paläst<strong>in</strong>a emigrieren.<br />

40


41 Er<strong>in</strong>nern<br />

Julie mAi<br />

geb. Weil<br />

Klavierlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 15.9.1859 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 24.4.1942 <strong>in</strong> München<br />

Julie Mai beg<strong>in</strong>g am 24.4.1942 Suizid.<br />

otto möllerich<br />

Diplom-Handelslehrer<br />

geb. am 1.1.1899<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 1.4.1933 <strong>in</strong> München<br />

Otto Möllerich beg<strong>in</strong>g am 1.4.1933 Suizid.<br />

ABrAhAm müller<br />

Kantor <strong>und</strong> Religionslehrer<br />

geb. am 25.2.1883 <strong>in</strong> Heidelberg<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 8.12.1938 <strong>in</strong> Dachau<br />

Abraham Müller wurde am 10.11.1938 <strong>in</strong>s KZ Dachau gebracht. Er starb dort am 8.12.1938.


Er<strong>in</strong>nern<br />

seBAld müller<br />

Musiklehrer <strong>in</strong> der Israelitischen Kultusgeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 17.4.1892 <strong>in</strong> Marisfeld (Thür<strong>in</strong>gen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. vermutlich 1941 <strong>in</strong> Riga<br />

Sebald Müller wurde am 29.11.1941 <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. JAkoB yekutiel neuBAuer<br />

Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Sem<strong>in</strong>arlehrer an der Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungsanstalt <strong>in</strong> Würzburg<br />

geb. am 19.1.1895 <strong>in</strong> Leipzig<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Würzburg<br />

gest. am 22.3.1945 <strong>in</strong> Bergen-Belsen<br />

Yekutiel Jakob Neubauer emigrierte im September 1933 nach Amsterdam. Nach der Besatzung der<br />

Niederlande wurde er <strong>in</strong>s Ghetto von Amsterdam verschleppt <strong>und</strong> von dort <strong>in</strong> das Konzentrationslager<br />

Bergen-Belsen deportiert. Dort starb Yekutiel Jakob Neubauer am 22.3.1945. Auch se<strong>in</strong> jüngster<br />

Sohn Jecheskeel Josua ist im KZ Bergen-Belsen umgekommen.<br />

Julius neuBerGer<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 19.3.1905 <strong>in</strong> Mühlfeld<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. am 21.2.1945 <strong>in</strong> Kaufer<strong>in</strong>g<br />

Julius Neuberger wurde zusammen mit se<strong>in</strong>er schwangeren Frau Erna, se<strong>in</strong>er Mutter Hedwig <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Schwiegereltern Reta <strong>und</strong> Bernhard Kolb am 18.6.1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort fungierte er <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Jugendheim als Vorbeter. Am 28.9.1944 (Jomkipur) hielt er den ganzen Tag Gottesdienst. In der Nacht<br />

wurden er <strong>und</strong> Erna nach Auschwitz deportiert, Julius Neuberger wurde von dort am 10.10.1944 nach<br />

Kaufer<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>em Außenlager des KZ Dachau gebracht, wo er am 21.2.1945 starb. Erna wurde schwanger<br />

deportiert, gebar <strong>in</strong> Bergen-Belsen e<strong>in</strong>en Jungen, beide s<strong>in</strong>d zwei Tage später gestorben (März 1945).<br />

Hedwig Neuberger wurde <strong>in</strong> Auschwitz ermordet.<br />

42


43 Er<strong>in</strong>nern<br />

leo neumAnn<br />

Kantor <strong>und</strong> Religionslehrer<br />

geb. am 7.1.1895 <strong>in</strong> Mixstadt (Polen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Leo Neumann wurde am 20.12.1937 <strong>in</strong> München <strong>in</strong>haftiert. Vom 10.11.1938 bis 22.12.1938<br />

war er im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Er wurde am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

VerA chArlotte neumAyer<br />

geb. Ephraim<br />

Gymnastik-, Musik <strong>und</strong> Sprachlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 3.9.1893 <strong>in</strong> Görlitz<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich 1942 <strong>in</strong> Piaski<br />

Vera Neumayer wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

hAns neumeyer<br />

Musiklehrer<br />

geb. am 13.9.1887 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 18.5.1944 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Hans Neumeyer wurde am 4.6.1942 nach Theresienstadt deportiert <strong>und</strong> starb dort am 18.5.1944.


Er<strong>in</strong>nern<br />

GustAV neustädter<br />

Religionslehrer <strong>und</strong> Kantor<br />

geb. am 27.9.1892 <strong>in</strong> Sulzbürg (Oberpfalz)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Gustav Neustädter wurde am 16.11.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Am 24.4.1942 wurde<br />

Gustav Neustädter zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Paula, geb. Bacharach, <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em jüngsten Sohn Ernst<br />

<strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert. Alle wurden ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

<strong>Die</strong> beiden älteren Söhne Jakob <strong>und</strong> Siegfried konnten emigrieren.<br />

fritz nussBAum<br />

<strong>Lehrer</strong> an der Israelitischen Präparandenschule Burgpreppach<br />

geb. am 14.3.1902 <strong>in</strong> Maßbach (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. 1942 <strong>in</strong> Sobibor<br />

Fritz Nußbaum wurde am 24.3.1942 mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>und</strong> sechs K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> das KZ von Izbica <strong>und</strong> dann weiter<br />

<strong>in</strong> das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Dort wurden sie getötet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

mAier oppenheimer<br />

Kultusbeamter <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong><br />

geb. am 30.1.1863 <strong>in</strong> Theilheim bei Schwe<strong>in</strong>furt<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. vermutlich 1942 <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Maier Oppenheimer wurde am 9.9.1942 nach Theresienstadt <strong>und</strong> am 29.9.1942 <strong>in</strong> das Vernichtungslager<br />

Trebl<strong>in</strong>ka deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

44


45 Er<strong>in</strong>nern<br />

sAmuel pAlm<br />

Englischlehrer <strong>und</strong> Direktor der Jüdischen Volksschule Bamberg<br />

geb. am 28.11.1877 <strong>in</strong> Düsseldorf<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Samuel Palm war <strong>in</strong>haftiert im Landgerichtsgefängnis Bamberg. Von dort wurde er am 10.11.1938 entlassen.<br />

Am 24.3.1942 wurde er mit Ehefrau Emilie <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert <strong>und</strong> ist dort verschollen.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

AntoniA pfulf<br />

Hauptlehrer<strong>in</strong> <strong>und</strong> Reichstagsabgeordnete der SPD<br />

geb. 1877<br />

wohnhaft <strong>in</strong> München<br />

gest. am 8.6.1933 <strong>in</strong> München<br />

Antonia Pfulf beg<strong>in</strong>g am 8.6.1933 Suizid.<br />

hAnnA plessner<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 1.12.1904 <strong>in</strong> Posen<br />

Wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. <strong>in</strong> Riga<br />

Hanna Plessner wurde <strong>in</strong> das KZ Riga-Jungfernhof deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

idA reuß<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> im Ruhestand vermutlich an der Jüdischen Schule Schwe<strong>in</strong>furt<br />

geb. am 13.7.1876 <strong>in</strong> Ottensoos (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Ida Reuß wurde am 9.9.1942 nach Theresienstadt deportiert, kam von dort am 29.9.1942 <strong>in</strong>s<br />

Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka, wo sie ermordet wurde. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

dr. sieGm<strong>und</strong> r<strong>in</strong>dskopf<br />

Oberstudienrat – Deutschlehrer an der Gisela-Kreisrealschule <strong>und</strong><br />

der Fortbildungsschule der Jüdischen Volksschule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 10.6.1877 <strong>in</strong> Großlangenheim (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Piaski<br />

Dr. R<strong>in</strong>dskopf war vom 10.11.1938 bis 1.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Am 4.4.1942 wurde<br />

er zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Hedwig <strong>und</strong> der achtzehnjährigen Tochter Johanna <strong>in</strong> das KZ von<br />

Piaski deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

lisA rothschild<br />

geb. Bacharach<br />

Haushaltslehrer<strong>in</strong> vermutlich an der Jüdischen Schule Schwe<strong>in</strong>furt<br />

geb. am 31.8.1914 <strong>in</strong> Memm<strong>in</strong>gen<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Lisa Rothschild wurde am 13.3.1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

46


47 Er<strong>in</strong>nern<br />

Alfred sänGer<br />

Zeichen- <strong>und</strong> Werklehrer an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 4.9.1894 <strong>in</strong> Augsburg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Alfred Sänger war vom 11.11.1938 bis 15.12.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Am 20.11.1941 wurde er nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

Julius schApiro<br />

Religionslehrer, Kantor <strong>und</strong> Schulleiter an der Religionsschule Bechhofen <strong>und</strong> der<br />

Privaten Jüdischen Volksschule <strong>in</strong> Bamberg<br />

geb. am 1.2.1895 <strong>in</strong> Burghaslach (Oberfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. am 26.1.1945 <strong>in</strong> Buchenwald<br />

Julius Schapiro war vom 11.11.1938 bis 16.11.1938 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert. Er wurde am 29.11.1941<br />

zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Eleonora <strong>und</strong> der jüngeren Tochter Ruth von Nürnberg aus <strong>in</strong> das Ghetto nach Riga<br />

deportiert. <strong>Die</strong> beiden Frauen s<strong>in</strong>d dort verschollen. Julius Schapiro wurde am 16.8.1944 <strong>in</strong>s KZ Stutthof<br />

<strong>und</strong> weiter <strong>in</strong>s KZ Buchenwald verschleppt, wo er am 26.1.1945 starb. <strong>Die</strong> Tochter Judith konnte 1938 nach<br />

Paläst<strong>in</strong>a emigrieren.<br />

Josef schönfeld<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Buchhändler<br />

geb. am 24.1.1896 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 15.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Josef Schönfeld war vom 10.11.1938 bis 13.01.1939 im KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert.<br />

Er wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.


Er<strong>in</strong>nern<br />

kurt schroeter<br />

Viol<strong>in</strong>lehrer <strong>in</strong> Gröbenzell bei München<br />

geb. am 7.3.1882 vermutlich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

wohnhaft bis zur Flucht nach Amsterdam <strong>in</strong> München<br />

gest. am 3.1.1944 <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Kurt Schroeter wurde 1936 aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen <strong>und</strong> erhielt Unterrichtsverbot.<br />

1937 floh er nach Amsterdam. 1943 wurde er verhaftet <strong>und</strong> <strong>in</strong>s KZ Vught <strong>in</strong> den Niederlanden<br />

gebracht. Von dort wurde er am 15.11.1943 nach Auschwitz deportiert <strong>und</strong> ermordet.<br />

dr. rosA silBerschmidt<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> an der Jüdischen Schule <strong>in</strong> München<br />

geb. am 18.12.1892 <strong>in</strong> Nürnberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Piaski<br />

Rosa Silberschmidt wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> ist dort verschollen.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

ludwiG s<strong>in</strong>n<br />

Konzertsänger <strong>und</strong> Gesangslehrer<br />

geb. am 26.5.1884 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Auschwitz<br />

Ludwig S<strong>in</strong>n wurde am 5.6.1942 nach Theresienstadt <strong>und</strong> von dort am 23.10.1944 nach Auschwitz<br />

deportiert <strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

48


49 Er<strong>in</strong>nern<br />

irmGArd helene spieGelBerG<br />

Zeichenlehrer<strong>in</strong> <strong>und</strong> Kontorist<strong>in</strong><br />

geb. am 28.3.1912 <strong>in</strong> Ebenhausen (Oberbayern)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Irmgard Spiegelberg wurde am 4.4.1942 zusammen mit Helene Spiegelberg, geb. Re<strong>in</strong>ganum<br />

<strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> ist dort verschollen. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

cäciliA BerthA spr<strong>in</strong>Ger<br />

Technische <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 19.11.1909 <strong>in</strong> Schub<strong>in</strong> (Posen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. <strong>in</strong> Kulmhof<br />

Cäcilia Spr<strong>in</strong>ger wurde am 27.10.1941 von Berl<strong>in</strong> aus <strong>in</strong>s Ghetto Litzmannstadt (heute Lodz) <strong>und</strong><br />

von dort am 4.5.1942 <strong>in</strong>s Vernichtungslager Kulmhof (heute Chelmno, <strong>in</strong> Zentralpolen) deportiert<br />

<strong>und</strong> dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

ABrAhAm Adolf stern<br />

Privatlehrer<br />

geb. am 15.8.1865 <strong>in</strong> Piwniczna (Polen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. 1942 <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Abraham Stern wurde zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Henriette am 10.6.1942 nach Theresienstadt <strong>und</strong><br />

von dort am 19.9.1942 <strong>in</strong> das Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

Artur stern<br />

Werklehrer an der Israelitischen Bekenntnisschule Adas Israel <strong>in</strong> Nürnberg<br />

geb. am 29.8.1907 <strong>in</strong> Niederhochstadt/Pfalz<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Nürnberg<br />

gest. am 30.5.1944 <strong>in</strong> Buchenwald<br />

Artur Stern wurde am 29.11.1941 von Nürnberg aus <strong>in</strong> das Ghetto nach Riga deportiert.<br />

Er starb am 30.5.1944 im KZ Buchenwald.<br />

elisABeth stern<br />

Technische <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 23.10.1897 <strong>in</strong> Bad Kreuznach (Pfalz)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Elisabeth Stern wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

VAlerie theumAnn<br />

Gesangslehrer<strong>in</strong> <strong>und</strong> Schriftsteller<strong>in</strong><br />

geb. am 19.5.1875 <strong>in</strong> Wien<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. 1942 <strong>in</strong> Trebl<strong>in</strong>ka<br />

Valerie Theumann wurde am 3.7.1942 nach Theresienstadt <strong>und</strong> von dort am 19.9.1942 <strong>in</strong> das<br />

Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka deportiert <strong>und</strong> ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

isrAel wAhler<br />

Volksschullehrer an der Israelitischen Volksschule Neustadt an der Saale<br />

geb. vermutlich am 7.8.1875 <strong>in</strong> Hörste<strong>in</strong> (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Neustadt/Saale (Unterfranken)<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Israel Wahler wurde vermutlich <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

50


51 Er<strong>in</strong>nern<br />

irmA wAlter<br />

Schneider<strong>in</strong> <strong>und</strong> Handarbeitslehrer<strong>in</strong> an der Privaten Jüdischen Schule<br />

<strong>in</strong> der „Weißen Taube„ <strong>in</strong> Bamberg<br />

geb. vermutlich am 18.9.1910 <strong>in</strong> Bamberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Izbica<br />

Irma Walter wurde am 24.3.1942 mit ihrem zweijährigen Sohn Sally <strong>in</strong> das KZ von Izbica deportiert.<br />

Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt<br />

irmA wAlz<br />

Klavierlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 20.6.1901 <strong>in</strong> Gunzenhausen (Mittelfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Irma Walz wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

Alice emmA wAssermAnn<br />

Englischlehrer<strong>in</strong><br />

geb. vermutlich am 13.7.1906 <strong>in</strong> Bamberg<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> Bamberg<br />

<strong>in</strong> Riga verschollen<br />

Alice Emma Wassermann wurde am 27.11.1941 zusammen mit ihrer Schwester Edith <strong>und</strong><br />

ihrer Mutter Elsa nach Riga deportiert. Der letzte bekannte Aufenthaltsort war das KZ Riga-Jungfernhof.<br />

Das weitere Schicksal ist unbekannt.


Er<strong>in</strong>nern<br />

lAurA wAssermAnn<br />

Privatlehrer<strong>in</strong><br />

geb. am 12.10.1883 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Laura Wassermann wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

AnGelikA weil<br />

Geb. Röderer<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong><br />

geb. am 19.4.1895 <strong>in</strong> Prag<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. vermutlich <strong>in</strong> Piaski<br />

Angelika Weil wurde am 4.4.1942 <strong>in</strong> das KZ von Piaski deportiert <strong>und</strong> dort ermordet.<br />

Das Todesdatum ist nicht bekannt.<br />

elisABeth weiss<br />

Zeichenlehrer<strong>in</strong> <strong>und</strong> Maler<strong>in</strong><br />

geb. am 2.3.1904 <strong>in</strong> München<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Elisabeth Weiss wurde zusammen mit ihrem Ehemann Josef am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert<br />

<strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

52


53 Er<strong>in</strong>nern<br />

pAulA wenke<br />

geb. Rawicz<br />

<strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> <strong>und</strong> Chemiker<strong>in</strong><br />

geb. am 15.11.1891 <strong>in</strong> Breslau<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Paula Wenke wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

sAmuel werBlowski<br />

Volksschullehrer <strong>und</strong> Kantor<br />

geb. am 14.12.1887 <strong>in</strong> Schrimm (Posen)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 25.11.1945 <strong>in</strong> Kaunas<br />

Samuel Werblowski wurde zusammen mit se<strong>in</strong>er Ehefrau Margarete <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em achtzehnjährigen<br />

Sohn Gerd Werblowski am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert <strong>und</strong> dort am 25.11.1941 ermordet.<br />

elieser zeilBerGer<br />

<strong>Lehrer</strong> a. D.<br />

geb. am 7.11.1869 <strong>in</strong> Ermershausen (Unterfranken)<br />

wohnhaft bis zur Deportation <strong>in</strong> München<br />

gest. am 11.10.1942 <strong>in</strong> Theresienstadt<br />

Elieser Zeilberger wurde am 18.6.1942 von München nach Theresienstadt deportiert.<br />

Er starb dort am 11.10.1942.


Stationen der Vernichtung<br />

Wenn die antijüdischen Gesetze der Reichsregierung „im Ausland e<strong>in</strong>er herben <strong>und</strong> vielfach ungerechten<br />

Kritik unterworfen werden, wenn sich vor allem das <strong>in</strong>ternationale Judentum selbst zum Wortführer im<br />

Kampf dagegen macht, so soll es dabei nicht vergessen, dass die Regelung der Judenfrage auf gesetzlichem<br />

Wege die loyalste Art der Lösung dieses Problems war. ... Wenn wir die Judenfrage praktisch zu regeln<br />

versuchten <strong>und</strong> damit das Rassenproblem <strong>in</strong> unserem Staatsleben zum ersten Mal für ganz Europa gesetzmäßig<br />

<strong>in</strong> Angriff nahmen, so folgten wir hier<strong>in</strong> nur dem Zuge der Zeit. Dabei ist die Abwehr der jüdischen<br />

Gefahr nur e<strong>in</strong> Teil unseres Planes <strong>und</strong> unseres Zieles: Wenn sie <strong>in</strong> der Weltdiskussion über den Nationalsozialismus<br />

zum e<strong>in</strong>zigen <strong>und</strong> hauptausschlaggebenden Thema erhoben wurde, so lag das nicht an uns, sondern<br />

am Judentum selbst. Es hat versucht, die Welt gegen uns mobil zu machen, immer <strong>in</strong> der Hoffnung, damit das<br />

verloren gegangene Terra<strong>in</strong> zurückerobern zu können. <strong>Die</strong>se Hoffnung ist allerd<strong>in</strong>gs nicht nur trügerisch, sie<br />

birgt auch für das Judentum e<strong>in</strong>e Reihe von schwerwiegenden <strong>und</strong> bedrohlichen Gefahren <strong>in</strong> sich, denn es<br />

konnte nicht vermieden werden, dass bei Aufrollung dieses Problems nicht nur se<strong>in</strong> Wider, sondern auch se<strong>in</strong><br />

Für <strong>in</strong> der ganzen Welt zur Debatte gestellt wurde, dass damit die Diskussion selbst e<strong>in</strong>en Umfang annahm,<br />

der <strong>in</strong> der näheren <strong>und</strong> weiteren Zukunft für die ganze jüdische Rasse äußerst unangenehme Folgen nach sich<br />

ziehen kann.“<br />

Joseph Goebbels auf dem Nürnberger Reichsparteitag am 2.9.1933<br />

54


55 Stationen der Vernichtung<br />

stAtionen der VernichtunG<br />

der jüdischen <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> aus Bayern<br />

Auschwitz (polen)<br />

Auschwitz bezeichnet e<strong>in</strong>en Lagerkomplex <strong>in</strong> Südpolen, der aus drei großen Konzentrationslagern <strong>und</strong> mehreren<br />

Außenlagern bestand. Während Auschwitz I seit 1940 Konzentrations- <strong>und</strong> Arbeitslager war, wurde Auschwitz-<br />

Birkenau (Auschwitz II) als Vernichtungslager errichtet. Im Arbeitslager kamen etwa 60 000 bis 70 000 Menschen<br />

aus Erschöpfung <strong>und</strong> <strong>in</strong> Folge von Krankheiten ums Leben. Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, diente<br />

ausschließlich der <strong>Ermordung</strong> der Juden <strong>und</strong> anderer Verfolgter. <strong>Die</strong> nicht als arbeitsfähig selektierten Menschen<br />

wurden nach Ankunft <strong>in</strong> die Gaskammern geführt <strong>und</strong> vergast oder erschossen. Im Vernichtungslager Auschwitz-<br />

Birkenau wurde ca. e<strong>in</strong>e Million Menschen ermordet. Auschwitz III diente als Arbeitslager für Zwangsarbeiter.<br />

Zahlreiche Deportationen aus dem deutschen Reich hatten Auschwitz als Ziel.<br />

Belzec (polen)<br />

Das Vernichtungslager Belzec lag an der Grenze zur Sowjetunion. Es wurde im Rahmen der „Aktion Re<strong>in</strong>hardt“<br />

errichtet. Es diente ausschließlich der sofortigen Vergasung der Juden. <strong>Die</strong> Menschen wurden sofort nach Ankunft<br />

des Deportationszugs <strong>in</strong> die Gaskammern geführt <strong>und</strong> vergast. Zwischen März 1942 <strong>und</strong> Januar 1943 wurden<br />

dort 434 508 Menschen ermordet.<br />

BerGen-Belsen (niedersAchsen)<br />

Das Konzentrationslager Bergen-Belsen wurde 1940 als Kriegsgefangenenlager im Kreis Celle <strong>in</strong> Niedersachsen<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. Im Juni 1943 wurde es zum „Aufenthaltslager für jüdische Austauschgefangene“, ab Dezember<br />

1944 wurde es zum Konzentrationslager, <strong>in</strong> dem vor allem aus den Ostgebieten evakuierte Häftl<strong>in</strong>ge unter-<br />

gebracht wurden.<br />

BernBurG A. d. sAAle (sAchsen AnhAlt)<br />

In der Landes- <strong>und</strong> Heilanstalt befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgetrennten Teil vom 21. November 1940 bis 30. Juli 1943<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgetrennten Teil e<strong>in</strong>e NS-Tötungsanstalt im Rahmen der sog. Aktion T4 (Euthanasieprogramm). In<br />

der Tötungsanstalt wurden 9 384 Kranke <strong>und</strong> Beh<strong>in</strong>derte aus 33 Fürsorge- <strong>und</strong> Pflegee<strong>in</strong>richtungen sowie r<strong>und</strong><br />

5 000 Häftl<strong>in</strong>ge aus sechs Konzentrationslagern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gaskammer ermordet.<br />

BuchenwAld (sAchsen)<br />

Das Konzentrationslager Buchenwald liegt vor den Toren Weimars. Es handelt sich neben dem KZ Dachau um<br />

e<strong>in</strong>es der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Es war „Schutzhaftlager“ <strong>und</strong> „Arbeitslager“. In<br />

Buchenwald wurden auch sowjetische Kriegsgefangene gefangen gehalten, von denen viele erschossen wurden.<br />

Innerhalb des KZ gab es e<strong>in</strong> eigenes Judenlager. Insgesamt waren ca. 250 000 Menschen <strong>in</strong> Buchenwald<br />

<strong>in</strong>haftiert. Ca. 56 000 davon wurden <strong>in</strong> Buchenwald ermordet.<br />

dAchAu (BAyern)<br />

Bereits am 22. März 1933 wurde <strong>in</strong> Dachau das erste Konzentrationslager auf deutschem Boden errichtet. Es<br />

diente zuerst der Inhaftierung politischer Gefangener. Insgesamt waren etwa 200 000 Menschen <strong>in</strong> Dachau <strong>in</strong>haftiert,<br />

wovon ca. 41 000 ermordet wurden. Das KZ Dachau war das Modell für alle weiteren Konzentrationslager,<br />

die nach Beg<strong>in</strong>n des Krieges europaweit e<strong>in</strong>gerichtet wurden. Im KZ Dachau wurden nach der Reichspogromnacht<br />

am 9. November 1939 über 11 000 bayerische Juden kurzfristig <strong>in</strong>haftiert <strong>und</strong> erfasst.<br />

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Stationen der Vernichtung<br />

izBicA (polen)<br />

In dem ehemaligen kle<strong>in</strong>en Schtetl <strong>in</strong> der Nähe von Lubl<strong>in</strong> lebten 1939 über 80 Prozent Juden. 1942 wurde es<br />

von der SS zum „Durchgangsghetto“ erklärt. Zehntausende deportierter Juden aus ganz Europa wurden von hier<br />

aus <strong>in</strong> die Todeslager im Osten weitertransportiert, Tausende darunter wurden bereits <strong>in</strong> Izbica ermordet.<br />

kAunAs (polen)<br />

Kaunas war bis 1940 provisorische Hauptstadt Litauens. Es wurde im Juni 1941 von deutschen Soldaten besetzt.<br />

Sofort nach dem E<strong>in</strong>marsch der Wehrmacht kam es zu Massenmorden von Juden auf offener Straße, die von<br />

den deutschen Behörden gedeckt <strong>und</strong> gefördert wurden. Kurz nach Besetzung durch die deutsche Wehrmacht<br />

wurde die jüdische Bevölkerung <strong>in</strong> das neugeschaffene Ghetto Slobodka gepfercht <strong>und</strong> sukzessive <strong>in</strong> dem nahe<br />

gelegenen befestigten Fort IX ermordet. Aus München wurden zwei Deportationen nach Kaunas durchgeführt. <strong>Die</strong><br />

meisten der dar<strong>in</strong> deportierten Menschen wurden kurz nach ihrer Ankunft im Fort IX erschossen.<br />

krAsnystAw (polen)<br />

Krasnystaw war e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de 14 km von Izbica entfernt. Im August 1940 wurden die jüdischen Bewohner<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ghetto am Ortsrand umgesiedelt. Im Mai 1942 wurden mehrere Tausend Juden aus der Umgebung nach<br />

Krasnystaw getrieben, um von dort auf verschiedene Vernichtungslager verteilt zu werden.<br />

kulmhof (polen)<br />

Das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) lag im Zentrum Polens etwa 130 Kilometer entfernt von Posen. Es<br />

handelte sich um e<strong>in</strong> mit Bretterzäunen abgetrenntes Gut mit e<strong>in</strong>em Gutshof. <strong>Die</strong> Menschen wurden <strong>in</strong> Gaswagen<br />

mit Abgasen ermordet. Zwischen Dezember 1941 <strong>und</strong> März 1943 wurden 152 477 Juden auf diese Weise vergast.<br />

Daneben wurden <strong>in</strong> Kulmhof auch S<strong>in</strong>ti, Roma <strong>und</strong> russische Kriegsgefangene ermrodet.<br />

litzmAnnstAdt (polen)<br />

Das Ghetto Litzmannstadt ist nach e<strong>in</strong>em General <strong>und</strong> NSDAP-Mitglied benannt. Es lag <strong>in</strong> der drittgrößten<br />

polnischen Stadt <strong>in</strong> Lodz. Es handelte sich um e<strong>in</strong>es der größten Ghettos, <strong>in</strong> dem phasenweise bis zu 200 000<br />

Menschen unter furchtbarsten Bed<strong>in</strong>gungen lebten. Das Ghetto Litzmannstadt war vor allem Zwischenstation<br />

für den Transport <strong>in</strong> die Vernichtungslager Kulmhof (Chelno), Trebl<strong>in</strong>ka, Sobibor, Majdanek <strong>und</strong> Auschwitz II.<br />

mAJdAnek (polen)<br />

Das Konzentrationslager Majdanek lag <strong>in</strong> der Nähe der ostpolnischen Stadt Lubl<strong>in</strong>. Es wurde zusammen mit dem<br />

KZ Auschwitz 1941 errichtet. Zuerst sollten vorwiegend sowjetische Kriegsgefangene dort <strong>in</strong>haftiert werden. Tatsächlich<br />

diente es aber vor allem der Inhaftierung von polnischen politischen Häftl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Juden. Im KZ Majdanek<br />

wurden ca. 78 000 Menschen ermordet worden, darunter 59 000 Juden.<br />

m<strong>in</strong>sk (weissrusslAnd)<br />

In M<strong>in</strong>sk gab es bis zum E<strong>in</strong>marsch der Deutschen e<strong>in</strong>e der größten jüdischen Geme<strong>in</strong>den Weißrusslands<br />

(90 000 bis 100 000 Menschen). In M<strong>in</strong>sk entstand nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht im<br />

Juni 1941 e<strong>in</strong>es der größten jüdischen Ghettos <strong>in</strong> den von Deutschen besetzten Gebieten. In dem ca. e<strong>in</strong>en<br />

Quadratkilometer großen Stadtviertel wurden ab Juli 1941 etwa 60 000 Juden zusammengepfercht. Von ihnen<br />

haben nur wenige überlebt. Bis zur Auflösung des Ghettos im Oktober 1943 wurden <strong>in</strong> so genannten „Aktionen“<br />

Zehntausende erschossen, viele H<strong>und</strong>ert starben an Krankheiten <strong>und</strong> Unterernährung sowie durch e<strong>in</strong>zelne<br />

Übergriffe des Wachpersonals.<br />

56


57<br />

piAski (polen)<br />

Piaski ist e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stadt im Osten Polens. Bei der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht lebten<br />

ca. 4 000 Juden <strong>in</strong> Piaski <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sog Schtetl. Dort wurde 1940 e<strong>in</strong> Ghetto e<strong>in</strong>gerichtet, <strong>in</strong> das Juden aus ganz<br />

Europa deportiert wurden, bevor sie im Vernichtungslager Belzec ermordet wurden.<br />

riGA-JunGfernhof (lettlAnd)<br />

Das Konzentrationslager Jungfernhof lag 3 km außerhalb der lettischen Hauptstadt Riga. Es war <strong>in</strong> den Monaten<br />

Dezember 1941 bis März 1942 als Behelfslager e<strong>in</strong>gerichtet worden. Im KZ Riga-Jungfernhof wurden <strong>in</strong>sgesamt<br />

etwa 4 000 Juden untergebracht, von denen nur 148 Personen überlebten. E<strong>in</strong> Deportationszug aus Nürnberg mit<br />

1 008 Juden, der eigentlich nach M<strong>in</strong>sk sollte, erreichte das Lager Riga-Jungfernhof im November 1942.<br />

soBiBor (polen)<br />

Das Vernichtungslager Sobibor lag im Südosten Polens. Es wurde im Rahmen der „Aktion Re<strong>in</strong>hardt“ errichtet. Es<br />

diente ausschließlich der Vergasung von Juden. Im Vernichtungslager Sobibor wurden zwischen April 1942 <strong>und</strong><br />

Oktober 1943 circa 250 000 Juden vergast, darunter 33 000 aus den Niederlanden.<br />

theresienstAdt (tschechien)<br />

Theresienstadt (tschechisch Terez<strong>in</strong>) war e<strong>in</strong>e befestigte Garnisonsstadt aus dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, die ab 1941<br />

als Ghetto <strong>und</strong> teilweise auch als Konzentrationslager genutzt wurde. Bis Mitte 1942 war Theresienstadt vor allem<br />

Sammel- <strong>und</strong> Durchgangslager für tschechische Juden. Auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, auf<br />

der die <strong>Ermordung</strong> aller europäischen Juden beschlossen wurde, wurde festgelegt, dass alle deutschen „Reichsjuden“<br />

über 65 Jahre <strong>und</strong> „prom<strong>in</strong>ente Juden“ nach Theresienstadt gebracht werden sollten. In Theresienstadt<br />

wurden auch sog. „K<strong>in</strong>derheime“ e<strong>in</strong>gerichtet, <strong>in</strong> denen 15 000 jüdische K<strong>in</strong>der untergebracht wurden, von denen<br />

nur etwa 150 überlebten. Im Ghetto Theresienstadt waren <strong>in</strong>sgesamt ca. 140 000 Juden untergebracht. Etwa<br />

88 000 wurden <strong>in</strong> Vernichtungslager transportiert <strong>und</strong> ermordet. Viele Menschen <strong>in</strong> Theresienstadt starben wegen<br />

der verheerenden Lebensumstände.<br />

treBl<strong>in</strong>kA (polen)<br />

Das Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka lag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wald im Nordosten Polens. Es wurde im Rahmen der „Aktion Re<strong>in</strong>hardt“<br />

errichtet. Es diente ausschließlich der sofortigen Vergasung der Juden. <strong>Die</strong> Menschen wurden sofort nach<br />

Ankunft des Deportationszugs <strong>in</strong> die Gaskammern geführt <strong>und</strong> vergast. Im Vernichtungslager Trebl<strong>in</strong>ka wurden<br />

zwischen Juli 1942 <strong>und</strong> August 1943 zwischen 700 000 <strong>und</strong> 1,1 Mio Juden aus ganz Europa ermordet.<br />

VuGht (niederlAnde)<br />

Vught ist e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stadt im Süden der Niederlande. Im Januar 1943 wurde <strong>in</strong> Vught von den deutschen Besatzungstruppen<br />

das Konzentrationslager Herzogenbusch errichtet. Im KZ waren <strong>in</strong>sgesamt etwa 31 000 Menschen<br />

<strong>in</strong>terniert, darunter 12 000 Juden. Sie mussten Zwangsarbeit leisten. Vom KZ Herzogenbusch wurden 1269<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> das Vernichtungslager Sobibor deportiert <strong>und</strong> sofort vergast.<br />

westerBork (niederlAnde)<br />

Das Lager Westerbork war von der niederländischen Regierung 1939 für jüdische Flüchtl<strong>in</strong>ge aus Deutschland<br />

e<strong>in</strong>gerichtet worden. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht wurden alle<br />

<strong>in</strong> die Niederlande geflüchteten Juden im Durchgangslager Westerbork <strong>in</strong>terniert. Nach 1942 wurden von<br />

Westerbrok aus die Transporte <strong>in</strong> die Vernichtungslager durchgeführt. Gleichzeitig wurden alle niederländischen<br />

Juden <strong>in</strong>s Durchgangslager Westerbork gebracht. Anne Frank war <strong>in</strong> Westerbork vom 7. August 1944 bis zum<br />

3. September 1944 <strong>in</strong>terniert.<br />

Stationen der Vernichtung<br />

© Maksym Dykha - Fotolia.com


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

e<strong>in</strong>kreisunG, entrechtunG,<br />

VernichtunG<br />

Chronik der <strong>Verfolgung</strong> der deutschen Juden <strong>in</strong> der nationalsozialistischen<br />

Gewaltherrschaft <strong>in</strong> Deutschland<br />

58


59 E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1933<br />

1933 lebten In DeutschlanD runD 500 000 JuDen<br />

1. April<br />

Boykott Jüdischer Geschäfte<br />

<strong>Die</strong> NSDAP ruft zum Boykott <strong>jüdischer</strong> Geschäfte, Ärzte <strong>und</strong><br />

Anwaltskanzleien auf. Mitglieder der SA postieren sich vor den<br />

Geschäften <strong>und</strong> Büros <strong>und</strong> verh<strong>in</strong>dern den Zugang. Teilweise<br />

zerstören sie Schaufenster <strong>und</strong> plündern die Läden.<br />

7. April<br />

Gesetz zur wiederherstellunG des<br />

BerufsBeAmtentums (BeAmtenGesetz)<br />

„Beamte nichtarischer Abstammung“ <strong>und</strong> „Beamte, die nach<br />

ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür<br />

bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat<br />

e<strong>in</strong>treten“, werden <strong>in</strong> den Ruhestand zwangsversetzt (Ausnahmen:<br />

Personen, die bereits am 1.8.1914 Beamte waren, Frontkämpfer,<br />

Söhne <strong>und</strong> Töchter von Gefallenen). Sie erhalten ke<strong>in</strong><br />

Ruhegehalt, wenn sie nicht m<strong>in</strong>destens zehn Jahre im Beamtenverhältnis<br />

beschäftigt waren.<br />

22. April<br />

VerordnunG üBer die zulAssunG<br />

Von ärzten zur tätiGkeit Bei den<br />

krAnkenkAssen<br />

„<strong>Die</strong> Tätigkeit von Kassenärzten ‚nichtarischer Abstammung’<br />

<strong>und</strong> von Kassenärzten, die sich im kommunistischen S<strong>in</strong>ne betätigt<br />

haben, wird (mit Wirkung vom 1. Juli 1933) beendet. Neuzulassungen<br />

solcher Ärzte zur Tätigkeit bei den Krankenkassen<br />

f<strong>in</strong>den nicht mehr statt.“ Ausnahmen wie beim Gesetz zur Wiederherstellung<br />

des Berufsbeamtentums s<strong>in</strong>d möglich.<br />

25. April<br />

Gesetz GeGen die üBerfüllunG<br />

deutscher schulen <strong>und</strong> hochschulen<br />

Bei den Neuaufnahmen muss darauf geachtet werden, dass die<br />

Zahl der „Nichtarier“ an den Schulen/Hochschulen den Anteil<br />

der „Nichtarier“ an der reichsdeutschen Bevölkerung nicht übersteigt.<br />

<strong>Die</strong>ser Anteil wurde auf 1,5 % festgelegt. (Ausnahmen:<br />

K<strong>in</strong>der von Frontkämpfern <strong>und</strong> Kriegsgefallenen).<br />

<strong>Die</strong> Arierklausel des Beamtengesetzes wird <strong>in</strong> allen Turn- <strong>und</strong><br />

Sportvere<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geführt.<br />

4. Mai<br />

2. durchführunGsVerordnunG zum<br />

BeAmtenGesetz<br />

Privatrechtliche Verträge (Arbeitsverträge) mit „nichtarischen“<br />

Angestellten <strong>und</strong> Arbeitern s<strong>in</strong>d mit Monatsfrist zu kündigen.<br />

7. Mai<br />

Jüdische ArBeiter <strong>und</strong> AnGestellte<br />

<strong>in</strong> der wehrmAcht<br />

Der Reichswehrm<strong>in</strong>ister ordnet die Entlassung aller jüdischen<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Angestellten aus der Wehrmacht an.<br />

10. Mai<br />

öffentliche BücherVerBrennunG<br />

Bücher <strong>jüdischer</strong>, kommunistischer <strong>und</strong> NS-kritischer Autoren,<br />

die aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt wurden, werden<br />

an öffentlichen Plätzen verbrannt.<br />

16. Juni<br />

Volks- <strong>und</strong> BerufszählunG<br />

Es werden im deutschen Reich r<strong>und</strong> 500 000 Juden<br />

gezählt, das entspricht e<strong>in</strong>em Bevölkerungsanteil von 0,77 %.<br />

Darunter s<strong>in</strong>d 240 487 erwerbstätig gemeldet.<br />

27. Juli<br />

VerordnunG üBer die zulAssunG<br />

Von zAhnärzten Bei den krAnkenkAssen<br />

<strong>Die</strong> Zulassung von Zahnärzten <strong>und</strong> Zahntechnikern bei den<br />

Krankenkassen setzt „arische Abstammung“ voraus. Ausnahmen<br />

gelten für Frontkämpfer <strong>und</strong> für H<strong>in</strong>terbliebene von im<br />

Weltkrieg Gefallenen.<br />

13. September<br />

VererBunGslehre <strong>und</strong><br />

rAssenk<strong>und</strong>e <strong>in</strong> den schulen<br />

Erziehungsm<strong>in</strong>ister Rust erlässt e<strong>in</strong>e vorläufige Regelung der<br />

Lehraufgaben für „Vererbungslehre <strong>und</strong> Rassenk<strong>und</strong>e <strong>in</strong> den<br />

Schulen“; diese sollen „nötigenfalls auf Kosten der Mathematik<br />

<strong>und</strong> der Fremdsprachen“ gelehrt werden <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d „pflichtgemäßes<br />

Prüfungsgebiet“.<br />

<strong>Die</strong> Chronik wurde der Homepage „Chronologie des Holocaust“, verfasst von Knut Mellenth<strong>in</strong>, entnommen http://www.holocaust-chronologie.de. Wir danken für die Genehmigung des Abdrucks.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

4. Oktober<br />

schriftleiterGesetz<br />

Mit Schriftleiter werden alle bezeichnet, die im Hauptberuf „an<br />

der Gestaltung des geistigen Inhalts“ von Zeitungen <strong>und</strong> politischen<br />

Zeitschriften mitwirken. Voraussetzung, um Schriftleiter zu<br />

se<strong>in</strong>, ist mit dem Gesetz u. a. die deutsche Reichsangehörigkeit,<br />

„arische Abstammung“ (im S<strong>in</strong>ne des Beamtengesetzes) <strong>und</strong><br />

ke<strong>in</strong>e Ehe mit e<strong>in</strong>er Person von „nichtarischer Abstammung.“<br />

24. November<br />

schutz Jüdischer kolleGen<br />

durch BetrieBsVertretunGen<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsarbeitsm<strong>in</strong>isters wird Betriebsvertretungen<br />

<strong>und</strong> anderen Stellen verboten, gegen die Entfernung<br />

bzw. Unterb<strong>in</strong>dung der E<strong>in</strong>stellung <strong>jüdischer</strong> Arbeitnehmer<br />

vorzugehen.<br />

15. Dezember<br />

Ausschluss Von<br />

AkAdemischen prüfunGen<br />

Nach e<strong>in</strong>em Erlass des preußischen Wissenschaftsm<strong>in</strong>isters sollen<br />

„nichtarische“ Studierende nur zu akademischen Prüfungen<br />

zugelassen werden, wenn sie K<strong>in</strong>der von Frontkämpfern oder<br />

Abkömml<strong>in</strong>ge aus vor dem 25.4.33 geschlossenen Ehen s<strong>in</strong>d,<br />

bei denen e<strong>in</strong> Elternteil oder zwei Großeltern arischer Abkunft<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> zum Studium auf Gr<strong>und</strong> der neuen Bestimmungen zugelassen<br />

s<strong>in</strong>d oder zugelassen werden können.<br />

Zwei jüdische Schüler werden vor den Augen ihrer Klasse erniedrigt<br />

(Quelle: Yad Vashem Photo Archive)<br />

60


61<br />

1934<br />

28. Februar<br />

Juden <strong>in</strong> der wehrmAcht<br />

Der Reichswehrm<strong>in</strong>ister ordnet an, dass die Bestimmungen des<br />

Beamtengesetzes auch auf die Wehrmacht anzuwenden s<strong>in</strong>d,<br />

jüdische Soldaten <strong>und</strong> Offiziere also zu entlassen bzw. nicht neu<br />

aufzunehmen s<strong>in</strong>d.<br />

18. April<br />

schulBesuch Jüdischer k<strong>in</strong>der<br />

In e<strong>in</strong>er Anordnung des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters wird festgelegt,<br />

dass das Gesetz gegen Überfüllung deutscher Schulen auch<br />

für Privatschulen gilt. Bestehende jüdische Privatschulen werden<br />

nicht geschlossen, aber es ist darauf zu achten, dass die<br />

maximale Verhältniszahl <strong>jüdischer</strong> Schüler von 1,5 % <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Schulortes e<strong>in</strong>gehalten wird. <strong>Die</strong> Eröffnung neuer<br />

<strong>jüdischer</strong> Schulen ist verboten. Ausnahmen gelten für Volksschulen<br />

sowie für Berufsschulen, deren Zweck die Vorbereitung<br />

von Jugendlichen für die Auswanderung ist.<br />

22. Juli<br />

AusBildunGsordnunG für Juristen<br />

<strong>Die</strong> neue Ausbildungsordnung für Juristen macht die<br />

„arische Abstammung“ zur Voraussetzung für die Zulassung zu<br />

den Prüfungen.<br />

16. August<br />

Juden <strong>und</strong> die nsdAp<br />

<strong>Die</strong> Parteiführung der NSDAP verbietet allen Mitgliedern die<br />

Vertretung von Juden vor Gericht gegen Deutsche, die Fürsprache<br />

für Juden bei staatlichen <strong>und</strong> anderen Stellen, das Ausstellen<br />

von Besche<strong>in</strong>igungen aller Art für Juden, die Annahme von<br />

jüdischen Geldmitteln für Parteizwecke, den Verkehr mit Juden<br />

<strong>in</strong> der Öffentlichkeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> Lokalen <strong>und</strong> das Tragen von Parteiabzeichen<br />

während der Tätigkeit <strong>in</strong> jüdischen Geschäften.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

16. Oktober<br />

steuerAnpAssunGsGesetz<br />

Als Organisationen, die kirchliche Zwecke verfolgen <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong> Recht auf Steuerbefreiung haben, werden nur noch christliche<br />

Organisationen anerkannt. Jüdische Schulen haben, im<br />

Gegensatz zu anderen vergleichbaren E<strong>in</strong>richtungen, ke<strong>in</strong> Recht<br />

auf Steuerermäßigung mehr.<br />

8. Dezember<br />

ApothekerVerordnunG<br />

Gemäß der neuen Prüfungsordnung für Apotheker ist „arische<br />

Abstammung“ e<strong>in</strong>e Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung.<br />

13. Dezember<br />

reichshABilitAtionsordnunG<br />

Zum Antrag für die Zulassung zur Habilitation ist e<strong>in</strong> Fragebogen<br />

über die „arische Abstammung“ des Bewerbers <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Ehefrau auszufüllen. Als Dozenten werden gr<strong>und</strong>sätzlich nur<br />

Personen zugelassen, die die Voraussetzungen des Beamtengesetzes<br />

erfüllen.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1935<br />

15. Januar<br />

richtl<strong>in</strong>ien für die<br />

rAssenpolitische schulunG der JuGend<br />

Im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP<br />

erlässt das Reichserziehungsm<strong>in</strong>isterium Richtl<strong>in</strong>ien für die<br />

rassenpolitische Schulung der Jugend. Dar<strong>in</strong> heißt es u. a.:<br />

„Zweck der Schulung soll se<strong>in</strong>, die Jugend über alle mit Vererbung<br />

<strong>und</strong> Rasse <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehenden Fragen zu unterrichten“,<br />

„das Verständnis zu wecken für die Bedeutung der<br />

Vererbungsersche<strong>in</strong>ungen für das Schicksal des deutschen<br />

Volkes“, <strong>und</strong> „das Verantwortungsgefühl der Jugend gegenüber<br />

der Gesamtheit des Volkes zu heben“.<br />

13. März<br />

VorBereitunG der AussonderunG<br />

Jüdischer schüler<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung wird die E<strong>in</strong>richtung besonderer <strong>jüdischer</strong><br />

Volksschulen angeregt. E<strong>in</strong> entsprechendes Gesetz ist<br />

<strong>in</strong> Vorbereitung. Zur Vorbereitung der strikten Trennung sollen<br />

die Schulleitungen e<strong>in</strong>e Statistik der „Rassenzugehörigkeit“ der<br />

Schüler anfertigen.<br />

16. März<br />

wiedere<strong>in</strong>führunG der<br />

AllGeme<strong>in</strong>en wehrpflicht<br />

Zur Wehrmacht können nur Personen „arischer Abstammung“<br />

e<strong>in</strong>gezogen werden. Genaueres wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Verordnung vom<br />

25. Juli geregelt.<br />

31. März<br />

BerufsVerBot für Jüdische<br />

musiker <strong>und</strong> Autoren<br />

<strong>Die</strong> Reichsmusikkammer ordnet an, dass die Arbeitserlaubnis von<br />

„nichtarischen“ Musikern nicht erneuert werden darf. Mit e<strong>in</strong>em<br />

Schreiben des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer wird<br />

allen jüdischen Autoren mitgeteilt, dass ihnen jede schriftstellerische<br />

<strong>und</strong> literarische Tätigkeit <strong>in</strong> Deutschland untersagt wird.<br />

9. Mai<br />

emiGrAtion<br />

Nach Angaben des Statistischen Reichsamts s<strong>in</strong>d seit Januar<br />

1933 etwa 90 000 Juden ausgewandert. H<strong>in</strong>zu kommen ungefähr<br />

20 000 nichtjüdische politische Emigranten.<br />

25. Juli<br />

lAndschulheime<br />

Der Reichsm<strong>in</strong>ister für Wissenschaft, Erziehung <strong>und</strong> Volksbildung<br />

ordnet an, dass „nichtarische“ Schüler nicht mehr mit<br />

ihrer Schulklasse <strong>in</strong> Landschulheime fahren dürfen.<br />

10. September<br />

AussonderunG Jüdischer schüler<br />

Der Reichsm<strong>in</strong>ister für Wissenschaft, Erziehung <strong>und</strong> Volksbildung,<br />

Rust, kündigt an, dass vom Schuljahr 1936 an e<strong>in</strong>e möglichst<br />

vollständige Rassentrennung an allen Schulen durchgeführt<br />

werden soll. Für jüdische Schüler sollen, soweit möglich,<br />

gesonderte öffentliche Volksschulen e<strong>in</strong>gerichtet werden.<br />

62


63<br />

15. September<br />

die soG. nürnBerGer Gesetze:<br />

dAs reichsBürGerGesetz <strong>und</strong> dAs<br />

„Gesetz zum schutze des deutschen<br />

Blutes <strong>und</strong> der deutschen ehre“.<br />

Im Reichsbürgergesetz wird unterschieden zwischen Staatsangehörigen<br />

<strong>und</strong> Reichsbürgern. Letzteres kann nur se<strong>in</strong>, wer<br />

„deutschen oder artverwandten Blutes“ ist. Nur die Reichsbürger<br />

s<strong>in</strong>d „Träger der vollen politischen Rechte nach Maßgabe<br />

der Gesetze“. Das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes<br />

<strong>und</strong> der deutschen Ehre verbietet Eheschließungen zwischen<br />

Juden <strong>und</strong> Personen „deutschen oder artverwandten Blutes“.<br />

Auch außerehelicher Verkehr zwischen Juden <strong>und</strong> Personen<br />

„deutschen oder artverwandten Blutes“ ist verboten. Juden dürfen<br />

ab 1. Januar 1936 ke<strong>in</strong>e weiblichen Personen „deutschen<br />

oder artverwandten Blutes“ unter 45 Jahren <strong>in</strong> ihrem Haushalt<br />

beschäftigen. Juden dürfen die Reichs- <strong>und</strong> Nationalfahne nicht<br />

hissen <strong>und</strong> die Nationalfarben nicht tragen.<br />

17. Oktober<br />

VerkAuf der k<strong>in</strong>os <strong>in</strong> Jüdischem Besitz<br />

<strong>Die</strong> Reichsfilmkammer ordnet an, dass jüdische K<strong>in</strong>obesitzer<br />

ihre Unternehmen bis zum 10. Dezember an „Arier“ verkaufen<br />

müssen.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

14. November<br />

erste VerordnunG zum<br />

reichsBürGerGesetz<br />

<strong>Die</strong> Verordnung def<strong>in</strong>iert, wer Jude <strong>und</strong> wer <strong>jüdischer</strong> Mischl<strong>in</strong>g<br />

ist: Er muss von m<strong>in</strong>destens drei der Rasse nach volljüdischen<br />

Großeltern abstammen. Jüdischer Mischl<strong>in</strong>g ist, wer von<br />

e<strong>in</strong>em oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen<br />

abstammt. E<strong>in</strong> Jude kann nicht Reichsbürger se<strong>in</strong>. Ihm steht<br />

ke<strong>in</strong> Stimmrecht <strong>in</strong> politischen Angelegenheiten zu; er kann ke<strong>in</strong><br />

öffentliches Amt bekleiden.<br />

Jüdische Beamte werden gezwungen, mit Ablauf des<br />

31. Dezember 1935 <strong>in</strong> den Ruhestand zu treten.<br />

21. Dezember<br />

zweite VerordnunG zum<br />

reichsBürGerGesetz<br />

Es wird bestimmt, dass Juden im S<strong>in</strong>ne der 1. Verordnung des<br />

Reichsbürgergesetz als Beamte aus dem <strong>Die</strong>nst ausscheiden<br />

müssen. Das gilt u. a. für <strong>Lehrer</strong> im öffentlichen Schuldienst <strong>und</strong><br />

an wissenschaftlichen Hochschulen, Honorar-professoren, außerordentliche<br />

Professoren <strong>und</strong> Privatdozenten, leitende Ärzte<br />

an öffentlichen <strong>und</strong> freien geme<strong>in</strong>nützigen Krankenhäusern <strong>und</strong><br />

Vertrauensärzte, Notare, Handelsrichter, Schöffen, Geschworene,<br />

Konkurs- <strong>und</strong> Zwangsverwalter, Angestellte von Körperschaften<br />

öffentlichen Rechts <strong>und</strong> Sozialversicherungen.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1936<br />

14. Februar<br />

lehrBefuGnis Jüdischer<br />

honorArprofessoren<br />

Durch Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung wird jüdischen Honorarprofessoren, nichtbeamteten<br />

außerordentlichen Professoren <strong>und</strong> Dozenten an<br />

wissenschaftlichen Hochschulen die Lehrbefugnis entzogen.<br />

Gleichzeitig ist ihnen auch die Weiterführung ihres Titels untersagt.<br />

Das gilt auch für jüdische Mischl<strong>in</strong>ge.<br />

3. April<br />

reichstierärzteordnunG<br />

In § 3 (2) der Reichstierärzteordnung wird festgelegt, dass als<br />

Tierarzt nicht zugelassen wird, wer wegen se<strong>in</strong>er oder se<strong>in</strong>es<br />

Ehegatten Abstammung nicht Beamter werden kann.<br />

4. Oktober<br />

r<strong>und</strong>erlAss des reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters<br />

Der Übertritt von Juden zum Christentum hat ke<strong>in</strong>e Bedeutung<br />

für die Rassenfrage. <strong>Die</strong> Möglichkeit der Tarnung der Abstammung<br />

durch Wechsel des religiösen Bekenntnisses wird vollständig<br />

verschw<strong>in</strong>den, sobald die Ämter für Rassenforschung<br />

ihre Tätigkeit aufnehmen.<br />

Nationalsozialistischer Rasseunterricht an deutschen Schulen<br />

64


65<br />

1937<br />

26. Januar<br />

neufAssunG des BeAmtenGesetzes<br />

Das neue Beamtengesetz ersetzt das Gesetz zur Wiederherstellung<br />

des Berufsbeamtentums. Es legt fest, dass Beamter<br />

nur werden kann, wer „deutschen oder artverwandten Blutes“<br />

ist <strong>und</strong> wenn er verheiratet ist, „e<strong>in</strong>en Ehegatten deutschen<br />

oder artverwandten Blutes“ hat. <strong>Die</strong> Heirat e<strong>in</strong>es Beamten mit<br />

e<strong>in</strong>er Person, die nicht „deutsches oder artverwandtes Blut“ hat,<br />

führt zum Verlust des Beamtenstatus.<br />

15. April<br />

Ausschluss Von der doktorprüfunG<br />

Auf Anordnung des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung werden Juden zur Doktorprüfung nicht mehr<br />

zugelassen. Im Bereich der Mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> der Zahnheilk<strong>und</strong>e können<br />

jüdische Mischl<strong>in</strong>ge den Doktortitel erwerben, wenn sie sich<br />

verpflichten, sofort danach Deutschland zu verlassen.<br />

2. Juli<br />

schulBesuch Jüdischer schulen<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung wird angeordnet, dass schulpflichtige jüdische<br />

Jugendliche <strong>und</strong> Mischl<strong>in</strong>ge am Pflichtunterricht der allgeme<strong>in</strong>en<br />

öffentlichen Schulen teilnehmen müssen, soweit ke<strong>in</strong>e<br />

jüdischen Privatschulen vorhanden s<strong>in</strong>d. Es wird aber den für<br />

das Schulwesen zuständigen Trägern empfohlen, besondere<br />

Schulen oder Sammelklassen für jüdische K<strong>in</strong>der zu errichten.<br />

Der Besuch der Wahlschulen (mittlere, höhere <strong>und</strong> Fachschulen)<br />

bleibt für jüdische Schüler auf 1,5 % der gesamten Neuaufnahmen<br />

beschränkt. An den Schulveranstaltungen außerhalb<br />

des planmäßigen Unterrichts (Ausflüge, Klassenreisen, Sportfeste<br />

usw.) dürfen jüdische Schüler nicht teilnehmen. Der Erlass<br />

befasst sich ferner mit der <strong>Lehrer</strong>ausbildung <strong>und</strong> bestimmt,<br />

dass Juden weder <strong>Lehrer</strong> noch Erzieher „deutscher Jugend“<br />

se<strong>in</strong> können; auch jüdische Mischl<strong>in</strong>ge seien für diesen Beruf<br />

nicht geeignet.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

24. Juli<br />

Ausschluss Aus heilBädern<br />

Jüdische Kurgäste s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Heilbädern nur zuzulassen, wenn die<br />

Möglichkeit besteht, sie getrennt von den übrigen Kurgästen <strong>in</strong><br />

jüdischen Kuranstalten, Hotels, Pensionen, Fremdenheimen<br />

oder dergl. unterzubr<strong>in</strong>gen. In diesen Betrieben darf deutschblütiges<br />

weibliches Personal unter 45 Jahren nicht beschäftigt<br />

werden. Es werden weitere Beschränkungen festgelegt, z. B.<br />

getrennte Benutzung von Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen durch<br />

jüdische Kurgäste.<br />

16. August<br />

BeAmtenGesetzGeBunG<br />

Der Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister ordnet an, dass Beamte, die jüdische<br />

Mischl<strong>in</strong>ge ersten Grades s<strong>in</strong>d oder mit Mischl<strong>in</strong>gen ersten<br />

Grades verheiratet s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> den Ruhestand versetzt werden.<br />

16. November<br />

reisepässe ohne AusreiseGenehmiGunG<br />

In e<strong>in</strong>em nicht veröffentlichten Erlass des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters<br />

wird bestimmt, dass Juden Reisepässe mit Geltung für das Ausland<br />

mit wenigen Ausnahmen nicht mehr ausgestellt werden.<br />

22. November<br />

BerufsAusBildunG der BeAmtenk<strong>in</strong>der<br />

In e<strong>in</strong>er vertraulichen Anweisung des Reichsjustizm<strong>in</strong>isters wird<br />

den Beamten mitgeteilt, dass es erwünscht sei, wenn Beamtenk<strong>in</strong>der,<br />

die ihre Berufsausbildung <strong>in</strong> jüdischen Geschäften oder<br />

Unternehmungen erhalten, diese dort unterbrechen.<br />

Offener Antisemitismus <strong>in</strong> der Schule „Alles Unheil kommt von den Juden!“<br />

(Quelle: Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal)


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1938<br />

4. Januar<br />

klAssifizierunG Von unternehmen<br />

Als Jüdisch<br />

In e<strong>in</strong>em nicht veröffentlichten Erlass des Wirtschaftsm<strong>in</strong>isteriums<br />

wird festgelegt, wann Betriebe als jüdisch bezeichnet werden:<br />

Der Gewerbebetrieb e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelfirma gilt als jüdisch, wenn<br />

der Inhaber Jude ist; der e<strong>in</strong>er offenen Handels- oder e<strong>in</strong>er<br />

Kommanditgesellschaft, wenn e<strong>in</strong> persönlich haftender Gesellschafter<br />

Jude ist. Der Gewerbebetrieb e<strong>in</strong>er juristischen Person<br />

gilt als jüdisch, wenn sich unter ihren gesetzlichen Vertretern<br />

Juden bef<strong>in</strong>den, wenn mehr als e<strong>in</strong> Viertel der Aufsichtsratsmitglieder<br />

Juden s<strong>in</strong>d, oder wenn Juden nach Kapital oder Stimmrecht<br />

<strong>in</strong> solchem Maß beteiligt s<strong>in</strong>d, dass ohne ihre Zustimmung<br />

ke<strong>in</strong>e Beschlüsse des obersten Verwaltungsorgans (Hauptversammlung<br />

usw.) gefasst werden können.<br />

5. Januar<br />

Gesetz üBer die änderunG<br />

Von fAmiliennAmen <strong>und</strong> VornAmen.<br />

E<strong>in</strong>e Namensänderung, die vor dem 30.1.33 genehmigt worden<br />

ist, kann bis Ende 1940 widerrufen werden, wenn sie nicht<br />

erwünscht ist. Durch den Widerruf verlieren auch diejenigen<br />

Personen den Namen, die ihr Recht zur Führung des Namens<br />

von den Personen ableiten, deren Namen geändert worden ist<br />

(Ehefrauen, Nachkommen). E<strong>in</strong> Erlass des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters<br />

drei Tage später stellt klar, dass Namensänderungen von<br />

Juden oder jüdischen Mischl<strong>in</strong>gen gr<strong>und</strong>sätzlich zu widerrufen<br />

s<strong>in</strong>d, da sie zur Verschleierung der Abstammung beitragen. Umgekehrt<br />

sollen Umbenennungen von „Ariern“, die als jüdisch geltende<br />

Namen hatten, gr<strong>und</strong>sätzlich bestätigt werden.<br />

18. Januar<br />

ABleGunG der reifeprüfunG<br />

Der Reichserziehungsm<strong>in</strong>ister ordnet an, dass jüdische Schüler<br />

die Reifeprüfung nur noch an jüdischen Privatschulen unter<br />

staatlicher Aufsicht ablegen dürfen. Im Zeugnis muss vermerkt<br />

werden, dass der Schüler e<strong>in</strong>e jüdische Schule besucht hat.<br />

1. Februar<br />

Gesetz zur änderunG des<br />

e<strong>in</strong>kommenssteuerGesetzes<br />

In § 32 wird festgelegt, dass für K<strong>in</strong>der, die Juden s<strong>in</strong>d, bei<br />

der Berechnung der E<strong>in</strong>kommenssteuer die übliche K<strong>in</strong>derermäßigung<br />

nicht mehr gewährt wird.<br />

26. April<br />

VerordnunG üBer die AnmeldunG<br />

des VermöGens Von Juden<br />

Alle Juden – sowie auch deren nichtjüdische Ehepartner – müssen<br />

bis zum 30. Juni 1938 ihr gesamtes <strong>in</strong>- <strong>und</strong> ausländisches<br />

Vermögen offenlegen, wenn es 5 000 RM übersteigt. Ausgenommen<br />

s<strong>in</strong>d Gegenstände zum persönlichen Gebrauch <strong>und</strong><br />

Hausrat, soweit es sich nicht um Luxusgegenstände handelt.<br />

Jede künftige Vermögensveränderung, die „über den Rahmen<br />

e<strong>in</strong>er angemessenen Lebensführung oder des regelmäßigen<br />

Geschäftsverkehrs h<strong>in</strong>ausgeht“, muss unverzüglich mitgeteilt<br />

werden. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis <strong>und</strong> Geldstrafe,<br />

<strong>in</strong> besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu zehn<br />

Jahren bestraft.<br />

30. April<br />

dienstordnunG für nichtBeAmtete<br />

BeschäftiGte Bei öffentlichen<br />

VerwAltunGen<br />

<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>stellung von Personen, die nicht deutschen oder artverwandten<br />

Blutes s<strong>in</strong>d oder mit solchen Personen verehelicht<br />

s<strong>in</strong>d, ist unzulässig. Bewerber um die E<strong>in</strong>stellung müssen e<strong>in</strong>en<br />

ausführlichen Fragebogen über ihre Abstammung <strong>und</strong> die Abstammung<br />

ihrer Ehefrau ausfüllen<br />

19. Mai<br />

personenstAndGesetz<br />

In der ersten Verordnung zur Ausführung des Personenstandgesetzes<br />

wird festgelegt, dass die frühere Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er jüdischen<br />

Religionsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> allen Personenstandsbüchern<br />

zu vermerken ist. Außerdem sollen Juden bei Eheschließungen<br />

von Nichtjuden <strong>und</strong> Mischl<strong>in</strong>gen zweiten Grades („Vierteljuden“)<br />

nicht als Zeugen mitwirken.<br />

9. Juni<br />

GAsthörerstAtus Bei VorlesunGen<br />

Juden wird verboten, als Gasthörer an deutschen Universitäten<br />

Vorlesungen zu hören.<br />

66


67<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1938 lebten In DeutschlanD runD 400 000 JuDen<br />

14. Juni<br />

Ausschluss Vom wirtschAftsleBen<br />

In e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>schreiben des Reichswirtschaftsm<strong>in</strong>isters wird<br />

mitgeteilt, dass der „Arierparagraph“ im Gebiet der Wirtschaft<br />

anzuwenden ist. E<strong>in</strong>e möglichst schnelle Ausschaltung der Juden<br />

auch aus der Wirtschaft ist anzustreben. <strong>Die</strong> Sparkassen<br />

werden aufgefordert, Juden <strong>und</strong> jüdischen Firmen ke<strong>in</strong>e Kredite<br />

mehr zu geben.<br />

20. Juni<br />

Ausschluss Aus dem wirtschAftsleBen<br />

Juden werden von Börsen <strong>und</strong> Großmärkten ausgeschlossen;<br />

die bisherigen Zulassungen werden ungültig.<br />

Vom 1. Februar 1933 bis zum 31. März 1936 haben r<strong>und</strong><br />

100 000 jüdische Menschen Deutschland verlassen, davon<br />

emigrierte etwa e<strong>in</strong> Drittel nach Paläst<strong>in</strong>a.<br />

22. Juni<br />

krAnkenhAusAufenthAlte<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters wird festgelegt, dass<br />

die Unterbr<strong>in</strong>gung von Juden <strong>in</strong> Krankenanstalten so auszuführen<br />

ist, dass die Gefahr von Rassenschande vermieden wird.<br />

Juden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> besonderen Zimmern unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

23. Juli<br />

kennkArtenpflicht<br />

Juden müssen bis zum 31. Dezember 1938 bei der zuständigen<br />

Polizeibehörde die Ausstellung e<strong>in</strong>er Kennkarte beantragen.<br />

Juden über 15 Jahren haben sich auf amtliche Anforderung jederzeit<br />

durch diese Kennkarte auszuweisen. Bei Anträgen an<br />

amtliche oder parteiamtliche <strong>Die</strong>nststellen, e<strong>in</strong>schließlich der polizeilichen<br />

Meldung, müssen sie unaufgefordert darauf h<strong>in</strong>weisen,<br />

dass sie Juden s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> ihre Kennkarte vorlegen.<br />

25. Juli<br />

BerufsVerBot für Jüdische ärzte<br />

In der vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz wird<br />

festgelegt, dass die Zulassungen aller jüdischen Ärzte<br />

am 30. September 1938 erlöschen. Danach können<br />

jüdische Ärzte nur noch (<strong>in</strong> Ausnahmefällen <strong>und</strong> mit widerruflicher<br />

Genehmigung des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters) als ‚Krankenbehandler‘<br />

für Juden tätig se<strong>in</strong>.<br />

27. Juli<br />

änderunG Von strAssennAmen<br />

Nach e<strong>in</strong>em Erlass des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums müssen sämtliche<br />

nach Juden <strong>und</strong> jüdischen Mischl<strong>in</strong>gen ersten Grades<br />

benannten Straßen unverzüglich umbenannt werden.<br />

17. August<br />

nAmensänderunGsVerordnunG<br />

In der zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die<br />

Änderung der Familiennamen <strong>und</strong> Vornamen wird festgelegt,<br />

dass Juden, die ke<strong>in</strong>en Vornamen haben, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vom Innenm<strong>in</strong>isterium<br />

herausgegebenen Liste als <strong>jüdischer</strong> Vorname<br />

angeführt ist, ab 1. Januar 1939 als zusätzlichen Vornamen den<br />

Namen „Israel“ (für männliche Personen) oder „Sara“ (für weibliche<br />

Personen) annehmen müssen.<br />

27. September<br />

BerufsVerBot für rechtsAnwälte<br />

In der 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz wird festgelegt,<br />

dass Juden nicht Rechtsanwalt se<strong>in</strong> dürfen. Soweit sie bereits<br />

tätig s<strong>in</strong>d, endet ihre Zulassung am 30. November 1938.<br />

Zur rechtlichen Beratung <strong>und</strong> Vertretung von Juden können<br />

jüdische Anwälte als sog. Konsulenten arbeiten.<br />

28. September<br />

BerufsVerBot für krAnkenpfleGer<br />

Krankenpfleger müssen „deutschen oder artverwandten Blutes“<br />

<strong>und</strong> „politisch zuverlässig“ se<strong>in</strong>. Juden dürfen die Krankenpflege<br />

nur an Juden oder <strong>in</strong> jüdischen Anstalten berufsmäßig ausüben.<br />

<strong>Die</strong> Ausbildung <strong>jüdischer</strong> Krankenschwestern <strong>und</strong> <strong>jüdischer</strong><br />

Krankenpfleger darf nur an jüdischen Krankenpflegeschulen erfolgen;<br />

Personen deutschen oder artverwandten Blutes dürfen<br />

dort nicht ausgebildet werden.<br />

5. Oktober<br />

kennzeichnunG der reisepässe<br />

Alle Reisepässe deutscher Juden werden für ungültig erklärt.<br />

<strong>Die</strong> Inhaber dieser Pässe s<strong>in</strong>d verpflichtet, sie der Passbehörde<br />

<strong>in</strong>nerhalb von zwei Wochen e<strong>in</strong>zureichen, damit sie dort mit<br />

e<strong>in</strong>em großen roten „J“ versehen werden. Erst danach werden<br />

die Pässe wieder gültig.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

6. Oktober<br />

Ausschluss Aus der reichsmusikkAmmer<br />

Juden werden aus der Reichsmusikkammer, dem letzten noch<br />

nicht vollständig „arisierten“ Bereich des Kulturschaffens, ausgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> Erteilung von Musikunterricht an jüdische<br />

Schüler wird untersagt.<br />

9. November<br />

soG. „reichskristAllnAcht“<br />

Pogromnacht nach dem Tod des am 7. November angeschossenen,<br />

am 9. November nachmittags verstorbenen deutschen<br />

Diplomaten Ernst von Rath <strong>in</strong> Paris. M<strong>in</strong>destens 91 Juden<br />

werden bei den Angriffen der Nationalsozialisten getötet.<br />

Ungefähr 20 000 Juden werden festgenommen <strong>und</strong> auf die<br />

Konzentrationslager Dachau, Buchenwald <strong>und</strong> Sachsenhausen<br />

verteilt.<br />

11. November<br />

ABschliessender Ausschluss Aller<br />

Juden Von uniVersitäten <strong>und</strong> schulen<br />

Der Reichserziehungsm<strong>in</strong>ister weist die Rektoren der deutschen<br />

Universitäten an, jüdische Studenten sofort zu beurlauben<br />

<strong>und</strong> ihnen das Betreten der Hochschule zu untersagen.<br />

Zugleich wird jüdischen Schülern mit sofortiger Wirkung<br />

der Besuch „deutscher Schulen“ verboten. Das betrifft <strong>in</strong> der<br />

Praxis nur noch wenige K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche, da die „Rassentrennung<br />

im Schulwesen“ schon weitgehend durchgeführt<br />

worden war.<br />

12. November<br />

VerordnunGen „zum schutz<br />

der deutschen rAsse“<br />

In der Verordnung über e<strong>in</strong>e „Sühneleistung“ der Juden deutscher<br />

Staatsangehörigkeit wird den Juden „<strong>in</strong> ihrer Gesamtheit“<br />

e<strong>in</strong>e Zahlung von e<strong>in</strong>er Milliarde Reichsmark auferlegt. In der<br />

Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen<br />

Wirtschaftsleben wird festgelegt, dass Juden vom 1. Januar<br />

1939 ab der Betrieb von E<strong>in</strong>zelhandelsverkaufstellen, Versandgeschäften<br />

oder Bestellkontoren sowie der selbständige Betrieb<br />

e<strong>in</strong>es Handwerks verboten ist. Ebenfalls ist ihnen verboten, auf<br />

Märkten, Messen oder Ausstellungen Waren oder gewerbliche<br />

Leistungen anzubieten, dafür zu werben oder Bestellungen anzunehmen.<br />

In der Verordnung zur „Wiederherstellung des Straßenbildes bei<br />

jüdischen Gewerbetrieben“ wird festgelegt, dass alle Schäden<br />

an jüdischen Geschäften <strong>und</strong> Wohnungen, die durch antisemitische<br />

Ausschreitungen während <strong>und</strong> nach der sog „Reichskristallnacht“<br />

entstanden s<strong>in</strong>d, von den jüdischen Inhabern selbst sofort<br />

zu beseitigen s<strong>in</strong>d. Sie haben selbst die Kosten dafür zu tragen.<br />

Goebbels untersagt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Präsident der<br />

Reichskulturkammer allen Theaterleitern, Konzert- <strong>und</strong> Vortragsveranstaltern,<br />

Filmtheaterunternehmern, artistischen Unternehmern,<br />

Veranstaltern von Tanzvorführungen <strong>und</strong> Veranstaltern<br />

öffentlicher Ausstellungen kultureller Art, jüdischen Personen<br />

den Besuch ihrer Unternehmen zu gestatten. Übertretungen<br />

ziehen für die Veranstalter <strong>und</strong> besonders für die Juden schwere<br />

Strafen nach sich.<br />

21. November<br />

durchführunGsVerordnunG<br />

„Jüdische sühneleistunG“<br />

Das Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium erlässt die Erste Durchführungsverordnung<br />

zu „jüdischen Sühneleistungen“. Abgabepflichtig s<strong>in</strong>d<br />

danach deutsche <strong>und</strong> staatenlose Juden, deren Vermögen nach<br />

Abzug der Verb<strong>in</strong>dlichkeiten über 5.000 RM liegt. <strong>Die</strong> Abgabe<br />

beträgt 20 % des Vermögens <strong>und</strong> wird <strong>in</strong> vier Teilbeträgen fällig.<br />

<strong>Die</strong> Abgabe hat gr<strong>und</strong>sätzlich durch Barzahlung zu erfolgen.<br />

<strong>Die</strong> Abgabepflichtigen können aber auch verpflichtet werden,<br />

Wertpapiere, Schmuck <strong>und</strong> Kunstgegenstände zu verkaufen.<br />

23. November<br />

AusschAltunG der Juden Aus<br />

dem deutschen wirtschAftsleBen<br />

In der ersten Durchführungsverordnung Ausschaltung der Juden<br />

aus dem deutschen Wirtschaftsleben wird festgelegt, dass E<strong>in</strong>zelhandelsverkaufsstellen,<br />

Versandgeschäfte oder Bestellkontore<br />

von Juden gr<strong>und</strong>sätzlich aufzulösen <strong>und</strong> abzuwickeln s<strong>in</strong>d.<br />

Soweit <strong>in</strong> besonderen Fällen zur Sicherstellung der Versorgung<br />

der Bevölkerung die Fortführung e<strong>in</strong>es Unternehmens nötig ist,<br />

kann es <strong>in</strong> nichtjüdisches Eigentum überführt werden. Der Verkauf<br />

oder die Versteigerung von Waren an letzte Verbraucher<br />

s<strong>in</strong>d nicht zulässig.<br />

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69<br />

28. November<br />

polizeiVerordnunG üBer dAs Auftreten<br />

der Juden <strong>in</strong> der öffentlichkeit<br />

<strong>Die</strong>se Polizeiverordnung legt fest, dass im ganzen deutschen<br />

Reich (<strong>in</strong>kl. Österreich, Saarland, Sudetenland) Juden deutscher<br />

Staatsangehörigkeit <strong>und</strong> staatenlosen Juden verboten werden<br />

kann, bestimmte Bezirke zu betreten oder sich zu bestimmten<br />

Zeiten <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu zeigen. Vorsätzliche oder fahrlässige<br />

Zuwiderhandlungen können mit Geldstrafe bis zu 150 RM<br />

oder mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft werden.<br />

3. Dezember<br />

Verh<strong>in</strong>derunG Von moBilität<br />

Juden wird das Führen <strong>und</strong> Halten von PKWs <strong>und</strong> Krafträdern<br />

verboten. Führersche<strong>in</strong>e <strong>und</strong> KFZ-Papiere müssen bis spätestens<br />

31. Dezember zurückgegeben werden.<br />

VerordnunG üBer den e<strong>in</strong>sAtz<br />

des Jüdischen VermöGens<br />

<strong>Die</strong> Verordnung gibt den höheren Verwaltungsbehörden die<br />

Ermächtigung, Juden zum Verkauf oder zur Abwicklung ihres<br />

gewerblichen Betriebes sowie zur Veräußerung ihres Gr<strong>und</strong>besitzes<br />

<strong>und</strong> ihrer sonstigen Vermögensteile zu zw<strong>in</strong>gen. Juden<br />

können künftig Gr<strong>und</strong>stücke <strong>und</strong> Rechte an Gr<strong>und</strong>stücken nicht<br />

mehr erwerben. Für Wertpapiere wird der Depotzwang e<strong>in</strong>geführt,<br />

d. h. Juden müssen ihre gesamten Wertpapiere u. ä. b<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>er Woche <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Depot bei e<strong>in</strong>er Devisenbank e<strong>in</strong>liefern.<br />

Juden wird es gesetzlich verboten, Gold, Plat<strong>in</strong>, Silber, Edelste<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> Perlen zu erwerben oder frei zu veräußern.<br />

5. Dezember<br />

reduzierunG der ruheGehälter<br />

<strong>Die</strong> Ruhegehälter ausgeschiedener <strong>jüdischer</strong> Beamter werden<br />

heruntergesetzt.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

17. Dezember<br />

unterrichtunG Jüdischer k<strong>in</strong>der<br />

In e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternen Erlass des Reichserziehungsm<strong>in</strong>isters heißt<br />

es: „E<strong>in</strong>e Neuregelung der Unterhaltung <strong>jüdischer</strong> Schulen ist<br />

<strong>in</strong> Aussicht genommen. Da es nicht angeht, die schulpflichtigen<br />

Juden <strong>in</strong> der Zwischenzeit ganz ohne Unterricht zu lassen,<br />

ist dafür zu sorgen, dass die bisherigen Schule<strong>in</strong>richtungen für<br />

Juden bis auf weiteres erhalten bleiben. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> den Schulgebäuden<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Volksschulen e<strong>in</strong>gerichteten Sammelklassen<br />

s<strong>in</strong>d jedoch, wenn andere Räumlichkeiten nicht zur Verfügung<br />

stehen, aufzulösen, da e<strong>in</strong> Unterricht an deutschen <strong>und</strong><br />

jüdischen Schüler im gleichen Gebäude nicht mehr <strong>in</strong> Betracht<br />

kommen kann“.<br />

Von der Zahlung von Zuschüssen an jüdische Privatschulen aus<br />

Mitteln des Staates wird künftig abgesehen. Soweit die <strong>Lehrer</strong><br />

<strong>jüdischer</strong> Schulen (mit Ausnahme der nach Absatz 2 aufgelösten<br />

Sammelklassen für jüdische Schüler) ihr Gehalt bisher aus<br />

der Staatskasse oder e<strong>in</strong>er anderen öffentlichen Kasse (...) erhalten<br />

haben, ist dieses bis auf weiteres weiterzuzahlen.“<br />

Werbeanzeige zur Geschäftsübernahme e<strong>in</strong>es jüdischen Hosen-Geschäfts.<br />

(Quelle: Rh. LZ, 2.10.1938)


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1939<br />

5. Januar<br />

AuflösunG Jüdischer orGAnisAtionen<br />

Alle politischen Organisationen der Juden, auch die Zionistische<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> der Central-Vere<strong>in</strong> deutscher Staatsbürger<br />

jüdischen Glaubens, werden vom Reichsführer-SS He<strong>in</strong>rich<br />

Himmler für aufgelöst erklärt.<br />

18. Januar<br />

AnlAGe e<strong>in</strong>er BeVölkerunGskArtei<br />

Der Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister ordnet die Anlage e<strong>in</strong>er Bevölkerungskartei<br />

an. Sie soll alle E<strong>in</strong>wohner im Alter von 5 bis 70 Jahren<br />

umfassen; außerdem sollen die Schulen e<strong>in</strong>e Schülerkartei anlegen.<br />

<strong>Die</strong> Karten von Juden werden mit dem Buchstaben „J“<br />

gekennzeichnet.<br />

21. Februar<br />

ABGABe des eiGentums<br />

In der dritten Anordnung auf Gr<strong>und</strong> der Verordnung über die Anmeldung<br />

des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 wird bestimmt,<br />

dass alle Juden die <strong>in</strong> ihrem Eigentum bef<strong>in</strong>dlichen Gegenstände<br />

aus Gold, Plat<strong>in</strong> oder Silber (außer Eher<strong>in</strong>gen) sowie<br />

Edelste<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Perlen b<strong>in</strong>nen zwei Wochen an die vom Reich<br />

e<strong>in</strong>gerichteten öffentlichen Ankaufsstellen abliefern müssen.<br />

22. Februar<br />

e<strong>in</strong>zuG der führersche<strong>in</strong>e<br />

In e<strong>in</strong>er vertraulichen Anordnung des Reichsverkehrsm<strong>in</strong>isteriums<br />

wird festgelegt, dass Führersche<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Kraftfahrzeugsche<strong>in</strong>e,<br />

die für Juden ausgestellt s<strong>in</strong>d, sofort e<strong>in</strong>zuziehen s<strong>in</strong>d.<br />

25. Februar<br />

sondersteuer für emiGrAnten<br />

Der Reichsführer SS He<strong>in</strong>rich Himmler legt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Geheimerlass<br />

die Kostendeckung der Emigration der deutschen Juden<br />

fest. Um die Auswanderung bedürftiger Juden zu ermöglichen,<br />

ist e<strong>in</strong>e Auswanderungssteuer von wohlhabenden jüdischen<br />

Auswanderern zu erheben. Mit der Errichtung der Reichsvere<strong>in</strong>igung<br />

der Juden <strong>in</strong> Deutschland wird ihr die E<strong>in</strong>treibung der<br />

Steuer übertragen. Himmler ordnet an, dass die Aushändigung<br />

der Pässe zurückzustellen ist, bis der Auswanderungswillige e<strong>in</strong>e<br />

Bestätigung beibr<strong>in</strong>gt, dass er die Steuer <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e sonstigen<br />

Schulden bei der Reichsvere<strong>in</strong>igung gezahlt hat.<br />

4. März<br />

ArBeitsdienst<br />

In der Verordnung des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung<br />

<strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung wird festgelegt, dass<br />

unbeschäftigte Juden zu harter körperlicher Arbeit <strong>in</strong> Gruppen,<br />

aber abgesondert von den übrigen Beschäftigten, herangezogen<br />

werden sollen.<br />

30. April<br />

Gesetz üBer mietVerhältnisse mit Juden<br />

Juden können sich auf den gesetzlichen Mieterschutz nicht berufen,<br />

wenn der Vermieter durch e<strong>in</strong>e Besche<strong>in</strong>igung der Geme<strong>in</strong>debehörde<br />

nachweist, dass e<strong>in</strong>e „anderweitige Unterbr<strong>in</strong>gung“<br />

sichergestellt ist. Ebenso können Mietverträge vorzeitig gekündigt<br />

werden. Juden dürfen nur an Juden untervermieten; sie<br />

müssen <strong>in</strong> ihren Wohnräumen auf Verlangen der Geme<strong>in</strong>debehörde<br />

andere Juden als Mieter oder Untermieter aufnehmen. In<br />

der Folge werden viele Wohnungen von Juden beschlagnahmt;<br />

„Judenhäuser“ <strong>und</strong> jüdische Wohngebiete werden e<strong>in</strong>gerichtet.<br />

Nach Kriegsbeg<strong>in</strong>n müssen viele Juden Deportierte <strong>und</strong> Vertriebene<br />

aus anderen Gebieten <strong>in</strong> ihren Wohnungen aufnehmen.<br />

17. Mai<br />

VolkszählunG<br />

Zugleich mit e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Volkszählung im Deutschen Reich<br />

f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Sonderzählung der Juden <strong>und</strong> „Mischl<strong>in</strong>ge“ im S<strong>in</strong>ne<br />

der deutschen Rassengesetzgebung statt. Demnach leben im<br />

Gebiet des Altreichs 218 000 „Glaubensjuden“ sowie 19 716<br />

Juden anderer oder ohne Religionszugehörigkeit. Zusammen<br />

machen sie 0,35 % der Bevölkerung des Reichsgebiets von<br />

1937 aus. Das entspricht e<strong>in</strong>em Rückgang der „Glaubensjuden“<br />

gegenüber 1933 um 56,77 %. 35,3 % (82 457) der deutschen<br />

Juden leben zu dieser Zeit <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Es folgen Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

mit 14 191 jüdischen E<strong>in</strong>wohnern, Breslau mit 10 848, Hamburg<br />

mit 9 943 <strong>und</strong> Köln mit 8 406.<br />

70


71<br />

4. Juli<br />

reichsVere<strong>in</strong>iGunG der Juden<br />

<strong>in</strong> deutschlAnd (rVJd)<br />

<strong>Die</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland (RVJD) wird<br />

als förmlicher Zwangsverband anstelle der nach dem Novemberpogrom<br />

1938 aufgelösten Reichsvertretung der deutschen<br />

Juden gebildet. Der RVJD wird auch das Schulwesen <strong>und</strong> die<br />

Wohlfahrtstätigkeit übertragen. Sie untersteht der Aufsicht des<br />

Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums. Als vorrangiger Zweck wird festgelegt,<br />

„die Auswanderung der Juden zu fördern“.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1939 lebten In DeutschlanD runD 240 000 JuDen<br />

1. August<br />

Ausschluss Von lotterien<br />

Der Verkauf von Losen an Juden wird verboten; Gew<strong>in</strong>ne werden<br />

an diese nicht ausgezahlt.<br />

16. August<br />

kontrolle des VermöGens<br />

Juden müssen ihr gesamtes Vermögen auf besondere Konten<br />

bei zugelassenen Devisenbanken e<strong>in</strong>zahlen. <strong>Die</strong> Abhebung von<br />

den Konten ist genehmigungspflichtig. Auf diese Depots s<strong>in</strong>d<br />

auch alle Beträge e<strong>in</strong>zuzahlen, die Juden <strong>in</strong> Zukunft erhalten.<br />

1. September<br />

BeG<strong>in</strong>n des 2. weltkieGs<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsführers SS He<strong>in</strong>rich Himmler wird<br />

festgelegt, dass die jüdischen Kultusgeme<strong>in</strong>den verpflichtet s<strong>in</strong>d,<br />

Luftschutzräume aus eigenen Mitteln zu errichten. Den jüdischen<br />

Geme<strong>in</strong>den soll mitgeteilt werden, dass Juden nach 8 Uhr abends<br />

nicht ausgehen dürfen. <strong>Die</strong> Anweisung ist nicht zu veröffentlichen.<br />

12. September<br />

e<strong>in</strong>schränkunG des leBensmittelkAufs<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Chefs der Sicherheitspolizei wird festgelegt,<br />

Juden besondere Geschäfte für den Kauf von Lebensmitteln<br />

zuzuweisen. Geschäfts<strong>in</strong>haber muss e<strong>in</strong> zuverlässiger arischer<br />

Kaufmann se<strong>in</strong>, der von der Staatspolizeistelle <strong>und</strong> der Partei als<br />

e<strong>in</strong>wandfrei bezeichnet wird. Wo Juden noch <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Gruppen<br />

wohnhaft s<strong>in</strong>d, ist e<strong>in</strong>e Durchsuchung nach „Hamsterwaren“<br />

vorzunehmen. Sollte e<strong>in</strong> Jude im Besitz solcher Waren se<strong>in</strong>, s<strong>in</strong>d<br />

sie zu beschlagnahmen, er selbst ist <strong>in</strong> Schutzhaft zu nehmen.<br />

20. September<br />

VerBot des Besitzes Von<br />

r<strong>und</strong>funkempfänGern<br />

Juden deutscher Staatsangehörigkeit <strong>und</strong> staatenlosen Juden<br />

wird der Besitz von R<strong>und</strong>funkempfängern verboten. Das Verbot<br />

gilt auch für Nichtjuden, die <strong>in</strong> mehrheitlich von Juden bewohnten<br />

Häusern leben <strong>und</strong> für „Mischl<strong>in</strong>ge“. <strong>Die</strong> Betroffenen s<strong>in</strong>d<br />

verpflichtet, ihre Geräte entschädigungslos abzuliefern.<br />

20. Oktober<br />

elim<strong>in</strong>ierunG Aus der<br />

wissenschAftlichen literAtur<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichswissenschaftsm<strong>in</strong>isters dürfen <strong>in</strong><br />

Dissertationen jüdische Autoren nur noch dann zitiert werden,<br />

wenn es aus wissenschaftlichen Gründen unumgänglich ist. In<br />

solchen Fällen muss hervorgehoben werden, dass es sich um<br />

Juden handelt. Im Literaturverzeichnis s<strong>in</strong>d deutsche <strong>und</strong> jüdische<br />

Verfasser zu trennen.<br />

29. November<br />

Von der VerfolGunG zur ermordunG<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsführers-SS He<strong>in</strong>rich Himmler wird<br />

festgelegt, dass „Juden <strong>und</strong> Polen, die aus e<strong>in</strong>em Gebiet des<br />

Deutschen Reiches <strong>in</strong> das Generalgouvernement umgesiedelt<br />

wurden, aber entgegen dem Umsiedlungsbefehl auf dem Gebiet<br />

des Deutschen Reiches, wenn auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Prov<strong>in</strong>z<br />

aufhalten, sofort standrechtlich zu erschießen s<strong>in</strong>d.“<br />

1. Dezember<br />

leBensmittelrAtionen<br />

Der Reichslandwirtschaftsm<strong>in</strong>ister ordnet an, dass Juden ke<strong>in</strong>e<br />

Lebensmittel-Sonderrationen (weniger Fleisch <strong>und</strong> Butter,<br />

ke<strong>in</strong>en Kakao, ke<strong>in</strong>en Reis) für die Zeit vom 18. Dezember<br />

1939 bis 14. Januar 1940 erhalten.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1940<br />

3. Januar<br />

streichunG soG. sonderrAtionen<br />

Auf Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Landwirtschaft werden die<br />

sog. „Sonderrationen“ (Fleisch <strong>und</strong> Gemüse) für den Zuteilungszeitraum<br />

15. Januar bis 4. Februar 1940 den jüdischen Bürger<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Bürgern erneut gekürzt.<br />

23. Januar<br />

Ausschluss Von der VerGABe<br />

Von kleiderkArten<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichswirtschaftsm<strong>in</strong>isters wird festgelegt,<br />

dass Juden ke<strong>in</strong>e Reichskleiderkarte erhalten. An Juden s<strong>in</strong>d<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich ke<strong>in</strong>e Bezugssche<strong>in</strong>e für Textilien, Schuhe <strong>und</strong> Sohlenmaterial<br />

mehr abzugeben. <strong>Die</strong> Versorgung der Juden mit Kleidung<br />

soll durch die Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland<br />

bzw. durch den Erwerb von bezugssche<strong>in</strong>freien Altwaren erfolgen.<br />

9. Februar<br />

ABGABe der honorAre<br />

Jüdische Krankenbehandler <strong>und</strong> Konsulenten (ehemalige Ärzte<br />

oder Anwälte, die nur noch für Juden arbeiten dürfen) dürfen<br />

über ihre E<strong>in</strong>nahmen nicht mehr frei verfügen. <strong>Die</strong> nach amtlicher<br />

Ansicht nicht zur Ausübung der Praxis erforderlichen Mittel<br />

müssen auf „Sicherungskonten“ e<strong>in</strong>gezahlt werden, auf die die<br />

Betroffenen nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt zugreifen können.<br />

15. Februar<br />

BeG<strong>in</strong>n der deportAtion<br />

Ohne Vorankündigung werden <strong>in</strong> Stett<strong>in</strong> über 1 000 jüdische<br />

Menschen jeden Alters mitten <strong>in</strong> der Nacht von der Polizei aus<br />

ihren Wohnungen getrieben <strong>und</strong> zum Bahnhof gebracht. Sie<br />

werden nach Lubl<strong>in</strong> im Osten des Generalgouvernements abtransportiert.<br />

Es handelt sich um die erste Deportation aus dem<br />

„Altreich“ <strong>in</strong> das Generalgouvernement (besetztes polnisches<br />

Staatsgebiet).<br />

11. März<br />

weitere VerschlechterunG<br />

der ernährunGslAGe<br />

Durch e<strong>in</strong>en Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Ernährung <strong>und</strong><br />

Landwirtschaft wird festgelegt, dass Lebensmittelkarten für<br />

Juden mit dem Buchstaben „J“ gekennzeichnet werden sollen.<br />

Juden werden vom Erwerb nicht rationierter, meist kaum erhältlicher<br />

Lebensmittel wie Hühner, Fische, geräucherte Lebensmittel<br />

ausgeschlossen.<br />

4. April<br />

AusGAnGssperre<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichssicherheitshauptamts wird Juden<br />

verboten, <strong>in</strong> der Zeit vom 1. April bis 30. September zwischen<br />

21 Uhr abends <strong>und</strong> 5 Uhr morgens, sowie <strong>in</strong> der Zeit vom<br />

1. Oktober bis 31. März zwischen 20 Uhr abends <strong>und</strong> 6 Uhr<br />

morgens ihre Wohnungen zu verlassen.<br />

3. Juni<br />

ArBeitsrechtliche e<strong>in</strong>schränkunGen<br />

Nach e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsarbeitsm<strong>in</strong>isteriums erhalten<br />

Juden ke<strong>in</strong>e Vergünstigungen wie deutsche Arbeiter, z. B. Lohnzahlungen<br />

für Feiertage, Lohnzuschlag für Arbeit an Feiertagen,<br />

Sonderbeihilfen zu Geburten oder Heiraten, Sterbegelder, Weihnachtsgratifikationen.<br />

19. Juli<br />

telefonsperre<br />

Auf Erlass des Reichspostm<strong>in</strong>isters dürfen Juden ke<strong>in</strong> Telefon<br />

mehr besitzen; bis zum 30. September s<strong>in</strong>d ihre Anschlüsse<br />

zu kündigen.<br />

17. September<br />

Juden <strong>in</strong> deutschlAnd <strong>und</strong><br />

den Besetzten GeBieten<br />

In e<strong>in</strong>er Arbeitsbesprechung im Propagandam<strong>in</strong>isterium werden<br />

folgende Zahlen für die jüdische Bevölkerung im deutschen<br />

Machtbereich genannt: Im Altreich e<strong>in</strong>schließlich der<br />

neu gewonnenen Ostprov<strong>in</strong>zen 743 000 Menschen. Im Generalgouvernement<br />

2,3 Millionen. Im Protektorat 77 000. In<br />

Belgien 80 000. In den Niederlanden 160 000. In Luxemburg<br />

2 500. In Frankreich 270 000. Zusammen r<strong>und</strong><br />

4 Millionen Menschen.<br />

24. Dezember<br />

soziAlAusGleichsABGABe<br />

Juden wird vom Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>e „Sozialausgleichsabgabe“<br />

auferlegt. Sie beträgt neben der E<strong>in</strong>kommenssteuer<br />

weitere 15 % des E<strong>in</strong>kommens.<br />

72


73<br />

1941<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1941 lebten In DeutschlanD runD 164 000 JuDen<br />

3. März<br />

schulpflicht Jüdischer k<strong>in</strong>der<br />

Nach Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung müssen alle jüdischen K<strong>in</strong>der ihre Schulpflicht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> den von Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong><br />

Deutschland unterhaltenen Schulen erfüllen. <strong>Die</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung<br />

ist angewiesen, die Schulerziehung <strong>in</strong> größeren Orten<br />

zu konzentrieren <strong>und</strong> alle Zwergschulen aufzulösen. Genehmigung<br />

für Privatunterricht soll nicht erteilt werden. <strong>Die</strong> Kosten für<br />

den Schulbesuch <strong>jüdischer</strong> K<strong>in</strong>der außerhalb ihres Wohnsitzes<br />

sollen, soweit die Eltern dazu nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, von der<br />

Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden getragen werden.<br />

20. April<br />

weitere VerschlechterunG<br />

der ernährunGslAGe<br />

In e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>schreiben des Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isters wird festgelegt,<br />

dass Lebensmittel, die Juden <strong>in</strong> Paketen aus dem Ausland<br />

erhalten, von ihren Lebensmittelzuteilungen abzuziehen s<strong>in</strong>d.<br />

26. April<br />

konzentrAtion Jüdischer schulen<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsm<strong>in</strong>isters für Wissenschaft, Erziehung<br />

<strong>und</strong> Volksbildung wird festgelegt, dass die Reichsvere<strong>in</strong>igung<br />

der Juden <strong>in</strong> Deutschland dafür zu sorgen hat, ihre Schulen <strong>in</strong><br />

großen Städten zu konzentrieren <strong>und</strong> die Zwergschulen aufzulösen.<br />

Für Privatunterricht wird ke<strong>in</strong>e Genehmigung mehr erteilt.<br />

1. Mai<br />

Nach Angaben der Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland<br />

leben im „Altreich“ noch 168 972 jüdische Menschen.<br />

26. Juni<br />

zusAtzsche<strong>in</strong>e für seife<br />

Juden sollen <strong>in</strong> Zukunft ke<strong>in</strong>e Zusatzsche<strong>in</strong>e für Seife <strong>und</strong> Rasierseife<br />

erhalten.<br />

14. Juli<br />

deportAtion<br />

Der Verkehrsm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Generaldirektor der Deutschen<br />

Reichsbahn teilt den zuständigen Stellen der Reichsbahn mit,<br />

dass bei Anforderung Sonderzüge für folgende Zwecke als<br />

kriegs- <strong>und</strong> lebenswichtig bereitzustellen seien: Züge für den<br />

Häftl<strong>in</strong>gstransport <strong>in</strong> oder aus e<strong>in</strong>em Konzentrationslager <strong>und</strong><br />

Züge für den Transport von Geisteskranken wegen der Überführung<br />

oder Räumung e<strong>in</strong>er Anstalt.<br />

2. August<br />

Ausschluss Aus leihBüchereien<br />

Den Juden wird die Benutzung der allgeme<strong>in</strong>en Leihbüchereien<br />

verboten.<br />

31. August<br />

Im „Altreich“ (<strong>in</strong> den Grenzen von 1937) leben nach Angaben<br />

der Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden 164 407 jüdische Menschen,<br />

dazu 1 660 im Sudetengau <strong>und</strong> 231 <strong>in</strong> Danzig. In Berl<strong>in</strong> gibt es<br />

73 153, <strong>in</strong> Frankfurt/M. knapp 11 000, <strong>in</strong> Hamburg annähernd<br />

10 000, <strong>in</strong> Breslau r<strong>und</strong> 8 000, <strong>in</strong> Köln 6 000 Juden.<br />

1. September<br />

polizeiVerordnunG üBer<br />

die kennzeichnunG Von Juden<br />

Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten,<br />

sich <strong>in</strong> der Öffentlichkeit ohne den amtlichen „Judenstern“ zu<br />

zeigen. Er besteht aus e<strong>in</strong>em handtellergroßen gelben Stoffstern<br />

mit der Aufschrift „Jude“, der sichtbar auf der l<strong>in</strong>ken Brustseite<br />

des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen ist. Juden dürfen<br />

ohne schriftliche Erlaubnis der zuständigen Ortspolizeibehörde<br />

den Bereich ihrer Wohngeme<strong>in</strong>de nicht verlassen. Sie dürfen<br />

ke<strong>in</strong>e Orden, Ehrenzeichen oder sonstigen Abzeichen tragen.<br />

<strong>Die</strong> Verordnung tritt 14 Tage nach ihrer Verkündung <strong>in</strong> Kraft.<br />

18. September<br />

BenutzunG öffentlicher Verkehrsmittel<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichsverkehrsm<strong>in</strong>isters wird festgelegt,<br />

dass Juden e<strong>in</strong>er polizeilichen Erlaubnis zum Verlassen ihres<br />

Wohnorts <strong>und</strong> für Fahrten <strong>in</strong> bestimmten Verkehrsmitteln an<br />

ihrem Wohnort bedürfen; der Erlaubnissche<strong>in</strong> ist vorzuzeigen.<br />

Juden wird untersagt, Schlafwagen der Reichsbahn zu benutzen<br />

<strong>und</strong> Speisewagen zu besuchen. Juden dürfen die übrigen


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

öffentlichen Verkehrsmittel nur dann benutzen, wenn es noch<br />

Platz für sie gibt, ke<strong>in</strong>esfalls aber <strong>in</strong> der Zeit der größten Belastung.<br />

Juden dürfen nur <strong>in</strong> den niedrigen Klassen fahren <strong>und</strong><br />

Sitzplätze nur e<strong>in</strong>nehmen, wenn andere Reisende nicht mehr<br />

stehen. <strong>Die</strong> Benutzung von Warteräumen <strong>und</strong> aller übrigen<br />

öffentlichen E<strong>in</strong>richtungen der Verkehrsmittel ist ihnen nur unter<br />

Beschränkungen gestattet.<br />

18. Oktober<br />

deportAtion<br />

Mit dem Abtransport von 500 Juden nach Polen beg<strong>in</strong>nen die<br />

vom Reichssicherheitshauptamt bis März 1945 organisierten<br />

Deportationen aus dem Deutschen Reich.<br />

23. Oktober<br />

VerBot der emiGrAtion<br />

Gestapo-Chef Müller weist die <strong>Die</strong>nststellen der Sicherheitspolizei<br />

auf Anordnung des Reichsführers-SS He<strong>in</strong>rich Himmler an,<br />

dass dieser angeordnet habe, die Auswanderung von Juden mit<br />

sofortiger Wirkung zu verh<strong>in</strong>dern. <strong>Die</strong> „Evakuierungsmaßnahmen“<br />

blieben hiervon unberührt.<br />

24. Oktober<br />

AusGrenzunG<br />

Anordnung des Reichshauptamts an die Landräte <strong>und</strong> Bürgermeister:<br />

„Wie <strong>in</strong> der letzten Zeit wiederholt bekannt geworden<br />

ist, unterhalten deutschblütige Personen nach wie vor fre<strong>und</strong>schaftliche<br />

Beziehungen zu Juden <strong>und</strong> zeigen sich mit diesen<br />

<strong>in</strong> auffälliger Weise <strong>in</strong> der Öffentlichkeit. Da die betreffenden<br />

Deutschblütigen auch heute noch den elementarsten Gr<strong>und</strong>begriffen<br />

des Nationalsozialismus verständnislos gegenüberzustehen<br />

sche<strong>in</strong>en <strong>und</strong> ihr Verhalten als Missachtung der staatlichen<br />

Maßnahmen anzusehen ist, ordne ich an, dass bei derartigen Vorkommnissen<br />

der deutschblütige Teil vorübergehend <strong>in</strong> Schutzhaft<br />

zu nehmen bzw. <strong>in</strong> schwerwiegenden Fällen bis zur Dauer<br />

von drei Monaten <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager, Stufe I, e<strong>in</strong>zuweisen<br />

ist. Der jüdische Teil ist <strong>in</strong> jedem Falle bis auf weiteres unter<br />

E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager <strong>in</strong> Schutzhaft zu nehmen.“<br />

31. Oktober<br />

ArBeitsrechtliche diskrim<strong>in</strong>ierunG<br />

<strong>Die</strong> Verordnung des Reichsarbeitsm<strong>in</strong>isters zur Durchführung<br />

der Verordnung über Beschäftigung von Juden regelt die wichtigsten<br />

arbeitsrechtlichen Fragen bei e<strong>in</strong>er Beschäftigung von<br />

Juden. Sie geht hierbei davon aus, dass „der Jude als Artfremder<br />

nicht Mitglied e<strong>in</strong>er deutschen Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft se<strong>in</strong><br />

kann, die sich auf dem Gr<strong>und</strong>satz der gegenseitigen Treuepflicht<br />

aller im Betrieb Schaffenden aufbaut.“<br />

<strong>Die</strong> meisten Arbeits- <strong>und</strong> Sozialgesetze gelten nicht für Beschäftigungsverhältnisse<br />

von Juden. Juden haben Anspruch auf<br />

Vergütung nur für die tatsächlich geleistete Arbeit; die Fortzahlung<br />

des Arbeitsverdienstes ohne Arbeitsleistung ist unzulässig.<br />

E<strong>in</strong> Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts <strong>in</strong> Krankheitsfällen<br />

oder auf Zuschusszahlungen zum Krankengeld besteht nicht.<br />

Besteht e<strong>in</strong> Anspruch auf Urlaub oder Familienheimfahrt, so beschränkt<br />

er sich auf die Gewährung von unbezahlter Freizeit.<br />

Jüdische Beschäftigte haben ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Zuschläge<br />

zum Lohn oder Gehalt für Arbeit, die an Sonn- oder Feiertagen<br />

geleistet wird sowie für Überst<strong>und</strong>en. Jüdischen Beschäftigten<br />

dürfen ke<strong>in</strong>e Familien- oder K<strong>in</strong>derzulagen, Geburten- oder<br />

Heiratsbeihilfen, Sterbegelder, Weihnachtszuwendungen, Abschlussgratifikationen,<br />

Jubiläumsgaben, Treuegeld, dreizehntes<br />

Monatsgehalt, Abf<strong>in</strong>dungen u. ä. gewährt werden. <strong>Die</strong> Gewährung<br />

von tariflichen oder betrieblichen Leistungen aus Anlass<br />

e<strong>in</strong>er Geburt (Wochenhilfe) ist unzulässig.<br />

Betriebsvere<strong>in</strong>barungen zur Altersversorgung dürfen mit Juden<br />

nicht getroffen werden. „Trennungs- <strong>und</strong> Unterkunftsgelder sowie<br />

Auslösungen <strong>und</strong> Zehrgelder dürfen jüdischen Beschäftigten<br />

nur mit Zustimmung des für den Betrieb zuständigen Reichstreuhänders<br />

der Arbeit gewährt werden.“ Der Arbeitgeber kann<br />

das Beschäftigungsverhältnis mit Juden, abgesehen von den<br />

Fällen der fristlosen Entlassung, jederzeit zum Schluss des folgenden<br />

Werktags kündigen, „soweit nicht besondere Vorschriften<br />

über die Kündigung auch auf das Beschäftigungsverhältnis<br />

von Juden für anwendbar erklärt s<strong>in</strong>d.“<br />

Juden müssen die ihnen von den Arbeitsämtern zugewiesenen<br />

Beschäftigungen annehmen. Sie dürfen nur gruppenweise zur<br />

Arbeit e<strong>in</strong>gesetzt werden; das Landesarbeitsamt kann Ausnahmen<br />

zulassen. „Jüdische Beschäftigte s<strong>in</strong>d von der übrigen<br />

74


75<br />

Gefolgschaft getrennt zu halten. Werden jüdische Beschäftigte<br />

außerhalb des Heimatorts gruppenweise e<strong>in</strong>gesetzt, so s<strong>in</strong>d<br />

sie <strong>in</strong> gesonderten Unterkünften unterzubr<strong>in</strong>gen.“ Juden dürfen<br />

nicht als Lehrl<strong>in</strong>ge oder Anlernl<strong>in</strong>ge beschäftigt werden. Für jüdische<br />

Beschäftigte von 14 bis 18 Jahren gelten die für Erwachsene<br />

geltenden Vorschriften zur Arbeitszeit usw. anstelle<br />

des Gesetzes über K<strong>in</strong>derarbeit <strong>und</strong> des Jugendschutzgesetzes.<br />

Auf erwachsene Juden f<strong>in</strong>det die Verordnung über den Arbeitsschutz<br />

vom 12.12.39 ke<strong>in</strong>e Anwendung.<br />

<strong>Die</strong> Arbeitslosenhilfe für Juden beschränkt sich auf das zum<br />

Lebensunterhalt unerlässlich Notwendige. <strong>Die</strong> Bestimmungen<br />

über die Kurzarbeiterunterstützung f<strong>in</strong>den auf jüdische Beschäftigte<br />

ke<strong>in</strong>e Anwendung.<br />

4. November<br />

deportAtion<br />

Der Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister teilt den 14 zuständigen Oberf<strong>in</strong>anzpräsidenten<br />

mit, dass „Juden, die nicht <strong>in</strong> volkswirtschaftlich<br />

wichtigen Betrieben beschäftigt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> den nächsten Monaten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Stadt <strong>in</strong> den Ostgebieten abgeschoben werden.<br />

Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wird zugunsten des<br />

Deutschen Reiches e<strong>in</strong>gezogen.“<br />

13. November<br />

konfiszierunG<br />

Das Reichssicherheitshauptamt teilt mit, dass sämtliche <strong>in</strong><br />

jüdischem Privatbesitz bef<strong>in</strong>dlichen Schreibmasch<strong>in</strong>en, Rechenmasch<strong>in</strong>en,<br />

Vervielfältigungsapparate, Fahrräder, Fotoapparate<br />

<strong>und</strong> Ferngläser zu erfassen <strong>und</strong> abzuliefern s<strong>in</strong>d. Ausgenommen<br />

von der Ablieferungspflicht ist die Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden<br />

sowie jüdische Krankenbehandler <strong>und</strong> Personen, die diese<br />

Gegenstände im Arbeitse<strong>in</strong>satz benötigen.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

25. November<br />

11. VerordnunG zum reichsBürGerGesetz<br />

Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz verlieren Juden<br />

die Staatsangehörigkeit, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt<br />

im Ausland haben. In § 1 heißt es: „Der gewöhnliche Aufenthalt<br />

im Ausland ist dann gegeben, wenn sich e<strong>in</strong> Jude im<br />

Ausland unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er<br />

dort nicht nur vorübergehend verweilt.“ Geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie die „nach Osten“ Deportierten. Weiter legt die Verordnung<br />

fest, dass das Vermögen der Juden mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit<br />

dem Reich zufällt. Das verfallene Vermögen soll<br />

zur Förderung aller mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang<br />

stehenden Zwecke dienen.<br />

3. Dezember<br />

richtl<strong>in</strong>ienerlAss des<br />

reichssicherheitshAuptAmtes<br />

Jeder Jude, der zur Abschiebung bestimmt ist, hat an die<br />

Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland m<strong>in</strong>destens 25 %<br />

se<strong>in</strong>es liquiden Vermögens zu zahlen; diese Beträge werden auf<br />

Sonderkonten deponiert <strong>und</strong> dienen der F<strong>in</strong>anzierung der durch<br />

Abschiebung <strong>und</strong> Transport entstehenden Kosten.<br />

12. Dezember<br />

BenutzunG öffentlicher<br />

fernsprechstellen<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichssicherheitshauptamtes wird festgelegt,<br />

dass Juden, die den Judenstern tragen müssen, die Benutzung<br />

öffentlicher Fernsprechstellen verboten ist.<br />

Baracken <strong>in</strong> Auschwitz<br />

© photo<strong>in</strong>sel - Fotolia.com


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1942<br />

3. Januar<br />

AuswAnderunGsVerBot<br />

E<strong>in</strong> Erlass des Reichsführers-SS He<strong>in</strong>rich Himmler verbietet angesichts<br />

der nahe bevorstehenden „Endlösung der Judenfrage“<br />

die Auswanderung von Juden deutscher Staatsangehörigkeit<br />

<strong>und</strong> staatenloser Juden aus dem Deutschen Reich.<br />

5. Januar<br />

ABlieferunG Von w<strong>in</strong>terAusrüstunG<br />

<strong>Die</strong> deutschen Juden müssen bis zum 16. Januar ihre Pelz- <strong>und</strong><br />

Wollsachen sowie Skier, Ski- <strong>und</strong> Bergschuhe abliefern.<br />

20. Januar<br />

wAnnsee-konferenz<br />

Auf der sog. Wannsee-Konferenz, zu dem der Leiter des<br />

Reichssicherheitshauptamtes, Re<strong>in</strong>hard Heydrich e<strong>in</strong>lädt, wird<br />

festgelegt, wie die „Endlösung der Judenfrage“ organisatorisch<br />

umzusetzen ist. Man geht davon aus, dass <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> Frage stehenden<br />

Gebiet 11 Millionen Juden leben, die es zu evakuieren<br />

<strong>und</strong> zu vernichten gilt.<br />

23. Januar<br />

priVAtunterricht Jüdischer k<strong>in</strong>der<br />

<strong>Die</strong> Erteilung von Privatunterricht an jüdische K<strong>in</strong>der ist nur noch<br />

<strong>in</strong> Ausnahmefällen mit besonderer Genehmigung gestattet.<br />

13. Februar<br />

kennzeichnunG der wohnunGen<br />

Der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes ordnet an, dass<br />

Juden ihre Wohnungen durch e<strong>in</strong>en weißen „Judenstern“ aus<br />

Papier kennzeichnen müssen. Für die Durchführung wird die<br />

Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden verantwortlich gemacht.<br />

16. Februar<br />

trAGen des Judensterns<br />

Das Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium legt fest, dass Ausnahmen von<br />

der Pflicht zum Tragen des Judensterns gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu<br />

gewähren <strong>und</strong> gegebenenfalls zurückzunehmen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Benutzung<br />

der öffentlichen Verkehrsmittel durch Juden ist aufs<br />

äußerste zu beschränken.<br />

17. Februar<br />

VerBot des kAufs Von zeitunGen<br />

Juden werden von der Belieferung mit Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften<br />

durch die Post, durch Verlage oder Straßenhändler<br />

ausgeschlossen.<br />

24. März<br />

BenutzunG öffentlicher Verkehrsmittel<br />

<strong>Die</strong> Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Juden wird<br />

weiter e<strong>in</strong>geschränkt. Juden bedürfen auch im Bereich ihrer<br />

Wohngeme<strong>in</strong>de für den Ortsverkehr e<strong>in</strong>er schriftlichen Erlaubnis<br />

der Polizei. <strong>Die</strong>se Erlaubnis erhalten nur Juden im Arbeitse<strong>in</strong>satz<br />

(bei e<strong>in</strong>er Entfernung von der Wohnung zur Arbeitsstätte von<br />

mehr als 7 km) <strong>und</strong> Schulk<strong>in</strong>der (wenn die Schule mehr als 5<br />

km entfernt ist) sowie Krankenbehandler, Krankenschwestern,<br />

Hebammen <strong>und</strong> Rechtsberater.<br />

29. April<br />

ruheGehAltsAnsprüche<br />

In e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>erlass des Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isters wird festegelegt,<br />

dass Ruhegehaltsansprüche der abgeschobenen Juden<br />

erloschen s<strong>in</strong>d. Ansprüche abgeschobener Juden aus e<strong>in</strong>em<br />

privatrechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis fallen dem deutschen Reich<br />

zu <strong>und</strong> sollen von diesem gegenüber den Schuldnern geltend<br />

gemacht werden.<br />

12. Mai<br />

VerBot friseurBesuch<br />

Juden dürfen nicht mehr von nichtjüdischen Friseuren<br />

bedient werden.<br />

76


77<br />

6. Juni<br />

VerBot nutzunG Von wArteräumen<br />

Juden wird die Benutzung von Warteräumen, Wirtschaften <strong>und</strong><br />

sonstigen E<strong>in</strong>richtungen der Verkehrsbetriebe verboten.<br />

9. Juni<br />

ABlieferunG Von kleidunG<br />

Juden müssen alle „entbehrlichen“ Kleidungsstücke abliefern.<br />

11. Juni<br />

AusGABe Von rAucherkArten<br />

Juden erhalten ke<strong>in</strong>e Raucherkarte mehr zum Kauf<br />

von Tabakwaren.<br />

12. Juni<br />

ABGABe elektrischer Geräte<br />

<strong>Die</strong> Juden werden verpflichtet, sofort alle <strong>in</strong> ihrem Besitz bef<strong>in</strong>dlichen<br />

elektrischen Geräte, optischen Geräte, Fahrräder, Photoapparate,<br />

Ferngläser usw. abzuliefern.<br />

20. Juni<br />

schliessunG der Jüdischen schulen<br />

<strong>Die</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland wird angewiesen,<br />

zum 30. Juni alle jüdischen Schulen zu schließen <strong>und</strong><br />

ihren Mitgliedern bekannt zu geben, dass vom 1. Juli an jede<br />

Unterrichtung <strong>jüdischer</strong> K<strong>in</strong>der durch bezahlte oder unbezahlte<br />

Lehrkräfte untersagt ist.<br />

16. Juli<br />

ABGABe Von wertpApieren<br />

Juden wird verboten, <strong>in</strong> ihrem Besitz bef<strong>in</strong>dliche Wertpapiere<br />

an Nichtjuden zu übertragen, auch wenn dies unentgeltlich<br />

erfolgt; ferner ist verboten, Wertpapiere zum Erhalt e<strong>in</strong>er Rente<br />

zu transferieren.<br />

E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

30. Juli<br />

ABGABe Von edelmetAllen<br />

Jüdische Kultgegenstände aus Edelmetall müssen abgeliefert<br />

werden. <strong>Die</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland wird<br />

verpflichtet, die Sammlung <strong>und</strong> Ablieferung der Gegenstände zu<br />

übernehmen.<br />

19. September<br />

AusBürGerunG nichtJüdischer<br />

ehefrAuen Von Juden<br />

Nichtjüdische Ehefrauen von Juden, die automatisch ihre Staatsbürgerschaft<br />

verloren haben (weil sie deportiert wurden), können<br />

ebenfalls ausgebürgert werden, wenn sie e<strong>in</strong>e Trennung von<br />

ihrem jüdischen Ehemann ablehnen oder wenn e<strong>in</strong>e Rückkehr<br />

aus sonstigen Gründen nicht <strong>in</strong> Frage kommt – also die Frau<br />

bereits mit ihrem Mann deportiert wurde. Ebenso können auch<br />

die aus solchen Ehen stammenden K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

7. Oktober<br />

ke<strong>in</strong> kontAkt zu diplomAten<br />

Juden wird jeder direkte oder mittelbare Verkehr mit fremden<br />

diplomatischen Vertretungen sowie mit nichtjüdischen Ausländern<br />

verboten.<br />

24. Dezember<br />

metAlle Auf Jüdischen friedhöfen<br />

Der Beauftragte für die Erfassung von Schrott <strong>und</strong> Metallen hat<br />

die Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland angewiesen,<br />

von jüdischen Friedhöfen alles Metall (e<strong>in</strong>schließlich von Grabstätten,<br />

Zäunen, Toren usw.) zu entfernen <strong>und</strong> den Behörden<br />

zu übergeben.


E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

1943<br />

1945 lebten In DeutschlanD runD 15 000 JuDen<br />

1. März<br />

Im Altreich (plus Sudetengau <strong>und</strong> Danzig) leben nach Angaben<br />

der Reichsvere<strong>in</strong>igung der Juden <strong>in</strong> Deutschland nur noch<br />

44 589 Juden, davon <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 27 281.<br />

Im Laufe des Monats März werden 12 502 Menschen deportiert,<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Rüstungsarbeiter mit ihren Familien aus<br />

Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Breslau. Am 31. März leben im Altreich (plus Sudetengau<br />

<strong>und</strong> Danzig) nur noch annähernd 32 000 Juden. Davon<br />

unterlagen 14 393 dem Kennzeichnungszwang; von den noch<br />

verbliebenen 18 515 jüdischen Menschen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> mussten<br />

9 185 den Stern tragen.<br />

21. April<br />

VerBot des Besuchs Von ABendkursen<br />

Nach e<strong>in</strong>em Erlass des Reichserziehungsm<strong>in</strong>isters wird festgelegt,<br />

dass der Erlass vom 2.7.42, <strong>in</strong> dem jüdische Mischl<strong>in</strong>ge<br />

zum Besuch <strong>in</strong> Fachschulen nur mit besonderer Erlaubnis des<br />

M<strong>in</strong>isters zugelassen werden, nunmehr auch für den Besuch<br />

von Abendkursen im Rahmen der Fachschulen gilt.<br />

28. April<br />

deportAtion der im<br />

„ArBeitse<strong>in</strong>sAtz Bef<strong>in</strong>dlichen Juden“<br />

In e<strong>in</strong>em geheimen Erlass des Reichssicherheitshauptamtes<br />

wird festgelegt, dass die noch im kriegswichtigen Arbeitse<strong>in</strong>satz<br />

tätigen Juden aus ihrem Beschäftigungsverhältnis herauszunehmen<br />

<strong>und</strong> zu melden s<strong>in</strong>d, soweit sie für e<strong>in</strong>e Evakuierung nach<br />

dem Osten oder e<strong>in</strong>e Wohnsitzverlegung nach Theresienstadt <strong>in</strong><br />

Frage kommen. Zur Vermeidung der Flucht s<strong>in</strong>d die für die Abbeförderung<br />

vorgesehenen Juden geschlossen unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

<strong>Die</strong>jenigen, die dafür nicht <strong>in</strong> Frage kommen, s<strong>in</strong>d im geschlossenen,<br />

jederzeit widerrufbaren Arbeitse<strong>in</strong>satz unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

10. Mai<br />

AuflösunG der reichsVere<strong>in</strong>iGunG<br />

der Juden <strong>in</strong> deutschlAnd<br />

Nachdem bereits fast das gesamte Personal der Reichsvere<strong>in</strong>igung<br />

der Juden <strong>in</strong> Deutschland, e<strong>in</strong>schließlich deren Leitern<br />

Leo Baeck <strong>und</strong> Paul Eppste<strong>in</strong>, deportiert wurde, wird die<br />

Reichsvere<strong>in</strong>igung schließlich aufgelöst. Ihre verbleibenden<br />

Aufgaben werden von e<strong>in</strong>er neuen Körperschaft gleichen<br />

Namens übernommen.<br />

1944<br />

12. Januar<br />

kontrollkArten für BriefVerkehr<br />

Nach Erlass des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters <strong>und</strong> Reichsführers-SS<br />

He<strong>in</strong>rich Himmler erhalten Juden ke<strong>in</strong>e Kontrollkarten für den<br />

Briefverkehr mit dem Ausland. Ohne solche Karten werden<br />

Briefe nach dem Ausland nicht befördert.<br />

1945<br />

13. Januar<br />

deportAtion Aller <strong>in</strong> mischehen<br />

leBenden Juden<br />

In e<strong>in</strong>em Erlass des Reichssicherheitshauptamtes wird festgelegt,<br />

dass alle <strong>in</strong> Mischehe lebenden arbeitsfähigen Staatsangehörigen<br />

<strong>und</strong> staatenlosen Juden (auch Geltungsjuden) zum geschlossenen<br />

Arbeitse<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Theresienstadt zu überstellen s<strong>in</strong>d.<br />

16. Februar<br />

VernichtunG Von Akten<br />

In e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>erlass des Reichswirtschaftsm<strong>in</strong>isters wird angeordnet,<br />

dass wenn der Abtransport von Akten, deren Gegenstand<br />

antijüdische Tätigkeiten s<strong>in</strong>d, nicht möglich ist, diese zu<br />

vernichten s<strong>in</strong>d, damit sie nicht dem Fe<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Hände fallen.<br />

Bis Kriegsende war die Anzahl der Juden <strong>in</strong> Deutschland auf<br />

r<strong>und</strong>15 000 gesunken.<br />

78


79 E<strong>in</strong>kreisung, Entrechtung, Vernichtung<br />

Kurz vor der Deportation im Sammellager Milbertshofen <strong>in</strong> München, Quelle: Stadtarchiv München


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

leBensGeschichten<br />

Jüdischer lehrer <strong>und</strong> lehrer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> die Geschichte <strong>jüdischer</strong> Schulen <strong>in</strong> Bayern seit dem späten 19. Jhd. bis zur<br />

Zerschlagung durch den Nationalsozialismus<br />

Sab<strong>in</strong>e Gerhardus<br />

Geschichte des proJekts<br />

Als der Bayerische <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>verband (BLLV) Ende 2008 das Projekt <strong>in</strong>s Leben rief, stand im<br />

Mittelpunkt das Anliegen, den jüdischen Kollegen e<strong>in</strong>e Stimme zu geben, die während der Zeit des Nationalsozialismus<br />

verfolgt <strong>und</strong> ermordet wurden. Ziel des Berufsverbands war es, die Namen der jüdischen Kollegen<br />

<strong>und</strong> Kolleg<strong>in</strong>nen möglichst komplett zu erfassen, die während der Nazizeit an Schulen <strong>in</strong> Bayern unterrichtet<br />

hatten. Nach e<strong>in</strong>er Zeit der Vorrecherche, während derer möglichst viele Namen zusammengetragen werden<br />

sollten, sollte e<strong>in</strong> Konzept für e<strong>in</strong> Schulprojekt entwickelt werden. Schüler sollten die Möglichkeit erhalten, nach<br />

Lebensgeschichten von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n zu recherchieren, die im gleichen Ort gewohnt oder sogar an derselben<br />

Schule gearbeitet hatten, <strong>in</strong> denen die Schüler heute leben <strong>und</strong> lernen. Ähnlich wie beim Gedächtnisbuch-<br />

Projekt 1 <strong>in</strong> Dachau, das der BLLV seit mehreren Jahren ideell <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziell unterstützte, sollten sie durch eigene<br />

Recherchen zur Er<strong>in</strong>nerung an die ehemals Verfolgten beitragen <strong>und</strong> sich über die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

E<strong>in</strong>zelbiographien Teilaspekten der Geschichte des Nationalsozialismus annähern, <strong>in</strong>sbesondere der Geschichte<br />

der Judenverfolgung.<br />

Bald kristallisierte sich jedoch heraus, dass der lebensgeschichtliche Ansatz, den e<strong>in</strong> Biographie-Projekt<br />

impliziert, dem Fokus auf das „Opfer se<strong>in</strong>“, der durch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>grenzung der zu untersuchenden Lebensgeschichten<br />

auf KZ-Häftl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> ermordete <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> verstärkt würde, entgegen stand. Fast automatisch<br />

werden Juden, die während der NS-Zeit <strong>in</strong> Deutschland lebten, <strong>in</strong> ihrer Rolle als Opfer, als Wehrlose <strong>und</strong> Verfolgte<br />

wahrgenommen. E<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>schränkung bedeutet e<strong>in</strong>e Verzerrung der Wahrnehmung, sie wird den<br />

Personen, die h<strong>in</strong>ter den e<strong>in</strong>zelnen Schicksalen stehen, <strong>und</strong> ihren Lebensläufen nicht gerecht. Insbesondere bei<br />

dem hier <strong>in</strong>teressierenden Personenkreis würde diese E<strong>in</strong>schränkung des Blickw<strong>in</strong>kels wohl dazu führen, das<br />

traditionsreiche kulturelle Leben, die Bedeutung der jüdischen <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> den bayerischen Landgeme<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

Städten zu übersehen <strong>und</strong> die Wahrnehmung des Berufsstandes der jüdischen <strong>Lehrer</strong>schaft zu verzerren.<br />

Aus der Perspektive des Betrachters/Lesers e<strong>in</strong>er Biographie erschließt sich e<strong>in</strong>e Person <strong>in</strong> ihrer Individualität<br />

nur dann, wenn sie <strong>in</strong> ihrer Besonderheit wahrgenommen wird – <strong>und</strong> das impliziert auch das Leben vor <strong>und</strong> –<br />

wenn möglich – nach der <strong>Verfolgung</strong>. Das gilt auch für die Perspektive der Zeitzeugen selbst: selbst wenn die<br />

Er<strong>in</strong>nerungen an <strong>Verfolgung</strong>, Haft <strong>und</strong> Trauma viel Raum e<strong>in</strong>nimmt, so def<strong>in</strong>iert sich kaum e<strong>in</strong> Überlebender<br />

ausschließlich über diese Erfahrungen. Zum Selbstbild gehören immer auch Er<strong>in</strong>nerungen an Erlebnisse als<br />

starke, selbstbestimmte, das eigene Schicksal <strong>in</strong> die Hand nehmende Person, z.B. als berufstätiger, erfolgreicher<br />

Mensch, als Familien- oder Gesellschaftsmensch, als Mensch mit verschiedenen Rollen im sozialen,<br />

politischen oder religiösen Umfeld <strong>und</strong> als e<strong>in</strong> Überlebender, der mit se<strong>in</strong>en traumatischen Erfahrungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

eignene Art <strong>und</strong> Weise umgeht. Nicht nur die e<strong>in</strong>zelne Peron, auch e<strong>in</strong>en Berufsstand würde es reduzieren,<br />

wenn man sich ausschließlich mit der Zeit se<strong>in</strong>er Vernichtung befassen würde. <strong>Die</strong> Hochphase der Bedeutung<br />

1 Zum Projekt „Gedächtnisbuch für die Häftl<strong>in</strong>ge des KZ Dachau“ siehe auch: Sab<strong>in</strong>e Gerhardus: Gedächtnisbuch für die Häftl<strong>in</strong>ge des KZ Dachau, <strong>in</strong>: Bernhard Schoßig (Hrsg.): Historisch-politische Bildung<br />

<strong>und</strong> Gedenkstättenarbeit als Aufgabe der Jugendarbeit <strong>in</strong> Bayern. E<strong>in</strong>richtungen – Projekte – Konzepte (Dachauer Diskurse Bd. 5 <strong>und</strong> Gaut<strong>in</strong>ger Protokolle 41), München 2011, S. 75-84. E<strong>in</strong>zelne Beiträge<br />

aus dem Gedächtnisbuch s<strong>in</strong>d publiziert <strong>in</strong>: Sab<strong>in</strong>e Gerhardus, Björn Mens<strong>in</strong>g (Hrsg.): Namen statt Nummern. Dachauer Lebensbilder <strong>und</strong> Er<strong>in</strong>nerungsarbeit. Leipzig 2009 (2. durchgesehene Auflage). Ebenso:<br />

Namen statt Nummern. Begleitbroschüre zur Internationalen Wanderausstellung des Projekts Gedächtnisbuch für die Häftl<strong>in</strong>ge des KZ Dachau, Dachau 2012 (3. Durchgesehene Auflage).<br />

80


81 Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

der jüdischen Religions- <strong>und</strong> Elementarschullehrer <strong>in</strong> bayerischen Landgeme<strong>in</strong>den neigte sich bereits <strong>in</strong> den<br />

neunzehnh<strong>und</strong>ertzwanziger Jahren aufgr<strong>und</strong> rückläufiger Schülerzahlen durch die Landflucht dem Ende oder<br />

zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>em Wandel zu. In dieser Zeit g<strong>in</strong>gen zahlreiche <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> den Ruhestand, die 40 Jahre <strong>und</strong> mehr<br />

im <strong>Die</strong>nst ihrer Geme<strong>in</strong>den gestanden <strong>und</strong> mehrere Schülergenerationen über Jahre begleitet hatten. Sie hatten<br />

die Beamtenlaufbahn durchschritten, hatten sich <strong>in</strong> jüdischen <strong>und</strong> überkonfessionellen Vere<strong>in</strong>en engagiert <strong>und</strong><br />

waren angesehene Persönlichkeiten gewesen. Auch das Erbe dieser von den Nazis nicht mehr selbst verfolgten<br />

<strong>Lehrer</strong> war durch die Vernichtung ihrer Geme<strong>in</strong>den, die Vertreibung <strong>und</strong> <strong>Ermordung</strong> ihrer Schüler, ihrer K<strong>in</strong>der<br />

<strong>und</strong> Nachfolger dem Vergessen preisgegeben. Das Projekt sollte daher auch dem Vergessen dieser älteren<br />

<strong>Lehrer</strong>generation, die <strong>in</strong> den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts ihren Schaffensschwerpunkt<br />

hatten, entgegenwirken. Daher sollen <strong>in</strong> diesem Biographie-Projekt Biographien von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n entstehen,<br />

die <strong>in</strong> der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts die bayerische Bildungslandschaft mitgeprägt haben.<br />

VorBereitende recherche<br />

Zur Vorbereitung des Biographie-Projekts für Schulen wurde e<strong>in</strong>e umfangreiche Recherche <strong>in</strong> verschiedenen<br />

bayerischen Archiven durchgeführt. Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau bestand die Möglichkeit, <strong>in</strong> der<br />

Datenbank der Häftl<strong>in</strong>gskartei des Konzentrationslagers nach Berufsbezeichnungen zu suchen <strong>und</strong> die Ergebnisse<br />

durch die Haftkategorie „Jude“ oder Angaben zur Konfession auf jüdische <strong>Lehrer</strong> e<strong>in</strong>zugrenzen. Nach<br />

e<strong>in</strong>er weiteren E<strong>in</strong>grenzung auf Wohnorte <strong>in</strong> Bayern <strong>und</strong> der Pfalz (deren l<strong>in</strong>ksrhe<strong>in</strong>ische Territorien zum Teil bis<br />

1946 zu Bayern gehört hatten) fanden sich zunächst die Namen von 39 jüdischen <strong>Lehrer</strong>n, die als Häftl<strong>in</strong>ge im<br />

KZ Dachau <strong>in</strong>haftiert waren <strong>und</strong> kurz vor der Verhaftung <strong>in</strong> Bayern gewohnt hatten. <strong>Die</strong> tatsächliche Zahl der<br />

im KZ Dachau <strong>in</strong>haftierten jüdischen <strong>Lehrer</strong> ist höher, da nicht alle E<strong>in</strong>träge <strong>in</strong> die Häftl<strong>in</strong>gskartei vollständig mit<br />

Berufsbezeichnung, Wohn- <strong>und</strong> Geburtsorten vorliegen, <strong>und</strong> zudem bei der Registrierung der neuen Gefangenen<br />

auch nur der aktuelle Wohnort zur Zeit der Verhaftung notiert wurde. Gerade jüngere <strong>Lehrer</strong> mussten noch<br />

recht häufig ihre Stellen wechseln <strong>und</strong> arbeiteten nach ihrer Ausbildung <strong>in</strong> verschiedenen Geme<strong>in</strong>den. Bei der<br />

E<strong>in</strong>beziehung von Personen mit bayerischen Geburtsorten kamen etwa 18 weitere Namen h<strong>in</strong>zu. <strong>Die</strong>se <strong>Lehrer</strong><br />

hatten 1938 außerhalb Bayerns gewohnt. E<strong>in</strong>ige von ihnen waren <strong>in</strong> der Zwischenzeit ebenfalls <strong>in</strong> Bayern<br />

beruflich tätig gewesen.<br />

Das Stadtarchiv München konnte e<strong>in</strong>e Datenbankabfrage nach dem Suchbegriff „<strong>Lehrer</strong>“ durchführen <strong>und</strong><br />

stellte e<strong>in</strong>e Liste mit 167 Namen von jüdischen Männern <strong>und</strong> Frauen zusammen, die <strong>in</strong> München gewohnt <strong>und</strong><br />

sich als haupt- oder nebenberufliche <strong>Lehrer</strong> bezeichnet hatten. Im Staatsarchiv München wurde e<strong>in</strong>e Datenbank<br />

mit Daten aus der Volkszählung von 1939 nach der Berufsbezeichnung <strong>Lehrer</strong> durchsucht, sie ergab 29 Namen<br />

von Münchnern, die <strong>Lehrer</strong> waren oder im Ausbildungsweg den Abschluss e<strong>in</strong>es <strong>Lehrer</strong>sem<strong>in</strong>ars angegeben


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

hatten. Aus den Angaben über die Abstammung, die bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 <strong>in</strong> der „Ergänzungskarte“<br />

gefordert wurden („rassenmäßige Zugehörigkeit“ der Großeltern), geht hervor, dass e<strong>in</strong>ige von ihnen<br />

möglicherweise ke<strong>in</strong>e Glaubensjuden waren, aber aufgr<strong>und</strong> ihrer jüdischen Großeltern verfolgt werden sollten.<br />

Leider wurde die Hoffnung, <strong>in</strong> den Beständen des Kultusm<strong>in</strong>isteriums im Bayerischen Hauptstaatsarchiv<br />

Namenslisten von <strong>Lehrer</strong>n zu f<strong>in</strong>den, die ab 1933 aufgr<strong>und</strong> des Paragraphen 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung<br />

des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus dem Schuldienst entlassen wurden, enttäuscht.<br />

In den Sammlungen f<strong>in</strong>den sich zwar Unterlagen zu Personalveränderungen (Beförderungen, Versetzungen,<br />

Ruhestand) an höheren bayerischen Lehranstalten. <strong>Die</strong> Akte ist verfilmt <strong>und</strong> sehr umfangreich, sie wurde für<br />

1933 ganz <strong>und</strong> 1934 zu Hälfte gesichtet. Es s<strong>in</strong>d zahlreiche Entlassungen <strong>und</strong> Versetzungen <strong>in</strong> den Ruhestand<br />

enthalten, darunter aber nur sieben aufgr<strong>und</strong> § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,<br />

die meisten davon aus Ludwigshafen (Pfalz). In der ersten Hälfte von 1934 kommt ke<strong>in</strong> Vorgang nach § 3 mehr<br />

vor. Mehr Erfolg brachte die Suche <strong>in</strong> den F<strong>in</strong>dmitteln zu Wiedergutmachungsakten von <strong>Lehrer</strong>n: circa 50 Namen,<br />

darunter zahlreiche Absolventen der Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungsanstalt (ILBA) <strong>in</strong> Würzburg.<br />

Auch im Staatsarchiv Augsburg gibt es e<strong>in</strong>e Liste mit <strong>Lehrer</strong>personalakten. Sie wurde auf Namen von 20<br />

jüdischen <strong>Lehrer</strong>n <strong>in</strong> Schwaben überprüft, die bereits <strong>in</strong> die <strong>in</strong>zwischen für das Projekt angelegte Datenbank<br />

aufgenommen worden waren. <strong>Die</strong> Überprüfung ergab ke<strong>in</strong>en Treffer, auch enthielt die Liste bei e<strong>in</strong>er ersten<br />

Durchsicht ke<strong>in</strong>e typisch jüdischen Vornamen wie Sally, Moses oder Meyer. Es sche<strong>in</strong>t, dass ke<strong>in</strong>e Personalakten<br />

von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n/<strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>in</strong> diesem Bestand vorhanden s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong>e gezielte Suche nach <strong>Lehrer</strong>personal- sowie nach Wiedergutmachungsakten sollte aber unbesehen von<br />

der bisher erfolgten Vorrecherche <strong>in</strong> jeder E<strong>in</strong>zelrecherche noch erfolgen, wenn der Name des <strong>Lehrer</strong>s bereits<br />

bekannt ist, <strong>und</strong> direkt nach Akten zu se<strong>in</strong>er Person gesucht werden kann.<br />

Für die Recherche <strong>in</strong> Schwaben sehr nützlich war der Archivführer von Peter Fassl. 2 In dieser hilfreichen Publikation<br />

s<strong>in</strong>d die meisten Bezirksamtsakten des Staatsarchivs Augsburg verzeichnet, außerdem alle anderen Archive,<br />

<strong>in</strong> denen es Archivalien über schwäbische Juden gibt. In zwei Archivbesuchen konnten die Signaturen von vier<br />

Bezirksämtern, die sich mit Angelegenheiten der jüdischen Schulen der relevanten Jahre befassen, gelistet,<br />

nach Relevanz markiert <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Teil der Akten durchgesehen werden. Auf diese Weise konnten der Datenbank<br />

48 neue Namen h<strong>in</strong>zugefügt werden.<br />

<strong>Die</strong> Suche nach Namen von bayerischen jüdischen <strong>Lehrer</strong>n wurde durch die Auswertung von Akten über jüdisches<br />

Schulwesen an Stadt- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>dearchiven fortgeführt. Manche Kommunalarchive verfügen noch über<br />

die <strong>in</strong> den neunzehnh<strong>und</strong>ertdreißiger Jahren angelegte „Judenkartei“, <strong>in</strong> der Berufsbezeichnungen notiert s<strong>in</strong>d.<br />

Das Stadtarchiv Coburg bewahrt e<strong>in</strong>e solche Kartei mit der Angabe des Arbeitgebers. Daraus g<strong>in</strong>gen 17<br />

2 Fassl, Peter (Hg.): Dokumentation zur Geschichte <strong>und</strong> Kultur der Juden <strong>in</strong> Schwaben. I/1. Archivführer (Aichach-Augsburg), Augsburg 1993.<br />

82


83<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Beschäftigte des Instituts Hirsch hervor, e<strong>in</strong>e jüdische Volksschule mit Internatsbetrieb. Neben dem Schulgründer<br />

<strong>und</strong> Institutsleiter Hermann Hirsch war die Hälfte der Angestellten <strong>Lehrer</strong>, die andere Hälfte Hausangestellte,<br />

die sich um die Küche, Verwaltungsaufgaben <strong>und</strong> die Versorgung der Schüler kümmerten, darunter auch<br />

Familienangehörige von Hermann Hirsch.<br />

Das Stadtarchiv Fürth verfügt über e<strong>in</strong> 1947 angelegtes Verzeichnis der 1938 <strong>in</strong> Fürth ansässig gewesenen<br />

Juden, <strong>in</strong> dem auch Berufsbezeichnungen angegeben s<strong>in</strong>d. In diesem Verzeichnis werden auch Christen <strong>jüdischer</strong><br />

Herkunft geführt. Daraus konnten der Datenbank 34 <strong>Lehrer</strong> h<strong>in</strong>zugefügt werden. Darüber h<strong>in</strong>aus bewahrt<br />

das Stadtarchiv die Jahresberichte der Israelitischen Realschule Fürth – e<strong>in</strong> äußerst wertvoller Bestand, da er<br />

das komplette Lehrpersonal Jahr für Jahr aufführt, auch <strong>Lehrer</strong> im Nebenberuf. Leider s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Fürth allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur die Jahresberichte bis 1920 erhalten.<br />

Auch das Stadtarchiv Bamberg verfügt über umfangreiches Material über die E<strong>in</strong>richtungen der jüdischen<br />

Geme<strong>in</strong>de. Besonders <strong>in</strong>teressant ist dabei e<strong>in</strong>e Kopie der Chronik der jüdischen Geme<strong>in</strong>de von 1930 bis 1938,<br />

die den Central Archives of the Jewish People <strong>in</strong> Jerusalem gehört. Während der Vorrecherche konnten die<br />

ersten drei Jahre durchgesehen <strong>und</strong> dabei e<strong>in</strong>ige Namen von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n festgestellt werden.<br />

E<strong>in</strong>e äußerst wichtige Informationsquelle bei der Suche nach Namen von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n stellt das Biographische<br />

Handbuch der Würzburger Juden dar. 3 Weil viele bayerische jüdische <strong>Lehrer</strong> ihre Ausbildung an der<br />

Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungsanstalt (ILBA) <strong>in</strong> Würzburg erhalten haben, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige von ihnen e<strong>in</strong> paar Jahre<br />

lang <strong>in</strong> Würzburg ansässig gewesen, <strong>und</strong> daher <strong>in</strong> das Handbuch aufgenommen worden. <strong>Die</strong> Zusammenstellung<br />

der Daten be<strong>in</strong>haltet neben e<strong>in</strong>er kurzen biographischen Information mit der Angabe des Berufs auch wertvolle<br />

H<strong>in</strong>weise über Eltern, Ehepartner <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der sowie Quellen. <strong>Die</strong> Angabe der Berufsbezeichnung erlaubt es,<br />

das Handbuch nach <strong>Lehrer</strong>n <strong>und</strong> ILBA-Studenten zu durchforsten. <strong>Die</strong> Informationen über Verwandtschafts-<br />

beziehungen s<strong>in</strong>d hilfreich bei der Klärung der Identität e<strong>in</strong>er Person. E<strong>in</strong>ige Familiennamen kommen häufig vor,<br />

viele <strong>Lehrer</strong> hatten mehrere Stellen <strong>in</strong>ne <strong>und</strong> wurden an verschiedenen Orten <strong>in</strong> Bayern e<strong>in</strong>gesetzt. So kommt es<br />

häufig vor, dass namensgleiche <strong>Lehrer</strong> aus verschiedenen Ortschaften <strong>in</strong> die Datenbank aufgenommen werden,<br />

ohne dass zunächst bekannt ist, ob es sich um dieselbe Person handelt.<br />

E<strong>in</strong>e ebenfalls sehr wertvolle Orientierungshilfe bei der Suche nach Namen stellen die Veröffentlichungen der<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen <strong>und</strong> angrenzenden Raum<br />

auf deren Internetplatform Alemannia Judaica dar. Hier wurden zu zahlreichen bayerischen jüdischen Geme<strong>in</strong>den<br />

gr<strong>und</strong>legende Informationen über die Geschichte der Geme<strong>in</strong>de, ihre E<strong>in</strong>richtungen, darunter auch die<br />

jüdischen Schulen <strong>und</strong> zahlreiche <strong>Lehrer</strong> zusammengestellt. Auch bietet die Website e<strong>in</strong>e wertvolle Auswahl von<br />

Artikeln aus jüdischen Zeitungen wie „Der Israelit“ oder die „Bayerische Israelitische Geme<strong>in</strong>dezeitung“, <strong>in</strong> der<br />

H<strong>in</strong>weise auf Stellenwechsel von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n, aber auch Artikel über <strong>Die</strong>nstjubiläen <strong>und</strong> andere biographische<br />

Informationen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d.<br />

3 Re<strong>in</strong>er Strätz: Biographisches Handbuch. Würzburger Juden 1900 – 1945 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg Bd. 4, I <strong>und</strong> II), Würzburg 1989.


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich für all die Unterstützung bedanken, die ich <strong>in</strong> den bisher genannten<br />

Archiven <strong>und</strong> von zahlreichen weiteren Stadt- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>dearchivaren erfahren habe. Alle haben sich Zeit<br />

genommen <strong>und</strong> sehr bemüht, das Projekt nach Kräften zu unterstützen. Dennoch s<strong>in</strong>d viele Archivare dem<br />

Projekt gegenüber etwas skeptisch e<strong>in</strong>gestellt – aus gutem Gr<strong>und</strong>. Es ist nicht ganz e<strong>in</strong>fach, Schüler <strong>in</strong> dieses<br />

Projekt e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. H<strong>in</strong>weise auf <strong>Lehrer</strong> s<strong>in</strong>d nicht leicht zu f<strong>in</strong>den, ausführliches biographisches Material f<strong>in</strong>det<br />

sich <strong>in</strong> leicht verständlicher Weise vor allem zu den Personen, zu denen bereits publiziert wurde. Zu anderen<br />

Personen muss manchmal lange gesucht werden. Um relevante Quellen zu f<strong>in</strong>den, muss man die Funktionsweise<br />

e<strong>in</strong>es Archivs verstehen, <strong>und</strong> die Dokumente lesen können, die <strong>in</strong> vielen Fällen <strong>in</strong> Sütterl<strong>in</strong> geschrieben<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> darüberh<strong>in</strong>aus viel Zeit, Geduld <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e relativ hohe Frustrationstoleranz mitbr<strong>in</strong>gen – <strong>in</strong> vielen Fällen<br />

wird die Recherche nicht zu dem gewünschten Ergebnis e<strong>in</strong>er detailreichen, lebendig dargestellten Biographie<br />

führen. Im Gegensatz zu den ersten Biographie-Projekten des Gedächtnisbuch-Projekts <strong>in</strong> Dachau, <strong>in</strong> denen<br />

vor allem zusammen mit Überlebenden des Konzentrationslagers auf der Gr<strong>und</strong>lage von Oral-History-Interviews<br />

Lebenswege rekonstruiert werden konnten, müssen die Biographien über jüdische <strong>Lehrer</strong> fast ausschließlich<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage von schriftlichen Quellen verfasst werden. Interviews werden kaum noch möglich se<strong>in</strong> (selbst<br />

die K<strong>in</strong>der vieler <strong>Lehrer</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen um die 90 Jahre alt). Rückschlüsse auf das Leben müssen – sofern<br />

ke<strong>in</strong> Kontakt zu den Familienangehörigen mehr aufgebaut werden kann – geschlossen werden aus polizeilichen<br />

Meldeunterlagen, Anstellungsverträgen, Familienbüchern, Akten über Erhalten des Bürgerrechts, Auswanderungsakten,<br />

Wiedergutmachungsakten, Adressbüchern, Akten zu den e<strong>in</strong>zelnen Volksschulen <strong>und</strong> den dar<strong>in</strong><br />

hoffentlich enthaltenen Unterlagen zu Bewerbungen <strong>und</strong> andere Korrespondenzen.<br />

erstellunG der dAtenBAnk<br />

Damit Schüler e<strong>in</strong>e solch anspruchsvolle Biographiearbeit durchführen können, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Voraussetzungen<br />

erforderlich. Neben der pädagogischen Begleitung gehört dazu die sorgfältige Auswahl der Personen, über<br />

die die Schüler arbeiten sollen, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e über die re<strong>in</strong>e Feststellung der Namen h<strong>in</strong>ausgehende Vorrecherche,<br />

die Aufschluss darüber geben soll, ob über die jeweilige Person überhaupt noch genügend Quellen zu f<strong>in</strong>den<br />

se<strong>in</strong> werden. Zu diesem Zweck wurde die Datenbank mit zahlreichen E<strong>in</strong>gabefeldern versehen, <strong>in</strong> denen biographisch<br />

relevante Informationen e<strong>in</strong>gegeben werden können, darunter Geburts- <strong>und</strong> Sterbedaten, aber auch<br />

Informationen zu Verwandten, Wohnorten, Schulen, <strong>Verfolgung</strong> im Nationalsozialismus <strong>und</strong> anderes. Besonders<br />

wichtig für das Schülerprojekt s<strong>in</strong>d die H<strong>in</strong>weise auf alle Quellen, die bisher gef<strong>und</strong>en werden konnten mit Angaben<br />

zu Inhalten oder Bemerkungen über deren Lesbarkeit.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Daten können nun Rechercheprojekte an <strong>in</strong>teressierte Schüler, <strong>Lehrer</strong> oder W-<br />

Sem<strong>in</strong>are vergeben werden. E<strong>in</strong> Teil der Daten wird seit März 2011 schrittweise zur Veröffentlichung im Internet<br />

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85<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

freigegeben <strong>und</strong> kann unter www.er<strong>in</strong>nern.bllv.de e<strong>in</strong>gesehen werden. <strong>Die</strong>se Informationen s<strong>in</strong>d vor allem dazu<br />

bestimmt, <strong>in</strong>teressierten Schülern <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>n e<strong>in</strong>e erste Orientierung über die Möglichkeiten des Projekts zu<br />

bieten <strong>und</strong> zur Teilnahme e<strong>in</strong>zuladen. So sollen sich Interessenten beispielsweise darüber <strong>in</strong>formieren können,<br />

ob es <strong>in</strong> der Nähe der eigenen Schule e<strong>in</strong>e jüdische Schule, Religionsschule oder jüdische <strong>Lehrer</strong> gab, deren<br />

Geschichte zu erforschen e<strong>in</strong> geeignetes Projekt für e<strong>in</strong>e Geschichts-AG oder e<strong>in</strong> W-Sem<strong>in</strong>ar se<strong>in</strong> könnte. Je<br />

nach der Kurszusammensetzung, dem Ort der Schule oder dem thematischen Schwerpunkt, den der <strong>Lehrer</strong><br />

setzen möchte, erstellt er geme<strong>in</strong>sam mit der Projektleitung e<strong>in</strong> Konzept <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Zeitplan für den Kurs oder<br />

die AG. <strong>Die</strong> Projektleitung arbeitet dann e<strong>in</strong>e Vorschlagsliste für mögliche Biographie-Projekte aus. Auch die<br />

Rekonstruktion der Geschichte e<strong>in</strong>er jüdischen Schule kann Teil des Projektes se<strong>in</strong>. Selbstverständlich können<br />

W-Sem<strong>in</strong>are von den <strong>Lehrer</strong>n auch um Facharbeitsthemen aus angrenzenden Bereichen ergänzt werden.<br />

Insgesamt enthält die bisher angelegte Datenbank (Stand Februar 2012) 650 Namen von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n<br />

<strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> aus Bayern, die <strong>in</strong> der Zeit vom ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bis zur Zerstörung der jüdischen<br />

Geme<strong>in</strong>den durch den Nationalsozialismus <strong>in</strong> Bayern gelebt <strong>und</strong> gearbeitet haben sowie von christlichen<br />

<strong>Lehrer</strong>n <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>, die aufgr<strong>und</strong> ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.<br />

<strong>Die</strong> Recherche ist nicht abgeschlossen, es werden im Laufe der kommenden Jahre immer noch neue Namen<br />

h<strong>in</strong>zugefügt werden.<br />

<strong>Die</strong> Datenbank ist als Arbeitstool angelegt, es gibt große Unterschiede bezüglich der Datenmenge, die bisher<br />

zu jedem e<strong>in</strong>zelnen <strong>Lehrer</strong> e<strong>in</strong>getragen werden konnten. Über manche ist bisher nicht viel mehr bekannt als der<br />

Name <strong>und</strong> die Geme<strong>in</strong>de, <strong>in</strong> der der <strong>Lehrer</strong> berufstätig war. Über andere gibt es bereits zahlreiche Informationen<br />

<strong>und</strong> so viele H<strong>in</strong>weise auf Quellen, dass sich Schüler bereits ihrer Biographie annehmen können. In etwas<br />

mehr als e<strong>in</strong>em Drittel der Datensätze gibt es H<strong>in</strong>weise auf <strong>Verfolgung</strong>smaßnahmen während der NS-Zeit. Von<br />

etwas mehr als der Hälfte davon (136 Personen, Stand 24.2.2012) wissen wir, dass sie zwischen 1933 <strong>und</strong><br />

1945 ums Leben gekommen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>se Zahl erhöht sich ständig <strong>und</strong> wird sich noch erheblich verändern, da<br />

die Recherchen zu biographischen Daten noch erfolgen müssen <strong>und</strong> zudem der Datenbank im Laufe der Zeit<br />

noch weitere <strong>Lehrer</strong> h<strong>in</strong>zugefügt werden. Der größte Teil derer, die während der NS-Zeit ihr Leben verloren<br />

haben, wurden <strong>in</strong> die Vernichtungslager deportiert <strong>und</strong> ist dort verschollen oder wurde später für tot erklärt.<br />

Von manchen ist auch e<strong>in</strong> genaues Todesdatum bekannt. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erer Teil ist außerhalb der Lager gestorben,<br />

wobei bei den meisten dieser Personen e<strong>in</strong> Zusammenhang mit den <strong>Verfolgung</strong>smaßnahmen <strong>und</strong> dem Terror<br />

der Nationalsozialisten hergestellt werden kann oder vermutet werden muss, etwa wenn der Tod e<strong>in</strong>ige Wochen<br />

nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager e<strong>in</strong>trat oder wenn als Todesursache Suizid bekannt ist. In<br />

den neunzehnh<strong>und</strong>ertvierziger Jahren wurden viele Juden durch die Aussichtslosigkeit ihrer Lage, die unmöglich<br />

gewordene Flucht <strong>und</strong> die anstehenden Deportationen <strong>in</strong> den Suizid getrieben.


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Im Zuge der reichsweiten Judenpogrome wurden 10 911 jüdische Männer vorwiegend aus Süddeutschland <strong>und</strong><br />

Österreich für e<strong>in</strong>ige Wochen im Konzentrationslager Dachau <strong>in</strong>terniert, die meisten von ihnen wurden zwischen<br />

dem 10. <strong>und</strong> 16. November 1938 e<strong>in</strong>gewiesen. In den Monaten nach ihrer Entlassung gelang e<strong>in</strong>igen von ihnen<br />

die Emigration. <strong>Die</strong> anderen wurden zwischen 1941 <strong>und</strong> 1943 <strong>in</strong> die Vernichtungslager deportiert. Aus zahlreichen<br />

Berichten von Überlebenden der Konzentrationslager weiß man, dass viele Häftl<strong>in</strong>ge während der Haft<br />

bleibende ges<strong>und</strong>heitliche Schäden erlitten, mit denen sie zum Teil lebenslang zu kämpfen hatten. In Berichten<br />

von Angehörigen wird der Ges<strong>und</strong>heitszustand der während der Reichspogrome <strong>in</strong>haftierten Verwandten nach<br />

ihrer Rückkehr aus dem Konzentrationslager Dachau als sehr schlecht geschildert. Man kann davon ausgehen,<br />

dass gerade bei älteren Gefangenen <strong>in</strong> den kalten W<strong>in</strong>terwochen des Dezember 1938 <strong>und</strong> Januar 1939, <strong>in</strong><br />

denen sie nicht nur Prügeln <strong>und</strong> aller Art Misshandlungen durch die SS, sondern auch dem Wetter schutzlos<br />

ausgeliefert waren, sich der Ges<strong>und</strong>heitszustand so sehr verschlechterte, dass sie auch nach der Entlassung<br />

aus dem Lager nicht mehr lange überlebten.<br />

In der Datenbank s<strong>in</strong>d aufgr<strong>und</strong> der bisher erfolgten Recherchen 71 jüdische <strong>Lehrer</strong> e<strong>in</strong>getragen, die im Konzentrationslager<br />

Dachau <strong>in</strong>haftiert waren. Davon s<strong>in</strong>d 68 im Zuge der Pogrome im November 1938 <strong>in</strong>haftiert<br />

worden. Zwei weitere <strong>Lehrer</strong> wurden bereits vor 1938 nach Dachau verschleppt, darunter Dr. Rudolf<br />

Benario, Dozent der Nürnberger Handelshochschule, der als aktives Mitglied der KPD verhaftet <strong>und</strong> bereits am<br />

11. April 1933 <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau gebracht wurde, wo man ihn nur wenige Tage später ermordete.<br />

Im Oktober 1944 wurde der <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor Julius Neuberger nach Dachau, genauer <strong>in</strong>s Außenlager<br />

Kaufer<strong>in</strong>g gebracht. Er war vorher mit se<strong>in</strong>er schwangeren Frau Erna nach Auschwitz deportiert worden. Julius<br />

Neuberger starb am 21. Februar 1945 <strong>in</strong> Kaufer<strong>in</strong>g.<br />

Im Konzentrationslager Dachau wurden von diesen 71 <strong>Lehrer</strong>n drei ermordet, neben Benario <strong>und</strong> Neuberger<br />

starb am 8. Dezember 1938 der <strong>in</strong> München lebende Kantor <strong>und</strong> Religionslehrer Abraham Müller im Alter von<br />

55 Jahren. Drei weitere <strong>Lehrer</strong> starben nach der Entlassung: Als erster der Diplom Ingenieur <strong>und</strong> Fachlehrer<br />

Ewald Kohn am 14. Juni 1939 im Alter von 55 Jahren, kurze Zeit später, am 3. September 1939, Moritz<br />

Rosenfeld, <strong>Lehrer</strong> der Jüdischen Volksschule München, mit 59 Jahren, <strong>und</strong> am 10. Oktober 1941 Walter<br />

Lustig, Chemiker <strong>und</strong> Sprachlehrer. Nach der Entlassung aus der Haft <strong>in</strong> Dachau gelang es 20 <strong>Lehrer</strong>n aus<br />

Deutschland zu emigrieren, e<strong>in</strong>er von ihnen, der Bayreuther Rabb<strong>in</strong>er <strong>und</strong> Religionslehrer Falk Felix Salomon<br />

wurde jedoch bei e<strong>in</strong>em Luftangriff auf London 1940 durch die Wehrmacht getötet. 30 der Entlassenen gelang<br />

die Emigration nicht, oder sie wurden aus dem Emigrationsland deportiert <strong>und</strong> bis auf e<strong>in</strong>e Ausnahme ermordet<br />

oder s<strong>in</strong>d verschollen. Der e<strong>in</strong>zige Überlebende unter ihnen war Jakob Gönn<strong>in</strong>ger, <strong>Lehrer</strong> der jüdischen Schule<br />

Ermreuth, der mit se<strong>in</strong>er Familie aus Frankreich nach Auschwitz deportiert wurde <strong>und</strong> als e<strong>in</strong>ziges Familienmitglied<br />

überlebte.<br />

Ke<strong>in</strong>e Angaben über die weitere <strong>Verfolgung</strong>sgeschichte oder Emigration liegen uns bisher über die übrigen 15<br />

ehemaligen Dachau-Häftl<strong>in</strong>ge vor.<br />

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87<br />

AuswAhl der personen für dAs GedenkBuch<br />

Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen aus ganz Bayern, die sich am Projekt beteiligen möchten, können gr<strong>und</strong>sätzlich über<br />

jeden jüdischen <strong>Lehrer</strong>, der <strong>in</strong> Bayern gelebt <strong>und</strong> gearbeitet hat, biographisch arbeiten. Alle Schülerarbeiten,<br />

die im Rahmen e<strong>in</strong>er Kooperation zwischen der Schule <strong>und</strong> dem Projekt des BLLV entstehen <strong>und</strong> deren Texte<br />

freigegeben werden, werden mit den Angaben aus der Datenbank verl<strong>in</strong>kt <strong>und</strong> auf der Homepage des BLLV<br />

veröffentlicht.<br />

Über alle bayerischen jüdischen <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> alle christlichen <strong>Lehrer</strong> <strong>jüdischer</strong> Herkunft, die von den Nationalsozialisten<br />

deportiert <strong>und</strong> ermordet wurden, die nach der Deportation verschollen s<strong>in</strong>d oder die durch die Folgen<br />

der KZ-Haft oder Suizid während der NS-Zeit ums Leben kamen, wird e<strong>in</strong> Gedenkblatt angelegt <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Gedenkbuch <strong>in</strong> der Geschäftsstelle des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>verbands ausgelegt. <strong>Die</strong>ses<br />

Gedenkbuch wird laufend um neue Gedenkblätter ergänzt.<br />

BioGrAphie-ArBeit mit schülern<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Schüler, die die Recherche im Rahmen ihrer Sem<strong>in</strong>ararbeiten erstellen möchten bzw. <strong>Lehrer</strong>, die das Projekt<br />

im W-Sem<strong>in</strong>ar anbieten möchten, sollten anhand e<strong>in</strong>er Vorschlagsliste aus den Personen auswählen, über die<br />

bereits bekannt ist, dass die Quellenlage für e<strong>in</strong>en mehrere Seiten umfassenden Text ausreichen müsste, bzw.<br />

dass die Biographie <strong>in</strong> der Sem<strong>in</strong>ararbeit um e<strong>in</strong>e erweiternde Fragestellung ergänzt werden kann.<br />

Teilnehmen können Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen aus Bayern sowie Lehramtsstudenten. Zur bestmöglichen<br />

Begleitung der biographischen Recherchearbeit strebt das Projekt e<strong>in</strong>e Vernetzung mit außerschulischen<br />

Kooperationspartnern an. <strong>Die</strong> Kooperation mit dem Gedächtnisbuch-Projekt ist bereits umgesetzt, weitere<br />

Pläne zur Vernetzung bestehen unter anderem mit dem Jugendgästehaus <strong>in</strong> Dachau, dem Jüdischen Museum<br />

<strong>in</strong> Franken, dem Lehrstuhl für Lehrstuhl Jüdische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität.<br />

Das erste Projekt mit Schülern wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wissenschaftspropädeutischen (W-)Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Kooperation mit<br />

dem Ignaz-Taschner-Gymnasium <strong>in</strong> Dachau, dem Gedächtnisbuch Dachau <strong>und</strong> der Geschichtswerkstatt im<br />

Landkreis Dachau von September 2010 bis März 2012 erprobt. „Ich f<strong>in</strong>de unser W-Sem<strong>in</strong>ar gut. Man macht<br />

sehr viele Erfahrungen <strong>und</strong> man realisiert wie schlimm diese Zeit gewesen ist. Ich denke, es ist wichtig zu erfahren,<br />

was <strong>in</strong> unserer Stadt damals passierte. Ich f<strong>in</strong>de unsere Arbeiten sehr <strong>in</strong>teressant, doch das, was wir<br />

erfahren ist auch traurig <strong>und</strong> macht e<strong>in</strong>en nachdenklich.“ <strong>Die</strong>ses Resümee zieht e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> des W-Sem<strong>in</strong>ars<br />

„Gedächtnisbuch Dachau“ im März 2011 nach sieben Monaten Projektlaufzeit. In dieser Zeit hatten die Schüler<br />

E<strong>in</strong>führungssem<strong>in</strong>are <strong>in</strong> historisch-wissenschaftliches Arbeiten besucht <strong>und</strong> die ersten Recherchen <strong>in</strong>


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

verschiedenen Archiven unternommen, e<strong>in</strong>ige haben auch Oral-History-Interviews durchgeführt. Weitere<br />

Monate der Recherche, der Quellenauswertung <strong>und</strong> des Schreibens lagen da noch vor ihnen. Das Zitat stammt<br />

aus e<strong>in</strong>em Fragebogen, <strong>in</strong> dem die Schüler Zwischenbilanz über ihre bisherige Arbeit zogen. Er diente als<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die weitere pädagogische Begleitung, die entsprechend der Bedürfnisse der Schüler erfolgte.<br />

Der Kurs am Dachauer Gymnasium war für alle Beteiligten e<strong>in</strong> Pilotprojekt. Seit über zehn Jahren betreut das<br />

Gedächtnisbuch-Projekt Schüler bei Facharbeiten über ehemalige KZ-Häftl<strong>in</strong>ge. <strong>Die</strong>se Erfahrungen flossen <strong>in</strong><br />

die Konzeption der Projektarbeit <strong>in</strong> W-Sem<strong>in</strong>aren e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den neuen Kursen des achtklassigen<br />

Gymnasiums unterschieden sich jedoch von der bisherigen Arbeit mit Leistungskurs-Facharbeiten.<br />

<strong>Die</strong> Unterschiede liegen sowohl <strong>in</strong> der schulischen Struktur begründet (Kursverband gegenüber E<strong>in</strong>zelarbeiten;<br />

enge Zusammenarbeit mit dem Kursleiter; gesunkenes Durchschnittsalter der Schüler gegenüber dem neunklassigen<br />

Gymnasium; verstärkter Term<strong>in</strong>druck bei den Schülern, der recht wenig Zeit für Projektarbeit lässt;<br />

Erlernen von wissenschaftlichen Arbeitsmethoden) als auch <strong>in</strong> den sich langsam verändernden Bed<strong>in</strong>gungen<br />

biographischer Recherchen über die NS-Zeit (weniger Kontakte zu Überlebenden <strong>und</strong> anderen Zeitzeugen).<br />

<strong>Die</strong> Notwendigkeit, vermehrt <strong>in</strong> Archiven zu recherchieren <strong>und</strong> weniger durch Oral-History-Quellen belegen zu<br />

können, ist momentan noch je nach thematischem Schwerpunkt unterschiedlich stark ausgeprägt: Für regionale<br />

Schwerpunkte, die sich z.B. mit verfolgten Vertretern der Oppositionsparteien befassen <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere für<br />

das Angebot des BLLV, Biographien von jüdischen <strong>Lehrer</strong>n <strong>in</strong> Bayern zu erarbeiten, trifft dies <strong>in</strong> besonderem<br />

Maße zu, da hier vor allem ältere Generationen von NS-Verfolgten e<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />

Daher zielt die pädagogische Begleitung verstärkt darauf ab, Schüler auf e<strong>in</strong>e selbständige Recherche <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Archiven vorzubereiten. 4 <strong>Die</strong> Schüler lernen hierbei, wie sie e<strong>in</strong> biographisches Spurensucheprojekt<br />

angehen können, wie <strong>und</strong> wo sie Literatur <strong>und</strong> Quellen f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> nutzen können, welche Archivalien Auskunft<br />

über die Biographie e<strong>in</strong>er Person geben können, wie sie ihre Recherche dokumentieren, wie korrekt zitiert <strong>und</strong><br />

bibliographiert wird. Sie müssen immer wieder ermutigt werden, sich durch anfangs spärliche Ergebnisse nicht<br />

so schnell entmutigen zu lassen <strong>und</strong> stattdessen Selbstvertrauen, Spürs<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Ideen zu entwickeln, <strong>und</strong> sich<br />

zuzutrauen, ihre Ideen umzusetzen <strong>und</strong> sich selbst auf die Suche zu machen. Um e<strong>in</strong>e Recherche vorwiegend<br />

auf der Basis von Archivalien durchzuführen <strong>und</strong> damit zu Ergebnissen zu kommen, die veröffentlicht werden<br />

können, brauchen die Schüler zunächst viel „Input“, e<strong>in</strong>e große Menge an Informationen <strong>und</strong> „Regelwerk“,<br />

manchmal auch Begleitung <strong>in</strong>s Archiv. <strong>Die</strong>s kann zunächst dazu führen, dass bei ihnen der E<strong>in</strong>druck von Überforderung<br />

entsteht. Im Fragebogen zur Zwischenbilanz des ersten W-Sem<strong>in</strong>ars hat sich gezeigt, dass sich die<br />

meisten Schüler nach sieben Monaten Projektlaufzeit gut <strong>in</strong> die Recherche e<strong>in</strong>gef<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> selbständig<br />

auf relevante Archivalien gestoßen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> größte Eigen<strong>in</strong>itiative zeigten dabei Schüler, die nicht gleich beim<br />

ersten Archivbesuch (<strong>in</strong> der KZ-Gedenkstätte Dachau) fündig wurden. <strong>Die</strong>jenigen, die ihrer anfänglichen<br />

Unsicherheit entgegentraten, <strong>in</strong>dem sie sich Unterstützung suchten, bzw. die Schüler, die e<strong>in</strong>en externen Tutor<br />

(z.B. e<strong>in</strong>en Heimatforscher oder e<strong>in</strong>en Berater, der z.B. aufgr<strong>und</strong> von Sprachkenntnissen <strong>in</strong> dem jeweiligen<br />

Projekt die Schüler zusätzlich unterstützen konnte) haben die größte Vielfalt an Quellen angegeben. Alle Schüler<br />

4 Me<strong>in</strong> ausdrücklicher Dank geht an dieser Stelle an Rebecca He<strong>in</strong>emann. Sie engagiert sich seit e<strong>in</strong>igen Jahren als wissenschaftliche Berater<strong>in</strong> des Gedächtnisbuch-Projekts <strong>und</strong> hat auch für den BLLV u.a. die<br />

Sem<strong>in</strong>are am Ignaz-Taschner-Gymnasium über Archivarbeit <strong>und</strong> Quellenkritik durchgeführt.<br />

88


89<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

nutzten nach der Hälfte der Projektlaufzeit ausführliche E<strong>in</strong>zelgespräche, <strong>in</strong> denen sie die nächsten Schritte ihrer<br />

Recherche vorbereiteten. <strong>Die</strong>se Gespräche boten auch der Projektleitung die Möglichkeit zu überprüfen, ob die<br />

Schüler die bisher gef<strong>und</strong>enen Informationen richtig e<strong>in</strong>schätzen konnten, ob sie Quellen verstanden <strong>und</strong> die<br />

Inhalte e<strong>in</strong>ordnen konnten, ob sie im bisher gef<strong>und</strong>enen Material neue Spuren erkannten, <strong>und</strong> ob sich eventuell<br />

neben den von den Schülern im Zwischenbericht selbst genannten Problemen noch andere Schwierigkeiten<br />

zeigten. Zur Vorbereitung der E<strong>in</strong>zelgespräche musste jeder Schüler e<strong>in</strong>en stichpunktartigen Lebenslauf mit<br />

Quellen erstellen <strong>und</strong> dazu Fragen, Widersprüche <strong>und</strong> noch offene Recherchevorhaben notieren sowie den<br />

Arbeitsordner mit allen Unterlagen mitbr<strong>in</strong>gen. Anhand dieser Lebensläufe wurden dann geme<strong>in</strong>sam weitere<br />

Rechercheaufträge erarbeitet. Bis zu den Sommerferien hatten die Schüler ihre ersten Textentwürfe abzugeben,<br />

damit Korrekturläufe <strong>und</strong> eventuelle Nachrecherchen noch vor Abgabe der Sem<strong>in</strong>ararbeiten abgeschlossen<br />

werden konnten. Bis e<strong>in</strong> Text zur Veröffentlichung freigegeben werden kann, müssen <strong>in</strong> der Regel drei Korrekturläufe<br />

erfolgen.<br />

Das Konzept wurde anhand dieses Kurses weiterentwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen auch anderen Schulen angeboten.<br />

Im September 2012 begann e<strong>in</strong> neues W-Sem<strong>in</strong>ar am Franz-Marc-Gymnasium Markt Schwaben, ebenfalls <strong>in</strong><br />

Kooperation mit dem Gedächtnisbuch Dachau, <strong>in</strong> dem 13 Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen zehn Biographien erstellen,<br />

fünf davon über jüdische <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e über e<strong>in</strong>e katholische <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>, die wegen ihrer jüdischen Abstammung<br />

1933 nicht <strong>in</strong> den staatlichen Schuldienst übernommen wurde <strong>und</strong> 1939 nach England emigrierte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong> des W-Sem<strong>in</strong>ars am Ignaz-Taschner-Gymnasium, Hedy Bäuml, berichtete gegen Ende des<br />

Projekts, dass die Schüler sich wiederholt darüber beklagt hätten, wie viel Arbeit mit dem Projekt verb<strong>und</strong>en sei.<br />

„Es war wirklich sehr viel Arbeit“ schreibt e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> <strong>in</strong> der abschließenden Evaluation im Februar 2012 auf<br />

die Frage nach der besonderen Schwierigkeit ihrer Arbeit unter anderem. E<strong>in</strong> Ausdruck dieser Arbeitsüberlastung<br />

dürfte es auch se<strong>in</strong>, dass von 13 Schülern bisher nur drei der dr<strong>in</strong>genden Bitte nachkamen, den Evaluationsbogen<br />

auszufüllen, den sie Ende Januar erhalten hatten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> werden <strong>in</strong> dieser Auswertung<br />

auch Zitate von zwei Schüler<strong>in</strong>nen angeführt, die über andere Häftl<strong>in</strong>ge des KZ Dachau (nicht über jüdische<br />

<strong>Lehrer</strong>) recherchierten. Unzweifelhaft ist, dass die Projektarbeit den Schülern e<strong>in</strong>e außergewöhnlich hohe E<strong>in</strong>satzbereitschaft<br />

abverlangt, <strong>und</strong> dass der schulische Rahmen mit zahlreichen Prüfungen <strong>und</strong> hoher Wochenst<strong>und</strong>enzahl<br />

den Schülern eigentlich kaum den Raum lässt, den sie bräuchten, um die hohen Anforderungen e<strong>in</strong>es<br />

so anspruchsvollen Rechercheprojektes zu erfüllen. Obwohl die <strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>, die selbst zur Schulleitung gehört,<br />

den Schülern <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen mehrfach anbot, ihnen Tage frei zu geben, damit sie Archivbesuche machen<br />

konnten, nahm dieses Angebot niemand an: Der Prüfungsdruck war zu hoch, als dass sich jemand erlauben<br />

wollte, Unterricht zu verpassen. Stattdessen fuhren die Schüler lieber <strong>in</strong> den Ferien <strong>in</strong> die Archive <strong>und</strong> setzten e<strong>in</strong>en<br />

erheblichen Teil ihrer Freizeit für das Projekt e<strong>in</strong>. Auch die E<strong>in</strong>zelgespräche mit der Projektleiter<strong>in</strong> fanden zur<br />

Hälfte <strong>in</strong> den Osterferien statt. Unter diesen Umständen kann man verstehen, dass <strong>in</strong>dividuelles E<strong>in</strong>gehen auf<br />

die e<strong>in</strong>zelnen Schüler, sowie Bestätigung der Bedeutung oder Besonderheit ihrer Arbeit zur Unterstützung ihrer


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Motivation sehr wichtig war. In der abschließenden Evaluation der Schüler kam noch e<strong>in</strong>e weitere Schwierigkeit<br />

zum Ausdruck: das Gefühl der Überforderung zu Beg<strong>in</strong>n der Recherche bzw. die Angst nicht genug Material zu<br />

f<strong>in</strong>den, verb<strong>und</strong>en mit der Gefahr sich bei Rückschlägen entmutigen zu lassen. „Am Anfang hätte ich be<strong>in</strong>ahe<br />

wieder aufgegeben, weil ich nicht wirklich was über Hermann gef<strong>und</strong>en habe“ schreibt Laura Thiele im Februar<br />

2012 <strong>in</strong> der Evaluation ihrer Recherche über den <strong>Lehrer</strong> der Israelitischen Realschule <strong>in</strong> Fürth, Hermann Mandelbaum.<br />

Ihr Rat an neue Teilnehmer: „Nicht sofort entmutigen lassen. Wiederholt nachfragen, wenn man ke<strong>in</strong>e<br />

Antwort von Archiven etc. erhält.“ Recht entmutigt äußerte sich Vivien Polewka nach sechs Monaten Projektarbeit<br />

zu ihrer Recherche über den jüdischen <strong>Lehrer</strong> Moritz Rosenfeld <strong>in</strong> der Zwischenbilanz: „An sich f<strong>in</strong>de ich das<br />

Thema sehr <strong>in</strong>teressant, nur f<strong>in</strong>de ich es schade, dass ich bis jetzt zu me<strong>in</strong>er Person nur wenige Informationen<br />

f<strong>in</strong>den konnte. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie viel Anna an Informationen hat, möchte ich am liebsten gar ke<strong>in</strong>e<br />

Biographie mehr schreiben, da ich das Gefühl bekomme, dass ich niemals so gut <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressant schreiben<br />

kann wie sie (aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Informationen).“ Moritz Rosenfeld starb 1939 <strong>in</strong> München, wenige Monate<br />

nach se<strong>in</strong>er Haft im Konzentrationslager Dachau. Im Verlaufe des Projekts ist es Vivien Polewka zwar gelungen,<br />

e<strong>in</strong>e Personalakte mit zahlreichen Informationen über se<strong>in</strong>e beruflichen Tätigkeiten zu f<strong>in</strong>den, jedoch gelang es<br />

nicht, Kontakt zu Angehörigen herzustellen. Auch e<strong>in</strong>e andere Schüler<strong>in</strong> rät <strong>in</strong> der Abschlussevaluation: „Man<br />

sollte nie schon gleich am Anfang aufgeben“. <strong>Die</strong> Schüler<strong>in</strong>nen, die recht bald Kontakt zu Angehörigen hatten,<br />

äußerten nicht die Angst, nicht genug Material zu f<strong>in</strong>den. Für sie lagen die Schwierigkeiten eher dar<strong>in</strong>, die Informationsfülle<br />

s<strong>in</strong>nvoll zu bündeln <strong>und</strong> das Material zusammenzufassen oder dar<strong>in</strong>, mit der Nervosität vor dem<br />

Zeitzeugen<strong>in</strong>terview fertig zu werden. <strong>Die</strong> Möglichkeit, Kontakt zu Überlebenden oder Angehörigen gleich zu<br />

Beg<strong>in</strong>n vermittelt zu bekommen, ist im Biographie-Projekt des BLLV jedoch kaum gegeben, beim Gedächtnisbuch<br />

Dachau wird sie zunehmend seltener.<br />

<strong>Die</strong> Kommentare der Schüler<strong>in</strong>nen zeigen, dass die Begegnung mit den Angehörigen <strong>und</strong> die Recherche e<strong>in</strong>drückliche<br />

Lernimpulse geben <strong>und</strong> nachhaltige E<strong>in</strong>drücke h<strong>in</strong>terlassen. „Durch die <strong>in</strong>tensive Recherche ist e<strong>in</strong><br />

sehr persönlicher Bezug zu der Thematik des Nationalsozialismus entstanden <strong>und</strong> der Schrecken nochmal viel<br />

näher gebracht worden. Durch das Ause<strong>in</strong>andersetzen ist mir noch e<strong>in</strong>mal bewusst geworden, wie wichtig es ist,<br />

dass so etwas nicht nochmal passiert.“ (Laura Thiele, Februar 2012). Laura bezeichnet als wichtigste Schritte<br />

der Recherche die „Interviews mit den K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> dem ehemaligen Schüler“, die ihr e<strong>in</strong> „besseres Bild über die<br />

Persönlichkeit von Hermann [Mandelbaum]“ vermittelten. Anne Guggemoos, die über e<strong>in</strong>en als Homosexuellen<br />

verfolgten ehemaligen KZ-Häftl<strong>in</strong>g schrieb, führt als e<strong>in</strong>e ihrer Tiefphasen aus, es sei „schwer mit dem Leid <strong>und</strong><br />

Schmerz des ehemaligen Häftl<strong>in</strong>gs klarzukommen“. <strong>Die</strong> wichtigsten Gedanken, die sie während der Recherche<br />

beschäftigten: „Wie konnte das alles passieren? Wieso lernen wir <strong>in</strong> der Schule so wenig über Homosexuelle?“<br />

Laura Thieles Gedanken zeugen von der Reflexion der Schüler<strong>in</strong> über ihre Rolle als Berichterstatter<strong>in</strong> <strong>und</strong> von<br />

der <strong>in</strong>tensiven Beschäftigung mit der Lebensgeschichte des von ihr Portraitierten. Als wichtigsten Gedanken,<br />

der sie während der Recherche beschäftigte, nennt sie: „Wie Hermann Mandelbaum wohl darüber denken würde,<br />

dass ich über se<strong>in</strong> Leben berichte, wäre er mit der Darstellung zufrieden? Wie hat er die Zeit damals wirklich<br />

erlebt <strong>und</strong> wie würde er mir von se<strong>in</strong>em Leben berichten?“<br />

90


91<br />

Schreibstubenkarte von Hermann Mandelbaum aus dem<br />

Konzentrationslager Dachau. Quelle: ITS Bad Arolsen,<br />

No. 9892582#1 (1.1.6.1/0001-0189/0006/0070), KZ<br />

Dachau, Schreibstubenkarte<br />

Teilnehmende Schüler lernen Methoden des historischen Forschens kennen <strong>und</strong> setzen sie für e<strong>in</strong>e Arbeit e<strong>in</strong>,<br />

die nicht <strong>in</strong> der „Schublade“ verschw<strong>in</strong>det, sondern veröffentlicht wird. Insgesamt überwiegt <strong>in</strong> den Antworten<br />

der Schüler<strong>in</strong>nen der positive E<strong>in</strong>druck <strong>und</strong> auch der Stolz, die Schwierigkeiten überw<strong>und</strong>en zu haben. Laura<br />

Thieles abschließendes Fazit ist trotz der anfänglichen Schwierigkeiten positiv: „Ich b<strong>in</strong> froh an dem Sem<strong>in</strong>ar<br />

teilgenommen zu haben, da ich das Gefühl habe, wirklich etwas Gutes geleistet zu haben <strong>und</strong> <strong>in</strong> gewisser Weise<br />

e<strong>in</strong> Denkmal an Hermann Mandelbaum gesetzt zu haben.“ Auf die Frage, wie zufrieden sie mit ihrer Facharbeit<br />

sei, antwortete sie: „Sehr zufrieden <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong> bisschen stolz, die erste zu se<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>e Biographie über se<strong>in</strong><br />

Leben verfasst hat.“ Anne Guggemoos resümiert: „Das Projekt hat sich auf jeden Fall gelohnt, ich kann es nur<br />

weiterempfehlen! […] Auch wenn es viel Arbeit war, kann man letztendlich stolz auf sich se<strong>in</strong>.“ Auf die Frage,<br />

<strong>in</strong>wieweit das Projekt ihren anfänglichen Vorstellungen entsprochen habe, antwortet sie: „Das Projekt hat me<strong>in</strong>e<br />

Erwartungen übertroffen. Ich hätte nicht gedacht, dass man so viel über das Leben e<strong>in</strong>er Person herausf<strong>in</strong>den<br />

kann.“ Alle drei Schüler<strong>in</strong>nen, die den Evaluationsbogen ausgefüllt haben, zeigten sich äußerst zufrieden mit den<br />

Ergebnissen ihrer Recherche: „Sehr zufrieden, da ich anfänglich gedacht habe, ich erhalte nicht genug Material“<br />

(Laura Thiele). Trotzdem haben alle drei Schüler<strong>in</strong>nen im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> noch neue Ideen entwickelt, wo sie noch<br />

weiter hätten suchen könnten.<br />

die ersten BioGrAphien<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Im Frühjahr 2012 beenden die ersten drei Schüler<strong>in</strong>nen im W-Sem<strong>in</strong>ar des Ignaz-Taschner-Gymnasiums<br />

Dachau ihre Beiträge für das Biographie-Projekt des BLLV.<br />

Laura Thiele schrieb ihren Beitrag über den 1901 geborenen Sohn Hermann des <strong>Lehrer</strong>s <strong>und</strong> Schulleiters<br />

der Würzburger Israelitischen Unterrichts- <strong>und</strong> Erziehungsanstalt Aron Mandelbaum. 5 Nach dem Abschluss<br />

des Humanistischen Gymnasiums Würzburg begann Hermann Mandelbaum an der Universität <strong>in</strong> Würzburg zu<br />

studieren, unterbrach das Studium für e<strong>in</strong>ige Jahre, <strong>in</strong> denen er im Bankwesen tätig war, <strong>und</strong> nahm schließlich<br />

1928 an der Technischen Hochschule München das Studium der Wirtschaftswissenschaften <strong>und</strong> Geographie<br />

wieder auf. 1931 legte er das erste Staatsexamen für den Lehrberuf ab. 6 Nach dem zweiten Staatsexamen trat<br />

er se<strong>in</strong>e erste Stelle an der Israelitischen Realschule Fürth an, wo er unter vielen anderen auch den späteren<br />

amerikanischen Außenm<strong>in</strong>ister He<strong>in</strong>z (Henry) Kiss<strong>in</strong>ger unterrichtete. Auch Hermann Mandelbaum wurde am<br />

10. November 1938 verhaftet <strong>und</strong> zusammen mit Tausenden anderen männlichen Juden <strong>in</strong>s Konzentrationslager<br />

Dachau gebracht. 7 Ende Dezember wurde er entlassen. Im Juli 1939 gelang ihm zusammen mit se<strong>in</strong>er<br />

hochschwangeren Ehefrau Else die Flucht nach England, wo fünf Tage nach ihrer Ankunft ihr erstes von sechs<br />

K<strong>in</strong>dern geboren wurde. 8 Im Juni 1940 übersiedelt die Familie <strong>in</strong> die USA, wo sie sich <strong>in</strong> Philadelphia e<strong>in</strong> neues<br />

Leben aufbauten. Hermann Mandelbaum fand Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Papier-Großhandlung <strong>und</strong> war nebenberuflich<br />

wieder als <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor tätig. Er starb am 30. Juli 1958.<br />

5 Strätz: Biographisches Handbuch, Bd. I, S. 367f.<br />

6 Personalakte Hermann Mandelbaum, BayHStA.<br />

7 Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau.<br />

8 Landesamt für Entschädigung EG 97240 <strong>und</strong> BEG 27507.


Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

Vivien Polewka erstellte e<strong>in</strong>e Biographie des 1879 <strong>in</strong> Schopfloch geborenen Moritz Rosenfeld. Er stammte<br />

aus e<strong>in</strong>er jüdischen Kaufmannsfamilie <strong>und</strong> besuchte von 1895 bis 1897 das Königliche Schullehrersem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong><br />

Würzburg. 9 Zunächst arbeitete er als Volksschullehrer <strong>und</strong> Religionslehrer der Israelitischen Volksschule Sche<strong>in</strong>feld<br />

<strong>in</strong> Mittelfranken. 1913 zog er nach München <strong>und</strong> übernahm die Stelle des zweiten Geme<strong>in</strong>desekretärs der<br />

jüdischen Geme<strong>in</strong>de München <strong>und</strong> wurde als Vertretungslehrer im Religionsunterricht e<strong>in</strong>gesetzt. Nach e<strong>in</strong>em<br />

Jahr wurde er zum Kriegsdienst e<strong>in</strong>gezogen. In den letzten beiden Kriegsjahren war er als Unteroffizier der<br />

Bayerischen Armee Rekrutenausbilder <strong>in</strong> Neuburg an der Donau. Nach Kriegsende arbeitet er als Religionslehrer<br />

an der Riemerschmid´schen Handelsschule. 1934 wurde er als staatlich besoldeter Religionslehrer der<br />

erweiterten jüdischen Schule <strong>in</strong> München zugewiesen. 10 An se<strong>in</strong>em 59. Geburtstag, dem 10. November 1938<br />

wurde er <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau e<strong>in</strong>gewiesen. 11 Nach knapp e<strong>in</strong>em Monat wieder entlassen, starb er<br />

noch im selben Jahr am 3. September 1939 mit nur 59 Jahren, vermutlich an den Folgen der Haft.<br />

Lydia Kießl<strong>in</strong>g recherchierte über den jüdischen <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Kantor Jakob (Jacob) Hohenemser, der 1911 <strong>in</strong><br />

Haigerloch bei Tüb<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kaufmannsfamilie geboren wurde. Von 1928 bis 1931 studierte er an der<br />

Israelitischen <strong>Lehrer</strong>bildungsanstalt (ILBA) <strong>in</strong> Würzburg. 12 Nach dem Examen arbeitete er Kantor <strong>und</strong> Religionslehrer<br />

an der Raschi-Synagoge <strong>in</strong> Worms. 1936 wechselte er an die jüdische Geme<strong>in</strong>de München. Auch er<br />

wurde am 10. November 1938 <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau gebracht. Im August 1939 gelang ihm die Emigration<br />

nach New York. Er ließ sich <strong>in</strong> Providence, Rhode Island nieder, wurde Kantor am dortigen Geme<strong>in</strong>de<br />

Temple Emanu-El <strong>und</strong> wurde Mitglied des National Council der Cantors Assembly of the United Synagogue of<br />

America. Jacob Hohenemser starb am 6. August 1964. Kurz nach se<strong>in</strong>em Tod erschien e<strong>in</strong>e Langspielplatte<br />

mit Aufnahmen liturgischer Kompositionen, gesungen von Jacob Hohenemser. 13<br />

resümee<br />

<strong>Die</strong> Identität e<strong>in</strong>es Menschen bildet sich auf der Gr<strong>und</strong>lage se<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerungen aus, verändert sich mit immer<br />

neuen <strong>und</strong> immer neu er<strong>in</strong>nerten Erlebnissen. Unseres Gedächtnisses, unserer Er<strong>in</strong>nerungsfähigkeit beraubt,<br />

würden wir unsere Identität – wie wir sie uns selbst zuschreiben, verlieren. Auch für soziale Gruppen erfüllt die<br />

Er<strong>in</strong>nerungsfähigkeit e<strong>in</strong>e ähnlich wichtige Funktion, sie ist nötig zur Selbstidentifikation der e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder<br />

<strong>und</strong> somit zur Bildung der Gruppe. <strong>Die</strong> Verdrängung von traumatisierenden Erlebnissen, die für das Überleben<br />

e<strong>in</strong>es Menschen wichtig se<strong>in</strong> kann, die aber bekanntermaßen auch zu neuen Problemen <strong>und</strong> Retraumatisierung<br />

führen kann, kennen wir auch aus dem gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus.<br />

An vielen Orten <strong>in</strong> Deutschland gibt es bis heute Ause<strong>in</strong>andersetzungen darüber, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit<br />

man sich der NS-Geschichte der eigenen Geme<strong>in</strong>de stellen soll. Vielerorts hat es jedoch Geschichtswerkstätten,<br />

Projekte, Schulen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen gegeben, die zu zahlreichen Themen der lokalen NS-Geschichte<br />

geforscht haben <strong>und</strong> auch Kontakt zu den Überlebenden der Shoah gesucht haben. In letzter Zeit drängt sich<br />

9 Personalakte 18199, StAM., 10 BayHSTA MK61207., 11 Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau., 12 Strätz: Biographisches Handbuch, Bd. I, S. 273.,<br />

13 Cantor Jacob Hohenemser. A Life for Jewish Music, herausgegeben vom Jüdischen Museum Hohenems 2010.<br />

92<br />

Hermann Mandelbaum (zweiter von l<strong>in</strong>ks) im Hof der<br />

Realschule, der Direktor Dr. Fritz Prager <strong>und</strong> die Lehrkräfte<br />

(von l<strong>in</strong>ks) Dr. Benno He<strong>in</strong>emann, Dr. Simon Eldod,<br />

Herr Falkenmeier <strong>und</strong> Adolf Kohn. Quelle: Blume, Gisela<br />

Naomi: Chronik von Fürth. S.20 (Stand: 01.11.2011)


93<br />

Lebensgeschichten Jüdischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong><br />

mir nun aber der Gedanke auf, dass bei dieser durchaus positiv zu bewertenden Entwicklung e<strong>in</strong> Ungleichgewicht<br />

zu entstehen sche<strong>in</strong>t: vielleicht bed<strong>in</strong>gt durch die vielen Jahre, die die „Er<strong>in</strong>nerungsarbeiter“ mancherorts<br />

kämpfen mussten (<strong>und</strong> müssen), um Gehör zu f<strong>in</strong>den, wenn sie an das Schicksal der Verfolgten er<strong>in</strong>nern wollen,<br />

gerät das alltägliche, das „normale“ jüdische Leben vor 1933 <strong>in</strong> den toten W<strong>in</strong>kel vieler Betrachter. Kaum wird<br />

bedacht, dass auch das Erbe der nicht selbst verfolgten, weil vor 1933 verstorbenen bayerischen Juden durch<br />

die <strong>Verfolgung</strong> ihrer Nachkommen nicht weitergetragen wird. Somit fehlen für die Selbstidentifizierung der heute<br />

jugendlichen Bewohner e<strong>in</strong>er Ortschaft mit e<strong>in</strong>st starkem jüdischen Bevölkerungsanteil nicht nur die Nachkommen<br />

der damals dort ansässigen Juden selbst, sondern auch das Erbe <strong>und</strong> die Er<strong>in</strong>nerungen an die Menschen,<br />

die diese Nachkommen weitergetragen hätten, würden sie heute noch leben. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken von e<strong>in</strong>zelnen Persönlichkeiten ihres Ortes – auch mit Personen, die vor 1933 die Hochphase<br />

ihres Wirkens bereits durchlaufen hatten – trägt dazu bei, sich dieses Verlustes bewusst zu werden. Auch<br />

kann sie korrigierend auf e<strong>in</strong> möglicherweise sonst entstehendes Bild von deutschen Juden ausschließlich <strong>in</strong><br />

ihrer Rolle als „Opfer“ wirken.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne kann das Biographie-Projekt des BLLV für Schüler <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e besondere<br />

Gelegenheit eröffnen, zum Erhalt der Er<strong>in</strong>nerung an das Leben der Juden <strong>in</strong> ihren Geme<strong>in</strong>den beizutragen<br />

<strong>und</strong> sich selbst wieder mit <strong>jüdischer</strong> Kultur vertraut zu machen. In den ersten zwanzig Jahren des zwanzigsten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts dürften die meisten christlichen K<strong>in</strong>der Frankens <strong>und</strong> Schwabens mit jüdischen Feiertagen <strong>und</strong><br />

Bräuchen etwas anzufangen gewusst haben. Viele von ihnen hatten Mitschüler der anderen Konfession oder<br />

lebten mit jüdischen Familien im selben Ort. <strong>Die</strong>ses damals selbstverständliche Kennen bedeutete nicht, dass es<br />

ke<strong>in</strong>e Vorbehalte oder das Zusammenlaben gar völlig spannungsfrei gewesen wäre. Dennoch ist es aus heutiger<br />

Perspektive e<strong>in</strong> für die meisten Orte verlorenes Nebene<strong>in</strong>ander der Kulturen. Durch die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit Biographien aus der eigenen Ortschaft erhalten die Schüler die Möglichkeit, e<strong>in</strong>en Teil der Geschichte ihrer<br />

Geme<strong>in</strong>de kennen zu lernen, der ihnen e<strong>in</strong> Leben eröffnet, da e<strong>in</strong>st eng zu diesem Ort gehörte – auch, wenn<br />

heute ke<strong>in</strong>e Nachkommen dieser Familien mehr hier leben. <strong>Die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an das Leben dieser Menschen<br />

haben die überlebenden Nachkommen <strong>in</strong> ihre Emigrationsländer mitgenommen. In e<strong>in</strong>igen Fällen wird die Projektarbeit<br />

hoffentlich dazu führen, den Kontakt zwischen den heute lebenden Generationen über die Grenzen<br />

h<strong>in</strong>weg anzuregen.


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

der BAyerische lehrerVere<strong>in</strong> im<br />

nAtionAlsoziAlismus<br />

<strong>Die</strong>ter Reithmeier, Fritz Schäffer 1<br />

Am 30. März 1933 prangte auf dem Deckblatt des Vere<strong>in</strong>sorgans<br />

des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s, der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung, der Aufruf des 1. Vorsitzenden Daniel W<strong>in</strong>kle<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es Schriftführers Hans Feid an die Mitglieder des<br />

BLV zur E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er außerordentlichen Vertreterversammlung<br />

für den 25. April 1933 <strong>in</strong> München. <strong>Die</strong> lapidare<br />

Begründung lautete: „<strong>Die</strong> neue Lage stellt den Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> vor die Verpflichtung, am Neuaufbau unseres<br />

Volkes tatkräftigst mitzuarbeiten. Dazu braucht die Vere<strong>in</strong>sleitung<br />

das vollste Vertrauen der Vere<strong>in</strong>smitglieder.“ Auf e<strong>in</strong>er<br />

Sitzung der erweiterten Geschäftsleitung am 25./26. März<br />

hatte der elfköpfige geschäftsführende Hauptausschuss des<br />

BLV se<strong>in</strong>en Rücktritt erklärt. <strong>Die</strong> Tagesordnung für die auf die<br />

Schnelle e<strong>in</strong>zuberufende Vertreterversammlung bestand aus<br />

nur zwei Punkten: „Nationale Erneuerung, Schule <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>schaft“<br />

<strong>und</strong> „Neuwahlen“ (BLZ 1933 S. 196).<br />

E<strong>in</strong>ladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung des<br />

BLV <strong>in</strong> München am 25. April 1933 (BLZ 1933 S. 197)<br />

Was war passiert? Am 30. Januar 1933 hatte Reichspräsident<br />

Paul von H<strong>in</strong>denburg Adolf Hitler zum Reichskanzler<br />

ernannt. Zwei Tage später am 1. Februar 1933 wurde auf<br />

Hitlers Drängen der existierende Reichstag aufgelöst. Am<br />

27. Februar brannte der Reichstag. Am 28. Februar erließ der<br />

Reichspräsident H<strong>in</strong>denburg auf Druck des Reichskanzlers<br />

die Notverordnung „zum Schutz von Volk <strong>und</strong> Staat“ (sog.<br />

„Reichstagsbrandverordnung“). Sie hob das Gr<strong>und</strong>recht auf<br />

persönliche Freiheit auf <strong>und</strong> bildete somit die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

staatliche Willkür <strong>und</strong> Unterdrückung. Hitler ließ im Rahmen<br />

dieser Verordnung die kommunistische <strong>und</strong> sozialdemokratische<br />

Presse verbieten <strong>und</strong> die Führungspersonen von SPD<br />

<strong>und</strong> KPD ebenso wie andere Gegner der Nationalsozialisten<br />

verhaften <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternieren. Unter den Kritikern <strong>und</strong> Gegnern<br />

der Nazis herrschte e<strong>in</strong> Klima der Angst <strong>und</strong> des Terrors. Am<br />

5. März bereits fand die Reichstagswahl statt. Mit 43,9 % der<br />

Stimmen für die NSDAP <strong>und</strong> 8 % für die Deutschnationale<br />

Volkspartei, die unter dem Namen Kampffront Schwarz-<br />

Weiß-Rot angetreten war (Partei des Reichspräsidenten<br />

Paul von H<strong>in</strong>denburg), hatten die Rechtsradikalen die Mehr-<br />

heit im Reichstag erreicht. Sozialdemokraten, Kommunisten<br />

<strong>und</strong> die konservative Zentrumspartei waren weit abgeschlagen.<br />

Am 23. März verabschiedete der Reichstag das sog.<br />

Ermächtigungsgesetz, das der Regierung die Gesetzgebungs-<br />

1 Teile dieses Aufsatzes s<strong>in</strong>d der Untersuchung von Fritz Schäffer: Josef Bauer – e<strong>in</strong> „aufrechter“ Nationalsozialist? – Politische Biographie des Münchner Stadtschulrats <strong>und</strong> Vorsitzenden des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s<br />

im Dritten Reich, erschienen im Kl<strong>in</strong>khardt-Verlag, Bad Heilbrunn/Obb 1995 entnommen. Sie wurden überarbeitet <strong>und</strong> gekürzt. Der besseren Lesbarkeit wurden <strong>in</strong> diesem Aufsatz die Quellenangaben<br />

weggelassen.<br />

Lange Zeit gab es als e<strong>in</strong>zige Darstellung des BLV im Nationalsozialismus die Festschrift zum 100jährigen Gründungsjubiläum des BLLV von Johannes Guthmann mit dem Titel „E<strong>in</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert Standes- <strong>und</strong><br />

Vere<strong>in</strong>sgeschichte“(Oldenbourg Verlag) München 1961. <strong>Die</strong>se Darstellung beschränkt sich ausschließlich auf die Ause<strong>in</strong>andersetzung um die Auflösung des BLV <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Sozialenrichtungen, die allerd<strong>in</strong>gs<br />

sehr detailliert dargestellt werden (leider ohne Quellenangaben). Guthmann blendet die gesamte Frage der weltanschaulichen Ausrichtung des BLV vor <strong>und</strong> nach der „Gleichschaltung“ im Jahr 1933 aus <strong>und</strong><br />

versucht die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Überführung des BLV <strong>in</strong> den Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong> (NSLB) zu e<strong>in</strong>em Widerstandsakt gegen den Unrechtsstaat zu stilisieren, was der historischen<br />

Wahrheit nicht gerecht wird.<br />

94


95 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Am 10. März 1933 trafen sich die Mitglieder des<br />

erweiterten Geschäftsleitung des BLV das letzte Mal<br />

(1. R. 2. v. l. Daniel W<strong>in</strong>kle, 2. R. l. Friedrich Nüchter,<br />

3. R. 5. v. l. Carl Weiß)<br />

kompetenz übergab. Damit hatte der Reichstag sich selbst<br />

entmachtet <strong>und</strong> die Diktatur beschlossen. Danach wurden<br />

zuerst die Mandate der Kommunisten <strong>und</strong> dann der Sozialdemokraten<br />

der NSDAP zugeschlagen.<br />

In Bayern hatten die Rechtsradikalen die absolute Mehrheit<br />

knapp verfehlt: <strong>Die</strong> NSDAP hatte 43,1 % erreicht, die DNVP<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur 4,1 %. Am 9. März setzte die Reichsregierung<br />

gegen den Widerstand der bayerischen Regierung <strong>und</strong> ohne<br />

jede rechtliche Gr<strong>und</strong>lage den Nationalsozialisten Franz Xaver<br />

Ritter von Epp als Reichskommissar für Bayern e<strong>in</strong>. Er übte<br />

damit an Stelle der Staatsregierung die vollziehende Gewalt<br />

aus. Noch <strong>in</strong> der gleichen Nacht verhaftete die SA zahlreiche<br />

namhafte politische Gegner, darunter Innenm<strong>in</strong>ister Stützel,<br />

Stadtrat Thomas Wimmer (SPD), F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister Fritz Schäffer<br />

(BVP) <strong>und</strong> Landtagspräsident Georg Stang (BVP). Ingesamt<br />

wurden mehrere tausend Personen <strong>in</strong>haftiert <strong>und</strong> teilweise<br />

schwer misshandelt.<br />

Reichskommissar Epp schließlich setzte den NSDAP-Gauleiter<br />

von Oberbayern, Adolf Wagner, als Innenm<strong>in</strong>ister e<strong>in</strong> <strong>und</strong> ernannte<br />

den SS-Führer He<strong>in</strong>rich Himmler zum Chef der Polizei.<br />

Damit war auch <strong>in</strong> Bayern die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten<br />

vollzogen. Tags darauf gab das Kab<strong>in</strong>ett Held<br />

dem Druck nach <strong>und</strong> übertrug Epp „die Befugnisse oberster<br />

Landesbehörden Bayerns, soweit zur Erhaltung öffentlicher<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung notwendig“, während im Vorzimmer<br />

bewaffnete SA wartete. <strong>Die</strong> neuen Machthaber teilten am 16.<br />

März die Regierungsämter ohne jede Mitwirkung des Landtags<br />

unter sich auf. 2 Der Volksschullehrer, Landtagsabgeordnete<br />

der NSDAP (seit 1928), „Gauleiter der Ostmark“ <strong>und</strong><br />

Vorsitzende des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es, Hans<br />

Schemm, wurde bayerischer Kultusm<strong>in</strong>ister.<br />

2 Homepage des Hauses der Bayerischen Geschichte http://www.hdbg.de/parlament/<br />

Am 10. März, nur e<strong>in</strong>en Tag nach der Reichstagswahl, trafen<br />

sich die Mitglieder der erweiterten Geschäftsleitung des BLV <strong>in</strong><br />

Tegernsee zu e<strong>in</strong>er außerordentlichen Sitzung. Alle Teilnehmer<br />

mussten unter dem E<strong>in</strong>druck der aktuellen Ereignisse gestanden<br />

haben. Auf dieser Sitzung beschlossen sie, ihre Ämter zur<br />

Verfügung zu stellen <strong>und</strong> für den 25. April e<strong>in</strong>e außerordentliche<br />

Vertreterversammlung mit Neuwahlen e<strong>in</strong>zuberufen. <strong>Die</strong>se<br />

Entscheidung überrascht <strong>in</strong>sofern, als die reguläre Vertreterversammlung<br />

im August 1933, also eh nur vier Monate später,<br />

stattgef<strong>und</strong>en hätte. Mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit waren der<br />

Rücktritt <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er außerordentlichen Vertreterversammlung<br />

schon Anfang März mit den Vertretern des<br />

NSLB, vermutlich handelte es sich um Josef Bauer <strong>und</strong> Karl<br />

Hehl evtl. auch Hans Schemm vere<strong>in</strong>bart worden. <strong>Die</strong>s geht<br />

aus e<strong>in</strong>er Bemerkung W<strong>in</strong>kles <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er nicht gehaltenen Abschiedsrede<br />

hervor, die jedoch <strong>in</strong> der BLZ veröffentlicht wurde.<br />

Er erwähnt dar<strong>in</strong>, dass sich die Führung des BLV mit Vertretern<br />

des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es (NSLB) über die zukünftige<br />

Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen<br />

beraten hatte (BLZ 1933 S. 288). Bei diesem Gespräch<br />

wurde wohl auch über die zu wählenden neuen Vorstände<br />

E<strong>in</strong>igkeit hergestellt, da drei Mitglieder des bisherigen<br />

Vorstands im Amt bleiben sollten.<br />

<strong>Die</strong> genauen Beweggründe für den schnellen Rücktritt bleiben<br />

aber im Dunkeln. Es kann se<strong>in</strong>, dass die Vertreter des BLV von<br />

den Funktionären des NSLB unter Druck gesetzt worden waren,<br />

<strong>in</strong>dem man ihnen mit Sanktionen drohte. <strong>Die</strong> <strong>Verfolgung</strong><br />

der Sozialdemokraten, Kommunisten <strong>und</strong> Oppositionellen nach<br />

dem Reichstagsbrand am 27. Februar ebenso wie die marodierenden<br />

braunen Bataillone (SA) machten deutlich, dass mit<br />

Terror <strong>und</strong> Repression zu rechnen war. Es kann aber auch se<strong>in</strong>,<br />

dass die Führung des BLV angesichts des Drucks des NSLB


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

<strong>in</strong> den vorausgehenden Monaten schlichtweg resignierte hatte<br />

<strong>und</strong> sich <strong>in</strong> das Unvermeidliche schickte. Der BLV hatte hier<br />

ke<strong>in</strong>e Sonderrolle <strong>in</strong>ne, ähnliche Entwicklungen fanden <strong>in</strong> fast<br />

allen anderen Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Organisationen statt.<br />

die Ausserordentliche<br />

VertreterVersAmmlunG 1933<br />

Auf der außerordentlichen Vertretersammlung am 25. April<br />

1933 <strong>in</strong> München wurde e<strong>in</strong> sog. Führerausschuss gewählt,<br />

der nun an die Stelle des geschäftsführenden Ausschusses<br />

trat. Er setzte sich aus fünf Personen zusammen. Bei zwei von<br />

ihnen, Josef Bauer <strong>und</strong> Karl Hehl, handelte es sich um langjährige<br />

<strong>und</strong> überzeugte Nationalsozialisten. Beide hatten auch<br />

im Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong> (NSLB) Ämter <strong>in</strong>ne.<br />

Neuer Vorsitzender des BLV wurde der 52jährige Josef Bauer,<br />

NS-Aktivist seit 1922 <strong>und</strong> Gründungsmitglied des NSLB.<br />

Zwei Tage nach<br />

der außerordentlichenMitgliederversammlung<br />

erschien am 27.<br />

April 1933 die<br />

BLZ mit Hitler,<br />

Schemm <strong>und</strong><br />

Bauer auf der<br />

Titelseite (BLZ<br />

1933 S. 249)<br />

Schriftleiter der Verbandszeitung des BLV, die „Bayerische<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung“, wurde der Nürnberger <strong>Lehrer</strong> Karl Hehl,<br />

aktiver Funktionär im NSLB. Hehl war <strong>in</strong> der BLZ ke<strong>in</strong> Unbekannter.<br />

Der bisherige Schriftleiter Dr. Friedrich Nüchter<br />

hatte ihm <strong>in</strong> der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung mehrmals e<strong>in</strong><br />

Forum für se<strong>in</strong>e Äußerungen gegeben. Dabei war er auch<br />

nicht vor Angriffen auf den Schriftleiter Dr. Friedrich Nüchter<br />

zurückgeschreckt. (BLZ 1932 S. 402, 1933 S. 208). Des<br />

weiteren gehörten dem Führerausschuss an Hauptlehrer<br />

Kellermann aus Selb <strong>in</strong> Oberfranken, Bezirksschulrat Hans<br />

Mambar, seit 1920 1. Vorsitzender des Nürnberger <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s,<br />

<strong>und</strong> Oberlehrer Georg Marsch<strong>in</strong>g ebenso aus Nürnberg,<br />

der seit 1927 Schatzmeister des BLV war.<br />

<strong>Die</strong> Vertreterversammlung lief ruhig <strong>und</strong> harmonisch ab. Der<br />

zurückgetretene Vorsitzende Daniel W<strong>in</strong>kle hielt e<strong>in</strong>e kurze<br />

Eröffnungsansprache, <strong>in</strong> der er Bezug nahm auf Hitlers Antrittsrede<br />

am 21. März <strong>in</strong> Potsdam. Den Regierungswechsel <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> kommentierte er mit den Worten, es handle sich nicht<br />

um e<strong>in</strong>en „Regierungswechsel bisheriger Art“, sondern um<br />

„e<strong>in</strong>e vollkommen neue nationale Staatsführung“. Er schloss<br />

se<strong>in</strong>e Ausführungen mit folgenden Appell: „In diesem Geiste<br />

des Vertrauens unseren fest geschlossenen Bruderb<strong>und</strong>, den<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>, <strong>in</strong> die geme<strong>in</strong>same nationale E<strong>in</strong>heitsfront<br />

e<strong>in</strong>zugliedern, das soll heute das Gebot der St<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> unser Gelöbnis se<strong>in</strong>.“ (BLZ 1933 S. 283)<br />

Der gerade erst am 16. März, also sechs Wochen vor der<br />

Vertreterversammlung zum kommissarischen Kultusm<strong>in</strong>ister<br />

ernannte Hans Schemm, der auch Vorsitzender des NSLB<br />

(Reichswalter) war, hielt die häufig durch Beifall unterbrochene<br />

Hauptrede. Dar<strong>in</strong> knüpfte Schemm an Inhalte <strong>und</strong> Wertorientierungen<br />

des BLV an wie den E<strong>in</strong>satz der <strong>Lehrer</strong> für das Recht<br />

des K<strong>in</strong>des, die Bedeutung der <strong>Lehrer</strong>persönlichkeit <strong>und</strong> die<br />

Rolle der Religion für den Beruf des <strong>Lehrer</strong>s. <strong>Die</strong>se traditionellen<br />

Wertorientierungen überhöhte er durch die Begriffe des<br />

96


97 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Volkes <strong>und</strong> der Volksschule: „Wer nicht bereit ist, se<strong>in</strong> ganzes<br />

Denken, Fühlen <strong>und</strong> Arbeiten unter die Überschrift Volk <strong>und</strong><br />

Volksschule zu stellen, wird aus dieser Volksschule weichen<br />

müssen um des Staates willen.“ Er wies darauf h<strong>in</strong>, dass er<br />

bewusst die Vergangenheit nicht mit Verbitterung hochziehen<br />

lassen wolle, sondern sie „als Schule, aus der unser Gestaltungswille<br />

herausgewachsen ist, versteht.“ (BLZ 1933 S.<br />

284). Unter Beifall brachte er se<strong>in</strong>e Freude über die Vertreterversammlung<br />

zum Ausdruck: „<strong>Die</strong>ses herrliche Bekenntnis zum<br />

deutschen Volk <strong>und</strong> Vaterland beweist, dass der größte Teil der<br />

bayerischen <strong>Lehrer</strong> schon längst Nationalsozialisten waren.<br />

Sehen Sie, das ist das Geheimnis: Man kann nicht Nationalsozialist<br />

werden <strong>und</strong> kann es nicht geworden se<strong>in</strong>. Das ist man<br />

von Rasse, Geburt, Charakter. Wer rassisch verdorben ist, wird<br />

es nicht werden. Wer e<strong>in</strong>en Charakterbruch hat, wird es auch<br />

nicht werden. Wer an uns zugr<strong>und</strong>e geht, soll heute gleich gehen,<br />

den wollen wir nicht. Das ist brutal, aber diese Brutalität<br />

wollen wir nicht verlieren.“ Se<strong>in</strong>e Rede wurde abgeschlossen<br />

durch das spontane Abs<strong>in</strong>gen des Horst-Wessel-Lieds, <strong>in</strong> dem<br />

es u. a. heißt „<strong>Die</strong> Straße frei den braunen Bataillonen, die<br />

Straße frei dem Sturmabteilungsmann! Es schau’n aufs Hakenkreuz<br />

voll Hoffnung schon Millionen, der Tag der Freiheit<br />

<strong>und</strong> für Brot bricht an.“<br />

Nach dieser Rede wurden Daniel W<strong>in</strong>kle, der dem BLV von<br />

1919 bis 1933 vorstand, der 2. Vorsitzende Hans Sandner,<br />

der sich <strong>in</strong>sbesondere bei der E<strong>in</strong>richtung der Krankenhilfe<br />

Verdienste erworben hatte, <strong>und</strong> der Schriftleiter der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung von 1916 bis 1933, Dr. Friedrich Nüchter,<br />

zu Ehrenmitgliedern ernannt.<br />

In e<strong>in</strong>er kurzen sehr persönlichen Antrittsrede sprach der neue<br />

Vorsitzende, Josef Bauer, euphorisch von der großen St<strong>und</strong>e,<br />

da er nach zwölf Jahren Kampf für den Nationalsozialismus<br />

nun den BLV unter dem neuen Staatszeichen, dem Hakenkreuz,<br />

sehe. (BLZ 1933 S. 286) Er bedankte sich bei se<strong>in</strong>en<br />

Vorgängern dafür, dass sie den BLV e<strong>in</strong>ig <strong>und</strong> geschlossen gehalten<br />

hätten, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den unruhigen Jahren nach dem<br />

1. Weltkrieg, <strong>und</strong> für das große Vertrauen, das man ihm durch<br />

die Wahl zum neuen Führer des BLV entgegengebracht habe.<br />

Der scheidende Vorsitzende Daniel W<strong>in</strong>kle kam nicht mehr dazu,<br />

se<strong>in</strong>e Abschiedsrede zu halten, angeblich wegen e<strong>in</strong>er veränderten<br />

Zeite<strong>in</strong>teilung. Sie wurde allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung Nr. 19/1933 abgedruckt. Dar<strong>in</strong> hob W<strong>in</strong>kle die<br />

zentralen traditionellen Forderungen des BLV heraus: Ausbau<br />

der Volksschule durch e<strong>in</strong> 8. Pflichtschuljahr, Schaffung von<br />

Übergangsmöglichkeiten nach der Volksschuloberstufe auf<br />

die höheren Schulen <strong>und</strong> die Berufsschulen, Errichtung neuer<br />

Schulstellen, E<strong>in</strong>führung der christlich-deutschen E<strong>in</strong>heitsschule<br />

<strong>und</strong> die Akademisierung der <strong>Lehrer</strong>bildung. Als größte Herausforderung<br />

bezeichnete er die Zusammenarbeit der beiden<br />

Berufsverbände BLV <strong>und</strong> NSLB, die von „verschiedenen Gesichtspunkten<br />

aus <strong>in</strong>s Leben gerufen s<strong>in</strong>d“. (BLZ 1933 S. 286).<br />

die VorGeschichte: zwischen<br />

e<strong>in</strong>schüchterunG <strong>und</strong> opportunismus<br />

Der BLV hatte Ende der 20er Jahre etwas über 19 000 Mitglieder.<br />

In den siebzig Jahren se<strong>in</strong>er Existenz hatte er sich zu<br />

dem größten Berufsverband <strong>in</strong> Bayern <strong>und</strong> darüber h<strong>in</strong>aus zum<br />

größten <strong>Lehrer</strong>verband <strong>in</strong> Deutschland entwickelt. <strong>Die</strong>s erfüllte<br />

die Mitglieder <strong>und</strong> vor allem die Führung des BLV mit großem<br />

Stolz. <strong>Die</strong> Erfolgsgeschichte war für die damaligen Mitglieder<br />

umso bedeutender als der BLV sowohl von der Kirche als auch<br />

von den konservativen Parteien massiv bekämpft worden war.<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder hatten <strong>in</strong> diesen Ause<strong>in</strong>andersetzungen ihrem<br />

Berufsverband stets die Treue gehalten. Alle Versuche den<br />

BLV zu spalten bzw. Mitglieder für konfessionelle <strong>Lehrer</strong>verbände<br />

abzuwerben, waren gescheitert. <strong>Die</strong> zentralen Überzeugungen,<br />

wie die herausragende Bedeutung e<strong>in</strong>er umfassenden


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Bildung für Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft, die Unabhängigkeit<br />

der Schule von der Kirche <strong>und</strong> die Notwendigkeit der Akademisierung<br />

der <strong>Lehrer</strong>bildung, waren seit der Gründung im Jahr<br />

1861 lebendig geblieben.<br />

Daneben war der BLV enorm erstarkt durch e<strong>in</strong>e Vielzahl herausragender,<br />

die Professionalität der Volksschullehrer fördernder<br />

Aktivitäten wie dem Pädagogisch-Psychologischen<br />

Institut, den Fortbildungsveranstaltungen, der Süddeutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>bücherei. <strong>Die</strong>s wurde verstärkt durch wirtschaftlich<br />

außerordentlich erfolgreiche soziale E<strong>in</strong>richtungen wie der<br />

<strong>Lehrer</strong>witwen- <strong>und</strong> -waisenstiftung, der eigenen Rechtshilfestelle,<br />

der Krankenhilfe, der Brand- <strong>und</strong> Haftversicherung, des<br />

<strong>Lehrer</strong>erholungsheims <strong>in</strong> Berchtesgaden u. v. m. <strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>richtungen<br />

waren etabliert <strong>und</strong> teilweise große Unternehmen<br />

geworden. Sie gaben den Mitgliedern konkrete wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Hilfe <strong>und</strong> unterstützten sie <strong>in</strong> ihrer beruflichen Professionalisierung.<br />

Zurecht konnte Daniel W<strong>in</strong>kle bei se<strong>in</strong>em<br />

Ausscheiden stolz resümieren: „Nach der idealen Seite h<strong>in</strong><br />

hat unser Bayerischer <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> durch se<strong>in</strong>e berufswissenschaftlichen<br />

<strong>und</strong> schulpolitischen Hauptstellen, durch die<br />

weitgehende Organisierung der Fortbildungsarbeit <strong>in</strong> Ferienkursen,<br />

Vortragsreihen, Freizeiten, durch se<strong>in</strong>e große <strong>Lehrer</strong>bücherei,<br />

se<strong>in</strong>e Volksbildungs- <strong>und</strong> Jugendschriftenarbeit usw.<br />

e<strong>in</strong>e Leistung vollbracht, ohne deren wohl geleitete Betätigung<br />

das bayerische Volksschulwesen heute nicht auf se<strong>in</strong>er Höhe<br />

stände.“ (288)<br />

<strong>Die</strong>se umfangreichen Sozial- <strong>und</strong> Wohlfahrtse<strong>in</strong>richtungen<br />

trugen nicht nur zur Sicherung der immer noch schwierigen<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Situation der Mitglieder <strong>und</strong> ihrer<br />

Familien bei. Sie führten auch zu e<strong>in</strong>er großen B<strong>in</strong>dung der<br />

Mitglieder an den BLV, da sie als Selbsthilfee<strong>in</strong>richtungen organisiert<br />

waren. Der BLV bedeutete für se<strong>in</strong>e Mitglieder soziale<br />

Sicherheit <strong>und</strong> ideelle Heimat.<br />

Als Herausforderung musste von der Führung des BLV die<br />

Gründung des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es (NSLB)<br />

gesehen werden. <strong>Die</strong> offizielle Gründung fand am 21. April 1929<br />

<strong>in</strong> Hof statt. Erste Vorbereitungen hatten bereits am Rande<br />

des NSDAP-Reichsparteitages 1926 <strong>in</strong> Weimar stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Dort waren die beiden BLV-Mitglieder Hans Schemm<br />

(suspendierter oberfränkischer <strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Landtagsabgeordneter<br />

der NSDAP, später bayerischer Kultusm<strong>in</strong>ister) <strong>und</strong><br />

Josef Bauer (<strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> München <strong>und</strong> Weggefährte Adolf<br />

Hitlers, später Vorsitzender des BLV) als Redner aufgetreten.<br />

Der NSLB verstand sich als Kampftruppe von <strong>Lehrer</strong>n, die die<br />

Machtübernahme Hitlers vorbereiten wollten. Er war ke<strong>in</strong> Berufsverband<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Selbsthilfeorganisation wie es der<br />

BLV war. Dementsprechend dürftig war auch se<strong>in</strong>e bildungspolitische<br />

Programmatik. <strong>Die</strong> wesentlichen Programmpunkte<br />

trugen allerd<strong>in</strong>gs durchaus die Handschrift des BLV <strong>und</strong> des<br />

Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s wie z. B. die Forderungen nach der<br />

staatlichen E<strong>in</strong>heitsschule <strong>und</strong> der Akademisierung der <strong>Lehrer</strong>bildung.<br />

Mitglied im NSLB konnten nur „Parteigenossen“,<br />

also Mitglieder der NSDAP werden. Eigene Sozial- <strong>und</strong> Wohlfahrtse<strong>in</strong>richtungen<br />

gab es <strong>in</strong> den Gründerjahren nicht. Trotz<br />

programmatischer <strong>und</strong> personeller Überschneidungen fand<br />

e<strong>in</strong>e klare Abgrenzung zum BLV statt. Es war erklärtes Ziel<br />

des NSLB, die „zum größten Teil liberalistisch, marxistisch <strong>und</strong><br />

demokratisch verseuchten <strong>Lehrer</strong>verbände“ (Kühnel 1985 S.<br />

257 Schäffer S. 39) zu vernichten.<br />

Am Rande der Vertreterversammlung des BLV im Jahr 1931<br />

<strong>in</strong> München traten das erste Mal Vertreter des NSLB <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

Josef Bauer, der zu dieser Zeit Leiter des NSLB<br />

im Gau München-Oberbayern war, organisierte parallel zur<br />

Vertreterversammlung mehrere Begleitveranstaltungen ganz<br />

offensichtlich mit dem Ziel, die versammelten BLV-<strong>Lehrer</strong> für<br />

den NSLB bzw. für den Nationalsozialismus zu begeistern.<br />

Interessierte Kollegen erhielten Führungen durch das „Braune<br />

Haus“ <strong>und</strong> am 28. Juli wurden Kollegen zu e<strong>in</strong>em Vortrag des<br />

98


99 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

NSLB-Vorsitzenden (Reichswalter) Hans Schemm e<strong>in</strong>geladen.<br />

Höhepunkt war am 29. Juli e<strong>in</strong>e K<strong>und</strong>gebung im Bürgerbräukeller,<br />

auf der Adolf Hitler sprach.<br />

Auf der BLV-Vertreterversammlung selbst trat Hans Schemm,<br />

der zu diesem Zeitpunkt bereits Reichstagsabgeordneter der<br />

NSDAP war, persönlich auf <strong>und</strong> ließ e<strong>in</strong>e Erklärung verteilen,<br />

<strong>in</strong> dem die Reichsleitung des NSLB den Bayerischen <strong>und</strong> den<br />

Deutschen <strong>Lehrer</strong>verband auffordert, „dass … sie die offene<br />

Kampfansage gegen den Marxismus, der zwangsläufig im Bolschewismus<br />

endigen muss, als wichtigste Kampfparole ihres<br />

Wirkens proklamieren“ <strong>und</strong> dass sie es als deren Pflicht<br />

ansehen, „dass sie alle politischen <strong>und</strong> weltanschaulichen<br />

Strömungen, die dem deutschen Empf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> nationalen<br />

Bewusstse<strong>in</strong> zuwiderlaufen, bekämpfen.“ Schemm wollte auch<br />

mündlich zu diesem Flugblatt Stellung nehmen. <strong>Die</strong> Verteilung<br />

der Erklärung wurde aber vom Vorsitzenden Daniel W<strong>in</strong>kle unter-<br />

b<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mündliche Ausführungen von Hans Schemm auf<br />

Beschluss der Delegierten abgelehnt.<br />

<strong>Die</strong>se Ereignisse führten wenige Wochen später zu e<strong>in</strong>em<br />

Nachspiel: Unter der Überschrift „Der schwarze Tag des Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s“ verbreitete Schemm <strong>in</strong> der Septemberausgabe<br />

der Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>zeitung se<strong>in</strong>e Erklärung<br />

zusammen mit schweren Angriffen auf die BLV-Führung.<br />

<strong>Die</strong>s wiederum hatte e<strong>in</strong>e ausführliche Replik des Schriftleiters<br />

Friedrich Nüchter <strong>in</strong> der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung zur Folge,<br />

die <strong>in</strong> scharfen Attacken auf Schemm, se<strong>in</strong> Verhalten <strong>und</strong><br />

die Nationalsozialistische <strong>Lehrer</strong>zeitung mündete (BLZ 1932<br />

S.599). Nüchter verteidigte sowohl die demokratischen Traditionen<br />

des BLV als auch die Notwendigkeit parteipolitischer<br />

Unabhängigkeit, wobei er sich nicht gegen die Programmatik<br />

der NSDAP stellte. Gleichzeitig verwies er <strong>in</strong> dem Artikel aber<br />

auch mit Stolz auf se<strong>in</strong>e Vergangenheit: „Ich habe e<strong>in</strong>e nationalsoziale<br />

Ortsgruppe ‚im S<strong>in</strong>ne von Friedrich Naumann’ <strong>in</strong><br />

Nürnberg gründen helfen zu e<strong>in</strong>er Zeit, als Herr Schemm <strong>und</strong><br />

sehr viele andere den Namen noch nicht buchstabieren konnten.<br />

Und ich gestehe ganz ehrlich: Alte Liebe rostet nicht.“<br />

In diesen Sätzen wird deutlich, dass sich Nüchter nicht als<br />

Gegner des Nationalsozialismus verstand. Se<strong>in</strong> Denken <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e Vorstellungen überschnitten sich <strong>in</strong> vielem mit der nationalsozialistischen<br />

Programmatik <strong>und</strong> Ideologie. Wogegen er<br />

sich allerd<strong>in</strong>gs wehrte, war der Versuch Schemms <strong>und</strong> anderer<br />

aus den Reihen des NSLB, den BLV als bedeutenden Berufsverband<br />

zu attackieren, als überholt abzustempeln <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Führungsfiguren lächerlich zu machen.<br />

<strong>Die</strong> Gründung <strong>und</strong> die Agitation des NSLB musste von der<br />

Führung des BLV als Bedrohung empf<strong>und</strong>en werden. Zwar war<br />

es <strong>in</strong> den ersten Jahren nach der Gründung nicht das erklärte<br />

Ziel des NSLB, Mitglieder des BLV abzuwerben. Ihm kam<br />

es vielmehr darauf an, Parteimitglieder im BLV zu motivieren,<br />

den BLV nationalsozialistisch auszurichten. Da es auch <strong>in</strong> den<br />

Reihen der <strong>Lehrer</strong> zunehmend Sympathisanten für den Nationalsozialismus<br />

gab, galt es hierbei, e<strong>in</strong>en Spalt zwischen die<br />

<strong>Lehrer</strong>schaft <strong>und</strong> die Führung des BLV zu treiben. Ausgehend<br />

von e<strong>in</strong>er scharfen Polemik gegen Friedrich Nüchter wurde <strong>in</strong><br />

diesem S<strong>in</strong>ne z. B. <strong>in</strong> dem Hetzblatt „Der Stürmer“ 1932 e<strong>in</strong>e<br />

Attacke gegen den BLV geritten: „… Aber die Herren täuschen<br />

sich. Sie haben ja gar ke<strong>in</strong>e Ahnung von dem Ansehen,<br />

das sie bei der Mitgliederschaft noch genießen. … Ja, me<strong>in</strong>e<br />

Herren, die Zeiten haben sich geändert. Ihr seid gar nicht mehr<br />

das Sprachrohr der Me<strong>in</strong>ung der <strong>Lehrer</strong>schaft. … So machen<br />

wir bewusst e<strong>in</strong>en sehr scharfen Unterschied zwischen <strong>Lehrer</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>. Der Vere<strong>in</strong>sleitung sagen wir den<br />

Kampf an. Der Vere<strong>in</strong> gehört den <strong>Lehrer</strong>n <strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong> paar<br />

verknöcherten oder siebengescheiten Demokraten. Er muss<br />

erhalten bleiben um der <strong>Lehrer</strong>schaft willen. Damit er erhalten<br />

bleibt muss e<strong>in</strong>e Säuberung von oben herab e<strong>in</strong>treten. Hier<br />

greifen wir an mit aller Schärfe <strong>und</strong> Rücksichtslosigkeit. …“<br />

(BLZ 1933 S. 373) Nüchter vermutete h<strong>in</strong>ter dem Artikel den<br />

Nürnberger NSLB-Funktionär Karl Hehl.


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

<strong>Die</strong> nationalsozialistische <strong>Lehrer</strong>zeitung<br />

war das Kampforgan des<br />

NSLB, das die <strong>Lehrer</strong>verbände<br />

immer wieder heftig attackierte.<br />

Vor allem Hans Schemm nutzte sie<br />

für se<strong>in</strong>e Propaganda.<br />

Seit Mitte 1932 gewann der vorher weitgehend unbedeutende<br />

NSLB aber stark an Attraktivität <strong>und</strong> öffentlicher Bedeutung,<br />

die über das Selbstverständnis als nationalsozialistische<br />

Kampftruppe <strong>in</strong> der <strong>Lehrer</strong>schaft h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g. So bekannten<br />

sich <strong>in</strong>zwischen auch renommierte Pädagogen öffentlich zum<br />

Nationalsozialismus wie z. B. der bekannte Frankfurter Pädagoge<br />

Ernst Krieck. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen des NSLB, der <strong>in</strong><br />

ganz Deutschland agierte, stiegen von 4 000 im April 1932<br />

auf 12 000 im März 1933. Mit der Machtergreifung Hitlers war<br />

das eigentliche Ziel des NSLB erreicht. Für den Führer des<br />

NSLB Hans Schemm stellte sich nun die Aufgabe, aus der<br />

Kampforganisation die E<strong>in</strong>heitsfront der Erzieher <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong><br />

zu formen.<br />

Vor dem ende der weimArer repuBlik:<br />

die proGrAmmAtische<br />

GrAtwAnderunG der BlV-führunG<br />

In den 30er Jahren trafen auch <strong>in</strong> den Kreisen der <strong>Lehrer</strong>schaft<br />

die Ideen des Nationalsozialismus zunehmend auf e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>teressiertes Echo. <strong>Die</strong>s wurde dadurch erleichtert, dass es<br />

unverkennbar erhebliche programmatische Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />

zwischen BLV <strong>und</strong> der nationalsozialistischen Schulpolitik<br />

gab wie z. B. die Abschaffung der Konfessionsschule, der<br />

Ausbau der Volksschule durch e<strong>in</strong>e Volksschuloberstufe <strong>und</strong><br />

die Akademisierung der <strong>Lehrer</strong>bildung. H<strong>in</strong>zu kam die Hoffnung<br />

auf e<strong>in</strong>e Rückkehr zu sozialer <strong>und</strong> wirtschaftlicher Stabilität.<br />

<strong>Die</strong> desolate Situation der öffentlichen Haushalte hatte<br />

zu mehrfachen Besoldungskürzungen geführt. Sie bedrohten<br />

den eh bescheidenen Lebensstandard der <strong>Lehrer</strong>schaft massiv.<br />

Außerdem waren die <strong>Lehrer</strong> täglich mit der immer größer<br />

werdenden Not konfrontiert. Sie mussten bei ihren Schülern<br />

Tag für Tag erleben, was Arbeitslosigkeit für die Familien bedeutete<br />

– Verzweiflung, Hunger, Armut. Angesichts dieser Not<br />

100<br />

wurde die Ause<strong>in</strong>andersetzung der Parteien, die sich immer<br />

häufiger <strong>in</strong> Saalschlachten <strong>und</strong> Gewaltexzessen entlud, von<br />

vielen mit Unverständnis beobachtet <strong>und</strong> mit als Gr<strong>und</strong> für<br />

den gesellschaftlichen Ausnahmezustand erlebt. Zweifel, ob<br />

die Demokratie tatsächlich e<strong>in</strong>e Antwort auf die Krise geben<br />

könne, wurden auch unter der <strong>Lehrer</strong>schaft immer größer.<br />

Man hoffte auf e<strong>in</strong>e starke Hand, die Stabilität <strong>und</strong> Sicherheit<br />

br<strong>in</strong>gen würde.<br />

Der antidemokratischen nationalsozialistischen Bewegung<br />

stand die demokratische Tradition des BLV entgegen. <strong>Die</strong><br />

Wurzeln des BLV lagen im Kampf für Freiheit <strong>und</strong> Demokratie.<br />

Auch war die E<strong>in</strong>beziehung der jüdischen Kollegen <strong>in</strong> das<br />

Verbandsleben selbstverständlich. In den heftigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

vor allem mit der katholischen Kirche <strong>und</strong> den<br />

konservativen kirchentreuen Parteien war die Unabhängigkeit<br />

<strong>und</strong> Neutralität des BLV von zentraler Bedeutung für se<strong>in</strong><br />

Selbstverständnis <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Stärke. Auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der politischen Parteien pochte der BLV auf Unabhängigkeit.<br />

<strong>Die</strong> sozialen E<strong>in</strong>richtungen des BLV gaben vielen Kollegen<br />

auch <strong>in</strong> der Zeit der Weltwirtschaftskrise Schutz. Viele <strong>Lehrer</strong><br />

verurteilten die E<strong>in</strong>schüchterungsmethoden der SA, des NSLB<br />

<strong>und</strong> der NSDAP.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> war spätestens <strong>in</strong> den 30er Jahren<br />

e<strong>in</strong>e öffentlich Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der nationalsozialistischen<br />

Bewegung <strong>und</strong> ihren schulpolitischen Vorstellungen<br />

für den BLV unvermeidbar. Sie wurde vom Schriftleiter der<br />

BLZ, Friedrich Nüchter, mit e<strong>in</strong>er Artikelfolge angestoßen, die<br />

mit dem Abdruck der Rede des Vorsitzenden des Deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>verbandes, Georg Wolff, auf e<strong>in</strong>er <strong>Lehrer</strong>versammlung<br />

<strong>in</strong> Rostock im Juni 1932 begann (BLZ 1932 S. 321). Der<br />

Titel der Rede war „Schule, <strong>Lehrer</strong>schaft <strong>und</strong> Deutscher <strong>Lehrer</strong>-<br />

vere<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Gegenwart“. Ihm folgten Aufsätze von Josef<br />

Streicher, dem Bruder des berüchtigten Stürmer-Herausge-


101 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

bers Julius Streicher, zum Thema „Neutralität?“ (BLZ 1932<br />

S. 387), vom Leiter der schulpolitischen Hauptstelle des BLV,<br />

Carl Weiß, mit dem Titel „Wird unsere Schule der gegenwärtigen<br />

Kultur- <strong>und</strong> Wirtschaftslage gerecht?“, vom Schriftleiter<br />

der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung, Friedrich Nüchter, zum Thema<br />

„Politische Neutralität des Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s?“ (BLZ<br />

1932 S. 445), von Lothar Kolb, dem späteren Reichsgeschäftsführer<br />

des NSLB, zum Thema „Nationalsozialismus <strong>und</strong><br />

Volksschule“ (BLZ 1932 S. 598), <strong>und</strong> von mehreren anderen<br />

Autoren. Auch Vertretern des NSLB wurde <strong>in</strong> demokratischem<br />

S<strong>in</strong>ne die Möglichkeit gegeben, sich <strong>in</strong> der BLZ zu äußern.<br />

Vor allem der Nürnberger NSLB-Funktionär <strong>und</strong> kurzzeitige<br />

Schriftleiter der BLZ (Mai bis Dezember 1933), Karl Hehl,<br />

machte davon Gebrauch.<br />

<strong>Die</strong> Führung des BLV sah sich mit e<strong>in</strong>er äußerst komplizierten<br />

Gemengelage konfrontiert, die es zu bewältigen galt. Oberstes<br />

Ziel der Führung des BLV war es dabei offensichtlich, den<br />

Verband als eigene unabhängige Selbsthilfee<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong><br />

als geschlossene Berufsgeme<strong>in</strong>schaft gegen die Angriffe <strong>und</strong><br />

Übernahmeandrohungen des NSLB zu erhalten. Alle Verlautbarungen<br />

<strong>und</strong> Handlungen der Verbandsspitze zwischen 1931<br />

<strong>und</strong> der außerordentlichen Vertreterversammlung am 25. April<br />

1933 müssen unter diesem Aspekt gesehen <strong>und</strong> bewertet<br />

werden. Dennoch wird <strong>in</strong> den meistens sehr ausführlichen<br />

Texten deutlich, dass die Hauptakteure – Weiß <strong>und</strong> Nüchter –<br />

sich zwar vehement gegen die hetzerische Agitation <strong>und</strong> das<br />

e<strong>in</strong>schüchternde Auftreten der Nationalsozialisten stellten, programmatisch<br />

aber durchaus e<strong>in</strong>e Brücke zwischen dem BLV<br />

<strong>und</strong> den Positionen der Nationalsozialisten bauen wollten.<br />

In der Ausgabe Nr. 25 der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung vom<br />

23. Juni 1932 äußerte sich der Leiter der schulpolitischen<br />

Hauptstelle im BLV, Carl Weiß, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfangreichen Artikel<br />

zu der Frage der parteipolitischen Unabhängigkeit <strong>und</strong> der<br />

Neutralität des BLV (BLZ 1932 S. 337). Er bezeichnet die<br />

Parteien, <strong>in</strong>sbesondere die Kommunisten <strong>und</strong> die NSDAP als<br />

„Integrationsparteien“, die den gesamten Menschen erfassen<br />

<strong>und</strong> durch entsprechende Angebote <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> ihre<br />

Partei „total“ <strong>in</strong>tegrieren wollten – soz. von der Wiege bis zur<br />

Bahre. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> müsse sich der BLV positionieren,<br />

ohne se<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>überzeugungen, nämlich die „Bildung<br />

der harmonischen Persönlichkeit“ <strong>und</strong> „die berufliche Selbstverwaltung“,<br />

aufzugeben. Allerd<strong>in</strong>gs sei die Demokratie nach<br />

se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nicht nötig, um diese Leitideen zu verfolgen,<br />

denn e<strong>in</strong> Bekenntnis zur Demokratie würde den Verband h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen<br />

<strong>in</strong> die parteipolitische Ause<strong>in</strong>andersetzung. Demokratie<br />

sei e<strong>in</strong> beliebiger „Idealbegriff“ geworden, der je nach<br />

politischem Lager <strong>in</strong>terpretiert <strong>und</strong> als Kampfbegriff verwendet<br />

werde. „Mit dieser Festlegung ‚für die Demokratie’ wäre e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>deutige E<strong>in</strong>reihung <strong>in</strong> das politische Kräftesystem verb<strong>und</strong>en.<br />

Drastisch gesagt: Der Berufsverband wäre Anhängsel<br />

e<strong>in</strong>er bestimmten Front. … Aber gerade dieser Opportunismus<br />

würde jede Gr<strong>und</strong>lage der Selbstbehauptung zerstören.<br />

Wir brauchen tieferen Gr<strong>und</strong>.“ (BLZ 1932 S. 338) Und weiter:<br />

„Weiß man, worum es sich heute handelt: um die Rettung<br />

der menschlichen Existenz, um die Rettung der menschlichen<br />

Substanz, dann ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>em jenes Postulat: Persönlichkeitsentfaltung<br />

<strong>und</strong> Demokratie sehr nichtssagend.“ Anders<br />

ausgedrückt: <strong>Die</strong> Demokratie ist für die Aufgabe des <strong>Lehrer</strong>s,<br />

für die Bildung nicht von Bedeutung.<br />

Weiß forderte <strong>in</strong> besagtem Aufsatz, dass der BLV vielmehr die<br />

politischen Phrasen entlarven <strong>und</strong> sich der Realität zuwenden<br />

solle: „Wenn wir den Mut nicht aufbr<strong>in</strong>gen, den Affektgehalt<br />

der Phrasen zu zerstören <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvolle Begriffe an ihre Stelle<br />

zu setzen … dann f<strong>in</strong>den wir für die von uns geforderte Neutralität<br />

ke<strong>in</strong>en Boden. S<strong>in</strong>d wir aber <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne radikal, so<br />

wird sich zeigen, dass wir e<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d. Unser Kampf darf nicht um


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Worte gehen, sondern um reale Lebenstatsachen.“ Weiß verweigerte<br />

sich damit der aktuellen weltanschaulich-politischen<br />

Positionierung, <strong>in</strong>dem er sich auf das Handeln der <strong>Lehrer</strong>schaft<br />

<strong>in</strong> der Tradition des BLV zurückzieht: „Verteidigen wir Würde<br />

<strong>und</strong> Wert des Menschen, kämpfen wir für menschenwürdige<br />

Zustände, lassen wir uns nicht von leeren Wortgespenstern<br />

täuschen, seien wir radikale Idealisten <strong>und</strong> ebenso harte Realisten<br />

<strong>und</strong> tun wir vor allem das Unsere, d. h. was der Tag <strong>und</strong><br />

der Beruf von uns fordert, so haben wir Boden unter den Füßen<br />

<strong>und</strong> brauchen uns nicht auf e<strong>in</strong>e schwächliche, nicht sehende,<br />

nicht hörende, nicht redende Neutralität zurückziehen.“<br />

Ganz offensichtlich zielt Weiß mit dieser Argumentation darauf<br />

ab, e<strong>in</strong>e Spaltung des Verbandes durch jede Form von<br />

Politisierung vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er sich radikalisierenden<br />

öffentlichen politischen Ause<strong>in</strong>andersetzung, wie sie die<br />

Gesellschaft im Jahr 1932 kennzeichnete, zu vermeiden. Er<br />

stellte die berufliche Identität <strong>und</strong> die <strong>in</strong>haltliche Ziele des BLV<br />

als so wichtig heraus, dass sie über der ideologisch zugespitzten<br />

Tagespolitik stehen müssen.<br />

E<strong>in</strong>e Woche später, am 30 Juni 1932, erschien <strong>in</strong> der<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung e<strong>in</strong> weiterer Gr<strong>und</strong>satzartikel zur<br />

Frage der „politischen Neutralität des Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s“.<br />

Verfasst wurde er vom Schriftleiter der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung, Dr. Friedrich Nüchter. Se<strong>in</strong> Untertitel „Nachklänge<br />

zu ‚Rostock’ 3 <strong>und</strong> Vorspiele für allerlei notwendige Überlegungen“<br />

deutet darauf h<strong>in</strong>, dass Nüchter se<strong>in</strong>e Ausführungen<br />

als gr<strong>und</strong>legende Gedanken über die Zukunft des Deutschen<br />

<strong>und</strong> des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s verstanden wissen wollte.<br />

Er war sich ganz offensichtlich dabei durchaus bewusst, dass<br />

dieser Aufsatz zu e<strong>in</strong>er breiteren Diskussion führen würde.<br />

Ausgangspunkt der Überlegungen von Nüchter war die Ablehnung<br />

e<strong>in</strong>es Antrags auf der Versammlung des Deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Rostock mit folgendem Wortlaut (Auszug):<br />

3 In Rostock hatte am 17. <strong>und</strong> 18. Mai 1932 der Deutsche <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> getagt.<br />

102<br />

„Der DLV bekennt sich daher zur Idee der Gleichberechtigung<br />

<strong>und</strong> Mündigkeit aller Volksgenossen <strong>und</strong> wendet sich damit<br />

mit aller Schärfe gegen alle Bestrebungen, die Demokratie<br />

durch die Diktatur zu ersetzen <strong>und</strong> bekennt sich erneut zu<br />

der Gr<strong>und</strong>idee der Reichsverfassung: Das deutsche Reich ist<br />

e<strong>in</strong>e Republik, die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Nüchter<br />

rechtfertigte die Ablehnung <strong>und</strong> setzte sich wie schon Weiß <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz kritisch mit der Idee der Demokratie ause<strong>in</strong>ander.<br />

Nüchter g<strong>in</strong>g dabei weiter als Carl Weiß. Nach se<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>schätzung würde e<strong>in</strong> Bekenntnis der Führung des BLV zur<br />

Demokratie gleichgesetzt mit parteipolitischer Abhängigkeit.<br />

Man müsste sich dann der jeweiligen Regierungspartei unterordnen.<br />

<strong>Die</strong>s widerspreche aber dem Gebot der Neutralität des<br />

BLV (BLZ 1932 S. 356).<br />

Im Laufe des<br />

Jahres 1932<br />

erschienen<br />

<strong>in</strong> der BLZ<br />

zahlreiche Artikel<br />

zur Frage der<br />

Neutralität des<br />

Bayerischen <strong>und</strong><br />

des Deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s<br />

(BL/1932 S.<br />

353)<br />

<strong>Die</strong>se Distanzierung von der Demokratie muss vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

der aktuellen Ereignisse <strong>in</strong> den Jahren 1932 <strong>und</strong><br />

1933 gesehen werden. <strong>Die</strong> vier größten Parteien im Reichstag<br />

waren zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1932 die SPD (24,5 %), die<br />

NSDAP (18,3 %), die KPD (13,1 %) <strong>und</strong> das Zentrum<br />

(11,8 %). Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 erhielt die<br />

NSDAP jedoch bereits doppelt so viele Stimmen. Sie erreichte<br />

37,7 %. Sowohl die NSDAP auf der rechten als auch die


103 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Immer wieder wurden provozierende<br />

Angriffe des Nationalsozialistischen<br />

<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es (NSLB) auf die Führung<br />

des BLV <strong>in</strong> der Nationalsozialistischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung publiziert.<br />

Kommunisten auf der l<strong>in</strong>ken Seite bekämpften die Demokratie<br />

der Weimarer Republik. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es politisches Bekenntnis<br />

des BLV zur Demokratie barg aus Sicht der BLV-Führung<br />

deshalb die große Gefahr, von der stark an Zustimmung gew<strong>in</strong>nenden<br />

NSDAP offen bekämpft <strong>und</strong> <strong>in</strong> der heftigen ideologischen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Nationalsozialisten auf<br />

der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong> Kommunisten auf der anderen zerrieben<br />

zu werden. E<strong>in</strong>e Befürchtung, die sich nach 1933 durchaus als<br />

reell erwies. Durch die pragmatisch-unscharfe Positionierung<br />

blieb der BLV auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten<br />

e<strong>in</strong> Stück unangreifbar. Deshalb bedeutete für<br />

Weiß <strong>und</strong> Nüchter Neutralität de facto e<strong>in</strong>e Distanzierung von<br />

den demokratischen Parteien, also vom konservativen Zentrum,<br />

der Bayerischen <strong>und</strong> Deutschen Volkspartei <strong>und</strong> von der<br />

Sozialdemokratischen Partei. Man erhoffte sich ganz e<strong>in</strong>fach,<br />

durch diese öffentliche Positionierung von den Nationalsozialisten<br />

nicht <strong>in</strong> die Enge getrieben zu werden <strong>und</strong> <strong>in</strong> den politischen<br />

Wirren die Reihen des BLV geschlossen halten zu können.<br />

H<strong>in</strong>zu kam natürlich, dass auch die Mitglieder des BLV<br />

<strong>in</strong> ihrer politischen E<strong>in</strong>stellung sehr heterogen waren. Unter<br />

den Volksschullehrern gab es auch zahlreiche Sympathisanten,<br />

Unterstützer <strong>und</strong> Mitglieder der NSDAP. Also galt es auch,<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Zerreißprobe des BLV zu vermeiden. <strong>Die</strong>s gelang<br />

am besten durch das bewusste Vermeiden e<strong>in</strong>er politischen<br />

Positionierung, durch „Neutralität“ auch h<strong>in</strong>sichtlich der Angriffe<br />

der Nationalsozialisten auf die Weimarer Demokratie.<br />

Nur so kann man Nüchter verstehen, wenn er am Ende se<strong>in</strong>es<br />

Aufsatzes zu dem verblüffenden Schluss kommt: „<strong>Die</strong> notwendige<br />

Aufgabe des Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s ist <strong>in</strong> diesem<br />

Augenblick nicht der Schutz der Verfassung (aber auch nicht<br />

– so füge ich jetzt h<strong>in</strong>zu – der Kampf für das dritte, vierte oder<br />

fünfte Reich, wozu ihn andere gebrauchen möchten!), sondern<br />

die Erhaltung des Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s.“ (S. 372)<br />

Damit hebt er die Bedeutung der Berufsorganisation über die<br />

demokratische Ordnung, <strong>in</strong>dem er diese zur Disposition stellt.<br />

Was hat Weiß <strong>und</strong> Nüchter zu dieser <strong>in</strong>differenten, ja skeptischen<br />

Position gegenüber der demokratischen Ordnung der<br />

Weimarer Republik veranlasst? Welche Ziele haben sie damit<br />

verfolgt? War es wirkliche Überzeugung oder taktisches<br />

Kalkül? Es deutet manches darauf h<strong>in</strong>, dass die beiden e<strong>in</strong>e<br />

doppelte Sorge umtrieb: Würde der BLV sich dem Druck der<br />

erstarkenden nationalsozialistischen Gruppen, <strong>in</strong>sbesondere<br />

auch des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es (NSLB) beugen,<br />

müsste er se<strong>in</strong>e Leitziele aufgeben <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e pädagogische<br />

Überzeugungen verraten. Er würde programmatisch<br />

entkernt zum Instrument der Ideologie der Nationalsozialisten<br />

<strong>in</strong>klusive der zu diesem Zeitpunkt von Weiß <strong>und</strong> Nüchter verurteilten<br />

Rassenideologie werden. Andererseits war nicht von<br />

der Hand zu weisen, dass im Schulterschluss mit NSDAP <strong>und</strong><br />

NSLB realpolitisch e<strong>in</strong>e Reihe von konkreten schulpolitischen<br />

Forderungen des BLV umgesetzt werden könnten, vor allem<br />

die Überw<strong>in</strong>dung der Bekenntnisschule, e<strong>in</strong> Ziel des BLV seit<br />

1861. Auch mag durchaus die Überlegung e<strong>in</strong>e Rolle gespielt<br />

haben, dass BLV <strong>und</strong> die führenden Funktionäre im Falle e<strong>in</strong>er<br />

Regierungsübernahme der NSDAP mit massiven Sanktionen<br />

rechnen müssten, würden sie öffentlich für die Demokratie<br />

e<strong>in</strong>treten <strong>und</strong> sich gegen Ideologie <strong>und</strong> Vorgehensweise der<br />

NSDAP <strong>und</strong> des NSLB aussprechen. Weiß <strong>und</strong> Nüchter hatten<br />

vermutlich gehofft, diesem Dilemma zu entgehen, <strong>in</strong>dem<br />

sie sich politisch von den demokratischen Wurzeln des BLV<br />

distanzierten <strong>und</strong> sich auf die pädagogischen <strong>und</strong> schulpolitischen<br />

Kernanliegen des BLV zurückzogen, nämlich die <strong>Lehrer</strong><br />

<strong>in</strong> ihrer Professionalität <strong>und</strong> ihrem sozialen Status zu stärken<br />

<strong>und</strong> die Selbsthilfe für se<strong>in</strong>e Mitglieder zu sichern. Alles<br />

darüber h<strong>in</strong>aus erklärten sie zur Parteipolitik <strong>und</strong> da galt das<br />

Postulat der Neutralität.


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

In e<strong>in</strong>er nach se<strong>in</strong>em Rücktritt <strong>in</strong> der BLZ veröffentlichten<br />

„Letzten Überschau“ resümiert Friedrich Nüchter se<strong>in</strong>e<br />

Tätigkeit als Schriftleiter. Nachdem nun deutlich war, dass die<br />

NSDAP im Kampf gegen die existierende staatliche Ordnung<br />

gewonnen hatte, versuchte er, durch Zitate aus se<strong>in</strong>er eigenen<br />

schriftstellerischen Tätigkeit <strong>und</strong> aus der Geschichte des BLV<br />

nachzuweisen, dass er persönlich <strong>und</strong> der BLV eigentlich die<br />

„besseren Nationalsozialisten“ gewesen seien: „Woh<strong>in</strong> soll der<br />

Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> sich <strong>in</strong> diesen Tagen ‚um’schalten?<br />

Er war national <strong>und</strong> sozial seit se<strong>in</strong>em Bestehen … Man könnte<br />

also auch sagen: Das wichtigste <strong>und</strong> mit ganz besonderer<br />

Freude zu begrüßende Ereignis der letzten Monate ist für den<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> das, dass sich, dank der nationalsozialistischen<br />

Sturmbewegung, endlich auch der bayerische<br />

Staat gleichgeschaltet hat mit der vom Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong><br />

schon längst e<strong>in</strong>gehaltenen Richtung.“ Und weiter: „Der<br />

Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> hat seit se<strong>in</strong>em Bestehen stets das<br />

Verhältnis des Volksschullehrers zum Ganzen, zum Volk <strong>und</strong><br />

zum Staat … zur Gr<strong>und</strong>lage se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s <strong>und</strong> aller se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelforderungen,<br />

Wünsche <strong>und</strong> Beurteilungen gemacht. Er begrüßt<br />

deshalb auf das lebhafteste die Wendung der politischen<br />

Lage <strong>in</strong> Deutschland, durch die se<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>gesetz zum Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

für alle Lehrenden werden muss.“ (BLZ 1933 S. 290).<br />

104<br />

Gleichzeitig beschwor Nüchter aber durchaus auch die Notwendigkeit<br />

der kritischen Diskussion, der Freiheit <strong>und</strong> der<br />

Unabhängigkeit des BLV. <strong>Die</strong>se letzten Gedanken Nüchters<br />

können als Versuch gelesen werden, eigentlich Unvere<strong>in</strong>bares<br />

mite<strong>in</strong>ander zu verb<strong>in</strong>den, um den BLV <strong>und</strong> damit auch<br />

das eigene Lebenswerk nicht <strong>in</strong>s politische Abseits zu führen.<br />

Es kann aber auch se<strong>in</strong>, dass Nüchter schlichtweg Angst<br />

vor politischer <strong>Verfolgung</strong> hatte, denn immerh<strong>in</strong> hatte er sich<br />

mit Funktionären des NSLB heftige öffentliche Kontroversen<br />

geliefert. Dass die Nationalsozialisten auch nachdem sie die<br />

Macht an sich gerissen hatten nicht vor Gewalt <strong>und</strong> Repression<br />

zurückschreckten, war spätestens nach der brutalen <strong>Verfolgung</strong><br />

der Regimegegner nach dem Reichstagsbrand Ende<br />

Februar 1933 ke<strong>in</strong> Geheimnis. Nüchters Rückschau ist den-<br />

Friedrich Nüchter zieht <strong>in</strong> der BLZ nach 14 Jahren als<br />

Schriftleiter Resümee.<br />

noch auch e<strong>in</strong> Dokument der persönlichen Niederlage, denn<br />

nun übernahmen Personen die Führung im BLV, die jahrelang<br />

gegen die demokratischen Wurzeln des BLV, gegen se<strong>in</strong>e<br />

demokratisch legitimierte Führung <strong>und</strong> vor allem auch gegen<br />

ihn selbst gehetzt hatten.<br />

Während Nüchter nach dieser abschließenden Replik <strong>in</strong> der<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung nicht mehr publizierte, f<strong>in</strong>den sich<br />

ab September 1934 <strong>in</strong> der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung wieder


105 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Aufsätze des früheren Leiters der schulpolitischen Hauptstelle<br />

im BLV, Carl Weiß. <strong>Die</strong> Ausgabe 39 vom 27. September 1934<br />

z. B. macht mit e<strong>in</strong>em Artikel von ihm auf zum Thema „Was<br />

kann die Schule zur politischen Erziehung beitragen?“ Dar<strong>in</strong><br />

schafft Weiß mit wagemutigen Anleihen bei Philosophen <strong>und</strong><br />

Pädagogen <strong>und</strong> weitschweifigen Argumentationsketten e<strong>in</strong>en<br />

ideologischen Überbau für die völkische Aufgabe der Schule<br />

im Nationalsozialismus. Ab 1935 ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der BLZ weitere<br />

Artikel von Weiß, die ihn zweie<strong>in</strong>halb Jahre nach se<strong>in</strong>en<br />

kritischen Äußerungen <strong>in</strong> der BLZ nun als Protagonisten <strong>und</strong><br />

Propagandisten e<strong>in</strong>es rassisch-völkischen Erziehungsbegriffes<br />

ausweisen. Er behandelt unter anderem folgende Themen<br />

„Völkische Erziehung“. , (BLZ 1935, S. 397), „Der Kampf des<br />

deutschen Volkes um se<strong>in</strong>en Lebensraum“ (BLZ 1937 S.101),<br />

„Schule <strong>und</strong> Vierjahresplan – Was der Führer will“ (BLZ 1937<br />

S. 265). Dazu muss man wissen, dass Carl Weiß auf der außerordentlichen<br />

Vertreterversammlung im April 1933 von dem<br />

neu gewählten sog. Führerstab unter der Leitung von Josef<br />

Bauer zum Mitglied des achtköpfigen Führerrats berufen worden<br />

war (BLZ 1933 S. 441) 4 .<br />

Dass sich der 1. Vorsitzende des BLV, Daniel W<strong>in</strong>kle, <strong>in</strong> den 30er<br />

Jahren ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal <strong>in</strong> der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung zur<br />

politischen Situation <strong>und</strong> zum Verhältnis zum Nationalsozialismus<br />

bzw. zum NSLB äußerte, während Carl Weiß <strong>und</strong> Friedrich<br />

Nüchter dies sehr ausführlich taten, ist auf den ersten Blick<br />

überraschend. W<strong>in</strong>kle hatte, wie er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abschiedsrede am<br />

25. April 1933 erwähnte, bei der Vertreterversammlung 1931<br />

schon se<strong>in</strong>en Rückzug aus der Verbandsführung angekündigt.<br />

Es deutet manches darauf h<strong>in</strong>, dass Daniel W<strong>in</strong>kle, der 1919<br />

<strong>und</strong> 1920 mit dem sozialdemokratischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

<strong>und</strong> BLV-Mitglied Johannes Hoffmann eng zusammengearbeitet<br />

hatte <strong>und</strong> der <strong>in</strong> der liberal-demokratischen Tradition<br />

se<strong>in</strong>es Vorgängers Johann-Baptist Schubert stand, zu den<br />

Vorgängen schwieg, da er die nationalsozialistische Bewegung<br />

4 Carl Weiß war von 1949 bis 1963 Schriftleiter des Verbandsorgans „Bayerische Schule“<br />

5 E<strong>in</strong>e detaillierte biografische Darstellung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der Arbeit von Fritz Schäffer, auf der die hier zitierten Angaben größtenteils beruhen.<br />

Josef Bauer gehörte zu den engen<br />

Mitarbeitern Adolf Hitlers <strong>in</strong> München.<br />

Hier am Rande des NSDAP-Gautags<br />

von Oberbayern am 3.7.1932.<br />

L<strong>in</strong>ks von Hitler Josef Bauer, rechts<br />

Ernst Röhm <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich Himmler.<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

ablehnte, dies aber nicht öffentlich zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen<br />

wollte. Es mag durchaus se<strong>in</strong>, dass W<strong>in</strong>kle aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Biografie die Ause<strong>in</strong>andersetzung aus Angst vor persönlichen<br />

Repressalien scheute. Letztlich s<strong>in</strong>d die Beweggründe für se<strong>in</strong><br />

Verhalten aber nicht mehr rekonstruierbar.<br />

der neue BlV-Vorsitzende Josef BAuer –<br />

lehrer, nAtionAlsoziAlist <strong>und</strong> Antisemit 5<br />

Josef Bauer, der neue Vorsitzende des BLV, wurde <strong>in</strong> der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung bis zu se<strong>in</strong>er Wahl zum Vorsitzenden<br />

auf der außerordentlichen Vertreterversammlung am 25. April<br />

1933 nicht erwähnt. Dennoch war er ke<strong>in</strong> unbeschriebenes<br />

Blatt <strong>und</strong> <strong>in</strong> Bayern <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Lehrer</strong>kreisen ke<strong>in</strong> Unbekannter.<br />

Josef Bauer war 1881 <strong>in</strong> Niederbayern <strong>in</strong> armen Verhältnissen<br />

geboren. In Straub<strong>in</strong>g besuchte er von 1897 bis 1899 das<br />

<strong>Lehrer</strong>sem<strong>in</strong>ar. Danach unterrichtete er an verschiedenen<br />

Dorfschulen <strong>in</strong> Niederbayern <strong>und</strong> <strong>in</strong> Passau. 1908 wechselte<br />

er nach München. 1910 trat er mit Unterstützung des Münchner<br />

Stadtschuldirektors Georg Kerschenste<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>en zweijährigen<br />

Studienaufenthalt <strong>in</strong> England an. Im 1. Weltkrieg war er<br />

Geschäftsführer e<strong>in</strong>es Reservelazaretts <strong>und</strong> diente dann im 2.<br />

Bayerischen Infanterieregiment. Nach E<strong>in</strong>sätzen <strong>in</strong> Mazedonien<br />

<strong>und</strong> an der Westfront schied er als Leutnant aus. Er wurde<br />

ausgezeichnet u. a. mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse <strong>und</strong><br />

dem Kriegsverdienstkreuz.<br />

Vor dem 1. Weltkrieg war Bauer Mitglied der l<strong>in</strong>ksliberalen<br />

Deutschen Demokratischen Partei. Durch die Kriegserfahrungen<br />

<strong>und</strong> die Erlebnisse der politischen Nachkriegswirren<br />

<strong>in</strong> Bayern verlor er se<strong>in</strong>e politische Überzeugung. Bei e<strong>in</strong>em<br />

Besuch e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>gebung der NSDAP im Zirkus Krone im<br />

Jahr 1922 war er von Hitler so bee<strong>in</strong>druckt, dass er umgehend


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Parteimitglied wurde. Bauer glaubte, im Antikapitalismus, Antirepublikanismus<br />

<strong>und</strong> Antisemitismus Hitlers e<strong>in</strong>e Erklärung für<br />

die Missstände <strong>und</strong> die Not der Nachkriegszeit gef<strong>und</strong>en zu<br />

haben. Er trat 1923 auch der SA bei <strong>und</strong> beteiligte sich 1923<br />

aktiv am Hitlerputsch. Innerhalb der NSDAP machte Bauer<br />

Karriere: Bei der Wiedergründung der NSDAP im Jahr 1925<br />

nach ihrem Verbot 1923 trat er sofort wieder e<strong>in</strong> <strong>und</strong> erhielt die<br />

Mitgliedsnummer 34. Von 1925 bis 1929 wurde er Vorsitzender<br />

der Sektion Süd der NSDAP, vor der Hitler zweimal persönlich<br />

sprach. 1935 schied er wegen <strong>in</strong>terner Querelen aus<br />

der SA aus <strong>und</strong> wechselte als Standartenführer zur SS, bei der<br />

er 1940 zum Brigadeführer h<strong>in</strong>ter Reichsführer-SS He<strong>in</strong>rich<br />

Himmler avancierte. 1937 wurde Bauer Politischer Leiter der<br />

Reichsleitung der NSDAP <strong>und</strong> führte <strong>in</strong> dieser Funktion <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Hauptstelle für Kultur-, Rechts- <strong>und</strong> Verfassungsfragen<br />

das Referat geme<strong>in</strong>dliche Schulfragen.<br />

Bauer selbst war e<strong>in</strong> versierter politischen Agitator. In München<br />

hielt er nach Polizeiberichten zwischen 1925 <strong>und</strong> 1931<br />

vierzehn öffentliche Reden vor bis zu 200 Zuhörern. Bevorzugt<br />

sprach er über die Rassenfrage. Im Weltjudentum <strong>und</strong> <strong>in</strong> der<br />

katholischen Kirche sah er das größte H<strong>in</strong>dernis e<strong>in</strong>er ungehemmten<br />

Entwicklung des deutschen Volkes. Am 27.10.1927<br />

formulierte er nach e<strong>in</strong>em Polizeiprotokoll auf e<strong>in</strong>er Versammlung:<br />

„Der Nationalsozialismus wende sich nicht gegen die<br />

Religion, sondern gegen jede fremde Macht, die sich <strong>in</strong> die<br />

Volksschule e<strong>in</strong>mische. Wenn der Nationalsozialismus die<br />

Macht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Hand habe, sei mit e<strong>in</strong>em Federstrich<br />

die Judenfrage gelöst <strong>und</strong> damit auch die Frage der anderen<br />

Macht ’geme<strong>in</strong>t war die katholische Kirche’.“ <strong>Die</strong> meisten<br />

der berüchtigten Versammlungen im Zirkus Krone, bei denen<br />

Hitler als Redner auftrat, hatte Bauer geleitet. 1930 <strong>in</strong>itiierte<br />

Bauer e<strong>in</strong>e Gaurednerschule für Parteiaktivisten. Ab 1930 trat<br />

106<br />

Feierliche Stadtratssitzung mit<br />

ausschließlich nationalsozialistischen<br />

Stadträten am 25. Juli 1933.<br />

Stadtschuldirektor Josef Bauer ganz<br />

rechts sitzend.<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

er als „Reichsredner“ der NSDAP <strong>in</strong> ganz Deutschland auf. <strong>Die</strong><br />

persönliche Nähe zu Hitler war mit Sicherheit auch e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>,<br />

warum er bei den „Parteigenossen“ <strong>in</strong> den ersten Jahren nach<br />

der Machtübernahme hohen Respekt genoss.<br />

<strong>Die</strong> Gründung des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es<br />

(NSLB) im Jahr 1929 – Bauer hatte die Mitgliedsnummer 66 –<br />

befürwortete <strong>und</strong> unterstützte Josef Bauer trotz se<strong>in</strong>er Mitgliedschaft<br />

im BLV. Nach 1932 gehörte er zum <strong>in</strong>neren Kreis<br />

der Sachverständigen der NSDAP für die Schulpolitik. Zwischen<br />

1929 <strong>und</strong> 1933 arbeitete Bauer eng mit dem NSLB-<br />

Vorsitzenden (Reichswalter) <strong>und</strong> späteren bayerischen Kultusm<strong>in</strong>ister<br />

Hans Schemm zusammen, obgleich ihr Verhältnis<br />

ganz offensichtlich schwierig war, was sich besonders <strong>in</strong> der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen ihnen <strong>in</strong> der Frage der Gleichschaltung<br />

des BLV nach 1933 zeigte. Im April 1931 wurde<br />

Bauer im E<strong>in</strong>vernehmen mit Schemm Gauleiter für München-<br />

Oberbayern im NSLB <strong>und</strong> entwickelte sofort emsige Tätigkeit.<br />

Unter anderen organisierte er die bereits erwähnten Parallelveranstaltungen<br />

des NSLB während des BLV-Vertretertages<br />

im August 1931 <strong>in</strong> München.<br />

In e<strong>in</strong>em Artikel im Völkischen Beobachter versicherte Bauer,<br />

dass es nicht die Absicht des NSLB sei, „irgende<strong>in</strong>e Berufsorganisation<br />

zu zerschlagen“. <strong>Die</strong>se Aussage war wohl nicht<br />

nur Rhetorik oder Respekt vor der Stärke des BLV, sondern<br />

se<strong>in</strong>e tatsächliche Auffassung. Er stand damit im Gegensatz zu<br />

den Ansichten Schemms <strong>und</strong> der meisten NSLB-Aktivisten.<br />

Bauer war überzeugt, nur mit dem BLV <strong>und</strong> nicht gegen ihn<br />

Anhänger <strong>in</strong> der <strong>Lehrer</strong>schaft gew<strong>in</strong>nen zu können. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus fühlte er sich aber auch als Volksschullehrer dem BLV<br />

emotional verb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> Attacken Schemms auf den BLV<br />

wurden Anfang der 30er Jahre immer heftiger, was zu e<strong>in</strong>er


107 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

teilweisen Isolierung Bauers im NSLB führte. Trotz dieser<br />

Querelen blieb Bauer bis April 1933, als er den Vorsitz im BLV<br />

übernahm, Gauwalter des NSLB <strong>in</strong> München-Oberbayern.<br />

Bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag im April 1932<br />

errang Bauer e<strong>in</strong> Mandat <strong>und</strong> avancierte zum Geschäftsführer<br />

der Fraktion der NSDAP. Am 9. März 1933, dem Tag<br />

der Machtergreifung <strong>in</strong> Bayern, trat er durch das Hissen der<br />

Hakenkreuzfahne auf dem Maximilianeum hervor. Bei der Wahl<br />

am 5. März 1933 wurde er als Abgeordneter der NSDAP <strong>in</strong><br />

den Berl<strong>in</strong>er Reichstag gewählt, dem er bis zur Auflösung angehörte.<br />

Als Reichstagsabgeordneter der NSDAP war er unmittelbar<br />

an der Abschaffung der demokratischen Verfassung<br />

der Weimarer Republik beteiligt.<br />

Der Oberbürgermeister der Stadt München, Karl Scharnagl<br />

(Bayerische Volkspartei), wurde am 20. März unter Gewaltandrohung<br />

zum Rücktritt gezwungen, nachdem die SA seit 9.<br />

März 1933 das Rathaus besetzt hielt. Se<strong>in</strong> Nachfolger als<br />

Oberbürgermeister wurde der NSDAP-Stadtrat Karl Fiehler,<br />

e<strong>in</strong> alter Kampfgenosse Bauers mit der Parte<strong>in</strong>ummer 37. Bereits<br />

am 23. März wurde Bauer von ihm zum kommissarischen<br />

Stadtschulrat ernannt. <strong>Die</strong> reguläre Wahl erfolgte am 20. Juni<br />

1933. 1935 wurde er zum Oberstadtschuldirektor ernannt.<br />

1943 wurde er auf Befehl Hitlers ohne Wahl für weitere zwölf<br />

Jahre berufen. Zusätzlich leitete er das Stadtamt für Leibeserziehung<br />

<strong>und</strong> seit 1937 das Stadtjugendamt. Weiterh<strong>in</strong> war<br />

er Aufsichtsratsvorsitzender der Bayerischen Beamtenbank,<br />

Geschäftsführer <strong>und</strong> Leiter des Münchener NSLB-Verlages,<br />

<strong>in</strong> dem auch die Zeitschrift „Pädagogischer Umbruch“ veröffentlicht<br />

wurde, Leiter des Landesverbandes für nationale<br />

Volkserziehung, Leiter der Volksbildungsstelle München, des<br />

Vere<strong>in</strong>s für Ferienkolonien <strong>und</strong> Schullandheime <strong>und</strong> Leiter der<br />

Deutschen Schulgeme<strong>in</strong>de. Daneben saß er im Arbeitsausschuss<br />

Krankenhaushilfe München e. V., im Beirat der Reichsfachschaft<br />

der öffentlichen Volksbüchereien, im Verwaltungsrat<br />

des Studentenwerks München, im Beirat des Gaues Bayern des<br />

Reichsverbands Deutsche Jugendherbergen <strong>und</strong> im Verwal-<br />

Carl Nüchter attackiert die Nationalsozialistische <strong>Lehrer</strong>zeitung<br />

wegen e<strong>in</strong>es Vorfalls bei der Hauptversammlung<br />

des BLV (BLZ S. 599)<br />

tungsausschuss des Deutschen Museums. Er gehörte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Funktion als Stadtschulrat dem Ausschuss für das Bildungswesen<br />

des Deutschen Geme<strong>in</strong>detages an. Schließlich war er<br />

Mitglied der Arbeitsstelle München für Volksforschung <strong>und</strong> Heimaterziehung,<br />

sowie Vorsteher des Münchner Kontors der auf<br />

die Pflege des Arischen bedachten Nordischen Gesellschaft.<br />

Josef Bauer war e<strong>in</strong> überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen<br />

Rassenideologie <strong>und</strong> vertrat e<strong>in</strong>en radikalen Antisemitismus.<br />

In se<strong>in</strong>er Rede auf der ordentlichen Vertreterversammlung


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Anzeige des antisemitischen<br />

Hetzblattes Der Stürmer <strong>in</strong> der<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung, 1935<br />

des BLV im Juli 1933 7 umschreibt er die Aufgabe der <strong>Lehrer</strong><br />

<strong>und</strong> der Schule im Nationalsozialismus: „Wenn wir fragen, wozu<br />

soll erzogen werden, welches ist das Erziehungsziel im neuen<br />

Staat, so kann die Antwort auf e<strong>in</strong>e kurze Form gebracht werden:<br />

Wir erziehen die deutsche Jugend zu den ewigen Werten<br />

des deutschen Volkes. <strong>Die</strong>se liegen im deutschen Blute. …Und<br />

sie wollen wir erwecken, pflegen <strong>und</strong> zum Blühen br<strong>in</strong>gen. Wir<br />

wissen, dass Kulturen zugr<strong>und</strong>e gehen, wenn die Kulturträger<br />

entarten. Wenn wir das deutsche Volk vor dem rassischen <strong>und</strong><br />

kulturellen Zerfall bewahren wollen, dann müssen wir Wege aufzeigen,<br />

um dies zu verhüten. Wir müssen e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Schule<br />

Rassenpflege treiben <strong>in</strong> der den e<strong>in</strong>zelnen Schulgattungen angemessenen<br />

Form.“ (BLZ 1933 S. 489).<br />

In e<strong>in</strong>er groß angekündigten Gr<strong>und</strong>satzrede am 26. Januar<br />

1934 <strong>in</strong> Nürnberg zum Thema „Das Ziel der nationalsozialistischen<br />

Erziehung“ (BLZ 1934 S.97) stellte Bauer den Zusammenhang<br />

von Rasse <strong>und</strong> Schule aus se<strong>in</strong>er Sicht dar:<br />

„Jeder Bauer, der weiß, was Rasse ist, ist stolz darauf, wenn er<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Stalle e<strong>in</strong>e edle Rasse hat; ist ängstlich darauf bedacht,<br />

dass ke<strong>in</strong> m<strong>in</strong>derwertiges Blut <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Stall kommt.<br />

Jeder Pferde-, jeder H<strong>und</strong>e- <strong>und</strong> Kan<strong>in</strong>chenzüchter weiß den<br />

Wert der Rasse zu schätzen. Da kennt man die Rassegesetze<br />

genau, aber beim Menschen, da glaubt man, der Schöpfer habe<br />

e<strong>in</strong>e Ausnahme gemacht, gäbe es ke<strong>in</strong>e Gesetze. Jeder Bauer<br />

weiß, dass es gar ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n hat, noch so viel Kübel Wasser<br />

über e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>derwertige Rasse zu gießen, um dadurch e<strong>in</strong>e<br />

edle Rasse zu erzielen; denn dies ist nur möglich auf dem Wege<br />

der Züchtung. Was man also beim Tier ganz genau weiß, beim<br />

Menschen glaubt man es nicht. Man me<strong>in</strong>t immer noch, wenn<br />

man e<strong>in</strong>en Juden mit Wasser tauft, dann wäre er e<strong>in</strong> anderer<br />

Mensch geworden. … Damit haben wir e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>lage für unser<br />

völkisches Leben gef<strong>und</strong>en, e<strong>in</strong> unvergängliches Ziel, nach<br />

dem immer gestrebt werden muss: E r h a l t u n g d e s<br />

B l u t e s u n d d a m i t E r h a l t u n g d e r R a s s e.<br />

6 <strong>Die</strong>se Vertreterversammlung war die e<strong>in</strong>zige während der NS-Zeit bis zur Auflösung des BLV im Jahr 1938<br />

108<br />

Hier liegt für unsere Erziehung die große Aufgabe, alle Menschen<br />

diesem Ziele des R a s s e g e f ü h l s , R a s s e -<br />

b e w u s s t s e i n s u n d d e s R a s s e s t o l z e s<br />

z u z u f ü h r e n … „ (Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al, BLZ 1934<br />

S. 99). Dass Bauer auch Mitglied der menschenverachtenden<br />

SS-Organisation Lebensborn war, die systematische arische<br />

Menschenzüchtung zum Ziel hatte <strong>und</strong> SS-Familien „rassischre<strong>in</strong>e“<br />

K<strong>in</strong>der zur Adoption zur Verfügung stellte, die <strong>in</strong> außerehelichen<br />

Beziehungen gezeugt worden waren, deutet darauf<br />

h<strong>in</strong>, dass er e<strong>in</strong> besonders radikaler Vertreter der Rassenideologie<br />

der Nationalsozialisten war.<br />

Josef Bauer übernahm nach e<strong>in</strong>em kurzen Intermezzo des<br />

NSLB-Funktionärs Karl Hehl, der sich <strong>in</strong> der schwelenden<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Schemm ihm gegenüber offensichtlich<br />

illoyal verhalten hatte, vom Ende Dezember 1933 bis zur<br />

E<strong>in</strong>stellung des Ersche<strong>in</strong>ens im März 1938 selbst die Schriftleitung<br />

der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung. Damit verantwortete er<br />

alle Veröffentlichungen der BLZ. Es muss davon ausgegangen<br />

werden, dass Bauer, dessen Name groß auf jeder Ausgabe<br />

der BLZ unter dem Hakenkreuz prangte, als erfahrender Propagandist<br />

<strong>und</strong> „Kämpfer der Bewegung“ die BLZ gezielt dazu<br />

nutzte, se<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>- <strong>und</strong> bildungspolitischen Vorstellungen<br />

ebenso wie se<strong>in</strong>e Rasseideologie zu verbreiten. Es überrascht<br />

deshalb nicht, dass sich die Bayerische <strong>Lehrer</strong>zeitung unter<br />

se<strong>in</strong>er Schriftleitung verstärkt Themen der „deutschen Rasse“<br />

<strong>und</strong> der „Rasserziehung“ widmet. <strong>Die</strong> Titel e<strong>in</strong>iger Aufsätze seien<br />

genannt: „<strong>Die</strong> ererbten Rasseanlagen als Grenzen der Erziehung“<br />

von Karl We<strong>in</strong>länder (BLZ 1933 S. 556), „Rassehygiene<br />

<strong>in</strong> der Schule“ von Prof. Dr. Paul Brohmer (BLZ 1934 S. 65),<br />

„<strong>Die</strong> Rasse <strong>in</strong> der deutschen Geschichte“ von Dr. Johann Leers<br />

(BLZ 1934, S. 325), „Haben die Ergebnisse der Erbforschung<br />

e<strong>in</strong>e Bedeutung für die Gestaltung der Schule <strong>und</strong> des Unterrichts?“<br />

von Dr. Fritz Gärtner (BLZ 1934 S. 331), „Raum <strong>und</strong><br />

Rasse“ von Willi Köhl (BLZ 1934, S. 397), e<strong>in</strong> ausführlicher


109 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Zahlreiche Artikel zur Rassenerziehung<br />

<strong>und</strong> Rassenhygiene erschienen<br />

ab Frühjahr 1933 <strong>in</strong> der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung (BLZ 1934 S. 397)<br />

Bericht über e<strong>in</strong>en Schulungslehrgang mit dem Titel „Rasse,<br />

Volk, Familie“ (BLZ 1934, S. 730), „Artfremdes Eiweiß ist Gift“<br />

von Hans Schemm (BLZ 1935, S. 57), „Rassenseele <strong>und</strong><br />

Erziehung“ von Albert Huth (1935 S. 68), „Rassenk<strong>und</strong>liche<br />

Unterweisung <strong>in</strong> der Volksschule“ von Lorenz Bayerl (BLZ S.<br />

66) u. v. m..<br />

Am 15.9.1935 verabschiedete der Reichstag, der anlässlich<br />

des Reichsparteitags der NSDAP vom bis 10. bis 16. September<br />

<strong>in</strong> Nürnberg stattfand, mit der Stimme des BLV-Vorsitzenden<br />

Josef Bauer das „Gesetz zum Schutze des deutschen<br />

Blutes <strong>und</strong> der deutschen Ehre“ <strong>und</strong> das „Reichsbürgergesetz“.<br />

<strong>Die</strong>se beiden Gesetze, die als „Nürnberger Rassegesetze“ <strong>in</strong><br />

die Geschichte e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen, beraubten die Juden <strong>in</strong> Deutschland<br />

aller Bürgerrechte <strong>und</strong> leiteten den Holocaust e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Bayerische<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung veröffentlichte anlässlich dieses Vorgangs<br />

achtzehn Seiten über die Sondertagung des NSLB im Rahmen<br />

des Parteitags <strong>und</strong> über den Kampf Deutschlands gegen das<br />

Weltjudentum. Folgende Überschriften f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> dieser<br />

Ausgabe: „Frankenführer <strong>und</strong> Rassevorkämpfer Julius Streicher:<br />

Der Kampf geht erst an!“, „<strong>Die</strong> jüdisch-bolschewistische<br />

Weltgefahr“, „Der Weg der jüdischen Weltzerstörung“, „Wie die<br />

geistigen Führer Deutschlands über die Juden urteilen“, „Jüdische<br />

Rassezüchtung <strong>und</strong> Rasseschändung“, „Der Bolschewismus<br />

als Werkzeug der Juden“, „Der jüdische Bolschewismus als<br />

Weltzerstörer“. <strong>Die</strong> Schlussbemerkung, deren Autorenschaft<br />

nicht identifizierbar ist, die aber offensichtlich von der Schriftleitung<br />

e<strong>in</strong>gefügt wurde, lautet: „Der Leser dieser Blätter musste<br />

e<strong>in</strong>en schaurigen Weg gehen. Wir haben Tatsachen geboten.<br />

Ist nun die Erkenntnis gereift? Was geschähe, wenn Deutschland<br />

wieder <strong>in</strong> den Kreis der Zerstörung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen würde?<br />

Jeder möge sich diese Frage selbst beantworten. <strong>Die</strong> Antwort<br />

drängt zu e<strong>in</strong>em eisernen Entschluss: Klärt Jugend <strong>und</strong> Volk<br />

auf! Deutschland muss e<strong>in</strong> R<strong>in</strong>g aus Erz werden; nichts darf die<br />

7 Peter Hanke: Zur Geschichte der Juden <strong>in</strong> München zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945; München 1967,S. 250ff<br />

E<strong>in</strong>igkeit des Volkes mehr zerstören. Kämpft unerschrocken <strong>und</strong><br />

treu unter den Fahnen des Führers. In der großen Weltenwende<br />

muss der Sieg dem Hakenkreuz gehören.“ (BLZ 1935 S. 636).<br />

Zusammenfassend kann man festhalten, dass unter der<br />

Schriftleitung Josef Bauers die Bayerische <strong>Lehrer</strong>zeitung zu<br />

e<strong>in</strong>em Kampfblatt des Nationalsozialismus wurde, <strong>in</strong> der nicht<br />

nur Aufsätze <strong>und</strong> Reden von Adolf Hitler, Josef Goebbels,<br />

Alfred Rosenberg <strong>und</strong> Hans Schemm im Wortlaut abgedruckt,<br />

sondern alle denkbaren Themen der nationalsozialistischen<br />

Ideologie ausführlich behandelt wurden – vom Volk ohne<br />

Raum <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legenden geopolitischen Abhandlungen über<br />

Wehrertüchtigung <strong>und</strong> Hitlerjugend bis zum nationalsozialistischen<br />

Rechenunterricht. Besonders wichtige Themen waren<br />

hierbei immer auch Fragen der Rassere<strong>in</strong>haltung <strong>und</strong> der<br />

Rasseerziehung.<br />

Auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als Stadtschuldirektor trat Bauer als<br />

konsequenter Antisemit auf. 7 Am 25. April 1933 war das<br />

„Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen <strong>und</strong> Hochschulen“<br />

erlassen worden, nach dem nur 1,5 % der Neuaufnahmen<br />

an den staatlichen Schulen „Nichtarier“ se<strong>in</strong> durften.<br />

<strong>Die</strong>ses Gesetz veranlasste e<strong>in</strong>e Anfrage der NSDAP an die<br />

Münchner Stadtschulbehörde, bei der Regierung von Oberbayern<br />

nachzufragen, ob e<strong>in</strong>e solche Aussonderung machbar<br />

sei. Im Antwortschreiben brachte Bauer, der am 23. März<br />

zum kommissarischen Stadtschuldirektor berufen worden war,<br />

zum Ausdruck, dass er beabsichtige, „… schon den Schulk<strong>in</strong>dern<br />

e<strong>in</strong> gewisses Rasseempf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Rassebewusstse<strong>in</strong> auf<br />

dem Wege des biologischen Unterrichts anzuerziehen.“ Se<strong>in</strong>e<br />

Absicht, alle jüdischen Schüler sofort aus den städtischen<br />

Schulen herauszunehmen, begründete er mit der zynischen<br />

Bemerkung, dass dieser Rasseunterricht das Empf<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

Fühlen der jüdischen Schulk<strong>in</strong>der verletzen könnte (Hanke<br />

1967 S. 251). Da e<strong>in</strong> Wechsel der jüdischen K<strong>in</strong>der an die


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Schule der israelitischen Kultusgeme<strong>in</strong>de zu diesem Zeitpunkt<br />

aber noch nicht erzwungen werden konnte, mussten noch<br />

weitere Schritte e<strong>in</strong>geleitet werden. Bauer ließ e<strong>in</strong>e Zählung<br />

der jüdischen Schüler an Münchens Schulen durchführen.<br />

Demnach besuchten 337 „Judenk<strong>in</strong>der“ die Volksschulen <strong>und</strong><br />

232 „nichtarische“ K<strong>in</strong>der die Mittel-, Höhere- <strong>und</strong> Berufsschulen.<br />

Da das bayerische Kultusm<strong>in</strong>isterium noch zögerlich<br />

war, stellte Bauer am 29. Mai 1935, also noch vor dem Erlass<br />

der Nürnberger Gesetze, direkt an das Reichsm<strong>in</strong>isterium für<br />

Wissenschaft, Erziehung <strong>und</strong> Volksbildung den Antrag, dass<br />

„… staatliche Schulen tatsächlich nur von deutschen (arischen)<br />

K<strong>in</strong>dern besucht werden dürfen, die jüdischen Schüler dagegen<br />

<strong>in</strong> eigenen (privaten) Schulen untergebracht werden.“ (Hanke<br />

1967 S. 255)<br />

Für se<strong>in</strong>e Initiative erhielt Bauer Anerkennung von der Münchner<br />

Gauleitung der NSDAP. Das Reichsm<strong>in</strong>isterium zeigte sich<br />

bee<strong>in</strong>druckt. 1936 nahm Bauer auch im Deutschen Geme<strong>in</strong>detag<br />

zu e<strong>in</strong>em Gesetzentwurf zur Entfernung <strong>jüdischer</strong> Schüler<br />

aus den Schulen Stellung <strong>und</strong> konnte auf se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägigen<br />

Erfahrungen zurückgreifen. Er selbst untersagte am 17.<br />

Juli 1936 noch ohne gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage den jüdischen K<strong>in</strong>dern<br />

den Besuch öffentlicher Schulen. Sie mussten im Schuljahr<br />

1936/37 Privatunterricht nehmen oder die Münchner jüdische<br />

Schule besuchen. Im deutschen Reich wurde dieser<br />

Schritt erst zwei Jahre später nach der „Reichskristallnacht“ am<br />

9. November 1938 vollzogen. Bauer ließ am 10. November die<br />

jüdische Schule <strong>in</strong> München schließen. <strong>Die</strong> <strong>Lehrer</strong> kamen für<br />

e<strong>in</strong>ige Tage bzw. Wochen <strong>in</strong> das Konzentrationslager Dachau.<br />

Erst am 3. Januar 1939 konnte der Unterrichtsbetrieb wieder<br />

aufgenommen werden. Im Januar entzog die Stadtschulbehörde<br />

der jüdischen Geme<strong>in</strong>de schließlich e<strong>in</strong>es ihrer beiden<br />

Schulhäuser, was zu e<strong>in</strong>er völligen Überfüllung der verbleibenden<br />

Räume im Zentrum führte. <strong>Die</strong> Schule war ständigen<br />

Schikanen ausgesetzt, die Schulleitung <strong>und</strong> das Kollegium <strong>in</strong><br />

zynischer Art <strong>und</strong> Weise demütigten. <strong>Die</strong> Schulaufsicht kont-<br />

110<br />

Willkommensgruß des Nürnberger <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s<br />

anlässlich der Mitgliederversammlung am 27. Juli 1933<br />

<strong>in</strong> Nürnberg, auf der e<strong>in</strong>e neue Satzung verabschiedet<br />

wurde (BLZ 1933 S. 386)<br />

rollierte die Schule äußerst scharf, so musste z. B. jede Lehrplanänderung,<br />

war sie noch so kle<strong>in</strong>, gemeldet werden. Am 4.<br />

April 1942 nach der zweiten großen Deportation aus München<br />

erfolgte die letzte Meldung des Schulleiters Dr. Siegfried Kessler<br />

an die Stadtschulbehörde. Dar<strong>in</strong> heißt es: „Da, entgegen der<br />

neuen Verordnung, das Fahrverbot für die Juden <strong>in</strong> München<br />

aufrechterhalten blieb, wandte sich der Vorsitzender der Israel.<br />

Kultusgeme<strong>in</strong>de München an den Herrn Beauftragten des Gauleiters<br />

mit dem Ersuchen, wenigstens den <strong>in</strong> Milbertshofen untergebrachten<br />

Schulk<strong>in</strong>dern, mit Rücksicht auf den weiten Schulweg,<br />

die Fahrerlaubnis zu gewähren. <strong>Die</strong>sem Ersuchen wurde<br />

nicht stattgegeben.“ Am 7. Juli untersagte das Reichsm<strong>in</strong>isterium<br />

für Wissenschaft, Erziehung <strong>und</strong> Volksbildung „die Beschulung<br />

durch besoldete <strong>und</strong> unbesoldete Lehrkräfte“ <strong>und</strong> ordnete<br />

die Schließung aller jüdischen Schulen zum 30. Juni 1942 an.<br />

die „GleichschAltunG“<br />

der lehrerVerBände<br />

Nach dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 begann<br />

<strong>in</strong> Deutschland die sog. „Gleichschaltung“. Mit diesem Begriff<br />

wurde von den Nationalsozialisten die systematische, nachhaltige<br />

<strong>und</strong> umfassende Auflösung aller demokratischen staatlichen<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> privatrechtlichen Organisationen unmittelbar<br />

nach der Machtübernahme der NSDAP bezeichnet.<br />

Alle Organisationen sollten ausschließlich dem „Führer“ unterstellt<br />

werden <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e politischen Entscheidungen umsetzen.<br />

Den Startschuss zur sog. „Gleichschaltung“ stellte das „vorläufige<br />

Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom<br />

31. März 1933 dar, das die Länder als teilsouveräne Staatsgebilde<br />

abschaffte. Eigenständige politische Entscheidungen <strong>in</strong><br />

den Landtagen waren nicht mehr vorgesehen. <strong>Die</strong> M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

wurden durch von Hitler benannte sog. Reichsstatthalter<br />

ersetzt, die die Umsetzung der Politikrichtl<strong>in</strong>ien Hitlers <strong>in</strong><br />

den Ländern zu sichern <strong>und</strong> zu überwachen hatten.


111 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Zeitgleich mit der „Gleichschaltung“ der Länder wurden die<br />

staatlichen Institutionen <strong>und</strong> fast alle Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> freien Organisationen<br />

„gleichgeschaltet“, d. h. der direkten Kontrolle<br />

nationalsozialistischer Organisationen unterstellt bzw. <strong>in</strong> deren<br />

Strukturen <strong>und</strong> Organisationen überführt. <strong>Die</strong>ser sog. „Gleichschaltungsprozess“<br />

lief <strong>in</strong> drei Stufen ab:<br />

1. <strong>Die</strong> leitenden Führungspersönlichkeiten der E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>und</strong> Organisationen wurden <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit aus den<br />

Ämtern <strong>und</strong> öffentlichen Positionen gedrängt – notfalls durch<br />

E<strong>in</strong>schüchterung <strong>und</strong> Terror – <strong>und</strong> durch „zuverlässige“ Parteimitglieder<br />

ersetzt. <strong>Die</strong>ser Austausch der Verantwortlichen<br />

begann <strong>in</strong> den Organisationsspitzen <strong>und</strong> wurde dann auf allen<br />

hierarchischen Ebenen umgesetzt. Um diesen Prozess<br />

zu beschleunigen, waren NS-kritische Führungspersonen<br />

sofort <strong>Verfolgung</strong> <strong>und</strong> drohender Inhaftierung ausgesetzt.<br />

2. In der 2. Stufe wurden <strong>in</strong> den Institutionen bzw. Vere<strong>in</strong>en<br />

demokratische Strukturen zerschlagen <strong>und</strong> durch das sog.<br />

Führerpr<strong>in</strong>zip ersetzt. Demokratische Entscheidungsf<strong>in</strong>dung<br />

wurde durch Befehlsstrukturen ersetzt, die e<strong>in</strong>e Beteiligung<br />

der Basis ausschloss. Damit sollten die Ziele <strong>und</strong> Vorstellungen<br />

des Nationalsozialismus als ausschließliches Handlungspr<strong>in</strong>zip<br />

der Institutionen <strong>und</strong> Organisationen durchgesetzt<br />

werden.<br />

3. In der 3. Stufe schließlich wurden die E<strong>in</strong>richtungen bzw.<br />

Organisationen komplett <strong>in</strong> neue nationalsozialistische Organisationen<br />

<strong>in</strong>tegriert oder mit ihnen organisatorisch vere<strong>in</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> früheren Vere<strong>in</strong>e wurden aufgelöst, existierende<br />

Vermögenswerte den nationalsozialistischen Organisationen<br />

überschrieben.<br />

<strong>Die</strong>se komplette „Neuorganisation“ der gesellschaftlichen E<strong>in</strong>richtungen,<br />

Institutionen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e wurde ab März 1933<br />

generalstabsmäßig durchgeführt. Sie wurde begleitet von E<strong>in</strong>schüchterung<br />

<strong>und</strong> Terror zuerst vor allem durch die SA <strong>und</strong><br />

andere paramilitärische Gruppen, später dann auch durch<br />

die Gestapo <strong>und</strong> die Polizei. Am 1. August 1934 wurden alle<br />

Parteien abgeschafft <strong>und</strong> die NSDAP zur Körperschaft des<br />

öffentlichen Rechtes erklärt. Damit wurde die Nationalsozialistische<br />

Partei Deutschlands (NSDAP) de facto mit dem Staat<br />

gleichgesetzt. Was die NSDAP, d. h. die Führer der NSDAP<br />

entschieden, wurde zur Staatsräson erklärt.<br />

Im August 1934 war der sog. „Gleichschaltungsprozess“ von<br />

wenigen Ausnahmen abgesehen abgeschlossen. Der weitaus<br />

größte Teil der Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> der privatrechtlichen Organisationen<br />

hatte sich aufgelöst <strong>und</strong> war durch Parteiorganisationen<br />

ersetzt worden. <strong>Die</strong>s traf auch für die <strong>Lehrer</strong>verbände zu.<br />

Ausnahmen bildeten nur der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> <strong>und</strong> der<br />

Deutsche Philologenverband.<br />

Der BLV war Mitglied im Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>, dem mit<br />

Abstand größten Ständeverband von <strong>Lehrer</strong>n im deutschen<br />

Reich. Ihm gehörten Volks-, Mittel- <strong>und</strong> Sonderschullehrer<br />

an. Se<strong>in</strong>e Mitgliederzahl betrug 1933 etwa 150 000 Personen.<br />

Auf Reichsebene erfolgte die sog. „Gleichschaltung“ des<br />

Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s auf e<strong>in</strong>er Vertreterversammlung<br />

am 7. Juni 1933 <strong>in</strong> Magdeburg. Aus Bayern war der fünfköpfige<br />

Führerstab unter der Leitung von Josef Bauer angereist.<br />

Auf dieser Versammlung wurde der „Reichsleiter“,<br />

bayerische Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Vorsitzende des NSLB, Hans<br />

Schemm, e<strong>in</strong>stimmig zum neuen Vorsitzenden des Deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s gewählt. Neben den personellen Veränderungen<br />

wurde festgelegt, dass „der D.L.V. körperschaftlich dem<br />

N.S.L.B. beitritt“.


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Der Vertretertag des DLV <strong>in</strong> Magdeburg bildete den Rahmen<br />

für die von Hans Schemm betriebene Gründung der Deutschen<br />

Erziehergeme<strong>in</strong>schaft als Dachorganisation aller <strong>Lehrer</strong>-<br />

<strong>und</strong> Erzieher im deutschen Reich. Der Gründungsakt erfolgte<br />

durch die Unterzeichnung e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Erklärung<br />

folgenden Wortlauts:<br />

„<strong>Die</strong> unterzeichnenden <strong>Lehrer</strong>verbände erklären … folgendes:<br />

1. <strong>Die</strong> durch Unterschrift <strong>und</strong> Stempel ihrer Vorstände ausgewiesenen<br />

Verbände treten als rechtsfähige Körperschaften<br />

der deutschen Gesamterzieher-Organisation korporativ bei.<br />

2. Sie s<strong>in</strong>d bereit an allen Gliederungen der deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft<br />

freudig mitzuarbeiten.<br />

3. Sie s<strong>in</strong>d ferner bereit der Reichsleitung dieser Geme<strong>in</strong>schaft<br />

für ihre sämtlichen beitragspflichtigen Mitglieder monatlich im<br />

voraus, ab 1.7.1933, e<strong>in</strong>en Kopfbeitrag von noch festzusetzender<br />

Höhe zu überweisen.<br />

4. <strong>Die</strong> Vorstände dieser Verbände treten dem NS-<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong><br />

als E<strong>in</strong>zelmitglieder bei.<br />

5. <strong>Die</strong> genaueren organisatorischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Maßnahmen<br />

sollen späterer Regelung vorbehalten bleiben.“ 8<br />

(BLZ 1933 S. 362 ff)<br />

<strong>Die</strong>se Erklärung wurde von 48 Reichsverbänden <strong>und</strong> 111 Unterverbänden,<br />

darunter dem BLV vertreten durch Josef Bauer,<br />

unterzeichnet. Auch der NSLB wurde Mitgliedsorganisation<br />

der Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft (DEG). Sie hatte zu diesem<br />

Zeitpunkt noch ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche Rechtsform.<br />

Damit hatte der NSLB zum<strong>in</strong>dest vorübergehend se<strong>in</strong>en Anspruch<br />

auf e<strong>in</strong>e Führungsfunktion für alle Erzieher, Pädagogen<br />

<strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Deutschland an die DEG abgegeben. E<strong>in</strong><br />

entscheidender Gr<strong>und</strong> hierfür könnte gewesen se<strong>in</strong>, dass der<br />

112<br />

NSLB zu diesem Zeitpunkt selbst nicht <strong>in</strong> der Lage war, die<br />

Führung <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ation der zahlreichen sehr unterschiedlichen<br />

<strong>Lehrer</strong>gruppen <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong>organisationen zu übernehmen.<br />

Beim NSLB handelte es sich um e<strong>in</strong>en Kampfverband<br />

von <strong>Lehrer</strong>n <strong>in</strong>nerhalb der NSDAP ohne tiefere schulpolitische<br />

Programmatik <strong>und</strong> ohne Soziale<strong>in</strong>richtungen. Der NSLB war<br />

ausführendes Organ für die Parteiführung der NSDAP. Er war<br />

ausdrücklich nur für NSDAP-Mitglieder e<strong>in</strong>gerichtet. Se<strong>in</strong>e<br />

Fortbildungen bestanden <strong>in</strong> weltanschaulichen Kaderschulungen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>e mit ihren Fortbildungs- <strong>und</strong> Selbsthilfee<strong>in</strong>richtungen<br />

h<strong>in</strong>gegen standen teilweise im Widerspruch zur<br />

Struktur <strong>und</strong> zum Selbstverständnis des NSLB. Insofern war<br />

die E<strong>in</strong>richtung der DEG als Gesamtverband aller Erzieher <strong>und</strong><br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong> Zwischenschritt auf dem Weg zur<br />

„totalen Gleichschaltung“, der sich auch aus der unübersichtlichen<br />

politischen Situation erklärt.<br />

<strong>Die</strong> zahlreichen, oft widersprüchlichen Ereignisse im Zusammenhang<br />

mit der sog. „Gleichschaltung“ der <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den<br />

turbulenten Monaten zwischen März <strong>und</strong> September 1933 s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> der historischen Rückschau nur teilweise fassbar <strong>und</strong> nachvollziehbar.<br />

<strong>Die</strong>s hängt u. a. mit der außerordentlich komplexen<br />

Struktur der <strong>in</strong> der Weimarer Republik existierenden <strong>Lehrer</strong>verbände<br />

zusammen. Durch das Auftreten des NSLB <strong>und</strong> anderer<br />

politischer Kräfte, die E<strong>in</strong>fluss auf die <strong>Lehrer</strong>schaft zu gew<strong>in</strong>nen<br />

versuchten, komplizierte sich das Interessen- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flussgeflecht<br />

weiter. Hierbei ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass<br />

die handelnden Personen natürlich immer auch machtpolitische,<br />

ideologische <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Eigen<strong>in</strong>teressen verfolgten <strong>und</strong> ihr<br />

Handeln nicht nur an äußeren politischen Kriterien ausrichteten.<br />

<strong>Die</strong>se unübersichtliche, sich überschlagende Situation führte<br />

dazu, dass viele Entscheidungen unkoord<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> hastig gefällt<br />

wurden, so dass viele von ihnen revidiert werden mussten<br />

8 Erstaunlich ist die begriffliche Unklarheit dieser Erklärung. Es ist die Rede von der „deutschen Gesamterzieher-Organisation“, von den „Gliederungen der deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“ <strong>und</strong> schließlich vom<br />

„NS-<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>“. Kompliziert wird das ganz noch dadurch, dass es sich um e<strong>in</strong>e Vertretertagung des „Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s“ handelte, der wiederum nur Volks-, Mittel- <strong>und</strong> Sonderschullehrer vertrat.


113 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

oder wirkungslos blieben. Hier wird besonders deutlich, dass <strong>in</strong><br />

der Zeit der Nazidiktatur Machtstrukturen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander übergehen,<br />

nicht vone<strong>in</strong>ander klar abgegrenzt werden können <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>ander<br />

konkurrieren. Historiker sprechen deshalb von dieser Zeit<br />

auch als e<strong>in</strong>er Zeit der Polykratie.<br />

die weiteren schritte der<br />

„GleichschAltunG“ des BlV 9<br />

Im Fall des BLV war die erste Stufe des sog. „Gleichschaltungsprozesses“<br />

ohne nachhaltige Widerstände <strong>und</strong> Probleme abgelaufen.<br />

Auf der außerordentlichen Vertreterversammlung des<br />

BLV am 25. April 1933 war wie oben dargestellt die Vere<strong>in</strong>sleitung<br />

durch e<strong>in</strong>en Führerstab ersetzt worden, dem ausschließlich<br />

nationalsozialistisch ges<strong>in</strong>nte Persönlichkeiten angehörten,<br />

angeführt von dem neuen Vorsitzenden Josef Bauer.<br />

<strong>Die</strong> „Gleichschaltung“ der Führungspositionen vollzog sich<br />

auch auf der Ebene der Kreisvere<strong>in</strong>e (heute Bezirksvere<strong>in</strong>e),<br />

die als Gaulehrervere<strong>in</strong>e bezeichnet wurden, <strong>und</strong> Bezirksvere<strong>in</strong>e<br />

(heute Kreisvere<strong>in</strong>e) nach dem gleichen Muster. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

erfolgte dies nicht immer so reibungslos wie der harmonische<br />

Verlauf der außerordentlichen Vertreterversammlung des Landesvere<strong>in</strong>s<br />

suggerieren mag. Zahlreiche l<strong>in</strong>ks stehende <strong>und</strong><br />

andere kritische Mitglieder im zweiten Funktionärsglied büßten<br />

häufig ihre berufliche Stellung zum<strong>in</strong>dest zeitweise e<strong>in</strong> oder<br />

wurden sogar <strong>in</strong> Schutzhaft genommen. E<strong>in</strong>e Reihe von BLLV-<br />

Mitgliedern fiel dem „Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums“<br />

zum Opfer. Sie verloren aufgr<strong>und</strong> ihres politischen<br />

Engagements oder ihrer kritischen Äußerungen zuerst<br />

ihren Beamtenstatus <strong>und</strong> dann ihre Anstellung. In den meisten<br />

Kreis- <strong>und</strong> Bezirksvere<strong>in</strong>en gab es auch kritische Stimmen zur<br />

Am 18. Mai 1933 erschien die erste<br />

Ausgabe unter der Schriftleitung von<br />

Karl Hehl mit e<strong>in</strong>em Hakenkreuz <strong>und</strong><br />

Zitaten von Adolf Hitler unter der<br />

Überschrift „Zum Geleit“<br />

politischen Situation im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> zur Frage der Zusammenarbeit<br />

mit dem NSLB im Besonderen.<br />

Äußerlich war der Abschluss der ersten Stufe der „Gleichschaltung“<br />

für die Mitglieder im April 1933 schnell sichtbar. Auf der<br />

Titelseite der Nr. 17 der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung, die am<br />

27. April 1933 erschien, wurden Adolf Hitler als Führer des<br />

deutschen Volkes, Hans Schemm als Führer der deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong> <strong>und</strong> Josef Bauer als Führer der bayerischen <strong>Lehrer</strong> abgebildet<br />

<strong>und</strong> tituliert. Ab der 20. Ausgabe, für die bereits der<br />

neue Schriftleitung Karl Hehl verantwortlich zeichnete, wurde<br />

das Deckblatt durch e<strong>in</strong> deutlich sichtbares Hakenkreuz ergänzt.<br />

Mit der Ausgabe Nr. 28 vom 13. Juli 1933 schließlich,<br />

<strong>in</strong> der zur 27. Hauptversammlung des BLV e<strong>in</strong>geladen wurde,<br />

war die optische Neugestaltung des Verbandsorgans abgeschlossen.<br />

Unter dem Zeitschriftentitel prangte nun e<strong>in</strong> fünf<br />

Zentimeter großes, auffälliges Hakenkreuz.<br />

<strong>Die</strong> zweite Stufe der „Gleichschaltung“ im BLV, nämlich die E<strong>in</strong>führung<br />

des Führerpr<strong>in</strong>zips, begann mit der E<strong>in</strong>berufung der<br />

ordentlichen Hauptversammlung des BLV, die <strong>in</strong> der BLZ am<br />

13. Juli 1933 veröffentlicht wurde. In der gleichen Ausgabe der<br />

BLZ lud auch Karl Hehl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als Gauobmann des<br />

NSLB-Mittelfranken <strong>und</strong> nicht als Schriftleiter der BLZ, der er<br />

seit April 1933 war, zur Vertreterversammlung e<strong>in</strong>. Er schrieb:<br />

„<strong>Die</strong> 27. Hauptversammlung des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s<br />

hat für uns Nationalsozialisten geschichtliche Bedeutung. Sie<br />

ist für uns das äußere Zeichen des Sieges unserer Idee auch<br />

<strong>in</strong> unserer Vere<strong>in</strong>sorganisation [geme<strong>in</strong>t ist der NSLB]. … <strong>Die</strong><br />

Versammlung steht unter der Schirmherrschaft unseres Pg.<br />

[Parteigenossen] Kultusm<strong>in</strong>ister Schemm. Dadurch s<strong>in</strong>d wir<br />

erst recht zur Teilnahme verpflichtet. Heil Hitler!“<br />

9 <strong>Die</strong>ser Teil ist <strong>in</strong> gekürzter <strong>und</strong> leicht veränderter Form entnommen: Fritz Schäffer: Josef Bauer – e<strong>in</strong> „aufrechter“ Nationalsozialist? – Politische Biographie des Münchner Stadtschulrats <strong>und</strong> Vorsitzenden des<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s im Dritten Reich. Kl<strong>in</strong>khardt-Verlag, Bad Heilbrunn/Obb 1995, S.51 bis 63. Dort f<strong>in</strong>den sich auch alle Quellenangaben.


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

<strong>Die</strong> neue Satzung des BLV elim<strong>in</strong>ierte<br />

alle demokratischen Wahlen,<br />

legte die Anb<strong>in</strong>dung des BLV an<br />

den NSLB fest <strong>und</strong> erlaubte ke<strong>in</strong>e<br />

„Nicht-Ariern“ Mitglied zu werden.<br />

In se<strong>in</strong>er Eröffnungsrede am 26. Juli erklärte Josef Bauer,<br />

dass es gelte, „die letzten Reste des demokratischen Systems<br />

zu beseitigen <strong>und</strong> auch dem Führerpr<strong>in</strong>zip im Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> restlos zum Durchbruch zu verhelfen.“ (BLZ S.<br />

486) Im Mittelpunkt der Vertreterversammlung, die nun Führerversammlung<br />

genannt wurde, stand die Verabschiedung der<br />

neuen Satzung. Vier wesentliche Änderungen waren vorgesehen<br />

(BLZ 1933 S. 491f):<br />

1. Der BLV wurde auch im Namen dem NSLB zugeordnet. In<br />

der neuen Satzung heißt es: „Der Vere<strong>in</strong> führt den Namen<br />

Bayerischer <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> e. V., Landesfachschaft der <strong>Lehrer</strong><br />

an Volks- <strong>und</strong> Sonderschulen im Nationalsozialistischen<br />

<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>“.<br />

2. <strong>Die</strong> Aktivitäten des Vere<strong>in</strong>s wurden ausschließlich den Zielen<br />

des Nationalsozialismus untergeordnet. Konkret wurde<br />

als Zweck des Vere<strong>in</strong>s „… die Förderung des vaterländischen<br />

Volksschulwesens im S<strong>in</strong>ne des nationalsozialistischen<br />

Staates“ beschrieben.<br />

3. <strong>Die</strong> demokratische Wahl des Vorsitzenden wurde abgeschafft.<br />

An ihre Stelle trat das sog. Führerpr<strong>in</strong>zip: „An der<br />

Spitze des Vere<strong>in</strong>s steht der 1. Vorsitzende als Führer, der<br />

durch die Führerversammlung im E<strong>in</strong>verständnis mit dem<br />

Landesleiter des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es aus<br />

der Reihe der Vere<strong>in</strong>smitglieder <strong>in</strong> Vorschlag gebracht <strong>und</strong><br />

vom 1. Vorsitzenden des Deutschen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s, der<br />

Reichsfachschaft der <strong>Lehrer</strong> an Volks-, Mittel- <strong>und</strong> Sonderschulen<br />

im Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>, bestätigt<br />

wird. 10 Er [der Führer] bestimmt als Führerstab den 1. <strong>und</strong><br />

2. Vorsitzenden, den Schriftleiter der ‚Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung“<br />

<strong>und</strong> den Schatzmeister des Vere<strong>in</strong>s.’ Damit wurde die<br />

letzte Entscheidung über den „Führer“ an den deutschen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> bzw. dem NSLB abgetreten. <strong>Die</strong> Mitglieder<br />

des BLV hatten nur noch Vorschlagsrecht. Der „Führer“<br />

selbst konnte den „Führerstab“ nach se<strong>in</strong>em Gutdünken mit<br />

Personen se<strong>in</strong>er Wahl besetzen.<br />

114<br />

4. <strong>Die</strong> Mitgliedschaft wurde auf „Arier“ beschränkt. „Dem Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>, der Landesfachschaft der <strong>Lehrer</strong> an<br />

Volks- <strong>und</strong> Sonderschulen im Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>,<br />

dürfen als Mitglieder nicht angehören Nichtarier, Freimaurer,<br />

sowie solche Mitglieder, die auf Gr<strong>und</strong> des Gesetzes<br />

zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Ausführungsbestimmungen ihr Amt verloren haben.“ Damit<br />

war die konfessionsübergreifende liberale Tradition des BLV<br />

auch formal beendet. 11<br />

In der BLZ resümierte der Schriftleiter der BLZ, Karl Hehl, euphorisch:<br />

„Das Ergebnis: 1. <strong>Die</strong> Zeit des Debattierens ist vorbei.<br />

… 5. Unser Vere<strong>in</strong> ist nationalsozialistisch. 6. <strong>Die</strong> bayerische<br />

<strong>Lehrer</strong>schaft hat e<strong>in</strong>en unerschütterlichen Glauben zu ihrem<br />

Kultusm<strong>in</strong>ister Schemm. 7. <strong>Die</strong> bayerische <strong>Lehrer</strong>schaft will aus<br />

<strong>in</strong>nerer Überzeugung heraus ihre ganze Kraft e<strong>in</strong>setzen, um die<br />

deutsche Jugend nach der Ideenwelt Adolf Hitlers zu erziehen<br />

… 8. Zwischen Bayerischem <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> <strong>und</strong> NS-<strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong><br />

besteht e<strong>in</strong> Verhältnis, das sich auf restlosem gegenseitigem<br />

Vertrauen aufbaut. …“ (BLZ 1933 S. 486)<br />

<strong>Die</strong>se zweite Stufe der „Gleichschaltung“ wurde sofort auf die<br />

Kreisvere<strong>in</strong>e (heute Bezirksvere<strong>in</strong>e) erweitert. <strong>Die</strong> Vertreterversammlung<br />

<strong>in</strong> Nürnberg hatte e<strong>in</strong>e Mustersatzung für die<br />

„Gaulehrervere<strong>in</strong>e“ verabschiedet (BLZ 471). Noch während<br />

der Vertreterversammlung traten am 27. Juli um 15.00 Uhr die<br />

acht Kreisvere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> unterschiedlichen Versammlungslokalen <strong>in</strong><br />

Nürnberg zusammen <strong>und</strong> beschlossen ihre neue Satzung.<br />

10 Damit hatte der Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Führer des NSLB Hans Schemm, der gerade erst am 7. Juni <strong>in</strong> Magdeburg zum Führer des DLV gewählt worden war, das letzte Wort über die Führung des BLV. Ob dies<br />

aus taktischen Gründen erfolgte, um ke<strong>in</strong>en Konflikt mit Hans Schemm zu provozieren oder ob es e<strong>in</strong> Kompromiss war, um die rechtliche Selbständigkeit des BLV vorläufig zu erhalten, kann nicht abschließend<br />

gesagt werden. Machtpolitisch wurde damit def<strong>in</strong>iert, dass Bauer letztlich Vorsitzender von Schemms Gnaden war.<br />

11 Wie viele jüdische <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1933 Mitglied im BLV waren, ist nicht bekannt. Ebenso wissen wir nicht, <strong>in</strong> welcher Form der Ausschluss erfolgte.


115 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

die <strong>in</strong>teGrAtion des BlV <strong>in</strong> den nslB 12<br />

Im Herbst 1933 war die personelle, ideologische <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>srechtliche<br />

„Gleichschaltung“ der meisten <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>e<br />

abgeschlossen. Außer dem BLV <strong>und</strong> dem Deutschen Philologenverband<br />

hatten die anderen <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong> Berufsverbände<br />

aus dem Bildungsbereich als eigenständige Rechtspersonen<br />

zu existieren aufgehört. Auch die „Gleichschaltung“ des BLV<br />

war weit vorangeschritten. Was fehlte, war die abschließende<br />

Auflösung des BLV als private Körperschaft (Vere<strong>in</strong>sauflösung)<br />

<strong>und</strong> die Überführung <strong>in</strong> den NSLB.<br />

Josef Bauer<br />

versichert<br />

aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es<br />

schwelenden<br />

Konfliktes mit<br />

dem NSLB<br />

se<strong>in</strong>e Loyalität.<br />

Der Druck auf den BLV, sich als eigene Rechtsperson aufzulösen,<br />

nahm spürbar zu – spätestens nachdem Bauer sich<br />

im Sommer 1933 an e<strong>in</strong>er Initiative des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isters<br />

Wilhelm Frick – e<strong>in</strong>em politischen Gegenspieler von Hans<br />

Schemm – beteiligt hatte.<br />

Zusammen mit dem Deutschen Philologenverband, dem<br />

Reichsverband der Deutschen Hochschulen, dem Reichsverband<br />

der <strong>Lehrer</strong> an gewerblichen Berufs- <strong>und</strong> Fachschulen,<br />

dem Reichsverband Deutscher (freier) Unterrichts- <strong>und</strong> Erziehungsanstalten<br />

wollten sie e<strong>in</strong>e Konkurrenzorganisation zur<br />

Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft (DEG II) aufbauen. Fricks<br />

Anliegen war es, die <strong>Lehrer</strong> mit e<strong>in</strong>er starken Dachorganisation<br />

unter se<strong>in</strong>er Kontrolle <strong>in</strong> den „Reichsb<strong>und</strong> der Deutschen<br />

Beamten“ zu <strong>in</strong>tegrieren. Der BLV sollte hierbei den Gr<strong>und</strong>stock<br />

e<strong>in</strong>es Reichsverbands der Volksschullehrer bilden. <strong>Die</strong>ser<br />

offensichtliche Affront gegen die Bestrebungen Schemms<br />

führte zur heftigen Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem NSLB, auch<br />

wenn Bauer <strong>und</strong> Schemm nach außen e<strong>in</strong> gutes Verhältnis<br />

demonstrierten. Bauer sah sich im Oktober 1933 genötigt,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>schreiben an die Kreislehrervere<strong>in</strong>e Gerüchten<br />

entgegenzutreten, der BLV habe sich bereits aufgelöst. Außerdem<br />

entband er Karl Hehl se<strong>in</strong>er Funktion als Schriftleiter<br />

der BLZ, da sich Hehl offensichtlich auf die Seite Schemms<br />

geschlagen <strong>und</strong> gegen Bauer agiert hatte.<br />

Anfang November veranlasste Bauer e<strong>in</strong>e Befragung aller 307<br />

Bezirksvere<strong>in</strong>e (heute Kreisvere<strong>in</strong>e) des BLV. <strong>Die</strong> Kernfrage<br />

lautete: Soll der BLV als selbständige Geme<strong>in</strong>schaft erhalten<br />

bleiben oder im NSLB aufgehen? Offensichtlich wollte sich<br />

Bauer <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Schemm <strong>und</strong> dem NSLB<br />

Rückendeckung aus der Verbandsbasis verschaffen. Außer <strong>in</strong><br />

Oberfranken, der Heimat Schemms, <strong>in</strong> der sich 34 von 52<br />

Bezirksvere<strong>in</strong>en für e<strong>in</strong>e Auflösung des BLV aussprachen, befürworteten<br />

nur 22 von 255 der restlichen Bezirksvere<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e<br />

Auflösung. Insgesamt hatten sich überhaupt nur 183 von 307<br />

Bezirksvere<strong>in</strong>en an der Befragung beteiligt, 124 hatten gar<br />

nicht geantwortet.<br />

Nach dieser deutlichen Stärkung der Position Bauers erklärte<br />

die „Führerversammlung“ des BLV am 18.11.1933 <strong>in</strong> der BLZ<br />

nochmals ihren Willen, den BLV zu erhalten, jedoch auch ihre<br />

Bereitschaft zum Aufbau e<strong>in</strong>er „wahren deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“<br />

beizutragen. (BLZ 1933 S. 724). Am gleichen<br />

Tag kam es zu e<strong>in</strong>em Gespräch zwischen Bauer <strong>und</strong> Schemm,<br />

<strong>in</strong> dem Bauer e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gliederung des BLV <strong>in</strong> den NSLB anbot,<br />

vorausgesetzt der BLV könne <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er fachlichen Arbeit <strong>und</strong><br />

12 <strong>Die</strong>ser Teil ist <strong>in</strong> gekürzter <strong>und</strong> leicht veränderter Form entnommen: Fritz Schäffer: Josef Bauer – e<strong>in</strong> „aufrechter“ Nationalsozialist? – Politische Biographie des Münchner Stadtschulrats <strong>und</strong> Vorsitzenden des<br />

Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s im Dritten Reich. Kl<strong>in</strong>khardt-Verlag, Bad Heilbrunn/Obb 1995, S.64 bis 75. Dort f<strong>in</strong>den sich auch alle Quellenangaben


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

<strong>in</strong> vermögensrechtlicher H<strong>in</strong>sicht selbständig bleiben. Obgleich<br />

das Gespräch dem Vernehmen nach fre<strong>und</strong>lich verlief, legte der<br />

NSLB zehn Tage später e<strong>in</strong>en provozierenden Gegenentwurf<br />

vor, der e<strong>in</strong>en weitgehenden Verlust der Selbständigkeit des<br />

BLV vorsah <strong>und</strong> ihn völlig abhängig von den Entscheidungen<br />

im NSLB gemacht hätte.<br />

Bauer reagierte prompt: Am 29. November reiste er nach<br />

Berl<strong>in</strong>, um am 30. November im Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium die<br />

schon im Sommer besprochene mögliche Gründung e<strong>in</strong>er<br />

neuen „Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“ (DEG II) unter dem<br />

Vorsitz des Bremer Schulsenators von Hoff aktiv weiterzutreiben.<br />

Ganz offensichtlich war die auf der Versammlung am 8.<br />

Juni <strong>in</strong> Magdeburg beschlossene Gründung der „Deutschen<br />

Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“ noch nicht umgesetzt, denn die an der<br />

Gründung des DEG II beteiligten Personen behaupteten, es<br />

handle sich bei ihrer Initiative um die Umsetzung der Magdeburger<br />

Beschlüsse. Auch Schemm war nicht untätig: Er startete<br />

e<strong>in</strong>e Initiative für die Gründung e<strong>in</strong>er „Nationalsozialistischen<br />

Erzieherfront“ <strong>in</strong>nerhalb der NSDAP, die ausschließlich<br />

für NSDAP-Mitglieder gedacht war. Damit wäre die frühere<br />

Exklusivität der Mitgliedschaft der Parteimitglieder <strong>in</strong> anderer<br />

Form wieder hergestellt <strong>und</strong> im NSLB könnten dann ohne<br />

116<br />

Probleme auch Nicht-Parteimitglieder Mitglied werden. E<strong>in</strong>er<br />

der Gründe, warum die Überführung der <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den<br />

NSLB Schwierigkeiten bereitete, wäre damit beseitigt. Der<br />

NSLB könnte dann die Rolle der Organisation für alle <strong>Lehrer</strong><br />

unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit <strong>und</strong> ihrer Schulart,<br />

die der „Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“ zugedacht war,<br />

selbst übernehmen.<br />

Zwar wurde trotz dieser Kontroverse <strong>in</strong> den folgenden Wochen<br />

nach außen zwischen Schemm <strong>und</strong> Bauer Harmonie signalisiert,<br />

nach <strong>in</strong>nen jedoch tobten heftige Ause<strong>in</strong>andersetzungen.<br />

Bauer selbst sprach von „monatelangen Ause<strong>in</strong>andersetzungen“<br />

<strong>und</strong> von „<strong>in</strong> manchen Gebieten aufs äußerste gesteigerter<br />

Erregung <strong>und</strong> Gegensätzlichkeit“ (BLZ 1934 S. 433). In zwei<br />

Großk<strong>und</strong>gebungen am 6.12. <strong>in</strong> München <strong>und</strong> am 12.12. <strong>in</strong><br />

Nürnberg hatte sich Bauer erneut der Zustimmung der Basis <strong>in</strong><br />

Auch das traditionsreiche pädagogisch-psychologische<br />

Institut wurde<br />

zur Schulung der nationalsozialistischen<br />

Ideologie missbraucht.<br />

dieser harten Ause<strong>in</strong>andersetzung versichert. In se<strong>in</strong>en Reden<br />

anerkannte er une<strong>in</strong>geschränkt die ideologische Führungsrolle<br />

des NSLB, gleichzeitig gäbe es jedoch ke<strong>in</strong>e Veranlassung, die<br />

vorbildlichen Schutz- <strong>und</strong> Wohlfahrtse<strong>in</strong>richtungen des BLV <strong>in</strong><br />

den NSLB überzuführen. Des Weiteren müsse <strong>in</strong> Zukunft der<br />

BLV die Heimat der <strong>Lehrer</strong> bleiben, die nicht Parteimitglied s<strong>in</strong>d.


117 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

<strong>Die</strong> Bayerische <strong>Lehrer</strong>zeitung war<br />

zum nationalsozialistischen Sprachrohr<br />

geworden (BLZ 1937 S. 581)<br />

Am 20. Dezember 1933 schließlich signalisierte Schemm<br />

überraschend, dem Vorschlag Bauers vom 18.11. zuzustimmen.<br />

Der BLV könnte als „Abteilung Wirtschaft <strong>und</strong> Recht“ unter<br />

weitgehender Aufrechterhaltung der Selbständigkeit <strong>in</strong> den<br />

NSLB e<strong>in</strong>gegliedert werden. <strong>Die</strong>ses Nachgeben Schemms<br />

h<strong>in</strong>g wohl auch damit zusammen, dass am 4.1.1934 e<strong>in</strong>e<br />

Ausführungsbestimmung des Reichsleiters Robert Ley – zuständig<br />

für Parteiorganisation – <strong>in</strong> Kraft trat, mit der <strong>in</strong>nerhalb<br />

der NSDAP e<strong>in</strong> „Amt für Erzieher“ geschaffen werden sollte,<br />

dem alle <strong>Lehrer</strong> <strong>in</strong> der NSDAP angehören sollten. Damit konnte<br />

der NSLB nun aktiv die Rolle der „Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft“<br />

übernehmen, ohne se<strong>in</strong>e Exklusivität für NSDAP-<br />

Mitglieder zu verlieren. <strong>Die</strong> Initiative des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister<br />

Frick, e<strong>in</strong>e „Deutschen Erziehergeme<strong>in</strong>schaft II“ zu gründen,<br />

war <strong>in</strong>s Leere gelaufen.<br />

Noch im W<strong>in</strong>ter wurden die Verhandlungen um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gliederung<br />

des BLV <strong>in</strong> den NSLB wieder aufgenommen. Sie dauerten<br />

bis Juni 1934. Am 24. Juni 1934 schließlich wurden sie<br />

mit folgendem Ergebnis abgeschlossen: Der BLV bleibt als e<strong>in</strong>getragener<br />

Vere<strong>in</strong> erhalten. Damit wird se<strong>in</strong>e Selbständigkeit<br />

unterstrichen. Ab Juli 1934 wird der BLV zur „Fachschaft für<br />

Volksschulen“ im NSLB Bayern. Hiermit konnte die fachliche<br />

Arbeit weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerhalb der Strukturen des BLV erfolgen,<br />

aber der BLV war nach außen e<strong>in</strong>deutig dem NSLB zugeordnet.<br />

Aus dieser Konstruktion wird ersichtlich, dass von Seiten<br />

des NSLB ke<strong>in</strong>e Sorge dah<strong>in</strong>gehend bestand, dass der BLV<br />

weltanschaulich „auf Abwege“ geraten könnte. <strong>Die</strong> Bayerische<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung blieb als Fachschaftszeitung erhalten – die bereits<br />

fast e<strong>in</strong> Jahr dokumentierte absolute L<strong>in</strong>ientreue der BLZ<br />

machte diese Entscheidung leicht. Ab der Ausgabe 27 der<br />

BLZ, die am 5. Juli 1934 erschien, fungierte als Herausgeber<br />

der BLZ nun nicht mehr der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>, sondern<br />

die „Abteilung Wirtschaft <strong>und</strong> Recht im NSLB (Bayerischer<br />

<strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> e. V.).“ (BLZ 1934 S. 433)<br />

Bauer kommentierte die E<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der BLZ mit folgenden<br />

Worten: „<strong>Die</strong> Führung des Bayerischen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>s selbst<br />

war stets von der Notwendigkeit der E<strong>in</strong>gliederung des Vere<strong>in</strong>s<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e umfassende Gesamterzieherorganisation durchdrungen<br />

<strong>und</strong> sah die Möglichkeit <strong>und</strong> Verwirklichung der E<strong>in</strong>gliederung<br />

gegeben, ohne dass dabei organisch Gewachsenes zerschlagen<br />

werden sollte. Aber auch unsere Mitglieder bekannten<br />

sich zu allen Zeiten der Verhandlungen zum Gedanken der<br />

E<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Gesamterzieherorganisation.<br />

Mit der Forderung der E<strong>in</strong>gliederung musste aber der zweite<br />

Wunsch aller unserer Mitglieder, nämlich die völlige Erhaltung<br />

der Selbstschutze<strong>in</strong>richtungen unseres Vere<strong>in</strong>s <strong>und</strong> die Wahrung<br />

aller Rechte der Mitglieder, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang gebracht werden.<br />

<strong>Die</strong>ses war die schwierigste Aufgabe für die Vere<strong>in</strong>sführung,<br />

weil <strong>in</strong> ganz Deutschland bei ke<strong>in</strong>em anderen <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Seitenstück zu unseren Vere<strong>in</strong>se<strong>in</strong>richtungen gegeben war <strong>und</strong><br />

weil deshalb <strong>in</strong> Bayern e<strong>in</strong>e andere Lösung gef<strong>und</strong>en werden<br />

musste. … Nur die Verantwortung der Treuhänder wertvollster<br />

Rechte unserer Mitglieder <strong>und</strong> die verdammte Pflicht <strong>und</strong><br />

Schuldigkeit, diese Rechte zu erhalten <strong>und</strong> zu wahren, waren<br />

die Triebfedern me<strong>in</strong>es Handelns.“<br />

Damit ke<strong>in</strong> Zweifel über se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung bleiben konnte,<br />

schrieb Bauer weiter: „Man mag auf allen Gebieten Rücksicht<br />

<strong>und</strong> Nachsicht üben, auf e<strong>in</strong>em Gebiete aber ist jede Rücksicht<br />

unangebracht, das ist auf dem Gebiete der politischen Ges<strong>in</strong>nung.<br />

Wer sich nicht zur Weltanschauung des Nationalsozialismus,<br />

zum nationalsozialistischen Staat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Führer<br />

bekennt, ist untragbar auf jedem Posten als Beamter <strong>und</strong> erst<br />

recht als Erzieher des jungen Geschlechts. …“ (433)


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

die AuflösunG des BlV<br />

Bauers früherer Kollege im Führerstab, der kurzzeitige Schriftleiter<br />

der BLZ Karl Hehl, ereiferte sich auf e<strong>in</strong>er BLV-Mitgliederversammlung<br />

am 19.6.1934, bei der die Vere<strong>in</strong>barung zwischen<br />

BLV <strong>und</strong> NSLB vorgestellt wurde, vor den ca. 250 Anwesenden<br />

mit den Worten: „Das was hier geschehen ist, ist e<strong>in</strong> Übergangsstadium.<br />

Das Endziel ist die restlose <strong>und</strong> organisatorische<br />

E<strong>in</strong>gliederung auch des Letzten!“ Er sollte Recht behalten.<br />

Nach dem plötzlichen Unfalltod des Reichswalters des NSLB<br />

<strong>und</strong> Kultusm<strong>in</strong>isters Hans Schemm bei e<strong>in</strong>em Flugzeugabsturz<br />

am 5. März 1935 war der NSLB acht Monate führungslos.<br />

Erst am 5. Dezember 1935 wurde der frühere Thür<strong>in</strong>ger<br />

Volksschullehrer Fritz Wächtler zum Nachfolger berufen. Fritz<br />

Wächtler war seit 1926 NSDAP-Mitglied. Seit 1929 war er<br />

Mitglied des Thür<strong>in</strong>gischen Landtags <strong>und</strong> wurde 1932 Volksbildungsm<strong>in</strong>ister<br />

<strong>in</strong> der von der NSDAP geführten Landesregierung<br />

von Thür<strong>in</strong>gen. 1935 wurde er Gauleiter der bayerischen<br />

Ostmark.<br />

Mit Fritz Wächtler ergab sich e<strong>in</strong>e neue Situation für das Verhältnis<br />

zwischen dem BLV <strong>und</strong> dem NSLB. Während Schemm<br />

<strong>und</strong> Bauer sich gut kannten <strong>und</strong> phasenweise <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung<br />

standen, bek<strong>und</strong>eten sie sich trotz ihres latenten Konfliktes<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des BLV gegenseitig <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

Loyalität. <strong>Die</strong>se persönliche Beziehung entfiel bei Wächtler.<br />

Wächtler <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Geschäftsführer He<strong>in</strong>rich Friedmann machten<br />

dem BLV zum Vorwurf, trotz se<strong>in</strong>er formalen E<strong>in</strong>gliederung<br />

<strong>in</strong> den NSLB weiter e<strong>in</strong> völlig selbständiges Eigenleben zu führen,<br />

auf das der NSLB nicht den m<strong>in</strong>desten E<strong>in</strong>fluss besaß.<br />

Unterstützt wurden sie dabei von dem e<strong>in</strong>flusssreichen „Leiter<br />

der Partei-Kanzlei der NSDAP im Rang e<strong>in</strong>es Reichsm<strong>in</strong>isters“,<br />

Mart<strong>in</strong> Bormann (später Stabsleiter des Stellvertreters<br />

des Führers) (Schäffer S. 64),<br />

Fritz Wächtler war ab 1935 Führer<br />

des Nationalsozialistischen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong>es<br />

(NSLB) <strong>und</strong> Gegenspieler<br />

Josef Bauers<br />

118<br />

Am 11. Februar 1936 forderte Bormann Wächtler auf, mit<br />

Bauer zu sprechen <strong>und</strong> ihn zur Auflösung des BLV zu veranlassen,<br />

da es nicht e<strong>in</strong>zusehen sei, „warum Bayern noch e<strong>in</strong>en<br />

besonderen <strong>Lehrer</strong>b<strong>und</strong> benötigt“. Bauer widersetzte sich diesem<br />

Ans<strong>in</strong>nen jedoch mit dem H<strong>in</strong>weis auf die beträchtlichen<br />

Vermögenswerte des BLV, die im H<strong>in</strong>blick auf die umfangreichen<br />

Selbsthilfee<strong>in</strong>richtungen des Vere<strong>in</strong>s erhalten bleiben müssten.<br />

Er argumentierte hierbei, dass die vergleichbaren E<strong>in</strong>richtungen<br />

des NSLB schlechtere Konditionen böten, so dass die Rechte<br />

der BLV-Mitglieder bei e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gliederung nicht gewahrt blieben.<br />

<strong>Die</strong>ser E<strong>in</strong>wand wurde von Wächtler als Unterstellung <strong>und</strong><br />

Affront empf<strong>und</strong>en. Es kam zum Eklat. Bauer blieb hart. Am<br />

18. Juli 1936 erklärte er weitere Gespräche mit Wächtler als<br />

zwecklos. <strong>Die</strong>s wiederum veranlasste Wächtler zur Intervention<br />

beim Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, mit der Bitte, e<strong>in</strong>e<br />

parteiamtliche Verfügung zu erlassen, die „die Voraussetzung<br />

für die erforderlichen Re<strong>in</strong>igungsarbeiten“ schafft. E<strong>in</strong>en ausgearbeiteten<br />

Entwurf legte er bei. Ziel der angestrebten „völligen<br />

Auflösung“ sei, dass das „dadurch freiwerdende Vermögen dem<br />

NSLB für dessen umfassendes soziales Hilfswerk übertragen<br />

wird.“ Tatsächlich kämpfte der NSLB stets gegen f<strong>in</strong>anzielle<br />

Schwierigkeiten <strong>und</strong> benötigte deshalb des Vermögen des BLV<br />

zur eigenen Liquiditätssicherung.<br />

Nachdem sich trotz dieser Vorstöße Bauer une<strong>in</strong>sichtig zeigte,<br />

richtete der Geschäftsführer des NSLB Friedmann am 10.<br />

November 1936 die „persönliche Frage“ an Bauer, „ob denn<br />

das Eigen- <strong>und</strong> Sonderleben ‚des BLV’ auch im Jahr 1937<br />

weitergeführt werden soll?“ Der Kreis der Befürworter sei kle<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> „weltanschaulich nicht gerade der beste“. <strong>Die</strong>se Anfrage<br />

führte zu e<strong>in</strong>er weiteren Eskalation. Bauer erklärte zwar se<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>verständnis für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche Lösung, bewertete<br />

die Anfrage Friedmanns aber als „unerhörte Beleidigung“,<br />

die er mit heftigen Gegenvorwürfen beantwortete: „<strong>Die</strong> welt-


119 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

anschauliche Zuverlässigkeit <strong>und</strong> charakterliche Güte me<strong>in</strong>er<br />

nächsten Mitarbeiter steht turmhoch über dem politischen<br />

Strauchrittertum <strong>und</strong> der charakterlichen Verkommenheit der<br />

Lumpen, die <strong>in</strong> Bayreuth [Sitz des NSLB] lang poussiert worden<br />

s<strong>in</strong>d.“ <strong>Die</strong>se öffentlich gemachte drastische Ger<strong>in</strong>gschätzung<br />

der Funktionäre des NSLB führte verständlicherweise<br />

zu heftigen Reaktionen. Friedmann teilte am 19. Dezember<br />

1936 mit, dass sich angesichts dieser Äußerungen weitere<br />

Verhandlungen verböten.<br />

Josef Bauer hatte bereits seit 1934 Kontakte mit dem Reichsaufsichtsamt<br />

für Versicherungen. Se<strong>in</strong> Ziel war es, die Selbsthilfee<strong>in</strong>richtungen<br />

des BLV rechtlich <strong>in</strong> die verschiedenen<br />

Sparten Kranken-, Sterbegeld, Haftpflicht-, Feuer- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>bruchversicherung<br />

aufzuteilen <strong>und</strong> dem Reichsaufsichtsamt<br />

zu unterstellen. Damit würden die als Unterstützungsvere<strong>in</strong>e<br />

geführten E<strong>in</strong>richtungen Privatversicherungen <strong>und</strong> würden aus<br />

dem Vere<strong>in</strong>svermögen ausgegliedert. Damit wäre e<strong>in</strong> Großteil<br />

des Vere<strong>in</strong>svermögens des BLV im Falle e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gliederung<br />

<strong>in</strong> den NSLB nicht mehr für den NSLB verfügbar. Angesichts<br />

des Konfliktes mit Wächtler handelte Bauer nun schnell. Er akzeptierte<br />

die Forderungen des Reichsaufsichtsamtes, so dass<br />

er am 31. März 1937 die Umgestaltung der Unterstützungse<strong>in</strong>richtung<br />

Krankenhilfe mit jährlichen Umsätzen von ca. zwei<br />

Millionen Reichsmark <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Versicherungsvere<strong>in</strong> auf Gegenseitigkeit<br />

verkünden konnte. 13 <strong>Die</strong> Prämienzahlungen wurden<br />

gedeckt durch die Übernahme der wichtigsten BLV-Immobilien,<br />

<strong>in</strong>sbesondere der Geschäftsstelle am Bavariar<strong>in</strong>g <strong>in</strong> München<br />

<strong>und</strong> dem Anwesen Schloss Fürstenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berchtesgaden.<br />

<strong>Die</strong> Verwaltung der Krankenkasse wurde vom Vere<strong>in</strong>sapparat<br />

getrennt. Ebenso wurde die Sterbehilfe als Sterbegeldversicherung<br />

der Bayernversicherung ausgegliedert. Damit war e<strong>in</strong><br />

Großteil der Vermögenswerte dem NSLB weitgehend entzogen.<br />

13 Es handelte sich um die Krankenkasse der Erzieher (KbE), die später den Gr<strong>und</strong>stock für die Bayerischen Beamtenkrankenkasse bildete.<br />

<strong>Die</strong> bislang fehlende Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die zwangsweise<br />

Auflösung des BLV bot das Gesetz über Beamtenvere<strong>in</strong>igungen<br />

vom 27. Mai 1937. § 1 des Gesetzes sah die Auflösung<br />

ehemaliger Spitzenverbände <strong>und</strong> deren Mitgliedsverbände, wie<br />

es der BLV durch se<strong>in</strong>e Zugehörigkeit zum Deutschen Beamtenb<strong>und</strong><br />

war, zum 1. Juli 1937 vor. Am 16. September 1937<br />

bestätigte Staatsrat Dr. Boepple vom bayerischen Kultusm<strong>in</strong>isterium<br />

dem Reichserziehungsm<strong>in</strong>ister Rust, die „Abteilung<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Recht im NSLV, BLV e. V.“ käme für e<strong>in</strong>e Auflösung<br />

im S<strong>in</strong>ne des Gesetzes <strong>in</strong> Frage. Angesichts ihrer sozialen<br />

Bedeutung sei jedoch e<strong>in</strong> Fortbestand gerechtfertigt.<br />

Böpple schlug vor, die Auflösung zurückzustellen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>vernehmliche Übernahme des BLV durch den NSLB anzustreben.<br />

Bauer sah dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Chance, den BLV <strong>in</strong> Form<br />

der „Abteilung Wirtschaft <strong>und</strong> Recht im NSLV, BLV e. V.“ weiter<br />

weitgehend selbständig zu führen. Offensichtlich lag ihm<br />

neben der Sicherung der Vermögenswerte für die Mitglieder<br />

auch daran, die Bayerische <strong>Lehrer</strong>zeitung weiter herausgeben<br />

zu können. Damit hatte er e<strong>in</strong> Forum, se<strong>in</strong>e Ideen der Schule<br />

im Nationalsozialismus zu transportieren <strong>und</strong> sich auch <strong>in</strong> der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem NSLB bei den <strong>Lehrer</strong>n Gehör zu<br />

verschaffen. Im Gegensatz zum Organ des NSLB „Der deutsche<br />

Erzieher“ war die BLZ e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> bei den bayerischen<br />

Volksschullehrern nach wie vor anerkannt <strong>und</strong> viel gelesen. Vor<br />

diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> lässt sich erklären, dass Bauer weiterh<strong>in</strong><br />

nicht bereit war, e<strong>in</strong>zulenken <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Auflösung des BLV zuzustimmen.<br />

Da Bauer glaubte, den Innen- <strong>und</strong> Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Gauleiter<br />

für München-Oberbayern Adolf Wagner auf se<strong>in</strong>er Seite zu<br />

haben, gab er sich gegenüber Wächtler <strong>und</strong> Friedmann weiterh<strong>in</strong><br />

selbstbewusst <strong>und</strong> konfliktbereit. Am 10. November 1937<br />

hatte der staatsrechtliche Leiter beim Stab des Stellvertreters


Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

des Führers, Walther Sommer, Bauer, Friedmann <strong>und</strong> weitere<br />

Vertreter des NSLB <strong>und</strong> des bayerischen Kultusm<strong>in</strong>isteriums<br />

zu e<strong>in</strong>em Gespräch über die Auflösung der <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong>e gebeten.<br />

Ergebnis des Gesprächs war die Übere<strong>in</strong>kunft, dass<br />

die Abteilung Wirtschaft <strong>und</strong> Recht im NSLB, BLV e. V. aufzulösen<br />

sei. Zwischen NSLB <strong>und</strong> BLV sollte die Übernahme<br />

der E<strong>in</strong>richtungen des BLV ausgehandelt werden. <strong>Die</strong> Krankenkasse<br />

<strong>und</strong> die Sterbegeldversicherung waren nicht Teil der<br />

Liquidationsmasse – damit hatte Bauer e<strong>in</strong> wichtiges Teilziel<br />

erreicht. Josef Bauer beantragte die abschließende Liquidation<br />

zum 31.12.1937. Er selbst wurde als Liquidator e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs waren die Übergabemodalitäten noch bei weitem<br />

nicht geregelt.<br />

Als e<strong>in</strong>e besondere Provokation empfand der NSLB, dass nach<br />

offizieller Liquidation des BLV die BLZ unter der persönlichen<br />

Herausgeberschaft Josef Bauers weiter erschien. Unter dem<br />

Titel „Bayerische <strong>Lehrer</strong>zeitschrift“ hieß es ab der Ausgabe 1<br />

des Jahres 1938 „Wochenschrift für praktische Schularbeit <strong>und</strong><br />

alle Berufsfragen des Volkslehrers. Herausgeber Stadtschulrat<br />

Josef Bauer M. d . R., München“. Offensichtlich wurde diese<br />

Veränderungen nicht von allen Lesern der Zeitschrift registriert,<br />

obgleich <strong>in</strong> der Dezemberausgabe darauf h<strong>in</strong>gewiesen<br />

worden war. <strong>Die</strong> Schriftleitung schreibt <strong>in</strong> der Nummer 5 des<br />

Jahrgangs 1937: „Aus e<strong>in</strong>er Reihe von Zuschriften <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

großen Zahl von Nachbestellungen geht hervor, dass die im<br />

Dezember wiederholt angekündigte Umstellung im Bezug der<br />

BLZ nicht überall Beachtung fand. Mancherorts wurde sogar<br />

die Ansicht ausgesprochen, die BLZ würde nicht mehr weiter<br />

ersche<strong>in</strong>en. <strong>Die</strong> BLZ wird solange ersche<strong>in</strong>en, als die Leser <strong>in</strong><br />

Treue zu ihr stehen.“ (BLZ 1938 S. 77)<br />

dAs nAchspiel<br />

In der Februarausgabe 1938 der vom NSLB herausgegebenen<br />

Reichszeitung „Der deutsche Erzieher“ erschien unter dem<br />

Josef Bauer zusammen mit dem<br />

bayerische Kultusm<strong>in</strong>ister Adolf<br />

Wagner anlässlich des Festaktes<br />

im Münchner Rathaus zum 50.<br />

Geburtstags Adolf Hitlers am<br />

20. April 1939.<br />

Quelle: Stadtarchiv München<br />

120<br />

Titel „Kuriosum“ folgender süffisanter Artikel: „… Mutet es da<br />

im Jahr 1938 nicht wirklich kurios an, wenn man e<strong>in</strong>e Zeitung<br />

<strong>in</strong>s Haus bekommt, mit dem nationalsozialistischen Titel: ‚Bayerische<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung’, …herausgegeben von Josef Bauer –<br />

München, L<strong>in</strong>denschmittstr. 52/II? Wenn das Hakenkreuz den<br />

Titel ‚B a y e r i s c h e <strong>Lehrer</strong>zeitung’ nicht so kunstvoll durchwirkte,<br />

glaubte man sich versetzt <strong>in</strong> die Zeit der ‚Gründung’<br />

des Königreichs B a y e r n durch den <strong>in</strong>nigsten Fre<strong>und</strong> der<br />

Reichse<strong>in</strong>heit … Napoleon I. … Wir nationalsozialistischen Erzieher<br />

<strong>und</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen bekennen offen, dass wir den Ruf des<br />

Führers verstanden haben <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>er ‚B a y e r i s c h e n’<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung nichts zu tun haben wollen, die glaubt, im sechsten<br />

Jahr der Machtübernahme noch trennen zu müssen zwischen<br />

bayerischen Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Erziehern im Reich.“<br />

Neben diesem Artikel verbreiteten Personen im NSLB, dass<br />

Bauer die Vermögenswerte des BLV „verschoben“ habe.<br />

<strong>Die</strong>ser Frontalangriff auf Bauer stammte aus der Feder des<br />

NSLB-Reichsgeschäftsführers He<strong>in</strong>rich Friedmann, mit dem<br />

Bauer schon früher heftige Ause<strong>in</strong>andersetzungen geführt<br />

hatte. Bauer rief umgehend das Oberste Parteigericht der<br />

NSDAP an <strong>und</strong> beantragte e<strong>in</strong> Diszipl<strong>in</strong>arverfahren gegen<br />

Friedmann. Außerdem erstattete er Strafanzeige wegen<br />

Beleidigung beim Amtsgericht München. Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong><br />

Gauleiter Adolf Wagner forderte die Redaktion des „Deutschen<br />

Erziehers“ auf, diesen „<strong>in</strong>famen Angriff“ auf Bauer <strong>in</strong><br />

der nächsten Ausgabe der NSLB-Zeitung zurückzunehmen.<br />

Sonst würde er den Schreiber dieses Aufsatzes „wegen Schädigung<br />

des Ansehens der Partei <strong>und</strong> des Staates <strong>in</strong> Schutzhaft<br />

nehmen lassen.“ Durch die Unterstützung durch Kultusm<strong>in</strong>ister<br />

Adolf Wagner fühlte sich Bauer bestätigt, publizierte das<br />

Schreiben Wagners <strong>in</strong> der BLZ <strong>und</strong> verschickte es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Funktion als Stadtschuldirektor <strong>in</strong> München an alle Münchner<br />

Volks-, Berufs-, städtische Mittel- <strong>und</strong> höhere Schulen.<br />

Nochmals suchte er die Unterstützung der <strong>Lehrer</strong>schaft. Mit<br />

Erfolg: Etwa 100 Solidaritätsadressen erreichten das Münchner<br />

Stadtschulamt. In der Ausgabe 12 der BLZ bedankt sich


121 Der Bayerische <strong>Lehrer</strong>vere<strong>in</strong> im Nationalsozialismus<br />

Bauer: „… <strong>und</strong> danken auf diesem Weg allen Kameraden für<br />

die Teilnahme am Geschick der Bayerischen <strong>Lehrer</strong>zeitung.<br />

Immer kehrt die Frage wieder: Wie können wir mithelfen? Teilt<br />

uns Eure Wünsche <strong>und</strong> Anregungen mit … Vor allem aber<br />

werbt für die BLZ! Muntert die Lauen <strong>und</strong> Saumseligen auf.<br />

Ke<strong>in</strong> Werbeapparat steht uns zur Verfügung. Es hängt alles<br />

vom E<strong>in</strong>satz der <strong>Lehrer</strong>schaft ab.“ (BLZ 1937 S. 174)<br />

<strong>Die</strong>ser Schritt führte jedoch auch bei den Parteifunktionären,<br />

die Bauer unterstützten, zu e<strong>in</strong>er offensichtlichen nachhaltigen<br />

Verärgerung. Der Münchner Gauleiter des NSLB, Josef Streicher,<br />

erstattete nun bei der Gestapo Anzeige gegen Bauer<br />

wegen „der parteischädigenden Vorgänge an den Münchner<br />

Schulen“. Kultusm<strong>in</strong>ister Wagner startete am 15. März 1938<br />

e<strong>in</strong>en erneuten Versöhnungsversuchs, an dem neben Bauer<br />

der Reichswalter des NSLB Fritz Wächtler <strong>und</strong> auch He<strong>in</strong>rich<br />

Friedmann teilnahmen. Friedmann teilte dem Obersten Parteigericht<br />

am 18. März mit, die E<strong>in</strong>igung hätte ergeben,<br />

1. die Rücknahme der Vorwürfe gegen Bauer <strong>in</strong> der nächsten<br />

Ausgabe des Deutschen Erziehers,<br />

2. die Übertragung sämtlicher E<strong>in</strong>richtungen des BLV an den<br />

NSLB zum 1.4.1938,<br />

3. die E<strong>in</strong>stellung der BLZ,<br />

4. die Ernennung Bauers zum Reichsfachschaftsleiter für<br />

Volksschulen im NSLB.<br />

Josef Bauer wendet sich e<strong>in</strong> letztes<br />

Mal als Herausgeber der Bayerischen<br />

<strong>Lehrer</strong>zeitung an se<strong>in</strong>e Leser. Der<br />

BLV war zum 31. Dezember 1937<br />

<strong>in</strong> den NSLB übergeführt <strong>und</strong> als<br />

Organisation nicht mehr existent.<br />

(BLZ 1938 S. 174)<br />

Da Bauer sich <strong>in</strong> dieser Gesprächszusammenfassung <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er<br />

Weise wiederfand – <strong>in</strong>sbesondere kritisierte er die Verquickung<br />

se<strong>in</strong>er Beleidigungssache mit den noch offenen Fragen verbliebener<br />

BLV-E<strong>in</strong>richtungen wie BLZ <strong>und</strong> Krankenkasse bayerischer<br />

Erzieher – hielt er se<strong>in</strong> Parteigerichtsverfahren gegen<br />

Friedmann aufrecht. <strong>Die</strong>s führte schließlich auch zum Bruch mit<br />

Wagner, der von ihm „absolute E<strong>in</strong>ordnung <strong>und</strong> Unterordnung<br />

dem NSLB gegenüber“ verlangte. Bauer stand alle<strong>in</strong> ohne<br />

Fürsprecher <strong>und</strong> Unterstützer <strong>in</strong> der Partei. Daraufh<strong>in</strong> zog er<br />

schließlich tief gekränkt se<strong>in</strong>e Anzeige zurück <strong>und</strong> stellte das<br />

Ersche<strong>in</strong>en der BLZ zum 1. April 1938 e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> letzte Ausgabe<br />

galt dem Thema „Großdeutschland“. Mit ke<strong>in</strong>em Wort wird<br />

erwähnt, dass es sich um die letzte Ausgabe der BLZ handelt.<br />

Mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 24. April 1938 gliederte<br />

sich die Krankenkasse bayerischer Erzieher doch der NSLBeigenen<br />

Krankenkasse deutscher Erzieher e<strong>in</strong>, so dass sowohl<br />

die Krankenkasse als auch die Immobilien des BLV an den<br />

NSLB überg<strong>in</strong>gen. Bauer war <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kampf für den Erhalt<br />

der Soziale<strong>in</strong>richtungen des BLV ebenso gescheitert wie <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Versuch, die <strong>Lehrer</strong>schaft über die Bayerische <strong>Lehrer</strong>-<br />

zeitung h<strong>in</strong>ter sich zu sammeln.<br />

Se<strong>in</strong>e Aktivitäten als Münchener Stadtschuldirektor blieben<br />

davon unberührt.


www.er<strong>in</strong>nern.bllv.de<br />

Unterstützt von der Leo Baeck-Stiftung Berl<strong>in</strong><br />

Bayerischer <strong>Lehrer</strong>- <strong>und</strong> <strong><strong>Lehrer</strong><strong>in</strong>nen</strong>verband<br />

Bavariar<strong>in</strong>g 37 | 80336 München

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