PDF-Zeitung - Linkswende
PDF-Zeitung - Linkswende
PDF-Zeitung - Linkswende
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Linkswende</strong><br />
für Sozialismus von unten<br />
Nr. 135 • April 2010 • Spende 1,50 EUR • Solidaritätsspende 2,00 EUR<br />
www.linkswende.org<br />
Kandidatur von Barbara Rosenkranz<br />
Bildungsstreik<br />
ENTLARVT<br />
Foto: Christian Stipkovits<br />
DIE<br />
In unserem Theorieartikel loten Judith<br />
Litschauer und Hannah Krumschnabel<br />
die Chancen, Umstände und Ziele<br />
eines möglichen Unistreiks aus.<br />
>> Seite 10<br />
FPÖ<br />
Anfang März musste die FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz eine eidesstattliche Erklärung<br />
unterzeichnen, in der sie sich vom Nationalsozialismus distanzierte. Ein Prozedere, das nicht von jedem verlangt<br />
wird, der für das Amt in der Hofburg kandiert, schreibt Livia Grestenberger.<br />
Besonders glücklich sah Rosenkranz<br />
beim Unterschreiben<br />
nicht aus, vermutlich weil sie<br />
um die Gruppe der rechtsextremen<br />
Wählerinnen und Wähler fürchtete,<br />
die sie nun verloren haben könnte.<br />
Die haben sich allerdings längst damit<br />
abgefunden, dass FPÖ-Politiker<br />
trotz offensichtlicher politischer Gesinnung<br />
sich ab und zu von dieser distanzieren<br />
müssen, um das Image der<br />
FPÖ als „normale“ bürgerliche Partei<br />
zu wahren. In zahlreichen Neonazi-<br />
Foren wurde Rosenkranz‘ Handeln<br />
zwar kritisiert, trotzdem wird ihr<br />
weiterhin die Treue gehalten.<br />
Diese hatte sie sich in den letzten<br />
Jahren ihrer politischen Tätigkeit<br />
zum Beispiel durch ihre Kritik am<br />
NS-Verbotsgesetz sichern können.<br />
Auch ihr Ehemann Horst Jakob<br />
Rosenkranz, Spitzenkandidat der<br />
wegen Wiederbetätigung verbotenen<br />
Liste „Nein zur Ausländerflut“<br />
und regelmäßiger Schreiber für die<br />
rechtsextreme Zeitschrift „Fakten“,<br />
konnte durch seine eigenen Verbindungen<br />
zu rechtsextremen Kreisen<br />
genau diese zu potentiellen Wähler<br />
für Barbara Rosenkranz machen.<br />
An der politischen Tätigkeit ihres<br />
Mannes findet Rosenkranz übrigens<br />
nach eigener Aussage nichts „Ehrenrühriges“.<br />
Die Taktik, Personen mit eindeutigen<br />
Verbindungen zum Rechtsextremismus<br />
in wichtige Positionen<br />
innerhalb der Partei zu bringen, oder<br />
wenn möglich auch im Staat, hat sich<br />
in der FPÖ seit der Machtergreifung<br />
Jörg Haiders gehalten.<br />
Ein weiteres gutes Beispiel dafür ist<br />
die Nominierung Martin Grafs zum<br />
dritten Nationalratspräsidenten. Seine<br />
abwertenden Aussagen gegen das<br />
NS-Verbotsgesetz sind zwar wahrlich<br />
nichts Überraschendes für ein Mitglied<br />
der FPÖ, daneben hat er allerdings<br />
auch starke Verbindungen zu<br />
schlagenden Burschenschaften und<br />
höchst dubiose Parlamentsmitarbeiter,<br />
die sich Material bei dem neonazistischen<br />
„Aufruhr“-Verlag bestellen.<br />
Dass Martin Graf solcherlei<br />
nicht zu ernst nimmt, versteht sich<br />
von selbst, da er ja nach eigener Aussage<br />
nichts vom „antifaschistischen<br />
Grundkonsens“ hält.<br />
Strache selbst passt als Parteiobmann<br />
perfekt in dieses Schema; seit seiner<br />
Jugend hat er Kontakte zu prominenten<br />
österreichischen Neo-Nazis,<br />
der bekannteste davon ist Norbert<br />
Burger, Gründungsmitglied der neonazistischen<br />
NDP.<br />
Nach dem Auftauchen der berüchtigten<br />
„Paint Ball“-Fotos musste<br />
Strache auch Verbindungen zur<br />
„Wiking-Jugend“ eingestehen. Diese<br />
Fotos zeigen ihn außerdem neben<br />
Prominenten der österreichischen<br />
Neonazi-Szene, wie etwa Andreas<br />
Thierry.<br />
Obwohl Strache seine Vergangenheit<br />
zu verharmlosen sucht, sieht<br />
man auch an heutigen Aussagen<br />
seinerseits, das er sich ideologisch<br />
kaum gewandelt hat, wie etwa ein<br />
Interview mit der israelischen Tageszeitung<br />
„Haaretz“ zeigt, in dem<br />
Strache den Anschluss 1938 mit der<br />
Entwicklung der EU vergleicht.<br />
Diese oben genannten Verbindungen,<br />
Kontinuitäten und eindeutigen<br />
Aussagen sind keine unüberlegten<br />
„Ausrutscher“ von einzelnen<br />
Parteimitgliedern in einer ansonsten<br />
„normalen“ Partei, sondern beschreiben<br />
den eigentlichen Kern der FPÖ,<br />
da sie die Ideologie der Parteikader<br />
widerspiegeln.<br />
Dies zeigt sich am besten an der Zeit<br />
der „liberalen“ FPÖ-Führung unter<br />
Norbert Steger, der es zwar schaffte<br />
seine Anhänger in die hohen Parteipositionen<br />
zu bringen, aber davor<br />
zurückschreckte, sich von den neonazistischen<br />
Aussagen anderer Parteimitglieder<br />
zu distanzieren. Steger<br />
war sich darüber im Klaren, dass<br />
trotz einer liberalen Führung die Basis<br />
der Partei rechtsextremes Gedankengut<br />
vertrat und es bis heute tut.<br />
Genau diese Basis war es schließlich<br />
die Haider an die Spitze der Partei<br />
beförderte und sämtliche liberale<br />
Mitglieder vergraulte, was uns heute<br />
eine FPÖ beschert, deren Verbindungen<br />
zu rechtsextremen und neonazistischen<br />
Kreisen noch intensiver<br />
sind.<br />
Deshalb ist es wichtig nicht nur<br />
einzelne Personen in der FPÖ zu<br />
bekämpfen, sondern die Partei insgesamt,<br />
und sie als das zu enttarnen<br />
was sie wirklich ist.<br />
Angst vor Kämpfen<br />
Obwohl das größte Sparpaket der<br />
österreichischen Geschichte droht,<br />
beruhigt ÖGB-Chef Foglar präventiv<br />
die Gemüter. Manfred Ecker über<br />
die Konsequenzen seiner defensiven<br />
Haltung.<br />
Island<br />
>> Seite 3<br />
Eine überwältigende Mehrheit stimmte<br />
gegen Kompensationszahlungen an<br />
internationale Gläubiger und setzte<br />
damit ein starkes Zeichen dagegen, dass<br />
Lohnabhängige für die Krise aufkommen<br />
sollen, meint Hannah Krumschnabel.<br />
Griechenland<br />
>> Seite 4<br />
Während sich die EU-Granden<br />
gegenseitig darin übertreffen<br />
Griechenland zu Einsparungen zu<br />
zwingen, ist der Widerstand der<br />
Bevölkerung laut und ungebrochen,<br />
schreibt Judith Litschauer.<br />
>> Seite 5<br />
Footnotes in Gaza<br />
Tom Allahyari zeigt sich beeindruckt<br />
vom neuen berührenden Buch des<br />
Kriegsberichterstatters Joe Sacco, der<br />
ein Massaker im Gazastreifen von 1956<br />
grafisch aufarbeitet.<br />
>> Seite 11
B E R I C H T E<br />
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Finnische<br />
Hafenarbeiter zwei<br />
Wochen im Streik<br />
Gewinne steigen, Löhne sinken:<br />
Flugpersonalstreik bei<br />
British Airways<br />
„Er erhofft sich neue Wählerstimmen,<br />
wenn er ein paar Neonazis<br />
anzeigt. Aber er muss wissen,<br />
dass es die Neonazis sind,<br />
die ihn wählen.“<br />
aus rechtlichen Gründen wurden Bilder in der<br />
Internetausgabe entfernt<br />
Kevin M., bekennender<br />
Neonazi über FPÖ-Obmann<br />
Strache im Kurier-Interview.<br />
„Ein wesentlicher Teil der<br />
rechtsextremen und rassistischen<br />
Aussagen und Aktivitäten,<br />
die in Oberösterreich<br />
getätigt werden, ist der FPÖ und<br />
ihren Unterorganisationen zuzurechnen.“<br />
Robert Eiter, Antifa<br />
Netzwerk Oberösterreich<br />
„Der wahre Skandal ist, dass<br />
sich Parteien immer noch darauf<br />
berufen, die Freiheitlichen<br />
seien demokratisch gewählt.<br />
Adolf Hitler wurde einst auch demokratisch<br />
gewählt.“<br />
Ariel Muzicant, Präsident<br />
der Israelitischen<br />
Kultusgemeinde<br />
„Von Museln als Nazi bezeichnet<br />
zu werden, empfinde ich persönlich<br />
als Auszeichnung. Dann<br />
wissen sie wenigstens, zu was<br />
man noch fähig sein wird und<br />
auch fähig sein muss.“<br />
Karl Mayrhofer legte<br />
nach dieser Aussage seine<br />
FPÖ-Mitgliedschaft zurück.<br />
„Dieser Vorfall ändert allerdings<br />
nichts an der Tatsache, dass wir<br />
gerade auch in Bludenz massive<br />
Probleme mit der türkischstämmigen<br />
Bevölkerung haben.“<br />
FPÖ Stadtparteiobmann<br />
Joachim Weixelbaumer<br />
will nach dem Austritt<br />
Mayrhofers die rechte<br />
Klientel nicht verlieren.<br />
Ein Bild von den Vuosari Docks in Helsinki vom 25. März 2010. Nach der Beendigung<br />
des offiziellen Streiks wurde aus Protest gegen den Einsatz von Streikbrechern<br />
ein „Wildcat Streik“, ein nicht genehmigter Streik, von den Hafenarbeitern<br />
durchgeführt. Die Wildcat Streiks betrafen alle finnischen Häfen.<br />
In Finnland sind am Donnerstag,<br />
den 4. März, die Hafenarbeiter<br />
für einen neuen Lohntarifvertrag<br />
in den Streik getreten. Der Streik,<br />
ursprünglich schon für 19. Februar<br />
geplant, war vom Arbeitsministerium<br />
zuerst verhindert worden. Er trifft die<br />
Exportindustrie des Landes besonders<br />
stark, da Finnland 80 Prozent<br />
seines Außenhandels über die Häfen<br />
abwickelt. Beteiligt sind über 3.000<br />
Hafenarbeiter. Der Streik hat praktisch<br />
alle Häfen lahm gelegt und trifft<br />
außerdem die internationalen Papierkonzerne<br />
besonders heftig. Diese<br />
hatten mit Versorgungsengpässen zu<br />
kämpfen, bzw. konnten ihre Waren<br />
nicht ausliefern. Inzwischen musste<br />
IM VISIER:<br />
Sebastian Kurz<br />
Gefreut hat sich Sebastian Kurz, der<br />
Obmann der Jungen ÖVP (JVP),<br />
über den Rausschmiss von Studierenden<br />
und Obdachlosen aus dem Audimax<br />
mitten im Winter: „Aus Sicht der Jungen<br />
ÖVP war es höchste Zeit, dass sich Rektor<br />
Winckler seiner Verantwortung bewusst geworden<br />
ist und das Audimax räumen hat lassen.“<br />
Doch nicht nur in diesem Punkt ist der ÖVP-<br />
Spross ganz auf Linie. Josef Pröll erstattet er<br />
gerne medienwirksam in „peppigen und frischen“<br />
Meetings in der Diskothek „U4“ Bericht<br />
– man muss ja ob der ganzen konservativen<br />
Werte irgendwie beweisen, dass man<br />
jung ist. Zu einem dieser Anlässe forderte er<br />
jetzt bei der Hacklerregelung „die Notbremse<br />
zu ziehen“. Während also für Kurz, der selbst<br />
noch nie richtig gearbeitet hat, ja ein sicherer<br />
warmer Bürojob im Innenministerium oder<br />
der Wirtschaftskammer zum Greifen nah ist,<br />
sollen andere so lang für ihn arbeiten bis sie<br />
von alleine umfallen.<br />
Warum der Jus-Student, der seine Karriere in<br />
der JVP des 1. Bezirks begonnen hat, seinen<br />
Feind in den ach so überprivilegierten Hacklerinnen<br />
und Hacklern sieht? „Wir Jungen<br />
werden ausgebeutet.“, ist er sich sicher – von<br />
den Arbeitern nämlich. Eine ähnlich qualifizierte<br />
Aussage gab er bezüglich „Migrationsproblem“<br />
von sich.<br />
„Es wird alles viel viel schlimmer“, jammerte<br />
er. Und: In seinem ehemaligen Gymnasium<br />
(!) sei Deutschunterricht ja gar nicht mehr<br />
möglich.<br />
Um die Welt mit ihren Problemen auszublenden,<br />
hat Kurz jedoch schon Strategien entworfen:<br />
Er will eine Magnetschwebebahn für<br />
Das Flugpersonal von British<br />
Airways (BA) trat am 27.<br />
März zum zweiten Mal in<br />
einer Woche in den Streik. Für die<br />
Belegschaft geht es darum, Arbeitsplätze,<br />
Löhne und Arbeitsbedingungen<br />
zu verteidigen. Die Bosse von<br />
BA behaupten gerne, das Flugpersonal<br />
sei überbezahlt, arbeite zu wenig<br />
und ruiniere so die Luftlinie. Die<br />
Einnahmen von BA sind aber alleine<br />
2008 um 40% gestiegen, während<br />
die Löhne des Personals seit 2001 real<br />
gesunken sind. Ohne der Arbeit des<br />
Boden-, Verwaltungs- und Flugpersonals<br />
gäbe es gar keine Einnahmen<br />
für die Fluglinien. BA hat alleine 2,2<br />
Milliarden Euro Cash-Reserven und<br />
Willie Walsh, der die Angriffe auf das<br />
Personal anführt, verdient 780.000<br />
Euro pro Jahr.<br />
Um den Medien vorzugaukeln, dass<br />
der Streik nicht eingehalten würde,<br />
schickte BA leere Passagierflugzeuge<br />
auf die Reise und heuerte teure<br />
Streikbrecher von anderen Fluglinien<br />
an. Alleine diese Maßnahmen<br />
kosteten Millionen. Das Gepäck<br />
von wirklichen Reisenden blieb aber<br />
trotzdem am Boden. Tatsächlich ist<br />
das Verständnis für den Streik bei<br />
vielen britischen Arbeitern und Arbeiterinnen<br />
groß, sodass volle Busse<br />
zur Unterstützung der Streikenden<br />
anreisten.<br />
Universität Sussex:<br />
Streik und Besetzung mit erstem Erfolg<br />
Auf die drohende Entlassung von<br />
115 Lektorinnen und Lektoren<br />
an der Universität von Sussex<br />
reagierten Lehrende, nicht-wissenschaftliches<br />
Personal und Studierende<br />
mit Streik und Besetzung. Ein erster<br />
Sieg: sechs Studierende, die wegen<br />
Protests gegen die Kürzungen suspendiert<br />
worden waren, wurden wieder<br />
zugelassen.<br />
Studierende in Sussex (England) besetzten<br />
gegen die angekündigten Sparmaßnahmen<br />
und Entlassungen ihre<br />
eine ganze Reihe von Papierfabriken<br />
ihren Betrieb einstellen. Wichtigste<br />
Forderung der Transportgewerkschaft<br />
AKT ist die Zahlung eines so<br />
genannten Übergangsgeldes nach der<br />
Kündigung. Mit dem Streik wehren<br />
sich die finnischen Hafenarbeiter<br />
gegen geplante Entlassungen. Die<br />
Forderung lautet auf eine volle Lohnfortzahlung<br />
für zwölf Monate im Falle<br />
einer Entlassung. Nach 16 Tagen<br />
wurde der Streik schließlich durch<br />
einen Tarifabschluss vorerst beendet.<br />
Der Schlichter Esa Lonka gab jedoch<br />
keine Details über den Tarifabschluss<br />
bekannt. Laut Regierung hat der<br />
Streik täglich einen Einnahmeverlust<br />
von 100 Millionen Euro verursacht.<br />
Streikendes Flugpersonal von British Airways in London<br />
Universität. Am achten Tag der Besetzung<br />
traten auch die Lehrenden und<br />
das nicht-wissenschaftliche Personal in<br />
Streik, und wurden prompt von den<br />
Studierenden unterstützt.<br />
Am Abend zuvor hatten sie in einer<br />
Massenversammlung mit großer<br />
Mehrheit für Widerstand gegen die<br />
Einsparungen gestimmt. Der Präsident<br />
der örtlichen Hochschulgewerkschaft<br />
(UCU), Paul Cecil, sah in der<br />
Verbindung der Kämpfe die Stärke<br />
einer neue Qualität: „Wir sind wahnsinnig<br />
dankbar für die Beteiligung der<br />
Studierenden. Sie waren schon um sieben<br />
Uhr früh bei uns und halfen, die<br />
Streikposten aufzustellen.“ Der ganze<br />
Tag war geprägt von der Solidarität<br />
zwischen Studierenden und Gewerkschaftern<br />
– Studis trugen UCU T-<br />
Shirts, unterschrieben Petitionen und<br />
sammelten umgerechnet fast 800 Euro<br />
für den Streikfonds.<br />
Als am Nachmittag die Entscheidung<br />
der Universitätsleitung bekannt wurde,<br />
sechs Studierende wieder zum<br />
Studium zuzulassen, löste das vor Ort<br />
Euphorie aus. Die sechs waren schon<br />
im November wegen Beteiligung an<br />
Streikketten suspendiert worden. Einer<br />
von ihnen, Sayed Bokhari, meinte:<br />
„Es ist kein Zufall, dass wir gerade<br />
an einem Streiktag wieder an den<br />
Campus zurückkehren durften.“ Auch<br />
sein Kollege Simon Englert zeigte sich<br />
überwältigt: „Dieser Sieg zeigt, dass<br />
gemeinsamer Widerstand gewinnen<br />
kann. Streiks funktionieren! Massenbewegungen<br />
funktionieren!“<br />
Wien (mit der<br />
er dann allen<br />
Hackerln und<br />
Migrantenkids<br />
entschweben<br />
kann), er nimmt<br />
Teil an elitären<br />
„Trainerprogrammen“,<br />
wie dem Forum<br />
Altbach (da trifft<br />
man von denen garantiert<br />
niemanden) und gibt sich der Planung einer<br />
Rot-Weiß-Rot-Card hin (damit die Migrantenkids<br />
gar nicht erst kommen).<br />
Wenn er im Herbst für den Wiener Gemeinderat<br />
kandidiert, kriegt er hoffentlich von<br />
beiden – Hacklern und Migrantenkids – ordentlich<br />
eins auf den Deckel.<br />
Foto: Guy Smallman
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
L E I T A R T I K E L<br />
<br />
SPÖ spielt mit rassistischen<br />
Vorurteilen<br />
Die Wiener SPÖ hat mit dem Bettelverbot<br />
einen Riesenschritt nach<br />
rechts getan. Die Initiatoren der neuen<br />
von Manfred Ecker<br />
Foto: Miklos Peter Vojnich<br />
Frau Faymann-Ludwig, eine Initiatorin<br />
des Bettelverbots für Wien<br />
Bestimmung, Nurten Yilmaz, Silvia<br />
Rubik, Barbara Novak, Nicole Krotsch<br />
und die Frau des Bundeskanzlers<br />
Martina Faymann-Ludwig rechtfertigen<br />
sich damit, es gehe ja nur darum,<br />
das gewerbsmäßige Betteln zu unterbinden.<br />
Sie wollten nur verhindern,<br />
dass die Bettelmafia Kinder dazu<br />
zwingt, für sie Geld zu beschaffen.<br />
Nur, dass sie damit ganz klar Sündenbockpolitik<br />
betreiben, können sie<br />
nicht wegargumentieren. Beim Wort<br />
Bettelmafia schwingt – ohne es aussprechen<br />
zu müssen – immer „ausländisch“<br />
und „aus den Ostländern“ mit.<br />
Wofür sie einen Sündenbock brauchen,<br />
ist offensichtlich. Die Wiener<br />
SPÖ befürchtet bei den Wahlen im<br />
Herbst böse Stimmenverluste. Innerhalb<br />
der SPÖ dürfte sich die Meinung<br />
durchsetzen, dass nur der burgenländische<br />
SPÖ Chef Hans Niessl<br />
ein wirksames Gegenrezept gegen<br />
Stimmenverlust gefunden hat – eben<br />
das heikle Spiel mit rassistischer<br />
Sündenbockpolitik, so wie Niessl es<br />
in der Causa Eberau vorgemacht hat.<br />
Innerhalb der SPÖ denken offenbar<br />
manche, dass sie der FPÖ nur zuvorkommen<br />
müssen und so bei rassistischen<br />
Wählern punkten können.<br />
Das ist komplett falsch, denn die<br />
Verluste der SPÖ haben sicher nichts<br />
damit zu tun, dass sie zu wenig rassistisch<br />
ist. Der großen Arbeiterinnenund<br />
Arbeiterpartei laufen die Wähler<br />
davon, weil sie sich von ihr keinen<br />
Widerstand gegen Sozialabbau mehr<br />
erwarten können. Und das dürfte der<br />
zweite Grund für das Bettelverbot<br />
sein – ein Ablenkungsmanöver von<br />
den Enttäuschungen, die die Wähler<br />
schon erlebt und noch zu erwarten<br />
haben.<br />
Debatte :: Argumente :: Diskussion<br />
Nazi-Image<br />
FPÖ in Bedrängnis gebracht!<br />
Gehetzt wirkte FPÖ-Obmann<br />
Strache, und hochnervös,<br />
als er angab, ein<br />
ORF-Team hätte Nazi-Skins, denen<br />
er ein Autogramm gab, zu Nazi-<br />
von Tom D. Allahyari<br />
Sagern angestiftet. Paranoiderweise<br />
hörte er die Glatzerten „Heil“<br />
rufen (was gar nicht passiert ist).<br />
Nun will er den ORF klagen. Eine<br />
lächerliche Aktion, weiß man doch,<br />
dass auf FP-Veranstaltungen immer<br />
Naziskins und gewaltbereite Rechtsradikale<br />
im Publikum sind. Rechtsradikale<br />
Jugendliche wurden in der<br />
Vergangenheit dabei gefilmt, wie sie<br />
sich kurz vor einer HC-Rede schnell<br />
eine FPÖ-Jacke übers eindeutige T-<br />
Shirt zogen. Aber woher kommt die<br />
Panik bei HC? Er hat erkannt, wie<br />
sehr ihm diese Stamm-Anhängerschaft<br />
Probleme machen kann.<br />
Immer wieder hört man, dass Nazi-<br />
Sprüche bzw. ein Nazi-Image der<br />
FPÖ niemals schaden, sondern eher<br />
helfen würden. Zu oft mussten wir<br />
die gezielten Provokationen von<br />
Haider, Strache und Konsorten ertragen,<br />
Konsequenzen gab es nie.<br />
Seit aber der stolze Olympionike<br />
Martin Graf dritter Nationalratspräsident<br />
ist, und besonders seit Barbara<br />
Rosenkranz als Präsidentschaftskandidatin<br />
ins grelle Licht der Öffentlichkeit<br />
gerückt wurde, wird sogar<br />
FP-Anhängern mulmig. Ausländerfeindlichkeit<br />
und Protest gegen die<br />
regierenden Parteien sind die eine<br />
Sache, wenn aber der Nationalsozialismus<br />
direkt ins Spiel kommt und<br />
die Parteiprominenz mit bekannten<br />
Neonazis fraternisiert, wenden sich<br />
viele ab.<br />
Nach der Wahlempfehlung des Kronenzeitungs-Patriarchen<br />
Dichand<br />
für Rosenkranz kündigten hunderte<br />
Leser ihre Abos! Schon in den letzten<br />
Jahren wurde deutlich, wie sehr das<br />
Nazi-Outing der FPÖ doch schaden<br />
kann. Sobald etwa bekannt wurde,<br />
dass ein islamfeindlicher Aufmarsch<br />
gegen einen Moscheebau, zu dem<br />
die FPÖ aufgerufen hatte, mit erkennbaren<br />
Neonazis durchsetzt sein<br />
würde, bröckelte die Unterstützung,<br />
die rassistische Aktion wurde ein<br />
Flop.<br />
Mit der Kandidatur der treudeutschen<br />
Rosenkranz (laut Ariel<br />
Musicant ein „Kellernazi“), einer<br />
Gallionsfigur der radikalen Rechten,<br />
wurde nun offensichtlich eine<br />
gewisse Grenze überschritten. Bei<br />
den Gemeinderatswahlen in Tirol,<br />
Niederösterreich, Steiermark und<br />
Vorarlberg konnte die FPÖ zwar<br />
leicht zulegen, blieb aber gewaltig<br />
hinter den Erwartungen zurück<br />
(während die KPÖ in der Steiermark<br />
einen Achtungserfolg erzielte). Ein<br />
gescheiterter Bürgermeisterkandidat<br />
der FPÖ in Tirol gab die Schuld für<br />
sein schlechtes Abschneiden Barbara<br />
Rosenkranz.<br />
Menschen, die ihren Protest ausdrücken<br />
wollen und die sich vom<br />
politischen System allein gelassen<br />
fühlen - viele davon sicher auch mit<br />
rassistischen Ideen im Kopf - wollen<br />
trotzdem nicht einer Partei ihre<br />
Stimme geben, die sich positiv auf<br />
das schlimmste Terrorregime der<br />
Menschheitsgeschichte bezieht.<br />
Das könnte die FPÖ insofern treffen,<br />
als sie nur zu einem kleineren<br />
Teil gefestigte Stammwähler hat<br />
(16% der FPÖ Wähler laut Wahlforscher<br />
Fritz Plasser) und großteils<br />
Wechsel- (46%) und Protestwähler<br />
(38%). Gerade diese Wechsel- und<br />
Protestwähler lassen sich womöglich<br />
abschrecken, wenn sie hinter<br />
den frechen Sprüchen „gegen die<br />
da oben“ knallharte Versuche erkennen,<br />
eine Ideologie wieder zu<br />
beleben, die Krieg und industriellen<br />
Massenmord über die Welt gebracht<br />
hat.<br />
Für uns Linke heißt das: Keine Feigheit<br />
in der Sprache - outen wir die<br />
FPÖ-Parteikader als das, was sie<br />
sind!<br />
Akademikerbund-Skandal:<br />
Die falsche<br />
Empörung der ÖVP<br />
Dass die ÖVP, die den Austrofaschismus noch immer mit<br />
einem Dollfuß-Portrait in der Parteizentrale honoriert,<br />
kein Partner für den antifaschistischen Kampf gegen<br />
die FPÖ sein kann, hat sie rund um den Skandal um<br />
den Wiener Akademikerbund (WAB) wieder einmal<br />
bewiesen, schreibt Hannah Krumschnabel.<br />
Als dieser im November 2009<br />
in einem Positionspapier an<br />
über 60 hochrangige Politiker<br />
nicht nur die Abschaffung des<br />
Verbotsgesetzes, sondern auch die<br />
Aufhebung der gesetzlichen Gleichbehandlung<br />
von Mann und Frau<br />
und einen vollkommenen Stopp<br />
der Einwanderung gefordert hatte,<br />
reagierte die ÖVP, der der AB<br />
angehört, überhaupt nicht. Erst als<br />
das Schreiben an die Öffentlichkeit<br />
gelangte, überschlugen sich Pröll,<br />
Khol und Co. damit, sich davon zu<br />
distanzieren und Parteiausschlüsse<br />
zu erwirken. Von „Überraschung“<br />
über die Position des WAB, wie sie<br />
Beatrix Karl (selbst Chefin des steirischen<br />
AB) vorgibt, kann also keine<br />
Rede sein. Andreas Khol selbst<br />
bestätigt, dass der schon länger mit<br />
„rechtsextremen Äußerungen“ aufgefallen<br />
sei.<br />
Warum dann plötzlich der Sinneswandel?<br />
Rechnungshofpräsident<br />
Franz Fiedler, gleichzeitig Vorsitzender<br />
des AB Österreich, entlarvt<br />
sich: Im Herbst habe es noch keinen<br />
Anlass zur Empörung über die Positionen<br />
gegeben, „das hat jetzt eine<br />
ganz andere Schlagseite bekommen<br />
nach der Kandidatur (von Barbara<br />
Rosenkranz, Anm.).“ Mit dem Nationalsozialismus<br />
zu sympathisieren<br />
wurde also erst durch Rosenkranz<br />
verwerflich? Fiedler selbst schrieb<br />
2007 in einem Leserbrief an die<br />
Presse, „…die Akzeptanz der Leitkultur<br />
der modernen europäischen<br />
Wertegemeinschaft hat das zentrale<br />
Anliegen (bei der Integration,<br />
Anm.) zu sein.“<br />
Ein Blick auf die Homepage des<br />
Akademikerbunds liefert außerdem<br />
einen weiteren Beweis dafür, wie<br />
gut sich Ultrarechte und „linke Islamkritiker“<br />
verstehen. Der „Antideutsche“<br />
Stephan Grigat, der<br />
sich selbst als Marxist bezeichnet,<br />
gleichzeitig aber ein Befürworter<br />
eines Angriffs auf den Iran ist und<br />
Muslime pauschal zu unaufgeklärten<br />
Terroristen abstempelt, war im<br />
Juni letzten Jahres Redner bei einer<br />
WAB-Veranstaltung über die angebliche<br />
Unvereinbarkeit von Islam<br />
und Menschenrechten. Nach dem<br />
Verbotsgesetz-Skandal dürfte klar<br />
sein, wer die wahre Bedrohung für<br />
die Menschenrechte darstellt.<br />
ÖGB Präsident bietet der<br />
Regierung Stillhalten an<br />
Die Regierung fürchtete sich<br />
vor den Reaktionen der Gewerkschaft<br />
auf die Sparpläne<br />
für das Budget 2011 so sehr, dass sie<br />
das Budget 2011 erst heimlich beschließen<br />
wollte. Dann ging ÖGB-Präsident<br />
Erich Foglar mit einer Kampfabsage an<br />
von Manfred Ecker<br />
die Öffentlichkeit und beruhigte: „Österreich<br />
ist nicht Griechenland. Die<br />
Probleme Griechenlands sind weitaus<br />
schlimmer als jene Österreichs. Auch<br />
von der Mentalität her besteht ein Unterschied.“<br />
Wer sich gefragt hat, woher Finanzminister<br />
Pröll nach den langen Wochen des<br />
ängstlichen Zögerns den Mut genommen<br />
hat um „Disziplinarmaßnahmen<br />
der Sonderklasse” und Einsparungen<br />
auch bei der Familienförderung ohne<br />
Tabus anzukündigen: die Antwort gibt<br />
die Haltung des ÖGB-Präsidenten.<br />
Die Regierung dürfte sich sehr bewusst<br />
darüber sein, wie groß der Zorn bei der<br />
arbeitenden Bevölkerung darüber ist,<br />
dass sie jetzt die Kosten für die Bankenrettung<br />
übernehmen sollen. Die<br />
fantastischen Streiks der griechischen<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter haben<br />
ihnen wohl Albträume verursacht.<br />
Schließlich haben inzwischen auch in<br />
Deutschland, Finnland und England<br />
die Arbeiter gestreikt. Die isländische<br />
Bevölkerung weigert sich per Volksabstimmung<br />
den internationalen Investoren<br />
ihre Verluste zurückzuzahlen.<br />
Natürlich fragen sich dann auch die<br />
österreichischen Politiker, ob ihnen<br />
hierzulande etwas Ähnliches droht.<br />
Für den ÖGB-Präsidenten wäre es<br />
Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbunds in Prag am 16. Mai 09<br />
deshalb ein Gebot der Stunde gewesen,<br />
sich mit den griechischen Streiks<br />
zu solidarisieren und so während der<br />
Budgetverhandlungen das Kräfteverhältnis<br />
zugunsten der Lohnabhängigen<br />
zu bewegen. Seine Botschaft sollte<br />
lauten: „Wir sind genauso wenig wie<br />
die griechischen Arbeiter bereit für die<br />
Krise zu bezahlen, sollen sie doch bei<br />
den Reichen kassieren!“<br />
Statt um soziale Gerechtigkeit macht<br />
sich Foglar aber Gedanken um die<br />
Konjunktur. Wenn er gegen die Einführung<br />
einer höheren Mehrwertsteuer<br />
argumentiert, dann weil sie den Privatkonsum<br />
abwürgen würde. Genauso<br />
hat er „als Gewerkschafter … mit Nulllohnrunden<br />
ein generelles Problem…,<br />
weil sie die Kaufkraft schmälern würden.“<br />
Über „die Wiedereinführung<br />
von Erbschafts- und Schenkungssteuer<br />
soll man nachdenken“, etwas zu fordern<br />
traut sich der Gewerkschaftschef<br />
gleich gar nicht.<br />
Wenn Foglar sich erhofft, dass die<br />
ÖVP ihm und der SPÖ dafür dankbar<br />
ist und deshalb in ihren Forderungen<br />
nicht noch weiter gehen wird, dann<br />
sollte er sich einfach zehn Jahre zurück<br />
erinnern, wie leicht es der ÖVP gefallen<br />
ist mit der FPÖ eine Koalitionsregierung<br />
zu bilden. ÖVP-Vorsitzender<br />
Erwin Pröll hat bestens verstanden<br />
in welche günstige Lage er durch die<br />
defensive Haltung von SPÖ und Gewerkschaft<br />
gebracht wurde und stellt<br />
schon die Rute ins Fenster. Er würde<br />
noch aggressiver einsparen, aber er<br />
kann nicht, „weil es in dieser Form der<br />
Regierungskonstellation nicht möglich<br />
ist, eine umfassende strukturelle Reform<br />
des Haushalts durchzubringen.“<br />
Sprich: die ÖVP wird noch mehr Zugeständnisse<br />
von der SPÖ einfordern<br />
und wenn sie sie nicht bekommt, dann<br />
wird sie der SPÖ mit der Auflösung<br />
der Regierung drohen. Je defensiver<br />
sich Sozialdemokratie und Gewerkschaft<br />
zeigen, desto besser für die Konservativen.
T H E M A<br />
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Krems:<br />
Mildes Urteil gegen<br />
Polizisten ist Ohrfeige<br />
für Jugendliche<br />
Erst am letzten Prozesstag änderte<br />
der Todesschütze von<br />
Krems seine Verteidigungsstrategie<br />
und wurde prompt<br />
mit einem skandalös milden Urteil belohnt.<br />
Am 5. August 2009 hatte er im Kremser<br />
Merkur-Markt einen jugendlichen<br />
Einbrecher erschossen. Nach der Tat<br />
ließ sich der Polizist Andreas K., der<br />
unter seinen Kollegen den Spitznamen<br />
Rambo haben soll, zwei Tage lang nicht<br />
einvernehmen und bestritt seither jede<br />
Schuld an der Tat. Er sei angegriffen<br />
worden, die Einbrecher seien bewaffnet<br />
gewesen und auf ihn losgegangen, er<br />
hätte in Notwehr gehandelt etc.<br />
Auch das Bild, das der Leiter der Kremser<br />
Kriminaldienstgruppe von dem jugendlichen<br />
Opfer verbreitet hatte, war<br />
völlig falsch. Er sei wegen Sachbeschädigung,<br />
Diebstahl und Körperverletzung<br />
schon bisher auffällig gewesen,<br />
rund zehn bis 15 derartige Fälle habe es<br />
bereits gegeben! Eine glatte Lüge: Richter<br />
Hohenecker konnte nur drei Fälle<br />
finden, „wie fahrlässige Brandstiftung,<br />
weil Pommes frites in der Pfanne zu<br />
brennen begonnen haben”.<br />
Die Gutachten konnten nachweisen,<br />
dass das Opfer, der 14-jährige Florian<br />
P., vor den Polizisten davonlaufen<br />
wollte. Vor dem Todesschuss hat er in<br />
einer Ecke gekauert, wurde dort entdeckt,<br />
ist aufgesprungen und wurde aus<br />
zwei Metern Entfernung erschossen.<br />
Der verantwortliche Polizist und seine<br />
Partnerin hätten nach der üblichen<br />
Vorgehensweise den Supermarkt gar<br />
nicht betreten dürfen, sondern sie hätten<br />
einfach die Ausgänge sichern und<br />
Foto: Thomas Kronsteiner<br />
Zorn wegen der Ermordung des 14-<br />
jährigen Florian P. in Krems<br />
auf Verstärkung warten sollen. Die Opferanwältin<br />
warf dem Polizisten auch<br />
vor, er sei „im Jagdfieber“ gewesen.<br />
Dessen Schuldeingeständnis am letzten<br />
Prozesstag war armselig: Er sei „irrtümlich”<br />
von einer Angriffssituation<br />
ausgegangen, er habe „übersehen”, wie<br />
sich der Einbrecher abgewandt habe -<br />
und dass er deshalb „das gerechtfertigte<br />
Maß der Verteidigung überschritten”<br />
habe. Trotzdem wurde er mit seinem<br />
Urteil belohnt und kann so weiter den<br />
Polizeidienst versehen: acht Monate bedingt<br />
wegen “fahrlässiger Tötung unter<br />
besonders gefährlichen Verhältnissen”.<br />
Die Kremser Jugendlichen aus der Arbeitersiedlung<br />
Lerchenfeld, unter denen<br />
Polizist Andreas K. als Schikanierer<br />
verrufen ist, können das nur als Ohrfeige<br />
von Vater Staat empfinden.<br />
Chile:<br />
Militär nutzt Erdbeben<br />
Die Ausrufung des Kriegsrechts in Chile nach dem Erdbeben erinnert an die Zeiten<br />
des Schreckens, als das chilenische Militär das letzte Mal die Macht ergriff. Tom<br />
Allahyari über die politische Instrumentalisierung der Katastrophe.<br />
Auf das Beben in Chile<br />
folgte ein Tsunami, der<br />
Fischerdörfer entlang der<br />
Küste zerstörte. Das Beben<br />
dort war viel stärker als das in Haiti,<br />
und es hat ein viel größeres Gebiet<br />
getroffen.<br />
Die Langzeitfolgen sind noch nicht<br />
abzuschätzen, die Anzahl der Getöteten<br />
ist mit ca. 1000 aber viel<br />
niedriger als auf Haiti. Nur einige<br />
der schrecklichen Fakten: Eineinhalb<br />
Millionen Unterkünfte wurden beschädigt<br />
bzw. zerstört, in der Stadt<br />
Lampa löste das Beben Feuer in drei<br />
Plastikfabriken aus, eine riesige Giftwolke<br />
gelangte in die Atmosphäre.<br />
Die erste Reaktion der alten chilenischen<br />
Regierung unter Michelle<br />
Bachelet war langsam und zögerlich.<br />
Es brauchte Tage, bis Wasser und<br />
die ersten Lebensmittel die Opfer<br />
erreichten, internationale Hilfsangebote<br />
waren abgelehnt worden.<br />
„Plünderungen“<br />
Die dringendsten Bedürfnisse der<br />
Leute nach der Katastrophe waren<br />
Nahrung, Wasser und Unterkunft.<br />
Als keine Hilfe kam, nahmen die<br />
Menschen die Dinge selbst in die<br />
Hand. Während in den reichen Gegenden<br />
der Hauptstadt Santiago die<br />
Stromversorgung und das Telefonnetz<br />
fast sofort wieder hergestellt<br />
worden waren, mussten arme Gegenden<br />
eine Woche darauf warten.<br />
Supermärkte nahe dem Epizentrum<br />
erhöhten sofort die Preise.<br />
Die Leute reagierten darauf natürlich<br />
wütend und organisierten sich selbst<br />
was sie brauchten, indem sie sich das<br />
Lebenswichtige aus den Supermärk-<br />
Militär hält die Armen in Schach<br />
ten holten. Diese waren zumeist im<br />
Besitz von Wal-Mart, dem zweitreichsten<br />
multinationalen Konzern<br />
der Welt.<br />
Grund genug für die Regierung, das<br />
Kriegsrecht auszurufen – wie in Haiti.<br />
Das Militär marschierte auf, aber<br />
nicht um zu helfen, sondern um Supermärkte<br />
zu schützen. Menschen,<br />
die sich Nahrung besorgen wollten,<br />
wurden mit Tränengas und Wasserwerfern<br />
angegriffen.<br />
Putsch und Neoliberalismus<br />
Es ist bekanntlich nicht das erste Mal,<br />
dass das Militär die Kontrolle übernimmt.<br />
Das geschah zuletzt 1973,<br />
als der Militärputsch von Augusto<br />
Pinochet die gewählte linksgerichtete<br />
Regierung von Salvador Allende<br />
stürzte. Die chilenische Ökonomie<br />
wurde brachial für ausländische Investitionen<br />
geöffnet. Multinationale<br />
Konzerne verlegten ihre Produktion<br />
nach Chile, wo Gewerkschaften verboten<br />
waren und Arbeitskraft billig<br />
zu bekommen war (genauer dazu:<br />
Artikel auf S.9)<br />
Alle folgenden – sowohl die eher<br />
rechten wie die eher linken - Regierungen<br />
haben diesen neoliberalen<br />
Weg bis heute beibehalten. Gesundheitsversorgung<br />
und Ausbildung<br />
sind teuer geworden. Die Menschen<br />
müssen mit einem Durchschnittslohn<br />
auskommen, der gerade mal ein<br />
Drittel der Lebenshaltungskosten einer<br />
Familie abdeckt.<br />
Desillusionierung und Hoffnung<br />
Dies sind die Hintergründe, auf die<br />
das Erdbeben in Chile getroffen ist.<br />
Ist es ein Wunder, dass die Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter in Chile so wütend<br />
auf das Versagen des Staats reagiert<br />
haben? Das Kriegsrecht und die<br />
Ausgangssperren ab sechs Uhr abends<br />
werden sie nur an die Pinochet-Ära<br />
erinnern. Das heutige, „neue“ Chile<br />
wurde auf den Gräbern derjenigen<br />
erbaut, die in den wenigen Jahren<br />
von Allendes Volksfront-Regierung<br />
für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft<br />
hatten.<br />
Frech schlägt die Regierung nun vor,<br />
das Geld für die Opfer über eine<br />
private, mediale Spendensammlung<br />
aufzutreiben, anstatt es sich von den<br />
Reichen zu holen, die vom langen<br />
Boom profitiert haben.<br />
Der Gipfel ist aber, dass der reichste<br />
Mann Chiles, Sebastian Piñera, Präsident<br />
von Chile wird. Er wird sich,<br />
wie seine neoliberalen Freunde weltweit,<br />
über riesige Profite aus dem<br />
Wiederaufbau freuen können. Für<br />
die Mehrheit der Chilenen wird die<br />
nächste Zeit extrem hart.<br />
Wir zahlen nicht für eure Krise:<br />
Island stimmt gegen Kompensationszahlungen<br />
Mit einer überwältigenden Mehrheit von 93,6% haben die Isländerinnen und Isländer gegen das so genannte „Icesave“-Gesetz gestimmt. Dieses<br />
hätte die Steuerzahler dazu verpflichtet, gegenüber ausländischen Gläubigern für 3,3 Milliarden Euro zu haften,<br />
die isländische Banker im Zuge der Finanzkrise verspekuliert hatten, schreibt Hannah Krumschnabel.<br />
Wie sich Island,<br />
einst ein typisch<br />
s k a n d i n a v i s c h e r<br />
Wohlfahrtsstaat, im Laufe der<br />
1990er-Jahre zu einem neoliberalen<br />
Modellstaat entwickelt<br />
konnte, beschreibt der deutsche<br />
Attac-Aktivist Georg Brzoska:<br />
„Die Regierung der Neokonservativen<br />
privatisierte in einer<br />
unglaublichen Geschwindigkeit<br />
Bankensystem und öffentliches<br />
Eigentum, darunter sogar noch<br />
nicht gefangene Fische.“ Der<br />
Aktienhandel mit Fischfangrechten<br />
war es dann auch, der<br />
großen Fischereiunternehmen<br />
zu einem immensen Reichtum<br />
verhalf. Dieser schaffte die Basis<br />
für den Finanzboom. Kurz vor<br />
dem Crash war das Vermögen<br />
der drei größten heimischen<br />
Privatbanken auf das dreißigfache<br />
des isländischen BIPs angewachsen.<br />
Im Herbst 2008 platzte diese<br />
riesige Finanzblase schließlich<br />
und die Regierungspartei wurde<br />
von wütenden Protesten der Bevölkerung<br />
aus dem Amt gejagt.<br />
Jetzt hat ausgerechnet die neue<br />
Koalition aus Sozialdemokraten<br />
und Linksgrünen das „Icesave“-<br />
Gesetz mit den Niederlanden<br />
und Großbritannien ausgehandelt.<br />
Unter den Isländern, die<br />
durch die Krise massiv von Arbeitslosigkeit<br />
und Verschuldung<br />
betroffen sind, herrschte eine so<br />
deutliche Stimmung dagegen,<br />
dass schließlich der Präsident<br />
Olafur Grimsson ein Veto gegen<br />
das bereits beschlossene<br />
Gesetz einlegte und damit das<br />
Referendum möglich machte.<br />
„Ich bin zu der Überzeugung<br />
gelangt, dass Sie sich bei der<br />
Wahl zwischen der Demokratie<br />
und den Finanzmärkten für die<br />
Demokratie entscheiden müssen.“,<br />
lautete seine deutliche<br />
Wahlempfehlung.<br />
Bankmanager als Zielscheibe<br />
Das Aus für die Vereinbarung<br />
bedeutet für Island nun scharfe<br />
Sanktionen: Der Internationale<br />
Währungsfonds (IWF) setzt eine<br />
Ratenzahlung seines Kredits an<br />
das bankrotte Land aus, die EU<br />
legte die Beitrittsverhandlungen<br />
auf Eis. Obwohl dies die Krise<br />
des Landes kurzzeitig verschärfen<br />
könnte, sind die Isländer<br />
nach wie vor entschlossen zu<br />
kämpfen.<br />
Aus Anlass des Referendums demonstrierten<br />
im März neuerlich<br />
über tausend Menschen. Protest<br />
vor dem Parlament gehört<br />
zum Alltag genauso wie der so<br />
genannte „Kreppáhumor“, der<br />
Krisenhumor, der zum Beispiel<br />
dafür verantwortlich ist, dass die<br />
Gesichter von Bankmanagern<br />
aus vielen Pissoiren in Reykjavik<br />
grinsen. Dass eben diese jungen<br />
„Wikinger“-Banker bisher von<br />
der Justiz verschont geblieben<br />
sind, führt allerdings auch zu<br />
großem Zorn, sodass sich Farbbeutel-<br />
und Salzsäureattacken<br />
auf sie mehren.<br />
Obwohl es also für Island als<br />
„gallisches Dorf“ schwer werden<br />
dürfte, sich allein gegen die Angriffe<br />
von IWF und Co. zu wehren,<br />
so ist der Widerstand doch<br />
so inspirierend, dass er auch<br />
auf andere Länder übergreifen<br />
könnte. Zumindest fürchten<br />
das die Eliten selbst: der Pariser<br />
Club, ein Zusammenschluss<br />
von großen Gläubigerstaaten,<br />
gab bereits zu, es bereite seinen<br />
Mitgliedern Kopfschmerzen,<br />
dass Islands Beispiel Schule machen<br />
könnte.
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Nach der Welle der Radikalisierung<br />
der letzten Jahre<br />
verlor die konservative Partei<br />
„Neue Demokratie“ die Wahlen<br />
und die Mitte-Links-Partei Pasok<br />
kam an die Regierung. Geführt von<br />
Giorgos Papandreou versucht die<br />
Regierung die sozialen Spannungen<br />
zu entschärfen und gleichzeitig das<br />
riesige Budgetdefizit, das über 12%<br />
liegt, auf 2,8% zu reduzieren, das ist<br />
in etwa dasselbe wie die Quadratur<br />
des Kreises zu versuchen. Der vorläufige<br />
Budgetplan für 2010 sieht<br />
Steuererhöhungen von 3 Milliarden<br />
Euro vor und Einsparungen bei den<br />
öffentlichen Ausgaben im Ausmaß<br />
von weiteren 4 Milliarden Euro.<br />
Die Regierung entlässt 40.000 Zeitarbeiter<br />
sofort und wird keinerlei<br />
weitere Jobs im öffentlichen Sektor<br />
vergeben. Erfahrene Parlamentarier<br />
raten Pasok alle unpopulären Maßnahmen<br />
bis zum Sommer durchzuführen,<br />
weil bis dahin die Regierung<br />
noch neu sei und bis zur nächsten<br />
Wahl noch genügend Zeit habe,<br />
sich zu regenerieren.<br />
Doch bei dieser einfachen Rechnung<br />
haben sie die Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter unterschätzt. Während<br />
Politiker und Unternehmer noch<br />
weitere Kürzungen verlangen und<br />
die beste Angriffsstrategie debattieren,<br />
hat die griechische Bevölkerung<br />
bereits den Widerstand gegen die<br />
Kürzungen organisiert und schlägt<br />
zurück. Der Generalstreik am 3.<br />
März verband sowohl öffentliche<br />
als auch private Bedienstete gegen<br />
die Kürzungen und legte das Land<br />
lahm. Das Finanzministerium wurde<br />
spontan 14 Tage lang von Arbeitern<br />
besetzt, nachdem sie dort ein<br />
Treffen mit dem stellvertretenden<br />
Finanzminister hatten. „Er konnte<br />
Die griechische Regierung<br />
unter George Papandreou<br />
befindet sich<br />
in einer Zwickmühle. Einerseits<br />
ist sie nach dem Generalstreik<br />
verängstigt. Andererseits besteht<br />
enormer Druck von Seiten der<br />
Europäischen Union und von<br />
Unternehmen und Banken, in<br />
den nächsten drei Monaten 22<br />
Milliarden Euro zusammenzubekommen,<br />
um die auslaufenden<br />
Staatsanleihen zu ersetzen.<br />
Die Forderungen der Europäischen<br />
Union nach einer neuen<br />
Runde Kürzungen – die prompt<br />
durch Senkung der Pensionen<br />
und Erhöhung des Pensionsalters<br />
umgesetzt werden – machen<br />
deutlich, dass es bei der griechischen<br />
Krise um weit mehr<br />
geht. Auch auf Deutschland, der<br />
auf Export von Industriegütern<br />
ausgerichtete Riese der Euro-<br />
Zone, fällt der Schatten der geplatzten<br />
Blase. Laut Washington<br />
Post verfügt Deutschland nach<br />
Saudi-Arabien über den größten<br />
Handelsüberschuss. Deutschland<br />
ist also Lieferant und Finanzier<br />
(über die Deutsche Bank), während<br />
Griechenland, Spanien und<br />
Portugal Käufer sind, die sich<br />
übernommen haben, und von<br />
denen Deutschland nur sehr wenig<br />
importiert.<br />
Sie sind durch ihre Mitgliedschaft<br />
in der Euro-Zone an eine<br />
Ökonomie gefesselt, gegen die<br />
ihre Unternehmen nicht konkurrieren<br />
können. Dazu kommt,<br />
dass sie als Teilnehmer am Euro-<br />
System ihre eigenen Währungen<br />
T H E M A<br />
Griechenland im Auge des Orkans<br />
Griechenland<br />
Platzen der Blase<br />
Griechenlands Betritt zur Euro-Zone ermöglichte<br />
Geld über die Ausgabe von Staatsanleihen<br />
zu niedrigen Zinsen aufzunehmen.<br />
Auf diese Weise entwickelte sich Mitte der<br />
2000er in Griechenland eine Kreditblase, die<br />
schließlich platzte. Die Banken, die diese<br />
Krise auslösten, wurden natürlich mit hohen<br />
Kosten von der Regierung gerettet. Jetzt<br />
sind sie außer sich, weil die Regierung mehr<br />
Kredite aufnehmen musste, und fordern<br />
Sparmaßnahmen und Kürzungen bei öffentlichen<br />
Leistungen.<br />
In diesem Jahr wird die Regierung fast 13<br />
Milliarden Euro allein an Zinsen an die Banken<br />
zahlen, zusätzlich erwarten die Banken<br />
weitere 13 Milliarden an „Kapitalrückflüssen“.<br />
Die Banker sind aber nicht die Einzigen,<br />
die auf Kosten des Staats profitieren. Das<br />
Hauptproblem in Griechenland ist nicht die<br />
von Finanzminister Giorgos Papakonstantinou<br />
beklagte „illegale Steuerflucht“, sondern<br />
die legale Steuerumgehung. Die meisten<br />
großen Unternehmen zahlen keine bis viel<br />
zu geringe Steuern. Wieder investierte Profite<br />
werden überhaupt nicht besteuert. Die<br />
Bankenprofite wurden im vergangenen Jahr<br />
durchschnittlich mit gerade einmal 7 Prozent<br />
besteuert. Zum Vergleich: Die höchste Einkommenssteuer<br />
für Arbeiter und Rentner lag<br />
im vergangenen Jahr bei 40 Prozent. Würden<br />
die Ausnahmeregelungen abgeschafft<br />
und würde die Besteuerung von Konzernen<br />
auf 40 Prozent angehoben, dann hätte Griechenland<br />
einen Haushaltsüberschuss statt<br />
eines riesigen Defizits. Doch die neoliberalen<br />
Steuerpläne der Regierung sehen anders<br />
aus: Athen hat die Körperschaftsteuer von<br />
25 auf 20 Prozent gesenkt. Gleichzeitig will<br />
sie die Steuern der Arbeiter und Rentner<br />
erhöhen - obwohl die Regierung zugibt, dass<br />
die Arbeiter und Rentner fast die Einzigen<br />
sind, die Steuern zahlen.<br />
Ein griechischer Aktivist beschreibt die<br />
Widersprüche: „Dieselbe Regierung, die<br />
den Banken Milliarden gegeben hat, um sie<br />
zu retten, hat jetzt den Nerv uns um mehr<br />
Geduld und Selbstbeschränkung zu fragen.<br />
Keine Selbstbeschränkung für Streikaktionen!<br />
(…) Wir sollten daran arbeiten diese<br />
Stimmung in jedem europäischen Land zu<br />
verbreiten, noch schneller als sich die kapitalistische<br />
Krise verbreitet.”<br />
Foto: Guy Smallman<br />
Afrikanische Migranten bei den griechischen Protesten: sie fordern<br />
Staatsbürgerrechte und ein Ende der Polizeischikanen.<br />
keine Antwort auf eine Menge von<br />
unseren Fragen geben, also haben<br />
wir uns entschlossen hier zu bleiben<br />
bis wir Antworten von der Regierung<br />
bekommen“, erzählte Gregorri<br />
Costantelos, Vorsitzender der Piloten-Gewerkschaft<br />
der „Olympic<br />
Airways“. „Die Dinge bewegen sich<br />
hier wirklich und das Selbstvertrauen<br />
der Arbeiter steigt“, sagt Panos<br />
nicht abwerten können, um so<br />
ihre Exporte zu verbilligen.<br />
Deshalb steigt der Druck auf<br />
Deutschland, Griechenland finanziell<br />
zu stützen. Merkel hat<br />
die Gelegenheit genutzt und<br />
will Griechenland harte Medizin<br />
schlucken lassen. Sollte Griechenland<br />
Unterstützung brauchen,<br />
dann unter der Fuchtel des<br />
Internationalen Währungsfonds,<br />
der Kredite nur vergibt, wenn<br />
im Gegenzug Sozialausgaben gekürzt<br />
werden. Das Vorbild dafür<br />
ist Irland, wo die regierende Partei<br />
enorme Kürzungen durchsetzen<br />
konnte (s. Artikel Irland).<br />
Dazu kommt, dass der Euro<br />
selbst in Gefahr ist. Ein Grund,<br />
warum Merkel und andere Herrschende<br />
denken, das irische Modell<br />
sei so vorbildlich: es ermöglicht<br />
Budgetdefizite zu stutzen<br />
und die Währung wieder auf<br />
Kurs zu bringen ohne die Staatsausgaben<br />
zu erhöhen. Doch es<br />
gibt keinerlei Garantie, dass diese<br />
Maßnahmen die Krise lösen<br />
Garganas, Herausgeber der griechischen<br />
<strong>Zeitung</strong> „Arbeitersolidarität“,<br />
„Meinungsumfragen zeigen,<br />
dass über 70 Prozent der Bevölkerung<br />
die Kürzungen bei Löhnen im<br />
öffentlichen Sektor ablehnen.“<br />
Zwei Entwicklungen haben die Ereignisse<br />
in Griechenland beschleunigt:<br />
einerseits die Budget-Krise und<br />
den daraus resultierenden Abbau des<br />
Defizits mittels „Notstands“-Maßnahmen.<br />
Aber man wird erst noch<br />
sehen, ob die Regierung es schafft<br />
diese Angriffe auf den Lebensstandard<br />
tatsächlich durchzuführen. Die<br />
zweite Entwicklung ist der Jahrestag<br />
des Aufstandes in Folge des durch<br />
einen Polizisten ermordeten Jugendlichen<br />
im Dezember 2008, der von<br />
Massendemonstrationen begleitet<br />
wurde.<br />
Eine von unten entstandene Revolte<br />
entfaltet sich und die Banker<br />
und die europäischen Regierungen<br />
erkennen schön langsam, dass<br />
nicht alles nach ihren Köpfen laufen<br />
könnte. Die Menschen auf den<br />
Straßen erwarten, dass die Opposition<br />
gegen die Regierung sich links<br />
positioniert. Die Führung der parlamentarischen<br />
Linken betreibt im<br />
Moment indes reine Nabelschau.<br />
Die antikapitalistische Linke muss<br />
die Initiative übernehmen und die<br />
Linke dazu führen diese Möglichkeiten<br />
zu ergreifen.<br />
EU-Poker um die<br />
griechische Krise<br />
Griechenland versinkt in Schulden. Im Jahr 2009 lag das Staatsdefizit bei<br />
knapp 300 Mrd. Euro. Doch die Krise in Griechenland spiegelt die ökonomische<br />
Erpressung und Einschüchterung durch die neoliberale Marktordnung wider.<br />
In der Krise treiben die Mächtigen der EU Sozialabbau voran.<br />
– vor allem weil sie die Probleme<br />
nicht in Angriff nehmen, die das<br />
ganze Schlamassel in erster Linie<br />
verursacht haben. Der ökonomische<br />
Albtraum könnte sich<br />
auch fortsetzen. Die griechische<br />
Regierung rechnet dieses Jahr<br />
mit einer Arbeitslosenquote von<br />
über 20%. Die Lösung dieser<br />
Probleme ist die Antwort der<br />
griechischen Arbeiterinnen und<br />
Arbeiter.<br />
Nikos Lountos, Mitglied von<br />
SEK (Sozialistische Arbeiterpartei)<br />
in Griechenland, meint<br />
über den derzeitigen Zustand:<br />
„All dies hat Griechenland in ein<br />
weit größeres Schlachtfeld verwandelt.<br />
Die herrschenden Klassen in<br />
Europa konzentrieren sich nun<br />
auf Griechenland, um zwei Dinge<br />
zu messen: erstens, wie viel das<br />
schwächste Glied der Eurozone<br />
ertragen kann, ohne abzustürzen,<br />
zweitens das Niveau der Militanz<br />
der Arbeiterklasse als Reaktion auf<br />
die Auswirkungen der Krise.“<br />
<br />
Irland:<br />
Kürzungen &<br />
Widerstand<br />
In Irland gibt es erste Anzeichen eines<br />
großen politischen Wandels. Die Regierung,<br />
eine Koalition aus der konservativen<br />
Partei „Fianna Fáil“ und den Grünen,<br />
fährt eine prinzipielle Strategie von Lohnkürzungen<br />
und Einsparungen im öffentlichen<br />
von Kieran Allen<br />
Sektor, um aus der Rezession herauszukommen<br />
– die Wirtschaftsleistung fiel 2009 um<br />
8%.<br />
Indem den Gewerkschaften im öffentlichen<br />
Sektor eine herbe Niederlage zugefügt wird,<br />
hoffen Staat und Unternehmer eine neue<br />
Welle an tiefgreifenden und verheerenden<br />
Lohnsenkungen durchsetzen zu können.<br />
Die herrschende Klasse signalisiert sogar noch<br />
weitere Kürzungen, während 2009 rund 13<br />
Milliarden Euro an Steuergeldern dazu verwendet<br />
wurden, das irische Bankensystem<br />
aufzupeppen. Der große Empfänger des Bankenpakets<br />
war die nun verstaatlichte Anglo-<br />
Irish Bank, die den finanziellen Flügel der<br />
„Fianna Fáil“-Partei darstellt. Erstaunliche<br />
70 Milliarden Euro wurden in Form von<br />
Krediten an die Partei unterstützende Bauunternehmer<br />
vergeben, die damit wiederum die<br />
Immobilien-Blase aufbliesen.<br />
Um ihre Banken- und Immobilienfreunde<br />
nach dem Platzen der Immobilien-Blase<br />
zu retten, transferierte die Regierung alle<br />
„schlechten Schulden“ der Banken zum Staat<br />
– sagenhafte 54 Milliarden Euro. Der Staat<br />
würde so Kontrolle über angeschlagenen Anlagevermögen,<br />
die nicht beglichen werden<br />
konnten, bekommen. Die dadurch bereinigten<br />
Banken sollten wieder anfangen Kredite<br />
zu vergeben und somit die irische Wirtschaft<br />
ankurbeln. Der Staat gibt vor, das Geld zurückzubekommen<br />
sobald sich der Immobilienmarkt<br />
erholt habe – was laut ihrer Vorhersage<br />
in zehn Jahren der Fall sein werde. Doch<br />
bisher ist es durch diese gigantische Rettungsaktion<br />
nicht gelungen, den Zombie-Banken<br />
Leben einzuhauchen. Es wird geschätzt, dass<br />
sie weitere 14 Milliarden Euro benötigen.<br />
Dies hat zu enormer Wut bei der irischen Bevölkerung<br />
geführt, die sich auf zweierlei Arten<br />
manifestiert: Einerseits hat „Fianna Fáil“<br />
ihre politische Dominanz verloren. Der unmittelbare<br />
Gewinner davon ist die rechte Partei<br />
„Fine Gael”. Doch ihr Aufstieg ist höchst<br />
fragil. Sie hat aber im Gegensatz zu Fianna<br />
Fáil keine Wurzeln in der Arbeiterklasse.<br />
Bis zu einem gewissen Punkt schien die Labour<br />
Party auch zu gewinnen – als sie nach<br />
links rückte und die Banken-Rettungspakete<br />
angriff. Doch bald hatte die Führung Panik<br />
davor, zu hohe Erwartungen zu schüren und<br />
ruderte zurück.<br />
Zweitens manifestiert sich die Wut in den<br />
großen Streiks im öffentlichen Sektor. Ende<br />
November 2009 beteiligten sich an die<br />
300.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an Aktionen<br />
und seit Ende Jänner finden streikähnliche<br />
Aktionen in mehreren Sektoren statt.<br />
Die Gewerkschaftsführung, mit engen Verbindungen<br />
zur Spitze der Labour Party, hat<br />
Angst vor der Bewegung, die von der Basis<br />
ausgeht. Sie versuchte sogar Zugeständnisse<br />
an die Regierung zu machen, die wiederum<br />
arrogant abwehrte. Diese Abfuhr signalisierte<br />
den Tod der Sozialpartnerschaft.<br />
Auf der einen Seite gibt es wachsenden Ärger<br />
und Militanz unter Arbeitern und in neuen<br />
Netzwerken. Auf der anderen Seite konfrontiert<br />
eine schwache, unpopuläre Regierung<br />
die organisierte Arbeiterklasse, die aus dem<br />
Schlummer der Sozialpartnerschaft erwacht<br />
ist.<br />
Wie auch immer dieser Konflikt ausgeht,<br />
eines ist klar: Eine dunkle Wolke ist über dem<br />
irischen Kapitalismus aufgezogen.
L E S E R I N N E N F O R U M<br />
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Foto: Aydin Can Nebioglu<br />
Ich habe mich in Wien verliebt.<br />
Ganz langsam sind wir voran gepirscht.<br />
Vorher im Internet noch<br />
die Lage gecheckt. Herrliche Stadt.<br />
Mist. 300 Verhaftungen auf einmal,<br />
sagt Twitter. Hetzjagd auf StudentInnen.<br />
Stimmt das? Und da wollen<br />
wir jetzt hin?<br />
Sind nun endlich angekommen. Wie<br />
keine Cops? Alles friedlich. Dann ist<br />
die Aktion wohl vorbei.<br />
Die CampusbewohnerInnen sind<br />
gleich sehr freundlich und zuvorkommend.<br />
Die Stimmung ist gelöst. Die<br />
Blockaden waren scheinbar anstrengend<br />
und doch relativ erfolgreich. Immerhin<br />
um anderthalb Stunden konnte<br />
die Gala rausgezögert werden und<br />
ein Minister musste zu Fuß gehen.<br />
Bis Mitternacht hielten die DemonstrantInnen<br />
bei recht großem Polizeiaufkommen<br />
durch. Respekt. Langes<br />
Durchhaltevermögen. Haben die<br />
Studis ja auch. Spätestens seit dem<br />
Bachelor sind sie es gewöhnt, wenig<br />
zu schlafen und sich ausschließlich<br />
auf eine Sache - Moment auf tausend<br />
verschiedene Sachen mit einem Zweck<br />
- zu konzentrieren. Ob sich die Wirtschaft<br />
mit ihren menschenunwürdigen<br />
Anforderungen nicht selbst ins Bein<br />
schießt? Das werden wir ja mal noch<br />
sehen.<br />
Die Minister räumen immerhin schon<br />
mal ein, dass sie bei der Bologna-Umsetzung<br />
die soziale Komponente weitestgehend<br />
ausgeklammert haben.<br />
Toll: endlich mal angekommen da<br />
oben!<br />
Passend zu Problemen in der Politik<br />
und Gesellschaft bieten die Studis in<br />
den kommenden Tagen zahlreiche<br />
Workshops an.<br />
Ich komme ins „Café international“<br />
– ein zentraler Treffpunkt für die Streikenden<br />
- und bin beeindruckt.<br />
Die Vielfalt, die sich hier an Menschen<br />
zeigt, übertrifft bei weitem die mir aus<br />
dem Bildungsstreik bekannte. Trotz<br />
vielfältiger Unterschiede verstehen sich<br />
die Protestierenden prima.<br />
Die Atmosphäre ist locker, ruhig und<br />
zugleich voller Spannung.<br />
Dolmetscher – sogar in Gebärdesprache<br />
- und englische Plena und Diskussionen<br />
sorgen für eine optimale Zusammenarbeit<br />
und ein internationales<br />
Feeling. Ist einfach eine andere Größenordnung<br />
wie zu Hause.<br />
So viele verschiedenen Menschen auf<br />
einem Haufen. Da denkt man doch,<br />
in größerer Dimension funktioniert es<br />
Postfach<br />
Kommentare, Berichte oder Briefe bitte an redaktion@linkswende.org<br />
Ein Erfahrungsbericht über<br />
„Bologna burns“ in Wien<br />
Sturm der Parlamentsrampe bei der „bologna-burns“-Demo am 11.3. in Wien<br />
dann nicht mehr.<br />
Wien hat aber eindrucksvoll gezeigt,<br />
dass dies gelingen kann, wenn genügend<br />
Toleranz vorhanden ist.<br />
Doch noch eindrucksvoller als die<br />
– für mich riesige – Größenordnung<br />
sind mir die einzelnen Charaktere in<br />
Erinnerung geblieben:<br />
Sehr offene, liebe Menschen mit notwenigem<br />
Raum für Toleranz. Sie begegneten<br />
mir interessiert und freundlich.<br />
Ich habe noch nie auf einmal so viele<br />
Menschen kennengelernt, wie hier.<br />
Faszinierend wie schnell aus Bekanntschaften<br />
„kleine Beziehungen“ werden.<br />
Viele faszinierende Lebensgeschichten,<br />
Weltansichten und Probleme.<br />
Politische Diskussionen dabei sind sehr<br />
interessant. Ich finde sie verraten sehr<br />
viel über einen Menschen. Sie zeigen,<br />
wie der Mensch über die Menschheit<br />
und deren Handeln denkt. Das System<br />
in dem wir leben, wird hinterfragt.<br />
Oder auch nicht.<br />
Durch tiefer gehende Gespräche hat<br />
man zu den Menschen dann einen<br />
ganz besonderen Bezug. Wahrscheinlich<br />
entsteht dadurch die Toleranz, die<br />
mir so lebendig in Erinnerung geblieben<br />
ist. Diese Offenheit beschränkt<br />
sich hier aber nicht nur auf die Studierenden<br />
selbst. Sehr berührt hat mich<br />
die bedingungslose Hilfsbereitschaft<br />
der Wiener Studierenden.<br />
Die Studierenden waren der Meinung,<br />
dass die Revolution in den Köpfen<br />
der Menschen stattfinden muss. Es<br />
soll nicht nur ein Bewusstsein für die<br />
aussichtlose Situation der Obdachlosen<br />
gefördert werden, sondern die<br />
Erkenntnis, dass solch ein Schicksal<br />
Jeden treffen könnte.<br />
Diese Menschen fallen durch ein Raster.<br />
Sie werden abgestempelt und aus<br />
der Gesellschaft abschoben.<br />
Ihnen geht es also nicht nur um ihre<br />
eigene Situation, sondern um eine<br />
ganzheitliche Veränderung der Gesellschaft.<br />
Sie leben also ihre eigenen Ideale und<br />
bleiben nicht bei Forderungen und leeren<br />
Worten stehen.<br />
Ein Grund mehr, die Studierendenbewegung<br />
ernst zu nehmen. Sehr viele<br />
Politiker können sich bei ihnen eine<br />
Scheibe abschneiden.<br />
Solidarische Grüße an die AktivistInnen<br />
in Österreich!<br />
Britta<br />
Linksjugend [‘solid] BaWü<br />
Karlsruhe (Deutschland)<br />
Bildungsproteste<br />
aus Innsbrucker Sicht<br />
Die Besetzung des Audimax hatte im vergangenen Herbst eine einschlagende Wirkung<br />
auf die anderen österreichischen und internationalen Universitätsstädte. Die<br />
Bedeutung der Bewegung für Innsbruck konnte ich aus nächster Nähe miterleben.<br />
Bildungsbewegung in Serbien:<br />
„Wir sind keine Kinder der Bourgeoisie!“<br />
Über 500 Schülerinnen und Schüler, sowie Studierende<br />
demonstrierten am Dienstag, den 23. März<br />
in Belgrad gegen einen Gesetzesvorschlag, der alle Studierenden,<br />
die in einem Jahr nicht alle geplanten Examen<br />
schaffen, zu Studiengebühren zwingen würde. Die Studierenden,<br />
müssen, bei einem durschnittlichen Montseinkommen<br />
von 400 Euro, schon jetzt bis zu 3000 Euro<br />
Gebühren zahlen müssen. Eine Million Menschen - von<br />
sieben Millionen Einwohnern - ist arbeitslos.<br />
Der Protest selbst äußerte sich sehr lebhaft, mit Slogans<br />
wie „Wir sind keine Kinder der Bourgeoisie!“, „Wir<br />
wollen freie Bildung!“, und vor Parlament, Zentralbank<br />
und Regierungssitz: „Diebe!“. Außerdem hatten wir die<br />
Unterstützung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus<br />
zwei streikenden Betrieben.<br />
„Diese Situation bringt uns zu einem Punkt, wo nur<br />
mehr die Reichen fähig sein werden zu studieren. Es<br />
ist dieselbe Situation, die unsere Arbeitsplätze zugrunde<br />
gerichtet hat. Privatisierung ist das schlimmste, das<br />
uns passieren könnte.“, sagte einer der Arbeiter bei den<br />
Protesten. Die allgemeine Stimmung der Verbindung<br />
zwischen Kämpfen der Lohnabhängigen und der Studierenden<br />
war offensichtlich, sowohl auf der Demo als<br />
auch am Plenum danach.<br />
Schüler, die zum ersten Mal bei Protesten wie diesen<br />
teilnahmen, sind entschlossen diesen Kampf zu gewinnen.<br />
Vorbereitungen für die nächste Demonstration sind<br />
bereits in Angriff genommen. Noch in derselben Woche<br />
hat eine neue Runde von Treffen und Versammlungen<br />
in Universitäts- und Schulgebäuden angefangen. Jede<br />
involvierte Schule und Fakultät wird dann Delegierte<br />
zu einem zentralen Treffen schicken, das einen weiteren<br />
Vorweg, die Dynamik der<br />
aufkeimenden Besetzung<br />
in IBK war umso überraschender,<br />
weil sie aus dem Nichts<br />
entstand. Die politische Situation<br />
vor der Studentenbewegung war<br />
eine vollkommen passive, selbst die<br />
letzten ÖH-Wahlen erzeugten, trotz<br />
großem Einsatz der Parteien, nur<br />
müdes Schulterzucken. Das alles<br />
änderte sich sehr schnell und radikal<br />
als das Audimax besetzt wurde. Wie<br />
in anderen Städten auch fanden sich<br />
bald Menschen ein, die gewillt waren<br />
ihren Protest auf die Straße zu<br />
tragen und ein Zeichen zu setzen<br />
gegen alles, was falsch läuft in den<br />
Universitäten im Speziellen und<br />
in der von neoliberalen Tendenzen<br />
gebeutelten Gesellschaft im Allgemeinen.<br />
Ich muss zugeben, dass ich<br />
wenig Vertrauen in die Studentenschaft<br />
setzte, als ich den Aufruf zum<br />
Protest zum ersten Mal las. Ich rechnete<br />
eher mit einer schwachen Beteiligung<br />
beim Zug durch Innsbruck<br />
und bezweifelte, ob die Besetzung<br />
überhaupt stattfinden würde Nun,<br />
ich täuschte mich grundlegend. Es<br />
waren tausende von Studenten und<br />
Sympathisanten die sich zum Protest<br />
einfanden und ca. 1000 waren<br />
es, die daraufhin die größte Aula der<br />
Universität IBK besetzten. Es war<br />
für mich überraschend zu sehen wie<br />
schnell alles ging, wenn der Protest<br />
erst einmal begonnen hatte.<br />
Die Besetzung hielt bis Ende Dezember<br />
an, und endete mit einem<br />
Kompromiss. So wurde die SowiMax-Bewegung<br />
mit eigenen<br />
Räumlichkeiten ausgestattet und<br />
ein umfangreiches Angebot der<br />
kritischen Uni wurde finanziert. Es<br />
kann durchaus gesagt werden: Die<br />
Besetzung endete in einem Erfolg!<br />
Nicht nur, dass konkrete Forderungen<br />
erfüllt wurden, auch die Radikalisierung<br />
der Studentenschaft<br />
war die Folge. Viele, unter anderem<br />
auch ich, verstanden erst hier wie<br />
mächtig eine Bewegung von unten<br />
sein konnte und wie viel man erreichen<br />
kann, wenn man sich gegen<br />
das stellt, was als unveränderlich<br />
dargestellt wird.<br />
Wie wichtig diese Radikalisierung<br />
und die Organisation der Bewegung<br />
ist, zeigte sich dann bei den<br />
Bologna-Burns-Protesten Anfang<br />
März in Wien. Durch die Kontakte,<br />
die die Bewegung aufbauen<br />
konnte, konnte auch in Innsbruck<br />
eine große Mobilisierung gestartet<br />
werden, um die Blockaden und<br />
den Gegengipfel zu unterstützen.<br />
Ein weiterer Beweis weshalb eine<br />
permanente Organisation nötig<br />
ist um Bewegungen zu wirksamen<br />
Aktionen zu bringen und sie auch<br />
in Momenten des Abschwungs am<br />
„Leben“ zu erhalten. So wurde ein<br />
ÖBB-Sonderwagon nach Wien<br />
organisiert. Von Innsbruck waren<br />
es dann 80-90 Unterstützer, die<br />
sich nach Wien aufmachten, weit<br />
mehr als die Organisatoren sich<br />
erwartet hatten. Während der Zugfahrt<br />
wurde die Zeit genutzt um<br />
Gespräche zu führen und die Sitzblockaden<br />
vorzubereiten. Rechtshilfenummern<br />
wurden ausgegeben<br />
und Bezugsgruppen aufgestellt. Im<br />
Zug herrschte eine Stimmung der<br />
Vorfreude und der kämpferischen<br />
Spannung, die sich noch verstärkte<br />
als Wien erreicht wurde. Ich war<br />
sehr überrascht wie gut die Organisation<br />
funktionierte. Ich kannte<br />
vorher noch fast niemanden von<br />
<strong>Linkswende</strong> persönlich und rechnete<br />
eigentlich nicht mit einem so<br />
hohen Maß an Organisation und<br />
Aktivität wie ich sie dann am Donnerstag<br />
und den folgenden Tagen<br />
sah. Der Protestmarsch durch Wien<br />
war sehr beeindruckend, nicht nur<br />
wegen der Menschenmassen, sondern<br />
vielmehr wegen der greifbaren<br />
Stimmung der Veränderung die uns<br />
alle umgab. In solchen Momenten<br />
spürt man dann, dass die Menschen<br />
nicht alles passiv über sich ergehen<br />
lassen, sondern bereit sind für eine<br />
bessere Gesellschaft zu kämpfen.<br />
Die Tage während Bologna Burns<br />
bestärkten mich und noch viele andere<br />
in dem Weg, die Gesellschaft<br />
von unten zu verändern und die<br />
Richtung in die unsere Proteste führen,<br />
weiter auszubauen.<br />
Julian Fischnaller<br />
aus Innsbruck<br />
Massenprotest am 23. April plant.<br />
Dieses Mal haben wir die Regierenden unvorbereitet<br />
getroffen, weil wir es schafften, den Gesetzesentwurf<br />
in die Finger zu bekommen, bevor er vom Parlament<br />
beschlossen wurde. Das Dokument selbst ist nur ein<br />
weiterer Schritt von neoliberalen Bildungsreformen in<br />
Serbien, die mit den Attributen „progressiv“, „europäisch“<br />
und „Bologna-Reformen“ geschmückt werden. In<br />
der letzten Zeit wurde es für jeden und jede aber immer<br />
ersichtlicher, dass dieser Prozess die Bildung in Europa<br />
effektiv zerstört hat. Die Wochen vor uns werden zeigen,<br />
welche Chancen unsere Bewegung hat, die nächsten<br />
Schritte dieses Prozesses zu stoppen und eventuell<br />
den Kampf um freie und emanzipatorische Bildung für<br />
alle zu gewinnen.<br />
Matija Medenica<br />
aus Belgrad, Serbien<br />
Foto: Jan Macijek
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
I n t e r n a t i o n a l<br />
<br />
Israel zerstört letzte Illusionen<br />
von Dietmar Meister<br />
Der Alleingang Israels und die<br />
daraus folgende Verstimmung<br />
in der US-israelischen<br />
Beziehung kommen gar nicht so überraschend.<br />
Im Gegenteil lässt sich dadurch<br />
viel eher eine gewisse Kontinuität<br />
feststellen. Abgesehen davon, dass<br />
Israel weiterhin alle UN-Resolutionen<br />
gegen den Siedlungsausbau und –neubau<br />
(sowie fast alle anderen) der letzten<br />
Jahrzehnte missachtet, wurde das von<br />
Barack Obama als solches bezeichnete<br />
„besondere Band“ zwischen den USA<br />
und Israel in der Vergangenheit immer<br />
wieder etwas gespannt.<br />
Der Grund für dieses Zerwürfnis war<br />
fast immer die Siedlungsfrage in den<br />
besetzten Gebieten. Wie auch in diesem<br />
Fall riss es aber nicht, sondern es kam<br />
jedes Mal zu einem Kompromiss oder<br />
einem einseitigen Einlenken.<br />
Für die USA geht es dabei schließlich<br />
um den wichtigsten „Außenposten“ im<br />
Nahen und Mittleren Osten, für Israel<br />
um die militärische und diplomatische<br />
„Schirmherrschaft“.<br />
David gegen Goliath<br />
Jugendliche demonstrieren gegen die Grenzpolizei in Ramallah.<br />
Nach der Veröffentlichung des aktuellen<br />
Wohnbauprojekts kam es zu Auseinandersetzungen<br />
zwischen israelischen<br />
Sicherheitskräften und überwiegend<br />
jugendlichen Palästinensern. Vier Menschen<br />
sind dabei bereits getötet worden:<br />
in der Nähe von Nablus erschossen Soldaten<br />
zwei Palästinenser, die versucht<br />
hatten, Armeeangehörige mit Mistgabeln<br />
anzugreifen. Kurz zuvor ermordeten<br />
israelische Grenzsoldaten einen<br />
16- und einen 19-jährigen Palästinenser,<br />
die Steine auf die Sicherheitskräfte<br />
geworfen hatten.<br />
Kontinuität<br />
Der Alleingang Israels und die daraus<br />
folgende Verstimmung in der US-israelischen<br />
Beziehung kommen gar nicht<br />
so überraschend. Im Gegenteil lässt sich<br />
dadurch viel eher eine gewisse Kontinuität<br />
feststellen. Abgesehen davon, dass<br />
Israel weiterhin alle UN-Resolutionen<br />
gegen den Siedlungsaus- und –neubau<br />
(sowie fast alle anderen) der letzten<br />
Jahrzehnte missachtet, wurde das von<br />
Barack Obama als solches bezeichnete<br />
„besondere Band“ zwischen den USA<br />
und Israel in der Vergangenheit immer<br />
wieder etwas gespannt.<br />
Der Zerwürfnisgrund war fast immer<br />
die Siedlungsfrage in den besetzten Gebieten.<br />
Wie auch in diesem Fall riss es<br />
aber nicht, sondern es kam jedes Mal zu<br />
einem Kompromiss oder einem einseitigen<br />
Einlenken.<br />
Für die USA geht es dabei schließlich<br />
um den wichtigsten „Außenposten“ im<br />
Nahen und Mittleren Osten, für Israel<br />
um die militärische und diplomatische<br />
„Schirmherrschaft“.<br />
Abschreckung<br />
Der renommierte israelische Historiker<br />
Ilan Pappe schrieb im August 2006, kurz<br />
nach der Niederlage des israelischen<br />
Militärs gegen den von der Hisbollah<br />
geführten libanesischen Aufstand: „In<br />
anderen Gesellschaften hätte eine solche<br />
Niederlage dazu geführt, den Einsatz<br />
militärischer Macht zu überdenken<br />
– nicht so in Israel. Die Gefahr besteht,<br />
dass die Schlussfolgerung sein könnte,<br />
mehr Gewalt anzuwenden, um die<br />
verlorene abschreckende Wirkung wiederzuerlangen.<br />
(…) Wir können mehr<br />
Blutvergießen und aggressivere Politik<br />
erwarten – wenn nicht gegenüber Syrien<br />
und Iran, dann gegenüber den Palästinensern.“<br />
Die Realität hat seine Annahme leider<br />
bestätigt. Vor allem der brutale israelische<br />
Angriff auf den Gaza-Streifen im<br />
Winter 2008/09 war ein dahingehend<br />
klares Zeichen. Dieser oft auch als „Massaker“<br />
bezeichnete Militärschlag wird<br />
zurzeit im UN-Menschenrechtsrat behandelt.<br />
Dabei wird unter anderem der<br />
nach einem südafrikanischen Juristen<br />
benannte „Goldstone-Report“ herangezogen,<br />
welcher die Aussagen israelischer<br />
Soldaten, gezielt zivile Einrichtungen<br />
zerstört und rund 1400 Zivilisten getötet<br />
zu haben, bestätigte.<br />
Indes erhärtet sich der Verdacht gegenüber<br />
Israel, während des Angriffs auf<br />
Gaza das nach internationalem Recht<br />
verbotene „weiße Phosphor“, welches<br />
Menschen bis auf die Knochen verbrennen<br />
lassen kann, eingesetzt zu haben.<br />
Unterdessen forderte UN-Generalsekretär<br />
Ban-Ki-Moon die Aufhebung der<br />
weiterhin aufrechterhaltenen „nutzlosen<br />
und inakzeptablen“ Blockade des Gaza-<br />
Streifens.<br />
Zwei-Staaten-Lösung unmöglich<br />
Ein Blick auf die Landkarte der palästinensischen<br />
Gebiete genügt, um zu erkennen,<br />
dass die von vielen angestrebte<br />
„Zwei-Staaten-Lösung“, welche neben<br />
dem Staat Israel einen unabhängigen<br />
Palästinenserstaat vorsieht, nicht mehr<br />
als eine leere Floskel darstellt: palästinensische<br />
Siedlungsgebiete sind von<br />
einem kaum passierbaren israelischen<br />
Straßennetz (welches Nachbardörfer<br />
vollkommen voneinander abschneidet)<br />
durchzogen, das Westjordanland ist –<br />
vergleichbar mit einem „Ganzkörperausschlag“<br />
- übersät von israelischen Siedlungen<br />
und die räumliche Abtrennung<br />
vom Gazastreifen trägt nicht wirklich<br />
dazu bei, sich einen Palästinenserstaat<br />
vorstellen zu können, – genauso wie die<br />
zwei nebeneinander existierenden palästinensischen<br />
Regierungen der Hamas<br />
im Gaza-Streifen sowie der Fatah im<br />
Westjordanland. Der alleinige Weg zum<br />
Frieden führt über einen gemeinsamen<br />
säkularen Staat von Israelis und Palästinensern.<br />
Dafür muss nicht nur der<br />
Siedlungsbau gestoppt werden, sondern<br />
auch die „Apartheidmauer“ zwischen<br />
dem israelischen „Kernland“ und dem<br />
Westjordanland abgerissen werden. Unumgänglich<br />
ist vor allem das Rückkehrrecht<br />
für die im Zuge der Staatsgründung<br />
1948 vertriebenen rund 700.000<br />
Menschen, sowie für die etwa 8 Millionen<br />
derzeit als Flüchtlinge geführten<br />
Palästinenser gewährleistet werden.<br />
Links<br />
Jede Ausgabe bringen wir hier Videos, Animationen etc. von links. Wenn du<br />
etwas gefunden hast, dass auch hierher passt, dann schick uns ein Email. Alle<br />
Links auch abrufbar unter www.linkswende.org<br />
Kellernazis: Ariel Musicants<br />
Seite über die Kellernazis<br />
in der FPÖ bietet<br />
zahlreiche sehr wichtige<br />
Informationen, die den wahren<br />
Charakter der Freiheitlichen<br />
ohne Zweifel bloßstellen.<br />
www.kellernazisinderfpoe.at<br />
@ Web<br />
Das andere 9/11: Der<br />
britische Regisseur Ken<br />
Loach produzierte ein sehr<br />
berührendes Andenken an<br />
den Putsch in Chile 1973.<br />
www.youtube.com/watch?v=iMFmKg0k8cY<br />
Paris: Raffineriearbeiter<br />
stürmen die Zentrale des<br />
Ölmultis Total aus Protest<br />
gegen die geplanten Kündigungen.<br />
Leider nur auf<br />
Englisch zu haben.<br />
www.france24.com/en/20100308-total-edf--gas-terminal-refinery-dunkirk-strike-oil<br />
Gangs von Los Angeles:<br />
Die auf Deutsch übersetzte<br />
Dokumentation in 9 Teilen<br />
ist keine Romantisierung<br />
sondern sorgfältige Recherche<br />
über soziale und<br />
politische Hintergründe des<br />
alltäglichen Kriegs auf den Straßen.<br />
www.youtube.com/watch?v=DI70nXgGtj8<br />
Steuer gegen Armut:<br />
Finanztransaktionssteuer!<br />
Ein informativer Werbefilm,<br />
der aber ausspart, wie wir<br />
sie durchsetzen können.<br />
www.youtube.com/watch?v=o5Xz1uEo4ZI<br />
Klassenkampf in Thailand<br />
Hunderttausende „Rothemden“,<br />
die pro-demokratische Demonstranten,<br />
füllten zuletzt die Straßen<br />
der Städte Thailands. Die Bewegung konnte<br />
die Lügen der Regierung und der Medien,<br />
dass die „Rothemden“ eine Minderheit wären,<br />
widerlegen. Man fordert Neuwahlen<br />
von der vom Militär eingesetzten Regierung.<br />
Es ist schwierig vorherzusehen, wie die<br />
Führung der „Rothemden“ diesen massiven<br />
Beweis des öffentlichen Unmuts so umsetzen<br />
wird, dass sie die mächtige Armee, die<br />
2006 einen Putsch gegen Taksin durchgeführt<br />
hat, überwinden kann. Bisher sind<br />
die Führer der Bewegung nicht bereit, eine<br />
ideologische Attacke gegen das Militär und<br />
den König zu führen.<br />
Die überwiegende Mehrheit der „Rothemden“<br />
sind städtische und ländliche<br />
Arme, und die Führer reden wenigstens<br />
schon offen über „Klassenkampf“ zwischen<br />
der Bevölkerung und den Eliten.<br />
Sie müssten aber weitergehen und unter der<br />
urbanen Arbeiterklasse und den niedrigeren<br />
Rängen der Armee agitieren, um die Dynamik<br />
für einen revolutionären Wandel zu<br />
schaffen. Jeder Kompromiss wird nur die<br />
Macht der royalistischen Eliten festigen, die<br />
auf der Demokratie herum trampeln.<br />
Die politische Krise, die in Thailand<br />
herrscht, seit das Militär am 19. September<br />
2006 gegen die gewählte Regierung Taksin<br />
putschte, ist eine ernste Klassenauseinandersetzung<br />
zwischen den konservativen<br />
Reichen und den Armen des Landes. Es<br />
ist aber kein reiner Klassenkampf, und die<br />
Beteiligten haben verschiedene Ziele und<br />
verschiedene Konzepte von Demokratie. In<br />
das seit dem Zusammenbruch der kommunistischen<br />
Partei bestehende Vakuum auf<br />
der Linken konnte der Millionär und „Populist“<br />
Taksin Shinavat stoßen und Millionen<br />
ärmere Thais inspirieren.<br />
Die Gegner des faschistischen Putschs geben sich noch nicht geschlagen.<br />
Einige Kommentatoren versuchen den aktuellen<br />
Konflikt als Auseinandersetzung innerhalb<br />
der Eliten zwischen Taksin und den<br />
Konservativen darzustellen, als Krieg zwischen<br />
der „alten feudalen Ordnung“ und einer<br />
„modernen Kapitalistenklasse“. Darum<br />
geht es aber nicht. Vergessen wird dabei die<br />
Aktivität von Millionen ganz normaler Leute.<br />
Taksin konnte ein Bündnis mit den Arbeitern<br />
und den Bauern eingehen, indem er<br />
erstmals eine allgemeine Krankenversicherung<br />
und Geld zur Entwicklung der Dörfer<br />
zur Verfügung stellte.<br />
Die „Rothemden“ mögen Taksin, aber sie<br />
kämpfen nicht nur für seine Rückkehr. Sie<br />
wollen echte Demokratie und soziale Gerechtigkeit.<br />
Sowohl Taksin als auch seine<br />
Gegner sind königstreu, beide versuchen<br />
die Institutionen der Monarchie zu nutzen,<br />
um die Herrschaft der Kapitalistenklasse zu<br />
sichern.<br />
Die Massen in der Demokratie-Bewegung<br />
beginnen jetzt die gesamte elitäre Struktur<br />
des Staates infragezustellen, so auch die<br />
Monarchie. Grund dafür sind das arrogante<br />
Gehabe der Konservativen, die zeitliche<br />
Ausdehnung der Krise und die Selbstorganisierung<br />
von Millionen von „Rothemden“<br />
auf Grassroots-Niveau. Dieser Klassenkrieg<br />
hat das politische Denken in Thailand schon<br />
jetzt radikal verändert. Die Hauptfrage, vor<br />
der die Bewegung nun steht, ist, wie sie die<br />
Macht im Staat erobern kann.<br />
mehr Informationen auf:<br />
http://wdpress.blog.co.uk/disp/arcdir/
T h e m a<br />
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Wie die Nazis an die<br />
Macht gelangt sind<br />
Nur eines hätte unsere Bewegung<br />
stoppen können<br />
– wenn unsere Gegner ihr<br />
Prinzip verstanden hätten<br />
und vom ersten Tag an den Kern unserer<br />
neuen Bewegung mit aller Brutalität<br />
zerschlagen hätten“, sagte Hitler 1934.<br />
Die Nazis sind weder durch einen<br />
Putsch an die Macht gekommen, noch<br />
sind sie an die Macht gewählt worden.<br />
Die Macht wurde ihnen ausgehändigt,<br />
und zwar von den Kräften, für<br />
die Hitler noch kurz zuvor als Kanzler<br />
ausgeschlossen war.<br />
Hitler lehnte ein halbes Jahr vor der<br />
Machtergreifung des 30. Jänner 1933<br />
alle Angebote ab, als Vizekanzler in<br />
eine Koalitionsregierung einzutreten.<br />
Er wollte uneingeschränkte Macht<br />
und er erklärte den deutschen Industriellen<br />
offen, weshalb sie auf ihn<br />
setzen sollten. Alle anderen rechten<br />
Parteien waren zu schwach um die Arbeiterinnen-<br />
und Arbeiterbewegung<br />
in Schach zu halten. Und der Militärclique<br />
rund um Hindenburg fehlte<br />
jegliche Massenunterstützung um<br />
ohne demokratisches Mäntelchen und<br />
Duldung durch die Arbeiterparteien<br />
zu regieren. Keine Regierung konnte<br />
gegen die Gewerkschaften links von<br />
sich UND gegen die Nazis auf der<br />
Rechten regieren.<br />
Präsident Hindenburg, der Armeechef<br />
und die deutschen Industriellen<br />
gingen solange nicht auf Hitlers<br />
Anspruch auf die Kanzlerschaft ein,<br />
solange die NSDAP bei den Wahlen<br />
stärker wurde und so ein stabilisierendes<br />
Gegengewicht zu Arbeiterparteien<br />
und Gewerkschaft bildete.<br />
Als es mit der NSDAP bergab ging<br />
und sich Katastrophenstimmung bei<br />
den Nazis breit machte, hatten es die<br />
Mächtigen plötzlich eilig Hitler in die<br />
Regierung zu holen. Denn von Juli<br />
1932 bis November 1932 verloren die<br />
Nazis ein Achtel ihrer Wählerschaft.<br />
Bald würden sie zu schwach sein und<br />
könnten ihr Versprechen, der deutschen<br />
Arbeiterschaft das Rückgrat zu<br />
brechen, nicht mehr einlösen. Dabei<br />
Hitler 1935 in Nürnberg<br />
ging es nicht darum, eine revolutionäre<br />
Offensive der Arbeiterbewegung<br />
abzuwehren, wie oft behauptet wird.<br />
Die Arbeiterbewegung war im Gegenteil<br />
seit der widerstandslosen Zerschlagung<br />
der preußischen SPD-Regierung<br />
am 20. Juli 1932 (Preußenschlag)<br />
komplett demoralisiert. Es ging vielmehr<br />
darum, die Defensivkraft der<br />
Arbeiterbewegung zu brechen. Man<br />
fürchtete den Arbeiterwiderstand<br />
gegen die geplanten Arbeitsmarktreformen,<br />
die den deutschen Kapitalismus<br />
aus der Krise holen sollten. Dafür<br />
wollte man sich die Unterstützung der<br />
konterrevolutionären Nazibewegung<br />
- mit ihren hunderttausenden SA-Angehörigen<br />
und ihrem Rückhalt bei den<br />
mittelständischen Wählern – sichern.<br />
Hitler war seit seinem gescheiterten<br />
Putsch von 1923 klar, dass die Unterstützung<br />
der herrschenden Eliten<br />
für eine faschistische Diktatur keine<br />
Selbstverständlichkeit war. Kurz nach<br />
der Machtergreifung Mussolinis in<br />
Italien 1922 dachte er noch, es würde<br />
genügen, mit einigen angesehenen<br />
Generälen auf die Zentren der Macht<br />
loszumarschieren und der deutsche<br />
Staat, besonders das deutsche Militär,<br />
würde sich auf ihre Seite schlagen.<br />
Als stattdessen auf die Putschisten geschossen<br />
wurde, waren Hitler und seine<br />
Kumpanen schwer geschockt. Der<br />
Grund war, dass der deutsche Staat<br />
fürchtete, der Hitler-Putsch würde<br />
Röthis:<br />
Abschiebung verhindert<br />
In den frühen Morgenstunden<br />
verhinderten Nachbarn<br />
und Freunde einer kosovarischen<br />
Flüchtlingsfamilie<br />
deren Abschiebung.<br />
Die Familie lebt seit<br />
viereinhalb in der kleinen<br />
Gemeinde Röthis in Vorarlberg<br />
und erfüllt alle Kriterien<br />
für das Bleiberecht:<br />
sie sprechen deutsch, in<br />
der Firma Omicron warten<br />
Jobs auf sie und unter<br />
Freunden und Nachbarn<br />
wurden 350 Unterschriften<br />
zusammengetragen, die<br />
fordern, dass die Familie<br />
bleiben kann.<br />
Trotzdem kam im Morgengrauen<br />
die Fremdenpolizei.<br />
Die Nachbarn stellten<br />
sich in den Weg, machten<br />
Druck auf Politiker und<br />
jubelten als sie mithören<br />
konnten, wie die Polizei<br />
den Befehl bekam, sich zurückzuziehen.<br />
Endgültige<br />
Zusage, dass sie bleiben<br />
dürfen hat die Familie aber<br />
noch keine.<br />
Foto: Steurer<br />
Die kosovarische Flüchtlingsfamilie darf<br />
vorerst in Österreich bleiben.<br />
WWWebtipp<br />
Video über die verhinderte Abschiebung<br />
der Familie Durmisi in Röthis<br />
mit Filmmaterial während der Abschiebung,<br />
Interviews mit der Familie<br />
und Hintergrundinformationen.<br />
http://www.youtube.com/watch?v=cJ6y7Sx24tY<br />
Foto: Charles Russell<br />
einen Aufstand der Arbeiterbewegung<br />
oder sogar eine Revolution provozieren.<br />
Schließlich hatten sie erlebt, wie<br />
der Aufstand der Kieler Matrosen<br />
und die folgende deutsche Revolution<br />
im November 1919 den Kaiser<br />
stürzte und das Ende des 1. Weltkriegs<br />
erzwungen hatte. Die radikale Reaktion<br />
auf den Kapp-Putsch am 13. März<br />
1920, als die Arbeiter Rote Armeen<br />
gründeten und in den Generalstreik<br />
gingen, war den Herrschenden noch<br />
in sehr lebendiger Erinnerung. Und<br />
1923 entging Deutschland nur dank<br />
der Unfähigkeit der Arbeiterparteien<br />
SPD und KPD einem revolutionärem<br />
Aufstand. Hitler musste im Gefängnis<br />
einsehen, dass ein neuerlicher Putschversuch<br />
keinen Erfolg bringen konnte.<br />
Er musste aus den Nazis eine salonfähige<br />
Wahlbewegung aufbauen und<br />
gleichzeitig eine Massenorganisation<br />
bewaffneter Schlägertruppen, um im<br />
entscheidenden Moment den Rückhalt<br />
der wichtigsten deutschen Eliten<br />
zu bekommen. Am 30. Jänner 1933<br />
war es schließlich soweit: Hindenburg<br />
ernannte Hitler zum Kanzler. Als die<br />
Nazis ihr wahres Gesicht zeigten, waren<br />
die deutschen Arbeiter die ersten,<br />
die den Preis dafür zahlten, dass ihre<br />
Parteien nicht rechtzeitig den Widerstand<br />
gegen die Nazis aufgebaut haben.<br />
Die wichtigste Lehre aus der Geschichte<br />
ist erstens, dass man sich von dem<br />
demokratischen Anschein, den moderne<br />
faschistische Parteien gerne verbreiten,<br />
keine Sekunde täuschen lassen<br />
darf. Zweitens kann man nicht auf die<br />
parlamentarischen Institutionen als<br />
Schutzmechanismus gegen Faschismus<br />
setzen. Die Faschisten bauen auf<br />
Stimmenmaximierung im Parlament,<br />
um ihre Machtbasis zu vergrößern<br />
und um so attraktiv für die Mächtigen<br />
zu werden. Wenn man den Aufstieg<br />
der Faschisten verhindern will, dann<br />
muss man unter ihre Nadelstreifanzüge<br />
und Trachtenkleidung sehen, sie<br />
aus den demokratischen Institutionen<br />
verjagen und sie dazu bringen, ihre<br />
braunen Uniformen offen zu tragen.<br />
Letztendlich können die Nazis aber<br />
nur durch eine militante Massenbewegung<br />
in der direkten Konfrontation<br />
geschlagen werden. Diese Verantwortung<br />
wird der Arbeiterbewegung auch<br />
in Zukunft niemand abnehmen.<br />
Lichtertanz<br />
gegen<br />
Rosenkranz<br />
Abschiebung in Niederösterreich:<br />
Gemeinde wehrt sich<br />
In nur drei Tagen wurde eine<br />
fünfköpfige Familie nach fünfjährigem<br />
Aufenthalt aus ihrem Zuhause<br />
in Muthmannsdorf, (NÖ) gerissen,<br />
in Schubhaft genommen und<br />
in den Kosovo abgeschoben.<br />
Zurück bleiben die fassungslosen<br />
Freunde der Kinder und deren Eltern<br />
und Lehrer.<br />
Rechtlich ist die Situation – trotz<br />
eines angeblichen „Bleiberechts“ -<br />
aussichtslos. Die betroffenen Nachbarn<br />
wollen diese Praxis jedoch nicht<br />
undokumentiert stehen lassen. Auf<br />
der Website www.fussballverbindet.<br />
org sammelt eine nach der Abschiebung<br />
gegründete Plattform Unterschriften<br />
für menschliches Handeln<br />
und die Vollziehung eines humanitären<br />
Bleiberechts. In der Zwischenzeit<br />
hat die Petition bereits über 9.300<br />
Stadt-Gruppentreffen:<br />
jeden Donnerstag um 19:00, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8)<br />
Uni-Gruppentreffen:<br />
jeden Freitag um 19:00 im Tunnel, (8., Florianigasse 7)<br />
Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich<br />
Internet: www.linkswende.org - linkswende@linkswende.org<br />
Tausende haben ein Zeichen gegen Rosenkranz gesetzt.<br />
KONTAKT<br />
Über 6.000 Menschen haben<br />
am Donnerstag, den 25.3.,<br />
gegen die FPÖ und Barbara<br />
Rosenkranz demonstriert. „Es ist gar<br />
keine Frage – die Faschisten sollen wissen,<br />
dass wir sie niemals mehr an die<br />
Macht lassen“, erklärte Claudia, eine<br />
junge Studentin, auf die Frage weshalb<br />
sie hergekommen ist. Die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer ließen<br />
auch keine Zweifel daran, dass sie bereit<br />
sind, mit ihrem Widerstand noch viel<br />
weiter zu gehen. Den stärksten Applaus<br />
bekamen die Reden, die an den antifaschistischen<br />
Konsens „Niemals wieder“<br />
einschwuren.<br />
Enttäuschend war, dass auch Erhard<br />
Busek, ein ÖVP-Politiker, zur Kundgebung<br />
eingeladen wurde. Er erschien<br />
zwar nicht persönlich, aber alleine<br />
Grußworte aus der ÖVP zu hören, war<br />
schockierend. Hat man vergessen, dass<br />
die ÖVP aus der Partei der Austrofaschisten<br />
hervorgegangen ist, die 1933<br />
das Parlament ausgeschaltet haben und<br />
1934 hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
ermordet haben? Oder dass die<br />
ÖVP im Jahr 2000 einen Regierungspakt<br />
mit der FPÖ eingegangen ist? Wer<br />
meint, in einem Bündnis mit liberalen<br />
Elementen aus der ÖVP ein wirksames<br />
Bündnis gegen den Faschismus eingehen<br />
zu können, hat die österreichische<br />
Geschichte – und den aktuellen Skandal<br />
um den Akademikerbund – einfach<br />
ignoriert.<br />
Vor allem war die Kundgebung aber ein<br />
großer Erfolg für die tausenden Teilnehmer<br />
und den Initiator Robert Slovacek:<br />
„Was mich dazu motiviert hat diese<br />
Facebook-Gruppe zu gründen war, dass<br />
mit Barbara Rosenkranz eine Person<br />
als Bundespräsidentin kandidiert, die<br />
ungeniert die Leugnung des Mordes<br />
an Millionen Jüdinnen und Juden als<br />
„freie Meinungsäußerung“ abtut und<br />
das Verbotsgesetz und damit den antifaschistischen<br />
Grundkonsens der 2.<br />
Republik infrage stellt. Die Kandidatur<br />
einer solchen Person ist ein Schlag<br />
ins Gesicht der Holocaust-Opfer und<br />
-Überlebenden.“<br />
Unterschriften gesammelt.<br />
Es ist durch die ständigen Verschärfungen<br />
des Fremdenrechts Praxis<br />
geworden, sofort und rigoros nach<br />
einem negativen Asylbescheid durchzugreifen.<br />
Der Familie wird kaum die<br />
Möglichkeit gegeben zu packen, und<br />
bevor man sich verabschieden kann,<br />
wird man abgeschoben. In diesem Fall<br />
lagen zwischen dem negativen Asylbescheid<br />
und der Abschiebung lediglich<br />
5 Tage. Es häufen sich immer mehr<br />
Fälle, in denen sich die Freunde und<br />
die Gemeinde wehrt und sich hinter<br />
die Schutzsuchenden stellt. Nur<br />
die Politik, nicht die Bevölkerung,<br />
steht hinter dem Fremdenrecht. Der<br />
Widerstand hat sich entwickelt, weil<br />
niemand mehr verstehen kann, dass<br />
diese Verbrechen gegen unschuldige<br />
Menschen „Recht“ sein sollen.<br />
IMPRESSUM<br />
für den Inhalt verantwortlich:<br />
<strong>Linkswende</strong><br />
Foto: Daniel Weber<br />
Verein gegen Rassismus<br />
und soziale Ungerechtigkeit<br />
(Vereinsnummer: ZVR - 593032642)<br />
Kettenbrückeng. 11/20, 1050 Wien<br />
0681/10605517, www.linkswende.org<br />
redaktion@linkswende.org
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Der UP-Regierung gelang<br />
es, erstaunliche Reformen<br />
durchzuführen. So wurde<br />
allen Kindern unter 7 Jahren ½ Liter<br />
Milch pro Tag zugesichert, was<br />
ein großer Schritt für ein armes<br />
Land wie Chile war. Außerdem kam<br />
es zu kleineren Agrarreformen und<br />
zu Verstaatlichungen von vor allem<br />
ausländischen Konzernen. Alles in<br />
allem vermied Allende jedoch größere<br />
Angriffe auf chilenische Unternehmen.<br />
Streik der Bosse<br />
Die herrschende Klasse Chiles<br />
wollte 1972 Allende durch Unternehmerstreiks<br />
stürzen. Die Bosse<br />
sperrten einfach die Firmengebäude<br />
und Supermärkte zu, Ärzte und<br />
Anwälte schlossen ihre Büros. Sie<br />
versuchten das Land zu lähmen, indem<br />
sie wirtschaftliches Chaos und<br />
Panik erzeugten. Allende sollte so<br />
zum Rücktritt gezwungen werden.<br />
Die UP-Regierung wusste nicht,<br />
wie sie mit der Offensive der Kapitalisten<br />
umgehen sollte. Sie war<br />
gelähmt.<br />
Selbstorganisation<br />
Die Arbeiter Chiles wichen dem<br />
Druck nicht: sie begannen, ihr<br />
Geschick in die eigene Hand zu<br />
nehmen und bildeten „comandos<br />
comunales“ zur Nahrungsmittelversorgung,<br />
zur Selbstverteidigung,<br />
für Bildung, usw., die zusammen<br />
mit den in den Betrieben gebildeten<br />
„cordones industriales“ die<br />
Kontrolle über das Land übernahmen.<br />
Die cordones waren bereits da, als<br />
die Unternehmer die Werke zusperren<br />
wollten. Über Produktion und<br />
Verteilung der Güter wurde nun<br />
gemeinsam diskutiert und entschieden,<br />
nach den Prinzipien der Arbeiterinnen-<br />
und Arbeiterdemokratie.<br />
Dadurch war es dem chilenischen<br />
Volk gelungen, die Offensive der<br />
Unternehmer zurückzuschlagen<br />
und damit die Allende-Regierung<br />
zu retten.<br />
K O L U M N E N<br />
Vergessene Geschichte<br />
Der gescheiterte Weg zum Sozialismus<br />
Salvador Allende und die Unidad Popular (UP) gewannen 1970 nach Jahren intensiver Klassenkämpfe die<br />
Wahlen in Chile. Es war ein Ausdruck der Stärke der chilenischen Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung.<br />
Dementsprechend hoch waren die Erwartungen in Allende. Als Vertreter der alten Schule der Sozialreformer<br />
verkündete er den „chilenische Weg zum Sozialismus“, schreibt Daniel Harrasser.<br />
Serie:<br />
Der revolutionäre Krieg reiht sich in die<br />
großen bürgerlichen Revolutionen ein -<br />
die holländische Revolte, die englische Revolution,<br />
die französische und eben die amerikanische<br />
Revolution. Wie in anderen Revolutionen gab<br />
es eine Vielzahl von Ursachen, die einander beeinflussten.<br />
Der englisch-französische Krieg von<br />
1756 – 1763 brachte England die Kontrolle<br />
über die Kolonien in Übersee, aber er kostete<br />
die Krone auch Unmengen an Schulden, die<br />
jetzt von den Kolonialisten eingetrieben werden<br />
sollten. Eine ganze Serie neuer Steuern erregte<br />
den Zorn der Angehörigen aller Klassen – mit<br />
Ausnahme der Sklaven. Dazu kamen politische<br />
Argumente, denn die Kolonialisten mussten für<br />
eine Politik bezahlen, die sie selbst nicht mitbestimmen<br />
konnten. England reagierte darauf, indem<br />
es den Streit eskalierte und die Bevölkerung<br />
der Kolonien noch stärker disziplinierte. „Ungehorsame“<br />
sollten nach England verschleppt und<br />
dort vor Gericht gestellt werden.<br />
In jeder großen Protestbewegung ändern sich<br />
die Vorstellungen der Menschen während sie in<br />
Aktion geraten und diese Veränderungen ihrer<br />
Ideen wiederum führen zu einem Aufschwung<br />
von Aktionen. Der größte Teil der Bevölkerung<br />
verstand sich noch als britisch und als loyal,<br />
als in New York die Bevölkerung begann, aus<br />
Protest gegen ein neues System von Steuereintreibern<br />
Freiheitsmasten (liberty poles) aufzustellen.<br />
Jedes Mal nachdem die Truppen sie<br />
entfernten, wurden neue aufgestellt. In Boston<br />
feuerten Truppen auf Demonstranten, die sie<br />
mit Schneebällen bewarfen und töteten fünf<br />
Das Militär bombardierte Städte und pferchte 100.000e in Lager<br />
Aber diese Bewegung ging viel<br />
weiter: sie zeigte eine grundsätzliche<br />
Alternative auf, wie eine Gesellschaft<br />
demokratisch von den<br />
Menschen selbst organisiert werden<br />
kann. Allende passte diese Selbstaktivität<br />
der Arbeiterklasse nicht<br />
in sein Konzept eines „chilenischen<br />
Weges zum Sozialismus“.<br />
Die UP-Regierung einigte sich in<br />
der Folge ungeachtet des Umsturzversuchs<br />
mit den Unternehmern.<br />
Ein erster Putschversuch<br />
Nachdem der Versuch der Unternehmer,<br />
Allende mit wirtschaftlichem<br />
Druck aus dem Amt zu<br />
hebeln misslungen war, planten<br />
sie den militärischen Putsch. Im<br />
Juni 1973 wurde der erste Versuch<br />
unternommen, und wieder war<br />
die Reaktion der Arbeiter enorm:<br />
sie schützten die Regierung mit<br />
massiven Protesten. Diesmal ging<br />
Allende sogar noch weiter um den<br />
Klassenkampf zu befrieden und beorderte<br />
sogar Armeegeneräle in die<br />
Regierung, unter ihnen ein gewisser<br />
General Pinochet. Die UP-Regierung<br />
fürchtete sich mehr vor der<br />
Massenaktivität von unten als vor<br />
den Bossen.<br />
Militärregime & „Chicago Boys“<br />
Pinochet und die Eliten verstanden<br />
Allendes Entgegenkommen als<br />
Schwäche. Am 11. September 1973<br />
übernahm General Pinochet nach<br />
einem Militärputsch die Macht.<br />
Gewerkschaften, politische Parteien<br />
und Streiks wurden verboten,<br />
Zehntausende fielen dem Terror<br />
der Todesschwadronen zum Opfer.<br />
Auch wirtschaftlich wurde das<br />
Land umstrukturiert: Für die internationale<br />
herrschende Klasse war<br />
Chile das ideale Testfeld der Privatisierungspolitik.<br />
Chilenische Ökonomen,<br />
die in Chicago bei Milton<br />
Friedman studierten, errichteten in<br />
Chile das erste Experiment neoliberaler<br />
Politik. Sie waren das ökonomische<br />
Hirn der Diktatur.<br />
7. Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg<br />
Der Unabhängigkeitskrieg (1775 - 1783), auch amerikanischer revolutionärer Krieg genannt, ist in mehrfacher<br />
Weise eines der bedeutendsten Ereignisse der modernen Geschichte. Er ist Ursprung des legendären<br />
„land of the free“, denn die heutigen USA waren das erste Land, das sich durch eine Revolution erfolgreich<br />
aus den Ketten des britischen Kolonialreichs befreit hat, schreibt Manfred Ecker.<br />
Thomas Paine, eine zeitgenössische<br />
Karikatur des Revolutionärs<br />
Menschen.<br />
Protestaktionen wurden in den verschiedensten<br />
Gesellschaftsschichten organisiert. Ganz oben<br />
entschieden Delegierte der Kolonien über einen<br />
Handelsboykott gegen England, dessen<br />
Erfolg aber davon abhängig war, ob Gruppen<br />
von Händlern sich daran hielten. Viel wichtiger<br />
war die Mittelklasse zwischen der Elite und den<br />
Armen. Aus ihr formierten sich die „sons of liberty“<br />
(Söhne der Freiheit); sie rekrutierten sich<br />
aus der Schicht, die auch für die „New Model<br />
Army“ der englischen Revolution so entscheidend<br />
war, den Handwerkern, Kleinhändlern<br />
und Intellektuellen. Sie waren imstande, die<br />
zahlreichen Proteste in den Städten gegen die<br />
Foto: Revolutionary Communist Party USA<br />
Kolonialherren zu dirigieren. Ihr berühmtester<br />
Vertreter war Tom Paine, der Autor der revolutionären<br />
Broschüre ‚Common Sense’, die<br />
das Herrschaftsrecht des Königs infrage stellte<br />
und die Ideen der Aufklärung in eine Sprache<br />
brachte, die von den einfachen Menschen leicht<br />
verstanden werden konnte. Es wurden davon<br />
an die 150.000 Exemplare gedruckt. Zu einem<br />
Zeitpunkt, wo Massenaktivität ihr Maximum<br />
erreicht, schaffen es Argumente, dass Menschen<br />
die Dinge anders sehen.<br />
Aber die Großgrundbesitzer und reichen Händler<br />
brachten in der Versammlung der Delegierten<br />
der Kolonien eine Unabhängigkeitserklärung zu<br />
Fall. Wie in anderen Revolutionen sahen sich<br />
die Rebellen nun gezwungen, eine Bewegung<br />
außerhalb der legalen Strukturen aufzubauen.<br />
Mit Unterstützung der Milizen der Kolonien<br />
wurde eine neue Versammlung gegründet, der<br />
nur Männer angehören durften, die dem König<br />
abgeschworen hatten. Der Weg für die radikalste<br />
Verfassung, die die Geschichte bis dahin<br />
gesehen hatte, und für die Unabhängigkeitserklärung<br />
war damit geebnet.<br />
Was dann folgte, war der berühmte Unabhängigkeitskrieg<br />
zwischen den Truppen Englands<br />
und der Unabhängigkeitsbewegung. Die Revolte<br />
nahm aber auch auf sozialer Ebene ihren<br />
Lauf, etwa im Tyron Valley von New York, wo<br />
die mächtige Großgrundbesitzerfamilie Johnson<br />
entschlossen war, jeden Widerstand zu brechen,<br />
und ein Bürgerkrieg innerhalb des Unabhängigkeitskriegs<br />
wütete: hunderte kleine Farmer wurden<br />
ermordet und Tausende vertrieben.<br />
Bücher<br />
for Rebels<br />
John Boyne<br />
Der Junge im<br />
gestreiften Pyjama<br />
ISBN 978-3-596-80683-6, Fischer Verlag.<br />
272Seiten<br />
<br />
von Mario Schulmeister<br />
Der Junge im gestreiften<br />
Pyjama (original:<br />
The Boy in the<br />
Striped Pyjamas) ist<br />
ein Buch des irischen<br />
Schriftstellers John<br />
Boyne aus dem Jahr<br />
2006. Es handelt<br />
von Bruno, einem<br />
achtjährigen Jungen<br />
der zur Nazi-<br />
Zeit in Berlin lebt.<br />
Als er eines Tages<br />
von der Schule<br />
nach Hause<br />
kommt, bricht<br />
seine Welt zusammen,<br />
weil<br />
er ohne Vorwarnung<br />
Berlin verlassen muss. Sein Vater wurde<br />
befördert und aufs Land in ein Konzentrationslager<br />
versetzt. Bruno, seine Mutter und seine Schwester<br />
folgen dem Vater. Der Autor nahm sich die Freiheit,<br />
nicht auf Auschwitz im Besonderen einzugehen, sondern<br />
beschränkte sich auf die allgemeine Methodik<br />
dieser Lager. Bruno muss alle seine Freunde in Berlin<br />
zurücklassen und fühlt sich allein. So recht weiß er<br />
zwar nicht, was sein Vater macht, aber es muss etwas<br />
sehr Wichtiges sein. Er hat nun nur mehr seine ältere<br />
Schwester Gretel zum Reden, die hat jedoch nur<br />
Augen für den sadistischen jungen Offizier Leutnant<br />
Kotler, der sich permanent im Haus aufhält. So begibt<br />
sich Bruno auf verbotene Streifzüge durch die<br />
umliegenden Wälder. Dabei entdeckt er den Zaun<br />
des Arbeitslagers, wo sich viele Leute in „gestreiften<br />
Pyjamas“ aufhalten. Durch Zufall lernt er dort den<br />
gleichaltrigen Schmuel kennen, der hinter dem Zaun<br />
lebt und sie werden Freunde. Die beiden Jungen treffen<br />
sich jeden Tag am Stacheldrahtzaun, sie reden<br />
oder spielen Brettspiele – jeder auf seiner Seite. Eine<br />
der interessantesten Stellen ist die, als Schmuel ins<br />
Haus von Bruno zum Arbeiten eingeteilt wird. Bruno<br />
gibt dabei Schmuel aus dem Kühlschrank zu essen.<br />
Als er von Leutnant Kotler angesprochen wird, ob<br />
Bruno ihm zu essen gegeben habe, oder Schmuel es<br />
sich stahl, verrät Bruno seinen Freund. Unmittelbar<br />
danach begreift Bruno, dass er seinen Freund im Stich<br />
gelassen hat. Nur langsam fanden die beiden Freunde<br />
wieder zueinander. Als Schmuel schließlich seinen<br />
Vater nicht mehr findet, will Bruno ihm suchen helfen<br />
und schmuggelt sich ins Lager, in dem alle Leute<br />
nur Pyjamas tragen.<br />
Das Buch bedeutete den Durchbruch des irischen<br />
Autors Boyne. Es erhielt weltweit hohes Kritikerlob<br />
und hielt es sich monatelang in den Bestsellerlisten.<br />
2008 wurde die Geschichte verfilmt. Im Herbst 2009<br />
lief der Streifen schließlich in den österreichischen Kinos.<br />
Boyne gelingt es in diesem Buch die Schrecken<br />
des Holocaust aus dem Blickwinkel eines naiven Kindes<br />
zu beschreiben. Bruno stellt aus seiner Naivität<br />
heraus unpassende Fragen und spricht vom „Furor“<br />
und „Aus-Wisch“. Im Gegensatz zu seiner Schwester,<br />
die unreflektiert die Propaganda übernimmt, fragt<br />
Bruno, ob er auch Jude sei, und begreift die Gut/<br />
Böse-Rhetorik des 3. Reichs nicht.<br />
Boyne meinte, dass nur Opfer und Überlebende<br />
die Gräuel jener Zeit in Auschwitz wirklich begreifen<br />
können, und dass wir anderen - die sich auf der<br />
anderen Zaunseite befinden – nicht mehr als versuchen<br />
können, aus dem Ganzen schlau zu werden. Die<br />
einfache Art, wie das Buch geschrieben ist, macht<br />
das Lesen besonders für Jugendliche Interessant. Es<br />
tut gut, dass es nicht mit dem erhobenen Zeigefinger<br />
geschrieben wurde. Die erschütternde Botschaft ist,<br />
dass Du es sein könntest, der auf der anderen Seite des<br />
Zauns ohne Essen, ohne Schuhe, ohne Zukunft lebt!
10 T H E O R I E<br />
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
Monatelange Besetzung von<br />
Hörsälen, riesige Demonstrationen<br />
und erfolgreiche<br />
Blockaden des Bolognagipfels – sie haben<br />
bisher trotz Aufbruchstimmung zu<br />
wenig politischen Druck erzeugt, um die<br />
schlechten Bedingungen an Unis und<br />
Fachhochschulen zu ändern.<br />
Auch andere gesellschaftliche Bereiche<br />
sind im Moment von Kürzungen bedroht.<br />
Milliardenausgaben für Banken<br />
und Konzerne, die uns angeblich aus<br />
der Wirtschaftskrise hätten retten sollen,<br />
gelten nun als Rechtfertigung für Sparmaßnahmen.<br />
Während in Griechenland<br />
mit Generalstreiks und Massenprotesten<br />
dagegen angekämpft wird, will der ÖGB<br />
möglichst still halten (s. Artikel S.3).<br />
Doch um die neoliberalen Angriffe zu<br />
verhindern gilt für Lohnabhängige wie<br />
für Studierende: Trotz aller Widrigkeiten<br />
bleibt Streik unsere effektivste Waffe. Im<br />
Folgenden sollen deshalb Fragen, wie die<br />
demokratische Legitimierung, die Wichtigkeit<br />
einer Ausweitung des Streiks, die<br />
Umsetzung und die Rolle von Gewalt<br />
und Streikketten geklärt werden.<br />
Was bedeutet Streik?<br />
Der Kapitalismus baut nach Marx auf<br />
einer gewaltigen Ungleichheit zwischen<br />
zwei Klassen auf – derjenigen, die ihre<br />
Arbeitskraft verkaufen muss und mit ihrer<br />
Arbeit Wert schafft und derjenigen,<br />
die die Produktionsmittel besitzt und<br />
den von den Arbeiterinnen und Arbeitern<br />
erwirtschafteten Mehrwert als Profit<br />
abschöpft. Lohnabhängige haben im<br />
Produktionsprozess also eine Stellung,<br />
die ihnen erlaubt, mit der Niederlegung<br />
ihrer Arbeit – ihrem „ökonomischen<br />
Muskel“ - Unternehmern zu schaden.<br />
Denen entgehen dadurch schlicht und<br />
einfach Gewinne. Große bzw. lang anhaltende<br />
Streiks können sogar die ganze<br />
Gesellschaft lahm legen, indem nichts<br />
mehr produziert und verwaltet wird.<br />
Streiks unterscheiden sich aber nicht nur<br />
durch ihre Reichweite, sondern auch<br />
durch ihre Forderungen: ökonomische<br />
Forderungen wie die um höhere Löhne<br />
richten sich direkt an den Arbeitgeber,<br />
politische Forderungen wie nach gesetzlicher<br />
Arbeitszeitverkürzung richten sich<br />
auch an die Regierung bzw. an den Staat.<br />
Ökonomische und politische Streiks lassen<br />
sich aber nicht voneinander trennen<br />
und stehen in Wechselwirkung zueinander,<br />
sodass sie sich gegenseitig befruchten.<br />
Alex Callinicos, marxistischer Autor und<br />
Aktivist, schreibt, dass „der Klassenkampf<br />
der Arbeiterklasse nur erfolgreich sein<br />
kann, wenn er von einem ökonomischen<br />
in einen politischen Kampf überführt wird<br />
… in dem sich Arbeiter ihres historischen<br />
Interesses bewusst werden und die politische<br />
Entmachtung der Kapitalisten zum Ziel<br />
erheben.“<br />
Auswirkungen<br />
Neben der wirtschaftlichen Funktion<br />
zur Hebung des Lebensstandards maß<br />
Marx Streiks also deshalb eine derart<br />
große Bedeutung bei, weil sie einen entscheidenden<br />
Beitrag zur Hebung des<br />
Bewusstseins und der Organisation der<br />
Arbeiterklasse leisten. In der Russischen<br />
Revolution bildeten sich z.B. spontan<br />
Räte bzw. „Sowjets“, die die Streikenden<br />
organisierten und fortan wichtige politische<br />
Aufgaben übernahmen. Ähnliches<br />
geschah 2001 in Argentinien, wo Nachbarschaftskomitees<br />
und „Volksversammlungen“<br />
(Asambleas) die Notwendigkeit<br />
zum Ausdruck brachten, dass diejenigen,<br />
die schon den Präsidenten gestürzt haben,<br />
sich selbst organisierten.<br />
Diese Selbstorganisation rüstet also für<br />
spätere Kämpfe, löst aber auch einen Bewusstseinssprung<br />
bei den Beteiligten aus:<br />
Durch die Solidarisierung mit Kollegen<br />
und Kolleginnen und die kollektive Aktion<br />
entsteht eine Perspektive für den<br />
gemeinsamen Kampf.<br />
Dieser gemeinsame Kampf trägt dadurch,<br />
dass er die Widersprüche im<br />
Kapitalismus konfrontieren muss, den<br />
Ansatz, das ganze System anzugreifen in<br />
sich.<br />
Ökonomische Basis<br />
Der kürzlich verstorbene Marxist Chris<br />
Harman erläuterte die Veränderungen<br />
des Kapitalismus im 21. Jahrhundert:<br />
„Es gewinnt Arbeit an Bedeutung, die<br />
nicht unmittelbar Waren herstellt, sondern<br />
dazu dient, die Produktivität der unmittelbaren<br />
Produzenten zu erhalten und zu<br />
erhöhen.“ Durch die immer höheren Anforderungen,<br />
die das kapitalistische System<br />
an die Fertigkeiten und Ausbildung<br />
seiner Arbeitskräfte stellt, arbeiten somit<br />
auch Lehrende und Forschende für die<br />
Kapitalakkumulation. Die Zusammenarbeit<br />
mit der Arbeiterschaft an den Unis<br />
kann nur ein erster Schritt sein ,um sich<br />
in weiterer Folge mit der großen Masse<br />
der Arbeiter zu verbinden. Diese sind<br />
im kollektiv organisierten Produktionsprozess<br />
verankert und können somit die<br />
Kontrolle über die Produktion, auf der<br />
die Macht der herrschenden Klasse beruht,<br />
übernehmen.<br />
Situation an den Unis<br />
Tatsächlich sind aber nicht immer ausgerechnet<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter die<br />
ersten, die gegen die gesellschaftlichen<br />
Missstände aufstehen. Die antikapitalistische<br />
Bewegung seit Seattle 1999<br />
beruhte zunächst – wie die Bewegung<br />
Ende der 1960er Jahre – auf Menschen,<br />
die nicht fest im Produktionsprozess<br />
verankert waren: Studierende, Schüler<br />
und Schülerinnen, Menschen, die nicht<br />
Tag für Tag an die Werkbank oder das<br />
Büro „gekettet“ sind. Schon 1968 hat<br />
das Zusammenspiel mit Studierenden<br />
gezeigt: Nach den Revolten der Studierenden<br />
in Frankreich sprang der Funke<br />
über und der größte Generalstreik<br />
Frankreichs brachte die Regierung ins<br />
Wanken. Schaut man sich Prölls Sparprogramm<br />
für 2011 an, so erkennt man,<br />
dass der Gewerkschaft ein Schuss Radikalisierung<br />
aus der Protestbewegung der<br />
Studierenden gut tun würde. Es braucht<br />
STREIK<br />
AN DEN UNIS<br />
Die größte Studierendenbewegung der österreichischen Geschichte ist in den<br />
letzten Monaten von Erfolg zu Erfolg gehüpft. Dennoch kommen von oben<br />
immer mehr Einschnitte auf uns zu und unsere Forderungen werden ignoriert.<br />
Judith Litschauer und Hannah Krumschnabel über den logischen nächsten<br />
Schritt, Ministerin Karl die Daumenschraube anzulegen: Streik!<br />
Widerstand gegen den Versuch die Kosten<br />
der Krise abermals auf die niedrigen<br />
Einkommensklassen abzuwälzen.<br />
Bezeichnend ist auch, dass es in der derzeitigen<br />
Krise vor allem jene (prekären)<br />
Beschäftigungsverhältnisse sind, in denen<br />
sich die meisten Studierenden befinden,<br />
die bei Bedarf als erstes gestrichen<br />
werden. Heute sind die Lebensrealitäten<br />
eines Großteils der Studierenden zunehmend<br />
dieselben wie die ihrer erwerbstätigen<br />
Gleichaltrigen. Beide sind massiv<br />
von ökonomischen Problemen betroffen.<br />
Dies wird mitunter durch die auseinander<br />
klaffende Einkommensschere<br />
und die kürzlich veröffentlichte Studierendensozialerhebung<br />
deutlich. Es wird<br />
immer klarer, dass Lohnkürzungen, Bildungs-<br />
und Sozialabbau einen gemeinsamen<br />
Grund und einen gemeinsamen<br />
Charakter haben – so müssen sie auch<br />
gemeinsam bekämpft werden.<br />
Streik an der Uni<br />
Nicht nur wegen der neoliberalen Umstrukturierung<br />
der Universitäten (u.a.<br />
durch den Bologna-Prozess) zu privat<br />
finanzierten Bildungsfabriken, sondern<br />
auch aus politischen Gründen ist Streik<br />
die Lösung.<br />
Ein Streik kann, im Vergleich zu anderen<br />
Aktionsformen, die Kräfteverhältnisse<br />
zwischen Regierung und Bewegung<br />
nachhaltiger verlagern. Beatrix Karl ist<br />
zwar im Moment in der Defensive, aber<br />
wir dürfen nicht zulassen, dass sie wie ihr<br />
Vorgänger die Proteste aussitzen kann.<br />
Erst wenn sie öffentlich zugeben muss,<br />
dass sie die Unis nicht mehr kontrollieren<br />
kann, weil ein Streik sie lahm legt<br />
und blockiert, wird der politische Druck<br />
auf Karl enorm gesteigert.<br />
Dies hängt natürlich von der umfassenden<br />
Beteiligung der Lehrenden, wie<br />
auch des nicht-wissenschaftlichen Personals<br />
(z.B. Putzkräfte, Büropersonal,…)<br />
in einem solchen Streik ab. Nur ein<br />
Lahmlegen der Unis, hinter dem Beteiligte<br />
aus allen Bereichen stehen, ist fähig<br />
politischen und ökonomischen Druck<br />
auszuüben.<br />
Aufgaben vor uns<br />
Es macht keinen Sinn – und es würde<br />
auch nicht funktionieren – den Streik<br />
einfach auszurufen, wie es am Anfang der<br />
Audimax-Besetzung manchmal versucht<br />
wurde. Um mittelfristig auf der Basis<br />
großer Zustimmung der Betroffenen<br />
und gut organisiert zu streiken, müssen<br />
wir noch einige Aufgaben bewältigen.<br />
Die oben angesprochene Frage der Vernetzung<br />
mit Lehrenden ist eine dieser<br />
Herausforderungen. Weiterhin muss<br />
versucht werden, die Betriebsräte und<br />
einzelne Lehrende anzusprechen und<br />
einzubeziehen. Besonders heikel ist hier<br />
die Frage, ob auch Forschungsarbeiten<br />
von Streiks betroffen sein sollen – ökonomisch<br />
würde das am meisten Verlust<br />
erzeugen, dementsprechend ist es aber<br />
auch am schwersten umsetzbar. Dabei<br />
wird der Doppelcharakter der Lehrenden<br />
deutlich: Einerseits sind sie Angestellte,<br />
in einem Abhängigkeitsverhältnis zum<br />
Rektor als Arbeitgeber, andererseits sind<br />
sie Wissensunternehmer, die forschen<br />
und Wissen produzieren, um dies an<br />
die Wirtschaft bzw. Drittmittelfinanziers<br />
zu verkaufen. Die Forschenden müssen<br />
selbst bestimmen, die Studierenden aber<br />
müssen versuchen diese im Vorfeld mit<br />
einzubeziehen und einen Streikbeschluss<br />
zu erwirken.<br />
Streik ist ein Druckmittel und kein<br />
Dauerzustand. Den Fehler, die Besetzungen<br />
als Selbstzweck zu sehen, dürfen<br />
wir nicht wiederholen. Deshalb ist es<br />
wichtig, mit schnell umsetzbaren Forderungen<br />
in den politischen Kampf zu<br />
treten. Unser Forderungskatalog ist gut<br />
und ausgereift, er muss aber konkretisiert<br />
werden, damit wir auch Zwischenerfolge<br />
feiern können. Dabei darf nicht außer<br />
Acht gelassen werden, dass wir für die genauere<br />
Planung gefestigte und vor allem<br />
demokratische Strukturen brauchen, die<br />
uns erst handlungsfähig machen. Gut<br />
besuchte Massenversammlungen im<br />
Vorfeld sind nötig, um Streikbeschlüsse<br />
und -bedingungen demokratisch zu<br />
legitimieren. Wichtige Fragestellungen<br />
gehören breit im Plenum diskutiert und<br />
mit einer Stimmenmehrheit aller Anwesenden<br />
beschlossen, sodass sich am Ende<br />
alle daran halten können.<br />
Die Umsetzung<br />
Sind erst einmal Streikbeschlüsse getroffen<br />
und die nötige Vernetzung mit<br />
dem Uni-Personal erfolgt, braucht es öffentliche<br />
Mobilisierung, weil gerade ein<br />
Streik viel Rückhalt der Studierenden<br />
verlangt. Eine Entscheidung, ob und wie<br />
man den Streikbeschluss auch gegen den<br />
Willen mancher durchsetzen kann, muss<br />
getroffen werden. Daraus ergibt sich die<br />
grundsätzliche Frage, ob nur Lehrveranstaltungen<br />
ausfallen sollen, oder ob auch<br />
die anderen Tätigkeiten (Prüfungen, Verwaltung,<br />
Sprechstunden, Bibliotheken,<br />
Copyshop…) verhindert werden. Wirklich<br />
ganze Universitätsgebäude zu blockieren<br />
erhöht den politischen Druck<br />
– sofern die dafür nötige Breite des Protests<br />
gegeben ist. Diese Breite ist eine<br />
nicht zu unterschätzende Stärke eines<br />
jeden Streiks. Geht sie verloren, verliert<br />
die ganze Bewegung an Ausstrahlung<br />
und Durchschlagskraft und wir hätten es<br />
mit einem elitären Protest einiger weniger<br />
Studierender zu tun.<br />
Ist eine Blockade möglich und gemeinsam<br />
beschlossen worden, muss die Ausführung<br />
und Verteidigung wie bei jedem<br />
Industriestreik mit Streikposten vor den<br />
Türen sichergestellt werden. Die Organisation<br />
der Kontrolle der Uni baut somit<br />
auf einem Delegiertensystem auf. Während<br />
der Besetzung der Philosophischen<br />
Fakultät Zagreb im Frühling 2009 war<br />
der Ordner- und Ordnerinnendienst in<br />
Schichten von im Plenum mandatierten<br />
Koordinatorinnen und Koordinatoren<br />
organisiert. Die Ordner haben bei Bedarf<br />
auch mit Hilfe anderer Studierender<br />
die Abhaltung von Lehrveranstaltungen<br />
verhindert.<br />
Menschen den Zutritt zum Gebäude zu<br />
versperren ist zu wenig. Vielmehr muss<br />
der Protest auf die Straße getragen werden<br />
– sei es mit der Abhaltung alternativer<br />
und öffentlicher Lehrveranstaltungen<br />
vor der Uni oder durch Kundgebungen<br />
und Demos. Dadurch wird den Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern bewusst, wie<br />
viele sie eigentlich sind und ihre Stärke<br />
wird nach außen getragen.<br />
Bildungsstreik Juni 2010<br />
In Deutschland haben in den letzten Jahren<br />
mehrere Bildungsstreiks das Beispiel<br />
geliefert, dass das Konzept Streik auch<br />
auf Unis anwendbar ist. Unsere deutschen<br />
Kolleginnen und Kollegen haben<br />
uns das Wissen der Vorbereitung voraus,<br />
was durch die Struktur des SDS noch<br />
verstärkt wird. Wir können allerdings<br />
auf eine spontan entstandene und sich<br />
selbst organisierende Bewegung bauen,<br />
die viele Studierende politisiert hat.<br />
Trotzdem dürfen wir uns nicht auf die<br />
altbekannte Studierendenbasis verlassen,<br />
sondern müssen weiter versuchen, die Bewegung<br />
auf andere Gesellschaftsbereiche<br />
auszudehnen. Im Zentrum dieser Bemühungen<br />
sollte stehen, Schülerinnen und<br />
Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer<br />
endlich systematisch anzusprechen und<br />
in die Proteste zu integrieren. Ebenso<br />
wichtig sind die Kindergärten, die sich<br />
bereits zu einem „Aufstand“ organisiert<br />
haben und die im Falle eines Streiks<br />
über die Eltern auch noch andere Gruppen<br />
tangieren. Gemeinsam könnten wir<br />
perspektivisch unsere Proteste zu einem<br />
wirklichen Bildungsstreik ausdehnen.<br />
Auch ein Streik beschränkt auf einen Tag<br />
würde schon viel erreichen - nicht nur<br />
durch Druck auf die Universitätsleitung<br />
und Regierung, sondern vor allem im<br />
Bewusstsein der Beteiligten. Die kollektive<br />
Aktion des Streiks ist eine befreiende<br />
Erfahrung der realen Demokratie mit<br />
massenhaften Studierendenversammlungen<br />
und der Bereitschaft wirklich etwas<br />
zu verändern.
<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />
K U L T U R<br />
11<br />
Sacco setzte sich schon einmal mit<br />
Palästina auseinander („Palestine“),<br />
aber auch mit den Kriegen<br />
im ehemaligen Jugoslawien („Profiles<br />
from Bosnia“, „A Story from Sarajewo“,<br />
„Safe Area Gorazde“) auseinander.<br />
Geschichte und Gegenwart<br />
Sacco macht sich im Gazastreifen des<br />
Jahres 2004 auf die Suche nach Zeitzeugen<br />
für ein Ereignis aus dem Jahr<br />
1956 im Gazasreifen. Ein Massaker,<br />
heute tief in den Archiven vergraben<br />
und überlagert von so vielen Kriegen,<br />
Bombardements und Grausamkeiten,<br />
dass Palästinensische Gesprächspartner<br />
Sacco oft fragen, warum er nicht über<br />
die bedrückende Realität der Gegenwart<br />
berichtet. Genau das tut Sacco<br />
aber auch, er lässt uns nicht nur an den<br />
Erinnerungen Palästinensischer und<br />
Israelischer Augenzeugen teilhaben,<br />
sondern nimmt den Leser auch mit<br />
zu seinen Kontakten, seinen Helfern,<br />
Führern und deren Familien. Während<br />
seiner Recherchen beobachtet er<br />
wie täglich die israelischen Bulldozer<br />
Häuser zerstören, erlebt die nächtlichen<br />
Granatenangriffe, die ständige<br />
Angst vor Raketeneinschlägen. Sacco<br />
hilft, die verschiedenen Reaktionen auf<br />
die Besatzung zu verstehen. Wut und<br />
Trauer von Menschen, die schon mehrmals<br />
vertrieben wurden, Kollaboration,<br />
Resignation oder bewaffneter Widerstand.<br />
Sacco interviewt Guerillas verschiedener<br />
Generationen, von den Fedayeen<br />
der 50er Jahre, die, von Nassers<br />
Ägypten kontrolliert, Operationen in<br />
Israel durchführten, zu den Kämpfern<br />
in beiden Intifadas und den „Volkskomitees“.<br />
Von der Gegenseite kommen<br />
beispielsweise der engste Mitarbeiter<br />
von Moshe Dayan und Israelische Veteranen<br />
zu Wort.<br />
Joe Sacco ist in dieser Graphic Novel auf<br />
der Suche nach der Wahrheit über das<br />
Gorillaz<br />
Das neue Gorillaz-Album orientiert<br />
sich weniger an Rock und Punk als<br />
die Frühwerke und definiert einen<br />
neuen (welt-)musikalischen Stil, der<br />
vermehrt auf Elektronik setzt.<br />
Die 1998 von Blur-Sänger Damon<br />
Albarn ins Leben gerufene Band war<br />
angetreten, das ins Stocken geratene<br />
„Reformprojekt“ Britpop zu erneuern.<br />
Es passt dazu perfekt ins Bild, dass<br />
die Band nicht durch reale Personen<br />
sondern durch Comic-Figuren repräsentiert<br />
wird, die von Comic-Zeichner<br />
Jamie Hewlett erfunden wurden. Die<br />
Musik entsteht mit einer wechselnden<br />
Gruppe von Musikern und Produzenten,<br />
wobei wie bei kaum einem<br />
anderen Projekt von einer stetigen<br />
musikalischen Weiterentwicklung gesprochen<br />
werden kann, die im Falle der<br />
Gorillaz zunehmend in elektronische<br />
Gefilde führt. „Plastic Beach“ ist ein<br />
Footnotes in Gaza<br />
Joe Sacco ist durch seine zutiefst berührenden (graphic novel) Comic-Reportagen bekannt geworden, einer Art Kriegsberichterstattung<br />
der anderen Art. Tom D. Allahyari eht seinem neuesten Werk auf den Grund.<br />
Vorgehen der Israelischen Armee beim<br />
Einmarsch in Gaza im Jahre 1956.<br />
Massenmord und Weltpolitik<br />
Aus den Erzählungen verschiedener<br />
älterer Leute ergibt sich ein schockierendes<br />
Bild. In Flüchtlingslagern, etwa<br />
bei Khan Younis wurde kein Widerstand<br />
gegen die Israelis mehr geleistet.<br />
Israelische Soldaten holten die Männer<br />
aus den Häusern, stellten sie zu hunderten<br />
an die Wand und erschossen alle<br />
mit MG-Salven. Menschen, die unter<br />
Leichen begraben waren, hörten, wie<br />
die Magazine mehrmals nachgeladen<br />
wurden. Ein Israelischer Zeitzeuge berichtet,<br />
dass er sich übergeben musste,<br />
als er die Leichen in den Strassen sah.<br />
Mit den Zeugenaussagen geht Sacco<br />
beinahe wissenschaftlich vor, so vergleicht<br />
er Details, sucht nach Widersprüchen<br />
und sichtet überaus kritisch<br />
seine Quellen. Doch bei aller Bemühung<br />
um Objektivität, das Bild, das<br />
sich herauskristallisiert zeigt einen<br />
bewussten, geplanten Massenmord.<br />
„Footnotes“ bemüht sich aber auch,<br />
die individuellen Schrecken mit den<br />
Abläufen der Weltpolitik in Beziehung<br />
zu setzen. Der ägyptische Herrscher<br />
Leo K`s<br />
Gorillaz: Plastic Beach<br />
Quelle: lmhrfestival.com<br />
“Footnotes in Gaza” publiziert von Metropolitan Books, Henry Holt and Co.<br />
Konzeptalbum und beschreibt<br />
einen fiktionalen Zufluchtsort<br />
vor den Grauen der Zivilisation,<br />
vor wachsenden Müllbergen,<br />
zunehmender Zerstörung und<br />
fragwürdigem Konsumverhalten.<br />
Die Platte ist gespickt mit einer<br />
Reihe von Gastauftritten, die<br />
ihr das besondere Credo der<br />
Grenzenlosigkeit verpassen:<br />
Neben den Hip-Hoppern<br />
Snoop Dogg und Mos<br />
Def spielen im Titelsong<br />
Mick Jones und Paul Simonon<br />
von The Clash erstmals seit<br />
deren Trennung wieder gemeinsam.<br />
Mit Lou Reed tritt in „Some Kind Of<br />
Nature” ein weiterer Godfather des<br />
Underground auf. Das Libanesische<br />
National Orchestra for Arabic Music<br />
schließlich steuert weit mehr zu dem<br />
Album bei als instrumentale Intros.<br />
Bemerkenswert an „Plastic Beach“ ist<br />
vor allem der unkomplizierte Umgang<br />
von Damon Albarn mit Musikstilen<br />
aus verschiedensten Ländern und Epochen.<br />
Diese Art der Verschmelzung<br />
verschiedener Kulturen ist das an sich<br />
Moderne, das möglicherweise einmal<br />
als Geburtsstunde eines neuen Stiles<br />
in der Pop-Musik abgefeiert werden<br />
wird.<br />
http://gorillaz.com<br />
Nasser, der die arabische Welt vereinen<br />
wollte und sich mit der Verstaatlichung<br />
des Suez-Kanals mit Westen angelegt<br />
hatte, und der die Palästinenser eiskalt<br />
als Faustpfand benutzte, wird genauso<br />
beschrieben, wie die Interessen von<br />
Israel, Frankreich und Britannien, die<br />
1956 beschlossen, Ägypten anzugreifen.<br />
Ägyptische Soldaten kämpften mit<br />
Gewehren gegen Kampfbomber und<br />
Panzer.<br />
Angst und Demütigung<br />
In einer typischen Episode will eine<br />
alte palästinensische Frau von den Massenerschießungen<br />
von 1956 berichten,<br />
sie bringt aber Israelische Terror-Angriffe<br />
von 1948, 1956 und 1967 durcheinander.<br />
Es scheint, dass ihr Leben in<br />
der Erinnerung einfach eine endlose<br />
Abfolge von Angst und Demütigung<br />
ist. In einer Rückblende beschreibt<br />
Sacco drastisch die (Über-) Lebensumstände<br />
der Menschen, die 1948 bei<br />
der Staatsgründung Israels vertrieben<br />
wurden. Wie sie in Erdlöchern hausten<br />
und Kakteen essen mussten. Israelische<br />
Offizielle vermuteten damals, die meisten<br />
würden sterben, die Härtesten<br />
überleben, um sich dann den ärmsten<br />
Musiktipps<br />
Bauchklang: Signs<br />
Die österreichischen Beat-Box-Pioniere<br />
setzen mit ihrer neuen CD<br />
einmal mehr Maßstäbe.<br />
Schichten in den arabischen Ländern<br />
anzuschließen. Doch die Palästinenser<br />
überlebten und sie blieben. Durch die<br />
Flüchtlinge wurde der Gazastreifen zu<br />
dem verarmten und übervölkerten Gebiet,<br />
das er heute ist.<br />
In seinem einzigartigen Stil, immer auf<br />
höchstem künstlerischem Niveau und<br />
dabei ultrarealistisch beschreibt Sacco<br />
individuelle Schicksale und deren<br />
Verquickung mit den „großen“, historischen<br />
Abläufen. „Footnotes in Gaza“<br />
ist ein Buch, in das man versinken<br />
kann, wie in einen faszinierenden Film.<br />
Sacco spielt professionell mit Perspektiven,<br />
Licht und Schatten, Nähe und<br />
Ferne, doch sein größtes Talent ist es,<br />
Emotionen, auch die extremsten in den<br />
Gesichtern seiner Figuren glaubhaft zu<br />
machen, er lädt zur Identifikation ein,<br />
ohne je anbiedernd oder rührselig zu<br />
werden.<br />
Die Frage, ob ein Comic-Buch, eine<br />
„Graphic Novel“, das geeignete Medium<br />
sein kann für Kriegsberichterstattung<br />
und politischen Journalismus,<br />
kann nach der Lektüre von Footnotes<br />
nur mit einem begeisterten „Ja“ beantwortet<br />
werden.<br />
Bauchklang<br />
Zeichnungen von Joe Sacco.<br />
1996 definierten fünf Vocalisten<br />
aus St. Pölten das Genre A-<br />
Cappella praktisch neu<br />
und übersetzten es mit<br />
ihrer virtuosen Stimmbeherrschung<br />
und<br />
ihrer Art von Mouth<br />
Percussion und Human<br />
Beatboxing ins<br />
dritte Jahrtausend.<br />
Nach zwei Studio-<br />
A l b e n und dem eindrucksv<br />
o l l e n Live-Dokument „Live<br />
in Mumbai“ (2009) ist „Signs“ ein<br />
weiteres Zeichen der Rundumerneuerung.<br />
Bauchklang haben ihren „Vocal<br />
Groove”-Sound verfeinert, die<br />
neuen Songs sind in gewisser Weise<br />
intensiver geworden als alles bisher<br />
Gekannte. Die Zusammenarbeit mit<br />
mehreren Gastmusikerinnen und<br />
-musikern hat dem Album zusätzliche<br />
Impulse verpasst. Die schwarze<br />
Poetin Ursula Rucker, die sich<br />
mit Frauenrechten, Randgruppen<br />
und Rassismus beschäftigt und dies<br />
auch immer wieder thematisiert,<br />
war lange eine Wunschkandidatin<br />
der Band. Sie ist auf dem Track „Toil<br />
In Your Field“ zu hören. Der französische<br />
Rap-Poet und Newcomer<br />
in der Slam-Szene Rouda steuerte<br />
ebenfalls zwei Titel bei. Er hat seinen<br />
Beitrag übers Netz geschickt -<br />
ein Beispiel für die Zusammenarbeit<br />
über Grenzen und Sprachbarrieren<br />
hinweg. Die Arbeit an „Signs“ dauerte<br />
insgesamt vier Jahre, das lange<br />
Warten hat sich aber in jedem Fall<br />
gelohnt. Bauchklang werden die<br />
neuen Songs im Rahmen ihrer kommenden<br />
Tour durch Österreich und<br />
einige angrenzende Länder live präsentieren.<br />
Der Wien-Termin in der<br />
Arena am 8.4.2010 ist allerdings leider<br />
bereits seit Wochen ausverkauft.<br />
Weitere Termine: 9.4.2010 Posthof<br />
Linz, 10.4.2010 Kulturzentrum Eisenstadt,<br />
30.4.2010 Salzburg, Rockhouse<br />
www.bauchklang.com<br />
www.myspace.com/bauchklang<br />
Quelle: monkeymusic.at<br />
WAS<br />
WIR<br />
WOLLEN<br />
Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte<br />
der Menschheit von weniger als 2 Dollar<br />
pro Tag, 67% der Reichtümer sind<br />
in den Händen von nur 2% der Bevölkerung,<br />
die USA alleine geben mehr<br />
als 400 Milliarden Dollar im Jahr für<br />
Waffen aus, nur 324 Milliarden Dollar<br />
wären nötig, um die schlimmste Armut<br />
zu beseitigen.<br />
Hunger, Krieg und die Zerstörung der<br />
Umwelt sind völlig unnötige Nebenprodukte<br />
des Konkurrenzkampfs und der<br />
Gier der wenigen Superreichen, die<br />
unsere Gesellschaft beherrschen. Was<br />
heute produziert wird, würde schon<br />
ausreichen, um alle Menschen der<br />
Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen.<br />
Demokratische Kontrolle. Wir wollen<br />
eine Gesellschaft, in der gezielt für die<br />
Bedürfnisse der gesamten Menschheit<br />
und mit Rücksicht auf die Natur produziert<br />
wird. Dafür ist eine wirklich demokratische<br />
Ordnung nötig, in der die<br />
werktätigen Menschen das Sagen haben.<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter produzieren<br />
allen Reichtum dieser Welt. Eine<br />
neue Gesellschaft ist nur vorstellbar,<br />
wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer<br />
und ihre Verteilung kontrollieren.<br />
Um eine solche gerechte – eine sozialistische<br />
– Gesellschaft errichten zu<br />
können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen<br />
kollektiv gegen das herrschende<br />
System vorgehen, seine staatlichen<br />
Strukturen zerschlagen und kollektiv<br />
die Kontrolle übernehmen.<br />
Internationalismus. Wir leben in einer<br />
Zeit, in der Millionen Menschen gegen<br />
Krieg und Kapitalismus aufstehen und<br />
sich international vernetzen. Die globalen<br />
Protestbewegungen, die mit Seattle<br />
1999 die Bühne betreten haben, fordern:<br />
„Eine andere Welt ist nötig – Eine<br />
andere Welt ist möglich!“<br />
Gegen Unterdrückung. Wir leben auch<br />
in einer Welt, in der weltweite Konzerne<br />
die Wirtschaft dominieren. Nur wenn wir<br />
uns international verbinden und andere<br />
Grenzen wie Rassismus und Sexismus<br />
überwinden, können wir erfolgreich gegen<br />
die herrschenden Eliten vorgehen.<br />
Gegen Rassismus. Wir wenden uns<br />
aktiv gegen alle Versuche, die Werktätigen<br />
verschiedener Herkunft gegeneinander<br />
zu hetzen. Wir sind gegen jede<br />
Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen,<br />
gegen Arbeitsverbote und<br />
für grenzüberschreitende Solidarität.<br />
Gewerkschaften müssen sich im Zeitalter<br />
der Globalisierung mit Arbeiterinnen<br />
und Arbeitern aller Länder solidarisieren.<br />
Während sich das Interesse der<br />
globalen Eliten auf die Beherrschung<br />
der erdölreichsten Regionen konzentriert,<br />
werden ihre Kriege mit Propaganda<br />
gegen Muslime gerechtfertigt.<br />
Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen<br />
Bevölkerung und für das volle<br />
Recht auf freie Religionsausübung.<br />
Gegen Krieg. Krieg ist die grausamste<br />
Form des internationalen Konkurrenzkampfs,<br />
aber auch Ausdruck für den<br />
Bankrott und die Hilflosigkeit der herrschenden<br />
Eliten. Wir glauben, dass<br />
eine radikale und internationale Bewegung<br />
gegen Krieg heute schon das kapitalistische<br />
System erschüttern kann<br />
und den Grundstein für weitere Kämpfe<br />
für eine gerechte Welt legen kann.<br />
Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher<br />
sind deshalb so mächtig, weil sie<br />
organisiert sind. Sie kontrollieren die<br />
Medien, die Justiz, Polizei und Militär.<br />
Um diese Macht zu konfrontieren, müssen<br />
sich auch die Werktätigen organisieren.<br />
Wir glauben, dass diejenigen,<br />
die eine völlig andere Welt wollen, sich<br />
zusammentun müssen und die Entwicklung<br />
der Protestbewegungen nicht dem<br />
Zufall überlassen dürfen. Je stärker die<br />
revolutionäre Strömung innerhalb der<br />
Bewegung ist, desto mächtiger wird die<br />
Bewegung als Ganzes.
<strong>Linkswende</strong><br />
Für Sozialismus von unten<br />
Bolgna-Gipfel wegen Protesten gescheitert:<br />
Regierung plant dennoch<br />
Verschärfungen<br />
Wie schon während der Proteste im Herbst, war die Berichterstattung über die Proteste während des Bologna-Jubiläumsgipfels in Wien relativ<br />
ausführlich und positiv. Die Probleme mit dem Bologna-Prozess wurden allerdings auf Verschulung des Studiums und schlechte Umsetzung<br />
reduziert. Auch Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) sieht mittlerweile Probleme bei der Implementierung und hat eine Bologna-Taskforce<br />
eingerichtet. Das hindert sie allerdings nicht daran, in Sachen Zugangsbeschränkungen einen immer schärferen Kurs zu fahren.<br />
von Tine Bazalka<br />
Die Abschlusserklärung<br />
der Minister auf der<br />
Bologna-Konferenz<br />
klingt wie eine Anerkennung<br />
der erfolgreichen Bildungsproteste!<br />
„Einige der Bologna-<br />
Ziele“, schreiben die verantwortlichen<br />
Ministerinnen und<br />
Minister der 47 am Prozess<br />
teilnehmenden Länder, „wurden<br />
nicht ordentlich umgesetzt<br />
oder erklärt.“ Auch sonst liest<br />
sich das Dokument sehr defensiv:<br />
Mehr Mitbestimmung für<br />
Studierende, Verbesserung der<br />
„sozialen Durchmischung“,<br />
Hochschulbildung als Verantwortungsbereich<br />
des Staates<br />
– alle Schlagwörter sind da.<br />
Die Wissenschaftsministerin<br />
schlägt in dieselbe Kerbe: Die<br />
Umsetzung des Bologna-Prozesses<br />
sei fehlerhaft, Nachbesserungen<br />
oberste Priorität, ließ<br />
sie verlauten.<br />
Die schönen Worte der Ministerin<br />
ändern aber nichts<br />
an der österreichischen Uni-<br />
Realität. Um wirklich etwas<br />
zu bewegen, müssten nämlich<br />
zwei Dinge geschehen: eine<br />
Aufstockung des Budgets und<br />
eine Änderung im Universitätsrecht,<br />
doch weder das<br />
eine noch das andere wurde<br />
von Karl bisher angesprochen.<br />
Vielmehr wartet sie auf einen<br />
politisch günstigen Zeitpunkt,<br />
um die Studiengebühren wieder<br />
einzuführen, denn das<br />
Budget des Wissenschaftsministeriums<br />
wird im nächsten<br />
Jahr um 1,7 Prozent gekürzt.<br />
Das Universitätsgesetz (UG)<br />
2002, das derzeit – mit einer<br />
Novellierung von 2009 – in<br />
Kraft ist, stellt die rechtliche<br />
Grundlage für die Umsetzung<br />
des Bologna-Prozesses in Österreich<br />
dar. Es positionierte<br />
die Universitäten als eigenständige<br />
„Unternehmen“ auf<br />
dem Bildungsmarkt, die für<br />
staatliche Gelder das Erfüllen<br />
von Leistungsvereinbarungen<br />
nachweisen müssen. Alle wichtigen<br />
Entscheidungen liegen<br />
jetzt beim Rektorat und dem<br />
ihm zur Seite gestellten Universitätsrat<br />
(ein Aufsichtsrat<br />
für Unis); der Senat, der bisher<br />
<strong>Linkswende</strong> abonnieren<br />
hauptverantwortlich für personelle<br />
und Entscheidungen<br />
im Studienplan war, wurde<br />
entmachtet. Innerhalb des<br />
Senats wiederum wurde das<br />
Stimmrecht der Studierenden<br />
abgewertet. Das Konkurrenzverhältnis,<br />
die Entdemokratisierung<br />
und das finanzielle<br />
Aushungern hat verheerende<br />
Folgen: junge Lehrende leiden<br />
unter extrem kurzfristigen und<br />
schlecht entlohnten Beschäftigungsverhältnissen<br />
ohne<br />
Aufstiegschancen. Die Universitäten<br />
sind gezwungen, sich<br />
vermehrt nach sogenannten<br />
Drittmitteln – Sponsoring,<br />
private Forschungsgelder oder<br />
Kooperationen mit Unternehmen<br />
– umzuschauen, und all<br />
diese Entscheidungen können<br />
von Studierenden und Mittelbau<br />
nicht mehr beeinflusst<br />
werden. Diese Entwicklungen<br />
lassen sich nicht getrennt von-<br />
Foto: Christoph Liebentritt<br />
Seit fünf Monaten sind die Proteste an den österreichischen Universitäten im Brennpunkt des weltweiten Widerstands gegen Bildungsabbau.<br />
Der so genannte Bologna-Prozess, der zum Synonym für die verheerende Entwicklung an den Universitäten geworden<br />
ist, sollte in Wien sein zehnjähriges Jubiläum feiern. Doch den 46 Bildungsministern wurden die Feierlichkeiten in der Hofburg durch<br />
die riesigen Proteste gehörig vermiest. Im Bild ist der Beginn der Besetzung an der Akademie der Bildenden Künste zu sehen.<br />
einander betrachten und dienen<br />
in ihrer Gesamtheit dazu,<br />
Universitäten und Studierende<br />
zu Komponenten eines freien<br />
Marktes zu machen. Lippenbekenntnisse<br />
ändern an der<br />
Ausrichtung der Hochschulpolitik<br />
überhaupt nichts.<br />
Die nächsten Angriffe stehen<br />
vielmehr bereits vor der Tür:<br />
Nicht nur wird das Wissenschaftsbudget<br />
massiv gekürzt,<br />
Karl richtet außerdem den<br />
Rektoren aus, sie sollen doch<br />
„mehr Kreativität und Engagement“<br />
bei der Finanzierung<br />
der Unis beweisen. Ob das<br />
jetzt eine wilde Jagd nach der<br />
letzten noch werbefreien Fläche<br />
oder die vermehrte Gründung<br />
von gewinnbringenden,<br />
in die Universität eingegliederten<br />
Tochterunternehmen<br />
(die es ja auch schon gibt) sein<br />
soll, ist nicht klar.<br />
Vermehrter Widerstand ist<br />
aber vor allem beim Thema<br />
Zugangsbeschränkungen gefordert:<br />
Rektor Christoph<br />
Badelt will die Zahl der Wirtschafts-Studienanfängerinnen<br />
und -anfänger von 7.000 auf<br />
etwa 2.000 drücken und hat<br />
mittlerweile den Segen der Ministerin.<br />
In den Fächern Publizistik<br />
und Architektur sollen<br />
auf mehreren Unis Zugangsbeschränkungen<br />
eingeführt<br />
werden. Eine solche Regelung<br />
wäre absolut fatal und würde<br />
wahrscheinlich einen Domino-Effekt<br />
in anderen Fächern<br />
nach sich ziehen. Die Studierendenbewegung<br />
muss sich<br />
dagegen zu Wehr setzen und<br />
sich dafür vor allem mit Schülerinnen<br />
und Schülern vernetzen,<br />
die diese Beschränkungen<br />
am konkretesten betreffen.<br />
Phrasen wie „siehe auch die<br />
derzeitigen Proteste gegen<br />
Hochschulpolitik in einigen<br />
Ländern“, (in einer Studie<br />
über das erste Jahrzehnt der<br />
„Europäischen Hochschularena“)<br />
zeigen zwar den Erfolg<br />
der europäischen Bewegung,<br />
sind aber sonst das Papier<br />
nicht wert, auf dem sie gedruckt<br />
wurden. Für uns heißt<br />
die halbherzige Anerkennung<br />
der Probleme vor allem eins:<br />
Weiterkämpfen, bis wir selbst<br />
über die Zukunft der Bildung<br />
entscheiden können!<br />
<strong>Linkswende</strong><br />
deine <strong>Zeitung</strong> zum Rebellieren<br />
Name:<br />
Adresse:<br />
Telefon:<br />
e-mail:<br />
Konto-Nr.:<br />
……………………………………………………………………<br />
……………………………………………………………………<br />
……………………………………………………………………<br />
……………………………………………………………………<br />
……………………………………………………………………<br />
10 Ausgaben für 25 Euro (inkl. Porto)<br />
Soli-Abo: 10 Ausgaben für ___ Euro (inkl. Porto)<br />
20 Ausgaben für 50 Euro (inkl. Porto)<br />
Soli-Abo: 20 Ausgaben für ___ Euro (inkl. Porto)<br />
Einschicken an:<br />
<strong>Linkswende</strong>, Kettenbrückengasse 11/20, 1050 Wien<br />
oder per e-mail an redaktion@linkswende.org<br />
BLZ: ………………… Ort, Datum: …………………………………………… Unterschrift: ……………………………………………