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Moritz Vierboom, Gerrit Jansen, Stefanie Dvorak, Dunja Sowinetz, Lesung Burgtheater Vestibül<br />
44 45<br />
VIER<br />
Robert, Martha und Hans unterhalten sich zu dritt. Der Alte schnarcht im Hintergrund.<br />
Emma tanzt auf der Bühne, ohne auf das Gespräch der drei zu achten.<br />
MARTHA: Er hat auch heute Nacht nicht geschlafen. Jede Nacht das Gleiche.<br />
Die Stadt läßt ihre Kinder nicht schlafen. Auf den Beinen, auf den Beinen,<br />
alle auf den Beinen, Tag und Nacht, sie machen den Gebäuden Konkurrenz.<br />
Gebäude nehmen die Stelle von Kindern ein. Die Kinder gleich mit den<br />
Gebäuden: x Tonnen Zement für ein Hochhaus, x Tonnen Eisen, x Tonnen<br />
Ziegelsteine. Und die Kinder schlafen nicht mehr.<br />
ROBERT: Schuld ist der Alte.<br />
HANS: Tirana ist gestorben.<br />
MARTHA: Ist gestorben.<br />
ROBERT: Tirana ist gestorben. Genau wie Shkodra, Elbasan, Durrës, Korça.<br />
Tirana ist gestorben, seine Bevölkerung hat sich aber verzehnfacht.<br />
HANS: Genau deswegen ist es gestorben. Ein ungleiches Verhältnis: Je mehr<br />
Einwohner sich hineinpferchen, umso schneller stirbt die Stadt.<br />
ROBERT: So ist Wien gestorben. Paris. Paris nicht. Paris hat nie wirklich<br />
existiert.<br />
MARTHA: Wirklich existieren wir alle und existieren nicht wirklich. Gleichförmigkeit<br />
tötet.<br />
ROBERT: Das sag ich auch. Warum sollte er wochenlang die gleiche Uniform<br />
tragen?<br />
MARTHA: Er hat einen Fleck auf der Jacke, jedes Mal, wenn er nachts zu<br />
heulen anfängt, fällt mir der Fleck ein, den ich tagsüber vergesse. Der ist in<br />
den Stoff eingewebt, er geht nicht raus, wetten, dieser Fleck geht nicht raus.<br />
ROBERT: Ich hab ihn gar nicht bemerkt.<br />
MARTHA: Links unterm Kragen, so groß wie eine Nuss. Von weitem zu sehen.<br />
Er schläft.<br />
ROBERT: Du solltest auch ein wenig schlafen. Hast genug auf ihn aufgepasst.<br />
Er ist irr.<br />
MARTHA: Ich, du, er, alle irr, verrückt.<br />
ROBERT: Du lä chelst wenigstens. Spannst das Gesicht an und lächelst.