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Warum eine Praxisorganisation ein Forschungsprojekt ... - Pro Familia

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SEXUELLE UND REPRODUKTIVE RECHTE VON JUGENDLICHEN<br />

„Für die sexuellen und reproduktiven<br />

Rechte von Jugendlichen“<br />

<strong>Warum</strong> <strong><strong>ein</strong>e</strong> <strong>Praxisorganisation</strong> <strong>ein</strong> <strong>Forschungsprojekt</strong> betreibt<br />

Der pro familia-Bundesverband führt das <strong>Forschungsprojekt</strong> „Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei<br />

minderjährigen Frauen“ in Zusammenarbeit mit ihren Beratungsstellen und dem Institut für Sexualforschung und<br />

forensische Psychiatrie der Universität Hamburg durch. Die Studie läuft von 2005 bis 2008 und wird von der Bundeszentrale<br />

für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert. Untersucht wurde, in welchen Lebenslagen und konkreten<br />

Situationen minderjährige Frauen ungewollt schwanger werden, welche Unterstützung sie und ihre Partner sich<br />

in dieser Situation wünschen, wie die Entscheidung für <strong><strong>ein</strong>e</strong>n Schwangerschaftsabbruch getroffen und erlebt wird und<br />

durch welche Angebote die altersgerechte Schwangerschaftsabbruchversorgung verbessert werden könnte. Regine Wlassitschau<br />

hat für das pro familia magazin mit der Koordinatorin des <strong>Pro</strong>jekts, Sigrid Weiser, gesprochen.<br />

Sigrid Weiser ist <strong>Pro</strong>jektkoordinatorin<br />

beim pro familia-Bundesverband<br />

pro familia magazin: pro familia wird<br />

vor allem – wenn es um Jugendliche<br />

geht – mit der sexualpädagogischen<br />

Arbeit in Schulen in Verbindung gebracht.<br />

Welche Bedeutung hat Forschung<br />

für <strong><strong>ein</strong>e</strong> <strong>Praxisorganisation</strong>?<br />

Sigrid Weiser: Es ist richtig, pro familia<br />

hat <strong><strong>ein</strong>e</strong>n guten Zugang zu Jugendlichen.<br />

Die Hälfte der fast 430 000<br />

jährlich erreichten KlientInnen sind<br />

Jugendliche in sexualpädagogischen<br />

<strong>Pro</strong>grammen. Die MitarbeiterInnen<br />

der pro familia genießen das Vertrauen<br />

von Jugendlichen. Sie stehen unter<br />

Schweigepflicht, geben k<strong><strong>ein</strong>e</strong> Noten,<br />

halten k<strong><strong>ein</strong>e</strong> Moralpredigten und vermitteln<br />

<strong><strong>ein</strong>e</strong> positive Haltung zu Sexualität<br />

von Jugendlichen. Sie wissen<br />

auch, dass in Sachen Liebe und Lust<br />

nicht immer alles läuft wie geplant.<br />

Die Arbeit der pro familia ist den<br />

Rechten von Jugendlichen verpflichtet.<br />

Und deshalb muss unsere Arbeit<br />

so gut s<strong>ein</strong>, wie es eben nur geht. Dazu<br />

gehört, dass pro familia wissenschaftlich<br />

fundiert arbeitet, dass sie<br />

sich auf anerkannte und unabhängige<br />

Erkenntnisse und Standards bezieht.<br />

pro familia magazin: Wie kam es zu<br />

dem <strong>Forschungsprojekt</strong>?<br />

Sigrid Weiser: Wir beobachteten seit<br />

Ende der 90er Jahre, dass die Zahlen<br />

der Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche<br />

bei Jugendlichen<br />

zunahmen, konnten aber k<strong><strong>ein</strong>e</strong> gesicherten<br />

Aussagen über die Betroffenen<br />

und die Gründe für den Anstieg<br />

machen. Es gab k<strong><strong>ein</strong>e</strong> Untersuchungen<br />

dazu und an Spekulationen woll-<br />

ten wir uns nicht beteiligen. Auf <strong><strong>ein</strong>e</strong>r<br />

Fachtagung 2003, an der Beratungsstellen,<br />

VertreterInnen des Bundesministeriums<br />

für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend und <strong><strong>ein</strong>e</strong> Wissenschaftlerin<br />

vom Institut für Bevölkerungsforschung<br />

teilnahmen, tauschten<br />

wir Sichtweisen und Erfahrungen<br />

aus, klärten, welchen Forschungsbedarf<br />

es gibt und sprachen mit den Beratungsstellen<br />

über die Möglichkeit<br />

<strong><strong>ein</strong>e</strong>r Kooperation. Das <strong>Forschungsprojekt</strong><br />

wurde daraufhin konzipiert<br />

und den Gremien der pro familia sowie<br />

den potentiellen Zuwendungsgebern<br />

vorgestellt. Wir stießen überall<br />

auf offene Ohren und viel Interesse,<br />

der ganze Verband, die Bundeszentrale<br />

für gesundheitliche Aufklärung<br />

(BZgA) und das Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

(BMFSFJ) standen hinter dem<br />

<strong>Pro</strong>jekt. Das Hamburger Institut für<br />

Sexualforschung am Universititätsklinikum<br />

sagte die Zusammenarbeit zu.<br />

pro familia magazin: pro familia hat<br />

sich der Umsetzung der sexuellen und<br />

reproduktiven Gesundheit und Rechte<br />

verpflichtet. Inwiefern kann das<br />

<strong>Forschungsprojekt</strong> dazu beitragen?


Sigrid Weiser: Das <strong>Forschungsprojekt</strong><br />

hat zwei formulierte Ziele: Verbesserung<br />

der Prävention ungewollter<br />

Schwangerschaften und Verbesserung<br />

der Schwangerschaftsabbruchversorgung<br />

für Jugendliche. Damit dient es<br />

der Umsetzung der sexuellen und reproduktiven<br />

Rechte von Jugendlichen.<br />

Von Anfang an stand das <strong>Forschungsprojekt</strong><br />

mit s<strong><strong>ein</strong>e</strong>n Zielen<br />

auch in <strong><strong>ein</strong>e</strong>m konkreten gesellschaftlichen<br />

und politischen Spannungsfeld:<br />

■ <strong>ein</strong>ige Medien greifen das Thema<br />

Sexualität von Jugendlichen in <strong><strong>ein</strong>e</strong>r<br />

Weise auf, die der öffentlichen<br />

Erregung dient. Häufig schwingt<br />

<strong><strong>ein</strong>e</strong> diskriminierende Haltung gegenüber<br />

Jugendlichen mit, die Sexualität<br />

leben wollen.<br />

■ Gesellschaftliche Gruppen, die sexuelle<br />

Abstinenz außerhalb der Ehe<br />

und k<strong><strong>ein</strong>e</strong>rlei sexuelle Aufklärung<br />

für Jugendliche propagieren, haben<br />

an Einfluss gewonnen. Sie versuchen<br />

mancherorts sexualpädagogische<br />

Aufklärungsprojekte der pro<br />

familia zu verhindern.<br />

■ Politische Kräfte übernehmen die<br />

Ziele von Anti-Choice-Gruppen<br />

und des Vatikans und agieren gegen<br />

die individuelle Entscheidungsfreiheit<br />

von Frauen für oder gegen <strong><strong>ein</strong>e</strong>n<br />

Schwangerschaftsabbruch. Zur<br />

Strategie organisierter Gruppen gehört<br />

es insbesondere in den USA,<br />

den Zugang zum sicheren Schwangerschaftsabbruch<br />

zunächst für jugendliche<br />

Frauen zu erschweren.<br />

Natürlich wollen sie damit letztendlich<br />

noch mehr – nämlich das<br />

Recht auf Schwangerschaftsabbruch<br />

insgesamt aushöhlen.<br />

Dagegen stehen die Inhalte und<br />

Ziele der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheit und Rechte von Jugendlichen,<br />

für die pro familia sich <strong>ein</strong>setzt.<br />

Das <strong>Forschungsprojekt</strong> hat aber<br />

auch <strong><strong>ein</strong>e</strong> wichtige forschungspolitische<br />

Dimension. Hier wird Forschung<br />

nicht – wie sonst in den Sozialwissenschaften<br />

häufig der Fall – aus dem<br />

„Elfenb<strong>ein</strong>turm“ heraus gemacht.<br />

Vielmehr wird sie von der <strong>Praxisorganisation</strong><br />

pro familia durchgeführt, die<br />

den Rechten der beforschten Jugendlichen<br />

verpflichtet ist.<br />

pro familia magazin: Welches sind die<br />

wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie?<br />

Sigrid Weiser: Bisher liegen uns nur<br />

die Erkenntnisse aus der Teilstudie I<br />

vor, da die Teilstudie II noch nicht abgeschlossen<br />

ist. Die Ergebnisse zeigen,<br />

dass Anwendungsfehler bei der<br />

Pille und dem Kondom die wichtigsten<br />

Ursachen für ungewollte Schwangerschaften<br />

sind – nämlich in 64 <strong>Pro</strong>zent<br />

der Fälle und die „Pille danach“<br />

nur selten als <strong><strong>ein</strong>e</strong> Handlungsoption<br />

gekannt oder benutzt wird.<br />

Eine weitere wichtige Erkenntnis<br />

betrifft die sozialen Merkmale der Betroffenen.<br />

Junge Frauen aus sozial benachteiligten<br />

Lebenslagen (Haupt-<br />

Publikationen zum <strong>Forschungsprojekt</strong><br />

Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Frauen.<br />

Erste Ergebnisse <strong><strong>ein</strong>e</strong>s pro familia-<strong>Forschungsprojekt</strong>s. In: pro familia magazin 02/2006, Seiten 23 bis 27.<br />

Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Frauen.<br />

Teilstudie I: Soziale Situation, Umstände der Konzeption, Schwangerschaftsausgang. Ergebnisse <strong><strong>ein</strong>e</strong>r Erhebung<br />

an 1801 schwangeren Frauen unter 18 Jahren. Frankfurt am Main: pro familia Bundesverband, 2006.<br />

G. Schmidt, E. Thoss, S. Matthiesen, S. Weiser, K. Block und S. Mix. Jugendschwangerschaften in Deutschland.<br />

Ergebnisse <strong><strong>ein</strong>e</strong>r Studie mit 1801 schwangeren Frauen unter 18 Jahren. Zeitschrift für Sexualforschung 19, Seiten<br />

334 bis 358, 2006<br />

S. Matthiesen. Gut drauf? Kondome bei Jugendlichen – Lustkiller ohne Alternative?<br />

In: pro familia magazin 03/2007. Seiten 9 bis 11.<br />

und Förderschule, Arbeitslosigkeit in<br />

der Familie) haben <strong>ein</strong> höheres Risiko<br />

als Minderjährige ungewollt schwanger<br />

zu werden. Aber: Sie haben k<strong>ein</strong><br />

deutlich anderes sexuelles Verhalten<br />

als zum Beispiel Gymnasiastinnen.<br />

Vielmehr ist es so, dass bei ihnen signifikant<br />

häufiger unsicher oder nicht<br />

verhütet wurde. Interessant ist auch<br />

das Ergebnis, dass je höher der Altersunterschied<br />

zwischen der jungen Frau<br />

und ihrem Partner ist, umso wahrsch<strong>ein</strong>licher<br />

<strong><strong>ein</strong>e</strong> ungewollte Schwangerschaft<br />

wird.<br />

pro familia magazin: Was bedeuten<br />

die Ergebnisse für die sexualpädagogische<br />

und beraterische Praxis?<br />

Sigrid Weiser: Das müssen wir mit<br />

der Praxis diskutieren und bearbeiten.<br />

Dazu hat bereits im November 2007<br />

<strong><strong>ein</strong>e</strong> erste Arbeitstagung mit VertreterInnen<br />

von Beratungsstellen stattgefunden,<br />

um Empfehlungen für die<br />

Weiterentwicklung der Angebote der<br />

pro familia zur Prävention ungewollter<br />

Schwangerschaften zu formulieren.<br />

Der Bundesverband hat auch<br />

damit begonnen, die Informationen<br />

zum Kondom und der Pille danach<br />

für Jugendliche auszubauen. Und wir<br />

freuen uns über Berichte wie die, dass<br />

Beratungsstellen aufgrund der Erfahrungen<br />

im <strong>Forschungsprojekt</strong> nun<br />

direkt nach <strong><strong>ein</strong>e</strong>r § 219-Beratung mit<br />

Jugendlichen, verbindliche Termine<br />

für <strong><strong>ein</strong>e</strong> Beratung nach <strong><strong>ein</strong>e</strong>m Schwangerschaftsabbruch<br />

anbieten. Die Aufarbeitung<br />

und Umsetzung der Ergebnisse<br />

des <strong>Forschungsprojekt</strong>s wird auf<br />

jeden Fall <strong>ein</strong> Arbeitsschwerpunkt der<br />

Bundesgeschäftsstelle in den nächsten<br />

zwei Jahren s<strong>ein</strong>.<br />

Informationen im Internet:<br />

www.jugendschwangerschaften.de<br />

familia Magazin 04/2007<br />

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