01.11.2013 Aufrufe

PDF-Zeitung - Linkswende

PDF-Zeitung - Linkswende

PDF-Zeitung - Linkswende

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Linkswende</strong><br />

für Sozialismus von unten<br />

Nr. 135 • April 2010 • Spende 1,50 EUR • Solidaritätsspende 2,00 EUR<br />

www.linkswende.org<br />

Kandidatur von Barbara Rosenkranz<br />

Bildungsstreik<br />

ENTLARVT<br />

Foto: Christian Stipkovits<br />

DIE<br />

In unserem Theorieartikel loten Judith<br />

Litschauer und Hannah Krumschnabel<br />

die Chancen, Umstände und Ziele<br />

eines möglichen Unistreiks aus.<br />

>> Seite 10<br />

FPÖ<br />

Anfang März musste die FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz eine eidesstattliche Erklärung<br />

unterzeichnen, in der sie sich vom Nationalsozialismus distanzierte. Ein Prozedere, das nicht von jedem verlangt<br />

wird, der für das Amt in der Hofburg kandiert, schreibt Livia Grestenberger.<br />

Besonders glücklich sah Rosenkranz<br />

beim Unterschreiben<br />

nicht aus, vermutlich weil sie<br />

um die Gruppe der rechtsextremen<br />

Wählerinnen und Wähler fürchtete,<br />

die sie nun verloren haben könnte.<br />

Die haben sich allerdings längst damit<br />

abgefunden, dass FPÖ-Politiker<br />

trotz offensichtlicher politischer Gesinnung<br />

sich ab und zu von dieser distanzieren<br />

müssen, um das Image der<br />

FPÖ als „normale“ bürgerliche Partei<br />

zu wahren. In zahlreichen Neonazi-<br />

Foren wurde Rosenkranz‘ Handeln<br />

zwar kritisiert, trotzdem wird ihr<br />

weiterhin die Treue gehalten.<br />

Diese hatte sie sich in den letzten<br />

Jahren ihrer politischen Tätigkeit<br />

zum Beispiel durch ihre Kritik am<br />

NS-Verbotsgesetz sichern können.<br />

Auch ihr Ehemann Horst Jakob<br />

Rosenkranz, Spitzenkandidat der<br />

wegen Wiederbetätigung verbotenen<br />

Liste „Nein zur Ausländerflut“<br />

und regelmäßiger Schreiber für die<br />

rechtsextreme Zeitschrift „Fakten“,<br />

konnte durch seine eigenen Verbindungen<br />

zu rechtsextremen Kreisen<br />

genau diese zu potentiellen Wähler<br />

für Barbara Rosenkranz machen.<br />

An der politischen Tätigkeit ihres<br />

Mannes findet Rosenkranz übrigens<br />

nach eigener Aussage nichts „Ehrenrühriges“.<br />

Die Taktik, Personen mit eindeutigen<br />

Verbindungen zum Rechtsextremismus<br />

in wichtige Positionen<br />

innerhalb der Partei zu bringen, oder<br />

wenn möglich auch im Staat, hat sich<br />

in der FPÖ seit der Machtergreifung<br />

Jörg Haiders gehalten.<br />

Ein weiteres gutes Beispiel dafür ist<br />

die Nominierung Martin Grafs zum<br />

dritten Nationalratspräsidenten. Seine<br />

abwertenden Aussagen gegen das<br />

NS-Verbotsgesetz sind zwar wahrlich<br />

nichts Überraschendes für ein Mitglied<br />

der FPÖ, daneben hat er allerdings<br />

auch starke Verbindungen zu<br />

schlagenden Burschenschaften und<br />

höchst dubiose Parlamentsmitarbeiter,<br />

die sich Material bei dem neonazistischen<br />

„Aufruhr“-Verlag bestellen.<br />

Dass Martin Graf solcherlei<br />

nicht zu ernst nimmt, versteht sich<br />

von selbst, da er ja nach eigener Aussage<br />

nichts vom „antifaschistischen<br />

Grundkonsens“ hält.<br />

Strache selbst passt als Parteiobmann<br />

perfekt in dieses Schema; seit seiner<br />

Jugend hat er Kontakte zu prominenten<br />

österreichischen Neo-Nazis,<br />

der bekannteste davon ist Norbert<br />

Burger, Gründungsmitglied der neonazistischen<br />

NDP.<br />

Nach dem Auftauchen der berüchtigten<br />

„Paint Ball“-Fotos musste<br />

Strache auch Verbindungen zur<br />

„Wiking-Jugend“ eingestehen. Diese<br />

Fotos zeigen ihn außerdem neben<br />

Prominenten der österreichischen<br />

Neonazi-Szene, wie etwa Andreas<br />

Thierry.<br />

Obwohl Strache seine Vergangenheit<br />

zu verharmlosen sucht, sieht<br />

man auch an heutigen Aussagen<br />

seinerseits, das er sich ideologisch<br />

kaum gewandelt hat, wie etwa ein<br />

Interview mit der israelischen Tageszeitung<br />

„Haaretz“ zeigt, in dem<br />

Strache den Anschluss 1938 mit der<br />

Entwicklung der EU vergleicht.<br />

Diese oben genannten Verbindungen,<br />

Kontinuitäten und eindeutigen<br />

Aussagen sind keine unüberlegten<br />

„Ausrutscher“ von einzelnen<br />

Parteimitgliedern in einer ansonsten<br />

„normalen“ Partei, sondern beschreiben<br />

den eigentlichen Kern der FPÖ,<br />

da sie die Ideologie der Parteikader<br />

widerspiegeln.<br />

Dies zeigt sich am besten an der Zeit<br />

der „liberalen“ FPÖ-Führung unter<br />

Norbert Steger, der es zwar schaffte<br />

seine Anhänger in die hohen Parteipositionen<br />

zu bringen, aber davor<br />

zurückschreckte, sich von den neonazistischen<br />

Aussagen anderer Parteimitglieder<br />

zu distanzieren. Steger<br />

war sich darüber im Klaren, dass<br />

trotz einer liberalen Führung die Basis<br />

der Partei rechtsextremes Gedankengut<br />

vertrat und es bis heute tut.<br />

Genau diese Basis war es schließlich<br />

die Haider an die Spitze der Partei<br />

beförderte und sämtliche liberale<br />

Mitglieder vergraulte, was uns heute<br />

eine FPÖ beschert, deren Verbindungen<br />

zu rechtsextremen und neonazistischen<br />

Kreisen noch intensiver<br />

sind.<br />

Deshalb ist es wichtig nicht nur<br />

einzelne Personen in der FPÖ zu<br />

bekämpfen, sondern die Partei insgesamt,<br />

und sie als das zu enttarnen<br />

was sie wirklich ist.<br />

Angst vor Kämpfen<br />

Obwohl das größte Sparpaket der<br />

österreichischen Geschichte droht,<br />

beruhigt ÖGB-Chef Foglar präventiv<br />

die Gemüter. Manfred Ecker über<br />

die Konsequenzen seiner defensiven<br />

Haltung.<br />

Island<br />

>> Seite 3<br />

Eine überwältigende Mehrheit stimmte<br />

gegen Kompensationszahlungen an<br />

internationale Gläubiger und setzte<br />

damit ein starkes Zeichen dagegen, dass<br />

Lohnabhängige für die Krise aufkommen<br />

sollen, meint Hannah Krumschnabel.<br />

Griechenland<br />

>> Seite 4<br />

Während sich die EU-Granden<br />

gegenseitig darin übertreffen<br />

Griechenland zu Einsparungen zu<br />

zwingen, ist der Widerstand der<br />

Bevölkerung laut und ungebrochen,<br />

schreibt Judith Litschauer.<br />

>> Seite 5<br />

Footnotes in Gaza<br />

Tom Allahyari zeigt sich beeindruckt<br />

vom neuen berührenden Buch des<br />

Kriegsberichterstatters Joe Sacco, der<br />

ein Massaker im Gazastreifen von 1956<br />

grafisch aufarbeitet.<br />

>> Seite 11


B E R I C H T E<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Finnische<br />

Hafenarbeiter zwei<br />

Wochen im Streik<br />

Gewinne steigen, Löhne sinken:<br />

Flugpersonalstreik bei<br />

British Airways<br />

„Er erhofft sich neue Wählerstimmen,<br />

wenn er ein paar Neonazis<br />

anzeigt. Aber er muss wissen,<br />

dass es die Neonazis sind,<br />

die ihn wählen.“<br />

aus rechtlichen Gründen wurden Bilder in der<br />

Internetausgabe entfernt<br />

Kevin M., bekennender<br />

Neonazi über FPÖ-Obmann<br />

Strache im Kurier-Interview.<br />

„Ein wesentlicher Teil der<br />

rechtsextremen und rassistischen<br />

Aussagen und Aktivitäten,<br />

die in Oberösterreich<br />

getätigt werden, ist der FPÖ und<br />

ihren Unterorganisationen zuzurechnen.“<br />

Robert Eiter, Antifa<br />

Netzwerk Oberösterreich<br />

„Der wahre Skandal ist, dass<br />

sich Parteien immer noch darauf<br />

berufen, die Freiheitlichen<br />

seien demokratisch gewählt.<br />

Adolf Hitler wurde einst auch demokratisch<br />

gewählt.“<br />

Ariel Muzicant, Präsident<br />

der Israelitischen<br />

Kultusgemeinde<br />

„Von Museln als Nazi bezeichnet<br />

zu werden, empfinde ich persönlich<br />

als Auszeichnung. Dann<br />

wissen sie wenigstens, zu was<br />

man noch fähig sein wird und<br />

auch fähig sein muss.“<br />

Karl Mayrhofer legte<br />

nach dieser Aussage seine<br />

FPÖ-Mitgliedschaft zurück.<br />

„Dieser Vorfall ändert allerdings<br />

nichts an der Tatsache, dass wir<br />

gerade auch in Bludenz massive<br />

Probleme mit der türkischstämmigen<br />

Bevölkerung haben.“<br />

FPÖ Stadtparteiobmann<br />

Joachim Weixelbaumer<br />

will nach dem Austritt<br />

Mayrhofers die rechte<br />

Klientel nicht verlieren.<br />

Ein Bild von den Vuosari Docks in Helsinki vom 25. März 2010. Nach der Beendigung<br />

des offiziellen Streiks wurde aus Protest gegen den Einsatz von Streikbrechern<br />

ein „Wildcat Streik“, ein nicht genehmigter Streik, von den Hafenarbeitern<br />

durchgeführt. Die Wildcat Streiks betrafen alle finnischen Häfen.<br />

In Finnland sind am Donnerstag,<br />

den 4. März, die Hafenarbeiter<br />

für einen neuen Lohntarifvertrag<br />

in den Streik getreten. Der Streik,<br />

ursprünglich schon für 19. Februar<br />

geplant, war vom Arbeitsministerium<br />

zuerst verhindert worden. Er trifft die<br />

Exportindustrie des Landes besonders<br />

stark, da Finnland 80 Prozent<br />

seines Außenhandels über die Häfen<br />

abwickelt. Beteiligt sind über 3.000<br />

Hafenarbeiter. Der Streik hat praktisch<br />

alle Häfen lahm gelegt und trifft<br />

außerdem die internationalen Papierkonzerne<br />

besonders heftig. Diese<br />

hatten mit Versorgungsengpässen zu<br />

kämpfen, bzw. konnten ihre Waren<br />

nicht ausliefern. Inzwischen musste<br />

IM VISIER:<br />

Sebastian Kurz<br />

Gefreut hat sich Sebastian Kurz, der<br />

Obmann der Jungen ÖVP (JVP),<br />

über den Rausschmiss von Studierenden<br />

und Obdachlosen aus dem Audimax<br />

mitten im Winter: „Aus Sicht der Jungen<br />

ÖVP war es höchste Zeit, dass sich Rektor<br />

Winckler seiner Verantwortung bewusst geworden<br />

ist und das Audimax räumen hat lassen.“<br />

Doch nicht nur in diesem Punkt ist der ÖVP-<br />

Spross ganz auf Linie. Josef Pröll erstattet er<br />

gerne medienwirksam in „peppigen und frischen“<br />

Meetings in der Diskothek „U4“ Bericht<br />

– man muss ja ob der ganzen konservativen<br />

Werte irgendwie beweisen, dass man<br />

jung ist. Zu einem dieser Anlässe forderte er<br />

jetzt bei der Hacklerregelung „die Notbremse<br />

zu ziehen“. Während also für Kurz, der selbst<br />

noch nie richtig gearbeitet hat, ja ein sicherer<br />

warmer Bürojob im Innenministerium oder<br />

der Wirtschaftskammer zum Greifen nah ist,<br />

sollen andere so lang für ihn arbeiten bis sie<br />

von alleine umfallen.<br />

Warum der Jus-Student, der seine Karriere in<br />

der JVP des 1. Bezirks begonnen hat, seinen<br />

Feind in den ach so überprivilegierten Hacklerinnen<br />

und Hacklern sieht? „Wir Jungen<br />

werden ausgebeutet.“, ist er sich sicher – von<br />

den Arbeitern nämlich. Eine ähnlich qualifizierte<br />

Aussage gab er bezüglich „Migrationsproblem“<br />

von sich.<br />

„Es wird alles viel viel schlimmer“, jammerte<br />

er. Und: In seinem ehemaligen Gymnasium<br />

(!) sei Deutschunterricht ja gar nicht mehr<br />

möglich.<br />

Um die Welt mit ihren Problemen auszublenden,<br />

hat Kurz jedoch schon Strategien entworfen:<br />

Er will eine Magnetschwebebahn für<br />

Das Flugpersonal von British<br />

Airways (BA) trat am 27.<br />

März zum zweiten Mal in<br />

einer Woche in den Streik. Für die<br />

Belegschaft geht es darum, Arbeitsplätze,<br />

Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

zu verteidigen. Die Bosse von<br />

BA behaupten gerne, das Flugpersonal<br />

sei überbezahlt, arbeite zu wenig<br />

und ruiniere so die Luftlinie. Die<br />

Einnahmen von BA sind aber alleine<br />

2008 um 40% gestiegen, während<br />

die Löhne des Personals seit 2001 real<br />

gesunken sind. Ohne der Arbeit des<br />

Boden-, Verwaltungs- und Flugpersonals<br />

gäbe es gar keine Einnahmen<br />

für die Fluglinien. BA hat alleine 2,2<br />

Milliarden Euro Cash-Reserven und<br />

Willie Walsh, der die Angriffe auf das<br />

Personal anführt, verdient 780.000<br />

Euro pro Jahr.<br />

Um den Medien vorzugaukeln, dass<br />

der Streik nicht eingehalten würde,<br />

schickte BA leere Passagierflugzeuge<br />

auf die Reise und heuerte teure<br />

Streikbrecher von anderen Fluglinien<br />

an. Alleine diese Maßnahmen<br />

kosteten Millionen. Das Gepäck<br />

von wirklichen Reisenden blieb aber<br />

trotzdem am Boden. Tatsächlich ist<br />

das Verständnis für den Streik bei<br />

vielen britischen Arbeitern und Arbeiterinnen<br />

groß, sodass volle Busse<br />

zur Unterstützung der Streikenden<br />

anreisten.<br />

Universität Sussex:<br />

Streik und Besetzung mit erstem Erfolg<br />

Auf die drohende Entlassung von<br />

115 Lektorinnen und Lektoren<br />

an der Universität von Sussex<br />

reagierten Lehrende, nicht-wissenschaftliches<br />

Personal und Studierende<br />

mit Streik und Besetzung. Ein erster<br />

Sieg: sechs Studierende, die wegen<br />

Protests gegen die Kürzungen suspendiert<br />

worden waren, wurden wieder<br />

zugelassen.<br />

Studierende in Sussex (England) besetzten<br />

gegen die angekündigten Sparmaßnahmen<br />

und Entlassungen ihre<br />

eine ganze Reihe von Papierfabriken<br />

ihren Betrieb einstellen. Wichtigste<br />

Forderung der Transportgewerkschaft<br />

AKT ist die Zahlung eines so<br />

genannten Übergangsgeldes nach der<br />

Kündigung. Mit dem Streik wehren<br />

sich die finnischen Hafenarbeiter<br />

gegen geplante Entlassungen. Die<br />

Forderung lautet auf eine volle Lohnfortzahlung<br />

für zwölf Monate im Falle<br />

einer Entlassung. Nach 16 Tagen<br />

wurde der Streik schließlich durch<br />

einen Tarifabschluss vorerst beendet.<br />

Der Schlichter Esa Lonka gab jedoch<br />

keine Details über den Tarifabschluss<br />

bekannt. Laut Regierung hat der<br />

Streik täglich einen Einnahmeverlust<br />

von 100 Millionen Euro verursacht.<br />

Streikendes Flugpersonal von British Airways in London<br />

Universität. Am achten Tag der Besetzung<br />

traten auch die Lehrenden und<br />

das nicht-wissenschaftliche Personal in<br />

Streik, und wurden prompt von den<br />

Studierenden unterstützt.<br />

Am Abend zuvor hatten sie in einer<br />

Massenversammlung mit großer<br />

Mehrheit für Widerstand gegen die<br />

Einsparungen gestimmt. Der Präsident<br />

der örtlichen Hochschulgewerkschaft<br />

(UCU), Paul Cecil, sah in der<br />

Verbindung der Kämpfe die Stärke<br />

einer neue Qualität: „Wir sind wahnsinnig<br />

dankbar für die Beteiligung der<br />

Studierenden. Sie waren schon um sieben<br />

Uhr früh bei uns und halfen, die<br />

Streikposten aufzustellen.“ Der ganze<br />

Tag war geprägt von der Solidarität<br />

zwischen Studierenden und Gewerkschaftern<br />

– Studis trugen UCU T-<br />

Shirts, unterschrieben Petitionen und<br />

sammelten umgerechnet fast 800 Euro<br />

für den Streikfonds.<br />

Als am Nachmittag die Entscheidung<br />

der Universitätsleitung bekannt wurde,<br />

sechs Studierende wieder zum<br />

Studium zuzulassen, löste das vor Ort<br />

Euphorie aus. Die sechs waren schon<br />

im November wegen Beteiligung an<br />

Streikketten suspendiert worden. Einer<br />

von ihnen, Sayed Bokhari, meinte:<br />

„Es ist kein Zufall, dass wir gerade<br />

an einem Streiktag wieder an den<br />

Campus zurückkehren durften.“ Auch<br />

sein Kollege Simon Englert zeigte sich<br />

überwältigt: „Dieser Sieg zeigt, dass<br />

gemeinsamer Widerstand gewinnen<br />

kann. Streiks funktionieren! Massenbewegungen<br />

funktionieren!“<br />

Wien (mit der<br />

er dann allen<br />

Hackerln und<br />

Migrantenkids<br />

entschweben<br />

kann), er nimmt<br />

Teil an elitären<br />

„Trainerprogrammen“,<br />

wie dem Forum<br />

Altbach (da trifft<br />

man von denen garantiert<br />

niemanden) und gibt sich der Planung einer<br />

Rot-Weiß-Rot-Card hin (damit die Migrantenkids<br />

gar nicht erst kommen).<br />

Wenn er im Herbst für den Wiener Gemeinderat<br />

kandidiert, kriegt er hoffentlich von<br />

beiden – Hacklern und Migrantenkids – ordentlich<br />

eins auf den Deckel.<br />

Foto: Guy Smallman


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

L E I T A R T I K E L<br />

<br />

SPÖ spielt mit rassistischen<br />

Vorurteilen<br />

Die Wiener SPÖ hat mit dem Bettelverbot<br />

einen Riesenschritt nach<br />

rechts getan. Die Initiatoren der neuen<br />

von Manfred Ecker<br />

Foto: Miklos Peter Vojnich<br />

Frau Faymann-Ludwig, eine Initiatorin<br />

des Bettelverbots für Wien<br />

Bestimmung, Nurten Yilmaz, Silvia<br />

Rubik, Barbara Novak, Nicole Krotsch<br />

und die Frau des Bundeskanzlers<br />

Martina Faymann-Ludwig rechtfertigen<br />

sich damit, es gehe ja nur darum,<br />

das gewerbsmäßige Betteln zu unterbinden.<br />

Sie wollten nur verhindern,<br />

dass die Bettelmafia Kinder dazu<br />

zwingt, für sie Geld zu beschaffen.<br />

Nur, dass sie damit ganz klar Sündenbockpolitik<br />

betreiben, können sie<br />

nicht wegargumentieren. Beim Wort<br />

Bettelmafia schwingt – ohne es aussprechen<br />

zu müssen – immer „ausländisch“<br />

und „aus den Ostländern“ mit.<br />

Wofür sie einen Sündenbock brauchen,<br />

ist offensichtlich. Die Wiener<br />

SPÖ befürchtet bei den Wahlen im<br />

Herbst böse Stimmenverluste. Innerhalb<br />

der SPÖ dürfte sich die Meinung<br />

durchsetzen, dass nur der burgenländische<br />

SPÖ Chef Hans Niessl<br />

ein wirksames Gegenrezept gegen<br />

Stimmenverlust gefunden hat – eben<br />

das heikle Spiel mit rassistischer<br />

Sündenbockpolitik, so wie Niessl es<br />

in der Causa Eberau vorgemacht hat.<br />

Innerhalb der SPÖ denken offenbar<br />

manche, dass sie der FPÖ nur zuvorkommen<br />

müssen und so bei rassistischen<br />

Wählern punkten können.<br />

Das ist komplett falsch, denn die<br />

Verluste der SPÖ haben sicher nichts<br />

damit zu tun, dass sie zu wenig rassistisch<br />

ist. Der großen Arbeiterinnenund<br />

Arbeiterpartei laufen die Wähler<br />

davon, weil sie sich von ihr keinen<br />

Widerstand gegen Sozialabbau mehr<br />

erwarten können. Und das dürfte der<br />

zweite Grund für das Bettelverbot<br />

sein – ein Ablenkungsmanöver von<br />

den Enttäuschungen, die die Wähler<br />

schon erlebt und noch zu erwarten<br />

haben.<br />

Debatte :: Argumente :: Diskussion<br />

Nazi-Image<br />

FPÖ in Bedrängnis gebracht!<br />

Gehetzt wirkte FPÖ-Obmann<br />

Strache, und hochnervös,<br />

als er angab, ein<br />

ORF-Team hätte Nazi-Skins, denen<br />

er ein Autogramm gab, zu Nazi-<br />

von Tom D. Allahyari<br />

Sagern angestiftet. Paranoiderweise<br />

hörte er die Glatzerten „Heil“<br />

rufen (was gar nicht passiert ist).<br />

Nun will er den ORF klagen. Eine<br />

lächerliche Aktion, weiß man doch,<br />

dass auf FP-Veranstaltungen immer<br />

Naziskins und gewaltbereite Rechtsradikale<br />

im Publikum sind. Rechtsradikale<br />

Jugendliche wurden in der<br />

Vergangenheit dabei gefilmt, wie sie<br />

sich kurz vor einer HC-Rede schnell<br />

eine FPÖ-Jacke übers eindeutige T-<br />

Shirt zogen. Aber woher kommt die<br />

Panik bei HC? Er hat erkannt, wie<br />

sehr ihm diese Stamm-Anhängerschaft<br />

Probleme machen kann.<br />

Immer wieder hört man, dass Nazi-<br />

Sprüche bzw. ein Nazi-Image der<br />

FPÖ niemals schaden, sondern eher<br />

helfen würden. Zu oft mussten wir<br />

die gezielten Provokationen von<br />

Haider, Strache und Konsorten ertragen,<br />

Konsequenzen gab es nie.<br />

Seit aber der stolze Olympionike<br />

Martin Graf dritter Nationalratspräsident<br />

ist, und besonders seit Barbara<br />

Rosenkranz als Präsidentschaftskandidatin<br />

ins grelle Licht der Öffentlichkeit<br />

gerückt wurde, wird sogar<br />

FP-Anhängern mulmig. Ausländerfeindlichkeit<br />

und Protest gegen die<br />

regierenden Parteien sind die eine<br />

Sache, wenn aber der Nationalsozialismus<br />

direkt ins Spiel kommt und<br />

die Parteiprominenz mit bekannten<br />

Neonazis fraternisiert, wenden sich<br />

viele ab.<br />

Nach der Wahlempfehlung des Kronenzeitungs-Patriarchen<br />

Dichand<br />

für Rosenkranz kündigten hunderte<br />

Leser ihre Abos! Schon in den letzten<br />

Jahren wurde deutlich, wie sehr das<br />

Nazi-Outing der FPÖ doch schaden<br />

kann. Sobald etwa bekannt wurde,<br />

dass ein islamfeindlicher Aufmarsch<br />

gegen einen Moscheebau, zu dem<br />

die FPÖ aufgerufen hatte, mit erkennbaren<br />

Neonazis durchsetzt sein<br />

würde, bröckelte die Unterstützung,<br />

die rassistische Aktion wurde ein<br />

Flop.<br />

Mit der Kandidatur der treudeutschen<br />

Rosenkranz (laut Ariel<br />

Musicant ein „Kellernazi“), einer<br />

Gallionsfigur der radikalen Rechten,<br />

wurde nun offensichtlich eine<br />

gewisse Grenze überschritten. Bei<br />

den Gemeinderatswahlen in Tirol,<br />

Niederösterreich, Steiermark und<br />

Vorarlberg konnte die FPÖ zwar<br />

leicht zulegen, blieb aber gewaltig<br />

hinter den Erwartungen zurück<br />

(während die KPÖ in der Steiermark<br />

einen Achtungserfolg erzielte). Ein<br />

gescheiterter Bürgermeisterkandidat<br />

der FPÖ in Tirol gab die Schuld für<br />

sein schlechtes Abschneiden Barbara<br />

Rosenkranz.<br />

Menschen, die ihren Protest ausdrücken<br />

wollen und die sich vom<br />

politischen System allein gelassen<br />

fühlen - viele davon sicher auch mit<br />

rassistischen Ideen im Kopf - wollen<br />

trotzdem nicht einer Partei ihre<br />

Stimme geben, die sich positiv auf<br />

das schlimmste Terrorregime der<br />

Menschheitsgeschichte bezieht.<br />

Das könnte die FPÖ insofern treffen,<br />

als sie nur zu einem kleineren<br />

Teil gefestigte Stammwähler hat<br />

(16% der FPÖ Wähler laut Wahlforscher<br />

Fritz Plasser) und großteils<br />

Wechsel- (46%) und Protestwähler<br />

(38%). Gerade diese Wechsel- und<br />

Protestwähler lassen sich womöglich<br />

abschrecken, wenn sie hinter<br />

den frechen Sprüchen „gegen die<br />

da oben“ knallharte Versuche erkennen,<br />

eine Ideologie wieder zu<br />

beleben, die Krieg und industriellen<br />

Massenmord über die Welt gebracht<br />

hat.<br />

Für uns Linke heißt das: Keine Feigheit<br />

in der Sprache - outen wir die<br />

FPÖ-Parteikader als das, was sie<br />

sind!<br />

Akademikerbund-Skandal:<br />

Die falsche<br />

Empörung der ÖVP<br />

Dass die ÖVP, die den Austrofaschismus noch immer mit<br />

einem Dollfuß-Portrait in der Parteizentrale honoriert,<br />

kein Partner für den antifaschistischen Kampf gegen<br />

die FPÖ sein kann, hat sie rund um den Skandal um<br />

den Wiener Akademikerbund (WAB) wieder einmal<br />

bewiesen, schreibt Hannah Krumschnabel.<br />

Als dieser im November 2009<br />

in einem Positionspapier an<br />

über 60 hochrangige Politiker<br />

nicht nur die Abschaffung des<br />

Verbotsgesetzes, sondern auch die<br />

Aufhebung der gesetzlichen Gleichbehandlung<br />

von Mann und Frau<br />

und einen vollkommenen Stopp<br />

der Einwanderung gefordert hatte,<br />

reagierte die ÖVP, der der AB<br />

angehört, überhaupt nicht. Erst als<br />

das Schreiben an die Öffentlichkeit<br />

gelangte, überschlugen sich Pröll,<br />

Khol und Co. damit, sich davon zu<br />

distanzieren und Parteiausschlüsse<br />

zu erwirken. Von „Überraschung“<br />

über die Position des WAB, wie sie<br />

Beatrix Karl (selbst Chefin des steirischen<br />

AB) vorgibt, kann also keine<br />

Rede sein. Andreas Khol selbst<br />

bestätigt, dass der schon länger mit<br />

„rechtsextremen Äußerungen“ aufgefallen<br />

sei.<br />

Warum dann plötzlich der Sinneswandel?<br />

Rechnungshofpräsident<br />

Franz Fiedler, gleichzeitig Vorsitzender<br />

des AB Österreich, entlarvt<br />

sich: Im Herbst habe es noch keinen<br />

Anlass zur Empörung über die Positionen<br />

gegeben, „das hat jetzt eine<br />

ganz andere Schlagseite bekommen<br />

nach der Kandidatur (von Barbara<br />

Rosenkranz, Anm.).“ Mit dem Nationalsozialismus<br />

zu sympathisieren<br />

wurde also erst durch Rosenkranz<br />

verwerflich? Fiedler selbst schrieb<br />

2007 in einem Leserbrief an die<br />

Presse, „…die Akzeptanz der Leitkultur<br />

der modernen europäischen<br />

Wertegemeinschaft hat das zentrale<br />

Anliegen (bei der Integration,<br />

Anm.) zu sein.“<br />

Ein Blick auf die Homepage des<br />

Akademikerbunds liefert außerdem<br />

einen weiteren Beweis dafür, wie<br />

gut sich Ultrarechte und „linke Islamkritiker“<br />

verstehen. Der „Antideutsche“<br />

Stephan Grigat, der<br />

sich selbst als Marxist bezeichnet,<br />

gleichzeitig aber ein Befürworter<br />

eines Angriffs auf den Iran ist und<br />

Muslime pauschal zu unaufgeklärten<br />

Terroristen abstempelt, war im<br />

Juni letzten Jahres Redner bei einer<br />

WAB-Veranstaltung über die angebliche<br />

Unvereinbarkeit von Islam<br />

und Menschenrechten. Nach dem<br />

Verbotsgesetz-Skandal dürfte klar<br />

sein, wer die wahre Bedrohung für<br />

die Menschenrechte darstellt.<br />

ÖGB Präsident bietet der<br />

Regierung Stillhalten an<br />

Die Regierung fürchtete sich<br />

vor den Reaktionen der Gewerkschaft<br />

auf die Sparpläne<br />

für das Budget 2011 so sehr, dass sie<br />

das Budget 2011 erst heimlich beschließen<br />

wollte. Dann ging ÖGB-Präsident<br />

Erich Foglar mit einer Kampfabsage an<br />

von Manfred Ecker<br />

die Öffentlichkeit und beruhigte: „Österreich<br />

ist nicht Griechenland. Die<br />

Probleme Griechenlands sind weitaus<br />

schlimmer als jene Österreichs. Auch<br />

von der Mentalität her besteht ein Unterschied.“<br />

Wer sich gefragt hat, woher Finanzminister<br />

Pröll nach den langen Wochen des<br />

ängstlichen Zögerns den Mut genommen<br />

hat um „Disziplinarmaßnahmen<br />

der Sonderklasse” und Einsparungen<br />

auch bei der Familienförderung ohne<br />

Tabus anzukündigen: die Antwort gibt<br />

die Haltung des ÖGB-Präsidenten.<br />

Die Regierung dürfte sich sehr bewusst<br />

darüber sein, wie groß der Zorn bei der<br />

arbeitenden Bevölkerung darüber ist,<br />

dass sie jetzt die Kosten für die Bankenrettung<br />

übernehmen sollen. Die<br />

fantastischen Streiks der griechischen<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter haben<br />

ihnen wohl Albträume verursacht.<br />

Schließlich haben inzwischen auch in<br />

Deutschland, Finnland und England<br />

die Arbeiter gestreikt. Die isländische<br />

Bevölkerung weigert sich per Volksabstimmung<br />

den internationalen Investoren<br />

ihre Verluste zurückzuzahlen.<br />

Natürlich fragen sich dann auch die<br />

österreichischen Politiker, ob ihnen<br />

hierzulande etwas Ähnliches droht.<br />

Für den ÖGB-Präsidenten wäre es<br />

Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbunds in Prag am 16. Mai 09<br />

deshalb ein Gebot der Stunde gewesen,<br />

sich mit den griechischen Streiks<br />

zu solidarisieren und so während der<br />

Budgetverhandlungen das Kräfteverhältnis<br />

zugunsten der Lohnabhängigen<br />

zu bewegen. Seine Botschaft sollte<br />

lauten: „Wir sind genauso wenig wie<br />

die griechischen Arbeiter bereit für die<br />

Krise zu bezahlen, sollen sie doch bei<br />

den Reichen kassieren!“<br />

Statt um soziale Gerechtigkeit macht<br />

sich Foglar aber Gedanken um die<br />

Konjunktur. Wenn er gegen die Einführung<br />

einer höheren Mehrwertsteuer<br />

argumentiert, dann weil sie den Privatkonsum<br />

abwürgen würde. Genauso<br />

hat er „als Gewerkschafter … mit Nulllohnrunden<br />

ein generelles Problem…,<br />

weil sie die Kaufkraft schmälern würden.“<br />

Über „die Wiedereinführung<br />

von Erbschafts- und Schenkungssteuer<br />

soll man nachdenken“, etwas zu fordern<br />

traut sich der Gewerkschaftschef<br />

gleich gar nicht.<br />

Wenn Foglar sich erhofft, dass die<br />

ÖVP ihm und der SPÖ dafür dankbar<br />

ist und deshalb in ihren Forderungen<br />

nicht noch weiter gehen wird, dann<br />

sollte er sich einfach zehn Jahre zurück<br />

erinnern, wie leicht es der ÖVP gefallen<br />

ist mit der FPÖ eine Koalitionsregierung<br />

zu bilden. ÖVP-Vorsitzender<br />

Erwin Pröll hat bestens verstanden<br />

in welche günstige Lage er durch die<br />

defensive Haltung von SPÖ und Gewerkschaft<br />

gebracht wurde und stellt<br />

schon die Rute ins Fenster. Er würde<br />

noch aggressiver einsparen, aber er<br />

kann nicht, „weil es in dieser Form der<br />

Regierungskonstellation nicht möglich<br />

ist, eine umfassende strukturelle Reform<br />

des Haushalts durchzubringen.“<br />

Sprich: die ÖVP wird noch mehr Zugeständnisse<br />

von der SPÖ einfordern<br />

und wenn sie sie nicht bekommt, dann<br />

wird sie der SPÖ mit der Auflösung<br />

der Regierung drohen. Je defensiver<br />

sich Sozialdemokratie und Gewerkschaft<br />

zeigen, desto besser für die Konservativen.


T H E M A<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Krems:<br />

Mildes Urteil gegen<br />

Polizisten ist Ohrfeige<br />

für Jugendliche<br />

Erst am letzten Prozesstag änderte<br />

der Todesschütze von<br />

Krems seine Verteidigungsstrategie<br />

und wurde prompt<br />

mit einem skandalös milden Urteil belohnt.<br />

Am 5. August 2009 hatte er im Kremser<br />

Merkur-Markt einen jugendlichen<br />

Einbrecher erschossen. Nach der Tat<br />

ließ sich der Polizist Andreas K., der<br />

unter seinen Kollegen den Spitznamen<br />

Rambo haben soll, zwei Tage lang nicht<br />

einvernehmen und bestritt seither jede<br />

Schuld an der Tat. Er sei angegriffen<br />

worden, die Einbrecher seien bewaffnet<br />

gewesen und auf ihn losgegangen, er<br />

hätte in Notwehr gehandelt etc.<br />

Auch das Bild, das der Leiter der Kremser<br />

Kriminaldienstgruppe von dem jugendlichen<br />

Opfer verbreitet hatte, war<br />

völlig falsch. Er sei wegen Sachbeschädigung,<br />

Diebstahl und Körperverletzung<br />

schon bisher auffällig gewesen,<br />

rund zehn bis 15 derartige Fälle habe es<br />

bereits gegeben! Eine glatte Lüge: Richter<br />

Hohenecker konnte nur drei Fälle<br />

finden, „wie fahrlässige Brandstiftung,<br />

weil Pommes frites in der Pfanne zu<br />

brennen begonnen haben”.<br />

Die Gutachten konnten nachweisen,<br />

dass das Opfer, der 14-jährige Florian<br />

P., vor den Polizisten davonlaufen<br />

wollte. Vor dem Todesschuss hat er in<br />

einer Ecke gekauert, wurde dort entdeckt,<br />

ist aufgesprungen und wurde aus<br />

zwei Metern Entfernung erschossen.<br />

Der verantwortliche Polizist und seine<br />

Partnerin hätten nach der üblichen<br />

Vorgehensweise den Supermarkt gar<br />

nicht betreten dürfen, sondern sie hätten<br />

einfach die Ausgänge sichern und<br />

Foto: Thomas Kronsteiner<br />

Zorn wegen der Ermordung des 14-<br />

jährigen Florian P. in Krems<br />

auf Verstärkung warten sollen. Die Opferanwältin<br />

warf dem Polizisten auch<br />

vor, er sei „im Jagdfieber“ gewesen.<br />

Dessen Schuldeingeständnis am letzten<br />

Prozesstag war armselig: Er sei „irrtümlich”<br />

von einer Angriffssituation<br />

ausgegangen, er habe „übersehen”, wie<br />

sich der Einbrecher abgewandt habe -<br />

und dass er deshalb „das gerechtfertigte<br />

Maß der Verteidigung überschritten”<br />

habe. Trotzdem wurde er mit seinem<br />

Urteil belohnt und kann so weiter den<br />

Polizeidienst versehen: acht Monate bedingt<br />

wegen “fahrlässiger Tötung unter<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen”.<br />

Die Kremser Jugendlichen aus der Arbeitersiedlung<br />

Lerchenfeld, unter denen<br />

Polizist Andreas K. als Schikanierer<br />

verrufen ist, können das nur als Ohrfeige<br />

von Vater Staat empfinden.<br />

Chile:<br />

Militär nutzt Erdbeben<br />

Die Ausrufung des Kriegsrechts in Chile nach dem Erdbeben erinnert an die Zeiten<br />

des Schreckens, als das chilenische Militär das letzte Mal die Macht ergriff. Tom<br />

Allahyari über die politische Instrumentalisierung der Katastrophe.<br />

Auf das Beben in Chile<br />

folgte ein Tsunami, der<br />

Fischerdörfer entlang der<br />

Küste zerstörte. Das Beben<br />

dort war viel stärker als das in Haiti,<br />

und es hat ein viel größeres Gebiet<br />

getroffen.<br />

Die Langzeitfolgen sind noch nicht<br />

abzuschätzen, die Anzahl der Getöteten<br />

ist mit ca. 1000 aber viel<br />

niedriger als auf Haiti. Nur einige<br />

der schrecklichen Fakten: Eineinhalb<br />

Millionen Unterkünfte wurden beschädigt<br />

bzw. zerstört, in der Stadt<br />

Lampa löste das Beben Feuer in drei<br />

Plastikfabriken aus, eine riesige Giftwolke<br />

gelangte in die Atmosphäre.<br />

Die erste Reaktion der alten chilenischen<br />

Regierung unter Michelle<br />

Bachelet war langsam und zögerlich.<br />

Es brauchte Tage, bis Wasser und<br />

die ersten Lebensmittel die Opfer<br />

erreichten, internationale Hilfsangebote<br />

waren abgelehnt worden.<br />

„Plünderungen“<br />

Die dringendsten Bedürfnisse der<br />

Leute nach der Katastrophe waren<br />

Nahrung, Wasser und Unterkunft.<br />

Als keine Hilfe kam, nahmen die<br />

Menschen die Dinge selbst in die<br />

Hand. Während in den reichen Gegenden<br />

der Hauptstadt Santiago die<br />

Stromversorgung und das Telefonnetz<br />

fast sofort wieder hergestellt<br />

worden waren, mussten arme Gegenden<br />

eine Woche darauf warten.<br />

Supermärkte nahe dem Epizentrum<br />

erhöhten sofort die Preise.<br />

Die Leute reagierten darauf natürlich<br />

wütend und organisierten sich selbst<br />

was sie brauchten, indem sie sich das<br />

Lebenswichtige aus den Supermärk-<br />

Militär hält die Armen in Schach<br />

ten holten. Diese waren zumeist im<br />

Besitz von Wal-Mart, dem zweitreichsten<br />

multinationalen Konzern<br />

der Welt.<br />

Grund genug für die Regierung, das<br />

Kriegsrecht auszurufen – wie in Haiti.<br />

Das Militär marschierte auf, aber<br />

nicht um zu helfen, sondern um Supermärkte<br />

zu schützen. Menschen,<br />

die sich Nahrung besorgen wollten,<br />

wurden mit Tränengas und Wasserwerfern<br />

angegriffen.<br />

Putsch und Neoliberalismus<br />

Es ist bekanntlich nicht das erste Mal,<br />

dass das Militär die Kontrolle übernimmt.<br />

Das geschah zuletzt 1973,<br />

als der Militärputsch von Augusto<br />

Pinochet die gewählte linksgerichtete<br />

Regierung von Salvador Allende<br />

stürzte. Die chilenische Ökonomie<br />

wurde brachial für ausländische Investitionen<br />

geöffnet. Multinationale<br />

Konzerne verlegten ihre Produktion<br />

nach Chile, wo Gewerkschaften verboten<br />

waren und Arbeitskraft billig<br />

zu bekommen war (genauer dazu:<br />

Artikel auf S.9)<br />

Alle folgenden – sowohl die eher<br />

rechten wie die eher linken - Regierungen<br />

haben diesen neoliberalen<br />

Weg bis heute beibehalten. Gesundheitsversorgung<br />

und Ausbildung<br />

sind teuer geworden. Die Menschen<br />

müssen mit einem Durchschnittslohn<br />

auskommen, der gerade mal ein<br />

Drittel der Lebenshaltungskosten einer<br />

Familie abdeckt.<br />

Desillusionierung und Hoffnung<br />

Dies sind die Hintergründe, auf die<br />

das Erdbeben in Chile getroffen ist.<br />

Ist es ein Wunder, dass die Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter in Chile so wütend<br />

auf das Versagen des Staats reagiert<br />

haben? Das Kriegsrecht und die<br />

Ausgangssperren ab sechs Uhr abends<br />

werden sie nur an die Pinochet-Ära<br />

erinnern. Das heutige, „neue“ Chile<br />

wurde auf den Gräbern derjenigen<br />

erbaut, die in den wenigen Jahren<br />

von Allendes Volksfront-Regierung<br />

für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft<br />

hatten.<br />

Frech schlägt die Regierung nun vor,<br />

das Geld für die Opfer über eine<br />

private, mediale Spendensammlung<br />

aufzutreiben, anstatt es sich von den<br />

Reichen zu holen, die vom langen<br />

Boom profitiert haben.<br />

Der Gipfel ist aber, dass der reichste<br />

Mann Chiles, Sebastian Piñera, Präsident<br />

von Chile wird. Er wird sich,<br />

wie seine neoliberalen Freunde weltweit,<br />

über riesige Profite aus dem<br />

Wiederaufbau freuen können. Für<br />

die Mehrheit der Chilenen wird die<br />

nächste Zeit extrem hart.<br />

Wir zahlen nicht für eure Krise:<br />

Island stimmt gegen Kompensationszahlungen<br />

Mit einer überwältigenden Mehrheit von 93,6% haben die Isländerinnen und Isländer gegen das so genannte „Icesave“-Gesetz gestimmt. Dieses<br />

hätte die Steuerzahler dazu verpflichtet, gegenüber ausländischen Gläubigern für 3,3 Milliarden Euro zu haften,<br />

die isländische Banker im Zuge der Finanzkrise verspekuliert hatten, schreibt Hannah Krumschnabel.<br />

Wie sich Island,<br />

einst ein typisch<br />

s k a n d i n a v i s c h e r<br />

Wohlfahrtsstaat, im Laufe der<br />

1990er-Jahre zu einem neoliberalen<br />

Modellstaat entwickelt<br />

konnte, beschreibt der deutsche<br />

Attac-Aktivist Georg Brzoska:<br />

„Die Regierung der Neokonservativen<br />

privatisierte in einer<br />

unglaublichen Geschwindigkeit<br />

Bankensystem und öffentliches<br />

Eigentum, darunter sogar noch<br />

nicht gefangene Fische.“ Der<br />

Aktienhandel mit Fischfangrechten<br />

war es dann auch, der<br />

großen Fischereiunternehmen<br />

zu einem immensen Reichtum<br />

verhalf. Dieser schaffte die Basis<br />

für den Finanzboom. Kurz vor<br />

dem Crash war das Vermögen<br />

der drei größten heimischen<br />

Privatbanken auf das dreißigfache<br />

des isländischen BIPs angewachsen.<br />

Im Herbst 2008 platzte diese<br />

riesige Finanzblase schließlich<br />

und die Regierungspartei wurde<br />

von wütenden Protesten der Bevölkerung<br />

aus dem Amt gejagt.<br />

Jetzt hat ausgerechnet die neue<br />

Koalition aus Sozialdemokraten<br />

und Linksgrünen das „Icesave“-<br />

Gesetz mit den Niederlanden<br />

und Großbritannien ausgehandelt.<br />

Unter den Isländern, die<br />

durch die Krise massiv von Arbeitslosigkeit<br />

und Verschuldung<br />

betroffen sind, herrschte eine so<br />

deutliche Stimmung dagegen,<br />

dass schließlich der Präsident<br />

Olafur Grimsson ein Veto gegen<br />

das bereits beschlossene<br />

Gesetz einlegte und damit das<br />

Referendum möglich machte.<br />

„Ich bin zu der Überzeugung<br />

gelangt, dass Sie sich bei der<br />

Wahl zwischen der Demokratie<br />

und den Finanzmärkten für die<br />

Demokratie entscheiden müssen.“,<br />

lautete seine deutliche<br />

Wahlempfehlung.<br />

Bankmanager als Zielscheibe<br />

Das Aus für die Vereinbarung<br />

bedeutet für Island nun scharfe<br />

Sanktionen: Der Internationale<br />

Währungsfonds (IWF) setzt eine<br />

Ratenzahlung seines Kredits an<br />

das bankrotte Land aus, die EU<br />

legte die Beitrittsverhandlungen<br />

auf Eis. Obwohl dies die Krise<br />

des Landes kurzzeitig verschärfen<br />

könnte, sind die Isländer<br />

nach wie vor entschlossen zu<br />

kämpfen.<br />

Aus Anlass des Referendums demonstrierten<br />

im März neuerlich<br />

über tausend Menschen. Protest<br />

vor dem Parlament gehört<br />

zum Alltag genauso wie der so<br />

genannte „Kreppáhumor“, der<br />

Krisenhumor, der zum Beispiel<br />

dafür verantwortlich ist, dass die<br />

Gesichter von Bankmanagern<br />

aus vielen Pissoiren in Reykjavik<br />

grinsen. Dass eben diese jungen<br />

„Wikinger“-Banker bisher von<br />

der Justiz verschont geblieben<br />

sind, führt allerdings auch zu<br />

großem Zorn, sodass sich Farbbeutel-<br />

und Salzsäureattacken<br />

auf sie mehren.<br />

Obwohl es also für Island als<br />

„gallisches Dorf“ schwer werden<br />

dürfte, sich allein gegen die Angriffe<br />

von IWF und Co. zu wehren,<br />

so ist der Widerstand doch<br />

so inspirierend, dass er auch<br />

auf andere Länder übergreifen<br />

könnte. Zumindest fürchten<br />

das die Eliten selbst: der Pariser<br />

Club, ein Zusammenschluss<br />

von großen Gläubigerstaaten,<br />

gab bereits zu, es bereite seinen<br />

Mitgliedern Kopfschmerzen,<br />

dass Islands Beispiel Schule machen<br />

könnte.


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Nach der Welle der Radikalisierung<br />

der letzten Jahre<br />

verlor die konservative Partei<br />

„Neue Demokratie“ die Wahlen<br />

und die Mitte-Links-Partei Pasok<br />

kam an die Regierung. Geführt von<br />

Giorgos Papandreou versucht die<br />

Regierung die sozialen Spannungen<br />

zu entschärfen und gleichzeitig das<br />

riesige Budgetdefizit, das über 12%<br />

liegt, auf 2,8% zu reduzieren, das ist<br />

in etwa dasselbe wie die Quadratur<br />

des Kreises zu versuchen. Der vorläufige<br />

Budgetplan für 2010 sieht<br />

Steuererhöhungen von 3 Milliarden<br />

Euro vor und Einsparungen bei den<br />

öffentlichen Ausgaben im Ausmaß<br />

von weiteren 4 Milliarden Euro.<br />

Die Regierung entlässt 40.000 Zeitarbeiter<br />

sofort und wird keinerlei<br />

weitere Jobs im öffentlichen Sektor<br />

vergeben. Erfahrene Parlamentarier<br />

raten Pasok alle unpopulären Maßnahmen<br />

bis zum Sommer durchzuführen,<br />

weil bis dahin die Regierung<br />

noch neu sei und bis zur nächsten<br />

Wahl noch genügend Zeit habe,<br />

sich zu regenerieren.<br />

Doch bei dieser einfachen Rechnung<br />

haben sie die Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter unterschätzt. Während<br />

Politiker und Unternehmer noch<br />

weitere Kürzungen verlangen und<br />

die beste Angriffsstrategie debattieren,<br />

hat die griechische Bevölkerung<br />

bereits den Widerstand gegen die<br />

Kürzungen organisiert und schlägt<br />

zurück. Der Generalstreik am 3.<br />

März verband sowohl öffentliche<br />

als auch private Bedienstete gegen<br />

die Kürzungen und legte das Land<br />

lahm. Das Finanzministerium wurde<br />

spontan 14 Tage lang von Arbeitern<br />

besetzt, nachdem sie dort ein<br />

Treffen mit dem stellvertretenden<br />

Finanzminister hatten. „Er konnte<br />

Die griechische Regierung<br />

unter George Papandreou<br />

befindet sich<br />

in einer Zwickmühle. Einerseits<br />

ist sie nach dem Generalstreik<br />

verängstigt. Andererseits besteht<br />

enormer Druck von Seiten der<br />

Europäischen Union und von<br />

Unternehmen und Banken, in<br />

den nächsten drei Monaten 22<br />

Milliarden Euro zusammenzubekommen,<br />

um die auslaufenden<br />

Staatsanleihen zu ersetzen.<br />

Die Forderungen der Europäischen<br />

Union nach einer neuen<br />

Runde Kürzungen – die prompt<br />

durch Senkung der Pensionen<br />

und Erhöhung des Pensionsalters<br />

umgesetzt werden – machen<br />

deutlich, dass es bei der griechischen<br />

Krise um weit mehr<br />

geht. Auch auf Deutschland, der<br />

auf Export von Industriegütern<br />

ausgerichtete Riese der Euro-<br />

Zone, fällt der Schatten der geplatzten<br />

Blase. Laut Washington<br />

Post verfügt Deutschland nach<br />

Saudi-Arabien über den größten<br />

Handelsüberschuss. Deutschland<br />

ist also Lieferant und Finanzier<br />

(über die Deutsche Bank), während<br />

Griechenland, Spanien und<br />

Portugal Käufer sind, die sich<br />

übernommen haben, und von<br />

denen Deutschland nur sehr wenig<br />

importiert.<br />

Sie sind durch ihre Mitgliedschaft<br />

in der Euro-Zone an eine<br />

Ökonomie gefesselt, gegen die<br />

ihre Unternehmen nicht konkurrieren<br />

können. Dazu kommt,<br />

dass sie als Teilnehmer am Euro-<br />

System ihre eigenen Währungen<br />

T H E M A<br />

Griechenland im Auge des Orkans<br />

Griechenland<br />

Platzen der Blase<br />

Griechenlands Betritt zur Euro-Zone ermöglichte<br />

Geld über die Ausgabe von Staatsanleihen<br />

zu niedrigen Zinsen aufzunehmen.<br />

Auf diese Weise entwickelte sich Mitte der<br />

2000er in Griechenland eine Kreditblase, die<br />

schließlich platzte. Die Banken, die diese<br />

Krise auslösten, wurden natürlich mit hohen<br />

Kosten von der Regierung gerettet. Jetzt<br />

sind sie außer sich, weil die Regierung mehr<br />

Kredite aufnehmen musste, und fordern<br />

Sparmaßnahmen und Kürzungen bei öffentlichen<br />

Leistungen.<br />

In diesem Jahr wird die Regierung fast 13<br />

Milliarden Euro allein an Zinsen an die Banken<br />

zahlen, zusätzlich erwarten die Banken<br />

weitere 13 Milliarden an „Kapitalrückflüssen“.<br />

Die Banker sind aber nicht die Einzigen,<br />

die auf Kosten des Staats profitieren. Das<br />

Hauptproblem in Griechenland ist nicht die<br />

von Finanzminister Giorgos Papakonstantinou<br />

beklagte „illegale Steuerflucht“, sondern<br />

die legale Steuerumgehung. Die meisten<br />

großen Unternehmen zahlen keine bis viel<br />

zu geringe Steuern. Wieder investierte Profite<br />

werden überhaupt nicht besteuert. Die<br />

Bankenprofite wurden im vergangenen Jahr<br />

durchschnittlich mit gerade einmal 7 Prozent<br />

besteuert. Zum Vergleich: Die höchste Einkommenssteuer<br />

für Arbeiter und Rentner lag<br />

im vergangenen Jahr bei 40 Prozent. Würden<br />

die Ausnahmeregelungen abgeschafft<br />

und würde die Besteuerung von Konzernen<br />

auf 40 Prozent angehoben, dann hätte Griechenland<br />

einen Haushaltsüberschuss statt<br />

eines riesigen Defizits. Doch die neoliberalen<br />

Steuerpläne der Regierung sehen anders<br />

aus: Athen hat die Körperschaftsteuer von<br />

25 auf 20 Prozent gesenkt. Gleichzeitig will<br />

sie die Steuern der Arbeiter und Rentner<br />

erhöhen - obwohl die Regierung zugibt, dass<br />

die Arbeiter und Rentner fast die Einzigen<br />

sind, die Steuern zahlen.<br />

Ein griechischer Aktivist beschreibt die<br />

Widersprüche: „Dieselbe Regierung, die<br />

den Banken Milliarden gegeben hat, um sie<br />

zu retten, hat jetzt den Nerv uns um mehr<br />

Geduld und Selbstbeschränkung zu fragen.<br />

Keine Selbstbeschränkung für Streikaktionen!<br />

(…) Wir sollten daran arbeiten diese<br />

Stimmung in jedem europäischen Land zu<br />

verbreiten, noch schneller als sich die kapitalistische<br />

Krise verbreitet.”<br />

Foto: Guy Smallman<br />

Afrikanische Migranten bei den griechischen Protesten: sie fordern<br />

Staatsbürgerrechte und ein Ende der Polizeischikanen.<br />

keine Antwort auf eine Menge von<br />

unseren Fragen geben, also haben<br />

wir uns entschlossen hier zu bleiben<br />

bis wir Antworten von der Regierung<br />

bekommen“, erzählte Gregorri<br />

Costantelos, Vorsitzender der Piloten-Gewerkschaft<br />

der „Olympic<br />

Airways“. „Die Dinge bewegen sich<br />

hier wirklich und das Selbstvertrauen<br />

der Arbeiter steigt“, sagt Panos<br />

nicht abwerten können, um so<br />

ihre Exporte zu verbilligen.<br />

Deshalb steigt der Druck auf<br />

Deutschland, Griechenland finanziell<br />

zu stützen. Merkel hat<br />

die Gelegenheit genutzt und<br />

will Griechenland harte Medizin<br />

schlucken lassen. Sollte Griechenland<br />

Unterstützung brauchen,<br />

dann unter der Fuchtel des<br />

Internationalen Währungsfonds,<br />

der Kredite nur vergibt, wenn<br />

im Gegenzug Sozialausgaben gekürzt<br />

werden. Das Vorbild dafür<br />

ist Irland, wo die regierende Partei<br />

enorme Kürzungen durchsetzen<br />

konnte (s. Artikel Irland).<br />

Dazu kommt, dass der Euro<br />

selbst in Gefahr ist. Ein Grund,<br />

warum Merkel und andere Herrschende<br />

denken, das irische Modell<br />

sei so vorbildlich: es ermöglicht<br />

Budgetdefizite zu stutzen<br />

und die Währung wieder auf<br />

Kurs zu bringen ohne die Staatsausgaben<br />

zu erhöhen. Doch es<br />

gibt keinerlei Garantie, dass diese<br />

Maßnahmen die Krise lösen<br />

Garganas, Herausgeber der griechischen<br />

<strong>Zeitung</strong> „Arbeitersolidarität“,<br />

„Meinungsumfragen zeigen,<br />

dass über 70 Prozent der Bevölkerung<br />

die Kürzungen bei Löhnen im<br />

öffentlichen Sektor ablehnen.“<br />

Zwei Entwicklungen haben die Ereignisse<br />

in Griechenland beschleunigt:<br />

einerseits die Budget-Krise und<br />

den daraus resultierenden Abbau des<br />

Defizits mittels „Notstands“-Maßnahmen.<br />

Aber man wird erst noch<br />

sehen, ob die Regierung es schafft<br />

diese Angriffe auf den Lebensstandard<br />

tatsächlich durchzuführen. Die<br />

zweite Entwicklung ist der Jahrestag<br />

des Aufstandes in Folge des durch<br />

einen Polizisten ermordeten Jugendlichen<br />

im Dezember 2008, der von<br />

Massendemonstrationen begleitet<br />

wurde.<br />

Eine von unten entstandene Revolte<br />

entfaltet sich und die Banker<br />

und die europäischen Regierungen<br />

erkennen schön langsam, dass<br />

nicht alles nach ihren Köpfen laufen<br />

könnte. Die Menschen auf den<br />

Straßen erwarten, dass die Opposition<br />

gegen die Regierung sich links<br />

positioniert. Die Führung der parlamentarischen<br />

Linken betreibt im<br />

Moment indes reine Nabelschau.<br />

Die antikapitalistische Linke muss<br />

die Initiative übernehmen und die<br />

Linke dazu führen diese Möglichkeiten<br />

zu ergreifen.<br />

EU-Poker um die<br />

griechische Krise<br />

Griechenland versinkt in Schulden. Im Jahr 2009 lag das Staatsdefizit bei<br />

knapp 300 Mrd. Euro. Doch die Krise in Griechenland spiegelt die ökonomische<br />

Erpressung und Einschüchterung durch die neoliberale Marktordnung wider.<br />

In der Krise treiben die Mächtigen der EU Sozialabbau voran.<br />

– vor allem weil sie die Probleme<br />

nicht in Angriff nehmen, die das<br />

ganze Schlamassel in erster Linie<br />

verursacht haben. Der ökonomische<br />

Albtraum könnte sich<br />

auch fortsetzen. Die griechische<br />

Regierung rechnet dieses Jahr<br />

mit einer Arbeitslosenquote von<br />

über 20%. Die Lösung dieser<br />

Probleme ist die Antwort der<br />

griechischen Arbeiterinnen und<br />

Arbeiter.<br />

Nikos Lountos, Mitglied von<br />

SEK (Sozialistische Arbeiterpartei)<br />

in Griechenland, meint<br />

über den derzeitigen Zustand:<br />

„All dies hat Griechenland in ein<br />

weit größeres Schlachtfeld verwandelt.<br />

Die herrschenden Klassen in<br />

Europa konzentrieren sich nun<br />

auf Griechenland, um zwei Dinge<br />

zu messen: erstens, wie viel das<br />

schwächste Glied der Eurozone<br />

ertragen kann, ohne abzustürzen,<br />

zweitens das Niveau der Militanz<br />

der Arbeiterklasse als Reaktion auf<br />

die Auswirkungen der Krise.“<br />

<br />

Irland:<br />

Kürzungen &<br />

Widerstand<br />

In Irland gibt es erste Anzeichen eines<br />

großen politischen Wandels. Die Regierung,<br />

eine Koalition aus der konservativen<br />

Partei „Fianna Fáil“ und den Grünen,<br />

fährt eine prinzipielle Strategie von Lohnkürzungen<br />

und Einsparungen im öffentlichen<br />

von Kieran Allen<br />

Sektor, um aus der Rezession herauszukommen<br />

– die Wirtschaftsleistung fiel 2009 um<br />

8%.<br />

Indem den Gewerkschaften im öffentlichen<br />

Sektor eine herbe Niederlage zugefügt wird,<br />

hoffen Staat und Unternehmer eine neue<br />

Welle an tiefgreifenden und verheerenden<br />

Lohnsenkungen durchsetzen zu können.<br />

Die herrschende Klasse signalisiert sogar noch<br />

weitere Kürzungen, während 2009 rund 13<br />

Milliarden Euro an Steuergeldern dazu verwendet<br />

wurden, das irische Bankensystem<br />

aufzupeppen. Der große Empfänger des Bankenpakets<br />

war die nun verstaatlichte Anglo-<br />

Irish Bank, die den finanziellen Flügel der<br />

„Fianna Fáil“-Partei darstellt. Erstaunliche<br />

70 Milliarden Euro wurden in Form von<br />

Krediten an die Partei unterstützende Bauunternehmer<br />

vergeben, die damit wiederum die<br />

Immobilien-Blase aufbliesen.<br />

Um ihre Banken- und Immobilienfreunde<br />

nach dem Platzen der Immobilien-Blase<br />

zu retten, transferierte die Regierung alle<br />

„schlechten Schulden“ der Banken zum Staat<br />

– sagenhafte 54 Milliarden Euro. Der Staat<br />

würde so Kontrolle über angeschlagenen Anlagevermögen,<br />

die nicht beglichen werden<br />

konnten, bekommen. Die dadurch bereinigten<br />

Banken sollten wieder anfangen Kredite<br />

zu vergeben und somit die irische Wirtschaft<br />

ankurbeln. Der Staat gibt vor, das Geld zurückzubekommen<br />

sobald sich der Immobilienmarkt<br />

erholt habe – was laut ihrer Vorhersage<br />

in zehn Jahren der Fall sein werde. Doch<br />

bisher ist es durch diese gigantische Rettungsaktion<br />

nicht gelungen, den Zombie-Banken<br />

Leben einzuhauchen. Es wird geschätzt, dass<br />

sie weitere 14 Milliarden Euro benötigen.<br />

Dies hat zu enormer Wut bei der irischen Bevölkerung<br />

geführt, die sich auf zweierlei Arten<br />

manifestiert: Einerseits hat „Fianna Fáil“<br />

ihre politische Dominanz verloren. Der unmittelbare<br />

Gewinner davon ist die rechte Partei<br />

„Fine Gael”. Doch ihr Aufstieg ist höchst<br />

fragil. Sie hat aber im Gegensatz zu Fianna<br />

Fáil keine Wurzeln in der Arbeiterklasse.<br />

Bis zu einem gewissen Punkt schien die Labour<br />

Party auch zu gewinnen – als sie nach<br />

links rückte und die Banken-Rettungspakete<br />

angriff. Doch bald hatte die Führung Panik<br />

davor, zu hohe Erwartungen zu schüren und<br />

ruderte zurück.<br />

Zweitens manifestiert sich die Wut in den<br />

großen Streiks im öffentlichen Sektor. Ende<br />

November 2009 beteiligten sich an die<br />

300.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an Aktionen<br />

und seit Ende Jänner finden streikähnliche<br />

Aktionen in mehreren Sektoren statt.<br />

Die Gewerkschaftsführung, mit engen Verbindungen<br />

zur Spitze der Labour Party, hat<br />

Angst vor der Bewegung, die von der Basis<br />

ausgeht. Sie versuchte sogar Zugeständnisse<br />

an die Regierung zu machen, die wiederum<br />

arrogant abwehrte. Diese Abfuhr signalisierte<br />

den Tod der Sozialpartnerschaft.<br />

Auf der einen Seite gibt es wachsenden Ärger<br />

und Militanz unter Arbeitern und in neuen<br />

Netzwerken. Auf der anderen Seite konfrontiert<br />

eine schwache, unpopuläre Regierung<br />

die organisierte Arbeiterklasse, die aus dem<br />

Schlummer der Sozialpartnerschaft erwacht<br />

ist.<br />

Wie auch immer dieser Konflikt ausgeht,<br />

eines ist klar: Eine dunkle Wolke ist über dem<br />

irischen Kapitalismus aufgezogen.


L E S E R I N N E N F O R U M<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Foto: Aydin Can Nebioglu<br />

Ich habe mich in Wien verliebt.<br />

Ganz langsam sind wir voran gepirscht.<br />

Vorher im Internet noch<br />

die Lage gecheckt. Herrliche Stadt.<br />

Mist. 300 Verhaftungen auf einmal,<br />

sagt Twitter. Hetzjagd auf StudentInnen.<br />

Stimmt das? Und da wollen<br />

wir jetzt hin?<br />

Sind nun endlich angekommen. Wie<br />

keine Cops? Alles friedlich. Dann ist<br />

die Aktion wohl vorbei.<br />

Die CampusbewohnerInnen sind<br />

gleich sehr freundlich und zuvorkommend.<br />

Die Stimmung ist gelöst. Die<br />

Blockaden waren scheinbar anstrengend<br />

und doch relativ erfolgreich. Immerhin<br />

um anderthalb Stunden konnte<br />

die Gala rausgezögert werden und<br />

ein Minister musste zu Fuß gehen.<br />

Bis Mitternacht hielten die DemonstrantInnen<br />

bei recht großem Polizeiaufkommen<br />

durch. Respekt. Langes<br />

Durchhaltevermögen. Haben die<br />

Studis ja auch. Spätestens seit dem<br />

Bachelor sind sie es gewöhnt, wenig<br />

zu schlafen und sich ausschließlich<br />

auf eine Sache - Moment auf tausend<br />

verschiedene Sachen mit einem Zweck<br />

- zu konzentrieren. Ob sich die Wirtschaft<br />

mit ihren menschenunwürdigen<br />

Anforderungen nicht selbst ins Bein<br />

schießt? Das werden wir ja mal noch<br />

sehen.<br />

Die Minister räumen immerhin schon<br />

mal ein, dass sie bei der Bologna-Umsetzung<br />

die soziale Komponente weitestgehend<br />

ausgeklammert haben.<br />

Toll: endlich mal angekommen da<br />

oben!<br />

Passend zu Problemen in der Politik<br />

und Gesellschaft bieten die Studis in<br />

den kommenden Tagen zahlreiche<br />

Workshops an.<br />

Ich komme ins „Café international“<br />

– ein zentraler Treffpunkt für die Streikenden<br />

- und bin beeindruckt.<br />

Die Vielfalt, die sich hier an Menschen<br />

zeigt, übertrifft bei weitem die mir aus<br />

dem Bildungsstreik bekannte. Trotz<br />

vielfältiger Unterschiede verstehen sich<br />

die Protestierenden prima.<br />

Die Atmosphäre ist locker, ruhig und<br />

zugleich voller Spannung.<br />

Dolmetscher – sogar in Gebärdesprache<br />

- und englische Plena und Diskussionen<br />

sorgen für eine optimale Zusammenarbeit<br />

und ein internationales<br />

Feeling. Ist einfach eine andere Größenordnung<br />

wie zu Hause.<br />

So viele verschiedenen Menschen auf<br />

einem Haufen. Da denkt man doch,<br />

in größerer Dimension funktioniert es<br />

Postfach<br />

Kommentare, Berichte oder Briefe bitte an redaktion@linkswende.org<br />

Ein Erfahrungsbericht über<br />

„Bologna burns“ in Wien<br />

Sturm der Parlamentsrampe bei der „bologna-burns“-Demo am 11.3. in Wien<br />

dann nicht mehr.<br />

Wien hat aber eindrucksvoll gezeigt,<br />

dass dies gelingen kann, wenn genügend<br />

Toleranz vorhanden ist.<br />

Doch noch eindrucksvoller als die<br />

– für mich riesige – Größenordnung<br />

sind mir die einzelnen Charaktere in<br />

Erinnerung geblieben:<br />

Sehr offene, liebe Menschen mit notwenigem<br />

Raum für Toleranz. Sie begegneten<br />

mir interessiert und freundlich.<br />

Ich habe noch nie auf einmal so viele<br />

Menschen kennengelernt, wie hier.<br />

Faszinierend wie schnell aus Bekanntschaften<br />

„kleine Beziehungen“ werden.<br />

Viele faszinierende Lebensgeschichten,<br />

Weltansichten und Probleme.<br />

Politische Diskussionen dabei sind sehr<br />

interessant. Ich finde sie verraten sehr<br />

viel über einen Menschen. Sie zeigen,<br />

wie der Mensch über die Menschheit<br />

und deren Handeln denkt. Das System<br />

in dem wir leben, wird hinterfragt.<br />

Oder auch nicht.<br />

Durch tiefer gehende Gespräche hat<br />

man zu den Menschen dann einen<br />

ganz besonderen Bezug. Wahrscheinlich<br />

entsteht dadurch die Toleranz, die<br />

mir so lebendig in Erinnerung geblieben<br />

ist. Diese Offenheit beschränkt<br />

sich hier aber nicht nur auf die Studierenden<br />

selbst. Sehr berührt hat mich<br />

die bedingungslose Hilfsbereitschaft<br />

der Wiener Studierenden.<br />

Die Studierenden waren der Meinung,<br />

dass die Revolution in den Köpfen<br />

der Menschen stattfinden muss. Es<br />

soll nicht nur ein Bewusstsein für die<br />

aussichtlose Situation der Obdachlosen<br />

gefördert werden, sondern die<br />

Erkenntnis, dass solch ein Schicksal<br />

Jeden treffen könnte.<br />

Diese Menschen fallen durch ein Raster.<br />

Sie werden abgestempelt und aus<br />

der Gesellschaft abschoben.<br />

Ihnen geht es also nicht nur um ihre<br />

eigene Situation, sondern um eine<br />

ganzheitliche Veränderung der Gesellschaft.<br />

Sie leben also ihre eigenen Ideale und<br />

bleiben nicht bei Forderungen und leeren<br />

Worten stehen.<br />

Ein Grund mehr, die Studierendenbewegung<br />

ernst zu nehmen. Sehr viele<br />

Politiker können sich bei ihnen eine<br />

Scheibe abschneiden.<br />

Solidarische Grüße an die AktivistInnen<br />

in Österreich!<br />

Britta<br />

Linksjugend [‘solid] BaWü<br />

Karlsruhe (Deutschland)<br />

Bildungsproteste<br />

aus Innsbrucker Sicht<br />

Die Besetzung des Audimax hatte im vergangenen Herbst eine einschlagende Wirkung<br />

auf die anderen österreichischen und internationalen Universitätsstädte. Die<br />

Bedeutung der Bewegung für Innsbruck konnte ich aus nächster Nähe miterleben.<br />

Bildungsbewegung in Serbien:<br />

„Wir sind keine Kinder der Bourgeoisie!“<br />

Über 500 Schülerinnen und Schüler, sowie Studierende<br />

demonstrierten am Dienstag, den 23. März<br />

in Belgrad gegen einen Gesetzesvorschlag, der alle Studierenden,<br />

die in einem Jahr nicht alle geplanten Examen<br />

schaffen, zu Studiengebühren zwingen würde. Die Studierenden,<br />

müssen, bei einem durschnittlichen Montseinkommen<br />

von 400 Euro, schon jetzt bis zu 3000 Euro<br />

Gebühren zahlen müssen. Eine Million Menschen - von<br />

sieben Millionen Einwohnern - ist arbeitslos.<br />

Der Protest selbst äußerte sich sehr lebhaft, mit Slogans<br />

wie „Wir sind keine Kinder der Bourgeoisie!“, „Wir<br />

wollen freie Bildung!“, und vor Parlament, Zentralbank<br />

und Regierungssitz: „Diebe!“. Außerdem hatten wir die<br />

Unterstützung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus<br />

zwei streikenden Betrieben.<br />

„Diese Situation bringt uns zu einem Punkt, wo nur<br />

mehr die Reichen fähig sein werden zu studieren. Es<br />

ist dieselbe Situation, die unsere Arbeitsplätze zugrunde<br />

gerichtet hat. Privatisierung ist das schlimmste, das<br />

uns passieren könnte.“, sagte einer der Arbeiter bei den<br />

Protesten. Die allgemeine Stimmung der Verbindung<br />

zwischen Kämpfen der Lohnabhängigen und der Studierenden<br />

war offensichtlich, sowohl auf der Demo als<br />

auch am Plenum danach.<br />

Schüler, die zum ersten Mal bei Protesten wie diesen<br />

teilnahmen, sind entschlossen diesen Kampf zu gewinnen.<br />

Vorbereitungen für die nächste Demonstration sind<br />

bereits in Angriff genommen. Noch in derselben Woche<br />

hat eine neue Runde von Treffen und Versammlungen<br />

in Universitäts- und Schulgebäuden angefangen. Jede<br />

involvierte Schule und Fakultät wird dann Delegierte<br />

zu einem zentralen Treffen schicken, das einen weiteren<br />

Vorweg, die Dynamik der<br />

aufkeimenden Besetzung<br />

in IBK war umso überraschender,<br />

weil sie aus dem Nichts<br />

entstand. Die politische Situation<br />

vor der Studentenbewegung war<br />

eine vollkommen passive, selbst die<br />

letzten ÖH-Wahlen erzeugten, trotz<br />

großem Einsatz der Parteien, nur<br />

müdes Schulterzucken. Das alles<br />

änderte sich sehr schnell und radikal<br />

als das Audimax besetzt wurde. Wie<br />

in anderen Städten auch fanden sich<br />

bald Menschen ein, die gewillt waren<br />

ihren Protest auf die Straße zu<br />

tragen und ein Zeichen zu setzen<br />

gegen alles, was falsch läuft in den<br />

Universitäten im Speziellen und<br />

in der von neoliberalen Tendenzen<br />

gebeutelten Gesellschaft im Allgemeinen.<br />

Ich muss zugeben, dass ich<br />

wenig Vertrauen in die Studentenschaft<br />

setzte, als ich den Aufruf zum<br />

Protest zum ersten Mal las. Ich rechnete<br />

eher mit einer schwachen Beteiligung<br />

beim Zug durch Innsbruck<br />

und bezweifelte, ob die Besetzung<br />

überhaupt stattfinden würde Nun,<br />

ich täuschte mich grundlegend. Es<br />

waren tausende von Studenten und<br />

Sympathisanten die sich zum Protest<br />

einfanden und ca. 1000 waren<br />

es, die daraufhin die größte Aula der<br />

Universität IBK besetzten. Es war<br />

für mich überraschend zu sehen wie<br />

schnell alles ging, wenn der Protest<br />

erst einmal begonnen hatte.<br />

Die Besetzung hielt bis Ende Dezember<br />

an, und endete mit einem<br />

Kompromiss. So wurde die SowiMax-Bewegung<br />

mit eigenen<br />

Räumlichkeiten ausgestattet und<br />

ein umfangreiches Angebot der<br />

kritischen Uni wurde finanziert. Es<br />

kann durchaus gesagt werden: Die<br />

Besetzung endete in einem Erfolg!<br />

Nicht nur, dass konkrete Forderungen<br />

erfüllt wurden, auch die Radikalisierung<br />

der Studentenschaft<br />

war die Folge. Viele, unter anderem<br />

auch ich, verstanden erst hier wie<br />

mächtig eine Bewegung von unten<br />

sein konnte und wie viel man erreichen<br />

kann, wenn man sich gegen<br />

das stellt, was als unveränderlich<br />

dargestellt wird.<br />

Wie wichtig diese Radikalisierung<br />

und die Organisation der Bewegung<br />

ist, zeigte sich dann bei den<br />

Bologna-Burns-Protesten Anfang<br />

März in Wien. Durch die Kontakte,<br />

die die Bewegung aufbauen<br />

konnte, konnte auch in Innsbruck<br />

eine große Mobilisierung gestartet<br />

werden, um die Blockaden und<br />

den Gegengipfel zu unterstützen.<br />

Ein weiterer Beweis weshalb eine<br />

permanente Organisation nötig<br />

ist um Bewegungen zu wirksamen<br />

Aktionen zu bringen und sie auch<br />

in Momenten des Abschwungs am<br />

„Leben“ zu erhalten. So wurde ein<br />

ÖBB-Sonderwagon nach Wien<br />

organisiert. Von Innsbruck waren<br />

es dann 80-90 Unterstützer, die<br />

sich nach Wien aufmachten, weit<br />

mehr als die Organisatoren sich<br />

erwartet hatten. Während der Zugfahrt<br />

wurde die Zeit genutzt um<br />

Gespräche zu führen und die Sitzblockaden<br />

vorzubereiten. Rechtshilfenummern<br />

wurden ausgegeben<br />

und Bezugsgruppen aufgestellt. Im<br />

Zug herrschte eine Stimmung der<br />

Vorfreude und der kämpferischen<br />

Spannung, die sich noch verstärkte<br />

als Wien erreicht wurde. Ich war<br />

sehr überrascht wie gut die Organisation<br />

funktionierte. Ich kannte<br />

vorher noch fast niemanden von<br />

<strong>Linkswende</strong> persönlich und rechnete<br />

eigentlich nicht mit einem so<br />

hohen Maß an Organisation und<br />

Aktivität wie ich sie dann am Donnerstag<br />

und den folgenden Tagen<br />

sah. Der Protestmarsch durch Wien<br />

war sehr beeindruckend, nicht nur<br />

wegen der Menschenmassen, sondern<br />

vielmehr wegen der greifbaren<br />

Stimmung der Veränderung die uns<br />

alle umgab. In solchen Momenten<br />

spürt man dann, dass die Menschen<br />

nicht alles passiv über sich ergehen<br />

lassen, sondern bereit sind für eine<br />

bessere Gesellschaft zu kämpfen.<br />

Die Tage während Bologna Burns<br />

bestärkten mich und noch viele andere<br />

in dem Weg, die Gesellschaft<br />

von unten zu verändern und die<br />

Richtung in die unsere Proteste führen,<br />

weiter auszubauen.<br />

Julian Fischnaller<br />

aus Innsbruck<br />

Massenprotest am 23. April plant.<br />

Dieses Mal haben wir die Regierenden unvorbereitet<br />

getroffen, weil wir es schafften, den Gesetzesentwurf<br />

in die Finger zu bekommen, bevor er vom Parlament<br />

beschlossen wurde. Das Dokument selbst ist nur ein<br />

weiterer Schritt von neoliberalen Bildungsreformen in<br />

Serbien, die mit den Attributen „progressiv“, „europäisch“<br />

und „Bologna-Reformen“ geschmückt werden. In<br />

der letzten Zeit wurde es für jeden und jede aber immer<br />

ersichtlicher, dass dieser Prozess die Bildung in Europa<br />

effektiv zerstört hat. Die Wochen vor uns werden zeigen,<br />

welche Chancen unsere Bewegung hat, die nächsten<br />

Schritte dieses Prozesses zu stoppen und eventuell<br />

den Kampf um freie und emanzipatorische Bildung für<br />

alle zu gewinnen.<br />

Matija Medenica<br />

aus Belgrad, Serbien<br />

Foto: Jan Macijek


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

I n t e r n a t i o n a l<br />

<br />

Israel zerstört letzte Illusionen<br />

von Dietmar Meister<br />

Der Alleingang Israels und die<br />

daraus folgende Verstimmung<br />

in der US-israelischen<br />

Beziehung kommen gar nicht so überraschend.<br />

Im Gegenteil lässt sich dadurch<br />

viel eher eine gewisse Kontinuität<br />

feststellen. Abgesehen davon, dass<br />

Israel weiterhin alle UN-Resolutionen<br />

gegen den Siedlungsausbau und –neubau<br />

(sowie fast alle anderen) der letzten<br />

Jahrzehnte missachtet, wurde das von<br />

Barack Obama als solches bezeichnete<br />

„besondere Band“ zwischen den USA<br />

und Israel in der Vergangenheit immer<br />

wieder etwas gespannt.<br />

Der Grund für dieses Zerwürfnis war<br />

fast immer die Siedlungsfrage in den<br />

besetzten Gebieten. Wie auch in diesem<br />

Fall riss es aber nicht, sondern es kam<br />

jedes Mal zu einem Kompromiss oder<br />

einem einseitigen Einlenken.<br />

Für die USA geht es dabei schließlich<br />

um den wichtigsten „Außenposten“ im<br />

Nahen und Mittleren Osten, für Israel<br />

um die militärische und diplomatische<br />

„Schirmherrschaft“.<br />

David gegen Goliath<br />

Jugendliche demonstrieren gegen die Grenzpolizei in Ramallah.<br />

Nach der Veröffentlichung des aktuellen<br />

Wohnbauprojekts kam es zu Auseinandersetzungen<br />

zwischen israelischen<br />

Sicherheitskräften und überwiegend<br />

jugendlichen Palästinensern. Vier Menschen<br />

sind dabei bereits getötet worden:<br />

in der Nähe von Nablus erschossen Soldaten<br />

zwei Palästinenser, die versucht<br />

hatten, Armeeangehörige mit Mistgabeln<br />

anzugreifen. Kurz zuvor ermordeten<br />

israelische Grenzsoldaten einen<br />

16- und einen 19-jährigen Palästinenser,<br />

die Steine auf die Sicherheitskräfte<br />

geworfen hatten.<br />

Kontinuität<br />

Der Alleingang Israels und die daraus<br />

folgende Verstimmung in der US-israelischen<br />

Beziehung kommen gar nicht<br />

so überraschend. Im Gegenteil lässt sich<br />

dadurch viel eher eine gewisse Kontinuität<br />

feststellen. Abgesehen davon, dass<br />

Israel weiterhin alle UN-Resolutionen<br />

gegen den Siedlungsaus- und –neubau<br />

(sowie fast alle anderen) der letzten<br />

Jahrzehnte missachtet, wurde das von<br />

Barack Obama als solches bezeichnete<br />

„besondere Band“ zwischen den USA<br />

und Israel in der Vergangenheit immer<br />

wieder etwas gespannt.<br />

Der Zerwürfnisgrund war fast immer<br />

die Siedlungsfrage in den besetzten Gebieten.<br />

Wie auch in diesem Fall riss es<br />

aber nicht, sondern es kam jedes Mal zu<br />

einem Kompromiss oder einem einseitigen<br />

Einlenken.<br />

Für die USA geht es dabei schließlich<br />

um den wichtigsten „Außenposten“ im<br />

Nahen und Mittleren Osten, für Israel<br />

um die militärische und diplomatische<br />

„Schirmherrschaft“.<br />

Abschreckung<br />

Der renommierte israelische Historiker<br />

Ilan Pappe schrieb im August 2006, kurz<br />

nach der Niederlage des israelischen<br />

Militärs gegen den von der Hisbollah<br />

geführten libanesischen Aufstand: „In<br />

anderen Gesellschaften hätte eine solche<br />

Niederlage dazu geführt, den Einsatz<br />

militärischer Macht zu überdenken<br />

– nicht so in Israel. Die Gefahr besteht,<br />

dass die Schlussfolgerung sein könnte,<br />

mehr Gewalt anzuwenden, um die<br />

verlorene abschreckende Wirkung wiederzuerlangen.<br />

(…) Wir können mehr<br />

Blutvergießen und aggressivere Politik<br />

erwarten – wenn nicht gegenüber Syrien<br />

und Iran, dann gegenüber den Palästinensern.“<br />

Die Realität hat seine Annahme leider<br />

bestätigt. Vor allem der brutale israelische<br />

Angriff auf den Gaza-Streifen im<br />

Winter 2008/09 war ein dahingehend<br />

klares Zeichen. Dieser oft auch als „Massaker“<br />

bezeichnete Militärschlag wird<br />

zurzeit im UN-Menschenrechtsrat behandelt.<br />

Dabei wird unter anderem der<br />

nach einem südafrikanischen Juristen<br />

benannte „Goldstone-Report“ herangezogen,<br />

welcher die Aussagen israelischer<br />

Soldaten, gezielt zivile Einrichtungen<br />

zerstört und rund 1400 Zivilisten getötet<br />

zu haben, bestätigte.<br />

Indes erhärtet sich der Verdacht gegenüber<br />

Israel, während des Angriffs auf<br />

Gaza das nach internationalem Recht<br />

verbotene „weiße Phosphor“, welches<br />

Menschen bis auf die Knochen verbrennen<br />

lassen kann, eingesetzt zu haben.<br />

Unterdessen forderte UN-Generalsekretär<br />

Ban-Ki-Moon die Aufhebung der<br />

weiterhin aufrechterhaltenen „nutzlosen<br />

und inakzeptablen“ Blockade des Gaza-<br />

Streifens.<br />

Zwei-Staaten-Lösung unmöglich<br />

Ein Blick auf die Landkarte der palästinensischen<br />

Gebiete genügt, um zu erkennen,<br />

dass die von vielen angestrebte<br />

„Zwei-Staaten-Lösung“, welche neben<br />

dem Staat Israel einen unabhängigen<br />

Palästinenserstaat vorsieht, nicht mehr<br />

als eine leere Floskel darstellt: palästinensische<br />

Siedlungsgebiete sind von<br />

einem kaum passierbaren israelischen<br />

Straßennetz (welches Nachbardörfer<br />

vollkommen voneinander abschneidet)<br />

durchzogen, das Westjordanland ist –<br />

vergleichbar mit einem „Ganzkörperausschlag“<br />

- übersät von israelischen Siedlungen<br />

und die räumliche Abtrennung<br />

vom Gazastreifen trägt nicht wirklich<br />

dazu bei, sich einen Palästinenserstaat<br />

vorstellen zu können, – genauso wie die<br />

zwei nebeneinander existierenden palästinensischen<br />

Regierungen der Hamas<br />

im Gaza-Streifen sowie der Fatah im<br />

Westjordanland. Der alleinige Weg zum<br />

Frieden führt über einen gemeinsamen<br />

säkularen Staat von Israelis und Palästinensern.<br />

Dafür muss nicht nur der<br />

Siedlungsbau gestoppt werden, sondern<br />

auch die „Apartheidmauer“ zwischen<br />

dem israelischen „Kernland“ und dem<br />

Westjordanland abgerissen werden. Unumgänglich<br />

ist vor allem das Rückkehrrecht<br />

für die im Zuge der Staatsgründung<br />

1948 vertriebenen rund 700.000<br />

Menschen, sowie für die etwa 8 Millionen<br />

derzeit als Flüchtlinge geführten<br />

Palästinenser gewährleistet werden.<br />

Links<br />

Jede Ausgabe bringen wir hier Videos, Animationen etc. von links. Wenn du<br />

etwas gefunden hast, dass auch hierher passt, dann schick uns ein Email. Alle<br />

Links auch abrufbar unter www.linkswende.org<br />

Kellernazis: Ariel Musicants<br />

Seite über die Kellernazis<br />

in der FPÖ bietet<br />

zahlreiche sehr wichtige<br />

Informationen, die den wahren<br />

Charakter der Freiheitlichen<br />

ohne Zweifel bloßstellen.<br />

www.kellernazisinderfpoe.at<br />

@ Web<br />

Das andere 9/11: Der<br />

britische Regisseur Ken<br />

Loach produzierte ein sehr<br />

berührendes Andenken an<br />

den Putsch in Chile 1973.<br />

www.youtube.com/watch?v=iMFmKg0k8cY<br />

Paris: Raffineriearbeiter<br />

stürmen die Zentrale des<br />

Ölmultis Total aus Protest<br />

gegen die geplanten Kündigungen.<br />

Leider nur auf<br />

Englisch zu haben.<br />

www.france24.com/en/20100308-total-edf--gas-terminal-refinery-dunkirk-strike-oil<br />

Gangs von Los Angeles:<br />

Die auf Deutsch übersetzte<br />

Dokumentation in 9 Teilen<br />

ist keine Romantisierung<br />

sondern sorgfältige Recherche<br />

über soziale und<br />

politische Hintergründe des<br />

alltäglichen Kriegs auf den Straßen.<br />

www.youtube.com/watch?v=DI70nXgGtj8<br />

Steuer gegen Armut:<br />

Finanztransaktionssteuer!<br />

Ein informativer Werbefilm,<br />

der aber ausspart, wie wir<br />

sie durchsetzen können.<br />

www.youtube.com/watch?v=o5Xz1uEo4ZI<br />

Klassenkampf in Thailand<br />

Hunderttausende „Rothemden“,<br />

die pro-demokratische Demonstranten,<br />

füllten zuletzt die Straßen<br />

der Städte Thailands. Die Bewegung konnte<br />

die Lügen der Regierung und der Medien,<br />

dass die „Rothemden“ eine Minderheit wären,<br />

widerlegen. Man fordert Neuwahlen<br />

von der vom Militär eingesetzten Regierung.<br />

Es ist schwierig vorherzusehen, wie die<br />

Führung der „Rothemden“ diesen massiven<br />

Beweis des öffentlichen Unmuts so umsetzen<br />

wird, dass sie die mächtige Armee, die<br />

2006 einen Putsch gegen Taksin durchgeführt<br />

hat, überwinden kann. Bisher sind<br />

die Führer der Bewegung nicht bereit, eine<br />

ideologische Attacke gegen das Militär und<br />

den König zu führen.<br />

Die überwiegende Mehrheit der „Rothemden“<br />

sind städtische und ländliche<br />

Arme, und die Führer reden wenigstens<br />

schon offen über „Klassenkampf“ zwischen<br />

der Bevölkerung und den Eliten.<br />

Sie müssten aber weitergehen und unter der<br />

urbanen Arbeiterklasse und den niedrigeren<br />

Rängen der Armee agitieren, um die Dynamik<br />

für einen revolutionären Wandel zu<br />

schaffen. Jeder Kompromiss wird nur die<br />

Macht der royalistischen Eliten festigen, die<br />

auf der Demokratie herum trampeln.<br />

Die politische Krise, die in Thailand<br />

herrscht, seit das Militär am 19. September<br />

2006 gegen die gewählte Regierung Taksin<br />

putschte, ist eine ernste Klassenauseinandersetzung<br />

zwischen den konservativen<br />

Reichen und den Armen des Landes. Es<br />

ist aber kein reiner Klassenkampf, und die<br />

Beteiligten haben verschiedene Ziele und<br />

verschiedene Konzepte von Demokratie. In<br />

das seit dem Zusammenbruch der kommunistischen<br />

Partei bestehende Vakuum auf<br />

der Linken konnte der Millionär und „Populist“<br />

Taksin Shinavat stoßen und Millionen<br />

ärmere Thais inspirieren.<br />

Die Gegner des faschistischen Putschs geben sich noch nicht geschlagen.<br />

Einige Kommentatoren versuchen den aktuellen<br />

Konflikt als Auseinandersetzung innerhalb<br />

der Eliten zwischen Taksin und den<br />

Konservativen darzustellen, als Krieg zwischen<br />

der „alten feudalen Ordnung“ und einer<br />

„modernen Kapitalistenklasse“. Darum<br />

geht es aber nicht. Vergessen wird dabei die<br />

Aktivität von Millionen ganz normaler Leute.<br />

Taksin konnte ein Bündnis mit den Arbeitern<br />

und den Bauern eingehen, indem er<br />

erstmals eine allgemeine Krankenversicherung<br />

und Geld zur Entwicklung der Dörfer<br />

zur Verfügung stellte.<br />

Die „Rothemden“ mögen Taksin, aber sie<br />

kämpfen nicht nur für seine Rückkehr. Sie<br />

wollen echte Demokratie und soziale Gerechtigkeit.<br />

Sowohl Taksin als auch seine<br />

Gegner sind königstreu, beide versuchen<br />

die Institutionen der Monarchie zu nutzen,<br />

um die Herrschaft der Kapitalistenklasse zu<br />

sichern.<br />

Die Massen in der Demokratie-Bewegung<br />

beginnen jetzt die gesamte elitäre Struktur<br />

des Staates infragezustellen, so auch die<br />

Monarchie. Grund dafür sind das arrogante<br />

Gehabe der Konservativen, die zeitliche<br />

Ausdehnung der Krise und die Selbstorganisierung<br />

von Millionen von „Rothemden“<br />

auf Grassroots-Niveau. Dieser Klassenkrieg<br />

hat das politische Denken in Thailand schon<br />

jetzt radikal verändert. Die Hauptfrage, vor<br />

der die Bewegung nun steht, ist, wie sie die<br />

Macht im Staat erobern kann.<br />

mehr Informationen auf:<br />

http://wdpress.blog.co.uk/disp/arcdir/


T h e m a<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Wie die Nazis an die<br />

Macht gelangt sind<br />

Nur eines hätte unsere Bewegung<br />

stoppen können<br />

– wenn unsere Gegner ihr<br />

Prinzip verstanden hätten<br />

und vom ersten Tag an den Kern unserer<br />

neuen Bewegung mit aller Brutalität<br />

zerschlagen hätten“, sagte Hitler 1934.<br />

Die Nazis sind weder durch einen<br />

Putsch an die Macht gekommen, noch<br />

sind sie an die Macht gewählt worden.<br />

Die Macht wurde ihnen ausgehändigt,<br />

und zwar von den Kräften, für<br />

die Hitler noch kurz zuvor als Kanzler<br />

ausgeschlossen war.<br />

Hitler lehnte ein halbes Jahr vor der<br />

Machtergreifung des 30. Jänner 1933<br />

alle Angebote ab, als Vizekanzler in<br />

eine Koalitionsregierung einzutreten.<br />

Er wollte uneingeschränkte Macht<br />

und er erklärte den deutschen Industriellen<br />

offen, weshalb sie auf ihn<br />

setzen sollten. Alle anderen rechten<br />

Parteien waren zu schwach um die Arbeiterinnen-<br />

und Arbeiterbewegung<br />

in Schach zu halten. Und der Militärclique<br />

rund um Hindenburg fehlte<br />

jegliche Massenunterstützung um<br />

ohne demokratisches Mäntelchen und<br />

Duldung durch die Arbeiterparteien<br />

zu regieren. Keine Regierung konnte<br />

gegen die Gewerkschaften links von<br />

sich UND gegen die Nazis auf der<br />

Rechten regieren.<br />

Präsident Hindenburg, der Armeechef<br />

und die deutschen Industriellen<br />

gingen solange nicht auf Hitlers<br />

Anspruch auf die Kanzlerschaft ein,<br />

solange die NSDAP bei den Wahlen<br />

stärker wurde und so ein stabilisierendes<br />

Gegengewicht zu Arbeiterparteien<br />

und Gewerkschaft bildete.<br />

Als es mit der NSDAP bergab ging<br />

und sich Katastrophenstimmung bei<br />

den Nazis breit machte, hatten es die<br />

Mächtigen plötzlich eilig Hitler in die<br />

Regierung zu holen. Denn von Juli<br />

1932 bis November 1932 verloren die<br />

Nazis ein Achtel ihrer Wählerschaft.<br />

Bald würden sie zu schwach sein und<br />

könnten ihr Versprechen, der deutschen<br />

Arbeiterschaft das Rückgrat zu<br />

brechen, nicht mehr einlösen. Dabei<br />

Hitler 1935 in Nürnberg<br />

ging es nicht darum, eine revolutionäre<br />

Offensive der Arbeiterbewegung<br />

abzuwehren, wie oft behauptet wird.<br />

Die Arbeiterbewegung war im Gegenteil<br />

seit der widerstandslosen Zerschlagung<br />

der preußischen SPD-Regierung<br />

am 20. Juli 1932 (Preußenschlag)<br />

komplett demoralisiert. Es ging vielmehr<br />

darum, die Defensivkraft der<br />

Arbeiterbewegung zu brechen. Man<br />

fürchtete den Arbeiterwiderstand<br />

gegen die geplanten Arbeitsmarktreformen,<br />

die den deutschen Kapitalismus<br />

aus der Krise holen sollten. Dafür<br />

wollte man sich die Unterstützung der<br />

konterrevolutionären Nazibewegung<br />

- mit ihren hunderttausenden SA-Angehörigen<br />

und ihrem Rückhalt bei den<br />

mittelständischen Wählern – sichern.<br />

Hitler war seit seinem gescheiterten<br />

Putsch von 1923 klar, dass die Unterstützung<br />

der herrschenden Eliten<br />

für eine faschistische Diktatur keine<br />

Selbstverständlichkeit war. Kurz nach<br />

der Machtergreifung Mussolinis in<br />

Italien 1922 dachte er noch, es würde<br />

genügen, mit einigen angesehenen<br />

Generälen auf die Zentren der Macht<br />

loszumarschieren und der deutsche<br />

Staat, besonders das deutsche Militär,<br />

würde sich auf ihre Seite schlagen.<br />

Als stattdessen auf die Putschisten geschossen<br />

wurde, waren Hitler und seine<br />

Kumpanen schwer geschockt. Der<br />

Grund war, dass der deutsche Staat<br />

fürchtete, der Hitler-Putsch würde<br />

Röthis:<br />

Abschiebung verhindert<br />

In den frühen Morgenstunden<br />

verhinderten Nachbarn<br />

und Freunde einer kosovarischen<br />

Flüchtlingsfamilie<br />

deren Abschiebung.<br />

Die Familie lebt seit<br />

viereinhalb in der kleinen<br />

Gemeinde Röthis in Vorarlberg<br />

und erfüllt alle Kriterien<br />

für das Bleiberecht:<br />

sie sprechen deutsch, in<br />

der Firma Omicron warten<br />

Jobs auf sie und unter<br />

Freunden und Nachbarn<br />

wurden 350 Unterschriften<br />

zusammengetragen, die<br />

fordern, dass die Familie<br />

bleiben kann.<br />

Trotzdem kam im Morgengrauen<br />

die Fremdenpolizei.<br />

Die Nachbarn stellten<br />

sich in den Weg, machten<br />

Druck auf Politiker und<br />

jubelten als sie mithören<br />

konnten, wie die Polizei<br />

den Befehl bekam, sich zurückzuziehen.<br />

Endgültige<br />

Zusage, dass sie bleiben<br />

dürfen hat die Familie aber<br />

noch keine.<br />

Foto: Steurer<br />

Die kosovarische Flüchtlingsfamilie darf<br />

vorerst in Österreich bleiben.<br />

WWWebtipp<br />

Video über die verhinderte Abschiebung<br />

der Familie Durmisi in Röthis<br />

mit Filmmaterial während der Abschiebung,<br />

Interviews mit der Familie<br />

und Hintergrundinformationen.<br />

http://www.youtube.com/watch?v=cJ6y7Sx24tY<br />

Foto: Charles Russell<br />

einen Aufstand der Arbeiterbewegung<br />

oder sogar eine Revolution provozieren.<br />

Schließlich hatten sie erlebt, wie<br />

der Aufstand der Kieler Matrosen<br />

und die folgende deutsche Revolution<br />

im November 1919 den Kaiser<br />

stürzte und das Ende des 1. Weltkriegs<br />

erzwungen hatte. Die radikale Reaktion<br />

auf den Kapp-Putsch am 13. März<br />

1920, als die Arbeiter Rote Armeen<br />

gründeten und in den Generalstreik<br />

gingen, war den Herrschenden noch<br />

in sehr lebendiger Erinnerung. Und<br />

1923 entging Deutschland nur dank<br />

der Unfähigkeit der Arbeiterparteien<br />

SPD und KPD einem revolutionärem<br />

Aufstand. Hitler musste im Gefängnis<br />

einsehen, dass ein neuerlicher Putschversuch<br />

keinen Erfolg bringen konnte.<br />

Er musste aus den Nazis eine salonfähige<br />

Wahlbewegung aufbauen und<br />

gleichzeitig eine Massenorganisation<br />

bewaffneter Schlägertruppen, um im<br />

entscheidenden Moment den Rückhalt<br />

der wichtigsten deutschen Eliten<br />

zu bekommen. Am 30. Jänner 1933<br />

war es schließlich soweit: Hindenburg<br />

ernannte Hitler zum Kanzler. Als die<br />

Nazis ihr wahres Gesicht zeigten, waren<br />

die deutschen Arbeiter die ersten,<br />

die den Preis dafür zahlten, dass ihre<br />

Parteien nicht rechtzeitig den Widerstand<br />

gegen die Nazis aufgebaut haben.<br />

Die wichtigste Lehre aus der Geschichte<br />

ist erstens, dass man sich von dem<br />

demokratischen Anschein, den moderne<br />

faschistische Parteien gerne verbreiten,<br />

keine Sekunde täuschen lassen<br />

darf. Zweitens kann man nicht auf die<br />

parlamentarischen Institutionen als<br />

Schutzmechanismus gegen Faschismus<br />

setzen. Die Faschisten bauen auf<br />

Stimmenmaximierung im Parlament,<br />

um ihre Machtbasis zu vergrößern<br />

und um so attraktiv für die Mächtigen<br />

zu werden. Wenn man den Aufstieg<br />

der Faschisten verhindern will, dann<br />

muss man unter ihre Nadelstreifanzüge<br />

und Trachtenkleidung sehen, sie<br />

aus den demokratischen Institutionen<br />

verjagen und sie dazu bringen, ihre<br />

braunen Uniformen offen zu tragen.<br />

Letztendlich können die Nazis aber<br />

nur durch eine militante Massenbewegung<br />

in der direkten Konfrontation<br />

geschlagen werden. Diese Verantwortung<br />

wird der Arbeiterbewegung auch<br />

in Zukunft niemand abnehmen.<br />

Lichtertanz<br />

gegen<br />

Rosenkranz<br />

Abschiebung in Niederösterreich:<br />

Gemeinde wehrt sich<br />

In nur drei Tagen wurde eine<br />

fünfköpfige Familie nach fünfjährigem<br />

Aufenthalt aus ihrem Zuhause<br />

in Muthmannsdorf, (NÖ) gerissen,<br />

in Schubhaft genommen und<br />

in den Kosovo abgeschoben.<br />

Zurück bleiben die fassungslosen<br />

Freunde der Kinder und deren Eltern<br />

und Lehrer.<br />

Rechtlich ist die Situation – trotz<br />

eines angeblichen „Bleiberechts“ -<br />

aussichtslos. Die betroffenen Nachbarn<br />

wollen diese Praxis jedoch nicht<br />

undokumentiert stehen lassen. Auf<br />

der Website www.fussballverbindet.<br />

org sammelt eine nach der Abschiebung<br />

gegründete Plattform Unterschriften<br />

für menschliches Handeln<br />

und die Vollziehung eines humanitären<br />

Bleiberechts. In der Zwischenzeit<br />

hat die Petition bereits über 9.300<br />

Stadt-Gruppentreffen:<br />

jeden Donnerstag um 19:00, Amerlinghaus (7., Stiftg. 8)<br />

Uni-Gruppentreffen:<br />

jeden Freitag um 19:00 im Tunnel, (8., Florianigasse 7)<br />

Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich<br />

Internet: www.linkswende.org - linkswende@linkswende.org<br />

Tausende haben ein Zeichen gegen Rosenkranz gesetzt.<br />

KONTAKT<br />

Über 6.000 Menschen haben<br />

am Donnerstag, den 25.3.,<br />

gegen die FPÖ und Barbara<br />

Rosenkranz demonstriert. „Es ist gar<br />

keine Frage – die Faschisten sollen wissen,<br />

dass wir sie niemals mehr an die<br />

Macht lassen“, erklärte Claudia, eine<br />

junge Studentin, auf die Frage weshalb<br />

sie hergekommen ist. Die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer ließen<br />

auch keine Zweifel daran, dass sie bereit<br />

sind, mit ihrem Widerstand noch viel<br />

weiter zu gehen. Den stärksten Applaus<br />

bekamen die Reden, die an den antifaschistischen<br />

Konsens „Niemals wieder“<br />

einschwuren.<br />

Enttäuschend war, dass auch Erhard<br />

Busek, ein ÖVP-Politiker, zur Kundgebung<br />

eingeladen wurde. Er erschien<br />

zwar nicht persönlich, aber alleine<br />

Grußworte aus der ÖVP zu hören, war<br />

schockierend. Hat man vergessen, dass<br />

die ÖVP aus der Partei der Austrofaschisten<br />

hervorgegangen ist, die 1933<br />

das Parlament ausgeschaltet haben und<br />

1934 hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

ermordet haben? Oder dass die<br />

ÖVP im Jahr 2000 einen Regierungspakt<br />

mit der FPÖ eingegangen ist? Wer<br />

meint, in einem Bündnis mit liberalen<br />

Elementen aus der ÖVP ein wirksames<br />

Bündnis gegen den Faschismus eingehen<br />

zu können, hat die österreichische<br />

Geschichte – und den aktuellen Skandal<br />

um den Akademikerbund – einfach<br />

ignoriert.<br />

Vor allem war die Kundgebung aber ein<br />

großer Erfolg für die tausenden Teilnehmer<br />

und den Initiator Robert Slovacek:<br />

„Was mich dazu motiviert hat diese<br />

Facebook-Gruppe zu gründen war, dass<br />

mit Barbara Rosenkranz eine Person<br />

als Bundespräsidentin kandidiert, die<br />

ungeniert die Leugnung des Mordes<br />

an Millionen Jüdinnen und Juden als<br />

„freie Meinungsäußerung“ abtut und<br />

das Verbotsgesetz und damit den antifaschistischen<br />

Grundkonsens der 2.<br />

Republik infrage stellt. Die Kandidatur<br />

einer solchen Person ist ein Schlag<br />

ins Gesicht der Holocaust-Opfer und<br />

-Überlebenden.“<br />

Unterschriften gesammelt.<br />

Es ist durch die ständigen Verschärfungen<br />

des Fremdenrechts Praxis<br />

geworden, sofort und rigoros nach<br />

einem negativen Asylbescheid durchzugreifen.<br />

Der Familie wird kaum die<br />

Möglichkeit gegeben zu packen, und<br />

bevor man sich verabschieden kann,<br />

wird man abgeschoben. In diesem Fall<br />

lagen zwischen dem negativen Asylbescheid<br />

und der Abschiebung lediglich<br />

5 Tage. Es häufen sich immer mehr<br />

Fälle, in denen sich die Freunde und<br />

die Gemeinde wehrt und sich hinter<br />

die Schutzsuchenden stellt. Nur<br />

die Politik, nicht die Bevölkerung,<br />

steht hinter dem Fremdenrecht. Der<br />

Widerstand hat sich entwickelt, weil<br />

niemand mehr verstehen kann, dass<br />

diese Verbrechen gegen unschuldige<br />

Menschen „Recht“ sein sollen.<br />

IMPRESSUM<br />

für den Inhalt verantwortlich:<br />

<strong>Linkswende</strong><br />

Foto: Daniel Weber<br />

Verein gegen Rassismus<br />

und soziale Ungerechtigkeit<br />

(Vereinsnummer: ZVR - 593032642)<br />

Kettenbrückeng. 11/20, 1050 Wien<br />

0681/10605517, www.linkswende.org<br />

redaktion@linkswende.org


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Der UP-Regierung gelang<br />

es, erstaunliche Reformen<br />

durchzuführen. So wurde<br />

allen Kindern unter 7 Jahren ½ Liter<br />

Milch pro Tag zugesichert, was<br />

ein großer Schritt für ein armes<br />

Land wie Chile war. Außerdem kam<br />

es zu kleineren Agrarreformen und<br />

zu Verstaatlichungen von vor allem<br />

ausländischen Konzernen. Alles in<br />

allem vermied Allende jedoch größere<br />

Angriffe auf chilenische Unternehmen.<br />

Streik der Bosse<br />

Die herrschende Klasse Chiles<br />

wollte 1972 Allende durch Unternehmerstreiks<br />

stürzen. Die Bosse<br />

sperrten einfach die Firmengebäude<br />

und Supermärkte zu, Ärzte und<br />

Anwälte schlossen ihre Büros. Sie<br />

versuchten das Land zu lähmen, indem<br />

sie wirtschaftliches Chaos und<br />

Panik erzeugten. Allende sollte so<br />

zum Rücktritt gezwungen werden.<br />

Die UP-Regierung wusste nicht,<br />

wie sie mit der Offensive der Kapitalisten<br />

umgehen sollte. Sie war<br />

gelähmt.<br />

Selbstorganisation<br />

Die Arbeiter Chiles wichen dem<br />

Druck nicht: sie begannen, ihr<br />

Geschick in die eigene Hand zu<br />

nehmen und bildeten „comandos<br />

comunales“ zur Nahrungsmittelversorgung,<br />

zur Selbstverteidigung,<br />

für Bildung, usw., die zusammen<br />

mit den in den Betrieben gebildeten<br />

„cordones industriales“ die<br />

Kontrolle über das Land übernahmen.<br />

Die cordones waren bereits da, als<br />

die Unternehmer die Werke zusperren<br />

wollten. Über Produktion und<br />

Verteilung der Güter wurde nun<br />

gemeinsam diskutiert und entschieden,<br />

nach den Prinzipien der Arbeiterinnen-<br />

und Arbeiterdemokratie.<br />

Dadurch war es dem chilenischen<br />

Volk gelungen, die Offensive der<br />

Unternehmer zurückzuschlagen<br />

und damit die Allende-Regierung<br />

zu retten.<br />

K O L U M N E N<br />

Vergessene Geschichte<br />

Der gescheiterte Weg zum Sozialismus<br />

Salvador Allende und die Unidad Popular (UP) gewannen 1970 nach Jahren intensiver Klassenkämpfe die<br />

Wahlen in Chile. Es war ein Ausdruck der Stärke der chilenischen Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung.<br />

Dementsprechend hoch waren die Erwartungen in Allende. Als Vertreter der alten Schule der Sozialreformer<br />

verkündete er den „chilenische Weg zum Sozialismus“, schreibt Daniel Harrasser.<br />

Serie:<br />

Der revolutionäre Krieg reiht sich in die<br />

großen bürgerlichen Revolutionen ein -<br />

die holländische Revolte, die englische Revolution,<br />

die französische und eben die amerikanische<br />

Revolution. Wie in anderen Revolutionen gab<br />

es eine Vielzahl von Ursachen, die einander beeinflussten.<br />

Der englisch-französische Krieg von<br />

1756 – 1763 brachte England die Kontrolle<br />

über die Kolonien in Übersee, aber er kostete<br />

die Krone auch Unmengen an Schulden, die<br />

jetzt von den Kolonialisten eingetrieben werden<br />

sollten. Eine ganze Serie neuer Steuern erregte<br />

den Zorn der Angehörigen aller Klassen – mit<br />

Ausnahme der Sklaven. Dazu kamen politische<br />

Argumente, denn die Kolonialisten mussten für<br />

eine Politik bezahlen, die sie selbst nicht mitbestimmen<br />

konnten. England reagierte darauf, indem<br />

es den Streit eskalierte und die Bevölkerung<br />

der Kolonien noch stärker disziplinierte. „Ungehorsame“<br />

sollten nach England verschleppt und<br />

dort vor Gericht gestellt werden.<br />

In jeder großen Protestbewegung ändern sich<br />

die Vorstellungen der Menschen während sie in<br />

Aktion geraten und diese Veränderungen ihrer<br />

Ideen wiederum führen zu einem Aufschwung<br />

von Aktionen. Der größte Teil der Bevölkerung<br />

verstand sich noch als britisch und als loyal,<br />

als in New York die Bevölkerung begann, aus<br />

Protest gegen ein neues System von Steuereintreibern<br />

Freiheitsmasten (liberty poles) aufzustellen.<br />

Jedes Mal nachdem die Truppen sie<br />

entfernten, wurden neue aufgestellt. In Boston<br />

feuerten Truppen auf Demonstranten, die sie<br />

mit Schneebällen bewarfen und töteten fünf<br />

Das Militär bombardierte Städte und pferchte 100.000e in Lager<br />

Aber diese Bewegung ging viel<br />

weiter: sie zeigte eine grundsätzliche<br />

Alternative auf, wie eine Gesellschaft<br />

demokratisch von den<br />

Menschen selbst organisiert werden<br />

kann. Allende passte diese Selbstaktivität<br />

der Arbeiterklasse nicht<br />

in sein Konzept eines „chilenischen<br />

Weges zum Sozialismus“.<br />

Die UP-Regierung einigte sich in<br />

der Folge ungeachtet des Umsturzversuchs<br />

mit den Unternehmern.<br />

Ein erster Putschversuch<br />

Nachdem der Versuch der Unternehmer,<br />

Allende mit wirtschaftlichem<br />

Druck aus dem Amt zu<br />

hebeln misslungen war, planten<br />

sie den militärischen Putsch. Im<br />

Juni 1973 wurde der erste Versuch<br />

unternommen, und wieder war<br />

die Reaktion der Arbeiter enorm:<br />

sie schützten die Regierung mit<br />

massiven Protesten. Diesmal ging<br />

Allende sogar noch weiter um den<br />

Klassenkampf zu befrieden und beorderte<br />

sogar Armeegeneräle in die<br />

Regierung, unter ihnen ein gewisser<br />

General Pinochet. Die UP-Regierung<br />

fürchtete sich mehr vor der<br />

Massenaktivität von unten als vor<br />

den Bossen.<br />

Militärregime & „Chicago Boys“<br />

Pinochet und die Eliten verstanden<br />

Allendes Entgegenkommen als<br />

Schwäche. Am 11. September 1973<br />

übernahm General Pinochet nach<br />

einem Militärputsch die Macht.<br />

Gewerkschaften, politische Parteien<br />

und Streiks wurden verboten,<br />

Zehntausende fielen dem Terror<br />

der Todesschwadronen zum Opfer.<br />

Auch wirtschaftlich wurde das<br />

Land umstrukturiert: Für die internationale<br />

herrschende Klasse war<br />

Chile das ideale Testfeld der Privatisierungspolitik.<br />

Chilenische Ökonomen,<br />

die in Chicago bei Milton<br />

Friedman studierten, errichteten in<br />

Chile das erste Experiment neoliberaler<br />

Politik. Sie waren das ökonomische<br />

Hirn der Diktatur.<br />

7. Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg<br />

Der Unabhängigkeitskrieg (1775 - 1783), auch amerikanischer revolutionärer Krieg genannt, ist in mehrfacher<br />

Weise eines der bedeutendsten Ereignisse der modernen Geschichte. Er ist Ursprung des legendären<br />

„land of the free“, denn die heutigen USA waren das erste Land, das sich durch eine Revolution erfolgreich<br />

aus den Ketten des britischen Kolonialreichs befreit hat, schreibt Manfred Ecker.<br />

Thomas Paine, eine zeitgenössische<br />

Karikatur des Revolutionärs<br />

Menschen.<br />

Protestaktionen wurden in den verschiedensten<br />

Gesellschaftsschichten organisiert. Ganz oben<br />

entschieden Delegierte der Kolonien über einen<br />

Handelsboykott gegen England, dessen<br />

Erfolg aber davon abhängig war, ob Gruppen<br />

von Händlern sich daran hielten. Viel wichtiger<br />

war die Mittelklasse zwischen der Elite und den<br />

Armen. Aus ihr formierten sich die „sons of liberty“<br />

(Söhne der Freiheit); sie rekrutierten sich<br />

aus der Schicht, die auch für die „New Model<br />

Army“ der englischen Revolution so entscheidend<br />

war, den Handwerkern, Kleinhändlern<br />

und Intellektuellen. Sie waren imstande, die<br />

zahlreichen Proteste in den Städten gegen die<br />

Foto: Revolutionary Communist Party USA<br />

Kolonialherren zu dirigieren. Ihr berühmtester<br />

Vertreter war Tom Paine, der Autor der revolutionären<br />

Broschüre ‚Common Sense’, die<br />

das Herrschaftsrecht des Königs infrage stellte<br />

und die Ideen der Aufklärung in eine Sprache<br />

brachte, die von den einfachen Menschen leicht<br />

verstanden werden konnte. Es wurden davon<br />

an die 150.000 Exemplare gedruckt. Zu einem<br />

Zeitpunkt, wo Massenaktivität ihr Maximum<br />

erreicht, schaffen es Argumente, dass Menschen<br />

die Dinge anders sehen.<br />

Aber die Großgrundbesitzer und reichen Händler<br />

brachten in der Versammlung der Delegierten<br />

der Kolonien eine Unabhängigkeitserklärung zu<br />

Fall. Wie in anderen Revolutionen sahen sich<br />

die Rebellen nun gezwungen, eine Bewegung<br />

außerhalb der legalen Strukturen aufzubauen.<br />

Mit Unterstützung der Milizen der Kolonien<br />

wurde eine neue Versammlung gegründet, der<br />

nur Männer angehören durften, die dem König<br />

abgeschworen hatten. Der Weg für die radikalste<br />

Verfassung, die die Geschichte bis dahin<br />

gesehen hatte, und für die Unabhängigkeitserklärung<br />

war damit geebnet.<br />

Was dann folgte, war der berühmte Unabhängigkeitskrieg<br />

zwischen den Truppen Englands<br />

und der Unabhängigkeitsbewegung. Die Revolte<br />

nahm aber auch auf sozialer Ebene ihren<br />

Lauf, etwa im Tyron Valley von New York, wo<br />

die mächtige Großgrundbesitzerfamilie Johnson<br />

entschlossen war, jeden Widerstand zu brechen,<br />

und ein Bürgerkrieg innerhalb des Unabhängigkeitskriegs<br />

wütete: hunderte kleine Farmer wurden<br />

ermordet und Tausende vertrieben.<br />

Bücher<br />

for Rebels<br />

John Boyne<br />

Der Junge im<br />

gestreiften Pyjama<br />

ISBN 978-3-596-80683-6, Fischer Verlag.<br />

272Seiten<br />

<br />

von Mario Schulmeister<br />

Der Junge im gestreiften<br />

Pyjama (original:<br />

The Boy in the<br />

Striped Pyjamas) ist<br />

ein Buch des irischen<br />

Schriftstellers John<br />

Boyne aus dem Jahr<br />

2006. Es handelt<br />

von Bruno, einem<br />

achtjährigen Jungen<br />

der zur Nazi-<br />

Zeit in Berlin lebt.<br />

Als er eines Tages<br />

von der Schule<br />

nach Hause<br />

kommt, bricht<br />

seine Welt zusammen,<br />

weil<br />

er ohne Vorwarnung<br />

Berlin verlassen muss. Sein Vater wurde<br />

befördert und aufs Land in ein Konzentrationslager<br />

versetzt. Bruno, seine Mutter und seine Schwester<br />

folgen dem Vater. Der Autor nahm sich die Freiheit,<br />

nicht auf Auschwitz im Besonderen einzugehen, sondern<br />

beschränkte sich auf die allgemeine Methodik<br />

dieser Lager. Bruno muss alle seine Freunde in Berlin<br />

zurücklassen und fühlt sich allein. So recht weiß er<br />

zwar nicht, was sein Vater macht, aber es muss etwas<br />

sehr Wichtiges sein. Er hat nun nur mehr seine ältere<br />

Schwester Gretel zum Reden, die hat jedoch nur<br />

Augen für den sadistischen jungen Offizier Leutnant<br />

Kotler, der sich permanent im Haus aufhält. So begibt<br />

sich Bruno auf verbotene Streifzüge durch die<br />

umliegenden Wälder. Dabei entdeckt er den Zaun<br />

des Arbeitslagers, wo sich viele Leute in „gestreiften<br />

Pyjamas“ aufhalten. Durch Zufall lernt er dort den<br />

gleichaltrigen Schmuel kennen, der hinter dem Zaun<br />

lebt und sie werden Freunde. Die beiden Jungen treffen<br />

sich jeden Tag am Stacheldrahtzaun, sie reden<br />

oder spielen Brettspiele – jeder auf seiner Seite. Eine<br />

der interessantesten Stellen ist die, als Schmuel ins<br />

Haus von Bruno zum Arbeiten eingeteilt wird. Bruno<br />

gibt dabei Schmuel aus dem Kühlschrank zu essen.<br />

Als er von Leutnant Kotler angesprochen wird, ob<br />

Bruno ihm zu essen gegeben habe, oder Schmuel es<br />

sich stahl, verrät Bruno seinen Freund. Unmittelbar<br />

danach begreift Bruno, dass er seinen Freund im Stich<br />

gelassen hat. Nur langsam fanden die beiden Freunde<br />

wieder zueinander. Als Schmuel schließlich seinen<br />

Vater nicht mehr findet, will Bruno ihm suchen helfen<br />

und schmuggelt sich ins Lager, in dem alle Leute<br />

nur Pyjamas tragen.<br />

Das Buch bedeutete den Durchbruch des irischen<br />

Autors Boyne. Es erhielt weltweit hohes Kritikerlob<br />

und hielt es sich monatelang in den Bestsellerlisten.<br />

2008 wurde die Geschichte verfilmt. Im Herbst 2009<br />

lief der Streifen schließlich in den österreichischen Kinos.<br />

Boyne gelingt es in diesem Buch die Schrecken<br />

des Holocaust aus dem Blickwinkel eines naiven Kindes<br />

zu beschreiben. Bruno stellt aus seiner Naivität<br />

heraus unpassende Fragen und spricht vom „Furor“<br />

und „Aus-Wisch“. Im Gegensatz zu seiner Schwester,<br />

die unreflektiert die Propaganda übernimmt, fragt<br />

Bruno, ob er auch Jude sei, und begreift die Gut/<br />

Böse-Rhetorik des 3. Reichs nicht.<br />

Boyne meinte, dass nur Opfer und Überlebende<br />

die Gräuel jener Zeit in Auschwitz wirklich begreifen<br />

können, und dass wir anderen - die sich auf der<br />

anderen Zaunseite befinden – nicht mehr als versuchen<br />

können, aus dem Ganzen schlau zu werden. Die<br />

einfache Art, wie das Buch geschrieben ist, macht<br />

das Lesen besonders für Jugendliche Interessant. Es<br />

tut gut, dass es nicht mit dem erhobenen Zeigefinger<br />

geschrieben wurde. Die erschütternde Botschaft ist,<br />

dass Du es sein könntest, der auf der anderen Seite des<br />

Zauns ohne Essen, ohne Schuhe, ohne Zukunft lebt!


10 T H E O R I E<br />

<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

Monatelange Besetzung von<br />

Hörsälen, riesige Demonstrationen<br />

und erfolgreiche<br />

Blockaden des Bolognagipfels – sie haben<br />

bisher trotz Aufbruchstimmung zu<br />

wenig politischen Druck erzeugt, um die<br />

schlechten Bedingungen an Unis und<br />

Fachhochschulen zu ändern.<br />

Auch andere gesellschaftliche Bereiche<br />

sind im Moment von Kürzungen bedroht.<br />

Milliardenausgaben für Banken<br />

und Konzerne, die uns angeblich aus<br />

der Wirtschaftskrise hätten retten sollen,<br />

gelten nun als Rechtfertigung für Sparmaßnahmen.<br />

Während in Griechenland<br />

mit Generalstreiks und Massenprotesten<br />

dagegen angekämpft wird, will der ÖGB<br />

möglichst still halten (s. Artikel S.3).<br />

Doch um die neoliberalen Angriffe zu<br />

verhindern gilt für Lohnabhängige wie<br />

für Studierende: Trotz aller Widrigkeiten<br />

bleibt Streik unsere effektivste Waffe. Im<br />

Folgenden sollen deshalb Fragen, wie die<br />

demokratische Legitimierung, die Wichtigkeit<br />

einer Ausweitung des Streiks, die<br />

Umsetzung und die Rolle von Gewalt<br />

und Streikketten geklärt werden.<br />

Was bedeutet Streik?<br />

Der Kapitalismus baut nach Marx auf<br />

einer gewaltigen Ungleichheit zwischen<br />

zwei Klassen auf – derjenigen, die ihre<br />

Arbeitskraft verkaufen muss und mit ihrer<br />

Arbeit Wert schafft und derjenigen,<br />

die die Produktionsmittel besitzt und<br />

den von den Arbeiterinnen und Arbeitern<br />

erwirtschafteten Mehrwert als Profit<br />

abschöpft. Lohnabhängige haben im<br />

Produktionsprozess also eine Stellung,<br />

die ihnen erlaubt, mit der Niederlegung<br />

ihrer Arbeit – ihrem „ökonomischen<br />

Muskel“ - Unternehmern zu schaden.<br />

Denen entgehen dadurch schlicht und<br />

einfach Gewinne. Große bzw. lang anhaltende<br />

Streiks können sogar die ganze<br />

Gesellschaft lahm legen, indem nichts<br />

mehr produziert und verwaltet wird.<br />

Streiks unterscheiden sich aber nicht nur<br />

durch ihre Reichweite, sondern auch<br />

durch ihre Forderungen: ökonomische<br />

Forderungen wie die um höhere Löhne<br />

richten sich direkt an den Arbeitgeber,<br />

politische Forderungen wie nach gesetzlicher<br />

Arbeitszeitverkürzung richten sich<br />

auch an die Regierung bzw. an den Staat.<br />

Ökonomische und politische Streiks lassen<br />

sich aber nicht voneinander trennen<br />

und stehen in Wechselwirkung zueinander,<br />

sodass sie sich gegenseitig befruchten.<br />

Alex Callinicos, marxistischer Autor und<br />

Aktivist, schreibt, dass „der Klassenkampf<br />

der Arbeiterklasse nur erfolgreich sein<br />

kann, wenn er von einem ökonomischen<br />

in einen politischen Kampf überführt wird<br />

… in dem sich Arbeiter ihres historischen<br />

Interesses bewusst werden und die politische<br />

Entmachtung der Kapitalisten zum Ziel<br />

erheben.“<br />

Auswirkungen<br />

Neben der wirtschaftlichen Funktion<br />

zur Hebung des Lebensstandards maß<br />

Marx Streiks also deshalb eine derart<br />

große Bedeutung bei, weil sie einen entscheidenden<br />

Beitrag zur Hebung des<br />

Bewusstseins und der Organisation der<br />

Arbeiterklasse leisten. In der Russischen<br />

Revolution bildeten sich z.B. spontan<br />

Räte bzw. „Sowjets“, die die Streikenden<br />

organisierten und fortan wichtige politische<br />

Aufgaben übernahmen. Ähnliches<br />

geschah 2001 in Argentinien, wo Nachbarschaftskomitees<br />

und „Volksversammlungen“<br />

(Asambleas) die Notwendigkeit<br />

zum Ausdruck brachten, dass diejenigen,<br />

die schon den Präsidenten gestürzt haben,<br />

sich selbst organisierten.<br />

Diese Selbstorganisation rüstet also für<br />

spätere Kämpfe, löst aber auch einen Bewusstseinssprung<br />

bei den Beteiligten aus:<br />

Durch die Solidarisierung mit Kollegen<br />

und Kolleginnen und die kollektive Aktion<br />

entsteht eine Perspektive für den<br />

gemeinsamen Kampf.<br />

Dieser gemeinsame Kampf trägt dadurch,<br />

dass er die Widersprüche im<br />

Kapitalismus konfrontieren muss, den<br />

Ansatz, das ganze System anzugreifen in<br />

sich.<br />

Ökonomische Basis<br />

Der kürzlich verstorbene Marxist Chris<br />

Harman erläuterte die Veränderungen<br />

des Kapitalismus im 21. Jahrhundert:<br />

„Es gewinnt Arbeit an Bedeutung, die<br />

nicht unmittelbar Waren herstellt, sondern<br />

dazu dient, die Produktivität der unmittelbaren<br />

Produzenten zu erhalten und zu<br />

erhöhen.“ Durch die immer höheren Anforderungen,<br />

die das kapitalistische System<br />

an die Fertigkeiten und Ausbildung<br />

seiner Arbeitskräfte stellt, arbeiten somit<br />

auch Lehrende und Forschende für die<br />

Kapitalakkumulation. Die Zusammenarbeit<br />

mit der Arbeiterschaft an den Unis<br />

kann nur ein erster Schritt sein ,um sich<br />

in weiterer Folge mit der großen Masse<br />

der Arbeiter zu verbinden. Diese sind<br />

im kollektiv organisierten Produktionsprozess<br />

verankert und können somit die<br />

Kontrolle über die Produktion, auf der<br />

die Macht der herrschenden Klasse beruht,<br />

übernehmen.<br />

Situation an den Unis<br />

Tatsächlich sind aber nicht immer ausgerechnet<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter die<br />

ersten, die gegen die gesellschaftlichen<br />

Missstände aufstehen. Die antikapitalistische<br />

Bewegung seit Seattle 1999<br />

beruhte zunächst – wie die Bewegung<br />

Ende der 1960er Jahre – auf Menschen,<br />

die nicht fest im Produktionsprozess<br />

verankert waren: Studierende, Schüler<br />

und Schülerinnen, Menschen, die nicht<br />

Tag für Tag an die Werkbank oder das<br />

Büro „gekettet“ sind. Schon 1968 hat<br />

das Zusammenspiel mit Studierenden<br />

gezeigt: Nach den Revolten der Studierenden<br />

in Frankreich sprang der Funke<br />

über und der größte Generalstreik<br />

Frankreichs brachte die Regierung ins<br />

Wanken. Schaut man sich Prölls Sparprogramm<br />

für 2011 an, so erkennt man,<br />

dass der Gewerkschaft ein Schuss Radikalisierung<br />

aus der Protestbewegung der<br />

Studierenden gut tun würde. Es braucht<br />

STREIK<br />

AN DEN UNIS<br />

Die größte Studierendenbewegung der österreichischen Geschichte ist in den<br />

letzten Monaten von Erfolg zu Erfolg gehüpft. Dennoch kommen von oben<br />

immer mehr Einschnitte auf uns zu und unsere Forderungen werden ignoriert.<br />

Judith Litschauer und Hannah Krumschnabel über den logischen nächsten<br />

Schritt, Ministerin Karl die Daumenschraube anzulegen: Streik!<br />

Widerstand gegen den Versuch die Kosten<br />

der Krise abermals auf die niedrigen<br />

Einkommensklassen abzuwälzen.<br />

Bezeichnend ist auch, dass es in der derzeitigen<br />

Krise vor allem jene (prekären)<br />

Beschäftigungsverhältnisse sind, in denen<br />

sich die meisten Studierenden befinden,<br />

die bei Bedarf als erstes gestrichen<br />

werden. Heute sind die Lebensrealitäten<br />

eines Großteils der Studierenden zunehmend<br />

dieselben wie die ihrer erwerbstätigen<br />

Gleichaltrigen. Beide sind massiv<br />

von ökonomischen Problemen betroffen.<br />

Dies wird mitunter durch die auseinander<br />

klaffende Einkommensschere<br />

und die kürzlich veröffentlichte Studierendensozialerhebung<br />

deutlich. Es wird<br />

immer klarer, dass Lohnkürzungen, Bildungs-<br />

und Sozialabbau einen gemeinsamen<br />

Grund und einen gemeinsamen<br />

Charakter haben – so müssen sie auch<br />

gemeinsam bekämpft werden.<br />

Streik an der Uni<br />

Nicht nur wegen der neoliberalen Umstrukturierung<br />

der Universitäten (u.a.<br />

durch den Bologna-Prozess) zu privat<br />

finanzierten Bildungsfabriken, sondern<br />

auch aus politischen Gründen ist Streik<br />

die Lösung.<br />

Ein Streik kann, im Vergleich zu anderen<br />

Aktionsformen, die Kräfteverhältnisse<br />

zwischen Regierung und Bewegung<br />

nachhaltiger verlagern. Beatrix Karl ist<br />

zwar im Moment in der Defensive, aber<br />

wir dürfen nicht zulassen, dass sie wie ihr<br />

Vorgänger die Proteste aussitzen kann.<br />

Erst wenn sie öffentlich zugeben muss,<br />

dass sie die Unis nicht mehr kontrollieren<br />

kann, weil ein Streik sie lahm legt<br />

und blockiert, wird der politische Druck<br />

auf Karl enorm gesteigert.<br />

Dies hängt natürlich von der umfassenden<br />

Beteiligung der Lehrenden, wie<br />

auch des nicht-wissenschaftlichen Personals<br />

(z.B. Putzkräfte, Büropersonal,…)<br />

in einem solchen Streik ab. Nur ein<br />

Lahmlegen der Unis, hinter dem Beteiligte<br />

aus allen Bereichen stehen, ist fähig<br />

politischen und ökonomischen Druck<br />

auszuüben.<br />

Aufgaben vor uns<br />

Es macht keinen Sinn – und es würde<br />

auch nicht funktionieren – den Streik<br />

einfach auszurufen, wie es am Anfang der<br />

Audimax-Besetzung manchmal versucht<br />

wurde. Um mittelfristig auf der Basis<br />

großer Zustimmung der Betroffenen<br />

und gut organisiert zu streiken, müssen<br />

wir noch einige Aufgaben bewältigen.<br />

Die oben angesprochene Frage der Vernetzung<br />

mit Lehrenden ist eine dieser<br />

Herausforderungen. Weiterhin muss<br />

versucht werden, die Betriebsräte und<br />

einzelne Lehrende anzusprechen und<br />

einzubeziehen. Besonders heikel ist hier<br />

die Frage, ob auch Forschungsarbeiten<br />

von Streiks betroffen sein sollen – ökonomisch<br />

würde das am meisten Verlust<br />

erzeugen, dementsprechend ist es aber<br />

auch am schwersten umsetzbar. Dabei<br />

wird der Doppelcharakter der Lehrenden<br />

deutlich: Einerseits sind sie Angestellte,<br />

in einem Abhängigkeitsverhältnis zum<br />

Rektor als Arbeitgeber, andererseits sind<br />

sie Wissensunternehmer, die forschen<br />

und Wissen produzieren, um dies an<br />

die Wirtschaft bzw. Drittmittelfinanziers<br />

zu verkaufen. Die Forschenden müssen<br />

selbst bestimmen, die Studierenden aber<br />

müssen versuchen diese im Vorfeld mit<br />

einzubeziehen und einen Streikbeschluss<br />

zu erwirken.<br />

Streik ist ein Druckmittel und kein<br />

Dauerzustand. Den Fehler, die Besetzungen<br />

als Selbstzweck zu sehen, dürfen<br />

wir nicht wiederholen. Deshalb ist es<br />

wichtig, mit schnell umsetzbaren Forderungen<br />

in den politischen Kampf zu<br />

treten. Unser Forderungskatalog ist gut<br />

und ausgereift, er muss aber konkretisiert<br />

werden, damit wir auch Zwischenerfolge<br />

feiern können. Dabei darf nicht außer<br />

Acht gelassen werden, dass wir für die genauere<br />

Planung gefestigte und vor allem<br />

demokratische Strukturen brauchen, die<br />

uns erst handlungsfähig machen. Gut<br />

besuchte Massenversammlungen im<br />

Vorfeld sind nötig, um Streikbeschlüsse<br />

und -bedingungen demokratisch zu<br />

legitimieren. Wichtige Fragestellungen<br />

gehören breit im Plenum diskutiert und<br />

mit einer Stimmenmehrheit aller Anwesenden<br />

beschlossen, sodass sich am Ende<br />

alle daran halten können.<br />

Die Umsetzung<br />

Sind erst einmal Streikbeschlüsse getroffen<br />

und die nötige Vernetzung mit<br />

dem Uni-Personal erfolgt, braucht es öffentliche<br />

Mobilisierung, weil gerade ein<br />

Streik viel Rückhalt der Studierenden<br />

verlangt. Eine Entscheidung, ob und wie<br />

man den Streikbeschluss auch gegen den<br />

Willen mancher durchsetzen kann, muss<br />

getroffen werden. Daraus ergibt sich die<br />

grundsätzliche Frage, ob nur Lehrveranstaltungen<br />

ausfallen sollen, oder ob auch<br />

die anderen Tätigkeiten (Prüfungen, Verwaltung,<br />

Sprechstunden, Bibliotheken,<br />

Copyshop…) verhindert werden. Wirklich<br />

ganze Universitätsgebäude zu blockieren<br />

erhöht den politischen Druck<br />

– sofern die dafür nötige Breite des Protests<br />

gegeben ist. Diese Breite ist eine<br />

nicht zu unterschätzende Stärke eines<br />

jeden Streiks. Geht sie verloren, verliert<br />

die ganze Bewegung an Ausstrahlung<br />

und Durchschlagskraft und wir hätten es<br />

mit einem elitären Protest einiger weniger<br />

Studierender zu tun.<br />

Ist eine Blockade möglich und gemeinsam<br />

beschlossen worden, muss die Ausführung<br />

und Verteidigung wie bei jedem<br />

Industriestreik mit Streikposten vor den<br />

Türen sichergestellt werden. Die Organisation<br />

der Kontrolle der Uni baut somit<br />

auf einem Delegiertensystem auf. Während<br />

der Besetzung der Philosophischen<br />

Fakultät Zagreb im Frühling 2009 war<br />

der Ordner- und Ordnerinnendienst in<br />

Schichten von im Plenum mandatierten<br />

Koordinatorinnen und Koordinatoren<br />

organisiert. Die Ordner haben bei Bedarf<br />

auch mit Hilfe anderer Studierender<br />

die Abhaltung von Lehrveranstaltungen<br />

verhindert.<br />

Menschen den Zutritt zum Gebäude zu<br />

versperren ist zu wenig. Vielmehr muss<br />

der Protest auf die Straße getragen werden<br />

– sei es mit der Abhaltung alternativer<br />

und öffentlicher Lehrveranstaltungen<br />

vor der Uni oder durch Kundgebungen<br />

und Demos. Dadurch wird den Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern bewusst, wie<br />

viele sie eigentlich sind und ihre Stärke<br />

wird nach außen getragen.<br />

Bildungsstreik Juni 2010<br />

In Deutschland haben in den letzten Jahren<br />

mehrere Bildungsstreiks das Beispiel<br />

geliefert, dass das Konzept Streik auch<br />

auf Unis anwendbar ist. Unsere deutschen<br />

Kolleginnen und Kollegen haben<br />

uns das Wissen der Vorbereitung voraus,<br />

was durch die Struktur des SDS noch<br />

verstärkt wird. Wir können allerdings<br />

auf eine spontan entstandene und sich<br />

selbst organisierende Bewegung bauen,<br />

die viele Studierende politisiert hat.<br />

Trotzdem dürfen wir uns nicht auf die<br />

altbekannte Studierendenbasis verlassen,<br />

sondern müssen weiter versuchen, die Bewegung<br />

auf andere Gesellschaftsbereiche<br />

auszudehnen. Im Zentrum dieser Bemühungen<br />

sollte stehen, Schülerinnen und<br />

Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer<br />

endlich systematisch anzusprechen und<br />

in die Proteste zu integrieren. Ebenso<br />

wichtig sind die Kindergärten, die sich<br />

bereits zu einem „Aufstand“ organisiert<br />

haben und die im Falle eines Streiks<br />

über die Eltern auch noch andere Gruppen<br />

tangieren. Gemeinsam könnten wir<br />

perspektivisch unsere Proteste zu einem<br />

wirklichen Bildungsstreik ausdehnen.<br />

Auch ein Streik beschränkt auf einen Tag<br />

würde schon viel erreichen - nicht nur<br />

durch Druck auf die Universitätsleitung<br />

und Regierung, sondern vor allem im<br />

Bewusstsein der Beteiligten. Die kollektive<br />

Aktion des Streiks ist eine befreiende<br />

Erfahrung der realen Demokratie mit<br />

massenhaften Studierendenversammlungen<br />

und der Bereitschaft wirklich etwas<br />

zu verändern.


<strong>Linkswende</strong> :: Nr. 135 :: April 2010<br />

K U L T U R<br />

11<br />

Sacco setzte sich schon einmal mit<br />

Palästina auseinander („Palestine“),<br />

aber auch mit den Kriegen<br />

im ehemaligen Jugoslawien („Profiles<br />

from Bosnia“, „A Story from Sarajewo“,<br />

„Safe Area Gorazde“) auseinander.<br />

Geschichte und Gegenwart<br />

Sacco macht sich im Gazastreifen des<br />

Jahres 2004 auf die Suche nach Zeitzeugen<br />

für ein Ereignis aus dem Jahr<br />

1956 im Gazasreifen. Ein Massaker,<br />

heute tief in den Archiven vergraben<br />

und überlagert von so vielen Kriegen,<br />

Bombardements und Grausamkeiten,<br />

dass Palästinensische Gesprächspartner<br />

Sacco oft fragen, warum er nicht über<br />

die bedrückende Realität der Gegenwart<br />

berichtet. Genau das tut Sacco<br />

aber auch, er lässt uns nicht nur an den<br />

Erinnerungen Palästinensischer und<br />

Israelischer Augenzeugen teilhaben,<br />

sondern nimmt den Leser auch mit<br />

zu seinen Kontakten, seinen Helfern,<br />

Führern und deren Familien. Während<br />

seiner Recherchen beobachtet er<br />

wie täglich die israelischen Bulldozer<br />

Häuser zerstören, erlebt die nächtlichen<br />

Granatenangriffe, die ständige<br />

Angst vor Raketeneinschlägen. Sacco<br />

hilft, die verschiedenen Reaktionen auf<br />

die Besatzung zu verstehen. Wut und<br />

Trauer von Menschen, die schon mehrmals<br />

vertrieben wurden, Kollaboration,<br />

Resignation oder bewaffneter Widerstand.<br />

Sacco interviewt Guerillas verschiedener<br />

Generationen, von den Fedayeen<br />

der 50er Jahre, die, von Nassers<br />

Ägypten kontrolliert, Operationen in<br />

Israel durchführten, zu den Kämpfern<br />

in beiden Intifadas und den „Volkskomitees“.<br />

Von der Gegenseite kommen<br />

beispielsweise der engste Mitarbeiter<br />

von Moshe Dayan und Israelische Veteranen<br />

zu Wort.<br />

Joe Sacco ist in dieser Graphic Novel auf<br />

der Suche nach der Wahrheit über das<br />

Gorillaz<br />

Das neue Gorillaz-Album orientiert<br />

sich weniger an Rock und Punk als<br />

die Frühwerke und definiert einen<br />

neuen (welt-)musikalischen Stil, der<br />

vermehrt auf Elektronik setzt.<br />

Die 1998 von Blur-Sänger Damon<br />

Albarn ins Leben gerufene Band war<br />

angetreten, das ins Stocken geratene<br />

„Reformprojekt“ Britpop zu erneuern.<br />

Es passt dazu perfekt ins Bild, dass<br />

die Band nicht durch reale Personen<br />

sondern durch Comic-Figuren repräsentiert<br />

wird, die von Comic-Zeichner<br />

Jamie Hewlett erfunden wurden. Die<br />

Musik entsteht mit einer wechselnden<br />

Gruppe von Musikern und Produzenten,<br />

wobei wie bei kaum einem<br />

anderen Projekt von einer stetigen<br />

musikalischen Weiterentwicklung gesprochen<br />

werden kann, die im Falle der<br />

Gorillaz zunehmend in elektronische<br />

Gefilde führt. „Plastic Beach“ ist ein<br />

Footnotes in Gaza<br />

Joe Sacco ist durch seine zutiefst berührenden (graphic novel) Comic-Reportagen bekannt geworden, einer Art Kriegsberichterstattung<br />

der anderen Art. Tom D. Allahyari eht seinem neuesten Werk auf den Grund.<br />

Vorgehen der Israelischen Armee beim<br />

Einmarsch in Gaza im Jahre 1956.<br />

Massenmord und Weltpolitik<br />

Aus den Erzählungen verschiedener<br />

älterer Leute ergibt sich ein schockierendes<br />

Bild. In Flüchtlingslagern, etwa<br />

bei Khan Younis wurde kein Widerstand<br />

gegen die Israelis mehr geleistet.<br />

Israelische Soldaten holten die Männer<br />

aus den Häusern, stellten sie zu hunderten<br />

an die Wand und erschossen alle<br />

mit MG-Salven. Menschen, die unter<br />

Leichen begraben waren, hörten, wie<br />

die Magazine mehrmals nachgeladen<br />

wurden. Ein Israelischer Zeitzeuge berichtet,<br />

dass er sich übergeben musste,<br />

als er die Leichen in den Strassen sah.<br />

Mit den Zeugenaussagen geht Sacco<br />

beinahe wissenschaftlich vor, so vergleicht<br />

er Details, sucht nach Widersprüchen<br />

und sichtet überaus kritisch<br />

seine Quellen. Doch bei aller Bemühung<br />

um Objektivität, das Bild, das<br />

sich herauskristallisiert zeigt einen<br />

bewussten, geplanten Massenmord.<br />

„Footnotes“ bemüht sich aber auch,<br />

die individuellen Schrecken mit den<br />

Abläufen der Weltpolitik in Beziehung<br />

zu setzen. Der ägyptische Herrscher<br />

Leo K`s<br />

Gorillaz: Plastic Beach<br />

Quelle: lmhrfestival.com<br />

“Footnotes in Gaza” publiziert von Metropolitan Books, Henry Holt and Co.<br />

Konzeptalbum und beschreibt<br />

einen fiktionalen Zufluchtsort<br />

vor den Grauen der Zivilisation,<br />

vor wachsenden Müllbergen,<br />

zunehmender Zerstörung und<br />

fragwürdigem Konsumverhalten.<br />

Die Platte ist gespickt mit einer<br />

Reihe von Gastauftritten, die<br />

ihr das besondere Credo der<br />

Grenzenlosigkeit verpassen:<br />

Neben den Hip-Hoppern<br />

Snoop Dogg und Mos<br />

Def spielen im Titelsong<br />

Mick Jones und Paul Simonon<br />

von The Clash erstmals seit<br />

deren Trennung wieder gemeinsam.<br />

Mit Lou Reed tritt in „Some Kind Of<br />

Nature” ein weiterer Godfather des<br />

Underground auf. Das Libanesische<br />

National Orchestra for Arabic Music<br />

schließlich steuert weit mehr zu dem<br />

Album bei als instrumentale Intros.<br />

Bemerkenswert an „Plastic Beach“ ist<br />

vor allem der unkomplizierte Umgang<br />

von Damon Albarn mit Musikstilen<br />

aus verschiedensten Ländern und Epochen.<br />

Diese Art der Verschmelzung<br />

verschiedener Kulturen ist das an sich<br />

Moderne, das möglicherweise einmal<br />

als Geburtsstunde eines neuen Stiles<br />

in der Pop-Musik abgefeiert werden<br />

wird.<br />

http://gorillaz.com<br />

Nasser, der die arabische Welt vereinen<br />

wollte und sich mit der Verstaatlichung<br />

des Suez-Kanals mit Westen angelegt<br />

hatte, und der die Palästinenser eiskalt<br />

als Faustpfand benutzte, wird genauso<br />

beschrieben, wie die Interessen von<br />

Israel, Frankreich und Britannien, die<br />

1956 beschlossen, Ägypten anzugreifen.<br />

Ägyptische Soldaten kämpften mit<br />

Gewehren gegen Kampfbomber und<br />

Panzer.<br />

Angst und Demütigung<br />

In einer typischen Episode will eine<br />

alte palästinensische Frau von den Massenerschießungen<br />

von 1956 berichten,<br />

sie bringt aber Israelische Terror-Angriffe<br />

von 1948, 1956 und 1967 durcheinander.<br />

Es scheint, dass ihr Leben in<br />

der Erinnerung einfach eine endlose<br />

Abfolge von Angst und Demütigung<br />

ist. In einer Rückblende beschreibt<br />

Sacco drastisch die (Über-) Lebensumstände<br />

der Menschen, die 1948 bei<br />

der Staatsgründung Israels vertrieben<br />

wurden. Wie sie in Erdlöchern hausten<br />

und Kakteen essen mussten. Israelische<br />

Offizielle vermuteten damals, die meisten<br />

würden sterben, die Härtesten<br />

überleben, um sich dann den ärmsten<br />

Musiktipps<br />

Bauchklang: Signs<br />

Die österreichischen Beat-Box-Pioniere<br />

setzen mit ihrer neuen CD<br />

einmal mehr Maßstäbe.<br />

Schichten in den arabischen Ländern<br />

anzuschließen. Doch die Palästinenser<br />

überlebten und sie blieben. Durch die<br />

Flüchtlinge wurde der Gazastreifen zu<br />

dem verarmten und übervölkerten Gebiet,<br />

das er heute ist.<br />

In seinem einzigartigen Stil, immer auf<br />

höchstem künstlerischem Niveau und<br />

dabei ultrarealistisch beschreibt Sacco<br />

individuelle Schicksale und deren<br />

Verquickung mit den „großen“, historischen<br />

Abläufen. „Footnotes in Gaza“<br />

ist ein Buch, in das man versinken<br />

kann, wie in einen faszinierenden Film.<br />

Sacco spielt professionell mit Perspektiven,<br />

Licht und Schatten, Nähe und<br />

Ferne, doch sein größtes Talent ist es,<br />

Emotionen, auch die extremsten in den<br />

Gesichtern seiner Figuren glaubhaft zu<br />

machen, er lädt zur Identifikation ein,<br />

ohne je anbiedernd oder rührselig zu<br />

werden.<br />

Die Frage, ob ein Comic-Buch, eine<br />

„Graphic Novel“, das geeignete Medium<br />

sein kann für Kriegsberichterstattung<br />

und politischen Journalismus,<br />

kann nach der Lektüre von Footnotes<br />

nur mit einem begeisterten „Ja“ beantwortet<br />

werden.<br />

Bauchklang<br />

Zeichnungen von Joe Sacco.<br />

1996 definierten fünf Vocalisten<br />

aus St. Pölten das Genre A-<br />

Cappella praktisch neu<br />

und übersetzten es mit<br />

ihrer virtuosen Stimmbeherrschung<br />

und<br />

ihrer Art von Mouth<br />

Percussion und Human<br />

Beatboxing ins<br />

dritte Jahrtausend.<br />

Nach zwei Studio-<br />

A l b e n und dem eindrucksv<br />

o l l e n Live-Dokument „Live<br />

in Mumbai“ (2009) ist „Signs“ ein<br />

weiteres Zeichen der Rundumerneuerung.<br />

Bauchklang haben ihren „Vocal<br />

Groove”-Sound verfeinert, die<br />

neuen Songs sind in gewisser Weise<br />

intensiver geworden als alles bisher<br />

Gekannte. Die Zusammenarbeit mit<br />

mehreren Gastmusikerinnen und<br />

-musikern hat dem Album zusätzliche<br />

Impulse verpasst. Die schwarze<br />

Poetin Ursula Rucker, die sich<br />

mit Frauenrechten, Randgruppen<br />

und Rassismus beschäftigt und dies<br />

auch immer wieder thematisiert,<br />

war lange eine Wunschkandidatin<br />

der Band. Sie ist auf dem Track „Toil<br />

In Your Field“ zu hören. Der französische<br />

Rap-Poet und Newcomer<br />

in der Slam-Szene Rouda steuerte<br />

ebenfalls zwei Titel bei. Er hat seinen<br />

Beitrag übers Netz geschickt -<br />

ein Beispiel für die Zusammenarbeit<br />

über Grenzen und Sprachbarrieren<br />

hinweg. Die Arbeit an „Signs“ dauerte<br />

insgesamt vier Jahre, das lange<br />

Warten hat sich aber in jedem Fall<br />

gelohnt. Bauchklang werden die<br />

neuen Songs im Rahmen ihrer kommenden<br />

Tour durch Österreich und<br />

einige angrenzende Länder live präsentieren.<br />

Der Wien-Termin in der<br />

Arena am 8.4.2010 ist allerdings leider<br />

bereits seit Wochen ausverkauft.<br />

Weitere Termine: 9.4.2010 Posthof<br />

Linz, 10.4.2010 Kulturzentrum Eisenstadt,<br />

30.4.2010 Salzburg, Rockhouse<br />

www.bauchklang.com<br />

www.myspace.com/bauchklang<br />

Quelle: monkeymusic.at<br />

WAS<br />

WIR<br />

WOLLEN<br />

Eine andere Welt. Heute lebt die Hälfte<br />

der Menschheit von weniger als 2 Dollar<br />

pro Tag, 67% der Reichtümer sind<br />

in den Händen von nur 2% der Bevölkerung,<br />

die USA alleine geben mehr<br />

als 400 Milliarden Dollar im Jahr für<br />

Waffen aus, nur 324 Milliarden Dollar<br />

wären nötig, um die schlimmste Armut<br />

zu beseitigen.<br />

Hunger, Krieg und die Zerstörung der<br />

Umwelt sind völlig unnötige Nebenprodukte<br />

des Konkurrenzkampfs und der<br />

Gier der wenigen Superreichen, die<br />

unsere Gesellschaft beherrschen. Was<br />

heute produziert wird, würde schon<br />

ausreichen, um alle Menschen der<br />

Welt mit dem Grundlegendsten zu versorgen.<br />

Demokratische Kontrolle. Wir wollen<br />

eine Gesellschaft, in der gezielt für die<br />

Bedürfnisse der gesamten Menschheit<br />

und mit Rücksicht auf die Natur produziert<br />

wird. Dafür ist eine wirklich demokratische<br />

Ordnung nötig, in der die<br />

werktätigen Menschen das Sagen haben.<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter produzieren<br />

allen Reichtum dieser Welt. Eine<br />

neue Gesellschaft ist nur vorstellbar,<br />

wenn sie die Produktion ihrer Reichtümer<br />

und ihre Verteilung kontrollieren.<br />

Um eine solche gerechte – eine sozialistische<br />

– Gesellschaft errichten zu<br />

können, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

kollektiv gegen das herrschende<br />

System vorgehen, seine staatlichen<br />

Strukturen zerschlagen und kollektiv<br />

die Kontrolle übernehmen.<br />

Internationalismus. Wir leben in einer<br />

Zeit, in der Millionen Menschen gegen<br />

Krieg und Kapitalismus aufstehen und<br />

sich international vernetzen. Die globalen<br />

Protestbewegungen, die mit Seattle<br />

1999 die Bühne betreten haben, fordern:<br />

„Eine andere Welt ist nötig – Eine<br />

andere Welt ist möglich!“<br />

Gegen Unterdrückung. Wir leben auch<br />

in einer Welt, in der weltweite Konzerne<br />

die Wirtschaft dominieren. Nur wenn wir<br />

uns international verbinden und andere<br />

Grenzen wie Rassismus und Sexismus<br />

überwinden, können wir erfolgreich gegen<br />

die herrschenden Eliten vorgehen.<br />

Gegen Rassismus. Wir wenden uns<br />

aktiv gegen alle Versuche, die Werktätigen<br />

verschiedener Herkunft gegeneinander<br />

zu hetzen. Wir sind gegen jede<br />

Diskriminierung, gegen Einwanderungskontrollen,<br />

gegen Arbeitsverbote und<br />

für grenzüberschreitende Solidarität.<br />

Gewerkschaften müssen sich im Zeitalter<br />

der Globalisierung mit Arbeiterinnen<br />

und Arbeitern aller Länder solidarisieren.<br />

Während sich das Interesse der<br />

globalen Eliten auf die Beherrschung<br />

der erdölreichsten Regionen konzentriert,<br />

werden ihre Kriege mit Propaganda<br />

gegen Muslime gerechtfertigt.<br />

Wir stehen für Solidarität mit der muslimischen<br />

Bevölkerung und für das volle<br />

Recht auf freie Religionsausübung.<br />

Gegen Krieg. Krieg ist die grausamste<br />

Form des internationalen Konkurrenzkampfs,<br />

aber auch Ausdruck für den<br />

Bankrott und die Hilflosigkeit der herrschenden<br />

Eliten. Wir glauben, dass<br />

eine radikale und internationale Bewegung<br />

gegen Krieg heute schon das kapitalistische<br />

System erschüttern kann<br />

und den Grundstein für weitere Kämpfe<br />

für eine gerechte Welt legen kann.<br />

Revolutionäre Partei. Unsere Herrscher<br />

sind deshalb so mächtig, weil sie<br />

organisiert sind. Sie kontrollieren die<br />

Medien, die Justiz, Polizei und Militär.<br />

Um diese Macht zu konfrontieren, müssen<br />

sich auch die Werktätigen organisieren.<br />

Wir glauben, dass diejenigen,<br />

die eine völlig andere Welt wollen, sich<br />

zusammentun müssen und die Entwicklung<br />

der Protestbewegungen nicht dem<br />

Zufall überlassen dürfen. Je stärker die<br />

revolutionäre Strömung innerhalb der<br />

Bewegung ist, desto mächtiger wird die<br />

Bewegung als Ganzes.


<strong>Linkswende</strong><br />

Für Sozialismus von unten<br />

Bolgna-Gipfel wegen Protesten gescheitert:<br />

Regierung plant dennoch<br />

Verschärfungen<br />

Wie schon während der Proteste im Herbst, war die Berichterstattung über die Proteste während des Bologna-Jubiläumsgipfels in Wien relativ<br />

ausführlich und positiv. Die Probleme mit dem Bologna-Prozess wurden allerdings auf Verschulung des Studiums und schlechte Umsetzung<br />

reduziert. Auch Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) sieht mittlerweile Probleme bei der Implementierung und hat eine Bologna-Taskforce<br />

eingerichtet. Das hindert sie allerdings nicht daran, in Sachen Zugangsbeschränkungen einen immer schärferen Kurs zu fahren.<br />

von Tine Bazalka<br />

Die Abschlusserklärung<br />

der Minister auf der<br />

Bologna-Konferenz<br />

klingt wie eine Anerkennung<br />

der erfolgreichen Bildungsproteste!<br />

„Einige der Bologna-<br />

Ziele“, schreiben die verantwortlichen<br />

Ministerinnen und<br />

Minister der 47 am Prozess<br />

teilnehmenden Länder, „wurden<br />

nicht ordentlich umgesetzt<br />

oder erklärt.“ Auch sonst liest<br />

sich das Dokument sehr defensiv:<br />

Mehr Mitbestimmung für<br />

Studierende, Verbesserung der<br />

„sozialen Durchmischung“,<br />

Hochschulbildung als Verantwortungsbereich<br />

des Staates<br />

– alle Schlagwörter sind da.<br />

Die Wissenschaftsministerin<br />

schlägt in dieselbe Kerbe: Die<br />

Umsetzung des Bologna-Prozesses<br />

sei fehlerhaft, Nachbesserungen<br />

oberste Priorität, ließ<br />

sie verlauten.<br />

Die schönen Worte der Ministerin<br />

ändern aber nichts<br />

an der österreichischen Uni-<br />

Realität. Um wirklich etwas<br />

zu bewegen, müssten nämlich<br />

zwei Dinge geschehen: eine<br />

Aufstockung des Budgets und<br />

eine Änderung im Universitätsrecht,<br />

doch weder das<br />

eine noch das andere wurde<br />

von Karl bisher angesprochen.<br />

Vielmehr wartet sie auf einen<br />

politisch günstigen Zeitpunkt,<br />

um die Studiengebühren wieder<br />

einzuführen, denn das<br />

Budget des Wissenschaftsministeriums<br />

wird im nächsten<br />

Jahr um 1,7 Prozent gekürzt.<br />

Das Universitätsgesetz (UG)<br />

2002, das derzeit – mit einer<br />

Novellierung von 2009 – in<br />

Kraft ist, stellt die rechtliche<br />

Grundlage für die Umsetzung<br />

des Bologna-Prozesses in Österreich<br />

dar. Es positionierte<br />

die Universitäten als eigenständige<br />

„Unternehmen“ auf<br />

dem Bildungsmarkt, die für<br />

staatliche Gelder das Erfüllen<br />

von Leistungsvereinbarungen<br />

nachweisen müssen. Alle wichtigen<br />

Entscheidungen liegen<br />

jetzt beim Rektorat und dem<br />

ihm zur Seite gestellten Universitätsrat<br />

(ein Aufsichtsrat<br />

für Unis); der Senat, der bisher<br />

<strong>Linkswende</strong> abonnieren<br />

hauptverantwortlich für personelle<br />

und Entscheidungen<br />

im Studienplan war, wurde<br />

entmachtet. Innerhalb des<br />

Senats wiederum wurde das<br />

Stimmrecht der Studierenden<br />

abgewertet. Das Konkurrenzverhältnis,<br />

die Entdemokratisierung<br />

und das finanzielle<br />

Aushungern hat verheerende<br />

Folgen: junge Lehrende leiden<br />

unter extrem kurzfristigen und<br />

schlecht entlohnten Beschäftigungsverhältnissen<br />

ohne<br />

Aufstiegschancen. Die Universitäten<br />

sind gezwungen, sich<br />

vermehrt nach sogenannten<br />

Drittmitteln – Sponsoring,<br />

private Forschungsgelder oder<br />

Kooperationen mit Unternehmen<br />

– umzuschauen, und all<br />

diese Entscheidungen können<br />

von Studierenden und Mittelbau<br />

nicht mehr beeinflusst<br />

werden. Diese Entwicklungen<br />

lassen sich nicht getrennt von-<br />

Foto: Christoph Liebentritt<br />

Seit fünf Monaten sind die Proteste an den österreichischen Universitäten im Brennpunkt des weltweiten Widerstands gegen Bildungsabbau.<br />

Der so genannte Bologna-Prozess, der zum Synonym für die verheerende Entwicklung an den Universitäten geworden<br />

ist, sollte in Wien sein zehnjähriges Jubiläum feiern. Doch den 46 Bildungsministern wurden die Feierlichkeiten in der Hofburg durch<br />

die riesigen Proteste gehörig vermiest. Im Bild ist der Beginn der Besetzung an der Akademie der Bildenden Künste zu sehen.<br />

einander betrachten und dienen<br />

in ihrer Gesamtheit dazu,<br />

Universitäten und Studierende<br />

zu Komponenten eines freien<br />

Marktes zu machen. Lippenbekenntnisse<br />

ändern an der<br />

Ausrichtung der Hochschulpolitik<br />

überhaupt nichts.<br />

Die nächsten Angriffe stehen<br />

vielmehr bereits vor der Tür:<br />

Nicht nur wird das Wissenschaftsbudget<br />

massiv gekürzt,<br />

Karl richtet außerdem den<br />

Rektoren aus, sie sollen doch<br />

„mehr Kreativität und Engagement“<br />

bei der Finanzierung<br />

der Unis beweisen. Ob das<br />

jetzt eine wilde Jagd nach der<br />

letzten noch werbefreien Fläche<br />

oder die vermehrte Gründung<br />

von gewinnbringenden,<br />

in die Universität eingegliederten<br />

Tochterunternehmen<br />

(die es ja auch schon gibt) sein<br />

soll, ist nicht klar.<br />

Vermehrter Widerstand ist<br />

aber vor allem beim Thema<br />

Zugangsbeschränkungen gefordert:<br />

Rektor Christoph<br />

Badelt will die Zahl der Wirtschafts-Studienanfängerinnen<br />

und -anfänger von 7.000 auf<br />

etwa 2.000 drücken und hat<br />

mittlerweile den Segen der Ministerin.<br />

In den Fächern Publizistik<br />

und Architektur sollen<br />

auf mehreren Unis Zugangsbeschränkungen<br />

eingeführt<br />

werden. Eine solche Regelung<br />

wäre absolut fatal und würde<br />

wahrscheinlich einen Domino-Effekt<br />

in anderen Fächern<br />

nach sich ziehen. Die Studierendenbewegung<br />

muss sich<br />

dagegen zu Wehr setzen und<br />

sich dafür vor allem mit Schülerinnen<br />

und Schülern vernetzen,<br />

die diese Beschränkungen<br />

am konkretesten betreffen.<br />

Phrasen wie „siehe auch die<br />

derzeitigen Proteste gegen<br />

Hochschulpolitik in einigen<br />

Ländern“, (in einer Studie<br />

über das erste Jahrzehnt der<br />

„Europäischen Hochschularena“)<br />

zeigen zwar den Erfolg<br />

der europäischen Bewegung,<br />

sind aber sonst das Papier<br />

nicht wert, auf dem sie gedruckt<br />

wurden. Für uns heißt<br />

die halbherzige Anerkennung<br />

der Probleme vor allem eins:<br />

Weiterkämpfen, bis wir selbst<br />

über die Zukunft der Bildung<br />

entscheiden können!<br />

<strong>Linkswende</strong><br />

deine <strong>Zeitung</strong> zum Rebellieren<br />

Name:<br />

Adresse:<br />

Telefon:<br />

e-mail:<br />

Konto-Nr.:<br />

……………………………………………………………………<br />

……………………………………………………………………<br />

……………………………………………………………………<br />

……………………………………………………………………<br />

……………………………………………………………………<br />

10 Ausgaben für 25 Euro (inkl. Porto)<br />

Soli-Abo: 10 Ausgaben für ___ Euro (inkl. Porto)<br />

20 Ausgaben für 50 Euro (inkl. Porto)<br />

Soli-Abo: 20 Ausgaben für ___ Euro (inkl. Porto)<br />

Einschicken an:<br />

<strong>Linkswende</strong>, Kettenbrückengasse 11/20, 1050 Wien<br />

oder per e-mail an redaktion@linkswende.org<br />

BLZ: ………………… Ort, Datum: …………………………………………… Unterschrift: ……………………………………………

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!