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PDF-Zeitung - Linkswende

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Nr. 121 • November 2008 • Spende 1,50 EUR • Solidaritätsspende 2,00 EUR<br />

KAPITALISMUS IST BANKROTT<br />

BANKENPAKET<br />

SANIERT NUR<br />

Anstatt die Steuergelder<br />

in sozialpolitisch<br />

dringend notwendige<br />

Maßnahmen zu stecken,<br />

werden die Hälse jener gestopft,<br />

die sie ohnehin nicht voll<br />

genug kriegen können.<br />

„Mehrheit gegen Steuergeld für<br />

Banken“, das zeigt eine Umfrage<br />

des Wiener Marktforschungsinstituts<br />

Info Research International.<br />

Nachdem schon zwei<br />

Banken, nämlich die Constantia<br />

von Judith Litschauer<br />

Privatbank („Bank der Reichen“)<br />

und die Kommunalkredit, vor<br />

dem Zusammenbruch gerettet<br />

wurden und die Erste Bank eine<br />

Finanzspritze in Höhe von 2,7<br />

Milliarden Euro annahm, änderte<br />

sich die Stimmung bei den<br />

Österreicherinnen und Österreichern.<br />

Jedem und jeder fallen<br />

mit Sicherheit Bereiche ein, die<br />

Staatshilfe sehr wohl bräuchten:<br />

Gesundheitssystem, Pensionssystem,<br />

Bildungssystem, …<br />

Nun wollen auch die anderen<br />

Banken ihr Stück vom Bankenpaket-Kuchen:<br />

Die Raiffeisen<br />

Zentralbank hätte gern zwei<br />

<strong>Linkswende</strong><br />

für Sozialismus von unten<br />

REICHE<br />

Milliarden, die Volksbank eine<br />

Milliarde und die Bank Austria<br />

ist noch am Prüfen. Wenn das so<br />

weiter geht, werden die insgesamt<br />

100 Milliarden Euro bald verteilt<br />

sein.<br />

Auf der Strecke bleibt die Umverteilung.<br />

Wird der 75 Milliarden<br />

umfassende staatliche Haftungsrahmen<br />

von den Banken in Anspruch<br />

genommen, so zahlen sie<br />

dafür lediglich 0,5 Prozent an<br />

einmaligen Gebühren. Für die 15<br />

Milliarden staatliche Kapitalzuschüsse,<br />

also die Eigenkapitalstärkung<br />

der Finanzbranche, müssen<br />

immerhin acht Prozent Zinsen<br />

gezahlt werden. Die EU kritisiert,<br />

dass das den Wettbewerb verzerrt<br />

weil die Marktkonditionen bei<br />

rund 15 Prozent liegen. Gravierender<br />

ist, dass diejenigen, die<br />

vom Boom der letzten Jahre profitiert<br />

haben, von der Regierung<br />

nicht zur Kasse gebeten werden,<br />

stattdessen profitieren sie ein weiteres<br />

Mal von Finanzspritzen aus<br />

unseren Steuergeldern. Dadurch<br />

wird sich nichts ändern, außer,<br />

dass dasselbe Spiel nur mit mehr<br />

Kapital weiter gespielt wird. Ein<br />

Beispiel dafür sind die USA, wo<br />

Finanzinstitute die erhaltenen<br />

Finanzspritzen, anstatt sie für die<br />

„dringend gebrauchten Investitionen“<br />

zu verwenden, direkt an<br />

ihre Aktionäre weiter gegeben<br />

haben. Auch in Österreich werden<br />

wir Ähnliches erleben. Eine<br />

„Teil-Verstaatlichung“ wie sie<br />

durch die Finanzspritze vonstatten<br />

geht, bedeutet, nur die Schulden<br />

zu verstaatlichen und die<br />

Gewinne nicht. Das geht eindeutig<br />

auf Kosten der Steuerzahler,<br />

selbst wenn Zinsen verlangt werden,<br />

denn das Geld, das nun die<br />

Banken erhalten, wird gebraucht<br />

um das Sozialsystem jetzt nicht<br />

weiter auszuhöhlen. Vor allem,<br />

wenn Hilfsorganisationen - die<br />

Jobs übernehmen die eigentlich<br />

Aufgabe des Staates wären, beispielsweise<br />

im Flüchtlingsprojekt<br />

von Ute Bock oder bei der Caritas<br />

- extrem unter der Wirtschaftskrise<br />

leiden. Diese Einrichtungen<br />

sollten durch den Staat erhalten<br />

werden. Doch dafür ist jetzt kein<br />

Geld mehr da!<br />

Es gibt (vorerst) keine zeitlichen<br />

Limits für die Dauer einer Teilverstaatlichung<br />

und auch kein<br />

Höchstmaß für eine staatliche<br />

Beteiligung. Die Bedingungen<br />

sind so schwammig wie die Kontrollmechanismen.<br />

Die Erste<br />

Bank ist grundsätzlich an keine<br />

weiteren Bedingungen gebunden.<br />

Sie können nicht verlieren und<br />

wir werden kämpfen müssen, um<br />

zu gewinnen. In dieser Hinsicht<br />

ist die eingangs erwähnte Umfrage<br />

besonders interessant. Es wird<br />

uns von Regierungsseite weiß<br />

gemacht, dass dieses Geld unbedingt<br />

nötig sei, um das Vertrauen<br />

wieder herzustellen. Tatsache<br />

ist allerdings, dass ein Großteil<br />

der Menschen, seitdem das Bankenpaket<br />

beschlossen wurde, das<br />

Vertrauen weiter verloren hat. Im<br />

Vergleich zum Vormonat erachten<br />

mehr Menschen die Ersparnisse<br />

auf den Banken für unsicher.<br />

53 Prozent der Befragten<br />

sind dagegen, dass Österreich<br />

Steuergeld zur Rettung von Banken<br />

einsetzt.<br />

Klar wird: anstatt den Kreditnehmern<br />

zu helfen, greift die<br />

Regierung jenen unter die Arme,<br />

die uns den Schwachsinn angedreht<br />

haben. Das Prinzip bleibt<br />

also immer dasselbe und erstreckt<br />

sich vom Finanzmarkt zum Gütermarkt:<br />

den Arbeitnehmern<br />

werden die Kosten aufgebürdet<br />

und die Steuern auf Gewinne<br />

und Vermögen bleiben niedrig.<br />

Dieses Prinzip ist das Prinzip<br />

der Ausbeutung, baut auf einem<br />

Wachsen der Ungleichheit auf<br />

und ist zentral für das kapitalistische<br />

System – das endlich von<br />

uns, die die Krise wieder einmal<br />

bezahlen, überwunden werden<br />

muss!<br />

www.linkswende.org<br />

GRIECHENLAND<br />

TAUSENDE IM<br />

WIDERSTAND<br />

Lena Verde aus Athen berichtet von<br />

den großartigen Kämpfen gegen<br />

Jobverlust und Privatisierung der<br />

Bildung, die sich in den letzten<br />

Wochen über das ganze Land<br />

ausgebreitet haben.<br />

>> Seite 8<br />

WIRTSCHAFTSKRISE:<br />

ERKLÄRUNGEN UND<br />

AUSWIRKUNGEN<br />

Auf einer Doppelseite beschäftigen wir<br />

uns mit den Auswirkungen der Krise<br />

in Österreich. Außerdem: Katharina<br />

Litschauer erklärt wer den Reichtum<br />

im Kapitalismus produziert.<br />

>> Seite 4/5<br />

US-WAHLEN<br />

OBAMA: TO CHANGE OR<br />

NOT TO CHANGE<br />

Dietmar Meister geht nach der Wahl<br />

Barack Obamas zum nächsten US-<br />

Präsidenten der Frage nach, ob dieser all<br />

seine Versprechen halten kann und will.<br />

>> Seite 7<br />

THEORIE:<br />

DEUTSCHE REVOLUTION<br />

Zum 90. Jahrestag berichten Marcel<br />

Bois und Florian Wilde über die<br />

Hintergründe der deutschen Revolution<br />

und warum sie scheiterte.<br />

>> Seite 10<br />

KULTUR:<br />

LET´S MAKE MONEy<br />

Mit seiner neuen Dokumentation<br />

über den globalisierten Finanzmarkt<br />

bannt Filmemacher Erwin Wagenhofer<br />

Kapitalismuskritik auf die Leinwand.<br />

>> Seite 11


„Ich habe eine Schwachstelle<br />

(in meiner Wirtschaftstheorie)<br />

gefunden. Ich kann nicht<br />

sagen, wie bedeutsam sie<br />

ist oder wie lange sie gilt.<br />

Aber ich bin deswegen sehr<br />

beunruhigt.“<br />

Alan Greenspan,<br />

der Architekt der<br />

amerikanischen<br />

Finanzpolitik, vor einem<br />

Kongress-Ausschuss am<br />

23.10.2008.<br />

„Wir sind halt ganz normale<br />

Menschen und haben uns in<br />

den vergangenen Jahren von<br />

einer Woge des Glücks davon<br />

tragen lassen, weit weg von<br />

der Realität.“<br />

Norbert Walter ist<br />

Chefvolkswirt der Deutschen<br />

Bank Gruppe. Zuvor war<br />

er Professor und Chef des<br />

Instituts für Weltwirtschaft.<br />

Er gehört den “Sieben<br />

Weisen” der EU-Kommission<br />

an.<br />

„Wir haben keine Befürchtung,<br />

dass das in eine Rezession<br />

geht.“<br />

erklärte IHS-Chef Bernhard<br />

Felderer am 28.7.2008.<br />

„Ich hätte die Krise am Subprime<br />

Markt etwas früher<br />

erkennen können. Damit will<br />

ich nicht sagen, dass ich<br />

etwas anders gemacht hätte.“<br />

Henry Paulson, US-<br />

Finanzminister.<br />

„Nur 30 Milliarden Dollar pro<br />

Jahr wären notwendig, um<br />

Hunger und Unterernährung<br />

auszurotten.”<br />

Jacques Diouf,<br />

Generaldirektor der UN-<br />

Organisation für Ernährung<br />

und Landwirtschaft.<br />

Die Metaller und Metallerinnen<br />

in Deutschland kämpfen zurzeit<br />

um eine Lohnerhöhung<br />

um 8% und unterstützen diese Forderung<br />

mit gewaltigen Warnstreiks mit<br />

mehreren zehntausend Teilnehmern<br />

B E R I C H T E<br />

Seattle:<br />

Streik bei Boeing erfolgreich<br />

Boeing, einer der weltweit größten<br />

Hersteller gewerblicher<br />

Flugzeuge, hat einen Rekordgewinn<br />

von 4 Milliarden US-Dollar<br />

im letzten Jahr verzeichnet und die<br />

Einkünfte stiegen 2007 um 8 Prozent<br />

auf 66,4 Milliarden US-Dollar. Durch<br />

den Arbeitskampf der Mechaniker entgingen<br />

Boeing pro Streiktag 100 Millionen<br />

US-Dollar - über acht Wochen<br />

hindurch. Seit 6. September begannen<br />

die Mechaniker und Mechanikerinnen<br />

von Boeing in Seattle zu streiken. Die<br />

Gewerkschaft ging von ihren Forderungen<br />

nicht ab: Arbeitsplatzsicherheit,<br />

Lohnerhöhung, Pensionen und<br />

Abdeckung der medizinischen Versorgung<br />

waren die zentralen Streitpunkte.<br />

Nun wurde zwischen Geschäftsleitung<br />

und Gewerkschaftsführern ein vierjähriges<br />

Tarifabkommen ausgehandelt,<br />

wonach die Löhne über vier Jahre um<br />

15% steigen. Zusätzliche Bonus-Zahlungen<br />

von 8.000 US-Dollar soll es in<br />

den nächsten drei Jahren auch geben.<br />

Am 1. November stimmten die Mitglieder<br />

der Gewerkschaft, die ungefähr<br />

IM VISIER:<br />

MARTIN GRAF<br />

Der „Alte Herr“ Martin Graf (so sein<br />

Ehrentitel) ist führendes Mitlied der<br />

traditionell deutschnationalen und<br />

antisemitischen Burschenschaft Olympia und<br />

Herausgeber ihrer rechtsradikalen Zeitschrift.<br />

Olympia ist nicht nur irgendeine ekelhafte Burschenschaft<br />

unter vielen, auch nicht ein „Verein“,<br />

wie es Innenministerin Fekter in einer Nationalratssitzung<br />

am 28.10. ausdrückte, nein, als diese<br />

Gruppe 1996 den Vorsitz der Deutschen Burschenschaften<br />

übernahm, traten andere rechte<br />

Burschenschaften aus Protest aus dem Verband<br />

aus. Zwischenzeitlich wurde sie sogar wegen Verstoßes<br />

gegen das Anti-Wiederbetätigungs-Gesetz<br />

aufgelöst. Ein Gesetz, das Graf, der nun eines der<br />

höchsten Ämter der Republik bekleidet, für menschenrechtswidrig<br />

hält.<br />

Wenn die Olympia zu „wissenschaftlichen Veranstaltungen“<br />

lädt, dann kommen Gäste, die eher<br />

den Grafschen Vorstellungen von Menschenrechtskonformität<br />

entsprechen. Der Liederma-<br />

25.000 Elektriker, Gabelstapler und<br />

andere Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

in und um Seattle, Oregon und Kansas<br />

vertritt, mit ungefähr 74 Prozent<br />

für den Vorschlag. Die Gewerkschaft<br />

sagte, dass dieser Vertrag Vorteile im<br />

Gesundheitswesen bewahrt, mehr als<br />

5.000 Arbeiterinnen schützt und das<br />

Auslagern gewisser Posten verhindert.<br />

„Die Wörter ‚Flexibilität’ und ‚Wettbewerbsfähigkeit’<br />

scheinen für Boeing<br />

die Beseitigung von Gewerkschaftsrechten<br />

zu bedeuten.“, meinte Tom<br />

Wroblewski, Vorsitzender der Mechaniker<br />

aus dem Bezirk Lodge 751.<br />

Der Haupt-Streitpunkt in den letzten<br />

Verhandlungsrunden war das Beharren<br />

von Boeing, ungefähr 2.000 Gewerkschafter<br />

zu entlassen, so Wroblewski.<br />

Trotz der Wirtschaftskrise und des<br />

massiven Jobabbaus in vielen Sektoren<br />

bestanden die Mechaniker auf besseren<br />

Lohn, Pensionen und Abdeckung der<br />

medizinischen Versorgung, sowie Arbeitsplatzsicherheit.<br />

Die Arbeitsniederlegung der Mechaniker<br />

von Boeing ist ein weit reichender<br />

Auszubildende bei Daimler demonstrieren mit ihrer Gewerkschaft für eine<br />

Lohnerhöhung um 8%.<br />

bundesweit. Ihre Aussichten auf Erfolg<br />

sind durchaus gut, auch weil sie ihre<br />

Aktionen mit guten Argumenten untermauern<br />

können: der Aufschwung<br />

der letzten Jahre kam fast nur den Gewinn-<br />

und Vermögenseinkommen zu<br />

cher Michael Müller, Dichter des Neonazi-Hits<br />

„Bei 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst<br />

an“, gastierte 2003. Wie die Anwälte ausrichten<br />

lassen, pflegt die Burschenschaft auf diese Weise<br />

einen „intellektuellen Diskurs“. In Flugblättern<br />

dient hin und wieder der Hinweis auf die langjährige<br />

SS-Mitgliedschaft eines Diskussionsteilnehmers<br />

als Werbemittel für die Veranstaltung.<br />

Der Holocaust-Leugner David Irving wurde zum<br />

Leidwesen der rechten Recken auf dem Weg zu<br />

einer solchen gleich festgenommen. Apropos Holocaust:<br />

Dass der wirklich stattgefunden hat, das<br />

traut sich Martin Graf nicht so klar zu sagen - in<br />

einem ZIB-Interview mühte er sich daran ab, die<br />

„Vernichtung von Massen“ zu bestätigen, ohne<br />

die Wörter „Juden“ oder „Gaskammern“ in den<br />

Mund nehmen zu müssen.<br />

Andere Gehirnverrenkungen leisten die Olympioniken,<br />

wenn es darum geht, dass „der deutsche<br />

Volkskörper durch Ausländer unterwandert“ wird<br />

oder sie rätseln, warum manche Menschen zwi-<br />

Kampf für Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

in allen Produktionssektoren. Der<br />

Streik wurde von anderen Sektoren<br />

sehr genau beobachtet und stärkt die<br />

Gewerkschaft, indem ihr mehr Kraft<br />

und Macht gegeben wurde, auch bei<br />

anderen Verhandlungen ihre Ziele zu<br />

erreichen. Die Mechaniker von Boeing<br />

haben ihre Muskeln spielen lassen<br />

und so auch anderen Gewerkschaften<br />

bewiesen, dass Erfolge erzielt werden,<br />

wenn man kämpft.<br />

Ein Anstreicher aus einer Washingtoner<br />

Boeing-Niederlassung demonstriert<br />

als einer von 25.000 Teilnehmern<br />

am 27. Oktober vor dem<br />

Streikposten.<br />

„Was wir uns holen, können die<br />

Kapitalisten nicht mehr verbrennen.“<br />

Gute und ging an den Beschäftigten<br />

selbst spurlos vorbei – nun ist es endlich<br />

Zeit für eine Beteiligung. Bei der aktuellen<br />

Teuerungsrate st dies auch schlicht<br />

überlebensnotwendig. Besonders weisen<br />

die Streikenden aber auf das Produktionsniveau<br />

der Metallindustrie hin, das<br />

auf einem historischen Höchststand ist.<br />

2008 beträgt das Wachstum laut Gewerkschaft<br />

bis zu 6% (47,7 Mrd. Euro<br />

Gewinn, seit 2003 verdreifacht), im<br />

kommenden Jahr nach Schätzungen immerhin<br />

noch bis zu 3% - genug um die<br />

Löhne drastisch zu erhöhen.<br />

Der größte Motor für die Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter ist jedoch die Wirtschaftskrise.<br />

Der Betriebsrat des Daimler-Werks<br />

nahe Stuttgart, Tom Adler,<br />

spricht von einem „Aha-Erlebnis“ und<br />

„gefühlter Ungerechtigkeit“ seiner Mitarbeiterinnen,<br />

nachdem den Banken<br />

Milliarden von Steuergeldern quasi geschenkt<br />

wurden, wo sie selbst den Gürtel<br />

immer noch enger schnallen sollten.<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Belgien:<br />

Generalstreik für mehr<br />

Kaufkraft und gegen Kürzungen<br />

im Sozialstaat<br />

Aus Protest gegen die gestiegenen<br />

Lebenskosten legte ein<br />

Streik in Belgien am 6. Oktober<br />

weite Teile des Landes lahm. Es<br />

war der erste Generalstreik in Belgien<br />

seit zwölf Jahren. Die Züge ins Ausland<br />

fielen zum Großteil aus, auch<br />

der Nahverkehr funktionierte nur<br />

eingeschränkt, Supermärkte blieben<br />

geschlossen und am Hafen von Antwerpen<br />

ruhte die Arbeit. Gestreikt<br />

wurde auch in den Gefängnissen. Bei<br />

den Automobilwerken Ford und Volvo<br />

in Gent, Opel in Antwerpen und<br />

Volkswagen in Brüssel behinderten<br />

Streikposten die Zugänge zum Gelände.<br />

Die Gewerkschaften forderten<br />

vor allem angesichts der stark gestiegenen<br />

Energiekosten mehr Kaufkraft<br />

- besonders für einkommensschwache<br />

Bürger. So müssten die Mindestlöhne<br />

ebenso wie die Sozialleistungen angehoben<br />

werden. „Wir mussten der<br />

Regierung und den Unternehmern<br />

eine Warnung übermitteln“, sagte der<br />

Vorsitzende der Gewerkschaft ABVV<br />

(Allgemeiner Belgischer Fachverband),<br />

Rudy de Leeuw. „Sie müssen<br />

uns erklären, warum es so schlecht<br />

läuft. Wir brauchen Kaufkraft, Arbeit<br />

und gute Dienstleistungen.“<br />

Die deutsche IG Metall macht seit 1. November mit Warnstreiks massiven Druck auf die Industrie und zeigt, dass die<br />

Wirtschaftskrise für die Lohnabhängigen keine Zeit des Rückzugs, sondern der aktiven Arbeitskämpfe sein muss.<br />

„Jeder spürt an den eigenen Knochen<br />

und Nerven, dass immer weniger immer<br />

mehr arbeiten müssen, weil Personal<br />

abgebaut wurde und wird - obwohl<br />

die Lohnquote auf Rekordtief ist und<br />

die Reallöhne gesunken sind.“ Dementsprechend<br />

hoch sind die heurigen<br />

Erwartungen der Werktätigen. Laut Adler<br />

wird es nun darum gehen, ob die IG<br />

Metall die Kampfbereitschaft angesichts<br />

der spürbaren Auswirkungen der Krise<br />

aufrechterhalten kann. Denn nur wenn<br />

die Lohnforderungen offensiv mit Kapitalismuskritik<br />

verbunden werden, ist<br />

man weiter durchsetzungsfähig, ansonsten<br />

wird die tatsächlich schlechter werdende<br />

Auftragslage viele verunsichern.<br />

Der Betriebsrat der Linken will deshalb<br />

das Tempo der Agitation erhöhen, sodass<br />

die Zeit nicht für die Unternehmer<br />

arbeiten kann: „Wir kämpfen für das,<br />

was wir dringend brauchen, denn was<br />

wir uns holen, können die Kapitalisten<br />

nicht mehr verbrennen.“<br />

schen Deutschland<br />

und Österreich<br />

einen Unterschied<br />

machen. Wenigstens<br />

hat man<br />

beim Fußball<br />

mehr Freude, wenn<br />

wieder einmal die<br />

„Deutschnationalen<br />

gewonnen“ haben (so ein<br />

Olympia-Burschenschafter<br />

im Wiener Gemeinderat nach dem<br />

Einzug der BRD ins WM-Finale).<br />

Es ist eine besonders perfide Strategie der FPÖ<br />

einen Menschen mit der saublöden Gesinnung<br />

eines Martin Graf zum Dritten Nationalratspräsidenten<br />

vorzuschlagen. Wenn allerdings die vielen<br />

Protestwähler der FPÖ sehen, welche elitäre<br />

und menschenverachtende Organisation mit der<br />

Olympia hinter Martin Graf steht, kann der Protest<br />

sich sehr bald gegen die FPÖ selbst wenden.


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Das „Bankenrettungspaket“,<br />

das Budget für<br />

2009 und die niedrigen<br />

Metallerlohnabschlüsse<br />

werden den Werktätigen sehr<br />

teuer kommen.<br />

Die aktuelle Krise wird uns<br />

aber umso teurer zu stehen<br />

kommen, je schwächer unsere<br />

Arbeiterinnen- und Arbeiterbe-<br />

wegung aufgestellt ist, und das<br />

macht uns Sorgen. Österreichs<br />

Gewerkschaft für Metall-Textil-<br />

Nahrung hat sich am 7.November<br />

mit einer Lohnerhöhung<br />

von 3,8% bzw. 3,9% zufrieden<br />

gegeben. Das ist faktisch ein<br />

Lohnverzicht, weil sie weit unter<br />

der Teuerung von ca. 11%<br />

für Bezieherinnen niedriger und<br />

mittlerer Einkommen ist. Der<br />

Vergleich mit Deutschland zeigt,<br />

wie schwach verhandelt wurde.<br />

Wie auf Seite 2 berichtet, fordert<br />

die dortige Gewerkschaft selbstbewusst<br />

das Doppelte, setzte auf<br />

Warnstreiks und zeigt die ungerechte<br />

Verteilung auf.<br />

Solche Argumente vermisst<br />

man in der österreichischen Öffentlichkeit.<br />

Hier versteckt sich<br />

die Gewerkschaft Metall-Nahrung-Textil<br />

hinter dem „denk-<br />

bar schlechten wirtschaftlichen<br />

Umfeld“. Dabei ist der Zorn in<br />

der Bevölkerung über das Bankenrettungspaket<br />

enorm. Die<br />

schwache, ja blamable Vorstellung<br />

der Metallergewerkschaft<br />

kann leicht dazu führen, dass die<br />

Basis ohne die Gewerkschaftsführung<br />

aktiv werden muss.<br />

Wie bei Siemens, wo am 6. November<br />

tausende Mitarbeiter<br />

und Mitarbeiterinnen in Wien<br />

auf die Straße gingen, „trotzdem<br />

uns Prügel vor die Füße geworfen<br />

wurden. Wir PSEler haben<br />

heute unsere Stimmen erhoben<br />

und ihr könnt sicher sein, dass<br />

wir das auch in Zukunft tun<br />

werden.“<br />

Nur solche Kampfmaßnahmen<br />

könnten sicherstellen, dass die<br />

Kosten für die Wirtschaftskrise<br />

nicht alleine den Arbeitern aufgebürdet<br />

werden. Faymann und<br />

die SPÖ, soviel ist jetzt schon<br />

klar, werden den Banken und<br />

Konzernen weitere Milliarden<br />

zum Verheizen geben, und sie<br />

werden versuchen, jeden Widerstand<br />

dagegen zu ersticken.<br />

Eine Linkspartei könnte in der<br />

Situation einen gewaltigen Unterschied<br />

machen und würde<br />

sich so auch etablieren können.<br />

Oskar Lafontaine, der Vorsitzende<br />

von die LINKE in Deutschland,<br />

hat vor einer deutschen<br />

L E I T A R T I K E L<br />

Debatte :: argumente :: Diskussion<br />

TEURE ZURücKHALTUNG<br />

Wie sehr in Österreich eine linke Oppositionspartei fehlt, sieht man an den Reaktionen auf die Finanzkrise. Banken und Konzerne werden die Kosten<br />

ihrer Krise so weit auf die arbeitende Bevölkerung abwälzen, so weit die Gewerkschaften und die SPÖ das zulassen.<br />

von Manfred Ecker<br />

Leise wie laute, kreative wie konventionelle,<br />

spontane wie organisierte, radikale wie gemäßigte<br />

Protestformen in fast allen Städten<br />

Italiens bringen den Sparkurs der Regierung<br />

Berlusconi zum Wackeln. Es vergeht kein Tag, an<br />

dem nicht irgendwo zwischen Südtirol und Sizilien<br />

eine Universität vorübergehend den Lehrbetrieb<br />

aussetzt, eine Schule besetzt wird oder eine<br />

spontane Demonstration durch die Stadt zieht. Es<br />

ist das erste Mal, dass nicht nur Schülerinnen und<br />

Studierende, sondern gleichzeitig auch Eltern,<br />

Lehrende, Doktoranden, prekär beschäftigtes wissenschaftliches<br />

Personal und Forscherinnen und<br />

Forscher auf die Straße gehen.<br />

Was ist passiert? Rückschrittliche und autoritäre<br />

Reformen des Schulwesens bedrohen das gesamte<br />

Bildungssystem. Von der Wiedereinführung einer<br />

einzigen Lehrperson pro Volksschulklasse bis zu<br />

der neuen Macht der Schulleiterinnen und Schulleiter<br />

über Personaleinstellungen und vor allem<br />

der Streichung eines Fünftels (!) der staatlichen<br />

Finanzierung von Schulen und Unis reichen die<br />

Einschnitte. Massiver Stellenabbau wurde angekündigt.<br />

Nur 1/5 so viel Personal, wie in Pension<br />

geht, soll neu eingestellt werden.<br />

Eltern haben keine Betreuung für ihre Kinder,<br />

wenn sich die Wochenstunden in der Volksschule<br />

auf 24 reduzieren.<br />

Schulen und Universitäten, die durch diese Maßnahmen<br />

in finanzielle Nöte kommen, sollen sich<br />

nach den Vorstellungen der Regierung Berlusconi<br />

in öffentlich-private „Stiftungen“ (fondazioni) umwandeln<br />

können, und sich von Privatunternehmen<br />

finanzieren lassen, denen dementsprechend Einfluss<br />

auf Lehre und Forschung eingeräumt werden<br />

soll. Die verabschiedeten Gesetze stellen also nicht<br />

Gewerkschaftsversammlung<br />

klar gemacht, was fehlt: die Gewerkschaften<br />

müssen wieder politische<br />

Streiks lernen, wenn sie<br />

die Offensiven der Unternehmer<br />

zurückschlagen wollen!<br />

Eine Linkspartei würde in der<br />

aktuellen Situation die Freunde<br />

des kampflosen Nachgebens in<br />

SPÖ und Gewerkschaft vor sich<br />

her treiben. Wer sonst würde<br />

die Verstaatlichung der Profite<br />

fordern können? In der aktuellen<br />

Diskussion fehlt das Argument<br />

völlig, dabei drängt es sich<br />

auf. In den letzten Jahren des<br />

Aufschwungs wurden enorme<br />

Gewinne gemacht, von denen<br />

niemand spricht. Dass der Staat<br />

seine riesigen Bankinstitute<br />

nicht bankrott gehen lässt, können<br />

auch einfache Lohnabhängige<br />

nachvollziehen. Weniger<br />

Verständnis gibt es dafür, dass<br />

dafür nicht die satten Gewinne<br />

der letzten Jahre herangezogen<br />

werden, sondern nur Steuergelder.<br />

Die LINKE in Deutschland<br />

drückt das so aus: „Die Bundesregierung<br />

wird aufgefordert, den<br />

gesamten bisher privaten Bankensektor<br />

in öffentliche Kontrolle<br />

und Eigentum zu überführen.<br />

Dabei ist eine demokratische<br />

Kontrolle und Ausrichtung der<br />

Geschäftspolitik der Banken auf<br />

nur eine besonders harte Sparmaßnahme dar, sondern<br />

auch eine kaum verdeckte Privatisierung der<br />

Bildung, bzw. Angleichung der Bildung auf allen<br />

Ebenen an die (immer kurzfristigeren) Erfordernisse<br />

des Kapitals. Danach soll nichts mehr so bleiben,<br />

wie es war. Die Universitäten sollen sich in<br />

„bessere“, schwer zugängliche Eliteschmieden und<br />

„schlechtere“ Massenausbildungsstätten für atypische<br />

Arbeit auseinander entwickeln. Der nächste<br />

Schritt – er wird bereits von den Industriellen<br />

gefordert – wäre die Abschaffung der rechtlichen<br />

Gleichwertigkeit aller Zeugnisse: Zeugnisse von<br />

privaten Eliteuniversitäten sollen am Arbeitsmarkt<br />

die Erfordernisse der Bevölkerung<br />

und der Realwirtschaft von<br />

entscheidender Bedeutung. (…)<br />

Zur Abschöpfung des frei vagabundierenden<br />

Finanzkapitals ist<br />

eine Millionärssteuer notwendig.<br />

(…) Die Geldschwemme ist<br />

Resultat einer massiven Umverteilung<br />

von unten nach oben.“<br />

Teile der arbeitenden Bevölkerung<br />

kommen zwar auch von<br />

selbst zu solchen Erkenntnissen,<br />

mehr wert sein, als jene der staatlichen Einrichtungen.<br />

Der Widerstand gegen die Pläne der Regierung hat<br />

sich rasant entwickelt, beflügelt durch die Empörung<br />

darüber, dass das im Bildungsbereich eingesparte<br />

Geld dazu dienen soll, die italienischen Banken<br />

zu sichern. In ganz Italien hat sich das Motto<br />

„WIR zahlen nicht EURE Krise“ verbreitet. Es<br />

handelt sich um eine Bewegung, die den Rahmen<br />

jeglicher politischer oder gewerkschaftlicher Organisation<br />

sprengt: Protestversammlungen und Diskussionsveranstaltungen<br />

finden so großen Zulauf,<br />

dass sie in keinen Raum passen und sich im Freien<br />

denn wie sehr „die da oben“ in<br />

den letzten Jahren abgezockt haben,<br />

ist Niemandem entgangen.<br />

Aber es macht einen großen Unterschied,<br />

ob man meint, alleine<br />

mit seiner Meinung zu sein,<br />

oder ob man in seiner Haltung<br />

von einer Partei bestätigt wird.<br />

Das ändert den öffentlichen<br />

Diskurs und erhöht den Druck<br />

auf die Regierung. Wir brauchen<br />

eine linke Alternative zur<br />

SPÖ, wenn wir nicht wehrlos<br />

zusehen wollen, wie unsere Reallöhne<br />

schrumpfen und den<br />

Banken Milliarden an Steuergeldern<br />

nachgeworfen werden.<br />

Aber diese Krise steht erst am<br />

Anfang, und je tiefer sie wird,<br />

je dringender müssen wir uns<br />

organisieren und uns zur Wehr<br />

setzen. Es führt kein Weg an der<br />

Gründung einer neuen Linkspartei<br />

vorbei.<br />

„WIR zahlen nicht EURE Krise“<br />

Italien: Trotz des Wahlerfolgs der Rechten noch vor wenigen Monaten sieht sich die Regierung in diesen Wochen Massenprotesten gegenüber,<br />

die von Schulen und Universitäten ausgehen und drohen, ein noch nie da gewesenes Ausmaß anzunehmen, berichtet Camilo Molina.<br />

Das ist eure Krise - die bezahlen wir nicht! Holen wir uns die Universität zurück!<br />

Die Lohnquote veränderte sich von 70,6% im Jahr 2000 zu 65,7% im Jahr 2006. Die Gewinnquote<br />

stieg dementsprechend im selben Zeitraum von 29,4% auf 34,3%. Anteile des Arbeitnehmerentgelts<br />

am Volkseinkommen verschieben sich zu Anteilen des Unternehmens- und<br />

Vermögenseinkommens. Der Arbeitgeber zahlt also weniger Lohn aus und behält sich dies in<br />

Form von Gewinnen ein.<br />

zu spontanen Demonstrationszügen entwickeln.<br />

In den Volksschulen bilden sich Eltern-Lehrer-<br />

Komitees und organisieren Protest und gehen mit<br />

den Kindern auf die Straße. Schülerinnen bleiben<br />

nicht in ihren Klassen, sondern versammeln sich,<br />

um über die Bildungsreform zu diskutieren. Studentinnen<br />

und Prekäre organisieren mit Dozenten<br />

Vorlesungen auf der Straße, um auf ihre Situation<br />

aufmerksam zu machen, besetzen das Rektorat<br />

oder gleich ganze Fakultäten. Immer wieder wird<br />

irgendwo eine Weile der Straßen- oder Schienenverkehr<br />

blockiert. Die Bildungsbewegung ist pluralistisch,<br />

mit unterschiedlichen Positionen, dezentral<br />

organisiert und nimmt die verschiedensten<br />

(Protest-) Formen an, doch fordert sie einheitlich<br />

die sofortige Abschaffung der erlassenen Gesetze.<br />

Eine besondere Rolle spielt dabei die Studierendenbewegung<br />

der römischen Sapienza, der<br />

größten Universität Europas, wo zurzeit mehrere<br />

Fakultäten besetzt sind. Die Studenten der Sapienza<br />

haben eine Internet-Plattform zur nationalen<br />

Vernetzung der Proteste aufgebaut und sorgen<br />

dafür, dass die „Flutwelle“ (onda anomala), wie<br />

die Bewegung inzwischen genannt wird, weiter<br />

anwächst.<br />

Sinistra Critica, eine radikale und antikapitalistische<br />

Organisation, setzt in erster Linie auf die<br />

Zusammenarbeit zwischen den vielen Sozial- und<br />

Umweltbewegungen und der Arbeiterbewegung.<br />

Die Metallergewerkschaft FIOM hat für den 12.<br />

Dezember einen achtstündigen Streik ausgerufen.<br />

Das „WIR“ im Slogan „WIR zahlen nicht EURE<br />

Krise“ richtet sich so an alle Lohnabhängigen, an<br />

alle „Schwächeren und Untergeordneten“, an alle,<br />

die „nicht für eine Krise zahlen werden, für die wir<br />

nicht die Schuld tragen“.


T H E M A<br />

Lohnsteuer wuchs seit 1992 dreimal schneller als Gewinnsteuern<br />

Wachstum 1992-2005<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

68%<br />

*) KöSt (ohne ÖNB), ESt, GwsSt, VSt, Kest v. Div.<br />

24%<br />

Lohnsteuer Gewinsteuern *)<br />

Quelle: BME, AK-Berechnungen<br />

KREDITKRISE DER<br />

KLEINEN LEUTE<br />

Haben Banken Liquiditätsprobleme, springt der Staat ein und borgt ihnen Milliardenbeträge,<br />

die sie innerhalb der nächsten Jahre gar nicht zurückzahlen sollen. Manfred Ecker fragt, was<br />

mit den Kunden der Banken, den kleinen Kreditnehmern passiert.<br />

Der typische Klient der Schuldnerberatung<br />

kommt aus<br />

den unteren Einkommensschichten,<br />

verdient also bis ca. 1500<br />

Euro netto. Er oder sie hat einen Schuldenberg<br />

von ungefähr 45.000 Euro.<br />

Als Kreditsumme wurden meist um die<br />

10.000 Euro aufgenommen oder rund<br />

ein Viertel des aktuellen Schuldenberges.<br />

Meist handelt es sich um Menschen,<br />

die zur Reparatur ihrer Heizung<br />

oder ihres Autos oder der Renovierung<br />

ihrer Wohnung einen relativ niedrigen<br />

Kredit aufgenommen haben.<br />

Ein Fallbeispiel aus dem Buch ‚Tatort<br />

Banken’ von Alexander A Maly: Herr<br />

B. ist Lastwagenfahrer. Er hat nach<br />

Arbeitslosigkeit wieder eine Stelle angetreten.<br />

Sein Lohn wird gepfändet,<br />

weil er während der Arbeitslosigkeit mit<br />

der Rückzahlung eines Kredits bei der<br />

Entrium Direktbank in Verzug geraten<br />

ist – der offene Betrag waren 44.714<br />

Euro. Nach 18 Monaten Pfändung<br />

sind 11.238 Euro an Zahlungen vom<br />

Lohn gepfändet worden. Um so hohe<br />

Zahlungen zu ermöglichen hat Herr B.<br />

extra Überstunden gemacht. Der Arbeitgeber<br />

erkundigt sich nach diesen 18<br />

Monaten, wie lange die Pfändung noch<br />

durchgeführt werde und erhielt von der<br />

zuständigen Anwaltskanzlei eine überraschende<br />

Antwort: die Forderung ist in<br />

den 18 Monaten um 4.000 Euro höher<br />

geworden. Also: obwohl in eineinhalb<br />

Jahren rund ein Viertel der Schulden<br />

bezahlt wurde, ist der Schuldenstand<br />

um circa 10 Prozent gewachsen. Die<br />

österreichische Gesetzgebung macht es<br />

möglich. Obwohl Herr B. seine Zahlungen<br />

leistet und mittels Überstunden<br />

auch deutlich macht, dass er willens ist,<br />

seine Schulden abzutragen, behandelt<br />

ihn das Gesetz wie einen Verbrecher.<br />

„Das Gesetz macht in Österreich keinen<br />

Unterschied zwischen Zahlungsunfähigkeit<br />

und Zahlungsunwilligkeit.<br />

Wenn Sie einmal mit der Rückzahlung<br />

in Verzug geraten, weil Sie einen Unfall<br />

hatten, und deshalb auf der Intensivstation<br />

liegen, dann werden Sie trotzdem<br />

dafür bestraft“, erzählt Herr Maly von<br />

der Schuldnerberatung im Interview.<br />

„Wenn Sie Ihre Kreditzinsen einmal<br />

schuldig bleiben, dann gelten Sie auto-<br />

matisch als zahlungsunwillig und geraten<br />

in die ,Exekutionsmaschinerie’ hinein,<br />

und die bedeutet, dass Ihnen mit<br />

Strafmaßnahmen begegnet wird, die es<br />

in sich haben.“<br />

Zuerst wird der Kredit fällig gestellt,<br />

also die Rückzahlung des Kredits wird<br />

gefordert. Da das kaum jemals möglich<br />

ist, können ab diesem Zeitpunkt<br />

von der Bank Verzugszinsen verlangt<br />

werden. Diese sind in der Regel um 5<br />

Prozent höher als die ursprünglichen<br />

Kreditzinsen. Man zahlt ab jetzt zum<br />

Beispiel 13 Prozent statt 8 Prozent.<br />

Dann kommen Kosten für Anwälte und<br />

Bearbeitungsgebühr dazu. Schließlich<br />

wird oftmals umgeschuldet auf einen<br />

neuen Kredit, der wieder neue Bearbeitungsgebühren<br />

kostet, usw. Sehr bald<br />

kann man dann eine Rate des neuen,<br />

sehr viel höheren Kredits nicht zurückzahlen,<br />

der Kredit wird fällig gestellt<br />

und man zahlt wieder Verzugszinsen.<br />

Das Absurde daran ist, die Kreditsumme<br />

verringert sich nie mehr. Man bezahlt<br />

Zinsen und Verzugszinsen, Bearbeitungs-<br />

und Anwaltsgebühren, aber die<br />

Schulden verringern sich nicht, und das<br />

in der Regel solange man lebt. Für die<br />

Kreditgeber ist das ein Riesengeschäft.<br />

Sie haben sich in Österreich einen äußerst<br />

lukrativen ‚Subprime Markt’ geschaffen<br />

– als ‚subprime’ bezeichnet<br />

man Kunden, die aller Wahrscheinlichkeit<br />

Probleme damit haben werden, die<br />

Kredite zurückzubezahlen, die ihnen<br />

heute von Banken angeboten werden.<br />

Einzigartig österreichisch ist dabei<br />

die Möglichkeit, das Einkommen der<br />

Schuldner zu pfänden. In den meisten<br />

Ländern der Welt ist das unmöglich.<br />

Manche Länder, die dem österreichischen<br />

Beispiel gefolgt sind, machen<br />

den Zugriff auf die Einkommen wenigstens<br />

schwer, da sonst die Versuchung<br />

steigt, mit der ausweglosen Verschuldung<br />

seiner Bankkunden ein Geschäft<br />

zu machen.<br />

Österreich hat einen anderen Weg beschritten,<br />

den man als Sammlung an<br />

Gefälligkeiten für Gläubiger bezeichnen<br />

könnte. Der Zugang zum Konto<br />

des Kunden wurde ab 1980 erleichtert<br />

und die Exekutionsordnung verschärft.<br />

Damit ist Österreich zur Schuldenfalle<br />

Europas geworden.<br />

In der nächsten Ausgabe berichten wir<br />

über abenteuerliche Finanzkonstrukte<br />

wie Fremdwährungskredite und wie sie<br />

Kreditnehmer ins Verderben stürzen.<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Hartz IV in Österreich:<br />

ÖVP will härtere<br />

Auflagen für Arbeitslose<br />

Zu Rasenmähen, Laub kehren,<br />

Schneeschaufeln oder<br />

ähnlichen „gemeinnützigen“<br />

Arbeiten könnten, wenn es nach der<br />

ÖVP geht, Bezieher von Arbeitslosengeld<br />

künftig verpflichtet werden.<br />

Die ÖVP will die Lohnabhängigen<br />

die Krise zahlen lassen und greift die<br />

Schwächsten, die Arbeitslosen, zuerst<br />

an.<br />

ÖVP-Koalitionsverhandler Karl-<br />

Heinz Kopf fordert im STAN-<br />

DARD-Interview härtere Bandagen<br />

für Arbeitslose: „Selbstverständlich<br />

sind die Zumutbarkeitsbestimmungen<br />

ein Thema…“ Milliarden<br />

für die Banken und den „Schwarzen<br />

Peter“ für Arbeitslose sind die<br />

Antworten des Generalsekretärs des<br />

Wirtschaftsbundes Kopf auf die Krise.<br />

Kopf hat sich bei einem Deutschlandbesuch<br />

über neoliberale Kombilöhne<br />

und Hartz IV informiert<br />

und war begeistert.<br />

Durch eine nicht von ihnen verschuldete<br />

Krise werden immer mehr<br />

Menschen arbeitslos. Magna-Steyr<br />

baut derzeit 600 Leute ab, Hunderte<br />

könnten folgen. Zeitarbeiter waren<br />

die Ersten in der Industrie, die durch<br />

die Krise ihre Jobs verloren.<br />

Die Post hat derzeit 25 Filialen zur<br />

Schließung angemeldet, bis 2015<br />

könnten es bis zu 400 Filialen werden.<br />

9.000 Arbeitsplätze sollen<br />

eingespart werden, der Post-Gewerkschaftschef<br />

spricht von einer<br />

„Kriegserklärung”.<br />

Die Schließungswelle seit 2002 unter<br />

der ÖVP/FPÖ-Regierung überlebten<br />

von 2.300 Postämtern nur<br />

1.312 bis heute. Bei der Telekom<br />

werden heuer 500 Stellen gestrichen,<br />

bis 2011 sind 2500 geplant. Kopf<br />

erzählte im Interview von Privatisierungsgelüsten<br />

der Industrie: „Die<br />

Post ist sicher kein Tabu, der ganze<br />

Telekom-Bereich ist kein Tabu, die<br />

ÖBB sind kein Tabu. Die Energieversorgung<br />

ist im Prinzip auch kein<br />

Tabu.“<br />

Eine OGM-Umfrage zeigt, dass 71%<br />

der Österreicher um ihre Jobs zittern.<br />

Die betroffenen Menschen haben<br />

kein Interesse, für weniger Lohn<br />

in entwürdigenden Jobs zu arbeiten<br />

und die Löhne zu drücken, nur um<br />

bei Millionären nicht als Faulenzer<br />

zu gelten. Jetzt ist die Gewerkschaft<br />

gefragt Widerstand gegen die Pläne<br />

von Karl-Heinz Kopf zu organisieren.<br />

Foto: <strong>Linkswende</strong><br />

Studierende protestierten am 5. 11. an der Universität Wien gegen die Kommerzialisierung der Bildung. Sie forderten<br />

Geld für Bildung statt für Banken und nahmen so Bezug auf die Wirtschaftskrise: Die staatliche Finanzspritze von 100<br />

Milliarden Euro für die Banken hätte die Studiengebühren 667 Jahre lang gedeckt.<br />

Spitzenverdiener/innen in Ö. - Beträge in Mio. € (jährlich)<br />

Andreas Treichl Erste Bank 4,5<br />

Elisabeth Bleyleben-Koren Erste Bank 1,9<br />

Reinhard Ortner Erste Bank 1,5<br />

Franz Hochstrasser Erste Bank 1,5<br />

Wolfgang Reithofer Wienerberger 1,2<br />

Helmut Draxler RHI 1,2<br />

Erich Hampel BA-CA 1,15<br />

Wolfgang Eder voest 1,1<br />

Erwin Erasim Erste Bank 1,0<br />

Wolfgang Leitner Andritz 1,0


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008 T H E M A<br />

Krise<br />

erklären<br />

2.Teil: Warum Ausbeutung normal ist<br />

Kinderarbeit in Entwicklungsländern,<br />

furchtbare Arbeitsbedingungen<br />

in Sweatshops in<br />

China oder Indien, das ist, was man<br />

zumeist unter Ausbeutung versteht.<br />

Ausbeutung wird uns als abnormal präsentiert,<br />

im Gegensatz zum „normalen“<br />

Arbeitsalltag von Menschen in Ländern<br />

wie Österreich. Karl Marx hatte ein<br />

anderes Verständnis davon, für ihn ist<br />

Ausbeutung das zentrale Element im<br />

Kapitalismus.<br />

Marx meinte, dass menschliche Arbeit<br />

der Ursprung allen Wertes ist. Zur damaligen<br />

Zeit stimmte ihm der Großteil<br />

der Ökonomen zu. Doch Marx ging<br />

weiter, er argumentierte, dass der Wert,<br />

den Arbeiter und Arbeiterinnen durch<br />

ihre Arbeit schaffen, größer ist als der<br />

Wert, den sie im Austausch als Lohn<br />

zurückbekommen. Kapitalisten streifen<br />

sich also einen Teil des Wertes, den Arbeiter<br />

produzieren, ein. Dieser „Mehrwert“<br />

ist die Basis des Gewinns eines<br />

Kapitalisten. Diese Argumentation ist<br />

etablierten Ökonomen und Kommentatoren<br />

ein Dorn im Auge. Für sie ist<br />

der Arbeitsmarkt ein angemessener<br />

Austausch – „fairer Lohn für geleistete<br />

Arbeit“. Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

werden als gierig abgestempelt, wenn<br />

sie mehr Lohn für ihre Arbeit verlangen.<br />

Sie würden durch solche Forderungen<br />

„das Funktionieren der Wirtschaft“<br />

bedrohen. Für Marx verschleiert diese<br />

Ideologie vom „freien und fairen Austausch“<br />

die zentrale Rolle, welche Ausbeutung<br />

für das kapitalistische System<br />

spielt. Wie kam Marx zu so einer radikalen<br />

Ansicht? Als Marx die „Arbeitswerttheorie“<br />

schrieb, entwickelte sich<br />

Kapitalismus gerade erst, doch er konnte<br />

die großen Unterschiede zu früheren<br />

Gesellschaften sehen. Den Großteil der<br />

Geschichte produzierten die Menschen,<br />

um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen,<br />

sei es Nahrung oder Kleidung.<br />

Im Kapitalismus produzieren wir Waren<br />

für den Markt. Der Wert, gegen<br />

den Waren am Markt eingetauscht<br />

werden, richtet sich nach dem Arbeitsaufwand,<br />

der durchschnittlich<br />

nötig ist, um sie herzustellen. Braucht<br />

ein moderner Hersteller für einen<br />

Schuh eine Stunde Arbeitszeit, dann<br />

bekommt der rückständige Hersteller,<br />

der fünf Stunden benötigt, dennoch<br />

nur den Gegenwert von einer Stunde<br />

Arbeitszeit für den Verkauf eines<br />

gleichwertigen Schuhs. Das nennt<br />

man den Tauschwert einer Ware.<br />

Wenn alle Waren nach der Arbeitszeit,<br />

die benötigt wird um sie zu produzieren,<br />

getauscht werden, woher kommt<br />

dann der Profit?<br />

Die Antwort liegt in der Beziehung<br />

zwischen Kapitalisten und Lohnabhängigen.<br />

Für Kapitalisten ist unsere Fähigkeit<br />

zu arbeiten – unsere Arbeitskraft<br />

– auch eine Ware, die verkauft und gekauft<br />

werden kann, wie alles andere.<br />

Der Wert der Arbeitskraft wird, wie der<br />

aller anderen Waren, durch die für ihre<br />

Herstellung notwendige Arbeitszeit bestimmt.<br />

Man bekommt genug Geld um<br />

sich Lebensmittel, Miete, Kleidung und<br />

Nachwuchs leisten zu können. Was den<br />

Wert – den Lohn – bestimmt, sind die<br />

Lebenskosten in einer Gesellschaft. Das<br />

scheint noch immer relativ fair, allerdings<br />

besteht ein Unterschied zwischen<br />

dem Geld, das man für seine Arbeit<br />

bekommt und den Wert, den man mit<br />

dieser Arbeit herstellt.<br />

Beispielsweise kostet es vielleicht nur 4<br />

Stunden der gesellschaftlichen Arbeit<br />

um das zu produzieren was man benötigt,<br />

also hat man zu Mittag seinen<br />

Lohn erarbeitet und sollte das Recht<br />

haben heim zu gehen. Aber man geht<br />

nicht heim, man geht zurück an die Arbeit<br />

und arbeitet zum Beispiel weitere<br />

4 Stunden. Wenn 4 Arbeitsstunden<br />

ausreichen um den Wert des Lohnes zu<br />

decken, dann nimmt der Kapitalist die<br />

nächsten 4 Stunden und man selbst bekommt<br />

keine Gegenleistung. Den Wert<br />

dieser weiteren 4 Stunden, die sich der<br />

Kapitalist einbehält, nannte Marx den<br />

„Mehrwert“. Dieser Mehrwert ist der<br />

Ursprung des Profits.<br />

Die Arbeit eines Menschen produziert<br />

somit mehr Wert als nur den Wert der<br />

Arbeitskraft selbst. Also ist Ausbeutung<br />

nicht etwas Abnormales im Kapitalismus<br />

– sie ist zentraler Bestandteil des<br />

Systems. Wenn Ausbeutung also zentral<br />

im System des Kapitalismus ist, dann<br />

kann Ausbeutung nur beendet werden,<br />

indem Kapitalismus beendet wird.<br />

Marx‘ Arbeitswerttheorie zeigt auf, dass<br />

unsere Arbeit die Quelle des Werts ist.<br />

Sie deckt auf, dass Kapitalisten einen<br />

Teil des Werts, den wir mit unserer<br />

Arbeitskraft produzieren, stehlen. Diese<br />

Theorie ist aber nicht nur eine Erklärung<br />

des Systems in dem wir leben,<br />

sie ist eine Waffe für Arbeiterinnen und<br />

Arbeiter, die gegen Ausbeutung kämpfen.<br />

Um Ausbeutung zu überwinden,<br />

muss das System das von ihr abhängig<br />

ist, überwunden werden.<br />

Staatliche Einnahmen 2005:<br />

Siemens-Belegschaft kämpft<br />

gegen Zerschlagung<br />

Die Wirtschaftskrise ist nun auch in Österreich angekommen. Stellenabbau und Einsparungsmaßnahmen<br />

sind die Antwort der Unternehmer auf die Krise –Arbeiter und<br />

Arbeiterinnen zahlen einmal mehr den Preis. Judith Litschauer über den Widerstand<br />

gegen die Krise, der sich langsam auch in Österreich formiert.<br />

Am 6. November zeigten rund<br />

2.500 Mitarbeiter der Siemens-<br />

PSE (Programm- und Systementwicklung)<br />

ihren Unmut mit einem<br />

„Marsch für die Zukunft der Siemens-<br />

PSE“ zum Betriebsgelände der Siemens<br />

AG in Floridsdorf. Die Konzernzentrale<br />

in München betrachtet die Kommunikationstechnik<br />

nicht mehr als ihr<br />

Kerngeschäft und will die Zerschlagung<br />

der PSE in Österreich, wo derzeit<br />

etwa 2.400 Personen beschäftigt sind.<br />

Befürchtet wird ein zusätzlicher Abbau<br />

von 475 Kollegen und Kolleginnen -<br />

500 mussten bereits gehen. Die GPA<br />

djp (Gewerkschaft der Privatangestellten<br />

Druck Journalismus Papier)<br />

kritisierte bei der offenen Betriebsversammlung,<br />

die den Schlusspunkt der<br />

Demonstration markierte, „dass in den<br />

letzten Jahren einfach Jobs gestrichen<br />

worden sind und jetzt noch mehr Arbeitsplätze<br />

abgebaut werden sollen“.<br />

Siemens Rekordgewinne und<br />

Stellenabbau<br />

Weltweit sollen bei Siemens knapp<br />

17.000 Jobs wegfallen, so das Unternehmen<br />

in München. In Deutschland<br />

würden 5.250 Menschen betroffen<br />

sein. Strategien der Konzernzentrale<br />

sind Stellenabbau, Aus- und Umgliederung<br />

in die Konzernbereiche Energie,<br />

Industrie, Medizin- und Verkehrstechnik<br />

um die Jobs „schleichend“ zu verringern.<br />

Und der Konzern scheffelt munter<br />

weiter Gewinne: Obwohl alle großen<br />

Kostenblöcke mittels Rückstellungen<br />

noch in das jetzige Jahr gepackt wer-<br />

den, schätzen Analysten den Gewinn<br />

im Gesamtjahr auf 6,3 Milliarden<br />

Euro.<br />

Auch bei Post und Telekom Austria<br />

(TA) startet der Jobabbau. Bei der TA<br />

sollen innerhalb von zwei Jahren rund<br />

150 Millionen Euro eingespart werden,<br />

60 Prozent davon beim Personal, was<br />

einen Stellenabbau von bis zu 3.000<br />

Leuten bedeutet.<br />

Durch die Umwandlung von 1.000 der<br />

1.300 noch bestehenden Postämter in<br />

„Postpartner“ sollen bis 2015 9.000<br />

Postler gehen. Postgewerkschaftschef<br />

Gerhard Fritz nennt das eine „Strategie<br />

des Wahnsinns“, hat doch die Post AG<br />

2007 ein Umsatz-Plus von 33 Prozent<br />

gegenüber dem Vorjahr erzielt. Das<br />

Betriebsergebnis stieg auf 162,8 Milli-<br />

onen Euro. Für das Jahr 2008 prognostiziert<br />

der Konzern eine stabile, leicht<br />

steigende Umsatzentwicklung von bis<br />

zu 3 Prozent.<br />

Ein Betriebsrat von Siemens meinte<br />

in einem Interview: „Natürlich ist es<br />

nicht verwunderlich, dass immer weniger<br />

Geld zur Verfügung steht, wenn<br />

die Großkonzerne immer weniger<br />

Steuern zahlen. Die Steuerlast wurde<br />

in den letzten Jahren immer mehr auf<br />

die kleinen Leute abgewälzt.“ Doch<br />

Faymann und Molterer schieben sich<br />

den Schwarzen Peter gegenseitig zu,<br />

während tausende Menschen ihre Jobs<br />

verlieren. Es ist eine Frechheit, dass so<br />

getan wird, als hätte die Finanzkrise<br />

nur Einfluss auf Unternehmen, denn<br />

gerade Beschäftigte mit niedrigerem<br />

Einkommen leiden zunehmend. Dies<br />

verdeutlicht auch der kontinuierliche<br />

Fall der Lohnquote, während der Ge-<br />

Lohnsteuer der Arbeitnehmer/innen und Pensionist/innen 16,9 Mrd. €<br />

Umsatzsteuer der Konsument/innen 19,4 Mrd. €<br />

Körperschaftssteuer der Kapitalgesellschaften 4,4 Mrd. €<br />

Einkommenssteuer der Selbstständigen 2,5 Mrd. €<br />

Foto: <strong>Linkswende</strong><br />

winnanteil der Unternehmer – trotz<br />

Krise – weiterhin steigt.<br />

Die Demonstration vom 5. November<br />

der PSEler war wichtig, und dass Siemens-Arbeiter<br />

von Graz nach Wien kamen<br />

um gemeinsam zu demonstrieren,<br />

war ein wichtiger Schritt in die richtige<br />

Richtung. Ganz klar ist allerdings, dass<br />

dies nur von den Betriebsräten und Angestellten<br />

selbst, und nicht von der Gewerkschaft,<br />

erzielt werden kann. Dennoch<br />

gewann man nicht den Eindruck,<br />

dass die PSE-Belegschaft vom Siemens-<br />

Betriebsrat Unterstützung bekommt.<br />

Stellenabbau kann nicht isoliert von<br />

Betrieb zu Betrieb oder gar von Branche<br />

zu Branche konfrontiert werden,<br />

es muss einen gemeinsamen Kampf<br />

der Werktätigen geben, der auch vor<br />

Staatsgrenzen nicht Halt macht. Die<br />

gleichzeitigen Streiks bei Siemens in<br />

Griechenland und Deutschland wurden<br />

auf der Kundgebung vor Siemens<br />

in Wien gar nicht erwähnt.<br />

Solidarität muss international sein<br />

– Jobabbau ist es auch<br />

„Als vor vier Jahren etwa am Standort<br />

München Stellen abgebaut wurden,<br />

hätten wir Siemens-Mitarbeiter eigentlich<br />

international streiken müssen.<br />

Natürlich haben wir eine Solidaritäts-<br />

Adresse nach Deutschland geschickt,<br />

aber das war es dann auch schon wieder.“,<br />

sagt ein Betriebsrat von Siemens<br />

in einem Interview. Die Kampfbereitschaft<br />

von IG-Metall in Deutschland<br />

kann ein Vorbild sein. Sie streiken für<br />

8,1% Lohnerhöhung und stellen dabei<br />

gleichzeitig, was auch die Studenten in<br />

Italien machen, einen Bezug zur Wirtschaftskrise<br />

her. Dies ist wichtig, weil<br />

nur so klargestellt werden kann, dass<br />

die Auswirkungen der Widersprüche<br />

des kapitalistischen Systems auf die<br />

Ausbeutung der „kleinen Menschen“<br />

hinauslaufen.<br />

„Geld für Bildung statt für Banken“<br />

war deswegen auch das Motto der Studierenden<br />

an der Uni Wien, die sich<br />

am internationalen Aktionstag gegen<br />

die Kommerzialisierung der Bildung,<br />

am 5. November, beteiligten. Das „Widerstandscafe“,<br />

das sich aus Protesten<br />

an der Uni Wien formiert hat, organisierte<br />

Aktionen und Workshops und<br />

trat offensiv für einen gemeinsamen<br />

Kampf von Studierenden und Arbeitern<br />

ein. Deshalb solidarisierten sich<br />

die Studentinnen und Studenten mit<br />

den protestierenden Siemens-Arbeitern<br />

und unterstützten die Teilnahme an der<br />

Demonstration: „Wir glauben, dass es<br />

an der Zeit ist, sich zu wehren und unserer<br />

Stimme Gehör zu verschaffen.“<br />

Widerstandscafé:<br />

Jeden Mittwoch, ab 19 Uhr<br />

im Einbaumöbel<br />

(U6 Alserstraße, Währingergürtel<br />

Bogen 97)<br />

weitere Infos auf: www.freiebildung.at


LeserInnenbriefe / Kommentare / Berichte<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

LeserInnenforum<br />

Kommentare, Berichte oder LeserInnenbriefe bitte an redaktion@linkswende.org<br />

Südtirol, die Linke und was wir<br />

vielleicht falsch machen<br />

Zu sagen, die Wahlen in<br />

Südtirol sind für die<br />

Linke eher suboptimal<br />

verlaufen, wäre wohl die Untertreibung<br />

des Jahrtausends. Die<br />

Freiheitlichen haben ihre Quote<br />

verdreifacht, das rechtspopulistische<br />

Lager (italienische und<br />

deutsche Parteien mit eingerechnet)<br />

konnte in Summe rund<br />

33.5% der Wählerstimmen ergattern.<br />

Nachdem die gesamte Linke bei<br />

den letzten Italienischen Parlamentswahlen<br />

de facto vernichtet<br />

wurde und die Rechtspopulisten<br />

(nicht nur) in Österreich so<br />

stark wie nie zuvor sind, hat der<br />

allgemeine Rechtsruck nun auch<br />

vor den noch so standfesten Alpen<br />

nicht Halt gemacht.<br />

Beschämend das Ergebnis der<br />

„Linke für Südtirol - Sinistra<br />

dell Alto Adige“; ein relativ viel<br />

versprechendes junges Projekt,<br />

welches in dem Versuch entstand,<br />

die linken Kräfte Südtirols<br />

zu bündeln.<br />

Die Liste „Linke für Südtirol<br />

- Sinistra dell Alto Adige“, der<br />

es immerhin gelungen war, die<br />

„Rifondazione Communista“,<br />

die „Sozialistische Partei“, die<br />

„demokratische Linke“ und<br />

einige parteiunabhängige Kandidaten<br />

zu einen, in den Umfragen<br />

zum Teil mit über 2.5%<br />

bedacht, versagte - mit 0.7%<br />

unter jeder noch so schlechten<br />

Erwartung - kläglich, bevor sie<br />

überhaupt richtig angefangen<br />

hatte zu sein.<br />

Weshalb?<br />

Einer der Hauptgründe liegt mit<br />

Sicherheit in der Tatsache, dass<br />

Linke tendenziell das Theoretisieren<br />

dem bodenständigen Argumentieren<br />

bevorzugen.<br />

Die Liste hat sich mit<br />

einem gut ausg<br />

e a r b e i -<br />

t e t e n<br />

Pro-<br />

gramm,<br />

aber einem<br />

so gut wie nicht<br />

vorhandenen Wahlkampfkonzept<br />

präsentiert.<br />

Inhalte, Ideologien, Ideen und<br />

konkrete Lösungsvorschläge<br />

sind zweifelsfrei von enormer<br />

Bedeutung, doch als solche, für<br />

den Wahlkampf leider keines-<br />

wegs von der Bedeutung, die sie<br />

haben sollten…<br />

Auf dem Hinweis, die Linke vertrete<br />

in erster Linie Arbeiter, die<br />

mit theoretischen Konstrukten<br />

ungefähr gleich viel anfangen<br />

können, wie ein Kleinkind mit<br />

einer Abhandlung über die Heisenbergsche<br />

Unschärferelation,<br />

wurde erwidert, man könne<br />

und wolle nicht in den<br />

rechten Sumpf<br />

des Populismus<br />

a b -<br />

s a -<br />

cken.<br />

D o c h<br />

genau das<br />

müssen wir!<br />

Wenn wir die Menschen erreichen<br />

wollen, dann ist es von<br />

unsäglicher Wichtigkeit, dass<br />

wir unsere Inhalte und Ideen auf<br />

eine Weise formulieren und vermitteln<br />

lernen, die es JEDEM<br />

erlauben, sie zu verstehen und<br />

nachzuvollziehen. Wir müssen<br />

quasi zu Populisten mit Inhalt<br />

werden.<br />

Auch das Symbol der Liste lässt<br />

sich relativ einfach interpretieren.<br />

Die Parteien präsentieren<br />

sich zwar gemeinsam, aber doch,<br />

jede für sich. Keine der Parteien<br />

wollte auf das eigene Symbol<br />

verzichten müssen, sodass ein<br />

Symbol ohne jegliche Aussagekraft<br />

entstehen musste.<br />

Wie ein schwerfälliger Herr,<br />

der sich nicht von seinem<br />

schrottreifen Auto zu trennen<br />

vermag, gelingt es vielen alteingesessenen<br />

Genossen in Südtirol<br />

(und nicht nur dort!) nicht, sich<br />

von hinderlichen starren veralteten<br />

Parteistrukturen, Symbolen<br />

und Ideen zu trennen.<br />

Was wir brauchen ist kein resigniertes<br />

Erinnern an die „gute<br />

alte Zeit“, nein, was wir brauchen<br />

ist eine breite von unten<br />

kommende, sich von dem<br />

schwerfällig Alten befreiende<br />

Bewegung, die geeint nach vorne<br />

blickt und schreitet.<br />

Wir müssen das starr gewordene<br />

Alte hinter uns lassen, aufstehen<br />

und gemeinsam wieder auf die<br />

Straßen gehen, um eine geballte<br />

Linke aufzubauen.<br />

Nicht morgen, nicht später vielleicht<br />

mal…nein. Hier, heute,<br />

jetzt!<br />

Gabriel Sigmund<br />

ehemaliger Kandidat der<br />

„Linke für Südtirol“<br />

Verlorenes Vertrauen (in Banken und<br />

Versicherungen) ist gerechtfertigt!<br />

Eigentlich geht es mir gewaltig<br />

gegen den Strich, dass ich nach<br />

langen Überredungskünsten<br />

meines Versicherungsmaklers 2 fondsgebundene<br />

Lebensversicherungen abgeschlossen<br />

habe. Ich würde das gerne<br />

wieder rückgängig machen.<br />

Denn eines ist gewiss – Aktienwerte<br />

und somit Fonds steigen u.a., wenn<br />

weniger Personalkosten anfallen, also<br />

Arbeitsplätze vernichtet und Löhne<br />

gedrückt werden.<br />

Diese Versicherungen bestehen aus den<br />

verschiedensten zusammengesetzten<br />

Fondsprodukten, wie z.B. Aktien von<br />

Internationalen Betrieben, Pensionen,<br />

Immobilien, usw.<br />

Komischerweise habe ich mich immer<br />

schon gefragt, warum Versicherungen<br />

immer mehr in den Bereich der Geldanlagen<br />

reingehen. Das kann nur den<br />

einen Grund haben, dass es für diese<br />

Konzerne, mit ihren immer mehr gewordenen<br />

Vorständen und Direktoren,<br />

noch mehr Gewinne abwirft.<br />

Jedenfalls habe ich keinen Gewinn mit<br />

dieser Art der Geldanlage gemacht,<br />

wenn auch immer wieder eindringlich<br />

versichert wurde, dass das ganz sicher<br />

passiert – es braucht nur Zeit.<br />

Nun habe ich diese fondsgebundene<br />

Lebensversicherung 9 Jahre und nicht<br />

einmal die Hälfte des Geldes, das ich<br />

einbezahlt habe, geschweige denn<br />

mehr!<br />

Es scheint so – nein, ich bin mir nun<br />

sicher, es ist so – dass Versicherungen<br />

und Banken von Menschen geführt<br />

werden, die dem Kapitalismus erliegen<br />

und nichts anderes im Sinn haben,<br />

als ihre eigene Gewinnmaximierung<br />

– immer mehr und immer mehr. Und<br />

das nicht einmal mit Köpfchen und<br />

Know-how, sondern mit dem hart ver-<br />

Stadt-Gruppentreffen:<br />

jeden Donnerstag um 19:00 im Amerlinghaus (7., Stiftg. 8)<br />

Uni-Gruppentreffen:<br />

jeden Montag um 19:30 im Tunnel (8., Florianig. 39)<br />

Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich<br />

Internet:<br />

www.linkswende.org - linkswende@linkswende.org<br />

17. Dezember 2008<br />

Kapitalismus<br />

funktioniert nicht!<br />

Wie wärs mit<br />

Sozialismus?<br />

18:30<br />

Amerlinghaus<br />

7., Stiftgasse 8<br />

KONTAKT<br />

dienten Geld von ihren „naiven kleinen“<br />

Mitmenschen.<br />

Da sieht man ganz deutlich, dass Kapitalismus<br />

pur nicht funktionieren kann.<br />

Unsere Regierung und auch der Österreichische<br />

Gewerkschaftsbund müssen<br />

sich für eine EU-weite und nicht zu<br />

geringe Finanztransaktionssteuer einsetzen,<br />

die das Hin- und Herschieben<br />

von Geld und Waren (die noch nicht<br />

einmal produziert sind) zu Spekulationszwecken<br />

verteuert und damit rigoros<br />

einschränkt.<br />

Ilse de Lorenzo<br />

4814 Neukirchen (OÖ)<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>Linkswende</strong><br />

Verein gegen Rassismus<br />

und soziale Ungerechtigkeit<br />

(Vereinsnummer: XV -4645)<br />

Kettenbrückeng. 11/20, 1050 Wien<br />

0650/7216661<br />

www.linkswende.org<br />

redaktion@linkswende.org


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Obama und „Change“<br />

Millionen von Menschen auf der ganzen Welt feierten Barack Obamas Sieg und damit die Wahl des ersten schwarzen Präsidenten - eine kaum vergleichbare<br />

Errungenschaft in einem Land, in dem der Rassismus lange Zeit die Gesellschaft beherrschte, schreibt Dietmar Meister.<br />

Die Euphorie und Begeisterung<br />

über Obamas Sieg zeigt, wie<br />

enttäuscht die Bevölkerung<br />

der USA nach acht Jahren unter der<br />

Regierung Bushs und der Neokonservativen<br />

war.<br />

Die Hoffnungen<br />

Die Wahlkampagne des Demokraten<br />

stand ganz im Zeichen einer Wende,<br />

einer wirklichen Veränderung der<br />

Innen- und Außenpolitik der Vereinigten<br />

Staaten. War es noch Anfang des<br />

Jahres vor allem die weit verbreitete<br />

Ablehnung des Irakkrieges, die Obama,<br />

der schon seit Jahren den Abzug der<br />

US-Truppen fordert, zu Wählern und<br />

Wählerinnen verhalf, dominierte in den<br />

letzten Monaten zunehmend die globale<br />

Wirtschaftskrise den Wahlkampf.<br />

Durch seine Position für staatliche Eingriffe<br />

zur Überwindung der Krise und<br />

sein Plädoyer für die Eröffnung neuer<br />

Wirtschaftszweige, etwa durch die Förderung<br />

erneuerbarer Energiequellen,<br />

(um neue Arbeitsplätze zu schaffen)<br />

verbreitete Obama Hoffnung auf einen<br />

grundlegenden Richtungswechsel in der<br />

Wirtschaft.<br />

Jetzt, nach seiner Wahl zum zukünftigen<br />

US-Präsidenten, wollen die Wähler<br />

und Wählerinnen den von ihm versprochenen<br />

Wandel erleben.<br />

Die Bewohnerinnen und Bewohner<br />

von mehr als einer Million Häuser in<br />

den USA verloren bereits das Dach<br />

über ihren Köpfen, da sie ihre Schulden<br />

nicht mehr zurückzahlen konnten. Und<br />

die Zahl steigt. Diese Leute setzen auf<br />

Obama, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen<br />

und damit diese Entwicklung<br />

Sollte man sich beim Benutzen eines Flugzeugs<br />

schuldig fühlen? Viele würden diese<br />

Frage bejahen, denn die Gefahr eines unaufhaltsamen<br />

Klimawandels ist real. Sind wir erst einmal<br />

an dem Punkt angelangt, an dem es für eine<br />

Wende zu spät ist, besagen die optimistischsten<br />

Schätzungen, dass hunderte Millionen Menschen<br />

an den Folgen von Naturkatastrophen, Hunger,<br />

Epidemien und Krieg sterben werden. Ein Groß-<br />

teil der Arten, die es heute noch auf der Welt gibt,<br />

wird aussterben. Aber: für eine Familie mit einem<br />

europäischen Durchschnittseinkommen gibt es finanziell<br />

oft gar keine Alternative zum Billigflug.<br />

Deshalb ist eigentlich die Frage nach dem Schuldgefühl<br />

die falsche. Die klügere Frage wäre die, wie<br />

wir den Klimawandel dennoch aufhalten können.<br />

Es wird dazu massives Engagement der Regierungen<br />

weltweit brauchen, die reichen Staaten<br />

müssten ihre CO2-Emission um mindestens 80<br />

Prozent verringern.<br />

Das ist tatsächlich möglich, denn wir haben die<br />

notwendige Technologie. Es müssen Windkraftwerke<br />

und Solarkollektoren weltweit entstehen.<br />

Alle schlecht isolierten Gebäude weltweit brauchen<br />

Wärmedämmung. Flächendeckende öffent-<br />

In Stimmung für ‚real change‘<br />

zu stoppen.<br />

Die Arbeiter und Arbeiterinnen der<br />

Ford- und General Motors-Werke, die<br />

massenweise vor Kündigungen stehen<br />

oder bereits entlassen wurden, setzen<br />

auf Obama, um ihren Job zu behalten<br />

oder zurück zu bekommen.<br />

Was die Außenpolitik betrifft, erwarten<br />

die Einwohner der USA vor allem einen<br />

Wandel im „Krieg gegen den Terror“<br />

– ein Ende der desaströsen Auslandseinsätze<br />

der US-Truppen im Irak und<br />

Afghanistan, die George W. Bush zum<br />

unbeliebtesten Präsidenten in der Geschichte<br />

der USA machten.<br />

Das Bild von Barack Obama, das in<br />

den letzten Wochen die Medien dominierte,<br />

ließ auch in Europa Hoffnungen<br />

auf einen Wandel, der die Politik der<br />

ganzen Welt beeinflusst, aufkommen.<br />

Zehntausende brachen in vielen Ländern<br />

Europas in Euphorie aus, als Oba-<br />

mas Sieg feststand.<br />

Verschiedene Interessen<br />

liche Verkehrsmittel müssen finanziert und die<br />

Benzinproduktion gestoppt werden - und es gibt<br />

tausende Dinge mehr, die getan werden müssten.<br />

Individuen können dies nicht umsetzen, aber Regierungen<br />

können es, und sie könnten es sogar in<br />

fünf Jahren schaffen.<br />

Die meisten notwendigen Veränderungen verlangen<br />

kein Opfer unsererseits. Sie bedeuten nur,<br />

dass man Dinge anders lösen muss. Doch die<br />

herrschenden Politiker erzählen uns permanent,<br />

dass dies zu viel kosten würde und verantwortlich<br />

dafür seien wir, die Leute, es verlernt hätten zu<br />

verzichten. Deshalb sollte man sich kurz Gedanken<br />

darüber machen, was „zu viel kosten“ bedeutet:<br />

Es bedeutet, dass Menschen dafür bezahlt<br />

werden müssten, um die massiven Umbauten<br />

vorzunehmen und Millionen neuer Jobs weltweit<br />

entstünden. Die westlichen Regierungen geben<br />

im Moment Milliarden dafür aus, Banken zu retten<br />

und die Rezession abzuschwächen – warum<br />

dieses Geld nicht für etwas Guten verwenden,<br />

um Arbeitsplätze zu schaffen und den Planeten<br />

zu retten?<br />

Das Problem ist also kein technologisches, sondern<br />

ein politisches. Was wir brauchen sind Regulation<br />

und Investitionen in die richtige Richtung.<br />

Zwar haben viele Politiker und auch Unternehmer<br />

inzwischen die Gefahren des Klimawandels erkannt<br />

– eine Welt, die ihnen gehört, wollen auch<br />

sie nicht zerstören - doch sie halten immer noch<br />

Wir müssen uns jedoch bewusst sein,<br />

dass es bei all diesen Forderungen und<br />

Erwartungen einen großen Interessenskonflikt<br />

gibt, und zwar jenen zwischen<br />

den oben angeführten Anliegen der<br />

„normalen“ Menschen und jenen von<br />

Obamas reichen Unterstützern.<br />

Die demokratische Partei ist vorwiegend<br />

eine Partei der Reichen. Die Gewerkschaften<br />

stehen mehrheitlich auf<br />

der Seite der Demokraten und 93 %<br />

der gewerkschaftlichen Fördermittel<br />

für den Wahlkampf flossen den Demokraten<br />

zu, diese machten aber nur 14 %<br />

der Summe aller Spenden für die Demokratische<br />

Partei und Barack Obama<br />

aus. Über die Hälfte der Spenden an<br />

die Demokraten stammt hingegen von<br />

Großkonzernen wie dem Medienunternehmen<br />

Time Warner (mit seinen<br />

Unternehmen wie Warner Bros., CNN,<br />

AOL usw.), Goldman Sachs (eine der<br />

ältesten Investmentbanken der Welt),<br />

dem Finanzdienstleistungskonzern Citigroup<br />

(eines der größten Unternehmen<br />

der Welt), Microsoft oder IBM.<br />

Rassismus und Krieg<br />

Obama sagt, er habe die Bedeutung der<br />

race und damit die Trennung zwischen<br />

Schwarzen und Weißen in den USA<br />

überwunden. 2004 meinte er: „Es gibt<br />

kein schwarzes oder ein weißes Amerika;<br />

es gibt nur die Vereinigten Staaten<br />

von Amerika“. Führt man sich hingegen<br />

die soziale Situation des „schwarzen<br />

Amerika“ vor Augen, kommt man<br />

zu einem ganz anderen Schluss. In den<br />

Vereinigten Staaten befinden sich mehr<br />

schwarze Männer hinter Gittern als in<br />

Institutionen höherer Bildung. Fast ein<br />

Viertel der schwarzen US-Amerikaner<br />

und –Amerikanerinnen leben unter der<br />

Armutsgrenze.<br />

Obama, als ehemaliger Harvard-Student<br />

und aus wohlhabendem Hause,<br />

bestätigt als Ausnahme die Regel. Laut<br />

dem zukünftigen Präsidenten sind die<br />

Vereinigten Staaten von Amerika die<br />

Heimat von „Demokratie, Freiheit,<br />

Chance und unbiegsamer Hoffnung“.<br />

Obama versprach, sich für die die<br />

Armen einzusetzen – vor kurzem hat er<br />

aber die 500 Milliarden Euro-Finanzspritze<br />

für die Banken der Wall Street<br />

unterstützt.<br />

Er versprach, die US-Truppen aus dem<br />

Irak abzuziehen. Gleichzeitig fordert er<br />

nicht nur die Erhöhung des gewaltigen<br />

daran fest, dass der Markt die Lösung für alles ist.<br />

Aber der Klimawandel spielt in einer ganz anderen<br />

Dimension, in diesem Rahmen kann er nicht gelöst<br />

werden. Im letzten Jahr waren unter den zehn<br />

US-Militärbudgets und die Aufstockung<br />

der US-Armee um 65.000 Soldaten,<br />

sondern will auch mehr Truppen<br />

nach Afghanistan entsenden und den<br />

vorgeblichen „Krieg gegen Drogen“ in<br />

Lateinamerika verschärfen. In seinem<br />

engsten Beraterstab sitzen Leute wie<br />

Richard Holbrooke, der Architekt der<br />

Kriege am Balkan in den 90er-Jahren,<br />

oder Zbigniew Brezinsky, ein enthusiastischer<br />

Befürworter des „Kriegs gegen<br />

den Terror“.<br />

Neue Möglichkeiten<br />

Mit seinen Worten hat Obama Menschen<br />

dafür gewonnen, sich politisch zu<br />

engagieren, von denen viele bis dahin<br />

von Politik nichts wissen wollten. Durch<br />

Sätze wie: „Wir sind der Wandel, auf den<br />

wir gewartet haben“ hat er Zehntausende<br />

dazu gebracht, unentgeltlich für ihn<br />

zu werben. Obamas Reden haben Millionen<br />

von US-Bürgern motiviert und<br />

ihnen Hoffnung gegeben. Doch Barack<br />

Obama wird diese Hoffnungen enttäuschen.<br />

Der zukünftige Präsident der<br />

USA ist Teil des Systems.<br />

Er wird keinen Wandel herbeiführen,<br />

aber den Raum, den er geschaffen hat,<br />

ermöglicht es der Linken, der Arbeiterklasse<br />

und der Anti-Kriegs-Bewegung,<br />

Afroamerikanern und vielen anderen,<br />

ihren Anliegen Geltung zu verschaffen.<br />

Dieser Raum muss genutzt werden. Es<br />

muss eine Bewegung aufgebaut werden,<br />

die ihre Hoffnungen nicht in das herrschende<br />

System und in Verteidiger des<br />

Kapitalismus setzt, sondern versucht<br />

genau dieses zu überwinden. Und die<br />

Chancen dafür sind heute größer denn<br />

je.<br />

Klimawandel:<br />

Veränderung unseres Lebensstils kann die Katastrophe nicht verhindern<br />

Dass der Klimawandel ein gewaltiges globales Problem ist und ein noch größeres werden wird, ist inzwischen auch den marktgläubigsten Politikern<br />

und Unternehmern klar. Die Lösung für das Problem wird denen zugeschoben, deren Handlungsmöglichkeiten sowieso extrem eingeschränkt sind.<br />

Doch werden auch noch so radikale Veränderungen im Konsum- und Reiseverhalten der Durchschnittsbevölkerung wirklich ausreichen?<br />

von Jonathan Neale<br />

Ein Fußabdruck als Symbol für menschlichen<br />

Einfluss auf das Klima<br />

weltgrößten Konzernen sechs Ölfirmen und drei<br />

Autoproduzenten – eine gewaltige Konzentration<br />

von politischer und ökonomischer Macht.<br />

Die Regierungen sollten das Klimaproblem lösen<br />

und tun es nicht, deshalb besagt ihre Propaganda,<br />

dass wir Schuld wären. Fast alles, was wir im Zusammenhang<br />

mit dem Klimaschutz hören, wird<br />

von ihnen reduziert auf Änderungen des individuellen<br />

Lebensstils. Aber niemand kann ernsthaft<br />

denken, dass Öko-Tourismus die Häuser der Armen<br />

isoliert, Windkraftwerke aufbaut oder die<br />

Emissionen in China verringert.<br />

Was wir brauchen ist eine Massenbewegung,<br />

um die Regierungspolitik zu verändern. Das ist<br />

nicht leicht, aber eine Bewegung ist bereits dabei,<br />

sich aufzubauen. Letztes Jahr gab es parallel zum<br />

UNO-Klimagipfel Proteste in 70 Ländern. Heuer<br />

wird am 6. Dezember weltweit - und auch in<br />

Österreich - protestiert. 2009 trifft sich die UNO<br />

in Kopenhagen, um Ziele bei der Reduzierung<br />

des CO2-Ausstoßes festzulegen und auch diese<br />

Gespräche werden von Massenaktivität begleitet<br />

werden.<br />

Aber sogar das wird erst der Anfang sein. Doch<br />

einmal müssen wir anfangen. Es ist dies keine<br />

Entschuldigung, nicht auch im persönlichen Umfeld<br />

auf Umweltschutz zu achten und auf den ein<br />

oder anderen Flug zu verzichten, aber man sollte<br />

sich nicht selber belügen – um das Klima zu retten,<br />

müssen wir das System ändern.


Die rechte Regierung der Nea Dimokratia<br />

(konservative Partei)<br />

möchte die „Last“ der Finanzierung<br />

der öffentlichen höheren Bildung<br />

loswerden. Sie möchte Privatunternehmen<br />

Raum geben sich zu entwickeln<br />

und den Sektor zu übernehmen. Um das<br />

durchzusetzen, versuchte die Regierung<br />

vor zwei Jahren, die Verfassung zu ändern,<br />

insbesondere Artikel 16, die private<br />

Universitäten mit den Worten „Nur der<br />

Staat ist für die höhere Bildung verantwortlich“<br />

verbietet. Dieser Artikel, den<br />

sich die Bewegung in Griechenland in<br />

den 60ern und 70ern hart erkämpft hat,<br />

war seitdem ein großes Hindernis für die<br />

herrschende Klasse. Vor zwei Jahren antworteten<br />

die Studierenden auf ähnliche<br />

Angriffe mit Besetzungen der Universitäten,<br />

die Lehrenden gingen in Streik<br />

und veranstalteten fast ein Jahr lang Massendemos.<br />

Diese Bewegung führte dazu,<br />

dass die Regierung den Rückzug antreten<br />

musste. Jetzt schlagen die Konservativen<br />

neuerlich ein Gesetz vor, das die Diplome<br />

gleichsetzt und hoffen, dass das Parlament<br />

es im Jänner 2009 verabschiedet.<br />

Das würde bedeuten, dass zwei oder drei<br />

Jahre Studium an einer privaten höheren<br />

Schule gleich viel wert sind wie vier oder<br />

fünf Jahre an einer staatlichen Universität.<br />

Es würde bedeuten, dass nur wohlhabende<br />

Familien die Möglichkeit hätten,<br />

ihre Kinder zu unterstützen wenn sie die<br />

schwierigen Aufnahmeprüfungen an den<br />

öffentlichen Unis nicht bestehen und<br />

dass private Hochschulen ohne Strukturen,<br />

ohne Fakultäten und ohne qualifiziertes<br />

Personal teure Diplome verkaufen<br />

könnten. Es würde außerdem bedeuten,<br />

dass die Kurse vom Markt, von den großen<br />

Unternehmen und ihrem Bedarf nach<br />

Profit diktiert werden. Auf der anderen<br />

Seite würden die öffentlichen Universitäten<br />

ohne Geld und ohne berufliche Zukunft<br />

für die Studierenden stagnieren.<br />

Die Ausrede der Regierung dafür, dass sie<br />

dieses Thema wieder anschneidet ist eine<br />

neue Entscheidung des EU-Gerichtshofes,<br />

der Griechenland dafür verurteilt,<br />

dass es sich nicht an EU-Richtlinien hält.<br />

Für die Bewegung, die vor zwei Jahren gegen<br />

die Privatisierung gekämpft hat, ist es<br />

allerdings eine klare Verletzung der Verfassung,<br />

die die Regierung damals nicht<br />

ändern konnte.<br />

Zusätzlich zu Protesten gegen den Gesetzesentwurf<br />

besetzen Schülerinnen und<br />

Schüler viele höheren Schulen (400 im<br />

ganzen Land) und fordern bessere Bedingungen<br />

und freien Zugang zu den Universitäten.<br />

Die ganze Bewegung verlangt<br />

K O L U M N E N<br />

mehr Geld für öffentliche und kostenlose<br />

Bildung, und zwar 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts.<br />

Im Moment sind es<br />

weniger als 3 Prozent. Lehrerinnen und<br />

Lehrer aller Schulstufen verlangen die<br />

Einstellung von mehr Personal, höhere<br />

Löhne und höhere Pensionen.<br />

Beim letzten Generalstreik am 21. Oktober<br />

beteiligten sich Studierende und<br />

Lehrende aller Bildungseinrichtungen.<br />

Sie versammelten sich an einem zentralen<br />

Platz in Athen und führten die 50.000<br />

Menschen starke Gewerkschaftsdemo,<br />

die vor das Parlament zog, an. In mehr<br />

als zehn Städten im ganzen Land fanden<br />

Massendemonstrationen statt.<br />

Das inspirierte die Gewerkschaft des universitären<br />

Lehrpersonals, die POSDEP,<br />

dazu, zwei 48 Stunden lange Streiks auszurufen,<br />

den ersten am 19./20. und den<br />

zweiten am 25./26. November. Gleichzeitig<br />

organisierte die POSDEP eine Demo<br />

am 6. November, an der sich 5.000 Stu-<br />

dierende und Lehrende, nicht nur von<br />

den Unis, sondern auch von den Grund-<br />

und höheren Schulen, beteiligten.<br />

Die griechische Regierung hat sich vor<br />

wenigen Wochen entschlossen, die Banken<br />

mit 28 Milliarden Euro (etwa 11 Prozent<br />

des griechischen BIP) zu finanzieren,<br />

damit sie nicht Bankrott gehen. Das entlarvte<br />

das Argument, dass der Staat sich<br />

Ausgaben für Bildung, Gesundheit oder<br />

andere öffentliche Güter nicht leisten<br />

kann, als glatte Lüge. Die Wut der Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter darüber ist, wie<br />

überall auf der Welt, riesig, und entlädt<br />

sich in verschiedenen Streiks in unterschiedlichen<br />

Berufssparten. Am 30. Oktober<br />

streikten die Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

von Olympic Airways 24 Stunden<br />

lang. Sie demonstrierten am Flughafen<br />

und unterbrachen den Flugverkehr mehr<br />

als drei Stunden lang. Die Regierung versucht,<br />

die Fluglinie zu privatisieren und<br />

alle 8.000 Arbeiter zu feuern. Es war bereits<br />

der dritte Streik seit September, noch<br />

konnten die Konservativen aber nicht<br />

dazu gebracht werden, ihren Plan aufzugeben.<br />

Am nächsten Tag versammelten sich<br />

200 Ärztinnen, Ärzte und das Pflegepersonal<br />

des größten öffentlichen Krankenhauses<br />

in Westathen (wo sich die ärmsten<br />

Vororte befinden) vor dem Gesundheitsministerium<br />

und marschierten zum Parlament.<br />

Sie sind seit sechs Wochen im<br />

Streik und verlangen mehr Personal und<br />

mehr Geld für das öffentliche Gesundheitssystem.<br />

Am 3. November unterbrachen<br />

die Arbeiter und Arbeiterinnen in<br />

den U-Bahnen und Straßenbahnen ihre<br />

Arbeit, weil sich das Management, unter-<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Griechenland:<br />

Proteste und Besetzungen<br />

Die Bewegung an der Uni (getragen von Studierenden und vom Lehrpersonal) richtet sich gegen die Entscheidung der Regierung, Diplome von privaten<br />

Universitäten mit solchen von staatlichen Unis gleichzusetzen. Das ist ein gewaltiger Angriff auf die öffentliche höhere Bildung, berichtet Lena<br />

Verde aus Athen.<br />

stützt von der Regierung, weigert einen<br />

Vertrag mit der Gewerkschaft zu unterschreiben.<br />

Am 5. November streikten<br />

Gemeindebedienstete 24 Stunden lang<br />

gegen die Privatisierung von wichtigen<br />

Bereichen im öffentlichen Dienst. Am<br />

gleichen Tag legten die Ärztinnen und<br />

Ärzte der öffentlichen Krankenhäuser<br />

die Arbeit nieder und versammelten sich<br />

vor dem Gesundheitsministerium. Sie<br />

riefen Slogans wie „Geld für die Gesundheit<br />

und für die Menschen, nicht für die<br />

Mönche und die Banker“ (es reimt sich<br />

auf griechisch – und Mönche deswegen,<br />

weil vor kurzem bekannt wurde, dass<br />

hohe Regierungsmitglieder öffentliche<br />

Grundstücke an die Kirche verkauft hatten<br />

– ein großer politischer und finanzieller<br />

Skandal, der zu einigen Rücktritten<br />

führte). Zusätzlich zu diesen Streiks gibt<br />

es viele Kämpfe gegen die Schließungen<br />

von Fabriken. 200 Angestellte von Siemens<br />

besetzen das Werk in Thessaloniki,<br />

weil die Verwaltung des Unternehmens<br />

beschlossen hat, es zu schließen. Mehr als<br />

100 Textilarbeiterinnen und –arbeiter in<br />

acht Fabriken im Norden Griechenlands<br />

befinden sich im gleichen Kampf um ihre<br />

Arbeitsplätze. Schon weiter fortgeschritten<br />

ist die Besetzung von Altec Telecoms,<br />

einem Callcenter, in Athen. Die Angestellten<br />

bewachen das Gebäude, die Maschinen<br />

und die Ausrüstung um die Bosse<br />

davon abzuhalten, sie zu verkaufen. Der<br />

Kampf in den Schulen und Universitäten<br />

ist also ein Teil, im Moment vielleicht der<br />

vielversprechendste, der großen Unzufriedenheit<br />

und der Kampfbereitschaft der<br />

Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse.<br />

DER KAMPf UM DAS BLEIBERECHT<br />

Tirol:<br />

Fall Bakary Jessay:<br />

Krieg gegen die Flüchtlingshilfe Lizenz zum Foltern – nicht immer!<br />

S I<br />

eit Oktober 2008 ist die Rechtsberatung der Ca- m April 2006 wurde in einer Lagerhalle ein Mann<br />

ritas in Tirol geschlossen, weil die Finanzierung aus Gambia von Polizisten verprügelt, gequält und<br />

durch den Europäischen Flüchtlingsfonds, das In- ihm wurde sogar seine Hinrichtung vorgetäuscht.<br />

nenministerium und das Land eingestellt wurde. Da- Bakary Jessay ist in Österreich verheiratet und das<br />

mit ist für Flüchtlinge in Tirol eine unhaltbare Lage Paar hat zwei Kinder. Trotzdem sollte er abgeschoben<br />

eingetreten, ihre Rechte sind akut gefährdet. Außer- werden. Aus der Schubhaft wurde er zum Flughafen<br />

dem wurden auch noch die Mittel für die Rechtsbe- gebracht, aber der Pilot weigerte sich die Deportation<br />

ratung für Asylwerberinnen und -werber durch das durchzuführen. Daraufhin brachten WEGA-Beamte<br />

Innenministerium halbiert. Das Ganze scheint eine den jungen Mann in eine verlassene Lagerhalle und<br />

Fortsetzung der Kampagne des Innenministeriums misshandelten ihn schwer, fuhren ihn sogar mit dem<br />

gegen Flüchtlingsorganisationen zu sein. Deren En- Auto nieder. Untersuchungsrichter und Staatsanwalt<br />

gagement verdanken es viele Flüchtlinge, dass ihre bestätigten mittels dritter Untersuchung die Brüche<br />

in der Verfassung verankerten Rechte anerkannt werden<br />

müssen – was dem Innenministerium wohl ein<br />

Dorn im Auge ist. Trotz aller Bemühungen, Flücht-<br />

am Schädelknochen. Dafür hätte es durchaus eine<br />

Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und<br />

unbedingten Haftstrafen geben können, die vier<br />

Demo am Tag des Bleiberechts am 10. Oktober<br />

Vöcklabruck:<br />

lingsorganisationen zu kriminalisieren sind deren<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Tag und Nacht<br />

aktiv im Schutze von Verfolgten. Im Oktober 2005<br />

WEGA Beamten kamen aber mit unbedingten Haftstrafen<br />

zwischen sechs bis acht Monaten davon. Die<br />

Polizisten wurden nicht entlassen, mussten lediglich<br />

Ärzte verhinderten Abschiebung schwer kranker Tschetschenin<br />

Herr Musa aus Tschetschenien (Name geändert) Patimat einen Bescheid zuzustellen. Die behandeln-<br />

wurde, als er mit einem seiner drei Kinder auf den Ärzte haben sich aber vor die Türe des Kranken-<br />

wurde gegen zwei Menschenrechtsanwälte wegen Geldstrafen bezahlen und wurden in den Innendienst dem Weg zum Büro von Asyl in Not war, verhaftet. zimmers gestellt und der Polizei den Zutritt verwehrt.<br />

„des Verdachts der Schlepperei“ und wegen „Auf- versetzt. Folter eines Schubhäftlings wird behandelt Er soll nach Tschechien abgeschoben werden. Sein Die Polizei versuchte auch, das Krankenhaus unter<br />

rufs zum Ungehorsam gegen die Gesetze“ Anzeige wie ein Kavaliersdelikt. Allerdings geht es jetzt in die Asylantrag in Tschechien war negativ beschieden Druck zu setzen, damit Frau Patimat auf die Straße<br />

erstattet, die Ermittlungen gegen die beiden aber nächste Runde, denn zumindest der Verwaltungsge- worden, sodass ihm von dort aus also die Ausliefe- gesetzt wird, da sie nicht mehr in Grundversorgung<br />

bereits wenige Tage später aus Mangel an Beweisen richtshof hat das Urteil der Disziplinarkommission rung an seine Verfolger in Russland droht. Vater sei. Wie wir hören, hat sich eine Frau, die im selben<br />

wieder eingestellt. Dabei kam ein neuer Einschüch- als zu milde aufgehoben, wie in der Entscheidung und Kind (3 Jahre alt) wurden ins Polizeigefängnis Flüchtlingsheim wie Patimat untergebracht war, vor<br />

terungsparagraph zum Einsatz, „den man bei Bedarf begründet wird. Der „sehr hohe Unrechtsgehalt der Rossauer Lände gebracht. Die beiden anderen Kinder kurzem umgebracht, als sie (auch in der Psychiatrie)<br />

heraus ziehen kann, um unliebsame AsylhelferInnen Tat“ wurde außer Acht gelassen. Außerdem gibt man (4 und 2 Jahre alt) befinden sich bei einer Bekannten, von ihrer bevorstehenden Abschiebung erfuhr. Frem-<br />

einzuschüchtern” wie es der Sprecher von SOS zu bedenken, “dass die Mitbeteiligten eine Schein- da ihre Mutter Patimat (Name geändert) vor einigen denpolizisten, die in ein Spital eindringen, um eine<br />

Mitmensch Philipp Sonderegger formuliert. Zur hinrichtung vorgenommen haben und die Tat eine Wochen mit Gerichtsbeschluss in eine Psychiatrische schwer kranke Patientin zu verschleppen, gehören<br />

Aufrechterhaltung der Rechtsberatung hat sich eine schwere Traumatisierung des Häftlings zur Folge hat- Klinik in Vöcklabruck eingewiesen wurde. Ihr ist im selbst hinter Gitter, und zwar schnell. Herr Musa hat<br />

Plattform gegründet. Sie sammeln Unterschriften te”. Wir erwarten uns bei der Neubehandlung durch Krieg sehr Schlimmes widerfahren, worüber sie nicht im Gefängnis einen neuen Asylantrag gestellt. Wie<br />

für eine unabhängige, nicht weisungsgebundenen die Disziplinarkommission keinen Durchbruch für reden kann. Es wurde eine posttraumatische Bela- wir von der Volkshilfe erfahren, wurden die beiden<br />

Rechtsberatung durch Juristinnen und Juristen, die die Menschenrechte, denn für einen solchen müsste stungsstörung diagnostiziert. Wie uns eine Mitarbei- Kinder, die bei der Bekannten untergebracht waren,<br />

im Fremden- und Asylrecht besonders geschult sind. die Schubhaft als Ganzes abgeschafft werden – zuterin der Volkshilfe Vöcklabruck berichtet, sind am ebenfalls festgenommen. Wohin sie gebracht worden<br />

Unterstützt die Plattform auf www.plattform-rechtsmindest wird nun aber das geschehene Verbrechen als Dienstag, 28.10., Fremdenpolizisten in die Psychiat- sind, wissen wir noch nicht.<br />

beratung.at mit Eurer Unterschrift.<br />

ein solches anerkannt.<br />

rische Klinik eingedrungen, angeblich nur, um Frau<br />

(Bericht von Asyl in Not)


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008 K O L U M N E N<br />

VERGESSEnE Geschichte<br />

Der crash der credit-Anstalt 1931<br />

Die österreichische Credit-Anstalt war 1931 die größte Bank Zentraleuropas. Ihr Zusammenbruch,<br />

der immer noch als eine der größten Bankenkrisen der Geschichte gilt, brachte die Weltwirtschaftskrise<br />

aus den USA nach Europa. Eine Bank nach der anderen und viele Industriebetriebe machten<br />

daraufhin Bankrott, schreibt Manfred Ecker.<br />

Am 8. Mai 1931 informierte die<br />

Credit-Anstalt die österreichische<br />

Regierung über ihre riesigen Verluste<br />

von über 140 Millionen Schilling,<br />

85 % des Firmenkapitals der Bank. Zu<br />

dieser Zeit war die Regierung zwar schon<br />

an Meldungen über Bankzusammenbrüche<br />

gewohnt, aber diese Nachricht veranlasste<br />

sie zu mehreren Geheimsitzungen.<br />

Die Position der damaligen österreichischen<br />

Regierung könnte man mit dem<br />

aktuellen Neoliberalismus vergleichen.<br />

Staatliche Eingriffe waren in den 1920er<br />

Jahren verpönt. Es hieß, die Wirtschaft<br />

könne sich selbst regulieren. Damals<br />

wie heute war das vor allem Rhetorik,<br />

die vergessen war, sobald wirtschaftliche<br />

Arbeitslosigkeit 1930<br />

Schwierigkeiten einen Konkurrenznachteil<br />

für die österreichische Wirtschaft<br />

bedeutet hätten. In drei Tagen wurde ein<br />

staatliches Rettungspaket von 100 Millionen<br />

Schilling erstellt, mit dem die Verluste<br />

der Gesellschafter und Aktionäre der<br />

Bank, der Familie Rothschild und des österreichischen<br />

Staates, abgedeckt werden<br />

sollten.<br />

Krisenherd Österreich<br />

Die Folgen der Credit-Anstalt Krise waren<br />

bald weltweit zu spüren. Ihre Jahresbilanz<br />

entsprach bis dahin den gesamten<br />

österreichischen Staatsausgaben, sie hatte<br />

Anteile an elf weiteren Banken und an<br />

40 weiteren Industrieunternehmen in<br />

der früheren österreichisch-ungarischen<br />

Monarchie. 69 % der GesmbHs in<br />

Österreich machten ihre Geschäfte mit<br />

der Credit-Anstalt und 14 % davon waren<br />

tief bei der Bank verschuldet. Sie war auch<br />

die erste europäische Bank, die an der New<br />

Yorker Börse eingeführt wurde. Über 50 %<br />

ihrer Aktien waren in ausländischem Besitz<br />

und ihre Kreditgeber waren vor allem<br />

britische und amerikanische Banken.<br />

Kooperation und Konkurrenz<br />

Das bedeutete, dass die Regierungen ähnlich<br />

wie heute zur Kooperation gezwungen<br />

waren, da ihnen drohte, im Sog der<br />

österreichischen Bankenkrise nach unten<br />

gezogen zu werden. Zuerst stimmte die<br />

Bank von England gegen einen Kredit an<br />

Österreich, was aber die Krise rasch vertiefte.<br />

Als die Probleme der Bank am 11.<br />

Mai bekannt wurden, stürmten die Kunden<br />

die Credit-Anstalt und andere Wiener<br />

Banken. Jetzt änderte die Bank von England<br />

ihre Strategie, weil klar wurde, dass<br />

der gesamte europäische Markt in Mitleidenschaft<br />

gezogen würde, und gewährte<br />

der Österreichischen Nationalbank einen<br />

Kurzzeitkredit und 130 ausländische Kreditgeber<br />

stimmten einem Stillhalteabkommen<br />

zu. Der österreichische Staat mit<br />

einem Jahresbudget von 1,8 Milliarden<br />

Schilling gewährte 1,2 Milliarden an Garantien<br />

für die internationalen Verpflichtungen<br />

der Bank. Doch die Hoffnungen<br />

der österreichischen Regierung, dass diese<br />

Maßnahmen ausreichen würden um den<br />

Absturz aufzuhalten, waren naiv.<br />

Verstaatlichung<br />

Es war zu erwarten, dass Österreichs Währung<br />

absinken würde, und in- und ausländische<br />

Anleger wechselten ihre Schilling-<br />

Guthaben in andere Währungen um. Bis<br />

Oktober 1931 verlor die Österreichische<br />

Nationalbank 700 Millionen Schilling an<br />

Fremdwährungen.<br />

Erst im Jänner 1933 kam es zu einer<br />

Übereinkunft mit den Gläubigern der<br />

Bank. Ihr altes Stammkapital wurde<br />

von 177,5 Millionen Schilling auf eine<br />

Million Schilling reduziert, und der<br />

österreichische Staat wurde mit 51%<br />

Mehrheitseigentümer und musste die<br />

Verantwortung für alle Außenstände der<br />

Bank übernehmen.<br />

1931 und 2008 herrscht bei den Eliten<br />

völliges Chaos und Unvermögen, die Krise<br />

zu verstehen und sie einzudämmen.<br />

Am Ende betrugen die Verluste der Bank<br />

mehr als eine Milliarde Schilling, das siebenfache<br />

des ursprünglich verlautbarten<br />

Verlustes. Der österreichische Staat und<br />

die Nationalbank übernahmen 70% der<br />

Verluste. Der größte Teil der Verluste<br />

waren faule Kredite, also Kredite, die<br />

der Bank mit dem einbrechenden Wirtschaftsabschwung<br />

nicht mehr zurückbezahlt<br />

werden konnten.<br />

Gier und Blindheit<br />

Ähnlich wie heute hatte die Bank in der<br />

vorhergehenden Phase des Booms in der<br />

Hoffnung auf immer weiter steigende<br />

Profite - man könnte auch sagen in blinder<br />

Gier - bedenkenlos Kredite vergeben.<br />

1929 krachte das amerikanische Finanzsystem<br />

und spätestens dann war klar, dass<br />

der Boom der Zwanzigerjahre zu Ende<br />

gehen würde. Der Aufschwung hatte keine<br />

solide Grundlage, sondern basierte auf<br />

einer Finanzblase, ähnlich der, die seit<br />

2000 aufgebaut wurde. Das sah schon<br />

1929 der Großteil der Ökonomen so, was<br />

die Kapitalisten aber nicht davon abhielt,<br />

weiter zu zocken. Denn alleine die Tatsache,<br />

dass die Krise an manchen Orten<br />

später eintrifft als an anderen, lässt sie<br />

blind für Risiko werden. Zwischen 1929<br />

und 1931 hat die Credit-Anstalt noch<br />

Unsummen an Zuckerbarone in Osteuropa<br />

verborgt, weil die Industrie von einem<br />

weiteren Wachstum ausging. Nun wo<br />

Märkte schrumpften, blieb sie auf dem<br />

Zucker sitzen und der Zusammenbruch<br />

setzte sich fort.<br />

Unverbesserlich<br />

Die aktuelle Finanzkrise hat sich ebenfalls<br />

schon im Herbst 2006 angekündigt,<br />

als der amerikanische Immobilienmarkt<br />

ernste Probleme bekam. Im Februar 2007<br />

schlitterte die größte europäische Bank<br />

HSBC in die Krise und dennoch haben<br />

unsere Banken bis heute ihre riskanten<br />

Geschäfte weiter geführt. Damals wie<br />

heute bekommen die Banken zur Fortführung<br />

ihrer dubiosen Geschäfte Steuergelder,<br />

was einfach bedeutet, dass wir<br />

die Kosten für ihre Krise aufgebürdet<br />

bekommen. Was sie aber wahrscheinlich<br />

nicht davon abhält, tiefer in de Krise zu<br />

rutschen.<br />

Bücher<br />

for Rebels<br />

von Tine Bazalka<br />

Vilma Neuwirth:<br />

Glockengasse 29. Eine jüdische<br />

Arbeiterfamilie in Wien.<br />

Milena Verlag, 2008.<br />

Zum 70. Mal jähren sich heuer<br />

die Novemberpogrome, die den<br />

Übergang von Ausgrenzung und<br />

Entrechtung zu Enteignung und Verfolgung<br />

der jüdischen Bevölkerung im deutschen<br />

Reich markierten. In einer konzertierten<br />

Aktion zerstörten als Zivilisten<br />

getarnte SA- und SS-Männer vom 7. bis<br />

13. November 1938 Synagogen und jüdische<br />

Geschäfte, vertrieben Jüdinnen<br />

und Juden aus ihren Wohnungen und<br />

deportierten erstmals Tausende in Konzentrationslager.<br />

Den Höhepunkt der<br />

antisemitischen Gewalttaten bildeten die Ereignisse<br />

in der von den Nazis „Reichskristallnacht“ genannten Nacht vom 9. auf<br />

den 10. November. In Wien allein wurden 42 Synagogen und Bethäuser<br />

verwüstet, tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert und<br />

beschlagnahmt, 6.647 Jüdinnen und Juden inhaftiert, von denen 3.700 in<br />

das KZ Dachau deportiert und mindestens 27 ermordet wurden.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die eben erschienene autobiographische<br />

Schilderung Glockengasse 29 von Vilma Neuwirth in zweierlei Hinsicht<br />

ein Geschenk: Sie erzählt das Schicksal einer halbjüdischen Familie in<br />

Wien, die den Naziterror „überstanden“ haben und gewährt gleichzeitig<br />

Einblick in das Leben einer jüdischen Arbeiterfamilie vor und während<br />

dem NS-Regime. Neuwirths Vater übersiedelte aus dem Schtetl von<br />

Tarnów im heutigen Polen nach Wien, wo er als Friseur arbeitete, Neuwirths<br />

Mutter stammt aus einer Retzer Weinbauernfamilie. Zusammen mit<br />

vielen anderen jüdischen Mietern wohnte die Familie im zweiten Bezirk<br />

in der Glockengasse 29, wo der Vater auch sein Friseurgeschäft hatte.<br />

Durch die Linse der Erfahrungen der damals zehnjährigen Vilma<br />

Neuwirth erfährt man von den plötzlichen Erschütterungen, die der<br />

Einmarsch Hitlers in Wien für den Kosmos der jüdischen und nichtjüdischen<br />

Hausparteien bedeutete: Die nachbarschaftliche Solidarität, der<br />

Zusammenhalt proletarischer Familien, verwandelte sich mit einem Mal<br />

ins Gegenteil, der wahrscheinlich lange genährte Antisemitismus wurde<br />

entfesselt. „Da war zum Beispiel unser Nachbar, Herr Högenwarth: Nur<br />

einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers stand er in einer maßgeschneiderten<br />

SA-Uniform und blank gewichsten Stiefeln auf dem Gang und<br />

wartete auf meinen Vater. […] ,Du Judensau, du Rassenschänder! Endlich<br />

ist der Zeitpunkt gekommen, um euch Judensäuen zu zeigen, wo’s<br />

lang geht!‘ “ In der Schule ist Neuwirth von ihren ehemaligen Freundinnen<br />

mit Anfeindungen konfrontiert. Sie und ihre Geschwister wurden<br />

zu „Geltungsjuden“ erklärt, da sie – obwohl nicht religiös erzogen – der<br />

jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten. Im Gegensatz zu getauften<br />

„Mischlingen“ fielen sie in dieselbe Kategorie wie die jüdische Bevölkerung.<br />

Vilma musste also die Schule verlassen und wurde in Folge<br />

verschiedenen Schulen für jüdische Kinder zugeteilt. Zwei von Vilmas<br />

Brüdern emigrierten, der Rest der Familie verdankt sein Überleben dem<br />

Mut der Mutter. Weil sie die Hauptmieterin der Wohnung war, wurde<br />

diese nicht arisiert – bald war die Familie aber die einzige jüdische Partei<br />

in dem Haus. Wenn Gestapo-Leute mitten in der Nacht in die Wohnung<br />

eindrangen um VIlmas Vater mitzunehmen, trat die Mutter ihnen mit<br />

angestecktem Hakenkreuz und den Worten „Was wollen Sie eigentlich<br />

von uns, ich bin Arierin und habe auch den Führer gewählt“, entgegen.<br />

Bis zum (natürlichen) Tod Vilmas Vater 1942 gelang es den NS-Schergen<br />

nicht, ihn festzunehmen. Auch Vilma und ihre Geschwister entgingen<br />

der Festnahme oft nur knapp und mit großem Glück. Ausgeholfen wurde<br />

ihnen immer wieder auch von Menschen, die sich in brenzligen Situationen<br />

doch auf ihre Seite schlugen, zum Beispiel wenn der Garderobier<br />

vom Eislaufplatz Vilma (der das Betreten der Anlage als Jüdin verboten<br />

war) bei einer SA-Razzia die Flucht ermöglichte. Auch in den Fabriken,<br />

in denen Vilma und ihre Schwester später Zwangsarbeit leisten mussten,<br />

trafen sie öfters zumindest auf passiven Widerstand. Bei Scharck-Ericsson<br />

zum Beispiel gab es laut Neuwirths Schilderung „unter den männlichen<br />

Arbeitern keinen Nazi oder Antisemiten. Außer einem, dem Personalchef<br />

Herrn von Kühn.“ Die Zwangsarbeiterinnen wurden von der Belegschaft<br />

freundlich begrüßt und mussten auch nicht innerhalb der für sie vorgesehenen<br />

Absperrung arbeiten. Ein Arbeiter bat Vilma während der Arbeitszeit<br />

ihren Judenstern, den „Schandfleck“, zu entfernen.<br />

Zwischen böswilligem, staatlich verordnetem wie individuellem Antisemitismus<br />

und seltener Hilfsbereitschaft überlebte Vilma Neuwirth also<br />

durch ihren Mut, den Mut ihrer Mutter, aber auch durch reines Glück<br />

den Nationalsozialismus. Ihre autobiographische Erzählung ist wertvoll,<br />

weil sie von Lebensumständen erzählt, die noch nicht oft zu Papier gebracht<br />

worden sind – Autobiographien, heißt es im Nachwort, sind eine<br />

eher bürgerliche und weniger eine proletarische Domäne - und spannend<br />

zu lesen. „Dieses Buch habe ich gelesen wie einen Krimi“, sagt Elfriede<br />

Jelinek im Vorwort.


10<br />

Ende Oktober 1918: Die Matrosen<br />

der in Kiel und Wilhelmshaven<br />

liegenden Hochseeflotte<br />

verweigern ihren Offizieren<br />

den Gehorsam. Sie nehmen ihren Vorgesetzen<br />

die Waffen und Rangabzeichen ab<br />

und übernehmen in den Küstenstädten<br />

selbst die Befehlsgewalt. Am nächsten<br />

Tag treten die Werftarbeiter in den Streik<br />

und stellen sich an die Seite der Soldaten.<br />

Die deutsche Revolution hat begonnen.<br />

Ihr vorausgegangen war der Erste Weltkrieg<br />

- der bis dahin schrecklichste und<br />

opferreichste Krieg. Es war der erste<br />

Krieg, in dem Kampfbomber, Flugzeugträger<br />

und massenhaft Giftgas eingesetzt<br />

wurden. Fast zehn Millionen Soldaten aus<br />

allen Ländern kamen in den Schlachten<br />

ums Leben, doppelt so viele wurden verletzt.<br />

Weitere zehn Millionen Zivilisten<br />

starben abseits der Front an Hunger und<br />

entbehrungsbedingten Krankheiten.<br />

Zu diesem Zeitpunkt war gewiss:<br />

Deutschland würde diesen Krieg verlieren.<br />

Dennoch befahl die deutsche Admiralität<br />

das Auslaufen zu einer letzten,<br />

verzweifelten Schlacht gegen die hoch<br />

überlegene britische Flotte - ein Selbstmordkommando<br />

zur Rettung der „Ehre”<br />

der Marineführung. Dies war auch den<br />

Matrosen klar. Sie weigerten sich.<br />

Von den Küsten breitete sich die Revolte<br />

rasch auf das ganze Reich aus und traf<br />

dabei auf wenig Widerstand. Ein Augenzeuge<br />

erinnerte sich: „Innerhalb einer<br />

Woche war die Revolution über Deutschland<br />

hinweggebraust. (...) Versammlungen,<br />

Demonstrationen der Arbeiter<br />

wurden abgehalten, aber sie waren keine<br />

Drohung mehr, sie waren Freudenfeste.<br />

Rote Fahnen flatterten, rote Bändchen<br />

leuchteten in den Knopflöchern, und die<br />

Gesichter lachten. Es war, als hätten die<br />

trüben, regnerischen Novembertage den<br />

Frühling gebracht.”<br />

Am Morgen des 9. November erreichten<br />

die Proteste die Hauptstadt: Riesige Demonstrationszüge<br />

zogen aus den Außenvierteln<br />

ins Stadtzentrum Berlins. Aus<br />

den meisten Kasernen, an denen die Demonstranten<br />

vorbeiliefen, schlossen sich<br />

ihnen Soldaten an. Mittags erreichten<br />

die immer größer werdenden Demonstrationen<br />

das Zentrum. Das Polizeipräsidium<br />

wurde besetzt und die Polizisten<br />

entwaffnet. In den frühen Nachmittagsstunden<br />

brach der Widerstand einzelner<br />

Offiziere, die sich in der Universität und<br />

in der Staatsbibliothek verschanzt hatten,<br />

zusammen.<br />

Unter dem Druck der Bewegung ließ<br />

Reichskanzler Prinz Max von Baden noch<br />

am selben Tag den Rücktritt Wilhelms<br />

II. vom kaiserlichen und königlich preußischen<br />

Throne verkünden. Kurz darauf<br />

übertrug er das Reichskanzleramt dem<br />

SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Wenige<br />

Tage nach Beginn der Proteste beendete<br />

ein Waffenstillstand das vierjährige<br />

Massenmorden des Ersten Weltkriegs.<br />

Teil einer internationalen Bewegung<br />

Deutschland war kein Einzelfall. Vielmehr<br />

sahen sich zu dieser Zeit fast alle europäischen<br />

Herrscher mit massenhaften<br />

Protesten, Streiks und Demonstrationen<br />

konfrontiert. Von 1917 bis 1920 gingen<br />

zwischen Moskau und Barcelona Millionen<br />

Menschen gegen die Auswirkungen<br />

des Ersten Weltkriegs auf die Straße. Sie<br />

protestierten gegen die schlechte Versorgungslage,<br />

besetzten Fabriken und<br />

bildeten Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte.<br />

Das österreich-ungarische Kaiserreich<br />

zerfiel, Ungarn wurde Räterepublik<br />

und in Italien gingen die Jahre 1919<br />

und 1920 als die „zwei Roten Jahre” in<br />

die Geschichte ein.<br />

Im Zentrum dieser Bewegungen stand<br />

Russland. Im Februar 1917 stürzten dort<br />

Arbeiter, Bauern und Soldaten die seit<br />

450 Jahren despotisch herrschende Zaren-Monarchie.<br />

Sie gründeten im ganzen<br />

Land Räte („Sowjets”), verteilten das<br />

Land der Großgrundbesitzer unter den<br />

T H E O R I E<br />

Kieler Matrosen marschieren nach ihrem Aufstand, wahrscheinlich am 10.11.1918,<br />

im Rahmen von Begräbnisfeierlichkeiten für die Opfer der Revolution.<br />

EINE ANDERE WELT WAR MögLICH<br />

Marcel Bois und Florian Wilde über die deutsche Revolution im November 1918 und ihr Scheitern.<br />

Bauern und nahmen die Fabriken und<br />

Betriebe unter ihre demokratische Kontrolle.<br />

Auch die Armee wurde demokratisch<br />

organisiert: Die Soldaten wählten<br />

nun ihre Offiziere. Im Oktober kam unter<br />

dem Slogan „Alle Macht den Räten”<br />

eine radikale Revolutionsregierung unter<br />

Führung der Bolschewiki an die Macht.<br />

Ein enormer gesellschaftlicher Aufbruch<br />

erfasste Russland. Das Land, das kurz zuvor<br />

noch in ganz Europa als „Hort der<br />

Reaktion” galt, wurde binnen kürzester<br />

Zeit zu einer der freiesten Gesellschaften<br />

der Welt.<br />

Gleichzeitig war Russland jedoch ein<br />

wirtschaftlich enorm rückständiges Land.<br />

Daher betrachteten die Bolschewiki den<br />

Umsturz immer als Teil einer internationalen<br />

Erhebung. Lenin erklärte 1918:<br />

„Es kann kein Zweifel daran bestehen,<br />

dass der Endsieg unserer Revolution eine<br />

hoffnungslose Sache wäre, wenn sie allein<br />

bliebe, wenn es in den anderen Ländern<br />

keine revolutionäre Bewegung gäbe. (...)<br />

Unsere Rettung aus all diesen Schwierigkeiten<br />

ist, wie gesagt, die Revolution in<br />

ganz Europa.”<br />

Die Hoffnungen der internationalen<br />

Revolution ruhten auf der deutschen Arbeiterbewegung,<br />

die seit Jahrzehnten die<br />

stärkste der Welt war.<br />

Rätemacht<br />

Das Deutsche Reich war zusammengebrochen.<br />

Die Monarchie gab es nicht<br />

mehr. Nicht einmal das Parlament hatte<br />

einen Rest von Autorität. Anfang November<br />

waren die einzigen Organe, die<br />

eine gewisse Macht besaßen, Arbeiter-<br />

und Soldatenräte. Sie waren in den Tagen<br />

nach den Matrosenaufstand im ganzen<br />

Land entstanden: Am 6. November hatten<br />

Räte die Macht in Bremen, Altona,<br />

Rendsburg und Lokstedt übernommen.<br />

Am nächsten Tag waren Köln, München,<br />

Braunschweig und Hannover gefolgt.<br />

Die restlichen großen Städte wurden am<br />

8. November von der Revolution ergriffen:<br />

Oldenburg, Rostock, Magdeburg,<br />

Halle, Leipzig, Dresden, Chemnitz, Düsseldorf,<br />

Frankfurt, Darmstadt, Stuttgart<br />

und Nürnberg.<br />

Die Mitglieder der Räte wurden von ihren<br />

Kollegen in den Betrieben und Ka-<br />

sernen demokratisch gewählt. Die Räte<br />

organisierten das öffentliche Leben, die<br />

Verteilung von Nahrung und die Demobilisierung<br />

der Soldaten. In Köln<br />

beispielsweise sorgte der Arbeiter- und<br />

Soldatenrat für Sicherheit und organisierte<br />

das Gesundheits-, Ernährungs-<br />

und Wohnungswesen. Er überwachte<br />

auch die Demobilisierung der Armee<br />

und leitete die Gerichte und die Banken.<br />

Da das Parlament keine Rolle mehr<br />

spielte, stützte sich die Reichsregierung,<br />

der „Rat der Volksbeauftragten”, auf eine<br />

Versammlung der Berliner Räte.<br />

Spontan war also aus den Kämpfen, Nöten<br />

und Bedürfnissen der Massen ein<br />

neues Modell entstanden, die Gesellschaft<br />

zu organisieren - ein Modell, das weitaus<br />

demokratischer als das Kaiserreich, aber<br />

auch als die parlamentarische Demokratie<br />

gewesen wäre. Viele Menschen<br />

dachten nun, die Revolution sei schon<br />

vollendet. Aber eine alte Ordnung zu<br />

stürzen, war nicht dasselbe wie eine neue<br />

zu begründen. Karl Liebknecht warnte<br />

in einer Rede vor tausenden Arbeitern:<br />

„Wenn auch das Alte niedergerissen ist,<br />

dürfen wir doch nicht glauben, dass unsere<br />

Aufgabe getan sei. Wir müssen alle<br />

Kräfte anspannen, um die Regierung der<br />

Arbeiter und Soldaten aufzubauen und<br />

eine neue staatliche Ordnung des Proletariats<br />

zu schaffen, eine Ordnung des<br />

Friedens, des Glücks und der Freiheit<br />

unserer deutschen Brüder und unserer<br />

Brüder in der ganzen Welt.”<br />

Tatsächlich waren die alten Eliten, die<br />

Deutschland in den Krieg geführt hatten,<br />

noch nicht vollkommen entmachtet.<br />

Vielmehr holten sie zum Gegenschlag<br />

aus. Sie waren jedoch zu diskreditiert,<br />

um öffentlich gegen die revoltierenden<br />

Arbeiter und Soldaten aufzutreten. Daher<br />

suchten sie nach einem unverdächtigen<br />

Verbündeten und fanden ihn in der<br />

SPD.<br />

„Hasse die Revolution wie die Sünde”<br />

Die Partei hatte sich weit von ihren sozialistischen<br />

Ursprüngen entfernt. Im<br />

Kaiserreich war sie tatsächlich noch eine<br />

revolutionär-marxistische Partei gewesen.<br />

Allerdings hatte sie in den Jahren vor<br />

Beginn des Weltkrieges eine allmähliche<br />

Rechtswendung vollzogen. 1914 billigte<br />

sie schließlich die deutsche Beteiligung<br />

am Ersten Weltkrieg.<br />

Lediglich eine kleine Gruppe von Sozialistinnen<br />

und Sozialisten um Rosa Luxemburg,<br />

Karl Liebknecht und Clara Zetkin<br />

hielt damals an einer antikriegs- und antikapitalistischen<br />

Haltung fest. Während<br />

des Krieges bauten sie innerhalb der SPD<br />

eine kleine Gruppe - den „Spartakusbund”<br />

- auf. Als 1917 ein großer Teil von<br />

Kriegsgegnern die SPD verließ, um die<br />

USPD zu gründen, arbeiteten die Spartakus-Leute<br />

in dieser neuen Partei mit.<br />

Im Gegensatz zu diesen beiden Gruppen<br />

wollte die SPD die Revolution nicht.<br />

Als die Proteste gegen den Krieg immer<br />

stärker wurden, erklärte der Parteivorsitzende<br />

Friedrich Ebert gegenüber Prinz<br />

Max von Baden: „Wenn der Kaiser nicht<br />

abdankt, dann ist die soziale Revolution<br />

unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja,<br />

ich hasse sie wie die Sünde.”<br />

Als die Revolution gekommen war,<br />

schloss sich die SPD ihr anfangs nur<br />

widerwillig an, versuchte dann aber, die<br />

Führung der Bewegung zu übernehmen.<br />

Dies gelang ihr auch: Denn die Mehrheit<br />

der Arbeiter und Soldaten identifizierte<br />

sich weiterhin mit der Partei. Jahrzehntelang<br />

war diese ihre Interessensvertretung<br />

gewesen. Daher schauten sie nach wie<br />

vor auf die SPD.<br />

Fatale Niederlage<br />

Der Aufstand der Arbeiter und Soldaten<br />

hatte die Möglichkeit geschaffen, die alten<br />

Eliten - das Militär, die kaiserliche<br />

Staatsbürokratie und die Unternehmer<br />

- endgültig zu entmachten. Die SPD-<br />

Führung aber entschloss sich, stattdessen<br />

ein Bündnis mit diesen einzugehen. Bereits<br />

am 10. November schlossen Ebert<br />

und Wilhelm Groener (der Chef der<br />

Obersten Heeresleitung) ein Geheimabkommen<br />

gegen eine weitere Radikalisierung<br />

der Revolution. Ein ähnlicher Pakt<br />

zwischen dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer<br />

Carl Legien und dem<br />

Arbeitgeberpräsidenten Hugo Stinnes<br />

folgte: Als Gegenleistung zur Zustimmung<br />

der Unternehmer zu umfassenden<br />

Sozialreformen versprach die Gewerkschaftsführung,<br />

das Privateigentum an<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Produktionsmitteln nicht grundlegend<br />

in Frage zu stellen.<br />

Zunächst versuchte die SPD-Führung,<br />

ihr Ziel auf subtile Art zu erreichen - indem<br />

sie die sozialdemokratische Mehrheit<br />

in den Räten nutzte, um diese zu<br />

entmachten. Auf dem reichsweiten Rätekongress<br />

argumentierten die SPD-Delegierten<br />

für ein Ende der Rätebewegung.<br />

Unter ihrem Einfluss gaben die Räte ihre<br />

Macht schließlich selbst wieder ab und<br />

stimmten für die Wahl zu einer Nationalversammlung,<br />

also für die parlamentarische<br />

Demokratie.<br />

Wo sich die Räte - wie in Bremen oder<br />

München - weigerten, ihre Macht abzugeben,<br />

oder wo - wie in Berlin - die<br />

Revolutionäre weiter für ein Vorantreiben<br />

der Revolution kämpften, wurden<br />

sie durch das Bündnis der SPD mit den<br />

„alten Mächten” blutig niedergeschlagen.<br />

Luxemburg und Liebknecht sind nur die<br />

bekanntesten unter den Toten dieses verzweifelten<br />

Kampfes für eine sozialistische<br />

Rätedemokratie. Revolutionäre Kämpfe<br />

flammten in den folgenden Jahren immer<br />

wieder auf. Jedes Mal fanden kämpfende<br />

Arbeiter die SPD auf der anderen Seite<br />

der Barrikaden. Im März 1920 zeigte sich<br />

jedoch, was für ein gefährliches Spiel die<br />

Partei in den letzten Jahren gespielt hatte:<br />

Militärs und Freikorps - teilweise unter<br />

Hakenkreuzfahnen - putschten gegen die<br />

SPD-geführte Reichsregierung, die aus<br />

Berlin fliehen musste. Dem so genannten<br />

Kapp-Putsch stand die sozialdemokratische<br />

Führung ohnmächtig gegenüber.<br />

Es waren schließlich die Arbeiter, die die<br />

Republik mit dem größten Generalstreik<br />

der deutschen Geschichte retteten. Erneut<br />

wurden Räte gebildet, bewaffnete<br />

Arbeiter griffen monarchistische Armeeeinheiten<br />

an. Unter der Wucht des<br />

Streiks brach der Putsch nach wenigen<br />

Tagen zusammen. Aber erneut weigerte<br />

sich die SPD, die Situation zu einer umfassenden<br />

Demokratisierung des Militär-<br />

und Staatsapparates zu nutzen. Stattdessen<br />

setzte sie die Reichswehr ein, um<br />

die Rätebewegung im Ruhrgebiet blutig<br />

niederzuschlagen. Die sozialistische<br />

Revolution scheiterte so schließlich in<br />

Deutschland. Dies hatte zur Folge, dass<br />

das sozialistische Russland isoliert blieb<br />

und sich dort ein neues Unterdrückungssystem<br />

durchsetzen konnte: Die Schreckensherrschaft<br />

Stalins.<br />

Errungenschaften<br />

Und dennoch: Alle Errungenschaften<br />

der Weimarer Republik wären ohne die<br />

revolutionären Aktionen der Massen im<br />

November 1918 nicht möglich gewesen.<br />

So schlossen die Arbeitgeberverbände<br />

unter dem Druck der Streiks ein Zentralabkommen<br />

mit den Gewerkschaften zur<br />

Regelung der Arbeitsbedingungen durch<br />

Tarifverträge. Sie stimmten der Bildung<br />

von Betriebsräten in Betrieben mit mindestens<br />

50 Beschäftigten zu und setzten<br />

das Höchstmaß der täglichen Arbeitszeit<br />

auf acht Stunden bei vollem Lohnausgleich<br />

fest. Auch die Republik selbst, das<br />

Frauenwahlrecht und die Sozialgesetzgebung<br />

sind ein Produkt der Revolution.<br />

Andererseits bestätigte die Novemberrevolution<br />

das Wort Saint-Justs aus der<br />

Französischen Revolution: Wer eine Revolution<br />

nur halb macht, schaufelt sich<br />

sein eigenes Grab. Die Kapitalisten, die<br />

Deutschland bereits in den 1. Weltkrieg<br />

getrieben hatten, behielten ihre Macht.<br />

Staatsapparat, Justiz und Militär wurden<br />

nicht umfassend demokratisiert. Die<br />

Entfernung von monarchistischen Gegnern<br />

der Republik aus einflussreichen<br />

Positionen unterblieb. Im Bündnis mit<br />

den Nationalsozialisten konnten diese<br />

„Eliten” so 1933 die Republik beseitigen,<br />

die Arbeiterbewegung zerschlagen und<br />

einen weiteren Weltkrieg für ihre Profite<br />

und Großmachtphantasien führen.


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 121 :: November 2008<br />

Wagenhofer möchte die<br />

verschlungenen Wege<br />

des globalen Finanzmarktes<br />

aufspüren und nachzeichnen,<br />

und das gelingt ihm ziemlich<br />

gut. Gleich zu Beginn des Films<br />

bekommt man den Eindruck, dass<br />

die Weltwirtschaft in ihrer jetzigen<br />

Form für den Regisseur eigentlich<br />

mit Raub gleichzusetzen ist. Die<br />

Goldbarren, denen die Kamera von<br />

Afrika in die Schweiz folgt, stehen<br />

als Symbol dafür. Kapital aus allen<br />

Ecken der Welt wird in den Händen<br />

einiger Weniger konzentriert, und<br />

von dort zieht es von neuem um<br />

den Globus, um sich auf Kosten der<br />

schon einmal Ausgebeuteten weiter<br />

zu vermehren. 97% des Profits für<br />

einen Goldbarren werden in Europa<br />

gemacht, 3% bleiben in Afrika.<br />

Was wie ein moralisches Argument<br />

klingt, verdeutlicht in Wirklichkeit<br />

in wenigen Bildern, worauf Kapitalismus<br />

aufbaut: Ausbeutung und<br />

Jagd nach Profiten. Das gleiche<br />

Spiel wird mit dem Geld getrieben,<br />

das die Banken für uns „verwalten“.<br />

Ein großes Plus des Films ist,<br />

dass Wagenhofer auch (ehemalige)<br />

Befürworter des globalisierten Finanzwesens<br />

zu Wort kommen lässt,<br />

deren Ausführungen seine Thesen<br />

noch unterstützen. „Emerging<br />

Markets (Aufkommende Märkte),“<br />

doziert der Finanzguru, „haben wir<br />

früher unterentwickelte Länder<br />

oder Entwicklungsländer genannt.“<br />

Das tut man jetzt nicht mehr, denn<br />

Unterentwicklung ist dort, wo vor<br />

allem Wachstumsraten zählen, eine<br />

große Chance. Niedrige Löhne<br />

und ein lückenhaftes Rechtssystem<br />

versprechen schnelle Profite. Der<br />

Finanzguru investiert vor allem die<br />

Gelder der privaten Pensionsfonds,<br />

von denen eine ordentliche Rendite<br />

erwartet wird. „Innerhalb der<br />

nächsten 20, 30 Jahre werden hier<br />

sicher keine sozialen Standards oder<br />

Umweltschutzbestimmungen eingeführt“,<br />

erzählt der in Indien tätige<br />

österreichische Unternehmer Mirko<br />

Kovats und versucht seine Freude<br />

darüber gar nicht zu verbergen.<br />

Aus Indien führt uns Wagenhofer<br />

wieder zurück in die Schweiz, wo er<br />

einen absoluten Fan des Neoliberalismus<br />

zu Wort kommen lässt: den<br />

Chefredakteur des Wirtschaftsres-<br />

K U L T U R<br />

„Let’s make money“<br />

Mit seinen Dokumentarfilmen beweist der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer ein schon fast<br />

gespenstisches Gespür für aktuelle Themen. Seiner ersten Dokumentation „We feed the world“ über die Auswüchse<br />

der globalisierten Nahrungsmittelindustrie folgte die Lebensmittelkrise beinahe auf dem Fuße, der Film „Let’s<br />

make money“ ist jetzt, da die Wirtschaftskrise über uns hereinbricht, in die Kinos gekommen.<br />

von Tine Bazalka<br />

Take Me To The River:<br />

A Southern Soul Story 1961 - 1977<br />

Take me To The River<br />

Der amerikanische Süden ist berüchtigt<br />

für Rassismus und das Vorherrschen<br />

traditioneller Kulturbegriffe – kaum zu<br />

glauben, welche (in den Augen mancher<br />

Menschen) „subversive“ Musik<br />

dort in den Sechziger Jahren entstanden<br />

ist.<br />

Während in den frühen Sechziger Jahren<br />

in manchen US-Bundesstaaten sogar per<br />

Gesetz verboten war, dass in der Öffentlichkeit<br />

Schwarze gegen Weiße Schach<br />

spielten (!) machten sich in Tenessee<br />

junge Musiker und Musikerinnen verschiedenster<br />

Hautfarbe daran, IHREN<br />

Sound der Soul-Music zu definieren.<br />

Sie mischten Gospel und Country mit<br />

Blues und Rock’n’Roll und spielten ihre<br />

„Let‘s make money“, der neue Dokumentarfilm von Erwin Wagenhofer.<br />

Songs live in den schwarzen<br />

Clubs und auf den College-<br />

Parties der Weißen. Die in<br />

dieser Aufbruchstimmung entstanden<br />

Platten waren dadurch<br />

geprägt, dass (bzw. nur möglich,<br />

weil) die involvierten<br />

Weißen keine Berührungsängste<br />

hatten und sowohl<br />

die beteiligten Musiker und<br />

Musikerinnen als auch die<br />

Produzenten keine Grenzen<br />

kannten. Der Erfolg gab ihnen<br />

Recht - bereits Mitte der Sechziger Jahre<br />

hatte beispielsweise die Plattenfirma Stax<br />

aus Memphis dem mächtigen Motown-<br />

Label aus Detroit den Rang abgelaufen,<br />

Etta James, Otis Redding oder Al Green<br />

fanden sich auf Spitzenplätzen in den<br />

Charts. Dies galt für manche unverbesserliche<br />

Betonköpfe als Provokation. Sie<br />

warnten davor, dass die amerikanische<br />

Jugend durch den schädlichen Einfluss<br />

der „Negro Records“ gefährdet sei. Die<br />

nun vorliegende Box würdigt in umfassender<br />

Weise das Wirken jener Pioniere<br />

und beinhaltet 75 Titel auf drei CDs,<br />

darunter klassische Hits ebenso wie bislang<br />

unveröffentlichtes Material.<br />

http://www.acerecords.co.uk<br />

sorts der Neuen Zürcher <strong>Zeitung</strong>,<br />

der gleichzeitig den Vorsitz in der<br />

deutschen Friedrich von Hayek-<br />

Stiftung innehat. Für ihn setzten<br />

Ronald Reagan in den USA und<br />

Margret Thatcher in Großbritannien<br />

ein schon lange überfälliges<br />

Projekt um. Die Deregulierung der<br />

Märkte und fallende Grenzen für<br />

Kapital und Güter waren offensichtlich<br />

großartige Ideen – anders sieht<br />

er es bei Menschen, die diese eigentlich<br />

nicht mehr existierenden Grenzen<br />

übertreten wollen. Der Redakteur<br />

könnte sich einen Eintrittspreis<br />

für die Einreise vorstellen - wie in<br />

einem Golfklub, wo man ja schließlich<br />

auch dafür zahlt, dass andere<br />

vor einem das Klubhaus aufgebaut<br />

haben. Unwillkürlich erinnert man<br />

Leo K`s Musiktipps<br />

Mit dem neuen Album ist es der<br />

britischen Alternative-Band eindrucksvoll<br />

gelungen, ihre<br />

Live-Qualitäten ins Studio<br />

zu bringen und dort auszuleben.<br />

Asian Dub Foundation<br />

(ADF) wurde<br />

als Bandkollektiv<br />

1993 vom Musiklehrer<br />

Dr. Das,<br />

dem 15- jährigen Schüler<br />

Deeder Zaman und dem Sozialarbeiter<br />

DJ Pandit gegründet. Sie gelten als<br />

Flaggschiff der antirassistischen und anderer<br />

Bewegungen der letzten 15 Jahre,<br />

die in ihren Texten die weitreichenden<br />

Folgen des globalen Kapitalismus anprangern.<br />

Die Musik ist laut Eigendefinition<br />

eine „Anti-Fusion“ aus vielen<br />

Stilrichtungen, darunter Breakbeat,<br />

Dub, Jungle, Drum’n’Bass, Hip-Hop<br />

und natürlich Rock. ADF gelten als<br />

hervorragende Liveband: Radiohead,<br />

die Beastie Boys oder Rage Against The<br />

Machine wollten sie als Support haben.<br />

Auf ihrem elften Album „Punkara“ gelingt<br />

ADF eine Abkehr von den eher<br />

cluborientierten Sounds der früheren<br />

Werke, statt dessen herrschen Songs<br />

sich an die Goldbarren und fragt<br />

sich, ob diese Klubmitglieder überhaupt<br />

jemals irgendetwas selbst aufgebaut<br />

haben.<br />

Weitere Schauplätze des Films sind<br />

unter anderem Spanien, wo die<br />

(mittlerweile auch geplatzte) Immobilienblase<br />

die Küsten in Betonwüsten<br />

verwandelt hat, in denen aber<br />

niemand wohnt; Burkina Faso, das<br />

trotz seiner Baumwollexporte zu den<br />

ärmsten Ländern der Welt gehört<br />

(die USA weigern sich, ihre Subventionen<br />

für heimische Baumwollproduzenten<br />

zu streichen und drücken<br />

so die Preise) und die Kanalinsel<br />

Jersey. Durch Jersey oder ähnliche<br />

Steuerparadiese fließt mittlerweile<br />

offenbar ein Großteil alles Kapitals,<br />

weil es diese Länder erlauben, das<br />

Geld anonym weiterzuverwenden.<br />

Nach diesen Film beschleicht einen<br />

zuerst einmal das Gefühl, in einem<br />

riesigen, deregulierten Irrenhaus zu<br />

leben. Doch obwohl Wagenhofer<br />

sich auf die Auswirkungen des freien<br />

Kapitalverkehrs und der IWF-<br />

Strukturanpassungsprogramme der<br />

70er und 80er Jahre und auf den<br />

Abbau öffentlicher Pensionssysteme<br />

(also die Überschwemmung der<br />

Finanzmärkte mit den Geldern für<br />

private Pensionsvorsorge) konzentriert,<br />

kann man dem Film ohne<br />

weiteres eine kapitalismuskritische<br />

(oder –feindliche) Grundhaltung<br />

unterstellen.<br />

„Der kleine Mann und die kleine<br />

Frau“, sagt der Bundestagsabgeordnete<br />

Hermann Scheer (interessanterweise<br />

von der SPD) gegen Ende<br />

des Films, sind in diesem System<br />

vollkommen machtlos geworden,<br />

außer sie organisieren sich. Na<br />

dann, los.<br />

Asian Dub Foundation:<br />

Punkara<br />

Asian Dub Foundation<br />

mit lauten Gitarren und scheppernden<br />

Drums vor, in die zur Abwechslung<br />

einige orientalische Parts eingestreut<br />

sind. Die sprichwörtliche Live-Energie<br />

der Band wurde im Studio perfekt eingefangen.<br />

Genialer Höhepunkt ist die<br />

Coverversion des Stooges-Klassikers<br />

„No Fun“, die zusammen mit Iggy Pop<br />

entstand. Inhaltlich wenden sich ADF<br />

einmal mehr gegen das System und die<br />

Heuchelei der Herrschenden und des<br />

biederen Bürgertums in Bezug auf den<br />

Umgang mit Problemen wie Drogenmissbrauch.<br />

Live-Tipp (wie immer für<br />

kurzfristig Entschlossene): Am Mittwoch,<br />

12.November 2008 treten Asian<br />

Dub Foundation im Planet (Gasometer)<br />

auf, Beginn ist um 20:00 Uhr.<br />

http://www.myspace.com/<br />

asiandubfoundationuk<br />

WAS<br />

WIR<br />

WOLLEN<br />

11<br />

Eine andere Welt. heute lebt die hälfte<br />

der Menschheit von weniger als 2 Dollar<br />

pro tag, 67% der Reichtümer sind<br />

in den händen von nur 2% der Bevölkerung,<br />

die UsA alleine geben mehr als<br />

400 Milliarden Dollar im Jahr für Waffen<br />

aus, nur 324 Milliarden Dollar wären<br />

nötig, um die schlimmste Armut zu<br />

beseitigen.<br />

hunger, Krieg und die Zerstörung der<br />

Umwelt sind völlig unnötige Nebenprodukte<br />

des Konkurrenzkampfs und der<br />

Gier der wenigen superreichen, die<br />

unsere Gesellschaft beherrschen. Was<br />

heute produziert wird, würde schon ausreichen,<br />

um alle Menschen der Welt mit<br />

dem Grundlegendsten zu versorgen.<br />

Demokratische Kontrolle. Wir wollen<br />

eine Gesellschaft, in der gezielt für die<br />

Bedürfnisse der gesamten Menschheit<br />

und mit Rücksicht auf die Natur produziert<br />

wird. Dafür ist eine wirklich demokratische<br />

Ordnung nötig, in der die werktätigen<br />

Menschen das sagen haben.<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter produzieren<br />

allen Reichtum dieser Welt. eine neue<br />

Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn<br />

sie die Produktion ihrer Reichtümer und<br />

ihre Verteilung kontrollieren. Um eine<br />

solche gerechte – eine sozialistische<br />

– Gesellschaft errichten zu können,<br />

müssen Arbeiter und Arbeiterinnen kollektiv<br />

gegen das herrschende system<br />

vorgehen, seine staatlichen strukturen<br />

zerschlagen und kollektiv die Kontrolle<br />

übernehmen.<br />

Internationalismus. Wir leben in einer<br />

Zeit, in der Millionen Menschen gegen<br />

Krieg und Kapitalismus aufstehen und<br />

sich international vernetzen. Die globalen<br />

Protestbewegungen, die mit seattle<br />

1999 die Bühne betreten haben, fordern:<br />

„eine andere Welt ist nötig – eine<br />

andere Welt ist möglich!“<br />

Gegen Unterdrückung. Wir leben auch<br />

in einer Welt, in der weltweite Konzerne<br />

die Wirtschaft dominieren. Nur wenn wir<br />

uns international verbinden und andere<br />

Grenzen wie Rassismus und sexismus<br />

überwinden, können wir erfolgreich gegen<br />

die herrschenden eliten vorgehen.<br />

Gegen Rassismus. Wir wenden uns aktiv<br />

gegen alle Versuche, die Werktätigen<br />

verschiedener herkunft gegeneinander<br />

zu hetzen. Wir sind gegen jede Diskriminierung,<br />

gegen einwanderungskontrollen,<br />

gegen Arbeitsverbote und für grenzüberschreitende<br />

solidarität. Gewerkschaften<br />

müssen sich im Zeitalter der<br />

Globalisierung mit Arbeiterinnen und<br />

Arbeitern aller Länder solidarisieren.<br />

Während sich das interesse der globalen<br />

eliten auf die Beherrschung der erdölreichsten<br />

Regionen konzentriert, werden<br />

ihre Kriege mit Propaganda gegen<br />

Muslime gerechtfertigt. Wir stehen für<br />

solidarität mit der muslimischen Bevölkerung<br />

und für das volle Recht auf freie<br />

Religionsausübung.<br />

Gegen Krieg. Krieg ist die grausamste<br />

Form des internationalen Konkurrenzkampfs,<br />

aber auch Ausdruck für den<br />

Bankrott und die hilflosigkeit der herrschenden<br />

eliten. Wir glauben, dass eine<br />

radikale und internationale Bewegung<br />

gegen Krieg heute schon das kapitalistische<br />

system erschüttern kann und<br />

den Grundstein für weitere Kämpfe für<br />

eine gerechte Welt legen kann.<br />

Revolutionäre Partei. Unsere herrscher<br />

sind deshalb so mächtig, weil sie<br />

organisiert sind. sie kontrollieren die<br />

Medien, die Justiz, Polizei und Militär.<br />

Um diese Macht zu konfrontieren, müssen<br />

sich auch die Werktätigen organisieren.<br />

Wir glauben, dass diejenigen,<br />

die eine völlig andere Welt wollen, sich<br />

zusammentun müssen und die entwicklung<br />

der Protestbewegungen nicht dem<br />

Zufall überlassen dürfen. Je stärker die<br />

revolutionäre strömung innerhalb der<br />

Bewegung ist, desto mächtiger wird die<br />

Bewegung als Ganzes.


<strong>Linkswende</strong><br />

Für Sozialismus von unten<br />

AfgHANISCHE BEvöLKERUNg STEHT vOR<br />

WINTERLICHER HUNgERSNOT<br />

In Afghanistan leben<br />

235.000 Menschen ohne<br />

Dach über dem Kopf.<br />

Während die USA und die NATO neue Strategien überlegen, um dem wachsenden Widerstand in der afghanischen Bevölkerung Herr zu werden<br />

und die Truppen aufstocken, steht ein Großteil der afghanischen Bevölkerung vor dem Abgrund. Simon Assaf berichtet über die Pläne der USA und<br />

wie sie die Bevölkerung im Stich lassen.<br />

Internationale Hilfsorganisationen warnen,<br />

dass Afghanistan von einer Hungersnot bedroht<br />

wird, die das Leben von Millionen<br />

Menschen gefährdet. Schätzungen zufolge<br />

drohen 8,4 Millionen Afghaninnen und Afghanen<br />

– ein Viertel der Bevölkerung – im kommenden<br />

Winter zu verhungern. Gründe dafür<br />

sind schwere Lebensmittelknappheit, hohe Preise<br />

und eine Dürre während des Sommers.<br />

Das „World Food Programme“, eine Organisation<br />

der Vereinten Nationen, bekräftigt, dass<br />

das Land 95.000 Tonnen Notfallslieferungen<br />

braucht. Viele Afghaninnen und Afghanen<br />

müssen Gras essen. Unzählige andere sind bereits<br />

vor Hunger gestorben. Die Organisation<br />

schätzt, dass 30 Millionen Afghanen in akuter<br />

Armut leben – mehr als vor der US-Invasion im<br />

Jahr 2001.<br />

Bis jetzt haben die USA für den Krieg in Afghanistan<br />

135 Milliarden Euro ausgegeben, geht<br />

aus einem Bericht des US-Kongress hervor. Im<br />

Gegensatz dazu hat das Land nur 12 Milliarden<br />

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der 20 Milliarden Euro an Hilfszahlungen erhalten,<br />

die zu Beginn des Krieges versprochen<br />

wurden. Etwa 40 Prozent dieser Hilfen wurden<br />

westlichen Firmen für verfehlte „Wiederaufbauprojekte”<br />

ausbezahlt.<br />

Trotz dieser sich abzeichnenden humanitären<br />

Katastrophe planen die USA, die militärischen<br />

Angriffe auf das Land auszuweiten. Sie werden<br />

weitere 20.000 Soldaten nach Afghanistan schicken,<br />

um das Ruder für die NATO-Besatzung<br />

des Landes doch noch herumzureißen. Diese erneute<br />

Truppenaufstockung ist ein Teil des Plans<br />

der USA und ihrer NATO-Verbündeten, Teile<br />

des Widerstands, die jetzt plötzlich als „moderat”<br />

bezeichnet werden, dazu zu überreden, sich<br />

in „Stammesmilizen” zu organisieren und sich<br />

mit der Besatzung zu verbünden.<br />

Herzstück<br />

General David Petraeus, der neue US-Kommandant<br />

für die Region, hat diese Verhandlungen<br />

zum Herzstück seiner neuen Strategie erklärt.<br />

Sogar die Falken der US-Administration, die<br />

auf eine Invasion gedrängt haben, rufen jetzt<br />

nach einem Abkommen. „Wir sollten sehen, ob<br />

wir die natürlichen Kräfte Afghanistans nützen<br />

können, um eine Struktur zu errichten, mit der<br />

wir leben können”, erklärte Brent Scowcroft,<br />

der ehemalige nationale Sicherheitsberater von<br />

George Bush. „Es war ja hauptsächlich eine<br />

Stammes- oder Kriegsherrengesellschaft, die lose<br />

von einer Regierungseinheit verwaltet wurde.”<br />

Diese „natürlichen Kräfte” sind dieselben Leute,<br />

von denen uns früher gesagt wurde, sie seien<br />

„Extremisten” und müssten von der Feuerkraft<br />

der „westlichen Zivilisation” besiegt werden.<br />

Die neue US-Strategie ist ein Versuch, ein ähnliches<br />

Abkommen wie im Irak zustande zu bringen.<br />

Dort haben die USA Teile des irakischen<br />

Widerstands gekauft und sie in „Awakening<br />

Councils“ umbenannt – USA-treue Milizen, die<br />

aus früheren Widerstandskämpfern bestanden.<br />

Es gibt aber keine Garantie dafür, dass diese<br />

Strategie in Afghanistan oder im Irak funktionieren<br />

wird. Trotz der nicht lange zurück-<br />

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BLZ: ………………… Ort, Datum: …………………………………………… Unterschrift: ……………………………………………<br />

liegenden, von Saudi Arabien eingefädelten,<br />

Gespräche zwischen dem Widerstand und der<br />

afghanischen Regierung, sagt ein hoher Taliban-<br />

Kommandant zu Newsweek: „Es gibt nichts zu<br />

bereden.“<br />

Afghanistans Probleme wurden durch die<br />

erzwungene Rückführung von geschätzten<br />

276.000 Flüchtlingen verstärkt – die Mehrheit<br />

kam aus dem benachbarten Pakistan, von wo<br />

viele vor den pakistanischen Truppen fliehen.<br />

Die USA und ihre Verbündeten hoffen, dass diese<br />

Offensive die sicheren Rückzugsgebiete des<br />

afghanischen Widerstands zerstören wird. Aber<br />

die Ausbreitung der Kämpfe über die Grenzen<br />

löst eine gefährliche Eskalation des Krieges aus.<br />

Was auch immer das Ergebnis der neuen Strategie<br />

der Besatzung sein mag, es wird von den<br />

verarmten und verzweifelten Afghaninnen und<br />

Afghanen, die einen Winter des Hungers vor<br />

sich haben, verurteilt werden – während weiterhin<br />

Milliarden Dollar für die Zerstörung ihres<br />

Landes ausgegeben werden.<br />

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