Endstation Prenzlauer Berg? - orlandodesign.de
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LISKES SPAZIERGÄNGE<br />
Zwillingskin<strong>de</strong>rwagen Jagd auf unachtsame Passanten.<br />
Und vor <strong>de</strong>m Biola<strong>de</strong>n gegenüber lümmelten<br />
ein paar Öko-Avantgardisten, um sich bei überteuertem<br />
Grüntee über die Lidl-Tüten <strong>de</strong>r vorbeischlurfen<strong>de</strong>n<br />
Hartz IV-Lebenskünstler zu mokieren.<br />
Kein Türke, Araber o<strong>de</strong>r Afrikaner weit und breit.<br />
Kopftuchprozess und Asylrecht – Polit<strong>de</strong>batten einer<br />
fernen, frem<strong>de</strong>n Welt. Wohin ich auch blickte:<br />
Bleichgesichter. Und <strong>de</strong>r einzige Vietnamese<br />
außerhalb <strong>de</strong>s Gemüsela<strong>de</strong>ns verkaufte zwischen<br />
<strong>de</strong>n Kaisers-Mülltonnen russische West-Zigaretten.<br />
Multi-Kulti sieht an<strong>de</strong>rs aus.<br />
Es muss ja nicht gleich Kreuzberg o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Wedding sein, aber wie ich da so stand, erinnerte<br />
ich mich an die Geschichte einer Potsdamer Bekannten.<br />
Die war von einem Schwarzwald-Trip mit<br />
<strong>de</strong>n Worten heimgekehrt: „Da laufen ja selbst im<br />
kleinsten Kaff überall Türken rum. Total irre!“ Ich<br />
glaube ‚Türken’ war ihr Sammelbegriff für Menschen<br />
mit irgendwie bräunlicher Haut,und sie meinte<br />
es bestimmt nicht böse. Sie war eher fasziniert.<br />
Denn tatsächlich gibt es ein solches Bild in ost<strong>de</strong>utschen<br />
Kleinstädten – zu <strong>de</strong>nen ich an dieser<br />
Stelle auch Potsdam zählen möchte – einfach<br />
nicht. Das ist einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> warum ich dort nicht<br />
wohnen könnte, warum ich mein Berlin liebe. Abermals<br />
sah ich mich im um. War das überhaupt noch<br />
Berlin hier? Selbst Zehlendorf hat ein bunteres<br />
Straßenbild. Nicht was Frisuren betrifft natürlich,<br />
aber in Sachen Hautfarbe. Die drei indischen Restaurants<br />
in <strong>de</strong>r Nebenstraße fielen mir ein. In<strong>de</strong>r<br />
beim Einkaufen? Pustekuchen. Trippelten nicht bei<br />
<strong>de</strong>r täglichen Szene-Massenmo<strong>de</strong>nschau auch zu-<br />
8 LSD<br />
weilen ein paar Schwarze die Showtreppe am U-<br />
Bahnhof Eberswal<strong>de</strong>r Straße hinab? Ja, aber die<br />
hatten immer Instrumente dabei. Das war ihr Gemüsela<strong>de</strong>n.<br />
Nicht mal <strong>de</strong>r bayrische Innenminister<br />
hätte gegen diese Form von Multikultur etwas einzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Tatsächlich: Ohne es zu merken, war<br />
ich in einer ost<strong>de</strong>utschen Kleinstadt gestran<strong>de</strong>t,<br />
die zu allem Überfluss auch noch hauptsächlich<br />
von Schwaben, Bayern, Hessen und an<strong>de</strong>ren Germanen-Stämmen<br />
aus <strong>de</strong>m Westen bevölkert wur<strong>de</strong>!<br />
All das Metropolengetue, all die nie zuvor gehörten<br />
Namen dieser DJ’s aus New York und Tokio<br />
die von <strong>de</strong>n kryptischen Plakaten mir unbekannter<br />
Tanzclubs dräuten, waren nur Tünche. Ich war ein<br />
Deutscher unter Deutschen. Es schau<strong>de</strong>rte mich.<br />
Meine Finger hörten auf, die Avocados zu betasten.<br />
Blondi und König Frisur verließen <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>n.<br />
„Gehst Du heut abend auch zu Dr. Kinio und Kazzo-Beat?“<br />
fragte er. „Oh nein! Ist das heute? Ich<br />
wollte eigentlich zu Sergeant Dickmaster,“ antwortete<br />
sie, fiepste unvermittelt laut auf und we<strong>de</strong>lte<br />
mit ihren bunt bepinselten Klauen in <strong>de</strong>r Luft herum.<br />
„Iiiiiiiih! Das ist schrecklich! Nie weiß ich wo ich<br />
hingeh’n soll. Hier ist immer so viel gleichzeitig.<br />
Und irgendwie ist das alles so .... kulti!“ Sie sagte<br />
tatsächlich ‚kulti’ ...<br />
Ich beschloss <strong>de</strong>n Tag aufzugeben, nahm ein<br />
paar Äpfel und griff mir drinnen noch eine Flasche<br />
rheinhessischen Dornfel<strong>de</strong>r. Die Vietnamesin und<br />
ich wünschten uns ein schönes Wochenen<strong>de</strong>. Ich<br />
wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Versuchung, sie nach ihrer Wohnung<br />
zu fragen.<br />
Text: Markus M. Liske, Illustrationen: Christian Hückstädt