Ulrike Hentschel Das Theater als moralisch-pädagogische Anstalt?
Ulrike Hentschel Das Theater als moralisch-pädagogische Anstalt?
Ulrike Hentschel Das Theater als moralisch-pädagogische Anstalt?
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<strong>Ulrike</strong> <strong>Hentschel</strong>, <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong> <strong>als</strong> <strong>moralisch</strong>-<strong>pädagogische</strong> <strong>Anstalt</strong>? Zum Wandel der Legitimationen von der<br />
Pädagogik des <strong>Theater</strong>s zur <strong>Theater</strong>pädagogik.<br />
In: Eckart Liebau u. a. (Hrsg.), Grundrisse des Schultheaters. Pädagogische und ästhetische Grundlegung des<br />
Darstellenden Spiels in der Schule. München 2005, S. 31-52.<br />
möglich und gleichzeitig wird die Erfahrung der grundsätzlichen Unmöglichkeit Wirklichkeit<br />
abzubilden evident. Die Ausbildung dieses Verständnisses für die Herstellbarkeit von<br />
Wirklichkeit(en), für Produktionsstrategien, -absichten und -wirkungen lässt sich womöglich<br />
<strong>als</strong> die zentrale Funktion des <strong>Theater</strong>spielens ansehen, in einer Gesellschaft, in der die<br />
(mediale) Produktion von Wirklichkeit so allgegenwärtig geworden ist. Solche<br />
Wirkungsweisen lassen sich jedoch nicht vorab – z.B. durch das Vermitteln einer<br />
wünschenswerten Position über ausgewählte Inhalte und Bedeutungen - bestimmen, sondern<br />
sie ergeben sich erst aus der gestaltenden Auseinandersetzung mit theatralen<br />
Produktionsverfahren. Über die intensive Arbeit an diesen Verfahren, die Auseinandersetzung<br />
mit der Materialität von Raum, Zeit, Rhythmus, Sprechen/Sprache, Körper wird Bedeutung<br />
erst konstituiert.<br />
Auch das zeitgenössische <strong>Theater</strong> scheint keine Versprechungen mehr bereitzuhalten, die für<br />
eine funktionalistische Legitimation der <strong>Theater</strong>pädagogik anschlussfähig wären. In ihrer<br />
Analyse des <strong>Theater</strong>s der 90er Jahre stellt Fischer-Lichte zusammenfassend fest: „<strong>Das</strong> <strong>Theater</strong><br />
der neunziger Jahre hat (...) auf die gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die mit<br />
ihnen verbundene Krise nicht mit Versuchen reagiert, sie diskursiv zu ‚bewältigen‘. Es ist<br />
nicht zur <strong>moralisch</strong>en <strong>Anstalt</strong> geworden, in der die aktuellen Probleme dargestellt und auf der<br />
Grundlage gemeinsamer Wertvorstellungen Lösungsvorschläge formuliert oder dem<br />
Zuschauer nahegelegt werden. Es hat vielmehr seinerseits eine Fülle von Transformationen<br />
durchlaufen....“ (Fischer-Lichte 1999, S. 10f).<br />
Richtet man bei der Frage nach der Wirksamkeit des <strong>Theater</strong>spielens den Fokus auf die<br />
Vielfalt theaterspezifischer Formen und Verfahren, so zeigt sich auch, dass das Ausgehen von<br />
einer autonomieästhetischen Position – wie sie bereits Schiller in den ‚Briefen‘ nahelegt -<br />
nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit dem Verzicht auf jegliche Wirksamkeit der<br />
künstlerischen Tätigkeit, dem Rückzug in einen Ästhetizismus. Als ästhetische Bildung lässt<br />
sich diese Wirkung allerdings weder in ein allgemeines ‚Projekt‘ zur Erziehung des einzelnen<br />
und der Menschheit einordnen noch normativ bestimmen oder gar <strong>als</strong> notwendige Folge einer<br />
Auseinandersetzung mit Kunst planen, sondern „gelingt nur im Rahmen eines Ich-Projektes,<br />
das sich gegenüber den sittlichen und epistemischen Imperativen frei fühlen kann“<br />
(Mollenhauer 1996, S.261).<br />
Literatur<br />
Brecht, Bertolt (1975), Gesammelte Werke in 20 Bänden. Frankfurt/Main.<br />
Cardi, C. (1983), <strong>Das</strong> Kinderschauspiel der Aufklärungszeit. Eine Untersuchung der deutschen Kinderschauspiel<br />
von 1769-1800. Frankfurt/Main.<br />
Dettmar, Ute (2001), Von der Rolle. Zur Theorie und Praxis des Kinderschauspiels im späten 18. Und frühen 19.<br />
Jahrhundert. In: Kinder – und Jugendliteraturforschung 2000/2001, hrsg. von Heins-Heino Ewers et.al.<br />
Stuttgart/Weimar 2001.<br />
Dreßler, Roland (1993), Von der Schaubühne zur Sittenschule. <strong>Das</strong> <strong>Theater</strong>publikum vor der vierten Wand.<br />
Berlin.<br />
Fischer-Lichte, Erika (1993), Kurze Geschichte des deutschen <strong>Theater</strong>s. Tübingen.<br />
Fischer-Lichte, E., Kollesch, D., Weiler, Ch.(Hg.) (1999), Transformationen. <strong>Theater</strong> der Neunziger Jahre.<br />
Berlin.<br />
Gottsched, Johann Christoph (1962), Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehends mit den Exempeln<br />
unserer besten Dichter erläutert. Unveränderter Nachdruck. Darmstadt.<br />
Gottsched, Johann Christoph (1972), Schriften zur Literatur, hrsg. v. Horst Steinmetz. Stuttgart.<br />
Haider-Pregler, Hilde (1980), Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des<br />
Berufstheaters im 18. Jahrhundert. Wien/München.<br />
Haueis, Eduard (1997), Vom <strong>Theater</strong> der Schule zur Schule des <strong>Theater</strong>s. In: Belgrad, Jürgen (Hg.),<br />
<strong>Theater</strong>Spiel. Ästhetik des Schul- und Amateurtheaters. Hohengehren.