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Rümlig-Post 2012 Teil 1 (PDF-Download ca - Gewerbeverein ...

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26<br />

mann seinen Schlitten abgestellt und war zu Fuss weitergezogen.<br />

Zu gerne hätte Rasputin die Rentiere nach dem<br />

weiteren Weg gefragt. Aber die schliefen und schnarchten<br />

so erschöpft, dass nicht mal ein Sternschnuppen orkan<br />

sie geweckt hätte. «Dann finde ich mein Kind eben alleine»,<br />

sagte Rasputin zu sich und flog den Lichtern entgegen<br />

hinein in die grosse Stadt. Wie viele Häuser hier standen.<br />

Grosse und kleine, blaue und graue, alte und neue<br />

... Die geschmückten Fenster blitzten in der weiss verschneiten<br />

Weihnachtsnacht wie Sterne am Himmel. Und<br />

Rasputin dachte: Hinter einem dieser Fenster wartet mein<br />

Kind. Als der kleine Rabe durch die Scheiben in die Wohnzimmer<br />

lugte, erkannte er genau, wo der Weihnachtsmann<br />

schon überall gewesen war. Hier küsste ein Mädchen<br />

ihr Schlafschaf. Dort drückte ein Junge seine Puppe<br />

an die Brust. Und da kuschelten zwei Geschwister mit<br />

ihren Kuschelkatzen. In jedem Haus schien der Weihnachtsmann<br />

das richtige Geschenk abgeliefert zu haben,<br />

denn in jedem Wohnzimmer strahlten die Kinder über<br />

ihre erfüllten Wünsche. Kein Kind sah unglücklich aus,<br />

keines enttäuscht, keines wünschend oder wenigstens<br />

wartend. Und kein Kind liess Rasputins Rabenherz höher<br />

schlagen. Wer nämlich glaubt, dass sich nur die Kinder<br />

über ihre Geschenke freuen, der irrt sich gewaltig! Auch<br />

die Geschenke freuen sich über ihre Kinder; besonders<br />

die Puppen und die Tiere. Wenn ein Wunschgeschenk<br />

bei seinem Kind landet, ist das für beide Seiten ein ganz<br />

und gar wunderbares Glück. Und darauf hatte sich der<br />

kleine Rabe so gefreut. Aber jetzt wurden ihm langsam<br />

die Flügel schwer, und Rasputin fühlte sich immer einsamer.<br />

Nur ein goldschimmernder Funke Hoffnung trieb<br />

ihn weiter. Von Strasse zu Strasse. Von Haus zu Haus.<br />

Von Fenster zu Fenster. Als der kleine Rabe das letzte<br />

Fenster des letzten Hauses in der letzten Strasse hinter<br />

sich gelassen hatte, war Weihnachten schon fast vorbei.<br />

Aber sein Kind hatte Rasputin nicht gefunden. Da zischte<br />

es leise, und so war nun Rasputins letzter Hoffnungsfunke<br />

auch noch erloschen.<br />

Mit hängenden Flügeln stapfte der Rabe aus der Stadt<br />

und von dort einen holprigen Feldweg entlang. Nur der<br />

Schnee erleuchtete jetzt noch die Erde, und der kleine<br />

Rabe bemerkte in seiner Traurigkeit gar nicht, dass seine<br />

Krallen in grosse Fussspuren tappten. In Stiefelfussspuren.<br />

In Weihnachtsmannstiefelfussspuren. Sie führten<br />

durch einen kleinen Wald, hinter dem auf einer hellen<br />

Lichtung ein einzelnes windschiefes Häuschen stand.<br />

Hier endeten die Fussspuren, und in die Ohren des kleinen<br />

Raben drang ein leises Weinen. Verwundert trat er<br />

näher, flatterte mit allerletzter Kraft auf den Fenstersims,<br />

blinzelte durch die Scheibe ins Wohnzimmer – und sah:<br />

den Weihnachtsmann. Mit hängenden Schultern stand er<br />

vor einem kleinen Mädchen, das ganz anders aussah als<br />

die anderen Kinder. Es trug einen hohen, dunkellila Hut,<br />

sein grünes Kleid zierte eine funkelnde Krötenbrosche,<br />

und seine Fingernägel waren rabenschwarz lackiert.<br />

Durch das angelehnte Fenster hörte Rasputin den Weihnachtsmann<br />

sagen: «Ich kann es mir einfach nicht erklären,<br />

Mirabella Hexenkind. Ich war mir ganz sicher, dass<br />

ich alle Geschenke wieder aufgesammelt habe. Aber ...»,<br />

die Schultern des Weihnachtsmannes sanken noch tiefer,<br />

«... ich muss mich geirrt haben. Es tut mir ja so leid.» Das<br />

Mädchen schluchzte herzerweichend, und der Weihnachtsmann<br />

wandte sich jetzt ratlos an die Mutter.<br />

«Könnten Sie nicht vielleicht... ich meine, Sie sind doch<br />

eine Hexe und ...» Aber die Hexenmutter schüttelte den<br />

Kopf. «Weihnachtswünsche sind leider die einzigen Dinge,<br />

die sich nicht durch Hexerei erfüllen lassen. Dafür gibt<br />

es schliesslich den Weihnachtsmann!» Zärtlich beugte<br />

sich die Hexenmutter zu ihrer Tochter herab. «Ich könnte<br />

dir eine weisse Eule hexen. Die hast du dir zwar nicht<br />

gewünscht, aber es wäre bestimmt die schickste Eule im<br />

Wald!» Mirabella heulte nur noch lauter: «Ich will keine<br />

blöde Eule! Ich will meinen Ra-ha-ha-ben!» Die Mutter<br />

seufzte. Der Weihnachtsmann wischte sich die Stirn. Das<br />

Hexenkind vergrub sein Gesicht in den Händen.<br />

Aber Rasputin fiel vor lauter Aufregung fast vom Fenstersims.<br />

Sein Kind! Dieses Hexenmädchen war sein Kind! Er<br />

hatte es gefunden – und das spürte er jetzt auch, denn<br />

sein Rabenherz schlug Purzelbäume. Wie wild hämmerte<br />

er mit dem Schnabel gegen die Scheibe. Die Mutter reckte<br />

den Hals. Der Weihnachtsmann drehte sich um. Das<br />

Hexenkind hob den Kopf. Rasputin sah ihr direkt in die<br />

Augen. In seinem Bauch explodierte das Glück, und dem<br />

Hexenkind Mirabella schien es nicht anders zu gehen.<br />

Mit einem Satz war sie am Fenster, und im nächsten Moment<br />

sass Rasputin auf ihrer Schulter. Er schmiegte seine<br />

weichen Federn an die Wangen der kleinen Hexe und<br />

dann erzählte er dem staunenden Weihnachtsmann von<br />

seiner abenteuerlichen Reise.<br />

Der schüttelte nur noch den Kopf. «Ein Weihnachtsgeschenk,<br />

das sich selbst ausliefert», murmelte er. «So etwas<br />

habe ich ja noch nie erlebt.» «Tja», grinste Mirabella.<br />

«Rasputin ist eben ein richtiger Hexenrabe. Genau wie<br />

ich ihn mir gewünscht habe.» Rasputin krächzte stolz.<br />

Dann wünschten sie dem Weihnachtsmann eine gute<br />

Heimfahrt. Und fröhliche Weihnachten.<br />

Isabel Abedi<br />

Aus: Kerzenschein und Weihnachtszauber –<br />

24 Weihnachtsgeschichten<br />

zum Vorlesen.<br />

Ellermann-Verlag,<br />

ISBN 978-3-7707-2462-8

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