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Heimat-Rundblick 103

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Winter 2012<br />

Nr. <strong>103</strong><br />

4/2012 · 25. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257<br />

RUNDBLICK<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

Einzelpreis € 4,50<br />

Borgfeld · Osterholz-Scharmbeck · Grasberg · Hambergen · Lilienthal<br />

Ritterhude · Schwanewede · Lesum · Worpswede · Fischerhude · Tarmstedt<br />

II N H A LL T<br />

unter anderem:<br />

Kulturstiftung Landkreis Osterholz<br />

Rückblick auf die Leserreise 2012<br />

Zwei Preise für Landkreis Osterholz<br />

Neuer Moorpfad im Teufelsmoor<br />

Auf Mühlensuche im Landkreis<br />

Wechselvolle Geschichte einer<br />

Friedhofsmauer<br />

Campus für lebenslanges<br />

Lernen<br />

Bremens äußerster<br />

Vorposten<br />

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Titelbild:<br />

„Bacchus“ von Waldemar Otto, 2011,<br />

vor „Große Kunstschau Worpswede“<br />

Foto: Dr. Helmut Stelljes<br />

Foto: Erwin Duwe<br />

Siebdruck<br />

Digitaldruck<br />

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Ja, ich möchte den HEIMAT-RUNDBLICK abonnieren.<br />

Zum Jahresvorzugspreis von € 18,– einschl. Versand.<br />

Datum Unterschrift<br />

Name / Vorname<br />

Straße / Hausnummer<br />

PLZ / Ort<br />

Bezahlung:<br />

Überweisung auf Kto. 126 995 Kreissparkasse Lilienthal (BLZ 291 523 00)<br />

oder auf Kto. 73 1778 600 Volksbank Osterholz (BLZ 291 623 94)


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Harald Steinmann<br />

Redaktionssitzung Seite 4<br />

Manfred Simmering<br />

Auszeichnung für<br />

ehrenamtliches Wirken Seite 4<br />

Familie Noltenius<br />

Leserbrief zur Leserreise Seite 4<br />

Rupprecht Knoop<br />

Rückblick auf die Leserreise 2012 Seite 5<br />

Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 11<br />

Lesenswertes Seite 27, 28<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Hans Siewert<br />

Ein idyllisches Landhaus<br />

am Ufer der Hamme Seite 10 + 11<br />

Wilhelm Berger<br />

Von Teufelsmoor<br />

ins Teufelsmoor Seite 12 + 13<br />

Wilhelm Berger<br />

Die Findorff-Karte der Ortschaft<br />

Teufelsmoor im Original Seite 14 + 15<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Auf Mühlensuche im<br />

Landkreis Osterholz Seite 18<br />

Harry Schumm<br />

Die wechselvolle Geschichte<br />

einer Friedhofsmauer Seite 19<br />

Harry Schumm<br />

Die Speckmannstraße<br />

vor über 100 Jahren Seite 20 + 21<br />

Harald Steinmann<br />

Ein Stammbaum sagt<br />

mehr aus Seite 22 + 23<br />

Manfred Simmering<br />

Ein Museum in der Scheune Seite 23<br />

Horst Plambeck<br />

Bremens äußerster<br />

Vorposten Seite 26 + 27<br />

Kultur<br />

Helmut Stelljes<br />

Die „Kulturstiftung<br />

Landkreis Osterholz“ Seite 6<br />

Beate C. Arnold<br />

Die Malerei von Stefan Ettlinger Seite 7<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Zwei Preise für den Landkreis Seite 8 + 9<br />

Danke<br />

Für Spenden bedankt sich der Förderverein<br />

HEIMAT-RUNDBLICK e.V. bei<br />

Marta Gehrke, Buxtehude.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Dr. Ulrike Baumheier<br />

Campus für<br />

lebenslanges Lernen Seite 24 + 25<br />

Serie<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

Lach- und Torfgeschichten Seite 15<br />

Peter Richter<br />

Vor 100 Jahren Seite 16 + 17<br />

Bauernregeln Seite 25<br />

Mareike Haunschild<br />

Jugendseite –<br />

Landjugend Schwanewede Seite 29<br />

Kurt Ringen<br />

Blick in die Nachbarschaft:<br />

Das Kriegsende im<br />

Lager Sandbostel Seite 30 + 31<br />

Persönliches<br />

Manfred Simmering<br />

Hildegard Fittschen 90 Jahre Seite 21<br />

Nachruf Herbert Fittschen Seite 21<br />

Wilko Jäger<br />

Danke Hermann Gutmann 25<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 15. Februar 2013<br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />

Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />

Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />

Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />

202140.<br />

Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />

Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />

Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />

(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />

Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />

(Worpswede).<br />

Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens (Worpswede),<br />

Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann Giere<br />

(Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried Makedanz<br />

(Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum), Dieter<br />

Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen), Johannes<br />

Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-Scharmbeck),<br />

Erwin Simon (Ritterhude), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />

Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />

Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />

Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />

Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />

frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />

Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />

Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />

Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />

(BLZ 291 523 00) Konto-Nr. 126 995, Volksbank Osterholz<br />

eG (BLZ 291 623 94) Konto-Nr. 731 778 600.<br />

Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />

Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-Nr. 122 150, Volksbank<br />

Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-Nr. 732 737 400.<br />

Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />

Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />

Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />

Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />

Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />

Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />

Langenbruch in Lilienthal.<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

mit dem Ausklingen des Jahres 2012<br />

haben wir wieder ein erlebnisreiches<br />

Jahr gehabt und konnten viele interessante<br />

und neue Gesichter unserer<br />

<strong>Heimat</strong> kennenlernen, wie z.B. die<br />

Geschichte der Lilienthaler Äbtissin<br />

am Bremer Dom, einem Weltkulturerbe.<br />

Gerade die Suche nach<br />

immer neuen Themen und Reportagen<br />

hat sich Dank des Ehrgeizes<br />

unserer Redakteure als äußerst ergiebig<br />

gestaltet und so können wir<br />

unseren Lesern auch im Jahr 2013<br />

jede Menge Wissenswertes, Erstaunliches,<br />

Vergessenes und Neues aus<br />

unserer <strong>Heimat</strong> präsentieren.<br />

Dank unseres Redaktionsmitgliedes<br />

Horst Plambeck konnten bereits<br />

einige Artikel im Internet auf<br />

www.Wikipedia.de etabliert werden,<br />

was zu regem Interesse, sowohl am<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> als auch an den<br />

behandelten Themen, führte.<br />

Dass sich immer mehr Menschen mit<br />

ihrer <strong>Heimat</strong> befassen, zeigen neuerdings<br />

auch die vielen Beiträge in<br />

diversen Medien. Uns zeigt dies aber<br />

auch, dass der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>, der<br />

vor 26 Jahren von Manfred Simmering<br />

ins Leben gerufen wurde und<br />

von Jürgen Langenbruch mit dem<br />

selben Engagement fortgeführt wird,<br />

ein Magazin ist, für das sich dieser<br />

Einsatz lohnt.<br />

Mein Dank gilt dabei allen Mitwirkenden:<br />

den Redakteuren, dem Verleger,<br />

der Druckvorstufe, bei der alles<br />

eintrifft und Gestalt annimmt, den<br />

Korrekturlesern, welche in penibler<br />

Vorgehensweise die letzten Fehler<br />

beseitigen, und den fleißigen Händen<br />

beim Versand. Wir alle bedanken<br />

uns auch bei den treuen Lesern, ohne<br />

die es nicht möglich wäre, den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

so zu erhalten.<br />

Wir hoffen, dass Sie als Leser uns treu<br />

bleiben und wünschen Ihnen ein frohes<br />

Weihnachtsfest und ein erfolgreiches<br />

Jahr 2013.<br />

Ihr Tim Wöbbeking<br />

3


Redaktionssitzung<br />

Knapp 30 Personen hatten sich um den Tisch<br />

der Kulturstiftung Osterholz in Worpswede versammelt,<br />

als Karl-Heinz Marg, Vorsitzender des<br />

Kuratoriums der Kunststiftung, an dieser Stelle<br />

die Redaktion des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s begrüßte<br />

und einen kleinen Ablauf der Geschichte dieser<br />

Foto: H. Stelljes<br />

In diesem Jahr ging die Tagesfahrt ins Weserbergland<br />

nach Fürstenberg und Bodenwerder.<br />

Morgens früh um 6.30 Uhr ging es los. Wir erlebten<br />

einen wunderbaren Sonnenaufgang, der uns<br />

einen schönen Tag versprach.<br />

In Fürstenberg angekommen, konnten wir bei<br />

klarem Wetter weit ins Wesertal blicken. Sofort lag<br />

einem das Niedersachsenlied auf den Lippen, denn<br />

die Weser macht hier einen großen Bogen. In der<br />

Manufaktur wurden wir von einer freundlichen<br />

Gästeführerin begrüßt, die uns kompetent durch<br />

das Museum führte. Wir erfuhren, dass man zur<br />

Herstellung des Porzellans Kaolin, Quarz und Feldspat<br />

benötigt. Auch wurde uns gezeigt, welche<br />

Porzellanformen in welcher Epoche gebrannt wur-<br />

Einrichtung vortrug. Im Dezember 1999 wurde<br />

die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz” vom<br />

Landkreis und der Kreissparkasse Osterholz ins<br />

Leben gerufen. Sie hat das Ziel, Kunst und Kultur<br />

einschließlich der Belange der <strong>Heimat</strong>pflege<br />

im Landkreis Osterholz zu fördern und interessierte<br />

Privatpersonen und Unternehmer zu<br />

beteiligen. Zustiftungen und Zuwendungen<br />

sind möglich und erwünscht. Neben vielen<br />

anderen darf die Familie Reemtsma erwähnt<br />

werden, die sich besonders in Worpswede<br />

engagiert.<br />

Jürgen Langenbruch eröffnet den offiziellen<br />

Teil und bittet um Vorschläge für das Heft Nr.<br />

<strong>103</strong>. Alle schienen gut vorbereitet zu sein, denn<br />

die Liste war schnell gut gefüllt. An dieser Stelle<br />

wurde dem neuen Macher unseres <strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong>s für sein Entgegenkommen gedankt,<br />

die vereinbarte Seitenzahl hin und wieder zu<br />

Auszeichnung für ehrenamtliches Wirken<br />

Lilienthal. Für ihren langjährigen ehrenamtlichen<br />

Einsatz wurden unsere Redakteure Harald<br />

Kühn und Peter Richter im November im Rahmen<br />

einer Feierstunde besonders ausgezeichnet. Aus<br />

der Hand des Bürgermeisters Willy Hollatz erhielten<br />

beide die Ehrennadel der Gemeinde Lilienthal,<br />

die damit ihren Dank „für unermüdlichen und<br />

uneigennützigen Einsatz im Dienste der Bürgerinnen<br />

und Bürger“ ausdrückt. Schon in jungen Jahren<br />

setzten sich die beiden Geehrten besonders im<br />

kulturellen und politischen Bereich für die Belange<br />

Harald Kühn und Peter Richter. Foto: BR<br />

ihres <strong>Heimat</strong>ortes ein. In den Gründungsjahren<br />

des Ortsjugendrings übernahmen sie Verantwortung<br />

im Vorstand, die Partnerschaft mit der<br />

Gemeinde Stadskanaal in Holland wurde von<br />

ihnen mit auf den Weg gebracht. 40 Jahre lang<br />

begleiteten Peter Richter und Harald Kühn das Lilienthaler<br />

Geschehen kritisch-ironisch mit ihrem<br />

Kabarett „Die Schwertlilien“.<br />

Auseinandersetzung mit<br />

der Geschichte Lilienthals<br />

In den vergangenen Jahren setzten sich beide<br />

Mitglieder des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal in zwei<br />

Werken mit der jüngeren Ortsgeschichte auseinander.<br />

In ihrem Buch „Als die Hoffnung starb...“<br />

dokumentieren sie die Familiengeschichte und das<br />

Schicksal der jüdischen Familie Frank während der<br />

nationalsozialistischen Diktatur. Die mehrere<br />

Generationen in Lilienthal ansässige und geachtete<br />

Fotografenfamilie - ihre Kunstfotografien wurden<br />

in der ganzen Welt mit vielen Preisen ausgezeichnet<br />

- floh 1936 in die USA und entging damit<br />

Leserbrief zur Leserreise<br />

den. Wir sahen kunstvolle Sammlerstücke, Porzellan,<br />

das extra für Adelshäuser hergestellt wurde;<br />

aber auch Porzellan, welches große Hotels, wie z.B.<br />

Heiligenhafen und Dubai, in Fürstenberg bestellt<br />

haben. In einer Schauwerkstatt sahen wir den<br />

Handwerkern bei der Arbeit zu.<br />

Nach einem guten Mittagessen im Schloss-Café<br />

ging die Fahrt wieder Richtung Norden nach<br />

Bodenwerder. Im Münchhausen-Museum erwartete<br />

uns eine Gästeführerin, die uns in launiger<br />

Form, gespickt mit Anekdoten und Lügengeschichten<br />

des Barons, alles Wissenswerte über den<br />

Baron v. Münchhausen erzählte. So z.B. erfuhren<br />

wir, dass der Baron seine Lügengeschichten in<br />

vergnügter Runde seinen Freunden erzählte. Ver-<br />

überschreiten. Jürgen Langenbruch quittiert<br />

den Beifall mit einem Lächeln.<br />

Horst Plambeck ist ein<br />

großer Wurf gelungen<br />

Aus der Redaktionsrunde ist Horst Plambeck<br />

ein großer Wurf gelungen. Der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

hat einen festen Platz im Internet-Lexikon<br />

Wikipedia gefunden. Geben Sie bei Google <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

ein, so finden Sie unser Heft an<br />

der ersten Stelle auf der Ergebnisliste! Mit vielen<br />

Informationen zu unserer eigenen<br />

Geschichte.<br />

Am Rande wurde bemerkt, dass der <strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong> seine Redaktionssitzungen an immer<br />

wechselnden Orten abhält. So am 26. Januar<br />

2013 im Schmiedemuseum in Beckedorf.<br />

Harald Steinmann<br />

dem schlimmen Schicksal der Juden Deutschlands<br />

und Europas während dieser Zeit. Das mittlerweile<br />

vergriffene und vielbeachtete Buch gehört zum<br />

Bestand vieler Bibliotheken, u.a. im Holocaust-<br />

Memorial in New York und im Landtag in Hannover.<br />

„Zeitreise - 775 Jahre Lilienthal“ entstand im<br />

Jahre 2007 und stellt die Ortsgeschichte Lilienthals<br />

von der Gründung 1232 bis in die heutige Zeit<br />

dar. Dabei legten die Autoren besonderes Augenmerk<br />

auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die<br />

Nachkriegszeit, in der die Entwicklung Lilienthals<br />

vom Neubeginn und von der Eingliederung vieler<br />

Vertriebener in Lilienthal geprägt wurde.<br />

Bürgermeister Hollatz erwähnte darüber hinaus<br />

den besonderen Einsatz der beiden im Rahmen<br />

der Familienforschung um die Nachfahren von<br />

Amtmann und Astronom Johann Hieronymus<br />

Schroeter und die gelungenen Ausstellungen zur<br />

Ortshistorie im Museum des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal.<br />

Der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> freut sich mit den beiden<br />

Geehrten und gratuliert ganz herzlich.<br />

Manfred Simmering<br />

öffentlicht wurden seine Geschichten aber zuerst<br />

von R.E. Raspe und G.A. Bürger Mitte des 18. Jahrhunderts,<br />

sehr zum Ärger des Barons.<br />

Im Anschluss hatten wir noch Gelegenheit, uns<br />

die schöne kleine Weserstadt anzusehen. An vielen<br />

Ecken stehen Figuren, die den Baron darstellen und<br />

von seinen Lügengeschichten erzählen.<br />

Nach einem gemütlichen Kaffeetrinken ging es<br />

dann zurück. Ein besonderer Abschluss dieser interessanten<br />

und unterhaltsamen Reise war, dass uns<br />

ein wunderschöner Sonnenuntergang nach Hause<br />

begleitete. Diese Fahrt war wieder einmal ein Erlebnis,<br />

für das man den Verantwortlichen nur danken<br />

kann. Wir freuen uns auf das nächste Jahr!<br />

Familie Noltenius<br />

4 RUNDBLICK Herbst 2012


Rückblick auf die Leserreise 2012<br />

Porzellanmanufaktur Fürstenberg und Münchhausen-Museum in Bodenwerder<br />

Mit einer Busfahrt ins Weserbergland,<br />

nach Fürstenberg und Bodenwerder am<br />

29. September, konnte auch in diesem Jahr<br />

die Reihe der nun schon über 10 Jahre<br />

stattfindenden Leserreisen, auf den Spuren<br />

deutscher Literaten, fortgesetzt werden.<br />

Nach ca. 3 1/2 Stunden Fahrtzeit war das<br />

erste Tagesziel, die hoch über der Weser<br />

thronende Schlossanlage Fürstenberg mit<br />

der gleichnamigen Porzellanmanufaktur,<br />

erreicht. Aufgeteilt in zwei Besuchergruppen<br />

folgte eine Führung durch die verschiedenen<br />

Schauräume der Porzellanmanufaktur<br />

im Schloss, bei der nicht nur<br />

umfangreiche Kunstgegenstände aus Porzellan<br />

aus den vergangenen Jahrhunderten<br />

und aus der Neuzeit gezeigt wurden, sondern<br />

auch Gebrauchsporzellane aus den<br />

verschiedensten Stilepochen bis in die heutige<br />

Zeit. Die Porzellanmanufaktur, im Jahre<br />

1747 durch Herzog Carl I. von Braunschweig<br />

mit der Anordnung gegründet,<br />

man möge „allen möglichsten Fleiß und<br />

Bemühung anwenden“, um im Jagdschloss<br />

Fürstenberg Porzellan herzustellen, gehört<br />

heute mit zu den ältesten und renommiertesten<br />

Porzellanmanufakturen Europas.<br />

Nach einem guten Mittagessen im<br />

Schlosscafe und Restaurant „Lottine“ der<br />

Hieronymus Carl Friedrich Münchhausen in Bodenwerder.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Schlossanlage Fürstenberg sowie einem<br />

kleinen Einkaufsbummel durch die Verkaufsräume<br />

der Porzellanmanufaktur ging<br />

es weiter nach Bodenwerder zum Münchhausen-Museum,<br />

unserem zweiten Tagesziel,<br />

dem eigentlichem Programmpunkt<br />

„auf den Spuren deutscher Literaten“ der<br />

diesjährigen Leserreise.<br />

Nach einem halbstündigen Vortrag über<br />

den Baron von Münchhausen mit all den<br />

sonderbaren, unglaublichen Geschichten,<br />

wie in dem Münchhausen-Buch des deutschen<br />

Dichters Gottfried August Bürger,<br />

nach einer Vorlage des in England lebenden<br />

deutschen Gelehrten Rudolf Erich Raspe,<br />

aufgeschrieben und 1786 in Göttingen veröffentlicht,<br />

folgte ein Rundgang durch die<br />

Ausstellungsräume des Museums. Wobei<br />

neben den vielen Schriftstücken und Dokumenten<br />

über das bewegte Leben des<br />

Barons von Münchhausen auch etliche aus<br />

den Lügengeschichten bekannte Kuriositäten<br />

zu sehen waren.<br />

Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von<br />

Münchhausen wurde 1720 in Bodenwerder<br />

geboren, ging mit 13 Jahren in die Dienste<br />

des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel<br />

und folgte 1738 seinem<br />

Herrn nach Petersburg. Er nahm in die-<br />

Bilder oben: Porzellanmanufaktur Fürstenberg.<br />

ser Verbindung an mehreren russischen<br />

Kriegen teil, kam danach in die Garnisonsstadt<br />

Riga und kehrte um 1750 nach<br />

Deutschland zurück, heiratete und lebte,<br />

wie ein Landedelmann, auf dem ererbten<br />

Gut in Bodenwerder an der Weser. Er pflegte<br />

einen geselligen Verkehr mit seinen Gutsnachbarn,<br />

in dessen Verlauf er anfangs im<br />

Freundeskreis und später vor Gästen aus<br />

Bodenwerder immer wieder von seinen<br />

nicht immer ganz so glaubhaften Abenteuern<br />

erzählte. Was ihm im späteren Verlauf<br />

dann auch die Bezeichnung „Lügenbaron“<br />

einbrachte. Im Jahre 1797 verstarb<br />

Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen.<br />

Seine Geschichten hingegen sind durch<br />

die Nacherzählungen von verschiedenen<br />

Autoren bis heute lebendig geblieben.<br />

Darüber hinaus wird mit dem Münchhausen-Museum<br />

sowie dem Münchhausen-Brunnen<br />

in der Fußgängerzone von<br />

Bodenwerder, mit den verschiedenen<br />

Figuren aus einigen der bekannten Lügengeschichten,<br />

an den bekannten Bürger der<br />

Stadt erinnert.<br />

Mit einem kleinen Rundgang durch die<br />

Altstadt von Bodenwerder sowie einer kleinen<br />

Kaffeepause in einem Bodenwerder<br />

Café war auch wieder die Zeit gekommen,<br />

die Rückfahrt nach Lilienthal anzutreten.<br />

Ein Tag mit vielen Eindrücken war zu<br />

Ende gegangen.<br />

Text: Rupprecht Knoop<br />

Fotos: H. Stelljes<br />

5


Die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />

Über die „Kulturstiftung Landkreis<br />

Osterholz“ hat der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> nach<br />

einem Gespräch mit dem Kuratoriumsvorsitzenden<br />

Karl-Heinz Marg im Heft Nr. 59<br />

berichtet. Mit der Gründung der Stiftung<br />

am 21. Dezember 1999 sollte „der Landkreis<br />

zum einen entlastet, zum anderen<br />

(sollten) damit neue Impulse für Kunst und<br />

Kultur gegeben werden“ (HR Nr. 59, Seite<br />

4). Seit der Gründung der Kulturstiftung ist<br />

im Rahmen der Erhaltung der historischen<br />

Bauten des Bildhauers und Architekten<br />

Bernhard Hoetger im Künstlerdorf<br />

Worpswede bis zum Jahre 2012 Beachtliches<br />

von der Stiftung geleistet worden.<br />

Die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />

wurde schon bald nach der Gründung mit<br />

einem dramatischen Zustand am Kaffee<br />

Worpswede konfrontiert, denn der historische<br />

Giebel drohte einzustürzen. Die Einrichtung<br />

musste innerhalb kürzester Zeit eine<br />

Geldsumme von 500 000 € aufbringen,<br />

sodass sowohl der Giebel als auch der<br />

gesamte Baukomplex des Kaffee Worpswede<br />

von innen und von außen saniert werden<br />

konnte. Der Kuratoriumsvorsitzende Karl-<br />

Heinz Marg war damals zugleich Vorstandsvorsitzender<br />

der Kreissparkasse Osterholz.<br />

Bauwerk Hoetgers<br />

konnte gerettet werden<br />

Insofern hatte er hilfreiche Verbindungen zu<br />

Geldgebern und Förderern der Kulturstiftung.<br />

Da es in dieser speziellen Situation um<br />

das Baudenkmal des Architekten Bernhard<br />

Hoetger ging, war die Bereitschaft der Spender<br />

offenkundig vorhanden. Das expressionistische<br />

Bauwerk des Architekten Hoetger<br />

konnte gerettet und insofern für die Nachwelt<br />

erhalten werden.<br />

Nachdem die Sanierungsarbeiten am<br />

Kaffee abgeschlossen waren, da kündigte<br />

sich unerwartet ein weiteres beängstigendes<br />

Problem an. Entsprechend dem Urteil<br />

von Bauexperten drohte die Rotunde der<br />

Großen Kunstschau einzustürzen. Von den<br />

22 Holzbalken, die die Dachkonstruktion<br />

trugen, war die Hälfte der Träger völlig<br />

marode. Nur weil die Rotunde als ein<br />

Gesamtkonstrukt arbeitete, war das Dach<br />

an den unbeschädigten Stützen hängen<br />

geblieben. Schneller als gedacht und zuvor<br />

geplant, musste die Kulturstiftung diese<br />

gefährliche Herausforderung annehmen.<br />

Die Große Kunstschau wurde zunächst<br />

wegen der Einsturzgefahr der Rotunde<br />

sofort für den Publikumsverkehr geschlossen.<br />

Zwar war zu diesem Zeitpunkt die<br />

Schließung der Kunstschau denkbar<br />

ungünstig, zumal die kostenaufwändige<br />

Restaurierung des Barkenhoffs durch die<br />

Barkenhoffstiftung und den Landkreis<br />

Osterholz gerade beendet worden war.<br />

Der Landkreis hat jedoch der Kulturstiftung<br />

schnell und unkompliziert geholfen,<br />

Kuratoriumsvorsitzender Karl-Heinz Marg.<br />

sodass die Grundfinanzierung erst einmal<br />

gesichert wurde. Außerdem ergab sich als<br />

ein besonderer Glücksfall, dass das Ehepaar<br />

Rheemsma auf Einladung des Kuratoriumsvorsitzenden<br />

Karl-Heinz Marg die<br />

Finanzierungsprobleme bei der Restaurierung<br />

der Architektur von Bernhard Hoetger<br />

positiv beantwortete. Für die Wiederherstellung<br />

der Großen Kunstschau stellte<br />

Reemtsma-Stiftung stellte<br />

650 000 € zur Verfügung<br />

die Reemtsma-Stiftung der Kulturstiftung<br />

einen Betrag von 650 000 € zur Verfügung.<br />

Diese beachtliche Geldsumme der<br />

Reemtsma-Stiftung beschreibt Karl-Heinz<br />

Marg als Initialzündung, um am Ende den<br />

Gesamtbetrag „von 3,4 Mill. € auf die<br />

Beine zu stellen“. Neben den großen<br />

Spenden für das Sanierungsprojekt nennt<br />

Marg die Aktivierung von Bürgersinn und<br />

Bürgerhilfe, denn das war die Voraussetzung,<br />

die übrigen Fördermittel einbringen<br />

zu können. Sowohl mit der „Bausteinaktion“<br />

als auch durch den Verkauf der<br />

„Tine“ sind immerhin 300 000 € zusammengekommen.<br />

Gerade dieses Vorgehen<br />

der Kulturstiftung hat das Ehepaar<br />

Reemtsma nachhaltig beeindruckt.<br />

„Die Kulturstiftung ist eine Einrichtung,<br />

die das alles möglich gemacht hat“, betont<br />

Karl-Heinz Marg im Gespräch. „Wer<br />

schenkt einer Kommune Geld? Oder wer<br />

schenkt der Kommune Kunst? Das sind<br />

wohl seltene Fälle. Wir haben Spendenund<br />

Fördergelder von über 3 Mill. € eingeworben.<br />

Der Landkreis Osterholz und<br />

auch die Gemeinde Worpswede hätten<br />

diese Beträge nicht bekommen“.<br />

Die erforderlichen Sanierungsarbeiten<br />

des historischen Hoetger-Ensembles sind<br />

inzwischen abgeschlossen. Der Name<br />

„Roselius-Museum“ gehört seit der bauli-<br />

chen Umgestaltungen der Vergangenheit<br />

an. Die Museumsanlage heißt zukünftig<br />

„Große Kunstschau Worpswede“. Diese<br />

historische Bezeichnung hat für den Künstlerort<br />

immer eine positive Bedeutung<br />

gehabt. Im Rahmen der umfangreichen<br />

Baumaßnahmen sind gleichzeitig die<br />

sicherheits- und klimamäßigen Voraussetzungen<br />

für die gesamte Museumsanlage<br />

geschaffen worden. Während der Sanierung<br />

wurde insofern großer Wert darauf<br />

gelegt, dass die Sicherheits- und Klimabedingungen<br />

den hohen nationalen wie<br />

internationalen Ansprüchen gerecht wurden,<br />

sodass hochrangige Kunstausstellungen<br />

mit Leihgaben aus externen Museen<br />

möglich sind.<br />

Die zukunftsgerechte Sanierung des<br />

Museums soll durch einen vorgelagerten<br />

Kunstpark mit Skulpturen gestaltet werden.<br />

In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde<br />

und mit dem Land Niedersachsen<br />

liegt bereits eine Planung vor.<br />

Eine markante Skulptur vor dem Hoetger-Ensemble<br />

ist der Bacchus-Brunnen,<br />

dessen füllige Figuren der Bildhauer Waldemar<br />

Otto extra für diesen Platz 2010<br />

geschaffen hat. Der Brunnen ist von einer<br />

Mauer eingerahmt, die aus den gespendeten<br />

„Bausteinen“ entstanden ist, in die<br />

jeweils Namen der über 600 Spender eingearbeitet<br />

sind. Die Skulptur von Waldemar<br />

Otto, ein Eigentum der Stiftung, ist<br />

„ein Geschenk für die Bürgerinnen und<br />

Bürger des Landkreises Osterholz und die<br />

Besucher Worpswedes“ und wurde von<br />

Ilse und Dieter Nehlsen gestiftet.<br />

Zu der „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />

gehört ebenso das „<strong>Heimat</strong>-<br />

Museum“ in Osterholz-Scharmbeck. Auch<br />

mit diesem Museum werden sich zukünftig<br />

für die Kulturstiftung erhebliche Sanierungsprobleme<br />

stellen. Die „Graphothek“,<br />

die ursprünglich in Worpswede beherbergt<br />

war, bedient die Kulturstiftung heute<br />

auf Gut Sandbeck, Osterholz-Scharmbeck.<br />

Aus der Satzung der Kulturstiftung ergeben<br />

sich unter anderem weitere Themen<br />

wie die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit<br />

in dem Feld der Kunst und Kultur.<br />

Auch den Bereich der wissenschaftlichen<br />

Forschung unterstützt die Kulturstiftung.<br />

Hier hat sich der Förderverein „Worpsweder<br />

Gesellschaft für Kunst, Kultur und Wissenschaft“<br />

wiederholt mit hilfreichen Förderbeiträgen<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Gründung war<br />

absolut sinnvoll<br />

Die erfolgreichen und positiven Aktivitäten<br />

der Kulturstiftung haben in der Zeit<br />

nach 1999 deutlich gemacht, dass es absolut<br />

sinnvoll war, die „Kulturstiftung Landkreis<br />

Osterholz“ zu gründen.<br />

Text und Foto: Dr. Helmut Stelljes<br />

6 RUNDBLICK Herbst 2012


„…ein Wechsel zwischen Zufall und Eingreifen“<br />

Die Malerei von Stefan Ettlinger<br />

Worpswede. Im Rahmen der Ausstellungsreihe<br />

„Worpswede zeitgenössisch“<br />

der Worpsweder Museen ist bis zum 27.<br />

Januar 2013 im Barkenhoff die Ausstellung<br />

„Stefan Ettlinger. Malerei.“ zu sehen. Der<br />

Künstler lebte und arbeitete im Jahr 2004<br />

für neun Monate als Stipendiat der Künstlerhäuser<br />

Worpswede auf dem Barkenhoff<br />

und kehrt nun mit seinen Werken hierher<br />

zurück.<br />

Stefan Ettlinger, geboren 1958 in Nürnberg,<br />

studierte von 1980 bis 1988 an der<br />

Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf<br />

bei Alfons Hüppi. Bereits während dieses<br />

Studiums – ab 1985 als Meisterschüler –<br />

ging seine künstlerische Arbeit weit über<br />

die Malerei hinaus. Filme, Musik und Performances<br />

setzte er unter anderem in der<br />

Künstlergruppe „Anarchistische Gummizelle“<br />

um. Eigene Projekte wie Videos und<br />

Musikperformances folgten, seit den<br />

frühen 1980er Jahren produziert Ettlinger<br />

Musik. Er bezeichnet sich jedoch gern als<br />

„Amateurmusiker“, offizielle Tonträgerveröffentlichungen<br />

hat es bis heute nicht<br />

gegeben. In erster Linie, so sagt der Künstler<br />

über sich selbst, sei er Maler.<br />

Die Motive für seine oft großformatigen<br />

Gemälde findet Ettlinger in der unermesslichen<br />

Bilderflut unserer multimedialen Welt.<br />

Konsequent nutzt er vorhandenes Material<br />

als Vorlage für seine Darstellungen: Illustriertenfotos,<br />

Postkarten, Buchillustrationen,<br />

Stills aus Fernseh- und Videofilmen,<br />

insbesondere aber auch Fotografien.<br />

Aus seiner umfangreichen und ständig<br />

weiter wachsenden Sammlung erstellt Ettlinger<br />

schrittweise immer wieder neue<br />

Pools von potenziellen Bildvorlagen. Die<br />

Methode der endgültigen Auswahl des<br />

Ursprungsmaterial für seine Werke steht<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Die Ausstellung von Stefan Ettlinger im Barkenhoff.<br />

schließlich im Gegensatz zu dieser gezielten<br />

ästhetischen Zusammenstellung: Ettlinger<br />

lost die Vorlagen aus einem Bilderpool<br />

aus. Eine Äußerung des Künstlers<br />

bezüglich seiner Maltechnik kann synonym<br />

auch für diese Vorgehensweise verstanden<br />

werden: „Es ist immer ein Wechsel<br />

zwischen Zufall und Eingreifen“. 1 )<br />

Einfrieren eines sehr<br />

flüchtigen Moments<br />

Thematisch sind für den Künstler nahezu<br />

alle Bereiche des (alltäglichen) Lebens von<br />

Interesse: belebte Natur, gestaltete Landschaft,<br />

Menschengruppen und Einzelpersonen,<br />

auch Architekturen und Technisches,<br />

wobei der Kontext sowohl zeitgenössisch<br />

als auch historisch sein kann. Durch die<br />

Kombination und malerische Bearbeitung<br />

von zwei oder drei thematisch voneinander<br />

unabhängigen Motiven entstehen spannungsreiche,<br />

fiktive Szenerien, die den<br />

ursprünglich dokumentarischen Charakter<br />

der Vorlagen, beispielsweise der Fotografien,<br />

aufheben. Auch die Nutzung einzelner<br />

Szenen aus Actionfilmen widerspricht der<br />

eigentlichen Logik des Mediums, ermöglicht<br />

dabei durch das Einfrieren eines sonst<br />

sehr flüchtigen Moments eine völlig andere<br />

Wahrnehmung des Geschehens. Dieser Perspektivwechsel,<br />

die Aufhebung erzählender<br />

Kontinuität, die durch die Parallelität realistischer<br />

und abstrakter Bildelemente, Auslassungen<br />

oder Doppelungen im Bild erzielt<br />

wird, ist elementarer Teil aller Werke.<br />

Ettlinger verweigert uns in seinen Arbeiten<br />

die übliche Form der Wahrnehmung.<br />

Unsere Fähigkeit, komplexe Zeichensätze<br />

blitzartig zu dekodieren und sie mit einem<br />

Kanon aus Vorwissen, Erfahrung und<br />

Erwartung in Zusammenhänge einzuord-<br />

nen, wird außer Kraft gesetzt. Zwar erkennen<br />

wir auf Ettlingers Bildern auch Bekanntes<br />

– doch was auf den ersten Blick als<br />

Gesamtheit erscheint, erweist sich beim<br />

abermaligen Hinsehen als trügerisch.<br />

Und das ist gewollt. Ettlinger versucht<br />

keine ‚Nacherzählung’ einer (subjektiven)<br />

Wirklichkeit, ihn interessiert das Zusammenspiel<br />

von Situationen, die nicht zueinander<br />

gehören. Solche Situationen bringt<br />

er in einer ganz eigenen ästhetischen Bildsprache<br />

auf dem Malgrund miteinander in<br />

Verbindung. Unser reflexartiger Versuch,<br />

dem Gesehenen eine eindeutige Bewertung<br />

zuzuordnen, misslingt. Ettlingers Bilder<br />

faszinieren nicht zuletzt durch ihre Vielschichtigkeit,<br />

sie lassen breiten Raum für<br />

Suggestion und Imagination. Dem Künstler<br />

selbst bietet diese Vielschichtigkeit<br />

auch die Chance, sich der thematischen<br />

Festlegung zu entziehen und eine eindimensionale,<br />

konkrete Einordnung seiner<br />

Arbeit zu verhindern.<br />

Zur Ausstellung, die durch die freundliche<br />

Unterstützung der Stiftung Niedersachsen<br />

und des Landschaftsverbands<br />

Stade ermöglicht wurde, ist eine Publikation<br />

erschienen. Sie ist für € 8 im Barkenhoff<br />

erhältlich (täglich geöffnet von 10 bis<br />

18 Uhr).<br />

Beate C. Arnold<br />

1 ) „… die Luft herausgelassen und irgend<br />

etwas Luftähnliches hineingetan…“. Ein<br />

Gespräch mit Stefan Ettlinger, von Matthias<br />

Winzen, in: Stefan Ettlinger – Malerei.<br />

Publikation zur gleichnamigen Ausstellung<br />

im Museum Haus Esters, Krefeld<br />

(8. 9. bis 3. 11. 2002) und der Staatlichen<br />

Kunsthalle Baden-Baden (28. 11.<br />

2003 bis 25. 11. 2004), Hrsg. Krefelder<br />

Museen, Krefeld 2002, S. 48.<br />

7


Aus(sen)sichten und Innensichten<br />

Zwei Preise für den Landkreis Osterholz<br />

Gewonnen hat der Landkreis Osterholz,<br />

und das gleich doppelt! Zwei Auszeichnungen<br />

des „BDA Preises Niedersachsen<br />

2012“ gingen an den Landkreis Osterholz.<br />

Der „BDA Preis Niedersachsen“ ist der<br />

bedeutendste Architekturpreis in Niedersachsen<br />

und durch „die gemeinsame Auszeichnung<br />

von Architekten und Bauherren“<br />

ein besonderer Preis. Mit diesem wird<br />

unterstrichen, „dass herausragende Architektur<br />

nur im konstruktiven Zusammenwirken<br />

eines qualitätsbewussten Bauherrn<br />

und eines leidenschaftlichen Architekten<br />

entsteht.“<br />

Alle drei Jahre zeichnet der Bund Deutscher<br />

Architekten in Niedersachsen seit<br />

Mitte der 70er Jahre mit dem Preis „beispielgebende<br />

baukünstlerische Leistungen<br />

für ein Bauwerk, eine Gebäudegruppe,<br />

eine städtebauliche Anlage“ aus.<br />

Der Landkreis Osterholz lud am 12. 11.<br />

2012 nach Osterholz-Scharmbeck in das<br />

Foyer des Kreishauses an der Osterholzer<br />

Landstraße zur Eröffnung der Ausstellung<br />

„BDA Preis Niedersachsen 2012“. Die Ausstellung<br />

zeigt die Arbeiten von neunzehn<br />

Preisträgern auf insgesamt 38 Ausstellungstafeln.<br />

In der Einladung verkündete Landrat Dr.<br />

Jörg Mielke stolz:<br />

„Gleich zwei Projekte im Landkreis<br />

Osterholz wurden ausgezeichnet: der Bau<br />

von Aussichtsplattformen im Teufelsmoor<br />

sowie die Modernisierung und Erweiterung<br />

des Roselius-Museums in Worpswede.“<br />

Bauherr des ersten Projektes war die<br />

Naturschutzbehörde des Landkreises<br />

Osterholz und des zweiten die Kulturstiftung<br />

Landkreis Osterholz.<br />

Aussichten im Teufelsmoor<br />

So nennen sich die vom Bremer Architekten<br />

Johannes Schneider gelösten Bauaufgaben<br />

für den Landkreis, den Bau von<br />

Aussichtsplattformen im Naturschutzgebiet<br />

Teufelsmoor in der Nähe von Neuenfelde<br />

und in den Linteler Weiden.<br />

In einem der wertvollsten Feuchtgebiete<br />

Norddeutschlands, der Niederung der<br />

Hamme, hat der Landkreis Osterholz im<br />

Rahmen eines europäischen Naturschutzprojektes<br />

viele Maßnahmen zur Erhaltung<br />

und Renaturierung naturnaher Lebensräume<br />

umgesetzt. Um diese einzigartige<br />

Natur mit „Fauna-Flora-Habitat- und<br />

Vogelschutzgebiet für Besucher erlebbar<br />

zu machen, wurde für Schulklassen,<br />

Ornithologen, Naturliebhaber, Wanderer,<br />

Radler, Sportler ein umfangreiches Wegenetz<br />

geschaffen. An ausgesuchten Standorten<br />

an diesen Wegen ließ der Landkreis<br />

Aussichtspunkte einrichten, die den Besu-<br />

Die Blickbox in den Postwiesen, von der aus man die Tierwelt unbemerkt beobachten kann.<br />

chern „ungewohnte Aussichten in die<br />

weite und offene Niederungslandschaft“<br />

ermöglichen. Es entstanden eine Beobachtungshütte<br />

und zwei Aussichtstürme, die<br />

sich im Laufe der Zeit „auf natürliche<br />

Weise“ in die Landschaft einpassen. Gefertigt<br />

aus unbehandeltem, einheimischem<br />

Lärchen- und Eichenholz fügen sich diese<br />

in vorhandene Baumreihen und Gehölze<br />

ein, sind jedoch durch ihre Bauform „auch<br />

Skulptur und Landmarke“.<br />

Beobachtungsplattform „Blickbox“:<br />

„Die „Blickbox“ in den Postwiesen ist ein<br />

Pfahlbau, der sich in einen langen<br />

Gebüschstreifen einbettet. Das Gebäude<br />

ist über einen Holzsteg zu erreichen. Von<br />

innen ist der Raum hell, Sitzbänke laden<br />

zum Verweilen ein und Podeste bieten<br />

unterschiedliche Stehhöhen an. In diesem<br />

etwa 18 qm großen Beobachtungsstand,<br />

der auch Regenschutz bietet, sind die<br />

Wände so gegeneinandergesetzt, dass<br />

kein Durchblick, sondern nur ein Ausblick<br />

möglich ist. Von außen bleiben Besucher<br />

von der Tierwelt unbemerkt. Besonders<br />

Die Himmelstreppe in Neuenfelde, Höhe knapp 10 m.<br />

während der winterlichen Überschwemmungen<br />

schwimmt sich das Gebäude frei,<br />

und es können Schwäne, Graugänse und<br />

andere nordische Gast- und Rastvögel<br />

beobachtet werden.“<br />

Aussichtsturm „Himmelstreppe“: „Die<br />

Himmelstreppe in Neuenfelde bildet die<br />

Verlängerung einer Baumreihe, die parallel<br />

zu einem Graben und einem Waldstreifen<br />

liegt. Etwa 50 Eichenstufen führen bis in<br />

etwa 10 m Höhe. Auf etwa 2/3 Höhe bietet<br />

eine Aussichtsplattform einen überdachten<br />

Sitzplatz. Die tragende Konstruktion<br />

aus verzinktem Stahl wurde fast vollständig<br />

mit Latten aus Lärchenholz<br />

beplankt. Die einzelnen Bauteile wie<br />

Treppe und Aussichtskorb sind durch<br />

Fugen mit Gitterrosten abgesetzt. Der<br />

Turm ist mit fünf je 15 m langen Stahlrohrpfählen<br />

gegründet. Die Himmelstreppe<br />

bietet eine attraktive Aussicht auf<br />

die Moorwiesen bis zum Weyerberg in<br />

Worpswede. Beobachtet werden können<br />

tausende von Wiesenvögeln während der<br />

Balz- und Mauserzeit.“<br />

8 RUNDBLICK Herbst 2012


Aussichtsturm „Weidenkorb“: „Der Weidenkorb<br />

ist ein etwa 12 m hoher runder<br />

Aussichtsturm im Ortsteil Linteler Weiden.<br />

Er steht zwischen einem Lärchenwäldchen<br />

und lässt ein im Moor traditionelles grobes<br />

Korbgeflecht assoziieren. Gekreuzt und<br />

diagonal verbundene Stäbe aus Lärchen-<br />

Vollholz tragen eine Aussichtsplattform,<br />

die über eine Spindeltreppe zu erreichen<br />

ist. Die Spindel aus Stahlrohr und die<br />

gekreuzten Rundhölzer bilden eine tragende<br />

Mischkonstruktion. Der Weidenkorb<br />

ermöglicht einen weiten Blick aus der<br />

Vogelperspektive in die Niederung der<br />

Hamme mit ihren Altarmschleifen, auf<br />

angrenzende Nasswiesen, Staudenflure<br />

und Röhrichte und auf die Rastplätze zahlreicher<br />

Sing- und Zwergschwäne, Grau-,<br />

Bless- und Saatgänse.“<br />

Jurybegründung: „Alle drei Objekte sind<br />

gleichermaßen überlegt positionierte<br />

Kunstobjekte, aber auch eine Einladung<br />

zum Entdecken und Erleben. Es gelingt<br />

jeweils der Anspruch, einen genauen Fokus<br />

auf ein bereits vorhandenes Naturerlebnis<br />

zu setzen. Obwohl jedes Objekt die Eigenart<br />

seines Ortes individuell stärkt, gehören<br />

alle zusammen und bilden eine definierte<br />

Gruppe. Der Wiedererkennungswert der<br />

Bauwerke steht im richtigen Kontext dazu,<br />

ein weitläufiges Gebiet in seiner Ausdehnung<br />

erfahrbar zu machen und seine Identität<br />

zu fördern. Die Verfasser schaffen eine<br />

eigenständige Typologie, die für andere<br />

Standorte sogar erweiterbar erscheint. In<br />

nahezu selbstverständlicher Klarheit fügen<br />

sich dabei tragende Stahlkonstruktion und<br />

raumbildende Holzverkleidungen.“<br />

Innensichten:<br />

Modernisierung und<br />

Erweiterung Roselius-<br />

Museum Worpswede -<br />

eine Innenerweiterung<br />

Diese Bauaufgabe löste die Architektengruppe<br />

Rosengart + Partner aus Bremen<br />

für die Kulturstiftung Landkreis Osterholz.<br />

Aufgabe war „die Sanierung und Erweiterung<br />

des Roselius-Museums als neuer<br />

Bestandteil der „Großen Kunstschau“ in<br />

Worpswede. Umgesetzt wurde die Aufgabe<br />

„im Rahmen des Masterplans<br />

Worpswede mit Mitteln des Europäischen<br />

Fonds für regionale Entwicklung durch das<br />

Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft,<br />

Arbeit und Verkehr, den Landkreis<br />

Osterholz und die Gemeinde Worpswede“.<br />

Bauaufgabe war das unter Denkmalschutz<br />

stehende vorhandene Gebäude, 1972 von<br />

dem bekannten Architekten Gerhard Müller-<br />

Menkens erbaut, zu sanieren und zusätzliche<br />

Ausstellungs- und Depotflächen im ehemaligen<br />

Innenhof zu schaffen.<br />

Bautechnische Details: Mit den Räumen<br />

der historischen „Großen Kunstschau“<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Die „Große Kunstschau Worpswede“.<br />

entstand durch die Erweiterung mit Neubauten<br />

im ehemaligen Innenhof ein<br />

Museum mit insgesamt 920 qm Fläche. Zu<br />

den im Altbau vorhandenen „alten Hängehöhen“<br />

von drei Metern kommen nun<br />

mit dem Neubau Flächen mit fünf und sieben<br />

Metern Höhe hinzu. Diese neuen Ausstellungshallen<br />

erhielten eine „Folien-<br />

Lichtdecke für unterschiedliche Beleuchtungsszenarien“<br />

und die vorhandenen<br />

Sheddach-Verglasungen ein „hochdiffuses<br />

Museumsglas“. Damit blieb „das Haus<br />

auch weiterhin ein Tageslichtmuseum“.<br />

Mit dem Einbau von Aufzugsanlage, Rollstuhlrampen,<br />

behindertengerechten Toiletten,<br />

Garderobenanlagen entspricht der<br />

Umbau heutigen Anforderungen.<br />

Jurybegründung: „Die Erweiterung des<br />

1971 errichteten Museums ist ein gelungenes<br />

Beispiel für den respektvollen<br />

Umgang mit Bauten der Nachkriegsmo-<br />

derne. Durch die Überbauung des Innenhofes<br />

wird das Museum gleichsam „nach<br />

innen“ erweitert. Zwei Oberlichtsäle bieten<br />

in Ergänzung der bestehenden, eher<br />

kleinteiligen Ausstellungsflächen eine neue<br />

Raumqualität an, die auch für großformatige<br />

Arbeiten geeignet ist.<br />

Mit dieser so selbstverständlich erscheinenden<br />

Einfügung gewinnt das Museum<br />

eine lichte und großzügige Mitte, ohne<br />

dass dafür der Charakter des bestehenden<br />

Hauses in Frage gestellt werden müsste.“<br />

Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />

Fotos: Bund Deutscher Architekten<br />

in Niedersachsen e.V.<br />

Quellen:<br />

Bund Deutscher Architekten in Niedersachsen<br />

e.V. -Hg.- BDA Preis Niedersachsen 2012<br />

Dokumentation des BDA Preises Niedersachsen<br />

2012 u. Katalog zur Ausstellung, Hannover<br />

2012<br />

Modern, klar und mit neuen Rollstuhlrampen, präsentiert sich das Innere der „Großen Kunstschau“ in<br />

Worpswede.<br />

9


Ein idyllisches Landhaus am Ufer der Hamme<br />

In welchem Bereich der Hamme mag<br />

dieses Haus stehen? Das wird sich so mancher<br />

fragen, denn durch den Torfkahn-<br />

Tourismus ist der Hammefluss mit seinen<br />

Uferbereichen für viele Besucher erkenntnisreicher<br />

geworden. Nun, dieses außergewöhnliche<br />

Haus mit seiner einmaligen<br />

Lage gibt es leider nicht mehr. 1972 wurde<br />

es durch einen Brand vernichtet.<br />

Baumgruppe erinnert<br />

an Standort<br />

Der genaue Standort ist für Eingeweihte<br />

noch erkennbar. Die meisten Radfahrer<br />

oder Besucher von Melchers Hütte an der<br />

Hamme, die die Landschaft von der 2006<br />

errichteten Brücke über die Hamme<br />

betrachten, ahnen nicht, dass sich das<br />

Haus in unmittelbarer Nähe am Brückenende<br />

zum Waakhauser Ufer befand. Heute<br />

erinnert nur noch eine Baumgruppe an<br />

den ursprünglichen Standort.<br />

Im Volksmund wurde das einsame Haus<br />

gegenüber von Melchers Hütte als „Bodes<br />

Hütte“ bezeichnet, obwohl es überhaupt<br />

nicht mit dem rustikalen Stil der ehemaligen<br />

Torfschiffer-Raststätten vergleichbar<br />

war und auch nicht den historischen Hintergrund<br />

hatte. Aber durch seine Lage am<br />

Fluss wurde es ebenfalls allgemein als<br />

„Hütte“ bezeichnet, wie alle Häuser in<br />

unmittelbarer Nähe zur Hamme.<br />

1914 ließ sich der Bremer Fischhändler<br />

Franz Ludwig Bodes dieses Haus durch den<br />

Osterholzer Zimmereibetrieb Volger<br />

bauen, da er an der Hamme Fischrechte<br />

besaß. Stilistisch war es ein Fachwerkhaus,<br />

das man aus heutiger Sicht als Landhaus<br />

bezeichnen würde. Es sollte zwei Eigenschaften<br />

vereinen, einmal als privates Refugium<br />

und zum anderen als Fischerhaus.<br />

Vielleicht war es auch ein damaliges gesellschaftliches<br />

Prestige, denn Bremer Kaufleute<br />

neigten gern dazu, sich außerhalb<br />

Bremens Sommersitze einzurichten, wie es<br />

früher an der Lesum und im damals noch<br />

dörflichen Schwachhausen geschah.<br />

Auch der Bremer Fischhändler Franz<br />

Ludwig Bodes vom Ostertorsteinweg, der<br />

in Bremen allseits für seine frische Ware<br />

geschätzt wurde, nutzte diese Möglichkeit,<br />

allerdings aus anderen Beweggründen<br />

und in kleinerem Rahmen. Zu jener<br />

Zeit um die Jahrhundertwende war die<br />

Hammeniederung kein idyllischer Ort,<br />

sondern eine flache Wiesenlandschaft, wo<br />

man von Tietjens Hütte bis Worpswede<br />

schauen konnte, ohne dass irgendwelche<br />

Hindernisse den Blick behinderten. Selbst<br />

die Baumanpflanzungen an den Hütten<br />

von Neu-Kamerun (heute Melchers Hütte)<br />

und der daneben liegenden Hütte Kiautschau<br />

waren noch nicht sichtbar, weil sie<br />

noch klein im Wuchs waren. Außerdem<br />

war die Hammeniederung von November<br />

Richtfest des Bodeschen Landhauses 1914. Links außen erkennt man Hinrich Volger, Besitzer des größten<br />

Zimmereibetriebes in Osterholz mit Frau. Der Herr mit Fliege dürfte der Architekt Schmidt sein, direkt rechts<br />

daneben Franz-Ludwig Bodes mit Frau und Tochter. Foto: Archiv Hans Siewert<br />

an, wenn durch die geöffnete Schleuse in<br />

Ritterhude das Weserwasser strömte und<br />

sie bis zum Frühjahr in eine unendliche<br />

Wasserfläche verwandelte, kein anziehender<br />

Aufenthaltsort.<br />

Landhaus höchst<br />

gediegener Art<br />

Natürlich wurden beim Bau des Hauses<br />

das alljährliche Hochwasser und der moorige<br />

Untergrund durch Anschüttung von<br />

Sand usw. berücksichtigt, trotzdem war es<br />

ein Wagnis. Aber Bodes verfolgte andere<br />

Vorstellungen, die ihn zum Bau des Hauses<br />

an dieser Stelle bewegten. Dieses Haus<br />

hatte einen zweifachen Nutzen, zum<br />

einen, da er Fischrechte an der Hamme<br />

hatte, als Fischerhaus und zum anderen als<br />

privates Heim an den Wochenenden.<br />

Natürlich war es kein normales Wochenendhaus,<br />

wo man gewisse Einschränkungen<br />

in Kauf nimmt, sondern ein Landhaus<br />

höchst gediegener Art. Das Foto vom<br />

Richtfest zeigt anschaulich die Ausdehnung<br />

des Hauses. Durch den präparierten<br />

Untergrund stand das Haus erhöht und<br />

war vom Fundament entsprechend gesichert.<br />

So fußte das Eichenfachwerk zusätzlich<br />

auf einem Stahlrahmen, sodass keine<br />

Bodensenkung entstehen konnte.<br />

Das Erdgeschoss dominierte ein größerer<br />

Raum mit Kamin, praktisch das Wohnzimmer.<br />

Zusätzlich gab es ein größeres<br />

und ein kleineres Schlafzimmer. Seitlich<br />

war der Eingang, dem sich zunächst eine<br />

Küche anschloss, die sogenannte Fischerküche.<br />

Durch einen kleineren Flur erreichte<br />

man das Wohnzimmer sowie Abstellkammer,<br />

Speisekammer und WC. Das Obergeschoss<br />

erreichte man über eine Treppe, die<br />

von der Küche abging. Im ausgebauten<br />

Dach waren eine kleine Diele, ein kleines<br />

Schlafzimmer sowie zwei Schlafkammern.<br />

Hier war der Wohnbereich von Heini<br />

Peters, langjähriges Faktotum, Fischer und<br />

Fischaufseher für Bodes Fischgründe.<br />

Früheren Besuchern von Melchers Hütte<br />

dürfte er noch bekannt sein. Er starb im<br />

Dezember 1961 an der Hamme, seinem<br />

letzten Lebensraum.<br />

Der Hintergrund, der zum Bau dieses<br />

Hauses führte, war den meisten Hüttenbesuchern,<br />

den Besitzern der Sportboote<br />

sowie den damals noch verkehrenden<br />

Torfschiffern, nicht bekannt. Man hatte<br />

kaum miteinander Berührungspunkte. Es<br />

wurde als Privathaus akzeptiert, wo man<br />

höchstens an den Wochenenden Personen<br />

sah und eben den ständig anwesenden<br />

Heini Peters.<br />

Bis zuletzt war der Bereich um das Bodesche<br />

Haus, das von großen Bäumen umgeben<br />

war, eine stille, friedliche unberührte<br />

Natur- und Wiesenlandschaft.<br />

Vertrag mündlich in<br />

„Treu und Glauben“<br />

abgeschlossen<br />

Die Fischereirechte an der Hamme<br />

waren früher sicherlich im Besitz der Hammeanrainer<br />

von Waakhausen. Vielleicht<br />

hat Fischhändler Bodes sie von einem der<br />

Bauern übernommen. Auf jeden Fall<br />

10 RUNDBLICK Herbst 2012


Das Landhaus des Bremer Fischhändlers Franz-Ludwig Bodes kurz nach der Fertigstellung.<br />

Foto: Volker Strasser<br />

pflegte er einen guten Kontakt zum Bauern<br />

Schnaars in Waakhausen. Über dessen<br />

Grundstück, das bis zum Hammeufer<br />

reichte, erhielt Bodes Zugang zu seinen<br />

Fischgründen an der Hamme. Im beiderseitigen<br />

Einverständnis kam es dann zum<br />

Bau dieses Hauses auf dem Schnaarsschen<br />

Grundstück. Wie früher üblich, wurde der<br />

Vertrag mündlich, in „Treu und Glauben“,<br />

wie unter vertrauten Freunden, und nicht<br />

juristisch abgeschlossen. Selbst über die<br />

nächste Generation hielt dieses Versprechen<br />

und es gab miteinander gute familiäre<br />

Kontakte.<br />

Letztendlich gelangte durch eine kuriose<br />

Erbfolge das Grundstück mit dem Haus an<br />

eine Person, die unbedingt dieses idyllische<br />

Anwesen in seinen Besitz bringen<br />

Termine der<br />

<strong>Heimat</strong>vereine<br />

Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />

Findorffhof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />

Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />

Tel.: 04208 / 12 44<br />

Sonntag, 13. Januar 2013<br />

12.00 Uhr, Matjesessen, Findorff-Hof Grasberg<br />

Freitag, 15. Februar 2013<br />

19.00 Uhr, Klönabend, Findorff-Hof Grasberg<br />

Dienstag, 5. März 2013<br />

19.00 Uhr, Jahreshauptversammlung,<br />

Findorff-Hof Grasberg<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

wollte, was juristisch auch gelang, weil<br />

keine verbindlichen Verträge vorhanden<br />

waren und bis dahin nur das gesprochene<br />

Wort galt. Da schon die dritte Generation<br />

von Koch-Bodes dieses Haus bewohnte,<br />

trennte man sich höchst ungern davon,<br />

denn die Erinnerungen und Gefühle damit<br />

waren so stark, dass man es niemand<br />

anderem überlassen konnte und wollte.<br />

Die Konsequenz war, dass man sich von<br />

dem Haus trennte, indem man es ausräumte.<br />

1972 fiel das Anwesen den Flammen<br />

zum Opfer. Eigentlich eine Verzweiflungstat,<br />

aber auch verständlich. So nahm<br />

ein außergewöhnliches Haus ein außergewöhnlich<br />

dramatisches Ende.<br />

Bei meinen seltenen Besuchen von Melchers<br />

Hütte erinnere ich mich an das Haus<br />

von gegenüber und vermisse es, denn es<br />

gehört seit meiner Kindheit zu dem<br />

Hamme-Panorama, wie es sich mir eingeprägt<br />

hat.<br />

Hans Siewert<br />

Wie auf einer Insel stand das Bodesche Haus inmitten der alljährlichen Überschwemmungen der Hammeniederung.<br />

Foto: Hans Siewert<br />

Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />

Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />

Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />

Freitag, 15. Februar 2013<br />

19.00 Uhr, Jahreshauptversammlung<br />

<strong>Heimat</strong>verein Lilienthal e.V.<br />

Klosterstraße 16 b, 28865 Lilienthal, Tel.:<br />

04298 / 60 11<br />

Mittwoch, 16. Januar 2013<br />

20.00 Uhr, „Wo die dunklen Tannen<br />

ragen … – eine Harzreise durch<br />

Geschichte und Gegenwart“, Ton-Dia-<br />

Schau von Wilko Jäger, Meyenburg, Schroetersaal<br />

des Kulturzentrums Murkens Hof, Klosterstraße<br />

Mittwoch, 13. Februar 2013<br />

20.00 Uhr „Gespräche im Klosterkeller“,<br />

Dieter Gerstmann: „<strong>Heimat</strong> Lilienthal –<br />

Gedanken eines Schlesiers“, Klosterkeller<br />

im Rathaus Lilienthal<br />

Donnerstag, 14. März 2013<br />

19.00 Uhr Jahreshauptversammlung, im<br />

Anschluss ca. 20.15 Uhr kultureller Teil, Volksbank,<br />

Hauptstraße 77<br />

Um diese Rubrik immer auf dem<br />

neuesten Stand zu haben, sind wir<br />

auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />

Wir bitten deshalb um Ihre<br />

Mithilfe.<br />

Melden Sie doch bitte die Termine<br />

bis Redaktionsschluss an den Verlag.<br />

Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten<br />

entweder per Telefax<br />

(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />

(info@heimat-rundblick.de).<br />

Die Redaktion<br />

11


Von Teufelsmoor ins Teufelsmoor<br />

Neuer Moorpfad ermöglicht Einblicke in Natur und Geschichte<br />

Teufelsmoor. Jahrhunderte lang war<br />

die Ortschaft Teufelsmoor ein Reihendorf<br />

entlang des Querdamms – heute Teufelsmoorstraße<br />

bzw. Am Günnemoor. Erst<br />

später kam die Verbindung nach<br />

Worpswede bzw. Neu St. Jürgen hinzu, die<br />

neben der Straße auch eine Trasse für<br />

Schienen der Moorbahn zum Torfwerk in<br />

Neu St. Jürgen besaß.<br />

Im Einmündungsbereich dieser drei<br />

Straßen wird nun das Dorfzentrum von<br />

Teufelsmoor entwickelt. Es ist zunächst ein<br />

Ruheplatz mit Informationstafeln sowie<br />

einem Teufel aus Holz als Dorf- und Regionssymbol;<br />

ferner zeigt eine kurze Schienenstrecke<br />

mit Lorenbahn, wie früher der<br />

Torftransport vonstatten ging. Die nahe<br />

gelegene ehemalige Dorfschule wird derzeit<br />

umgebaut und soll das Kleine Haus im<br />

Moor mit Ausstellungen zur Entwicklung<br />

der Natur- und Kulturlandschaft Teufelsmoor<br />

beherbergen.<br />

Ein neu geschaffener Wanderweg verbindet,<br />

ausgehend vom Dorfplatz, dem<br />

Fleitenkiel, die Ortschaften Teufelsmoor<br />

und Verlüßmoor bzw. Heißenbüttel. Informationstafeln,<br />

die vom Ortsverein Teufelsmoor<br />

in Zusammenarbeit mit der Bio-Station<br />

Osterholz entwickelt und vom Landkreis<br />

Osterholz aufgestellt wurden, erläutern<br />

die einzelnen Stationen am Weg.<br />

Zurzeit ist dieser Weg in Teilen mit Holzhackschnitzeln<br />

belegt. Er wird ausschließlich<br />

Fußgängern vorbehalten und nur<br />

wenige Monate im Jahr durchgängig<br />

begehbar sein. In Planung befindet sich<br />

noch ein Aussichtsturm, der am Rande der<br />

Renaturierungsfläche gebaut werden soll.<br />

Das Günnemoor stellte bis zum Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts ein großflächiges<br />

Relikt jener Moore dar, wie sie vor Eingriff<br />

des Menschen die Hamme-Niederung zwischen<br />

Scharmbecker und Tarmstedter<br />

Geest geprägt haben.<br />

Die Geestflächen sind während der<br />

Elster- und Saale-Eiszeit (dritt- bzw. zweitletzte<br />

Eiszeit) entstanden. Auch in der<br />

Hamme-Niederung bilden diese Sedimen-<br />

te den mineralischen Untergrund, jedoch<br />

wurden in einem späten Stadium der Saale-<br />

Eiszeit große Teile der Ablagerungen durch<br />

Schmelzwasserströme ausgeräumt und von<br />

periglazialen Sedimenten, die von fließendem<br />

Wasser während der Saale- und Weichsel-Kaltzeit<br />

gebildet wurden, überdeckt.<br />

Darüber erheben sich – je nach Gelände-,<br />

Wasser- und Nährstoffverhältnissen – verschiedene<br />

Moorschichten. 1 ) Vielfach hat<br />

sich zunächst Nieder(ungs)moor gebildet,<br />

auf dem dann Hochmoor gewachsen ist; es<br />

gibt aber auch Bereiche, in denen das<br />

Hochmoor direkt über dem mineralischen<br />

Untergrund ansteht. Auch das Hochmoor<br />

ist dabei in sich noch differenziert. Vor allem<br />

klimatische Wandlungen in der Nacheiszeit<br />

führten dazu, dass unterschiedliche Pflanzengesellschaften<br />

bevorzugt wachsen<br />

konnten. So findet sich eine deutliche<br />

Grenze, die etwa bei 2500 Jahren vor heute<br />

den unten liegenden Schwarztorf vom oberen,<br />

d. h. jüngeren Weißtorf, scheidet. 2 )<br />

Diese Moorschichtung lässt sich an 2<br />

Stellen erkennen: zum einen an einem<br />

Handtorfstich hinter der Teufelsmoorer<br />

Schule, zum anderen an einem Profil, an<br />

dem der Moorpfad entlang führt und das<br />

durch die Tafel 3 erläutert wird.<br />

Einblick in Geschichte<br />

des Torfabbaus<br />

Der bäuerliche Handtorfstich, zu dem<br />

ein Hinweisschild von der Straße aus führt,<br />

eröffnet daneben einen Einblick in die<br />

Geschichte des Torfabbaus, wie er von den<br />

Höfen aus über Jahrhunderte betrieben<br />

wurde. Meist waren es in Teufelsmoor<br />

dabei nicht die Bauleute selbst, die die<br />

schwere Arbeit des Torfgrabens ausführten,<br />

sondern sie ließen diese Tätigkeit von<br />

auf ihren Grundstücken angesiedelten<br />

Häuslingen verrichten. Während die Höfe<br />

der Bauleute vom Querdamm aus alle auf<br />

der der Hamme zugewandten Seite lagen,<br />

befanden sich die Häuslingshäuser auf der<br />

dem Hochmoor zugewandten Seite.<br />

Dorfplatz „Fleitenkiel“. Informationstafel mit Holzskulptur am Dorfplatz.<br />

Neben dem Eigenverbrauch diente der<br />

gestochene Torf auch zum Verkauf, u. a. in<br />

Bremen, wohin er auf dem Wasserwege<br />

transportiert wurde.<br />

Der Brennstoffbedarf in Bremen eröffnete<br />

in den 1920er Jahren dann ein neues<br />

Kapitel des Torfabbaus.<br />

Nach dem 1. Weltkrieg hatte die deutsche<br />

Steinkohleförderung drastische Einschnitte<br />

zu verkraften. Durch den Versailler<br />

Vertrag war bestimmt worden, dass das<br />

Saargebiet zu Reparationszwecken unter<br />

französische Besatzung kam und Teile des<br />

oberschlesischen Kohlereviers an das neu<br />

geschaffene Polen fielen; ferner musste das<br />

Ruhrgebiet Kohle als Reparationsleistung an<br />

die Siegermächte abliefern. So war man auf<br />

der Suche nach Möglichkeiten, wie Bremen<br />

mit Brennstoff versorgt werden könnte.<br />

Dabei fiel eine Wahl auf das bis dahin<br />

unberührte Günnemoor. Es wurde ein Torfwerk<br />

errichtet, das in ganz anderen Dimensionen<br />

als bisher den Torfabbau in Angriff<br />

nahm. Neben einer großen Anzahl von<br />

Arbeitskräften waren es dabei Maschinen,<br />

die den Torfabbau bewerkstelligten. Auch<br />

der Transport wurde neu geregelt. Zum<br />

einen beließ man es beim Transport zu Wasser.<br />

Für die neuen Gebiete und die größeren<br />

Mengen wurde eigens ein neuer Torfkanal<br />

gebaut, um auch mit größeren Kähnen<br />

3 ) an das Abbaugebiet zu gelangen.<br />

Auch dies geschah zeitgleich zu Anfang der<br />

1920er Jahre. 4 ) Verlandende Reste dieses<br />

Torfkanals sowie auch das Wendebecken<br />

am Ende des Kanals lassen sich am Weg<br />

erkennen, und zwar in der Nähe der Tafel 3,<br />

gegenüber dem Mooraufschluss.<br />

Zum anderen erfolgte der Abtransport per<br />

Lorenbahn nach Neu St. Jürgen, wo seit Fertigstellung<br />

der Bahnstrecke von Osterholz-<br />

Scharmbeck nach Bremervörde im Jahre<br />

1911 (Moorexpress) Bahnanschluss gegeben<br />

war. Ein kleines Stück der Lorenbahn ist<br />

wieder hergestellt (s. o.), der Abschnitt vom<br />

Dorfplatz zum Torfwerk heißt Gleisendamm,<br />

und das Torfwerk existiert noch – allerdings<br />

nicht mehr alle Gebäude.<br />

12 RUNDBLICK Herbst 2012


Die nicht mehr vorhandenen Gebäude<br />

stellten i. w. Wohnbaracken dar, in denen<br />

Arbeitskräfte untergebracht waren, die oft<br />

nicht freiwillig im Werk beschäftigt waren.<br />

Dem widmet sich ein weiteres Kapitel auf<br />

den Informationstafeln (Tafel 1). So wurden<br />

vor und während des 2. Weltkriegs Arbeiter<br />

eingesetzt, die als Asoziale bezeichnet wurden<br />

und deren Tätigkeit der Umerziehung<br />

dienen sollte, später dann auch Kriegsgefangene.<br />

Aber auch lange nach dem 2.<br />

Weltkrieg wurden noch Strafgefangene zu<br />

Arbeiten im Moor eingesetzt.<br />

Wohnformen des Dorfes haben sich<br />

natürlich ganz anders entwickelt. Die<br />

Dominanz der Viehwirtschaft in der durch<br />

Wasser geprägten Niederungslandschaft<br />

ließ eine spezielle Form des Niedersachsenhauses<br />

entstehen, bei der die Unterbringung<br />

des Viehbestandes einen zentralen<br />

Stellenwert besaß. Einen Einblick in<br />

verschiedene Hof- und Hausformen<br />

gewährt die Informationstafel, die direkt<br />

am Fleitenkiel errichtet ist. 5 )<br />

Einen besonderen Stellenwert erhalten bei<br />

dem Moorpfad das Naturerleben sowie der<br />

Naturschutz. Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen<br />

zwischen Landkreis,<br />

Naturschützern und Torfwerkbetreibern soll<br />

mit dem Jahre 2012 der Torfabbau endgültig<br />

eingestellt werden. 6 ) Bereits vordem sind<br />

abgetorfte Flächen wiedervernässt worden,<br />

die Flachwassersenken darstellen und eine<br />

Regeneration des Moores ermöglichen sollen.<br />

Dieses Gebiet wird von Kranichen sehr<br />

gut angenommen, die auf ihrer Wanderung<br />

zu Tausenden hier im Oktober Rast machen.<br />

Anlässlich einer Führung 7 ) erklärt Dr. Kulp<br />

von der Bio-Station aber, dass der Aufenthalt<br />

von Kranichen keinen Dauerzustand darstellen<br />

soll und man die Nährstoffsituation, die<br />

sich durch den vermehrten Eintrag von Kot<br />

ergibt, sehr genau untersuche. Ferner<br />

gesteht er ein, dass die Wasserflächen offensichtlich<br />

noch zu groß gekammert seien, so<br />

dass sich für die Torfmoose aufgrund der<br />

Wellenbewegung bei Wind noch keine optimalen<br />

Wuchsbedingungen ergeben.<br />

Mittlerweile stellt der Aufenthalt der Kraniche<br />

selbst eine Attraktion dar, die regional<br />

wie überregional zunehmende Beachtung<br />

findet. 8 Neu angelegter Pfad.<br />

) So finden unterschiedliche Exkursionen<br />

statt, die z. T. ebenfalls von der Bio-<br />

Station Osterholz geleitet und betreut werden.<br />

Die Frage jedenfalls, ob sich ein intaktes<br />

Hochmoor (zurück)bilden kann, wenn<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Wegeführung um 1900 und heute.<br />

die Fläche von Kranichen als Schlafplatz<br />

genutzt wird, kann momentan offenbar von<br />

niemandem seriös beantwortet werden.<br />

Insofern erscheint es etwas zweifelhaft,<br />

die hier seit etwa 10 Jahren rastenden<br />

Vogelschwärme, die in der Teufelsmoor-<br />

Niederung offensichtlich ein optimales<br />

Refugium gefunden haben, wieder vertreiben<br />

zu wollen.<br />

Hinsichtlich anderer Moorbewohner lassen<br />

sich Entdeckungen machen, auf die<br />

nicht unbedingt seitens der Tafeln aufmerksam<br />

gemacht wird. So fällt die dominierende<br />

Birke sofort ins Auge, auch die<br />

Heide tritt flächendeckend auf, und der<br />

Gagelstrauch macht sich durch seinen auffallenden<br />

Geruch bemerkbar. Besondere<br />

Libellen und mit Glück auch eine Kreuzotter<br />

kann man am Wegesrand entdecken. 9 )<br />

Moor als<br />

Kohlenstoffspeicher<br />

Warum neben den besonderen Naturerlebnissen<br />

das Moor geschützt werden soll,<br />

erläutert die letzte Tafel (Nr. 4). Hierbei<br />

geht es um den Beitrag zum Klimaschutz,<br />

den ein intaktes Moor als Kohlenstoffspeicher<br />

leisten kann. Laut dieser Tafel tragen<br />

die oxidative Zersetzung nicht mehr funktionierender<br />

Moorflächen sowie die fortgesetzte<br />

Moornutzung einen erheblichen<br />

Teil zu den Kohlenstoffdioxidemissionen in<br />

Niedersachsen bei. Erst wenn dieser Prozess<br />

gestoppt sei und Moore wieder im<br />

Wachstum befindlich seien, könne diese<br />

Entwicklung umgekehrt werden; somit leisteten<br />

intakte Moore einen aktiven Beitrag<br />

zum Klimaschutz. 10 )<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen<br />

1 ) Ausführliche Darstellungen finden sich z. B. bei<br />

Hans Heinrich Seedorf, Topographischer Atlas<br />

Niedersachsen und Bremen; Neumünster<br />

1977, v. a. S. 58 - 61<br />

Hans-Gerhard Kulp, Der Weyerberg und das<br />

Teufelsmoor; Lilienthal 1995<br />

ders., Die Natur des Teufelsmoores, in: Wolfgang<br />

Konukiewitz und Dieter Weiser (Hrsg.),<br />

Die Findorff-Siedlungen im Teufelsmoor bei<br />

Worpswede; Bremen 2012, S. 11 – 40<br />

2 ) Vgl. Abb. bei Seedorf, S. 60 u. Kulp (1995), S.<br />

66, wobei es aber zu 1 „Seemudde“ heißen<br />

muss<br />

3 ) Ein Bockschiff – das einzig noch existierende –<br />

wurde 1984 ganz in der Nähe, in der Beek, entdeckt<br />

und im Kreisheimatmuseum in Osterholz<br />

restauriert und konserviert, wo es heute den Mittelpunkt<br />

des darum herum erbauten Torfschiffmuseums<br />

bildet; s. a. Johannes Rehder-Plümpe,<br />

Die Struktur der Findorff-Siedlungen; in Konukiewitz/Weiser,<br />

a. a. O., bes. S. 114 - 118<br />

4 ) Kulp (1995) hat dort offensichtlich einer im<br />

Dorf immer noch kursierenden Legende vertraut,<br />

wenn er (auf S. 82) schreibt: „Der Torfkanal<br />

wurde 1917 von Kriegsgefangenen als<br />

Entwässerungskanal und als Transportweg für<br />

Torf und Heu gebaut.“ Demgegenüber berichten<br />

die Bremer Nachrichten am 10. Oktober<br />

1920, dass die Beeke für 150 t-Schiffe ausgebaut<br />

wurde und hiervon ausgehend innerhalb<br />

von 2 Monaten im Sommer 1920 ein 2,3 km<br />

langer, 2,5 m tiefer und 10 m breiter Kanal<br />

gegraben worden ist.<br />

5 ) Besonders herausgestellt wird der Hof Heißenbüttel,<br />

der von R. Meyer-Graft erworben und<br />

restauriert worden ist. Er befindet sich im Priggeweg<br />

und geht in seinen Ursprüngen auf das<br />

späte 17. Jh. zurück, stellt aber keinen Hof eines<br />

Teufelsmoorer Baumanns dar, sondern einen<br />

ehemaligen Häuslingshof. S. a. Osterholzer<br />

Kreisblatt vom 7. IV. 07<br />

6 ) Vgl. Osterholzer Kreisblatt vom 21. IX. 12<br />

7 ) Vgl. Osterholzer Kreisblatt vom 11. IX. 12<br />

8 ) Presseberichte im Weser Kurier am 18. X. 12,<br />

Osterholzer Kreisblatt z. B. am 9. X. 12 und 1.<br />

XI. 12, im NDR-Fernsehen am 28. X. 12, im<br />

Rundfunk (Radio Bremen) am 29. X. 12<br />

9 ) Ausführliche Erläuterungen zu Flora und Fauna<br />

mit zahlreichen Abbildungen finden sich bei<br />

Kulp (1995 und 2012)<br />

10 )In gleicher Weise argumentiert auch die „Initiative<br />

Teufelsmoor“; vgl. Osterholzer Kreisblatt<br />

vom 23. VIII. 12<br />

13


Die Findorff-Karte der Ortschaft<br />

Teufelsmoor im Original<br />

Teufelsmoor. Die hervorragende Kopie<br />

der Teufelsmoor-Karte (Spezial-Charte des<br />

im Amte Osterholz belegenen Dorffes Teufelsmoor…)<br />

machte neugierig auf das Original,<br />

zumal dieses 1755 von Findorff erstellt<br />

worden ist. Recherchen führten ins Staatsarchiv<br />

Stade, wo sich das Original in seiner<br />

ganzen Pracht präsentierte. 1 )<br />

Diese Karte ist in einem passablen<br />

Zustand, zeigt aber deutliche Gebrauchsspuren.<br />

Bedingt durch die Größe (lt. Staatsarchiv<br />

178 x 122 cm) war sie gefaltet (4<br />

Teile). Insbesondere an diesen Knickstellen<br />

sind etliche Verluste zu beklagen. Zur Stabilisierung<br />

ist die ursprünglich dünne Papierkarte<br />

später im Staatsarchiv auf einen festen<br />

Untergrund aufgezogen worden und wird<br />

nur noch einmal geklappt.<br />

An den Rändern sind ebenfalls einige Verluste<br />

zu verzeichnen. U. a. im Bereich der<br />

Legende sowie der Tabelle ist die Schrift –<br />

vermutlich durch Wassereinwirkung – verblichen<br />

und nicht oder kaum mehr lesbar. So<br />

können einige Informationen nicht mehr<br />

entschlüsselt werden; bei anderen lässt sich<br />

trotz großer Mühe nicht alles sicher entziffern,<br />

sodass eine fehlerhafte Wiedergabe<br />

nicht ausgeschlossen werden kann.<br />

Das Erscheinungsjahr der Karte ist nicht<br />

ausdrücklich vermerkt; da die Kartenaufnahme<br />

mit 1755 angegeben wird, dürfte sie<br />

1755 oder 1756 fertiggestellt und abgeliefert<br />

worden sein.<br />

Das Original wird vom Staatsarchiv mit<br />

dem Maßstab 1:4900 angegeben; inwieweit<br />

dies zutrifft, wird an anderer Stelle noch<br />

zu erörtern sein.<br />

Die Karte ist nicht genordet, sondern am<br />

oberen Blattrand ist SO, links also NO und<br />

rechts SW. Sie ist sehr detailliert, farbig<br />

gestaltet und mit Bleistift-Schraffuren sowie<br />

wenigen Bleistift-Angaben (Zahlen/Rechnungen)<br />

ergänzt.<br />

Das Kartenblatt enthält nicht nur die kartografische<br />

Darstellung, sondern auch 2<br />

Tabellen sowie eine ausführliche Legende.<br />

Es stellt eine sog. „Inselkarte“ dar, d. h. es<br />

ist nicht voll ausgestaltet, sondern<br />

beschränkt sich auf den angegebenen<br />

Raum; im unteren Blattteil bildet die Beek<br />

die Grenze (sie fließt nach SW, bevor sie<br />

nach S umbiegt), die im SW in die von NO<br />

kommende Hamme mündet.<br />

Die beiden Flüsse bilden in etwa auch die<br />

natürlichen Grenzen der Gemarkung Teufelsmoor.<br />

Die Beek wird dabei nicht überschritten<br />

und bildet die westliche bzw. nordwestliche<br />

Grenze der Gemarkung; hingegen<br />

gibt es im SO und O einige Ländereien, die<br />

jenseits der Hamme liegen. Andererseits<br />

greifen andere Gemeinden mit ihren Besitzungen<br />

in das von Beek und Hamme gebildete<br />

Dreieck ein: im SW befinden sich<br />

Ausschnitt aus der Original-Karte.<br />

Heißenbüttler, Hamberger, Freißenbüttler<br />

und Bullwinkler Wiesen, während sich im S<br />

die Worpsweder Wiesen über die Hamme<br />

hinaus erstrecken.<br />

Detaillierte Bestandsaufnahme<br />

einer bereits<br />

existierenden Siedlung<br />

Der Anlass für die Anfertigung der Karte ist<br />

noch nicht klar zu benennen; es geht aus ihr<br />

nur hervor, dass es sich um eine sehr detaillierte<br />

Bestandsaufnahme einer bereits existierenden<br />

Siedlung handelt. Der Auftrag<br />

hierzu könnte vom Amt Osterholz gekommen<br />

sein; Andeutungen auf einen Zusammenhang<br />

mit Findorffs späterer Kolonisationstätigkeit<br />

sind trotz zeitlicher Nähe noch<br />

nicht erkennbar. Und dennoch wird hier der<br />

Schlüssel für den Grund der Kartenerstellung<br />

zu suchen sein.<br />

Findorff hatte 1753 eine kleinmaßstäbige<br />

Karte vorgelegt, die als ergänzte Kopie einer<br />

Vorlage aus dem Jahr 1750 bezeichnet wird<br />

2 ). Hier hatte er offensichtlich noch selbst<br />

keine Vermessungsarbeiten geleistet, aber<br />

sich einen Überblick über den Raum zwischen<br />

Wümme (Lilienthal) und Bremervörde<br />

verschafft. Es handelt sich um die Kopie<br />

einer Karte des Geometers Werner, die<br />

„Zeugnis ablegt von Findorffs zeichnerischen<br />

Fähigkeiten.“ 3 )<br />

Dort (S. 68/69) wird vermutet, dass Findorff<br />

als Nachfolger des 1752 gestorbenen<br />

Landmessers P. H. Omen bei der Vermessung<br />

von Zehntländereien tätig gewesen ist.<br />

„Mit Tätigkeiten im Moor ist Findorff erstmalig<br />

im Jahre 1755 nachweisbar. Er scheint<br />

damals in Osterholz gewohnt zu haben,<br />

worauf nicht nur der Brief vom 21.<br />

Januar…hinweist. 1755 ist er zu Vermessungsarbeiten<br />

in Hambergen und Pennigbüttel,<br />

in Hülseberg und im Dorf Teufelsmoor.<br />

Zum Worpsweder Kirchenbau liefert<br />

er die Risse und Kostenanschläge…Schließlich<br />

ist er im Juli an der ersten Moorbereisung<br />

des Geheimen Rats von Bremer beteiligt.“<br />

4 ) Unter dessen Leitung, der er direkter<br />

Vertreter des Kurfürsten von Hannover,<br />

gleichzeitig König von England, war, bereisten<br />

im Sommer 1755 die Amtmänner von<br />

Osterholz und Bremervörde zusammen mit<br />

Schreibern u. a. das Moor, um Möglichkeiten<br />

zu seiner Besiedlung zu erkunden. Im<br />

Protokoll dieser Bereisung, geführt vom<br />

Kammersekretär Augspurg, wird auch J. C.<br />

Findorff erwähnt, und zwar als Condukteur.<br />

5 )<br />

Seit 1747 arbeitet Findorff unter dem<br />

Oberlandbaumeister von Bonn, der ihm in<br />

den folgenden Jahren staatliche Aufträge<br />

zukommen lässt. 6 ) „Für seine spätere Tätigkeit<br />

im Moor waren die Jahre als Kondukteur<br />

unter von Bonn seine eigentlichen Lehrjahre.<br />

Er vervollkommnete seine Kenntnisse in der<br />

Baukunst, kam immer wieder mit Wasserbauten<br />

in Berührung und wurde in die Praxis<br />

der Landvermessung und des Zeichnens<br />

von Rissen und Karten eingeführt.“ 7 ) Er führt<br />

1753 den Bau des Osterholzer Amtsschreiberhauses<br />

(heute <strong>Heimat</strong>museum) durch 8 )<br />

und befindet sich somit im hiesigen Gebiet.<br />

Dieses Gebiet, als Teil der ehemaligen Herzogtümer<br />

Bremen und Verden, stand seit<br />

1718 unter der Herrschaft des Kurfürstentums<br />

Hannover, nachdem es nach dem 30jährigen<br />

Krieg unter schwedische Herrschaft<br />

gekommen war und zum Schluss kurzzeitig<br />

(ab 1715) dänisch war.<br />

In Hannover gab es nun Bestrebungen, die<br />

bislang ungeregelte Inbesitznahme und Nut-<br />

14 RUNDBLICK Herbst 2012


Inschrift am Kreisheimatmuseum.<br />

zung der Moorgebiete in die eigene Hand zu<br />

nehmen und somit staatlich zu regeln. Dazu<br />

musste man sich aber zunächst einmal<br />

Kenntnis verschaffen über die naturgeografischen<br />

Gegebenheiten wie auch über die<br />

momentanen Besitzverhältnisse. Die erforderlichen<br />

Informationen sollten von den<br />

zuständigen Ämtern (hier u. a. Osterholz,<br />

Lilienthal und Ottersberg) beigebracht werden.<br />

Auf ältere Karten konnte hierbei nicht<br />

zurückgegriffen werden, da solche nicht vorhanden<br />

waren. 9 ) Insofern mussten neue<br />

angefertigt werden, wozu geeignete Leute<br />

benötigt wurden. Diese wurden mit den<br />

Geometern (Landvermessern) Werner und<br />

Omen gefunden; nach dessen Tod (1752)<br />

füllte Findorff die entstandene Lücke aus.<br />

„Die ersten, uns heute noch erhaltenen Lagepläne<br />

von Sankt Jürgen, Wörpedorf und<br />

Eickedorf hatte Findorff 1754 gezeichnet“. 10 )<br />

Lach- und Torfgeschichten<br />

De Wiehnachtsgrog<br />

Heiligobend füll in datt Johr up een Sonndag,<br />

datt kummt jo jümmer mol woller vor.<br />

De Sonndoge wören för Friedel, denn Grotknecht<br />

von Buer Tietjen in'n Dorp Düwelsmoor,<br />

ober jümmer heilig. Datt harr sien<br />

Grund, an’n Sonndag no'n Middag dröp he<br />

sick jümmer mit sien Kumpels, Willi denn<br />

Torfschipper un Früllerk denn Huusslachter,<br />

bi Schorse Scheepbuer in de Gaststuv an de<br />

Hammbrüch. Uck an düssen Heiligobend,<br />

Sonndag is Sonndag! De dree Junggesellen<br />

seten inne Eck an denn runden Stammdisch<br />

un kloppen Skoot. 18 - 20 - bloot nich passen,<br />

datt güng richtig rund. In'n Sommer<br />

drunken se Beer, nu in'n Winter gevt Rumgrog.<br />

In de warme Stuv bi Schorse wör datt<br />

jo so kommodig. Buten wör Schietweer, datt<br />

harr düchtig Regen geben, de Moorwege<br />

sünnt deepnatt un smerig, de Groben bitt<br />

boben full Woter. Klock half veer stell Schorse<br />

denn letzten Grog bi de dree Skotbröder up'n<br />

Disch: „Prost, mien Jungs, gliek is Fierobend!“<br />

Friedel schipper no sien Buernhoff Tietjen<br />

an de Düwelsmoorstrot. He muss de Beester<br />

fo’ern un noch utmesten. Emm wör von denn<br />

Grog ganz swiemelig un de Welt seech ut wie<br />

een bunten Wiehnachtsboom, de jümmer<br />

henn un her schaukel. Schorse harr bi den<br />

letzten Grog datt Woter vergeten. Friedel kla-<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Der Auftrag, die Ländereien in der Ortschaft<br />

Teufelsmoor zu erfassen, war nicht<br />

ohne Brisanz. Denn die Teufelsmoorer galten<br />

als besonders schwierig. „Den größten<br />

Konflikt, den die hannoversche Regierung in<br />

der Verteidigung ihrer Landansprüche<br />

gegen die Untertanen ausfocht, hatte sie mit<br />

den Meyern des Dorfes Teufelsmoor durchzuführen.“<br />

11 )<br />

Findorff zeigt sich dieser Aufgabe aber<br />

gewachsen, sammelt große Mengen an<br />

Informationen, vermisst die Gemarkung und<br />

legt eine große, sehr detaillierte Karte samt<br />

Tabellen vor. Wenn also die ersten Jahre bei<br />

von Bonn seine Lehrjahre waren, so stellt<br />

diese Teufelsmoorkarte mindestens Findorffs<br />

„Gesellenstück“ dar, mit dem er sich für weitere,<br />

auch höhere Aufgaben empfiehlt.<br />

Text und Fotos: Wilhelm Berger<br />

baster mit sien Holschen datt dünne Brett<br />

no'n Messhopen hoch, ober he harr Dusel,<br />

güng alles god. Muss datt jo uck, he harr an<br />

düssen Heiligobend jo noch denn<br />

Wiehnachtsmann to spelen. Bi de Kinner<br />

Anni, Jan un Lisa von Buer Finken up'n Noberhoff<br />

schull he denn groten Sack mit<br />

Geschenke utpacken. Friedel sus gau in sien<br />

Kommer an de Deel, treck de Blaujack un de<br />

Mochesterbox ut, un rinn in denn roden<br />

Mantel. Denn langen witten Bort um, de<br />

Pudelmutz up un fertig is de Wiehnachtsmann.<br />

Mett denn groten Sack up’n Nacken<br />

pett he los. Bi Buer Finken muss he noch ober<br />

datt Stech von denn Grenzgroben.<br />

Wiehnachtsmann<br />

leeg in’n Moorgroben<br />

Ditt Stech wör dör datt hoge Woter<br />

upschwemmt. Friedel pett dor rupp un güng<br />

af wie mett een Ontenjäger, datt kole Woter<br />

platsch emm ober de Pudelmutz. De<br />

Wiehnachtsmann leeg in'n Moorgroben, de<br />

grote Sack wör in'n hogen Bogen up’t annere<br />

Ober flogen. Klaus, de Jungknecht von Buer<br />

Finken, harr datt Spektokel mitkregen un<br />

töög sien Fründ Friedel ut datt kole Woter.<br />

Düsse pudelnatte Wiehnachtsmann harr sien<br />

Bescherung all achter sick! Nu wör Holland in<br />

Not! Klaus broch Friedel in sien Kommer un<br />

geev emm dröge Klomotten. Nu wör de lüttje<br />

Klaus an de Reeg. In de grote Wohnstuv<br />

toben sien Buernfomilie Finken, un vor allen<br />

de dree Kinner, up denn Wiehnachtsmann.<br />

Klaus lööp no'n Groben un hol den groten<br />

Anmerkungen<br />

1 ) Für freundliche Auskünfte und Hilfe bei der<br />

Recherche danke ich Herrn B. Wedelich vom<br />

Katasteramt in Osterholz-Scharmbeck. Freundliche<br />

Unterstützung, verbunden mit teilnehmendem<br />

Interesse, erfuhr ich im Staatsarchiv<br />

Stade; auch hierfür sage ich herzlichen Dank.<br />

2 ) Veröffentlicht als Kartenbeilage zu: Wolfgang<br />

Konukiewitz/Dieter Weiser (Hrsg.), Die Findorff-<br />

Siedlungen im Teufelsmoor; Bremen 2011<br />

3 ) Monika und Hans Adolf Cordes, Die Findorff-<br />

Brüder; Bremen 2012, S. 66<br />

4 ) ebd., S. 69<br />

5 ) Wolfgang Konukiewitz, Die erste Dorfgründung<br />

mit Findorff: Ostersode; in: W. Konukiewitz/D.<br />

Weiser, a. a. O., S. 68 – 70. Laut Müller-<br />

Scheeßel (s. Anm. 6., S. 34) sind Condukteure<br />

bzw. Kondukteure Leute aus dem Baufach<br />

6 ) Karsten Müller-Scheeßel, Die Geschichte der<br />

Moornutzung und die Entstehung der Findorff-<br />

Siedlungen; in: W. Konukiewitz/D. Weiser, a. a.<br />

O., S. 62<br />

7 ) ders., Jürgen Christian Findorff und die kurhannoversche<br />

Moorkolonisation im 18. Jahrhundert;<br />

Hildesheim 1975, S. 39<br />

8 ) ders. (2011)., S. 59<br />

9 ) Karl Lilienthal, Jürgen Christian Findorffs Erbe;<br />

Lilienthal 21982, S. 24<br />

10 )Landkreis Osterholz, Auf Findorffs Spuren<br />

(Fahrradtour); www.landkreis-osterholz.de<br />

11 )K. Lilienthal, a. a. O., S. 28<br />

Sack. In sien Schapp fund he de öle Nikolausmaske<br />

mit Bort un Troddelmutz. He treck sien<br />

grönen Lodenmantel un lange Stebeln an, so<br />

schull datt wol gon! Fertig wör Knecht Ruprecht,<br />

gau ober de Deel, noch een Riesbessen<br />

in de Hand un an de Stuvendöör gekloppt.<br />

„Kommt rin, wennt keen Snieder is“, rööp<br />

Buer Finken. „Ho, ho, ho, ick mok ju alle froh,<br />

– sünd de Kinner uck artig wesen?“ Knecht<br />

Ruprecht füll nichts beter's in, he weer opgeregt.<br />

De grote Sack mit de feinen Geschenke<br />

rett ober den Heiligobend un de besondere<br />

Situation.<br />

No de Bescherung wünsch Knecht Ruprecht<br />

noch gesegnete Wiehnachten un mok sick<br />

up'n Padd. „Puh! Datt wör just nochmol god<br />

gon“. De Buer un sien Fro harrn all watt markt<br />

un lies to emm segt: „Wenn de Kinner no'n<br />

Bett sünd, komt man to us in de Stuv un bring<br />

denn annern Wiehnachtsmann ok mett.“<br />

Klaus lööp torüch in sien Kommer, Friedel leeg<br />

up'n Bett un snorch. No een gode Stunn harren<br />

de beiden sick verholt un seten nu in'ne<br />

Wiehnachtsstuv. Fro Finken harr hitt Woter<br />

mokt, datt gev Grog. In Friedel sien Kopp sungen<br />

jümmer noch de Engel: „Söter de Glocken<br />

nich bimmelt at to de Wiehnachtstiet“. All<br />

weer’n se an vertellen un lachen düchtig ober<br />

sien Molleur. Friedel harr een groten Pott Fliederbeergrog<br />

vor sick stoon. „Denn drink man<br />

erstmol ut“, segt Fro Finken, „Rum sitt dor von<br />

hütnomdag noch genog bi di in“.<br />

„Stille Nacht, heilige Nacht“, watt wör datt<br />

doch gemütlich! Ober de Bescherung hebbt<br />

se noch lang lacht in’n Dorp Düwelsmoor.<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

15


Vor 100<br />

Jahren ...<br />

<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />

Presseberichte von<br />

Oktober bis Dezember 1912<br />

Wie sich doch die Berichte in der Presse<br />

damals und heute unterscheiden! Auch in<br />

den Texten der letzten drei Monate des Jahres<br />

1912 verraten Stil und Inhalte ein weiteres<br />

Mal einiges von der Einstellung der<br />

Menschen zu den Ereignissen des täglichen<br />

Lebens. Wieder einmal erfährt der heutige<br />

Leser, wie die Rolle der Tiere in der Nähe<br />

der Menschen damals eingeschätzt wurde.<br />

Emotional und engagiert belehrend nehmen<br />

Redakteure Stellung, wenn auch recht<br />

unterschiedlich in ihrer Einschätzung. So<br />

z.B. steht den bewegenden Beiträgen zu leidenden<br />

Tieren einige Tage später eine Aufforderung<br />

gegenüber, die „überproduzierten<br />

jungen Hündlein und Kätzchen“ doch<br />

zu töten, um ihnen eine „jammervolle<br />

Zukunft“ zu ersparen. Ergänzt wird dieses<br />

sogar noch durch eine entsprechende<br />

Anleitung dazu. Auf die Wiedergabe dieses<br />

Textes wird deshalb aus gutem Grund verzichtet.<br />

Über die Rolle der Mutter und Hausfrau<br />

in der Gesellschaft und die Vorbereitung<br />

heranwachsender Mädchen auf diese mag<br />

sich der heutige Leser wundern. Aber in<br />

jener Zeit, als die Frauen noch kein Wahlrecht<br />

besaßen und Studentinnen an Universitäten<br />

nur seltene Ausnahmen bildeten,<br />

kannte die Zukunft der meisten Mädchen<br />

nur ein Ziel: Hausfrau und Mutter zu werden.<br />

Der entsprechende Beitrag aus<br />

Fischerhude zu diesem Thema beinhaltet<br />

denn auch beispielhaft typische Klischees<br />

aus der Zeit vor 100 Jahren…<br />

Von Zuchttieren<br />

und Zugtieren<br />

Mittelbauer. „ Einen Verlust erlitt der<br />

Landwirt O. hierselbst, indem ihm eine tragende<br />

Stute durch Tragbeutelentzündung<br />

einging. Da das Tier jedoch bei der Stutenversicherungskasse<br />

St. Jürgen versichert<br />

war, so wird der Schaden mit drei Viertel<br />

16<br />

des eingeschätzten Wertes durch die Kasse<br />

entschädigt.“<br />

Osterholz. „In diesen Tagen wurde die<br />

Körung der Ziegenböcke im Kreise Osterholz<br />

vorgenommen. Es wurde durchweg<br />

gutes Material vorgeführt, so daß von 26<br />

vorgeführten Tieren nur 2 abgekört zu werden<br />

brauchten. Durch die Bildung von Ziegenzuchtvereinen<br />

in den letzten Jahren ist<br />

das Zuchtmaterial bedeutend verbessert. Es<br />

werden Tiere herangezogen, die als gute<br />

Futterverwerter höchste Nutzleistung bringen.<br />

Es ist zu begrüßen, daß die Zuchtvereine<br />

immer mehr auf gute Zuchtwahl halten,<br />

da hierdurch mit der Zeit mehr und<br />

mehr erstklassige Tiere gezogen werden.<br />

Den Besitzern wurden bei der Prämiierung<br />

als Anerkennung und Ermunterung des<br />

Interesses insgesamt 50 Mk. Prämien in Sätzen<br />

von 5, 3 und 2 Mk. für das Tier bewilligt.“<br />

Landkreis. „–Wenn ein Hund in der<br />

Nacht heult, so hat das seinen Grund. Gehe<br />

hin und suche die Ursache zu ergründen –<br />

ob er friert, ob er hungrig oder durstig ist,<br />

vielleicht ist er gar fest angebunden und er<br />

hat den ganzen Tag, ohne auszulaufen, an<br />

der Kette gelegen! Wenn ein Hund bellt, so<br />

bittet er um etwas! Ach, laß ihn nicht<br />

umsonst bitten!“<br />

Landkreis. „(Viehisch bestialisch) Oft<br />

kann man in den Zeitungen lesen, da oder<br />

dort habe einer was verbrochen und sei<br />

dabei geradezu bestialisch vorgegangen.<br />

Ähnlich hört und liest man die Ausdrücke:<br />

,Besoffen wie ein Vieh!´ – ,Bis unter das Tier<br />

herabgesunken´. Wir müssen aber gegen<br />

diese Ausdrucksweise entschieden Einspruch<br />

erheben, denn Tiere sind besser als<br />

ihr Ruf und in den meisten Fällen jener von<br />

Menschen verübten Schandtaten gar nicht<br />

fähig. Man blicke nur hin, wie anspruchslos,<br />

bescheiden und einfach die Tiere in ihren<br />

Bedürfnissen sind, und wie sehr man ihnen<br />

Unrecht tut, wenn man von ihnen, die doch<br />

als einziges Getränk nur Wasser nehmen,<br />

die Redensart braucht ,Besoffen wie ein<br />

Vieh!´ . Hier spukt noch die alte Tierverachtung,<br />

welche durchaus die Tiere zu ganz<br />

untergeordneten Wesen erniedrigen<br />

möchte und selbst ihre Tugenden als Laster<br />

aufbürdet. Sehr oft kann man auch hören,<br />

wie die Fuhrleute von ihren Pferden in häßlichen<br />

Ausdrücken sprechen: ,Warte nur, du<br />

Aas!´ – oder ,Du verfluchter Schinder!´<br />

Wenn die Menschheit besser werden und<br />

wenn es die Tierwelt besser haben will, so<br />

müssen vor allem solche garstigen und<br />

ganz ungerechten Ausdrücke verschwinden,<br />

welche zu roher Behandlung förmlich<br />

auffordert. Die Schimpfworte machen die<br />

Lebenslage der Tierwelt schlimmer, indem<br />

sie diese in ein falsches Licht stellen und die<br />

Meinung erwecken, daß Tiere gegenüber<br />

den Menschen ganz minderwertige<br />

Geschöpfe seien, was sie in Wirklichkeit<br />

nicht sind; wie ja oft der treue Hund und<br />

das unermüdliche Pferd seine hochmütigen<br />

Peiniger an Tugenden übertrifft.“<br />

Scharmbeck. „Beim Auseinanderfahren<br />

eines Komposthaufens auf dem Felde fand<br />

vorige Woche ein Landwirt von der Loge<br />

ein Nest mit jungen Kreuzottern, in dem<br />

sich nicht weniger als 33 Tiere von ca. 10 –<br />

12cm Länge befanden. Sämtliche Schlangen<br />

konnten getötet werden.“<br />

Mädchen und der<br />

Ernst des Lebens<br />

Fischerhude. „Es gibt für junge Mädchen<br />

wohl kaum ein interessanteres Thema, als<br />

das Heiratsthema. In stillen Stunden wird es<br />

sich dabei ertappen, wie es schon vom<br />

Brautzuge, von eigenem Herd, von schaffender<br />

Gattin und Mutter träumte. Und<br />

RUNDBLICK Herbst 2012


wenn sich wohl gar schon ein holder Verehrer<br />

eingestellt hat, dann läßt sich´s ja<br />

prächtig Luftschlösser bauen. Jugend! Doch<br />

schon in solchen ersten Liebeständeleien<br />

liegt der Lebensernst. Von dem großen<br />

Werte der Ehe und der Familie für den Fortbestand<br />

unserer Nation sei ganz abgesehen.<br />

Es gilt zunächst eine glückliche Ehe<br />

selbst zu schaffen und zu erhalten. Und das<br />

ist mit Küssen und Lieben auf die Dauer<br />

nicht abgetan. Ein trautes Heim, praktische<br />

Ordnung in Kisten und Kästen, etwas Gutes<br />

und Nahrhaftes auf dem Tische, sparsames<br />

Wirtschaften mit den vorhandenen Mitteln<br />

sind die Grundbedingungen, worauf sich<br />

dauerndes Glück aufbaut. Das wissen<br />

unsere jungen Mädchen ganz gut. Es ist oft<br />

rührend zu sehen, wie sie sich bemühen,<br />

von ihrer Mutter die Küchengeheimnisse,<br />

die Geheimnisse der Hauswirtschaft zu<br />

erlauschen. Leider aber ist nicht allen dazu<br />

Gelegenheit gegeben. Manche Mutter<br />

kann bei dem großen Hauswesen mit seiner<br />

aufreibenden Tätigkeit vom frühen Morgen<br />

bis zum späten Abend ihrer Tochter nicht<br />

die Zeit widmen, die sie ihr wohl widmen<br />

möchte. Da ist es denn mit Freuden zu<br />

begrüßen, daß die Achimer Kreiswanderhaushaltungsschule<br />

dem fühlbaren Bedürfnis<br />

abhelfen will, die jungen Mädchen mit<br />

den Kenntnissen auszurüsten, die jede<br />

angehende Hausfrau wissen muß. Wie überall<br />

im Leben, so geht auch hier Theorie und<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Praxis Hand in Hand. Daneben wird auch<br />

Wert darauf gelegt, daß die bei Mädchen so<br />

angenehm berührende Zärtlichkeit bei den<br />

einzelnen Maßnahmen zu ihrem Rechte<br />

kommt. Der Besuch der Schule wird den<br />

Mädchen aus unserer Gegend dadurch<br />

erleichtert, daß im Januar ein Vierteljahrs-<br />

Kurs beginnen soll. Eine genügende Beteiligung<br />

(mindestens 15 Mädchen) ist wohl<br />

sicher zu erwarten. Wir verweisen im Übrigen<br />

auf die Bekanntmachung im heutigen<br />

Inseratenteil.“<br />

Diebe unterwegs!<br />

Borgfeld, 25. Okt. „In der letzten Nacht<br />

sind bei den Gastwirten Joh. Lührs und H.<br />

Kellner (Bahnhof) Einbruchsdiebstähle verübt<br />

worden. Die Diebe sind durch die Fenster,<br />

die sie von außen durch Herausnahme<br />

einer Scheibe öffneten, in die Gaststuben<br />

eingedrungen und haben die Tresenkassen<br />

geleert. Beim Gastwirt Lührs fielen ihnen<br />

etwa 8 Mk., auf dem Bahnhof etwa 30 Mk.<br />

in die Hände. Sie müssen sich ziemlich<br />

sicher gefühlt haben, denn auf dem Bahnhof<br />

haben sie sich auch Bier eingeschenkt<br />

und es ausgetrunken. Auch ein Fahrrad,<br />

welches ein junger Mann in der Nähe des<br />

Pastorenhauses am Weg hingestellt hatte,<br />

ist gestohlen worden.“<br />

Fischerhude. „In letzter Zeit wurde unser<br />

Ort täglich von einem Dieb heimgesucht.<br />

Bald fehlten dem einen Gänse, dem anderen<br />

Pferdegeschirre, dem dritten Wagenlaternen,<br />

dann wieder Hühner, Enten und<br />

sonstige Sachen, die sich in Ställen und<br />

Scheunen befanden. In der Nacht von<br />

Sonnabend auf Sonntag ist nun der Dieb<br />

gefaßt worden. Es ist ein aus Bredenau-<br />

Fischerhude gebürtiger K., jetzt in Hemelingen<br />

wohnhaft, der erst vor kurzem aus der<br />

Haft entlassen worden ist. Weil das ,Handwerk´<br />

ihm gefiel und auch sehr einträglich<br />

war, hat er sich für November gleich eine<br />

Monatskarte gekauft. Bei Durchsuchung<br />

eines mitgebrachten Sackes fanden die jungen<br />

Leute, die ihn wegen Verdachts festhielten,<br />

mehrere Wagenlaternen. Nun<br />

wurde dem K. eine sofortige exemplarische<br />

Strafe zuteil. Am anderen Morgen wurde er<br />

dem Achimer Gericht zugeführt.“<br />

Kurz berichtet<br />

Wörpedorf. „Die sehr beliebten Lichtschauspiele<br />

(lebende Photographien) werden<br />

hier am Sonntag im ,Schützenhofe´<br />

gezeigt werden. Es finden nachmittags und<br />

abends Vorstellungen statt. Die zur Vorführung<br />

kommenden Bilder sind zum Teil<br />

humorvoll, zum Teil ernster und auch<br />

belehrender Art. Der Besuch der Vorstellungen<br />

sei jedem empfohlen.“<br />

Osterholz. „Die Hüttenwirte haben ihre<br />

Sommerwirtschaften an der Hamme fast<br />

alle verlassen. Es wird jetzt recht unfreundlich<br />

an der Hamme, da die Ländereien weit<br />

von den Fluten überschwemmt sind. Der<br />

Schiffsverkehr wird auch immer weniger<br />

und dürfte so ziemlich eingestellt werden,<br />

da die Ausfuhrartikel befördert sind. Die<br />

Wassermassen, welche mit der Flut heraufkommen,<br />

da die Hammeschleusen geöffnet<br />

sind, sind den Weiden von Vorteil.“<br />

Osterholz-Scharmbeck. „Die Scharmbecker<br />

Gasleitung dürfte mit der Zeit auch<br />

durch Osterholz geführt werden. Bereits<br />

eine Anzahl der Osterholzer Bewohner<br />

nimmt Gas für Kochzwecke. Bei einer<br />

Anfrage in Osterholz in einigen Straßen<br />

zeigten Bewohner Interesse für Weiterlegung<br />

des Leitungsrohrs, denn Gas ist<br />

bequem und sauber für Kochzwecke. -In<br />

Osterholz wird zur Zeit ein Telegraphenkabel<br />

verlegt.“<br />

Pennigbüttel. „Eine Seltenheit, in der<br />

die Zahl 12 auch eine Rolle spielt, hat ein<br />

hiesiger Einwohner aufzuweisen. Ihm<br />

wurde nämlich am 12.12. 12, nachts um 12<br />

Uhr, das 12. Kind geboren, was standesamtlich<br />

beglaubigt ist. Dieser Fall wird wohl<br />

einzig dastehen und kaum vor Ablauf eines<br />

Jahrhunderts wieder vorkommen.“<br />

Grasberg. „Unsere Schule veranstaltet<br />

am Montagabend um 5 Uhr in Gemeinschaft<br />

mit dem Männergesangverein im<br />

Kück´schen Saale eine Weihnachtsfeier. Die<br />

Kinder haben dazu, wie im Vorjahre, ein<br />

großes Weihnachtsmärchenspiel eingeübt,<br />

nämlich König Ringelhaar. Die Mitglieder<br />

des Gesamt-Schulverbandes sind zu dieser<br />

Feier herzlich eingeladen.“<br />

Peter Richter<br />

Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal<br />

17


Auf Mühlensuche im Landkreis Osterholz<br />

Wie viele Mühlen gibt es noch im Landkreis Osterholz?<br />

Im Landkreis Osterholz standen einst<br />

über 50 Mühlen!<br />

Das ist der Niedersächsischen Mühlengeschichte<br />

von Wilhelm Kleeberg aus dem<br />

Jahre 1964 zu entnehmen 0 ).<br />

Dort listete Kleeberg noch 42 Mühlen<br />

im Landkreis auf: „3 Windmühlen, mit<br />

Windwerk tätig / 6 Mühlen, ohne Windwerk,<br />

mit Motorbetrieb / 4 stillgelegte<br />

Windmühlen, einige nur noch Ruine / 6<br />

Wassermühlen mit Wasserantrieb / 2 Wassermühlen<br />

mit Motorantrieb / 1 stillgelegte<br />

Wassermühle / 19 Motormühlen / 1<br />

Sägemühle mit Motorantrieb.<br />

Und alphabetisch sortiert führte er die<br />

einzelnen Mühlenstandorte auf: 2 in<br />

Adolphsdorf, je 1 in Aschwarden, Garlstedt,<br />

Hambergen, Heilshorn, Hüttenbusch,<br />

Leuchtenburg, 3 in Lilienthal, je 1 in<br />

Mevenstedt, Meyenburg, Neuenkirchen,<br />

insgesamt 7 in Osterholz-Scharmbeck, 1 in<br />

Ostersode, 2 in Ritterhude, je 1 in Sandhausen,<br />

Scharmbeckstotel, Schlußdorf,<br />

Schwanewede, Seebergen, Tüschendorf, 2<br />

in Vollersode, je 1 in Wörpedorf, Worphausen,<br />

Worpswede.<br />

In der Kleeberg´schen Auflistung finden<br />

wir auch Hinweise auf damals schon verschwundene<br />

Mühlen: je 1 in Eickedorf,<br />

Freißenbüttel, Meinershausen, Ohlenstedt,<br />

9 in Osterholz-Scharmbeck, je 1 in<br />

Ritterhude, Schleenstedt, Schwanewede,<br />

Tüschendorf, Worphausen.<br />

Wie viele Mühlen finden wir heute, fast<br />

50 Jahre später, im Landkreis Osterholz?<br />

Dazu gibt es keine Übersicht in der Qualität<br />

der Kleeberg´schen von 1964.<br />

Auf den Internetseiten der Mühlenfachleute<br />

von der Deutschen Gesellschaft für<br />

Mühlenkunde und Mühlenerhaltung 1 ),<br />

deren Mitglieder alljährlich am Pfingstmontag<br />

den „Deutschen Mühlentag“ veranstalten<br />

und zur Besichtigung von<br />

Mühlen einladen, finden wir 7 Mühlen im<br />

Landkreis Osterholz, auf der Homepage<br />

der Niedersächsischen Mühlenstraße 12<br />

Mühlenstandorte 2 ), auf der vom Landkreis<br />

Osterholz 12 Mühlen 3 ) und der zur<br />

Mühlenstraße im Landkreis Osterholz 11<br />

Mühlen 4 ).<br />

Ein Vergleich der in diesen Internetforen<br />

angegebenen Mühlen bringt im Ergebnis<br />

13 Mühlenstandorte im Landkreis Osterholz:<br />

je 1 in Aschwarden, Lübberstedt,<br />

Meyenburg, 3 in Osterholz-Scharmbeck,<br />

je 1 in Ostersode, Ritterhude, Sandhausen,<br />

Scharmbeckstotel, Schwanewede, Vollersode-Wallhöfen,<br />

Worpswede.<br />

Nicht alle im Mühlen im<br />

Landkreis Osterholz erfasst<br />

Damit sind jedoch nicht alle noch im<br />

Landkreis Osterholz vorhandenen Mühlen<br />

erfasst. So ist darin beispielsweise die erst<br />

kürzlich abgerissene Falkenberger Mühle<br />

in Lilienthal nicht enthalten. Diese Motormühle,<br />

deren komplettes Mühleninnenleben,<br />

konnte vor dem Abriss des Mühlengebäudes<br />

von den Oll´n Handwarkers ut<br />

Worphusen un annere Dörper e.V. dokumentiert,<br />

ausgebaut und für das Handwerkermuseum<br />

auf dem Lilienhof gesichert<br />

werden. (siehe dazu Artikel im <strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong> 101)<br />

Auch die Auflistung der Mühlen im<br />

Landkreis Osterholz 1964 in Kleebergs<br />

Niedersächsischer Mühlengeschichte<br />

erfasst nicht alle damals und eventuell<br />

auch heute noch vorhandenen Mühlen im<br />

Landkreis.<br />

Das zeigten schon die ersten Schritte<br />

einer Bestandsaufnahme von der<br />

„Mühlengruppe der Oll´n Handwarkers“<br />

und der „Geschichtswerkstatt der Region“.<br />

Im Landkreis Osterholz gab es und gibt es<br />

Emblem Niedersächsische<br />

Mühlenstraße.<br />

noch verborgene Mühlenstandorte, die es<br />

aufzuspüren gilt.<br />

Archive, Orts- und Firmenchroniken,<br />

Aufzeichnungen örtlicher Vereine müssen<br />

durchforstet und Chronisten, Mühlenfachleute,<br />

<strong>Heimat</strong>forscher, Ortskundige links<br />

und rechts der Hamme befragt werden.<br />

Dabei ist u.a. eine Frage zu beantworten:<br />

Wo standen die von Kleeberg 1964<br />

erwähnten 19 Motormühlen im Landkreis<br />

Osterholz?<br />

Text und Fotos: Johannes Rehder-Plümpe<br />

Quellen:<br />

0 ) Wilhelm Kleeberg, Niedersächsische<br />

Mühlengeschichte, Hermann Bösmann,<br />

Detmold 1964,<br />

Nachdruck Schlütersche Verlagsanstalt<br />

Hannover 1978, verb. Nachdruck 1979<br />

1 ) www.muehlen-dgm-ev.de: Mühlenlisten,<br />

Niedersachsen und Bremen, Bezirk Lüneburg,<br />

Osterholz<br />

2 ) www.niedersächsische-mühlenstrasse.de:<br />

zur Straße, Landkreis Osterholz, zu den<br />

Mühlen<br />

3 ) www.Landkreis-Osterholz.de: Freizeiterlebnis,<br />

Sehenswürdigkeiten, Mühlen<br />

4 ) www.osterholz.city-map.de: Urlaub &<br />

Tourismus, Sehenswertes, Die Mühlenstraße<br />

im Landkreis Osterholz<br />

Die Mühlengruppe der Oll´n Handwarkers. Das Innenleben der Falkenberger Mühle beim Abtransport.<br />

Mühlen- und Müllerwappen<br />

im Mühlengebäude.<br />

18 RUNDBLICK Herbst 2012


Die wechselvolle Geschichte einer Friedhofsmauer<br />

Grasberg. Im Jahr 1835 war es an der<br />

Zeit, den alten Holzzaun, der den Friedhof<br />

von dem parallel verlaufenden Sandweg<br />

(Speckmannstraße) trennte, zu erneuern.<br />

Diesmal sollte es anstatt eines Zaunes jedoch<br />

eine Mauer sein. Sie entstand nahe des<br />

Weges, der heute entlang der Gräberreihe<br />

führt. Für dieses Bauwerk waren 16.400<br />

Stück zehnzöllige Rotsteine erforderlich, die<br />

(NN) Hastedt 1 ) lieferte und (NN) Wendelken<br />

2 ) brachte 11 Tonnen 3 ) Steinkalk zur Baustelle.<br />

Als obere Abdeckung der Mauer wurden<br />

sogenannte Grauwacken gewählt. Zimmermeister<br />

Röhrs lieferte schließlich zwei<br />

große und vier kleine Holzpforten.<br />

Dieser Neubau sollte sicherlich von langer<br />

Dauer und vor allem kostengünstig sein.<br />

Doch der spätere Zeitgeist meinte es der<br />

Bequemlichkeit halber anders, denn im Jahr<br />

1874 ergab es sich, dass nur noch wenig freie<br />

Grabplätze zur Verfügung standen. Anstatt<br />

hinter der Kirche Unmengen Erdreich anzufahren,<br />

um die entsprechende Höhe zu erlangen,<br />

hatte Pastor Schönfeld dem Königlichen<br />

Konsistorium in Stade folgenden Vorschlag<br />

unterbreitet: „Da zwischen Kirchhofsmauer<br />

und Landstraße noch ein freier Platz als<br />

Eigenthum der Kirchengemeine ist, so muß<br />

die Mauer abgerissen und eine neue hergestellt<br />

werden. Auf einer öffentlichen Versammlung<br />

im August 1874 hatte man sich<br />

jedoch dahin geeinigt, anstatt einer neuen<br />

Mauer einen schmucken Eisengitterzaun<br />

errichten zu lassen. Dies würde „eine Zierde<br />

für die Kirche und auch nützlicher im Winter<br />

bei etwaigem Schneetreiben“ sein. Vorausgesetzt,<br />

es dürfte dazu „300 Mark aus Kirchenmitteln“<br />

verwendet werden. Das Königliche<br />

Konsistorium in Stade versagte jedoch<br />

dazu seine Genehmigung. Daraufhin lehnten<br />

auch die Kirchenmitglieder auf einer weiteren,<br />

im Februar 1875 abgehaltenen Versammlung,<br />

die Errichtung eines Gitterzaunes<br />

ab und einigte sich nunmehr auf den Bau<br />

einer Friedhofsmauer. Nach einem Kostenanschlag<br />

„würde die Mauer auf 1667 Mark<br />

kommen, indem die guten Steine der alten<br />

Mauer, so wie das Grauwerk auf derselben<br />

noch mit benutzt werden könnten“. Nach<br />

nur 40 Jahren fiel somit die Mauer wieder. Sie<br />

wurde mit dem noch brauchbaren Baumaterial<br />

etwa 4 Meter weiter zur Straße hin neu<br />

aufgemauert und diesmal mit einer Putzfassade<br />

versehen. Das große schmiedeeiserne<br />

Tor mit den beiden Seitentüren sowie jeweils<br />

eine Tür am linken und rechten Ende der<br />

Mauer machten das Ganze zu einem imposanten<br />

Bauwerk. Links und rechts des Haupttores<br />

haben sich der Hersteller und die Kirchenvorsteher<br />

in gusseiserne Schrifttafeln<br />

verewigen lassen: „Angefertigt durch J. H.<br />

Ahrens aus Scharmbeck am 2 ten Sept.<br />

1875“ und „Grasberger Kirchenvorsteher<br />

Past. Schönfeld; H. Lindemann, Eickedorf; H.<br />

Lindemann, Wörpedorf; C. H. Tietjen, Adelsdorf;<br />

H. Bergmann, Danneberg 1876“.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Die neue Friedhofsmauer verbindet harmonisch die Geschichte der bisherigen Bauwerke. Foto: Tim Wöbbeking<br />

Im Lauf der Jahre zog jedoch an einigen<br />

Stellen trotz der abgeputzten Fassade immer<br />

wieder Nässe ins Mauerwerk und hinterließ<br />

besonders in den Wintermonaten ihre schädlichen<br />

Spuren, wodurch die Rotsteine besonders<br />

litten. Ihr auffallend hellroter Farbton<br />

ließ erkennen, dass die Brenndauer nicht ausreichend<br />

bemessen war. Somit saugten sie<br />

fast wie ein Schwamm die Nässe auf und<br />

begannen besonders bei Frostwetter zu<br />

bröckeln. So stand nach nur 36 Jahren an<br />

gleicher Stelle erneut ein Neubau der Friedhofsmauer<br />

an. Im Jahr 1912 wurde die Firma<br />

Diedrich Evers aus Wörpedorf damit beauftragt,<br />

binnen 6 Wochen(!) eine neue Friedhofsmauer<br />

zu errichten. Um in den Türbereichen<br />

eine Stabilität zu erlangen, wurden<br />

diese Bereiche aus den noch vorhandenen<br />

Rotsteinen des letzten Bauwerks massiv<br />

gemauert. Die eigentliche Mauer entstand<br />

nach den Vorgaben des Kirchenvorstandes<br />

aus Beton im Verhältnis 1:8. Vielleicht hat die<br />

Baufirma das Mischverhältnis noch optimiert,<br />

um eine bessere Konsistenz zu erzielen. Dabei<br />

wurde diese Mischung noch mit Steinbrocken<br />

4 ) der alten Mauer gestreckt. Etwa fingerdicke<br />

Rundeisenstangen im oberen und<br />

unteren Bereich der Mauer stabilisierten das<br />

Bauwerk. Eine später unmittelbar hinter der<br />

Friedhofsmauer hinzugefügte Lebensbaumhecke<br />

bildete eine harmonische Einheit. Vor<br />

etwa 50 Jahren wurden im Zuge des damaligen<br />

Straßenbaues und der anschließenden<br />

Neuanpflanzungen haarscharf an der Mauer<br />

sündhaft Lindenbäume gepflanzt! Damit<br />

nahm das Schicksal der Friedhofsmauer<br />

erneut seinen Lauf. In den Folgejahren entstanden<br />

Risse und teilweise platzten große<br />

Mauerteile ab.<br />

Bauwerk hat 100 Jahre<br />

seinen Dienst getan<br />

Heute hat dieses Bauwerk genau 100 Jahre<br />

lang seinen Dienst getan und hätte eigentlich<br />

den Status des Denkmalschutzes verdient.<br />

Die gravierenden Schäden der letzten Jahrzehnte<br />

ließen jedoch nur den Schluss zu,<br />

diesmal einen grundlegenden Neubau zu<br />

erwirken. Private Spenden und Zuschüsse der<br />

Dorferneuerung Eickedorf, Grasberg, Wörpedorf<br />

zum Beispiel ermöglichten dieses Vorhaben,<br />

denn aus dem steuerlichen Etat der Kirche<br />

konnten auch diesmal keine Zuschüsse<br />

erwartet werden. Im Spätsommer 2012<br />

begann der inzwischen vierte Neubau der<br />

Friedhofsmauer, die diesmal auf ihrer Länge<br />

von rund hundert Meter bis etwa einem<br />

Meter schräg verläuft. Da zugleich auch der<br />

zweite Bauabschnitt des Neubaues der<br />

Speckmannstraße erfolgt, konnte in diesem<br />

Bereich eine Fußgänger-Querung mit einer<br />

Verkehrsinsel realisiert werden.<br />

Für den Bau der Friedhofsmauer wurden<br />

Rotsteine gewählt, die von ihrer Oberfläche<br />

her dem Mauerwerk der Kirche ähnlich sind.<br />

Die geputzten Kassettenfächer erinnern an<br />

die vorherige Friedhofsmauer. Als obere<br />

Abdeckung der neuen Mauer wurden die<br />

Steinplatten vom Jahr 1835 wiederverwendet.<br />

Leider sind beim Abbruch der vorherigen<br />

Mauer einige der Grauwacken zerbrochen.<br />

Dabei hat sich gezeigt, dass sich neben dieser<br />

Gesteinsart auch mehrere beige bis graue<br />

Karlshafener Sandsteinplatten befinden. Der<br />

eigentliche Farbton war seit Jahrzehnten<br />

wegen der Grünalgenschicht nicht mehr<br />

erkennbar. Das bei einer örtlichen Firma<br />

restaurierte Haupttor von 1875 wurde etwas<br />

zurückgesetzt platziert. Auch die eine noch<br />

erhaltene separate schmiedeeiserne Tür kam<br />

wieder zur Verwendung.<br />

Diese neue Friedhofsmauer verbindet harmonisch<br />

die Geschichte der bisherigen Bauwerke.<br />

Sie wird mit den historischen schmiedeeisernen<br />

Toren für die weiteren Generationen<br />

sicher eine dauerhafte Zierde sein und<br />

bleiben. Text: Harry Schumm<br />

Quellen:<br />

Pfarrarchiv der Kirchengemeinde Grasberg.<br />

1 ) und 2 ) Hier handelt es sich sicher um Privatpersonen,<br />

die sich durch ihre Lieferdienste ein<br />

Zubrot verdienten. Nachweislich waren auf<br />

diese Weise auch einige Bauern aus Schmalenbeck<br />

(Gemeinde Grasberg) tätig, die mit ihrem<br />

Moorkahn Steine von der Geest zu einem anderem<br />

Bauobjekt in Grasberg lieferten.<br />

3 ) 1 Tonne = (Preußen) 137,403 Liter.<br />

4 ) Diese Methode war örtlich noch bis in die<br />

1970er Jahre üblich.<br />

19


Die Speckmannstraße vor über 100 Jahren<br />

Bemerkenswertes aus einer alten Festzeitung<br />

Grasberg. Ein zunächst aktuelles und<br />

bald eher unbedeutendes Schriftstück<br />

kann im Lauf der Jahre interessante Inhalte<br />

vermitteln. Hier war es der „Männergesangverein<br />

Grasberg“, der am Sonntag,<br />

den 17. Juni 1900, zum 16. Sängerfest des<br />

Wümme-Weser-Sängerbundes nach Grasberg<br />

einlud. Ihre Festzeitung beinhaltete<br />

auch einen „Führer durch Grasberg“, der<br />

im Gemeindearchiv Grasberg vorliegt. Er<br />

sollte als Wegweiser zu den jeweiligen<br />

Treffpunkten dienen und auf die weiteren<br />

Anwohner der damals noch wenig bebauten<br />

Speckmannstraße aufmerksam<br />

machen. Wie seinerzeit in der Altgemeinde<br />

Grasberg üblich, wurden überdimensionale<br />

Festveranstaltungen in mehreren<br />

Lokalen und Tanzsälen veranstaltet.<br />

Vier Gaststätten auf 1000 m<br />

Der hier näher erwähnte Straßenabschnitt<br />

erstreckt sich von dem neuen Verkehrskreisel<br />

im Ortsteil Wörpedorf bis zum<br />

Lokal und Hotel Grasberger Hof an der<br />

Speckmannstraße 58: In diesem Bereich<br />

von etwa 1000 Meter gab es derzeit vier<br />

Gaststätten; zwei mit Tanzsaal und drei mit<br />

Sommergarten.<br />

Der „Führer durch Grasberg“ verleitet<br />

uns dazu, sich in die Zeit vor über einhundert<br />

Jahren zurückzuversetzen. Bilder<br />

schweben wie ein Film vorüber:<br />

Geschmückte Straße und Lokale, kein<br />

Fahrzeuglärm. Alle Beteiligten nehmen die<br />

ganze Breite der Straße ein. Und zum<br />

Abschluss das große Konzert unter freiem<br />

Himmel.<br />

Lassen wir nun die Gäste kommen:<br />

„Nachdem die Gäste bei der Dampf-<br />

Wacker’s Gasthof um 1905, heute Hotel und Lokal Grasberger Hof.<br />

molkerei Wörpedorf 1 ) rechts abgebogen<br />

sind und gleich darauf die neue leider noch<br />

nicht vollständig fertiggestellte Eisenbahn<br />

Bremen-Tarmstedt 2 ) beim Bahnhof Grasberg-Wörpedorf<br />

3 ) überschritten und den<br />

Neubau unseres berühmten Hühnerologen<br />

Kück 4 ) angeschaut haben, werden sie<br />

freudig empfangen von dem Männergesangverein<br />

Grasberg in dem vor zwei Jahren<br />

erbauten Gast- und Geschäftshause<br />

des Bassisten Herrn Christel Arps 5 ). Hier ist<br />

gut sein und alles in guter Qualität zu<br />

haben, was zur Leibes-Nahrung und Nothdurft<br />

gehört. Pünktlich zur festgesetzten<br />

Zeit erfolgt die Aufstellung zum Festzuge.<br />

Derselbe bewegt sich über Tarmstedter<br />

Holsten’s Sommergarten um 1905. Heute Geschäftstelle der Volksbank, Speckmannstraße 45.<br />

und Wilstedter Gebiet 6 ) durch Grasberg.<br />

Im Vordergrunde der Feststraße gewahrt<br />

das Auge die schöne Besitzung des Kaufmanns<br />

Herrn Steingröver. Ein parkähnlicher<br />

wohlgepflegter Garten umgiebt das stattliche<br />

neue Wohnhaus 7 ). Gegenüber sehen<br />

wir das Hauptfestlokal 8 ). Da wir hierin nach<br />

dem Festzuge zur Hauptfeier zurückkehren,<br />

so lassen wir’s vorläufig „links liegen“.<br />

Zur weiteren Orientirung und um Wiederholungen<br />

zu vermeiden, sei hier<br />

bemerkt, daß rechts von der Feststraße die<br />

politische Ortschaft Grasberg liegt und<br />

links Wilstedt. 9 ) Unser Bundessängerfest<br />

wird demnach in den Kreisen Osterholz<br />

und Zeven gefeiert. Zur linken der Straße<br />

zeigt sich unser neues stilvolles Postgebäude.<br />

Eigenthum des Tenoristen Herrn<br />

Hermann Kimker 10 ).<br />

Organistenhaus ist das<br />

älteste Gebäude Grasbergs<br />

Rechts treffen wir das idyllisch gelegene<br />

Pfarrhaus 11 ). Der zeitige Herr Pfarrer wirkt<br />

mit großer Pflichttreue schon über 30<br />

Jahre so segensreich in hiesiger Gemeinde;<br />

er erfreut sich allgemeiner Liebe und Achtung.<br />

An die Pfarre schließt sich Kirche 12 )<br />

und Organistenhaus 13 ). Vor der Kirchhofspforte<br />

erhebt sich das kostbare Kriegerdenkmal<br />

14 ), daß 1895 errichtet ist zum<br />

Gedächniß der Heldensöhne, die im<br />

Kampf für das Vaterland gefallen sind. Das<br />

bereits erwähnte Organistenhaus ist das<br />

älteste Gebäude in Grasberg. Einen weiteren<br />

Anblick gewährt das neue Schulhaus;<br />

ihm fehlt bislang noch die Lehrerfamilie 15 ).<br />

Links schauen wir die schönen Anlagen des<br />

Sangesbruders und Gastwirts Herrn G.<br />

20 RUNDBLICK Herbst 2012


Holsten 16 ). In seinem aufs Beste decorirten<br />

neuen Saale findet bei der Rückkehr des<br />

Zuges die Probe der Chorlieder statt. Der<br />

freundliche Wirth lässt es an aufmerksamer<br />

Bedienung mit guten Speisen und Getränken<br />

nicht fehlen. Gleich hinter der neuen<br />

Schule wird das Auge erfreut durch den<br />

Anblick des neuen prächtigen Geschäftshauses<br />

des Kaufmanns Herrn Stolte 17 ).<br />

(NB. Hinter dessen Wohnung liegt im neu<br />

angelegten Garten ein „Ableger vom Weyerberge“<br />

18 ), bewacht vom Ceberus 19 ).<br />

Weiter treffen wir an der Feststraße das<br />

trauliche Heim des Häuserfabrikanten D.<br />

Kimker 20 ), eines eifrigen Mitgliedes des<br />

Gesangvereins. Nunmehr hat der Festzug<br />

das Ende Grasbergs erreicht und wir treten<br />

ein in die geräumigen, festlich geschmückten<br />

Hallen des Herrn Fulfs 21 ). Der aufmerksame<br />

Wirth sorgt prompt und reell für das<br />

leibliche Wohl aller Festgenossen. Nach<br />

genügender Erfrischung beginnen wir den<br />

Rückmarsch zum Hauptfestlocale. Hier<br />

empfängt uns der Festwirth A. D. Schnakenberg<br />

22 ). Im Garten lauschen wir den<br />

Vorträgen der Chor- und Sololieder und<br />

dem Concert der Matrosen-Artillerie-<br />

Capelle aus Wilhelmhaven“.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Kein amtliches Aktenstück zeigt ein so<br />

aufschlussreiches Bild auf. Es hat sich also<br />

gezeigt, dass auch zunächst unbeachtete<br />

Schriftstücke zu Archivalien heranreifen<br />

können, wenn sie nur die wechselhaften<br />

Zeiten überdauern dürfen und würden.<br />

Fotos: Gemeindearchiv Grasberg<br />

Text: Harry Schumm<br />

1 ) 1892 eingeweiht, 1898 in Konkurs und<br />

einen Teil an Heinrich Gieschen aus Eickedorf<br />

8 verpachtet. Dieser richtet einen<br />

Mühlenbetrieb („Wörpedorfer Mühle“)<br />

ein und erwirbt später den gesamten<br />

Komplex. 1999 ausgebrannt und 2011<br />

komplett abgebrochen.<br />

2 ) Kleinbahn „Jan-Reiners“.<br />

3 ) Südöstlich der heutigen Gartenstraße.<br />

4 ) Das Haus zwischen der Straße Schulweg<br />

und der Findorff-Apotheke. Kück ist Mitglied<br />

des Geflügelzuchtvereins Grasberg.<br />

5 ) Seit 1926 Kreissparkasse<br />

6 ) Betreffend Eickedorf, Gasberg und Wörpedorf<br />

wurde die Wörpe bis 1929 durch die<br />

Wilstedter und Tarmstedter Wiesen<br />

begrenzt. Seitdem sind sie Bestandteil der<br />

drei Gemeinden.<br />

Hildegard Fittschen 90 Jahre<br />

Am 22. November 1922 in Pennigbüttel<br />

geboren, hat sie in ihren jungen Jahren<br />

bewegte Zeiten erlebt. Ihre Vorfahren<br />

waren entweder Ärzte oder Lehrer. Also<br />

wollte sie Kinderärztin werden. Viele Fahrradkilometer<br />

legte sie zurück, um zum Zug<br />

nach Bremen zu kommen. Weiter ging es<br />

zu Fuß zum Kippenberg-Gymnasium.<br />

Dann war ihr Abitur geschafft und sie<br />

begann ihr Studium in Marburg. Auch in<br />

Marburg fielen Bomben und sie wurde mit<br />

anderen deutschen Frauen in einer unterirdischen<br />

Munitionsfabrik eingesetzt.<br />

Danach kam sie zu Drettmann in Scharmbeck,<br />

wo Militärfahrzeuge gebaut wurden.<br />

Später bis Kriegsende wurde sie als Krankenschwester<br />

im Krankenhaus in der Lindenstraße<br />

eingesetzt. Einem Tieffliegerangriff<br />

entkam sie in letzter Sekunde. 1946<br />

Nachruf Herbert Fittschen<br />

Wir mochten ihn alle sehr. Die Frauen<br />

und Männer, die den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

ins Leben riefen; aber auch die Freunde,<br />

die dann zu uns in die vierteljährliche<br />

Redaktionsrunde fanden. Immer der<br />

ruhende Pol, bei dem jeder Satz, den er<br />

aussprach, passte. Und viele Manuskripte<br />

steuerte er zum guten Gelingen bei. Bis<br />

dann der Schicksalsschlag ihn traf, von<br />

dem er sich nie mehr erholte.<br />

Herbert Fittschen hat uns im September<br />

2012 verlassen. Und wie in den ver-<br />

7 ) Rathausgelände<br />

8 ) Bäckerei Blanke, (siehe Nr. 22)<br />

9 ) (siehe Nr. 6)<br />

10 ) Speckmannstraße 25. Das 1898 erbaute<br />

Haus hat ihr ursprüngliches Aussehen<br />

seither nahezu bewahrt.<br />

11 ) Das Pfarrhaus wurde 1911 durch einen<br />

Neubau ersetzt. Pastor Schönfeld ging<br />

1902 in den Ruhestand.<br />

12 ) Am 1. November 1789 geweiht.<br />

13 ) 1787 erbaut und 1962 wegen Neubau<br />

abgebrochen.<br />

14 ) Ab1956 beim heutigen Parkplatz des Kindergartens<br />

an der Speckmannstraße 50,<br />

seit 2010 auf dem Denkmalplatz im<br />

Straßenwinkel Gefkens Weg - Wörpedorfer<br />

Straße.<br />

15 ) Seit 1975 kommunaler Kindergarten,<br />

(siehe Nr. 14).<br />

16 ) Speckmannstraße 49.<br />

17 ) Johann Stolte, gebürtig aus Worpswede,<br />

erwarb es 1891.<br />

18 ) Was mag das sein?<br />

19 ) Wer kann hier weiterhelfen?<br />

20 ) Speckmannstraße 54.<br />

21 ) Lokal und Hotel Grasberger Hof.<br />

22 ) Heute Bäckerei Blanke, Speckmannstraße<br />

23.<br />

sprach sie vergeblich in verschiedenen<br />

Universitäten vor. 1951–1953 ging sie zur<br />

PH Lüneburg und wurde Lehrerin in der<br />

Menckeschule, wo ihr der Kollege Herbert<br />

Fittschen über den Weg lief, mit dem sie<br />

eine sehr glückliche Ehe hatte. Zwei Kindern<br />

hat sie das Leben geschenkt. In den<br />

nachfolgenden Jahren trat sie in verschiedene<br />

Vereine ein, aus denen sich Freundschaften<br />

entwickelten, die bis heute anhalten.<br />

Und immer wieder war sie ihrem<br />

Mann Herbert bei seinen Aktivitäten eine<br />

große Stütze. Fast zwei Jahrzehnte fuhr sie<br />

ihren Mann zu den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-Sitzungen<br />

und las auch oftmals für den <strong>Rundblick</strong><br />

Korrektur. Dafür danken wir ihr und<br />

wünschen für die Zukunft alles, alles Gute.<br />

Manfred Simmering<br />

gangenen Jahren, werden wir auch in<br />

Zukunft gern an ihn denken, unseren<br />

Herbert Fittschen.<br />

Manfred Simmering<br />

Unser Redaktionsmitglied Horst Plambeck<br />

hat in mühevoller Arbeit unter Wikipedia<br />

einen ausführlichen Lebenslauf<br />

erstellt, den sich Interessierte dort gerne<br />

herunterladen können.<br />

Die Redaktion<br />

21


Ein Stammbaum sagt mehr aus …<br />

Das Abbild der Lilienthaler Äbtissin an einem Weltkulturerbe<br />

Der Artikel über das Abbild der<br />

Äbtissin an der Schauseite des Bremer<br />

Rathauses hat ein starkes Echo<br />

gefunden und Verwunderung hervorgerufen.<br />

Denn so deutlich hatte<br />

man das in Lilienthal bisher nicht<br />

verstanden. An der Konsole unter<br />

der Skulptur des Markgrafen von<br />

Brandenburg das Abbild der Äbtissin<br />

Greten des Klosters Lilienthal noch<br />

heute betrachten zu können ... An<br />

der Fassade eines Weltkulturerbes!<br />

Und dann noch Hinrich von der Trupe,<br />

der beim Bau des gotischen Rathauses in<br />

den Jahren 1405 bis 1407 alle Fäden in der<br />

Hand hielt. Auch über ihn ist in Lilienthaler<br />

Chroniken nichts zu finden. Wikipedia widmet<br />

ihm im Internet eine eigene Seite!<br />

Karl Lilienthal lässt in seiner Festschrift<br />

„1000 Jahre Trupe“ [1937] keine Zweifel<br />

aufkommen: „Es ist nun völlig abwegig,<br />

die Namengebung Trupes auf die adelige<br />

Bremer Familie von Trupe zurückzuführen.<br />

Zum Ersten erhält ein Ort niemals den<br />

Namen einer Familie. Orte sind immer<br />

älter als der Familienname. Diese gehen<br />

vielmehr auf Ortsnamen zurück.“<br />

Die besondere Stellung des Ortes Trupe<br />

zum Bremer Erzbistum ergibt sich schon<br />

aus der Gründung des Klosters Lilienthal.<br />

Es heißt, dass das Kloster nach seiner letzten<br />

Station in Wolda in den Wald nach<br />

Trupe verlegt wurde und dort blieb. Damit<br />

hatte Trupe eine besondere Nähe zu Bremen,<br />

denn die Klostergründung durch den<br />

Bremer Erzbischof Gerhard II. erfolgte, weil<br />

dessen Bruder in der Schlacht gegen die<br />

Stedinger Bauern fiel.<br />

Sieht man sich diesen Ausschnitt aus<br />

dem Stammbaum von Johann Hemeling<br />

an, so fällt die Verbindung zwischen den<br />

beiden und weiteren Familien aus der<br />

Oberschicht förmlich ins Auge. Seit 1382<br />

gehörte Hemeling dem Rat an, war Bürgermeister<br />

von 1405 bis 1410. Ab 1390<br />

auch Dombaumeister. In erster Ehe war<br />

Johann Hemeling verheiratet mit Alheydis,<br />

Tochter des Hinrich von der Trupe.<br />

Rathausfenster-Ausschnitt: Johann Trupe, Bremer<br />

Bürgermeister von 1512 bis 1531.<br />

um 1410<br />

Dem Gremium Rat gehörten 36 Ratmannen<br />

an, für deren Wahl folgende Voraussetzungen<br />

erfüllt werden mussten: Die freie<br />

und eheliche Geburt, Grundbesitz in einem<br />

Wert von mindestens 32 Mark innerhalb<br />

der Stadt, Einlösung städtischer Rente,<br />

Gestellung eines Pferdes für Botenritte in<br />

der Stadt, Ausrichtung eines Gastmahls für<br />

die im Rat sitzenden kumpanen, zwölf Ratsherren<br />

und die Boten waren zu beköstigen.<br />

Hinrich von der Trupe hatte<br />

eine herausragende Position<br />

In diesem Rat hatte Hinrich von der Trupe<br />

eine herausragende Position. Das auf seine<br />

Anregung 1395 eingeführte Ratsdenkelbuch<br />

mag eine Rolle gespielt haben, ihm die Bauleitung<br />

des gotischen Rathauses anvertraut<br />

zu haben, das von ihm geführte Rechnungsbuch<br />

hätte noch nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

als Muster für kaufmännische Aufzeichnungen<br />

gelten können. - Er heiratet Gheze<br />

van Hasbergen, die aus der Familie des Ratsherrn<br />

(1405 bis 1418) und Bürgermeisters<br />

(1411 bis 1418) Hinrik van Hasbergen<br />

stammt.<br />

Seine zweite Tochter Tibbe wird als Witwe<br />

des Hinrek von der Tyver (Tiefer) geführt.<br />

Auch dieser gehörte zur Bremer Oberschicht.<br />

Tochter Margareta führte ihre erste Ehe mit<br />

Hinrik Vredelaken, heiratete danach den Ratsherrn<br />

und Bürgermeister Hinrik von der<br />

Hude.<br />

Sohn Johann von der Trupe wird im<br />

Stammbaum als ledig erwähnt, ein Bürger-<br />

meister Johann Trupe wird jedoch 1524 als<br />

einer von vier Bürgermeistern genannt, die<br />

wegen der Reformation mit dem Domkapitel<br />

verhandelten. Sehr oft ging der Vorname des<br />

Vaters auf den Sohn über, hier wohl bis zum<br />

Enkelsohn.<br />

Die aufgezeigte Verbindung von Familien<br />

festigte die Herrschaft der führenden Rats-<br />

Familien, die untereinander verwandt und<br />

verschwägert waren, man war unter sich.<br />

An der Richtigkeit, dass die in Bremen<br />

ansässige Familie von der Trupe aus dem jetzigen<br />

Ortsteil Trupe in Lilienthal stammte,<br />

gibt es keinen Zweifel. Ein weiteres Beispiel<br />

soll unterstreichen, dass es die Trupe hieß,<br />

obwohl damit die Deutung des Ortsnamens<br />

nicht geklärt ist.<br />

Johann Hellingstede, Bürger zu Bremen<br />

und zur Zeit Richter in der Trupe …<br />

(Geschichte der freien Stadt Bremen, Band 1,<br />

Johann Hermann Duntze, 1846). - Noch nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg sprach die ältere<br />

Generation von den Höfen in der Trupe.<br />

Wir kehren noch einmal zum Rechnungsbuch<br />

des gotischen Rathauses (1405 bis<br />

1407) zurück, sehen hier einen Ausschnitt aus<br />

dem Original:<br />

Bei der Endabrechnung mit dem Bildhauer<br />

Meister Johannes wird deutlich, dass jede der<br />

16 Figuren zu einem Preis von 23 Gulden<br />

gefertigt wurde.<br />

Hinrich von der Trupe hat mit großem<br />

Geschick die Spenden für die Skulpturen (im<br />

Rechnungsbuch belden / Bilder genannt) eingeworben,<br />

verbunden mit einem Abbild<br />

unter der Konsole. Man kann diese Hand-<br />

22 RUNDBLICK Herbst 2012


Kaplan Diedrich, Pfaffe des Bremer Erzbischofs,<br />

oder der Propst des Klosters Osterholz – das ist hier<br />

die Frage …<br />

Anita Hagenow, geb. Kück, Schwester von<br />

Käthe Dehlwes, lebt in Lilienthal auf ihrem<br />

Hof, der seit 1667 nachzuweisen ist, in der kleinen<br />

Sackgasse Im Orth. Ihr Ehemann Wiegand<br />

Hagenow, den sie bei ihrer Schwester Käthe<br />

Dehlwes in Borgfeld, Upper Borg, kennengelernt<br />

hatte, war aus Viesecke an der B5 in der<br />

Nähe von Perleberg in Brandenburg in den<br />

Westen geflohen. Er gehörte zu denen, die<br />

dem Regime der DDR den Rücken gekehrt hatten,<br />

weil es keine Zukunft mehr für sich und<br />

den elterlichen Hof gab. Auch dieses Anwesen<br />

und die Familie Hagenow konnte zu dem Zeitpunkt<br />

auf eine lange Vergangenheit zurückblicken.<br />

In einem Regest vom 18. Juni 1395 ist<br />

zu lesen: Unter den Bürgern ist auch her Reimer<br />

Hagenow, riddere. Auch das Wappen wird<br />

beschrieben: Im blauen Felde eine rothe Rose.<br />

Die Eheleute Hagenow führten eine glückliche,<br />

wenn auch arbeitsame Ehe. Doch dann<br />

verstarb Wiegand Hagenow, viel zu früh.<br />

Küchengeräte, an die sich<br />

Ältere kaum noch erinnern<br />

Es dauerte eine Weile, bis Anita sich entschloss,<br />

auf dem großen Hof, der nicht mehr<br />

bewirtschaftet wurde, Platz zu schaffen. Neben<br />

dem Hof gab es eine recht große Scheune, die<br />

Platz genug bot, um Historisches und Erinnerungen<br />

zu bewahren. So sammelten sich bald<br />

kleinere Gerätschaften, die in Zeiten benutzt<br />

wurden, als Pferde die Arbeit verrichteten, als<br />

Kühe noch mit der Hand gemolken wurden, die<br />

Wärme aus dem mit Torf beheizten Ofen kam.<br />

Zum Hof gehörten 6 Morgen Land im Klostermoor,<br />

aus denen der Torf gewonnen wurde.<br />

Die Kinder fuhren auf dem Pferdewagen mit ins<br />

Moor zum Torfstechen, als Tagesration gab es<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

lungsweise nur als frühes Sponsorenverhalten<br />

bezeichnen. Denn sein Vorgehen ist aus seinen<br />

Aufzeichnungen deutlich abzulesen.<br />

Mehr als auffällig bei den Spenden ist die<br />

Häufigkeit des Betrages um 23 bis 28 Gulden.<br />

So ist z.B. beim Ritter von Zestersfleth ein<br />

Betrag von 224 Gulden eingetragen. Noch<br />

deutlicher ist es bei der Eintragung der Spende<br />

der erzbischöflichen Amtleute, denn dort ist<br />

eine Aufteilung vorgenommen worden. Dem<br />

ersten Betrag von 300 Mark folgt der Zusatz:<br />

„denselben … 23 Gulden“. Hier sind die Zahlung<br />

für den Bau des Rathauses und die Spende<br />

für die Konsole getrennt aufgeführt.<br />

Rolf Gramatzki sieht in der Figur der Konsole<br />

unter dem Erzbischof von Mainz den Überbringer<br />

der Spende des Bremer Erzbischofs,<br />

den Kaplan Diedrich. Doch die besondere Stellung<br />

der Beträge zwischen 23 und 28 Gulden<br />

spricht eher dafür, dass der Propst des Klosters<br />

Osterholz sich für seine Spende von 25 Gulden<br />

einen Platz an der Rathausfassade erkaufte.<br />

Denn der Überbringer der Spende, Bernd Prindeney,<br />

war Ratmann, wie man hier sieht:<br />

Als Vertreter des Rates waren an diesem<br />

Schiedsspruch beteiligt: Bürgermeister<br />

Muckefuck [aus verschiedenen Getreidesorten<br />

hergestellt, ohne Koffein] und Milchreis.<br />

Küchengeräte sind zu sehen, an die sich<br />

selbst die Älteren kaum noch erinnern, das<br />

wöchentliche Bad in der Zinkwanne. Der Alltag<br />

auf einem Bauernhof vor 70 Jahren ist heute<br />

kaum zu beschreiben, Ein Plätzchen wurde für<br />

den Schwager Wilhelm Dehlwes eingerichtet,<br />

der sich als <strong>Heimat</strong>forscher um die Aufarbeitung<br />

der Geschichte von Borgfeld und Lilienthal<br />

verdient gemacht hatte. Einige Jahre vergingen,<br />

bevor Anita Hagenow ihre geordneten<br />

Schätze der Öffentlichkeit vorstellte. Das einfache<br />

aber doch schöne Leben auf dem Bauernhof<br />

ist in der zum Museum gewordenen<br />

Scheune wiederzufinden.<br />

Wer Lust verspürt, sich hier einmal umzusehen,<br />

Tochter Christiane Grotheer ist unter der<br />

Tel.-Nr.04298-467272 zu erreichen und hilft<br />

gern weiter.<br />

Zum Schluss erzählt Anita Hagenow eine<br />

kleine Episode, die sich am Ende des Zweiten<br />

Johann Vasmer; Bernd Prindeney; … (Die<br />

Landgebietspolitik der Stadt Bremen um<br />

1400 …, Manfred Willmanns, 1973). Dieser<br />

Ratmann hat die für damalige Verhältnisse<br />

anstrengende Tagesreise nach Osterholz<br />

(-Scharmbeck) angetreten, um die Spende<br />

des Propstes dort abzuholen und Hinrich von<br />

der Trupe zu übergeben. Somit wäre ein weiterer<br />

Vertreter eines Klosters außerhalb der<br />

Stadt an der Schauseite des Bremer Rathauses<br />

verewigt! Dass der Bildhauer Meister Johannes<br />

dem Propst des Klosters Osterholz persönlich<br />

begegnet ist, um sein Abbild auf die<br />

Konsole zu übertragen, kann als sicher gelten.<br />

Für mich war das Rechnungsbuch zum Bau<br />

des Bremer Rathauses im gotischen Stil eine<br />

spannende Quelle, die Material zur Lösung<br />

weiterer Rätsel bietet.<br />

Harald Steinmann<br />

Quellen:<br />

Das Rathaus in Bremen, Versuch zu seiner Ikonologie,<br />

Rolf Gramatzki, 1994<br />

Johann Hemelings „Diplomatarium fabricae<br />

ecclesiae Bremensis“ von 1415/20, Lieselotte<br />

Klink, 1988<br />

Klein aber fein, ein Museum in der Scheune<br />

Unser Fotograf Erwin Duwe hat versucht, möglichst viele der alten Geräte im Bild festzuhalten: Torfmühle;<br />

Moorpflug; Strohschneider; Dibbelmaschine; die Egge ist mehr als 2m breit, wurde von nur einem Pferd<br />

gezogen; Staubmühle. Erwin Duwe stellte dabei fest, dass ein Bild mehr aussagt als tausend Worte.<br />

Weltkriegs so abgespielt hat: Auf ihrem Bauernhof<br />

arbeitete ein Kriegsgefangener, ein Franzose.<br />

Da es nicht erlaubt war, dass er während<br />

der Mahlzeiten mit am Familientisch saß, was<br />

auch kontrolliert wurde, hatte man einen kleinen<br />

runden Tisch gegen die Tischecke gestellt.<br />

Ein gutes Miteinander entwickelte sich, ähnlich<br />

bei einem Belgier, der ebenfalls Familienanschluss<br />

auf einem anderen Hof in Moorhausen<br />

gefunden hatte. Doch kurz vor Kriegsschluss<br />

traten bei beiden heftige Zahnschmerzen auf,<br />

sie mussten unbedingt zum Zahnarzt. Damals<br />

gab es kein Auto, das sie zur Behandlung fuhr.<br />

So liehen sie sich bei ihren Bauern zwei Fahrräder,<br />

mit denen sie den Weg zum Zahnarzt<br />

antraten. Einige Tage später fand man bei Meppen<br />

in einem Wald zwei Fahrräder, die dort<br />

abgestellt waren. Am Lenker ein Zettel: „Diese<br />

Räter gehören zwei Bauern aus Moorhausen.“<br />

Das Ehepaar Hagenow hat bedauert, dass ihr<br />

Franzose sich nach dem Krieg nicht wieder<br />

gemeldet hat. Manfred Simmering<br />

23


Campus für lebenslanges Lernen:<br />

Eine Idee nimmt Gestalt an<br />

Osterholz-Scharmbeck. Das Quartier<br />

Am Barkhof in Osterholz-Scharmbeck –<br />

direkt angrenzend an das Zentrum der<br />

Kreisstadt – verändert sein Gesicht. Neben<br />

der auffällig bunten Fassade des Medienhauses<br />

fällt eine riesige Baustelle ins Auge:<br />

Die alte Realschule ist abgerissen worden,<br />

um dort das Gebäude der neuen Oberschule<br />

zu errichten. Beide Vorhaben sind<br />

Kernelemente des neuen Campus für<br />

lebenslanges Lernen.<br />

Einen neuen Lern- und Lebensort für alle<br />

Generationen im Zentrum der Stadt schaffen<br />

– das ist das Ziel des Campus. Da Bildung<br />

und lebenslangem Lernen in unserer<br />

Wissensgesellschaft eine immer größere<br />

Bedeutung zukommt, sollen zukunftsorientierte<br />

Lernangebote geschaffen und<br />

schulisches Lernen, Freizeit und Weiterbildung<br />

besser miteinander vernetzt werden.<br />

Bis 2014 entsteht deshalb neben dem<br />

Medienhaus und der neuen Schule Raum<br />

für weitere Bildungs-, Beratungs- und Freizeitangebote.<br />

Um einen attraktiven und<br />

lebendigen Treffpunkt zu schaffen, wird<br />

auch das Campusgelände neu gestaltet:<br />

Scharmbecker Bach<br />

wird wieder freigelegt<br />

Der Durchgangsverkehr wird eingeschränkt<br />

und zwischen Schule und<br />

Medienhaus ein Platz angelegt, der hohe<br />

Aufenthaltsqualität bietet. Der Scharmbecker<br />

Bach, der hier zurzeit noch in Rohren<br />

verschwindet, wird wieder freigelegt<br />

und ins Stadtbild zurückgeholt.<br />

Das Quartier am Barkhof ist bereits seit<br />

langem ein Schul- und Freizeitstandort.<br />

Neben der ehemaligen Realschule befinden<br />

sich hier das Gymnasium, das Allwetterbad<br />

und Sportanlagen. Der hohe Sanierungsbedarf<br />

des Realschulgebäudes gab<br />

Übersichtsplan Campus<br />

den Anstoß, nicht nur bauliche Verbesserungen<br />

umzusetzen, sondern ein völlig<br />

neues und attraktives Bildungsangebot zu<br />

schaffen.<br />

Kern des Campus wird die neue Oberschule<br />

„Lernhaus im Campus“ sein. Die<br />

Oberschule ist aus dem Zusammenschluss<br />

von Haupt- und Realschule entstanden und<br />

bietet ein Ganztagsangebot. „Wir wollen<br />

nicht nur ein Gebäude sanieren, wir wollen<br />

eine neue gute Schule bauen“ - so formulierte<br />

Bürgermeister Martin Wagener den<br />

Beginn des Entwicklungsprozesses. Im Mittelpunkt<br />

des neuen Schulkonzepts stehen<br />

selbtständiges Lernen und eine neue Lehrer-<br />

Lernlandschaft im Lernhaus im Campus. Foto: Schröder AV-Medien<br />

Schüler-Beziehung. Voraussetzung dafür ist<br />

eine neue Raumgestaltung: Ein großer Teil<br />

des Lernens findet in jahrgangsbezogenen<br />

„Lernlandschaften“ statt, in denen alle<br />

Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte<br />

ihren eigenen Arbeitsplatz haben. Die<br />

Lehrkräfte werden zu Lernbegleitern:<br />

Anschluss statt Abschluss<br />

Sie lehren viel weniger, als dass sie das<br />

selbstständige Lernen unterstützen. Das<br />

Lernhaus zeichnet sich durch ein klares<br />

Konzept zur Berufsorientierung aus, das auf<br />

Anschluss statt auf Abschluss ausgerichtet<br />

ist. Da selbst gute Abschlusszeugnisse<br />

heute nicht mehr für einen reibungslosen<br />

Übergang in Ausbildung und Beruf ausreichen,<br />

werden die Schülerinnen und Schüler<br />

darin bestärkt, ihre spezifischen Kompetenzen<br />

zu erkennen und weiterzuentwickeln<br />

und eigene Wege zu finden und zu gestalten.<br />

Bereits seit dem Schuljahr 2010/11<br />

arbeitet die Schule am Ausweichstandort<br />

in der ehemaligen Grundschule Lindenstraße<br />

mit inzwischen der 5., 6. und 7.<br />

Jahrgangsstufe nach dem neuen pädagogischen<br />

Konzept. Das neue Schulgebäude<br />

wird bis Ende 2013 fertiggestellt.<br />

Sowohl beim schulischen als auch beim<br />

lebenslangen Lernen kommt dem<br />

Umgang mit Medien eine Schlüsselrolle<br />

zu. Zweiter Campusbaustein ist deshalb<br />

das Medienhaus, das Anfang 2013 seinen<br />

Betrieb aufnehmen wird. Hier führen Stadt<br />

24 RUNDBLICK Herbst 2012


und Landkreis die Angebote der Kreis- und<br />

Stadtbibliothek, des Kreismedienzentrums<br />

und des Kreisarchivs zusammen. Im Erdgeschoss<br />

des 2700 qm großen, zweigeschossigen<br />

Gebäudes ist außerdem die Mensa<br />

für das Lernhaus und das benachbarte<br />

Gymnasium untergebracht. In der Mensa<br />

werden bis zu 700 Essen täglich frisch<br />

zubereitet. Sie ist mit einer Bühne ausgestattet<br />

und kann von den Schulen auch als<br />

Aula, Unterrichtsraum für Darstellendes<br />

Spiel oder Projektarbeit genutzt werden.<br />

Darüber hinaus stehen die Mensa und ein<br />

Seminarraum auch anderen Einrichtungen<br />

und Initiativen für Bildungs- und Kulturveranstaltungen<br />

offen.<br />

Förderung von historischwissenschaftlicher<br />

Kompetenz<br />

Das Medienhaus fördert als Service- und<br />

Informationszentrum in enger Zusammenarbeit<br />

mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen<br />

Lesekompetenz, Medienkompetenz<br />

und historisch-wissenschaftliche<br />

Kompetenz. Es soll durch die Transparenz<br />

und Offenheit des Gebäudes und eine<br />

nutzerorientierte Weiterentwicklung der<br />

Angebote auch Kinder, Jugendliche und<br />

Erwachsene ansprechen, die die Einrichtungen<br />

bisher noch nicht nutzen. So bieten die<br />

großzügigen Räumlichkeiten des Kreisarchivs<br />

die Chance, die Archivarbeit verstärkt<br />

durch Ausstellungen und Veranstaltungen<br />

der Öffentlichkeit vorzustellen.<br />

Bibliothek kann mehr<br />

als 20.000 Medien<br />

präsentieren<br />

Die Kreis- und Stadtbibliothek kann nicht<br />

nur ihre mehr als 20.000 Medien auf deutlich<br />

erweitertem Raum präsentieren, sondern<br />

lädt auch mit einem Lesecafé zum<br />

Schmökern ein. Im Selbstlerncentrum stehen<br />

mehrere PC-Arbeitsplätze für die selbstständige<br />

Recherche zur Verfügung. In den<br />

neuen Medienproduktionsräumen können<br />

Hörspiele und Filme selbst erstellt werden.<br />

Um die Verzahnung von schulischen<br />

Angeboten mit Bildungs-, Beratungs- und<br />

Begegnungsangeboten für alle Generatio-<br />

Januar<br />

Je näher die Hasen dem Dorfe rücken,<br />

desto ärger sind des Eismonats Tücken.<br />

Ist er warm, der Januar,<br />

wenig taugt das ganze Jahr.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Medienhaus im Campus.<br />

nen weiter voranzutreiben, wird als dritter<br />

Campusbaustein ein Gebäudetrakt der<br />

alten Realschule zum Bildungshaus für<br />

lebenslanges Lernen umgebaut. Das<br />

Gebäude bietet Raum für Austausch und<br />

Begegnung sowie Kurs- und Beratungsangebote<br />

für alle Generationen.<br />

Das inhaltliche Konzept für den Campus<br />

wird im Rahmen des ESF-Projekts LINES<br />

erstellt. In sechs Workshops haben sich eine<br />

Reihe von Bildungsträgern und sozialen Einrichtungen<br />

mit Zielsetzungen und Schwerpunkten<br />

des Campus auseinandergesetzt.<br />

Beteiligt an diesem Planungsprozess sind<br />

bisher Lernhaus und Gymnasium, Kreisund<br />

Stadtbibliothek, Kreismedienzentrum<br />

und -archiv, das Mehrgenerationenhaus<br />

und die Seniorenbegegnungsstätte, der<br />

Seniorenbeirat, die Volkshochschule, die<br />

städtische Jugendarbeit, die Kreismusikschule,<br />

die Arbeitsgemeinschaft für Berufsbildung<br />

und örtliche Entwicklung (ABÖE)<br />

e.V., die SOS-Beratungsstelle, das Bildungswerk<br />

Osterholz, die Biologische Station<br />

Osterholz (BIOS), die AWO und die St. Willehadi-Gemeinde.<br />

Neben der Stadt als<br />

Initiatorin ist auch der Landkreis in der Planungsgruppe<br />

vertreten. Die Gruppe hat<br />

Leitideen und erste Kooperationsvorhaben<br />

entwickelt. Gemeinsam soll der Campus zu<br />

einem „inklusiven Lernort für lebenslanges<br />

Lernen“ entwickelt werden, d.h. zu einem<br />

Bauernregeln<br />

Januar – Februar – März<br />

Februar<br />

Klar Februar, gut Roggenjahr.<br />

Spielen die Mücken im Februar,<br />

frieren Schaf und Birn´ das ganze Jahr.<br />

Ort, der das Lernen in allen Lebensstadien<br />

und allen gesellschaftlichen Gruppen fördert.<br />

Dazu wird an einer größeren Transparenz<br />

und besseren Bündelung von Bildungsangeboten<br />

gearbeitet. Neue Partner<br />

sind dabei willkommen.<br />

Danke<br />

März<br />

Dr. Ulrike Baumheier<br />

Stadt Osterholz-Scharmbeck<br />

Über viele Jahre bereicherte Hermann<br />

Gutmann als einer der volkstümlichsten<br />

Bremer Literaten durch seine<br />

Kolumne „Jan Heinerich“ die Ausgaben<br />

des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>. Mit trefflichem<br />

Humor und pointierter Schreibweise<br />

würzte er sozusagen seine Beiträge.<br />

Verlag und Redaktion bedauern sehr,<br />

dass Hermann unlängst aus Altersgründen<br />

seine Mitarbeit aufgab.<br />

Als ein Anhänger des heiteren Ausgleichs<br />

lenkte er bei hitzigen Debatten<br />

unser Team so manches Mal in ein ruhigeres<br />

Fahrwasser. Auch deshalb soll an<br />

dieser Stelle unser aller Dank seine jahrelange<br />

Mitarbeit würdigen.<br />

Im Namen von Verlag und Redaktion<br />

Wilko Jäger<br />

Im März soll es so kalt sein,<br />

dass dem Raben die Eier erfrieren.<br />

Im März viel Donner und Blitz,<br />

viel Korn im Sommer und viel Hitz´.<br />

25


„Schwarze Seetonne …<br />

mit einem vergüldeten Schlüssel“<br />

Seit 1664 dient die heute noch bestehende Bremer „Schlüsseltonne“ an der Nordseeküste<br />

als Seezeichen für die Ansteuerung der Weser<br />

Bremen/Nordseeküste. Seit dem<br />

frühen 15. Jahrhundert werden von der<br />

Seehandels- und Hansestadt Bremen – die<br />

auf einen sicheren Seezugang über die<br />

Weser zur Nordsee angewiesen war und ist<br />

– bzw. heute vom Land Bremen, Hoheitsrechte<br />

über die Unter- und Außenweser<br />

wahrgenommen. Hierzu gehört insbesondere<br />

das Auslegen, Aufstellen und Unterhalten<br />

von Seezeichen, wie schwimmende<br />

Tonnen und feststehende Baken. Zuständig<br />

für das Tonnen- und Bakenwesen war<br />

in Bremen bis Ende des 19. Jahrhunderts<br />

die bremische Kaufmannschaft, die<br />

durch die sogenannten Elterleute vertreten<br />

wurde.<br />

Als äußerstes Seezeichen der Fahrwassermarkierung<br />

der Weser ließen die bremischen<br />

Elterleute am 20. April 1664 an der<br />

Nordseeküste nordwestlich der Untiefe<br />

„Roter Sand“ vor der Insel Wangerooge<br />

auf 11 Faden Tiefe eine neue Leittonne<br />

auslegen, die als Ersatz für eine bereits<br />

1642 erwähnte Tonne diente. Diese für die<br />

Weseransteuerung wichtige Leittonne war<br />

mit einem besonderen Toppzeichen verziert<br />

worden, und zwar mit dem Symbol<br />

des Bremer Wappens, einem Schlüssel.<br />

Fortan wurde sie deshalb als „Schlüsseltonne“<br />

(plattdeutsch „Slöteltunn“) oder<br />

auch als „Bremer Tonne“ bezeichnet.<br />

In der Bekanntmachung des Seezeichens<br />

von 1664 heißt es:<br />

„Kundt und zu wissen sey hiermit jedermänniglich<br />

/ sonderlich allen Schiffern und<br />

Seefahrenden Leuthen / so die Weser<br />

gedencken zugebrauchen / daß daraussen<br />

vor der Weser noch schwarze Seetonne ist<br />

geleget / welche vor diesem nicht ist<br />

gewesen / und worauff eine Stange mit<br />

einem vergüldetem Schlüssel stehet / welches<br />

den Schifferen und Seefahrenden<br />

Leuthen zu gueter Nachrichtung dienet.<br />

Bremen den 20. Aprilis / deß Eintausendt<br />

Sechshundert Vier und Sechtzigsten Jahres.“<br />

Das Erscheinungsbild dieser ursprünglichen<br />

Schlüsseltonne war von ihrem<br />

schwarzen Teeranstrich und dem markanten<br />

als Schlüssel ausgebildeten Toppzeichen<br />

bestimmt. Die Tonne war aus sogenanntem<br />

Wagenschott hergestellt worden,<br />

wobei es sich um 6,5 Zentimeter<br />

starke Planken aus bestem astlochfreien<br />

Eichenholz handelte. Mit dem ursprünglich<br />

aus dem Kutschenbau stammenden<br />

Begriff werden Planken bezeichnet, die<br />

mittels einer speziellen Schnitttechnik vorwiegend<br />

radial aus dem Holzstamm<br />

gesägt werden. Wagenschottgeschnittene<br />

Planken sind in der Breite maßhaltiger und<br />

finden deshalb mittlerweile vor allem im<br />

Holzschiffbau Verwendung, da die Fugen<br />

zwischen derartigen Planken sich bei der<br />

Alterung des Holzes weniger verändern<br />

und somit eine höhere Dichtigkeit erreicht<br />

wird.<br />

Die nach Böttcher- bzw. Tonnenmacherart<br />

zusammengefügten Planken der früheren<br />

Schlüsseltonne wurden mit Eisenringen<br />

zusammengehalten. Die Tonne war<br />

mit einer starken Kette aus schwedischem<br />

Stahl mit einem großen und schweren<br />

Block aus Obernkirchner Sandstein verbunden,<br />

der zur Verankerung am Seeboden<br />

diente. Der schwarze Teeranstrich der<br />

Holztonne sorgte für deren Seewasserbeständigkeit,<br />

während das als Schlüssel ausgebildete<br />

Toppzeichen einen Goldfarbenanstrich<br />

erhielt.<br />

„Äußerster Vorposten<br />

Bremens“<br />

In der rauen Nordsee und deren Salzwasser<br />

alterte wie alle Seezeichen auch die<br />

Schlüsseltonne, sodass sie im Laufe der<br />

Jahre mehrmals erneuert werden musste.<br />

Dabei blieb stets der markante goldfarbene<br />

Schlüssel als Toppzeichen beibehalten.<br />

Wie in der Bekanntmachung von 1664<br />

beschrieben, war der Schlüssel ursprünglich<br />

einfach an einer aufragenden Stange<br />

befestigt worden; später wurde er an<br />

einem spindel- bzw. kugelförmigen Aufsatz<br />

angebracht. Die genaue geografische<br />

Historische Abbildung der Schlüsseltonne<br />

auf einem Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert<br />

(Ausschnitt; Künstler: unbekannt)<br />

Lage der Tonne hat sich indes nur geringfügig<br />

verändert, wobei ihre Position am<br />

Anfang des Fahrwassers zur Westerweser<br />

bzw. Neuen Weser jeweils an die natürlichen<br />

Verschiebungen der Untiefe „Roter<br />

Sand“ angepasst wurde. Die heute noch<br />

bestehende Schlüsseltonne gilt als das<br />

älteste schwimmende Seezeichen an der<br />

deutschen Küste außerhalb einer Flussmündung.<br />

Nachbau der Schlüsseltonne aus Bronze in der Bremerhavener Fußgängerzone. Foto: Johann Knip<br />

26 RUNDBLICK Herbst 2012


Die heutige Schlüsseltonne<br />

(Aufnahme aus dem Jahr 2008)<br />

Ab 1873 wurde zusätzlich zur Schlüsseltonne,<br />

etwa 100 Meter nordwestlich von<br />

ihr, noch eine Spierentonne ausgelegt.<br />

Diese weitere Tonne hatte eine Länge von<br />

13 Metern, wovon etwa 6,5 Meter aus<br />

dem Wasser ragten; ihr größter Durchmesser<br />

betrug 0,85 Meter. Sie war ebenfalls<br />

mit einem schwarzen Teeranstrich versehen<br />

und trug zudem ebenfalls einen<br />

goldfarbenen Schlüssel als Toppzeichen.<br />

Folglich wurde diese Spierentonne als<br />

„Schlüsselspiere“ bezeichnet.<br />

Zu jener Zeit hatte die Schlüsseltonne<br />

eine Gesamtlänge von 6 Metern, auf dem<br />

ein 1,4 Meter hoher ballonförmiger Aufsatz<br />

aus Rohrgeflecht befestigt war, der<br />

wiederum einen 0,87 Meter hohen goldfarbenen<br />

Schlüssel trug. Sie war mit zwei<br />

getrennten Ketten an jeweils einem Stein<br />

verankert, die Ketten waren 36 bzw. 33<br />

Meter lang und das Steingewicht betrug<br />

1.750 bzw. 1.250 Kilogramm. Bei normalen<br />

Strömungsverhältnissen wies die<br />

Tonne einen Neigungswinkel von etwa 80<br />

Dampfschiffe<br />

Von den Anfängen bis zu den<br />

Nostalgiedampfern heute<br />

In diesem Werk von Eberhard Urban<br />

werden die großartigen Dampfschiffe in<br />

ihrer ganzen Vielfalt vorgestellt. Vom<br />

ersten Dampfschiff, das den Atlantik überquerte,<br />

bis hin zu den großen Passagierdampfern,<br />

zeigt dieses Buch auf 144 Seiten<br />

alle Höhepunkte der Dampfschifffahrt.<br />

Dabei wird auch über die legendären Raddampfer,<br />

Frachtdampfer, Auswandererschiffe<br />

und die großen Dampfer der Hapag<br />

Reederei berichtet. Alle Schiffe werden mit<br />

Abbildung vorgestellt und mit wissenswerten<br />

Informationen wie Baujahr, Maschinenleistung,<br />

Werft und Verbleib beschrieben.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Grad auf. Die schwarz gestrichene Schlüsseltonne<br />

war mit der weißen Aufschrift<br />

„WESER“ versehen. Sie ragte etwa 5 Meter<br />

aus dem Wasser auf und war etwa vier Seemeilen<br />

weit sichtbar.<br />

Als 1874 das Feuerschiff „Weser“ ausgelegt<br />

wurde, verringerte sich zwar die<br />

Bedeutung der Schlüsseltonne, aber sie<br />

diente der Schifffahrt weiterhin als Navigationshilfe<br />

in der Außenweser. Im Jahr 1887<br />

erhielt die im Fahrwasser auf der Steuerbordseite<br />

liegende Tonne gemäß dem<br />

damals eingeführten einheitlichen Markierungssystem<br />

in deutschen Gewässern<br />

einen roten Anstrich. 1939 wurde die<br />

Schlüsseltonne zu Beginn des Zweiten<br />

Weltkriegs aus taktischen Gründen eingezogen.<br />

Nach Kriegsende wurde sie<br />

zunächst nicht wieder eingesetzt; eine<br />

neue Schlüsseltonne in moderner Stahlbauweise<br />

wurde vom inzwischen zuständigen<br />

Wasser- und Schifffahrtsamt Bremerhaven<br />

erst wieder am 1. September 1964<br />

ausgelegt. Sie erhielt einen rot-schwarzen<br />

Anstrich mit einem stehenden Doppelkreuz<br />

als damals offizielle Kennzeichnung<br />

einer Ansteuerungstonne. Das Seezeichen<br />

wurde außerdem mit einer Laterne ausgestattet,<br />

die mit Propangas betrieben wurde<br />

und ein Gleichtaktfeuer ausstrahlte.<br />

2008 Solarkompaktaufsatz<br />

Seit 1978 ist die Schlüsseltonne nach dem<br />

neuen internationalen System mit einem<br />

rot-weißen Anstrich versehen. 2004 wurde<br />

die wartungsaufwendige Propangasleuchte<br />

durch eine langlebige LED-Leuchte in<br />

Leuchtdioden-Technologie ersetzt, die ihren<br />

Strom mittels Photovoltaik-Technik von<br />

einer Solarstromanlage bezieht. Im Jahr<br />

2008 erhielt die Tonne einen neuen, kubischen<br />

Solarkompaktaufsatz, der an allen vier<br />

Seiten mit der Kennzeichnung „ST“<br />

beschriftet ist. Die genaue geografische<br />

Position der Tonne ist gegenwärtig 53° 55‘<br />

58“ Nord und 7° 58‘ 30“ Ost.<br />

Eine Nachbildung einer historischen<br />

Version der Schlüsseltonne ist Bestandteil<br />

der 2002 eingeweihten Brunnenanlage<br />

„Bugwelle von Bremerhaven“, die sich in<br />

der Innenstadt von Bremerhaven befindet.<br />

Die motivreiche Brunnenanlage wurde<br />

vom Westersteder Bildhauer Norbert Marten<br />

gemeinsam mit der Westersteder Galeristin<br />

und Kunstprojektentwicklerin Christel<br />

Mandos-Feldmann konzipiert und<br />

durch Norbert Marten als Bronzeskulptur<br />

ausgeführt.<br />

Seit mehr als dreihundert Jahren dient<br />

das traditionsreiche Seezeichen in der<br />

Außenweser bereits der Schifffahrt. Als<br />

Toppzeichen trägt die Schlüsseltonne auch<br />

heute noch, nun wieder an einer Stange<br />

befestigt sowie oberhalb eines roten Ballons,<br />

einen goldfarbenen Bremer Schlüssel<br />

– als „äußerster Vorposten Bremens an der<br />

deutschen Nordseeküste“.<br />

Text: Horst Plambeck<br />

Fotos:<br />

(1) Unbekannt (Reproduktion: Edition Temmen,<br />

Bremen) / Wikimedia Commons,<br />

Gemeinfrei/PD-Art, URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:PDART,<br />

(2) Wasser- und Schifffahrtsamt Bremerhaven<br />

/ Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0,<br />

URL: http://creativecommons.org/licenses/<br />

by-Sa/3.0/legalcode<br />

Quellenangabe:<br />

Rolf Seedorf: „Die Schlüsseltonne – ein Seezeichen<br />

der Weser und der besonderen Art“,<br />

in: „Der Ingenieur – IMSV“, Nr. 1, März<br />

2010, S. 8–12<br />

Curt W. Eichler: „Holzbootsbau“, Heel Verlag,<br />

Königswinter 2004, ISBN 3-89365-788-<br />

6, S. 41 u. 222<br />

Christina Deggim: „Aufgeblasen und Abgerannt.<br />

Seetonnen und Baken in Quellen der<br />

Bremer Handelskammer“, in: Historische<br />

Gesellschaft Bremen (Hrsg.): „Bremisches<br />

Jahrbuch“, Band 79, Bremen 2000, ISSN<br />

0341-9622, S. 73–115<br />

Mit diesem<br />

Buch ist ein interessantesNachschlagewerkentstanden,<br />

welches<br />

auch über die<br />

Schicksale bekannter<br />

Schiffe<br />

wie der „Cap<br />

Arcona“, der<br />

„Lusitania“ und<br />

der „Bremen“ berichtet. Wer mehr über<br />

die große Zeit der Dampfschiffe und die<br />

Gewinner des „Blauen Bandes“ erfahren<br />

möchte, findet mit dieser Lektüre ein Buch,<br />

das auch über heute noch existierende<br />

Dampfschiffe berichtet.<br />

Erschienen im Komet Verlag<br />

ISBN 978-3-89836-812-4<br />

Tim Wöbbeking<br />

27


Lesenswertes<br />

Worpsweder Künstlerhäuser<br />

Das im Schünemann Verlag erschienene<br />

Buch mit Text von Gudrun Scabell zeigt die<br />

vielen Wirkungsstätten und Wohnhäuser<br />

der Worpsweder Künstler. Wie sich einst<br />

das Leben in den Worpsweder Künstlerhäusern<br />

und das Leben am Weyerberg<br />

gestaltete, zeigt dieses Werk mit zahlreichen<br />

Abbildungen und sorgfältig recher-<br />

Wie gut kennst du Borgfeld?<br />

Wie auch bei den Jüngsten aus unserer<br />

Region Interesse an der <strong>Heimat</strong> geweckt<br />

werden kann, zeigt das neue Buch „Wie<br />

gut kennst du Borgfeld?“<br />

Spannend wird Wissenschaftliches,<br />

Geschichtliches und Kulturelles aus Borgfeld<br />

und umzu vermittelt und die Neugierde<br />

bei den Kindern und Jugendlichen<br />

geweckt.<br />

Wo in Borgfeld das Gefängnis stand, wer<br />

es bewachte, wann die erste Eisenbahn<br />

fuhr und wie es früher in der Schule zuging<br />

sind nur ein kleiner Auszug an dem, was<br />

dieses Buch so lesenswert machen. Die<br />

Münchhausen<br />

Eines steht fest, und daran ist nicht zu<br />

wackeln: Der Baron von Münchhausen, der<br />

in diesem Buch einige seiner Abenteuer<br />

erzählt, hat wirklich und richtig gelebt, und<br />

zwar vor etwa zweihundert Jahren. Er kam<br />

im Braunschweigischen zur Welt, hieß<br />

Hieronymus mit Vornamen und wurde,<br />

kaum aus der Schule, Offizier. Das war<br />

damals bei Söhnen aus dem Adel so üblich.<br />

Die Väter lebten auf ihren Gütern, gingen<br />

auf die Jagd, ritten durch die Felder, tranken<br />

roten Punsch und ließen ihre Söhne Offizier<br />

werden. Wenn die Väter alt wurden, riefen<br />

sie die Söhne zurück. Und nun gingen diese<br />

auf die Jagd, ritten durch die Felder, tranken<br />

roten Punsch und ließen wiederum ihre<br />

Söhne Offizier werden. Wann war das denn<br />

nun, damals ? Es war zu der Zeit, als die Kaiserin<br />

Maria Theresia in Österreich, Friedrich<br />

der Große in Preußen und Katharina II. in<br />

Russland regierten. Weil es überall Krieg<br />

gab, gab es überall Armeen, und weil es<br />

überall Armeen gab, brauchte man überall<br />

Offiziere. Und war im eigenen Lande wirklich<br />

einmal kein Krieg, so ritt man in ein<br />

anderes Land und trat in dessen Armee ein.<br />

Genauso ging es mit Hieronymus von<br />

Münchhausen. Als es ihm daheim zu langweilig<br />

wurde, trat er in die russische Armee<br />

ein. Und im Krieg zwischen Russland und<br />

der Türkei wurde er gefangen genommen<br />

und erst nach einigen Jahren wieder freigelassen.<br />

Später rief ihn sein alter Vater heim<br />

nach Bodenwerder, so hieß ihr Gut und das<br />

28<br />

Vielfältigkeit der<br />

Natur, der Tiere und die auserwählten<br />

Ausflugstipps in der<br />

Umgebung von Borgfeld machen dieses<br />

Buch zu dem, was es ist: einem spannen-<br />

kleine Schloss, und nun war Hieronymus<br />

der Gutsherr. Er zog die Uniform aus, ging<br />

auf die Jagd, ritt durch die Felder und trank<br />

roten Punsch. Söhne hatte er übrigens<br />

keine, und so konnte er sie auch nicht Offizier<br />

werden lassen.<br />

Davon abgesehen, lebte er wie die anderen<br />

Barone auch, und wir wüssten heute<br />

nichts mehr von ihm, hätte er nicht beim<br />

Punsch ganz erstaunliche Geschichten<br />

erzählt. So erstaunliche Geschichten, dass<br />

die anderen Barone, der Pfarrer, der Doktor<br />

und der Amtmann, die mit ihm am Tische<br />

saßen, Mund und Nase aufsperrten. So<br />

erstaunliche Geschichten, dass sie von<br />

irgendwem heimlich aufgeschrieben und<br />

chiertem Text. Viele der Gebäude werden<br />

sowohl in alten Bildern als auch in aktuellen<br />

Fotografien vorgestellt und die Nutzung<br />

der Gebäude auch in der Gegenwart<br />

beschrieben. Zusammen mit der Vorstellung<br />

der Worpsweder Künstler ist so ein<br />

lesenwertes Buch erschienen. Durch die<br />

Vielzahl der noch existierenden Häuser ist<br />

dieses Buch hervorragend für Worpswede-<br />

Besucher geeignet.<br />

Erschienen im Schünemann Verlag<br />

ISBN 978-3-7961-1005-4<br />

Tim Wöbbeking<br />

den und vielseitigen Nachschlagewerk für<br />

die ganze Familie.<br />

Erschien bei Orsolibri/Buchkinder<br />

Bremen und erhältlich<br />

zum Preis von 12,50 Euro im<br />

Borgfelder Kinderbuchladen<br />

erfüllt dieses Buch gleichzeitig<br />

einen guten Zweck: 1 Euro pro Buch<br />

geht an die NordWest Stiftung und<br />

kommt der Tierwelt in den Wümmewiesen<br />

zugute.<br />

Mitgewirkt an diesem Buch und<br />

unterstützt haben es unter anderem Professor<br />

Hermann Cordes, Johannes Rehder-<br />

Plümpe, Heike Wagner, Pastor Clemens<br />

Hütte und viele andere. Tim Wöbbeking<br />

gedruckt wurden. Münchhausen war sehr<br />

ärgerlich und wollte den Druck verbieten<br />

lassen. Als er damit kein Glück hatte, starb<br />

er vor Wut. Und was an den Geschichten ist<br />

denn nun so erstaunlich? Sie stecken voll<br />

der tollsten Lügen! Mitten in Berichten über<br />

Reisen, die er wirklich gemacht, und über<br />

Kriege, an denen er wirklich teilgenommen<br />

hat, tischt Münchhausen uns Lügen auf,<br />

dass sich die Balken biegen! Durch Lügen<br />

kann man also berühmt werden? Freilich!<br />

Aber nur, wenn man so lustig, so phantastisch,<br />

so treuherzig und so verschmitzt zu<br />

lügen versteht wie Münchhausen, nicht<br />

etwa, um die Leser zu beschwindeln, sondern<br />

um sie, wie ein zwinkernder Märchenerzähler,<br />

mit ihrem vollen Einverständnis<br />

lächelnd zu unterhalten.<br />

Dass ihr mir nun also nicht nach Hause<br />

kommt und sagt: „Denk dir, Mama, ich hab<br />

eben mit einem Auto gesprochen, und das<br />

Auto meinte, morgen gäbe es Regen!“<br />

Durch solche Lügen wird man nicht<br />

berühmt. So zu lügen wie Münchhausen ist<br />

eine Kunst. Versucht es, bitte, gar nicht erst,<br />

sondern macht lieber eure Rechenaufgaben!<br />

Und dann, wenn sie fertig sind, lest<br />

Münchhausens „Wunderbare Reisen und<br />

Abenteuer zu Wasser und zu Lande“! Ich<br />

wünsch euch viel Vergnügen!<br />

Vorwort aus: „Münchhausen“ von Erich<br />

Kästner. Veröffentlicht mit freundlicher<br />

Genehmigung des Dressler-Verlages, Hamburg.<br />

RUNDBLICK Herbst 2012


Jugendseite<br />

Landjugend<br />

Schwanewede<br />

Gemeinschaft am Nebenarm<br />

der Weser<br />

Schwanewede. Landjugenden sind<br />

der Inbegriff von Gemeinschaft der<br />

Jugendlichen in den ländlichen Gegenden.<br />

Sie planen Aktionen, sind in ihrer<br />

Gemeinde tätig und nehmen auch an<br />

überregionalen Veranstaltungen teil.<br />

Am 24. 11. 1954 riefen die Gründungsmitglieder<br />

mit ihren ersten beiden Vorsitzenden<br />

Alfred Siemer und Mathilde Knübel<br />

die Landjugend Schwanewede ins<br />

Leben. Als Treffpunkt und Gründungsort<br />

diente die Gaststätte „Solte“ in Schwanewede.<br />

Einmal in der Woche wollten sich<br />

die Mitglieder treffen, um zu singen und<br />

später auch die traditionellen Volkstänze<br />

einzustudieren. Doch schon schnell vergrößerte<br />

sich das Programm und Ausflugsfahrten<br />

und Aktionen kamen zu den regelmäßigen<br />

Treffen hinzu. Damit war die<br />

Landjugend Schwanewede die erste<br />

Gruppe nach der Landjugend Worpswede,<br />

die im Landkreis Osterholz-Scharmbeck<br />

gegründet wurde.<br />

Die Landjugend Schwanewede trifft sich<br />

auch noch heute einmal in der Woche,<br />

immer mittwochs im „Landhaus Schwanewede“<br />

und bespricht die kommenden<br />

Aktionen und Veranstaltungen. Man redet<br />

über Alltägliches, tauscht sich aus und übt<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Der Bau des Erntewagens ist eines der größten Projekte der Landjugend Schwanewede.<br />

die traditionellen Volkstänze. Die Schwaneweder<br />

Landjugend interessiert sich sehr<br />

für den Volkstanz und seinen Ursprung,<br />

nimmt an Tanzturnieren teil und organisiert<br />

sogar selbst alle zwei Jahre ein Tanzturnier,<br />

zu dem alle Landjugenden aus der<br />

Umgebung eingeladen sind. Anschließend<br />

findet eine Herbstfete statt.<br />

Erntewagen ist größtes Projekt<br />

Das größte Projekt der Landjugend ist<br />

der Bau des Erntewagens. Dieser wurde<br />

letztes Jahr von Grund auf neu gebaut und<br />

beim Erntefest präsentiert. Da wurde<br />

natürlich gemeinsam gewerkelt, repariert<br />

und geschmückt. Neben der Himmelfahrtsfahrradtour<br />

mit anschließendem Beisammensein<br />

und dem Aufstellen des<br />

Osterhasenpärchens aus Stroh zu Ostern,<br />

veranstaltet die Landjugend jedes Jahr eine<br />

eigene Party. Die letzten Jahre lautete das<br />

Motto „Karibische Nacht“. Dieses Jahr<br />

wurde das Konzept komplett umgestellt<br />

und die Party lief unter dem Namen „Platzhirschfete“.<br />

Natürlich dürfen auch eine<br />

Weihnachtsfeier, die Kohlfahrt, Seminare<br />

und die Jahreshauptversammlung nicht<br />

fehlen.<br />

Die Landjugend beim Volkstanz … … und bei den Vorbereitungen zum Osterfest.<br />

Spielplatz wurde<br />

„Mehrgenerationenspielplatz“<br />

Ebenfalls hat die Landjugend schon an<br />

der 72-Stunden-Aktion teilgenommen. Bei<br />

dieser Aktion wurde ein Spielplatz im Ort<br />

zu einem „Mehrgenerationenspielplatz“<br />

umgebaut.<br />

An Pfingsten pflanzen die Männer einen<br />

Pfingstbaum für die Frauen und diese wiederum<br />

verteilen Geschenke an die Männer.<br />

Am nächsten Tag wird dann jeder Baum<br />

begossen.<br />

Die Mitgliederzahl stieg bis 1963 von<br />

anfangs 14 Personen auf 64 Mitglieder<br />

und inzwischen sind es wohl noch weit<br />

mehr. Die Landjugend freut sich immer<br />

über neue Mitglieder, die einfach in der<br />

Gemeinschaft Spaß haben wollen und sich<br />

für die Umgebung, in der sie leben, einsetzen<br />

möchten.<br />

Kontaktmöglichkeit über die Internetseite<br />

www.lj-schwanewede.de<br />

Mareike Haunschild<br />

Fotos: Landjugend Schwanewede<br />

29


Das Kriegsende im Lager Sandbostel<br />

Hungerrevolte und Konzentrationslager –<br />

ein weitgehend vergessenes Stück regionaler Geschichte<br />

Der voranschreitende Zusammenbruch<br />

des NS-Regimes auf allen Ebenen<br />

beschleunigte sich im April 1945 rapide.<br />

Dieses hatte auch Auswirkungen auf unser<br />

bis dahin weitgehend vom Krieg verschontes<br />

EIbe-Weser-Gebiet und damit auf<br />

die Logistik der SS und der ihr unterstehenden<br />

Lager. Auch das Kriegsgefangenenlager<br />

Sandbostel war durch Befehl von<br />

Reichsführer Heinrich Himmler der SS<br />

unterstellt worden.<br />

Die mangelnde Versorgung dort, im<br />

Besonderen der russischen Kriegsgefangenen,<br />

hatte nach und nach ein katastrophales<br />

Ausmaß angenommen. Nach vorausgehenden<br />

Seuchenzügen waren bereits<br />

Tausende gestorben und namenlos in Massengräber<br />

geworfen worden. In der Nacht<br />

zum 20. April 1945 überwanden völlig<br />

ausgehungerte Gruppen von Gefangenen,<br />

ermutigt durch Nachrichten über ein baldiges<br />

Vorrücken der alliierten Truppen und<br />

eine mögliche bevorstehende Befreiung,<br />

die inneren Stacheldraht-Zäune, überwältigten<br />

einige Wachleute und stürmten die<br />

nördliche der beiden Lagerküchen, um<br />

sich selbst zu versorgen. Anderen gelang<br />

es, eine Öffnung in den äußeren Stacheldraht<br />

zu schneiden und zu entkommen.<br />

Sie versteckten sich in der Umgebung des<br />

Lagers.<br />

Der Aufstand wurde gnadenlos von herbeigerufenen<br />

Wachleuten niedergeschossen,<br />

darüber liegen umfangreiche Aussagen<br />

vor. Sogar in den großen Suppenkesseln,<br />

so die Berichte, lagen einige Tote. Insgesamt<br />

waren es wohl etwa dreihundert<br />

Todesopfer.<br />

Über die in den angrenzenden Feldmarken<br />

unter Beteiligung von Dorfbewohnern<br />

anschließend durchgeführten Treibjag-<br />

den, in denen wehrlose Menschen u. a.<br />

mit Jagdwaffen gnadenlos gehetzt und<br />

getötet wurden, mochte später niemand<br />

reden.<br />

In allen Dorfchroniken der Umgebung<br />

wird durchgängig nur davon berichtet,<br />

dass auf den Höfen zwangsarbeitende<br />

Kriegsgefangene es unter den gegebenen<br />

Umständen doch gut gehabt haben, sie<br />

sich im Fall einer späteren Verhörung vor<br />

ihre Herrschaften gestellt und diese gelobt<br />

und verteidigt hätten.<br />

So etwas hat es sicher auch gegeben.<br />

Tiefpunkt der<br />

Menschlichkeit<br />

Ein Tiefpunkt der Menschlichkeit bahnte<br />

sich an, nachdem Befehle ergangen<br />

waren, die bestehenden großen Konzentrationslager<br />

zu räumen um Schauplätze<br />

der Verbrechen und Tätergruppen vor den<br />

alliierten Truppen zu verschleiern, was<br />

angesichts der zusammenbrechenden<br />

Strukturen nur in Ansätzen gelang. Häftlinge<br />

u. a. aus Neuengamme gelangten so<br />

in großer Zahl nach Sandbostel.<br />

Nach der Befreiung von Bergen-Belsen,<br />

wo Zehntausende von Toten teilweise mit<br />

Planierraupen in Erdgruben geschoben<br />

werden mussten, um schnell weitere Ausbreitung<br />

von Typhus zu verhindern, waren<br />

die Befreier im Weiteren auf das Schlimmste<br />

gefasst und hatten sofort zivile humanitäre<br />

Hilfskolonnen in der Nachhut der<br />

militärischen Verbände organisiert.<br />

Die Situation hatte sich auch in Sandbostel<br />

stark zugespitzt. Auf „Todesmärschen”<br />

und Transporten in den sogenannten<br />

„Todeszügen“, welche ohne jede Versorgung<br />

tagelang unterwegs waren, wur-<br />

Einige Gräber sind mit Namen versehen. Kurz vorm Zusammenfall. Foto aus 2011.<br />

den unter Befehl und Begleitung von SS-<br />

Mannschaften etwa zehntausend KZ-Häftlinge<br />

in Sandbostel in einen besonderen<br />

Teil des Lagers in ein leer stehendes<br />

10.000 Häftlinge<br />

ohne Nahrung und<br />

Krankenversorgung<br />

Barackenensemble gepfercht und ohne<br />

jede Nahrung und Krankenversorgung<br />

gelassen. Den jenseits der Lagerstraße<br />

internierten, u. a. durch Rotkreuz-Sendungen<br />

besser versorgten französischen und<br />

belgischen Kriegsgefangenen wurde sogar<br />

verboten, den schreienden und wimmernden<br />

Häftlingen Brot über den Zaun hinweg<br />

zuzuwerfen. Nach einigen Tagen wurden<br />

letztere zunehmend apathischer und<br />

viele blieben tot auf dem Gelände liegen.<br />

Zunächst wurden diese noch eingesammelt<br />

und in einer Leichenbaracke aufeinander<br />

gestapelt. Später dann nicht mehr.<br />

Am Bahnhof Brillit bei Gnarrenburg<br />

waren über Hundert von ihnen beim<br />

Antransport bereits leblos aus Viehwaggons<br />

gezerrt worden. Noch lebende, aber<br />

schon stark geschwächte Gefangene, wurden<br />

in Loren einer eigentlich zur materiellen<br />

Versorgung dienenden Feldbahn<br />

geworfen, bei der Ankunft im ca. 7 km entfernten<br />

Hauptlager waren bereits viele<br />

davon elendig gestorben, sodass der in<br />

Sandbostel diensthabende Kommandant<br />

die zahlreichen Leichen einmal umgehend<br />

nach Brillit zurückgehen ließ.<br />

In den letzten Apriltagen setzte sich die<br />

SS-Truppe mit dem Ziel Schleswig-Holstein<br />

aus Sandbostel ab, um nicht den<br />

bereits auf der anderen Seite der Oste<br />

30 RUNDBLICK Herbst 2012


Die anonymen Gräber. Die ehemalige Lagerküche. In der Nachkriegszeit befand sich hier ein Speisesaal.<br />

anrückenden britischen Truppen in die<br />

Hände zu fallen. Ein noch marschfähiger<br />

Teil der Häftlinge, es wird eine Zahl von<br />

mindestens 800 genannt, wurde wiederum<br />

als Geiseln mitgeführt.<br />

Nun begannen Verhandlungen von<br />

Sprechern der Kriegsgefangenen mit der<br />

deutschen Lagerleitung, welche angesichts<br />

einer bevorstehenden Gefangennahme<br />

und eines ungewissen Schicksals<br />

einen Zugang zum KZ-Bereich gewähren<br />

musste. Doch fehlten noch nahezu alle für<br />

eine Erstversorgung der Kranken und Sterbenden<br />

notwendigen Mittel.<br />

Zustand im Film<br />

festgehalten<br />

Am 29. April übernahmen britische<br />

Truppen kampflos die Kontrolle, die anwesenden<br />

Wachen wurden an Ort und Stelle<br />

entwaffnet und interniert. Am 30. April<br />

inspizierte der britische General Horrox<br />

mit einer Delegation das Areal und ließ<br />

den Zustand in einem Film festhalten. Dieser<br />

kann heute in der Gedenkstätte Lager<br />

Sandbostel angesehen werden. Wir sehen<br />

RUNDBLICK Herbst 2012<br />

Bilder des Schreckens. Es liegen darüber<br />

hinaus Berichte vor, dass eine vom Lager<br />

ausgehende pestartige Geruchswolke sich<br />

über Kilometer auf jede Wahrnehmung<br />

legte. Etwa 20.000 Personen, lebendig<br />

und tot, befanden sich dort auf ungefähr<br />

einem Quadratkilometer eingesperrt.<br />

In den umliegenden Dörfern wurden<br />

sogleich hunderte von jungen Frauen zur<br />

Pflege der Kranken und Sterbenden von<br />

der britischen Militärverwaltung zwangsverpflichtet<br />

und nach Sandbostel<br />

gebracht, dazu Krankenschwestern und<br />

Pflegehelferinnen auch aus weiter entfernten<br />

Orten im Bremer Umland. Alte Männer<br />

aus den Dörfern sieht man in diesen Bildern<br />

Gräber schaufeln. Es liegt nahe, dieses<br />

geschah, um die herumliegenden Leichen<br />

und von allen Seiten herbeigetragenen<br />

Körper zu begraben.<br />

Heute finden wir auf dem gepflegten<br />

Lagerfriedhof in einem Teil die Massengräber<br />

der russischen und serbischen Kriegsgefangenen,<br />

in einem weiteren Teil unter<br />

Rasen die anonyme Ruhestätte der KZ-<br />

Häftlinge. Letztere sind etwa dreitausend.<br />

Tafeln und Gedenksteine weisen auf die<br />

dort Begrabenen hin. Im Frühjahr sollen<br />

auf dem ehemaligen Lagergelände dauerhafte<br />

Ausstellungen eröffnet werden. Zur<br />

Darstellung der Verhältnisse der russischen<br />

Kriegsgefangen wurde im Vorfeld ein<br />

gesonderter Forschungsauftrag erteilt. In<br />

der ehemaligen Lagerküche erhalten diese<br />

Menschen vielfach nun nachträglich<br />

Namenstafeln. Die Schicksale der KZ- Häftlinge<br />

von Sandbostel bleiben unerforscht.<br />

Damit stehen diese in der Sandbosteler<br />

Werteordnung, so scheint es, weiterhin an<br />

letzter Stelle.<br />

Wir können nach den vorliegenden Forschungen<br />

heute davon ausgehen, dass wir<br />

es in Sandbostel mit insgesamt sicher mehr<br />

als zehntausend Todesopfern aus dieser<br />

Lagerzeit zu tun haben.<br />

Text: Kurt Ringen<br />

Fotos: Tim Wöbbeking<br />

Die Namenstafeln der Kriegsgefangenen. Die Baracken im Jahre 2011.<br />

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