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Geothermische Stromerzeugung: Kommt nach 100 ... - IE Leipzig

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<strong>Geothermische</strong> <strong>Stromerzeugung</strong>: <strong>Kommt</strong> <strong>nach</strong> <strong>100</strong> Jahren der Durchbruch<br />

in Deutschland?<br />

Von Gerhard Fuchs<br />

Am 4. Juli 1904 schaltete Prinz Piero Ginori Conti in der Toskana die erste elektrische<br />

Beleuchtung ein, deren Strom der Energie des Erdinnern entstammte. Damit wird die<br />

geothermische <strong>Stromerzeugung</strong> in diesem Sommer <strong>100</strong> Jahre alt. In Deutschland dagegen<br />

steckt die Branche noch in den Kinderschuhen, die erste derartige Anlage ging erst im<br />

November des vergangenen Jahres ans Netz. Dieser fast <strong>100</strong>-jährige Rückstand Deutschlands<br />

ist allerdings nicht auf mangelndes Know-how zurück zu führen, sondern auf die besseren<br />

natürlichen Voraussetzungen in Italien, wo schon wenige Jahre <strong>nach</strong> Contis Pioniertat<br />

250 kW im ersten geothermischen Kraftwerk der Welt installiert waren.<br />

Heute sind in Geothermie-Anlagen weltweit mehr als 8000 MW elektrischer Leistung<br />

installiert. Davon entfällt mit jeweils mehr als 3000 MW der größte Anteil auf Amerika und<br />

Asien, wo die Anlagen meist entlang des sogenannten "Feuergürtels" an den Rändern des<br />

Pazifik angesiedelt sind. In Europa sind rund 1200 MW installiert, wovon drei Viertel auf<br />

Italien entfallen. Deutschland spielt mit den 210 kW, die im mecklenburg-vorpommerischen<br />

Neustadt-Glewe installiert sind, noch keine nennenswerte Rolle. Dr. Egbert Broßmann,<br />

technischer Projektleiter in Neustadt-Glewe, nennt den Grund: „Deutschland liegt in der sog.<br />

gemäßigten Klimazone. Fast alle regenerativen Energien brauchen aber keine gemäßigten,<br />

sondern extreme Bedingungen: Viel Wind oder viel Sonne, große Höhenunterschiede oder<br />

viel Niederschlag für die Wasserkraft und für die Nutzung der Geothermie eben am besten<br />

aktive Vulkane.“ Das heiße freilich nicht, dass die Nutzung der Erdwärme in Deutschland<br />

keine Zukunft habe. „Insbesondere in der Wärme- und auch in der Kältebereitstellung gibt es<br />

glänzende Möglichkeiten. Man sollte nicht immer nur die <strong>Stromerzeugung</strong> im Blick haben.“<br />

Umweltminister Jürgen Trittin nahm am 12. November 2003 die erste Anlage zur<br />

geothermischen <strong>Stromerzeugung</strong> in Deutschland offiziell in Betrieb. Fotos: BEWAG


Dass in Neustadt-Glewe trotzdem die erste deutsche Anlage zur geothermischen<br />

<strong>Stromerzeugung</strong> in Betrieb genommen wurde, ist kein Widerspruch: Wenn es im Sommer<br />

keine Abnehmer für die Wärme gibt, wird Strom produziert und <strong>nach</strong> EEG ins Netz<br />

eingespeist. Ist aber eine Nachfrage <strong>nach</strong> Wärme vorhanden, ist es trotz EEG günstiger, diese<br />

Nachfrage prioritär zu bedienen. Diese wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der Wärmenutzung<br />

gegenüber der <strong>Stromerzeugung</strong> hängt von diversen Faktoren ab, so dass sie durchaus nicht<br />

immer und überall gelten muss. Und da an den wenigsten Standorten eine konstante<br />

Wärme<strong>nach</strong>frage gegeben ist, ist in der Regel ohnehin ein KWK-Betrieb die beste Lösung.<br />

Strom oder Wärme?<br />

Die Frage „Strom oder Wärme?“ wird <strong>nach</strong> wirtschaftlichen Kriterien entschieden. Diese<br />

wiederum hängen zum einen von den erzielbaren Erlösen für Strom und Wärme ab und zum<br />

anderen von der Temperatur des geförderten Fluids und damit von den geologischen<br />

Bedingungen. Denn je niedriger die verfügbaren Temperaturen, desto geringer ist der<br />

Wirkungsgrad der <strong>Stromerzeugung</strong> und desto schlechter deren Wirtschaftlichkeit. Broßmann<br />

rechnet vor: „Bei den derzeitigen Wärmepreisen und der aktuell gültigen EEG-<br />

Einspeisevergütung von 8,95 Cent/kWh wäre die Verstromung der Wärme ab einem<br />

Kraftwerkwirkungsgrad von 23 % vorteilhaft. Ein solcher Wirkungsgrad kann derzeit mit<br />

Soletemperaturen von rund 300° C erreicht werden. Solche Temperaturen wiederum werden<br />

zur Zeit in Deutschland nicht angestrebt, weil sie hierzulande erst in sehr großen Tiefen<br />

anzutreffen sind.“ Würde die Einspeisevergütung wie geplant auf 15 Cent/kWh erhöht, so<br />

Broßmann weiter, wäre eine <strong>Stromerzeugung</strong> ab Wassertemperaturen von ca. 170° C<br />

interessant. Zum Vergleich: In Neustadt-Glewe hat das geförderte Wasser eine Temperatur<br />

von weniger als <strong>100</strong>° C. Es gibt aber durchaus auch in Deutschland Standorte, wo die<br />

Verhältnisse günstiger sind. So sind in Bad Urach mit der Hot-Dry-Rock-Technologie 170° C<br />

erreichbar. Dort soll 2005 mit der geothermischen Stromproduktion begonnen werden.<br />

Wo die Grenzen der geothermischen <strong>Stromerzeugung</strong> langfristig liegen, ist heute noch schwer<br />

absehbar. Auf der einen Seite stehen die schier unendlichen Potenziale und die<br />

Grundlastfähigkeit, die – anders als die Windkraft – eine tatsächliche Substitution fossil<br />

befeuerter Kraftwerke ermöglicht, auf der anderen Seite gibt es noch erhebliche technische<br />

und damit ökonomische Barrieren. „Nennenswerte Fortschritte in der Umwandlungseffizienz<br />

der Kraftwerke sind in dem für die Erdwärme relevanten Niedertemperaturbereich aus<br />

thermodynamischen Gründen nicht zu erwarten“, stellt Broßmann klar. Damit dürfte eine<br />

Nachfrage <strong>nach</strong> Wärme Voraussetzung für eine wirtschaftliche <strong>Stromerzeugung</strong> bleiben. Da<br />

das Potenzial der Geothermie aber um ein Vielfaches größer ist als der Wärmebedarf und<br />

dieser zudem jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist, hat die geothermische


<strong>Stromerzeugung</strong> auch in Deutschland durchaus gute Perspektiven. „Die geothermische<br />

Energiegewinnung wird dann in den kommenden Jahren einen merklichen Beitrag im<br />

Energiesystem leisten können, wenn es gelingt, Standorte zu erschließen, an denen die<br />

anfallende Niedertemperaturwärme mit hohen Volllaststunden genutzt und gleichzeitig mit<br />

hohen Wirkungsgraden elektrische Energie erzeugt werden kann. Zudem werden auch die<br />

politischen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen. Dies betrifft nicht nur die<br />

Einspeisevergütung, sondern z.B. auch die Schaffung eines geeigneten Instrumentariums zur<br />

Absicherung des Fündigkeitsrisikos neuer Bohrungen“, schätzt Prof. Dr. Martin Kaltschmitt<br />

vom <strong>Leipzig</strong>er Institut für Energetik und Umwelt ein. Optimistisch in Bezug auf Geothermie-<br />

Strom ist auch der Umwelt- und Forschungsausschuss im Deutschen Bundestag, der in diesem<br />

Monat einen Entschließungsantrag beschlossen hat, demzufolge bereits innerhalb von einem<br />

Jahrzehnt das erste Gigawatt in Erdwärmekraftwerken installiert werden soll.<br />

Staatssekretär Georg Wilhelm<br />

Adamowitsch vom BMWA bei der<br />

Eröffnung des Zentrums für Geothermie<br />

und Zukunftsenergien.<br />

Foto: FH Bochum<br />

Der Leiter des Zentrums für Geothermie und<br />

Zukunftsenergien, Prof. Dr. Rolf Bracke, sieht<br />

insbesondere in Ballungsgebieten gute Chancen für<br />

die Geothermie.<br />

Foto: FH Bochum


Ein wichtiger Schritt in eine „geothermische Zukunft“ wurde in diesem Jahr in Bochum<br />

gemacht, wo am 12. März das Zentrum für Geothermie und Zukunftsenergien eröffnet wurde.<br />

„Das Zentrum soll Kern eines Forschungsverbundes Geothermie in NRW unter Beteiligung<br />

weiterer Hochschulen, der Energiewirtschaft, des Anlagen- und Städtebaus werden“, erklärt<br />

Prof. Dr. Rolf Bracke, Sprecher des 7-köpfigen interdisziplinären Direktoriums. Hauptziel sei<br />

die fachbereichsübergreifende Lehre und Forschung, denn „die Realisierung geothermischer<br />

Großprojekte erfordert die Kooperation und Kommunikation vieler Fachdisziplinen“, so der<br />

Geologe, dessen Arbeitsschwerpunkte bei den untertägigen Anlagenteilen und dort bei der<br />

Bohrverfahrenstechnik und der Gebirgsstimulation liegen. Bis 2010 sollen für zehn<br />

Großstandorte aus dem Flächenrecycling (i.d.R. Montan- / Stahlindustrie)<br />

Machbarkeitsstudien für integrierte Städtebau- und Geothermieprojekte erstellt werden.<br />

„Unser Ziel muss sein, Teile von NRW mit geothermischem Strom zu versorgen. Dennoch<br />

wird es – infrastrukturell bedingt – immer einen Überhang auf der Wärmeseite geben“, erklärt<br />

Bracke. Dabei liegen die Standortvorteile in NRW nicht im Bereich der Geologie, die nur im<br />

Raum Aachen besonders günstig ist, sondern in der europaweit höchsten Verbraucherdichte.<br />

Außerdem sind Nah- und Fernwärmenetze vorhanden bzw. lassen sich effektiver realisieren<br />

als in den ländlich oder kleinstädtisch strukturierten Bereichen, in denen die aktuellen<br />

geothermischen KWK-Vorhaben laufen. „Ich denke“, so Bracke, „dies ist der Hauptvorteil: es<br />

muss uns gelingen die Geothermie wirtschaftlich zu den Menschen zu bringen und nicht<br />

umgekehrt – wir können nicht alle in den Oberrheintalgraben umziehen ...“<br />

Back-up für den Windstrom?<br />

Ob die grundlastfähige und prinzipiell<br />

flexibel einsetzbare Geothermie eines<br />

Tages die Schwankungen der Windkraft<br />

ausgleichen kann, bleibt abzuwarten. Da<br />

in diesem Falle sehr teure Regelenergie<br />

ersetzt würde, könnte unter günstigen<br />

Umständen eine Wirtschaftlichkeit<br />

erreicht werden. Probleme gibt es aber<br />

auch im technischen Bereich: Derzeit<br />

arbeiten die Förderpumpen am besten,<br />

wenn sie kontinuierlich und auf einem<br />

konstanten Niveau betrieben werden.<br />

Sollte hier ein technischer Fortschritt<br />

erzielt werden können, so ergäben sich<br />

ganz neue Einsatzmöglichkeiten.

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