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Ubertragen - Post, Transport, Metapher. In - metaphorik.de

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Winkler, Hartmut: <strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong>.<br />

<strong>In</strong>: Fohnnann, Jurgen (Hg.): Rhetorik. Figuration und Performanz.<br />

Stuttgart/Weimar 2004, S. 283-294.


<strong>Ubertragen</strong> -<br />

<strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong><br />

HARTMUT WINKLER (Pa<strong>de</strong>rborn)<br />

Von <strong>de</strong>n Urszenen <strong>de</strong>r <strong>Post</strong> bis hin zum Sen<strong>de</strong>r-Empfanger-Mo<strong>de</strong>ll, und von<br />

Telegraph, Telephon und Nachrichtentechnik bis zum Filetransfer - im Mittelpunkt<br />

zumin<strong>de</strong>st unserer Alltagsvorstellung <strong>de</strong>r Medien stehen Ubertragung<br />

und Bote. Medien ubertragen Botschaften, Medien sind Medien <strong>de</strong>r<br />

Ubertragung; und Medienwissenschaft beginnt dort, wo sich die Aufmerksamkeit<br />

von <strong>de</strong>r Botschaft ab- und <strong>de</strong>r Ubertragung selbst zuwen<strong>de</strong>t.<br />

Evi<strong>de</strong>nzen aber sind trugerisch, dies hat die fundierte Kritik am Sen<strong>de</strong>r-Empfanger-Mo<strong>de</strong>ll<br />

gezeigt. Gemessen an einem komplexen Medienkonzept erscheint<br />

die Vorstellung, mediale Vorgange funktionierten nach <strong>de</strong>m Versandprinzip, technizistisch<br />

und in naiver Weise auf materielle Vorgange eingegrenzt. <strong>In</strong> ihrer<br />

Grundannahme rettungslos bilateral droht sie fast alles zu verfehlen, was an <strong>de</strong>n<br />

Medien tatsachlich interessant ist: die Ausbildung komplexer Netzstrukturen,<br />

<strong>de</strong>n Beitrag <strong>de</strong>r Medien zur Vergesellschaftung, die Herausbildung von Wissensordnungen,<br />

je<strong>de</strong> uberlegung zu Co<strong>de</strong> und Semantik usf. Kann man eine<br />

Diskothek sinnvoll als <strong>de</strong>n Ort einer >ubertragenen Botschaft< beschreiben?<br />

Vielleicht aber last sich das Konzept <strong>de</strong>r ubertragung <strong>de</strong>nnoch verwen<strong>de</strong>n.<br />

Und mehr: Der Begriff konnte moglicherweise leisten, was auf an<strong>de</strong>re Weise<br />

kaum zu haben ist; wenn Medien nicht <strong>de</strong>r >Kommunikation< dienen o<strong>de</strong>r<br />

zumin<strong>de</strong>st meist nicht <strong>de</strong>r Kommunikation >Anwesen<strong>de</strong>rUbertragung<<br />

weiterhelfen.<br />

Allerdings eine erweiterte Ubertragung Auszunutzen ware die Tatsache,<br />

das <strong>de</strong>r Begriff schillert. Er tritt auf, wie gesagt, in <strong>de</strong>r <strong>Post</strong>- und Nachrichtentechnik,<br />

wo es um Adressen, Laufzeiten und Storgrosen geht; daneben in <strong>de</strong>r<br />

Okonomie, etwa wenn im Tausch Eigentum ubertragen wird', und ebenso in<br />

1 Debray, Rkgis: Transmitti.ng Culture. New York, Chichester (West Sussex) 2000,<br />

S. 1 (OA., frz.: 1997).


284 Hartmut Winkler<br />

<strong>de</strong>r Psychoanalyse; dort bezeichnet >Ubertragung< <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r analytischen<br />

Kur, die Ubertragung <strong>de</strong>s psychischen Konflikts in die aktuelle Situation zwischen<br />

Arzt und Patient. Man kann Krankheiten ubertragen und physische Krafte.'<br />

Vor allem aber tritt er auf in <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong>, die <strong>de</strong>n Hinweis -<br />

metaphkrein heist ubertragen - bereits im Namen tragt. Und die <strong>Metapher</strong>,<br />

dies sei im Vorgriff gesagt, ist ein Mechanismus, <strong>de</strong>r tief in die Struktur semantischer<br />

Probleme fuhrt.'<br />

Wenn <strong>de</strong>rgleichen Polysemie nicht in die Irre geht, dann scheint eine Moglichkeit<br />

auf, Medienaspekte, die bis dahin strikt getrennt erschienen, in Kontakt<br />

zu bringen. Denn wer hatte gedacht, das physischer <strong>Transport</strong> und z. B.<br />

die Signifikatbildung uberhaupt miteinan<strong>de</strong>r zu tun hatten, das es moglich<br />

sei, sie in anschlusfahigen Termen zu diskutieren? Wir sind es gewohnt, die<br />

Debatte um die Medien sauber in >Ebenen< zu trennen; die Ebene <strong>de</strong>s <strong>In</strong>stitutionellen<br />

verweisen wir an die Soziologie, die Ebene <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung an die<br />

~emiotik.~ Nur wenn man mit dieser Losung unzufrie<strong>de</strong>n ist, wird man sich<br />

fur alternative Ansatze uberhaupt interessieren. Die Ebenen <strong>de</strong>r Medienwissenschaft<br />

sind Konstrukte. So etabliert sie sind, in so klarer Weise verstellen<br />

sie <strong>de</strong>n Blick auf jene <strong>In</strong>ter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nz zwischen <strong>de</strong>n Medienaspekten, die <strong>de</strong>n<br />

Gegenstand aller avancierteren Medientheorien bil<strong>de</strong>t. Medien sind nicht einerseits<br />

Hardware und >gleichzeitig< Handlungsraum, Trager von Be<strong>de</strong>utung<br />

und >daneben< Wirtschaftsgut. Sie sind all dies tatsachlich in einem. Und die<br />

Theorie, <strong>de</strong>nke ich, mus <strong>de</strong>n Raum zwischen <strong>de</strong>n Ebenen zu beschreiben versuchen.<br />

âIm Anfang, im Prinzip war die <strong>Post</strong>,<br />

und daruber wer<strong>de</strong> ich niemals hinwegkommen.á<br />

(Derrida, <strong>Post</strong>karte, S. 39)<br />

Beginnen wir mit <strong>de</strong>r <strong>Post</strong>. Bernhard Siegert ist es gelungen, diese <strong>In</strong>stitution<br />

einer reduziert institutionengeschichtlichen Betrachtung zu entreisen und sie<br />

fur die Theorie zuruckzugewinnen. <strong>In</strong> seinem Buch Relais, das 1993 erschien5,<br />

2 R. Debray: Trnnsmitting Culture (s. Anm. l), S. 7, S. 1.<br />

3 Dank an Geoffrey Winthrop-Young, <strong>de</strong>ssen brillanter Text nGoing <strong>Post</strong>al to Deli-<br />

ver Subjects: Remarks on a German <strong>Post</strong>al Aprioriá Ausgangspunkt meiner Uber-<br />

legung ist (erscheint in: Angelaki. Journal of the Theoretical Humanities (2003));<br />

fur <strong>de</strong>n Gang meines Arguments allerdings trifft W.-Y. keine Verantwortung.. .<br />

4 âThe edifice of signs divi<strong>de</strong>s into the three levels of the physical (the technologi-<br />

cal), semantic and political. [. . .] Its study has been up to the present day partitio-<br />

ned into air-tight disciplinesá; nwe are quite ill-prepared to <strong>de</strong>al with crossings and<br />

composites.á (Debray, Regis: Media Manifestes. On the technological transmissi-<br />

on of cultural forms. London, NY 1996, S. 17 [OA., frz.: 199491).<br />

5 Siegert, Bernhard: Relais. Geschicke <strong>de</strong>r Literatur als Epoche <strong>de</strong>r <strong>Post</strong>. Berlin<br />

1993.


<strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong> 285<br />

kann er zeigen, das die <strong>Post</strong> als eine gesellschaftliche Implementierung nicht<br />

eigentlich Kommunikationsnetze bereitstellt o<strong>de</strong>r Kommunikationsakte >ver-<br />

mitteltGouvemementalitat


286 Hartmut Winkler<br />

nicht nur fur die Projekte <strong>de</strong>r Literatur, die bereits sein Untertitel polemisch<br />

auf eine >Epoche <strong>de</strong>r <strong>Post</strong>< reduziert, son<strong>de</strong>rn fur Kommunikation, und weitergehend<br />

die gesellschaftlichen Prozesse insgesamt. Dies ist <strong>de</strong>r Grund fur<br />

Siegert, von einem postalisch-historischen >Apriori< zu sprechen.1‹<br />

âDu begreifst, im <strong>In</strong>neren je<strong>de</strong>s Zeichens [. . .]<br />

gibt es die Entfernung, die <strong>Post</strong>á.<br />

(Derrida, <strong>Post</strong>karte, S. 39)<br />

Doch Aufmerksamkeit verdient die <strong>Post</strong> noch aus einem zweiten, an<strong>de</strong>rsgear-<br />

teten Grund: Derrida namlich hat in verschie<strong>de</strong>nen seiner Texte und am <strong>de</strong>ut-<br />

lichsten wohl in âSignatur, Ereignis, Kontextá" <strong>de</strong>n Gedanken vertreten, das<br />

das Zeichen selbst sich seiner Verschickung verdankt. Derrida sieht das Zei-<br />

chen dadurch bestimmt, das es seinen Kontext wechseln kann - und wechseln<br />

konnen mus -, will es als Zeichen funktionieren. Die These bezieht sich zu-<br />

nachst auf das schriftliche Zeichen; hier sind bereits Produktion und Rezepti-<br />

on zeitlich und raumlich entkoppelt, das Zeichen mus in <strong>de</strong>r Lage sein, diese<br />

Kluft zu uberbrucken:<br />

Ein schriftliches Zeichen (signe) im gelaufigen Sinne dieses Wortes ist also ein<br />

Zeichen (marque), das bestehen bleibt, das sich nicht in <strong>de</strong>r Gegenwart seiner Ein-<br />

schreibung erschopft und die Gelegenheit zu einer Iteration bietet, auch in Abwe-<br />

senheit <strong>de</strong>s empirisch festlegbaren Subjekts, das es in einem gegebenen Kontext<br />

hervorgebracht o<strong>de</strong>r produziert hat und uber seine Anwesenheit hinaus. l2<br />

Da Produktions- und Rezeptionskontext auseinan<strong>de</strong>rfallen, mus das Zeichen<br />

von <strong>de</strong>r Situation und vom Kontext sich in gewissem Mase ablosen.<br />

Gleichzeitig enthalt ein schriftliches Zeichen die Kraft eines Bruches mit seinem<br />

Kontext, das heist mit <strong>de</strong>r Gesamtheit von Anwesenheiten, die das Moment seiner<br />

Einschreibung organisieren.I3<br />

Zweite basale Bestimmung <strong>de</strong>s Zeichens ist seine Wie<strong>de</strong>rholbarkeit. Dies be-<br />

<strong>de</strong>utet ebenfalls, das das Zeichen in unterschiedliche Kontexte eintritt:<br />

was nun <strong>de</strong>n semiotischen und internen Kontext betrifft, so ist die Kraft <strong>de</strong>s Bruchs<br />

keineswegs geringer: aufgrund seiner wesentlichen Iterierbarkeit kann man ein<br />

schriftliches Syntagma aus <strong>de</strong>r Verkettung, in <strong>de</strong>r es gegeben o<strong>de</strong>r eingefast ist,<br />

immer herauslosen, ohne das ihm dabei alle Moglichkeiten <strong>de</strong>s Funktionierens,<br />

wenn nicht eben alle Moglichkeiten von >KommunikationApriori<<br />

vor allem greift Winthrop-Young in seinem Text an.<br />

1 1 Derrida, Jacques: âSignatur Ereignis Kontextá. <strong>In</strong>: <strong>de</strong>rs.: Rundgange <strong>de</strong>r Philoso-<br />

phie. Wien 1988, S. 291-314 (OA., frz.: 1972).<br />

12 Ebd., S. 300.<br />

13 Ebd.


<strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong> 287<br />

die Moglichkeit und die Unmoglichkeit <strong>de</strong>r Schrift, ihrer wesentlichen Iterierbar-<br />

keit (Wie<strong>de</strong>rholung, An<strong>de</strong>rsheit) ist.I4<br />

Der enge Rahmen von Sen<strong>de</strong>r und Empfanger ist damit uberschritten; bei<strong>de</strong><br />

sind nur Teil einer unendlichen Kette von Wie<strong>de</strong>rholungsakten, die sie nicht<br />

uberschauen o<strong>de</strong>r kontrollieren konnen; Zeichen wer<strong>de</strong>n von Kontext zu Kon-<br />

text verschickt o<strong>de</strong>r ubertragen, Zeichen sind insofern immer Telekommuni-<br />

kation. Das sie auf Kontexte verweisen, die im Moment ihrer Aktualisierung<br />

nicht zur Verfugung stehen, macht ihren eigentumlich frem<strong>de</strong>n Charakter aus.<br />

IV.<br />

âDenn schliefllich, man muflte recht zutraulich sein zu diesem<br />

Wert <strong>de</strong>r ><strong>Metapher</strong>( und zu ihrem ganzen Bereich [...I,<br />

um auf diese Weise die Figur <strong>de</strong>r <strong>Post</strong> zu behan<strong>de</strong>ln.á<br />

(Derrida, <strong>Post</strong>karte, S. 82)<br />

<strong>In</strong> <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong> nun, so konnte man sagen, kommt dieser Mechanismus zu<br />

sich selbst. Wenn das Alltagsbewustsein von einer >ubertragenen< Be<strong>de</strong>utung<br />

spricht, ware zunachst zu klaren, was wohin ubertragen wird und in welchem<br />

Sinne. Han<strong>de</strong>lt es sich, wenn man die Be<strong>de</strong>utung hier >ubertragen< nennt, selbst<br />

um eine <strong>Metapher</strong>? O<strong>de</strong>r last sich ein Bezug zuruck auf materielle Mechanismen,<br />

auf <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong> und Kontextwechsel zeigen?<br />

<strong>In</strong>nerhalb <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong>ntheorie hat es eine Entwicklung gegeben, die die<br />

<strong>Metapher</strong> Schritt fur Schritt von <strong>In</strong>vention und <strong>In</strong>tuition abgelost, und zunehmend<br />

kuhl als einen Mechanismus, eine materielle Operation im Material <strong>de</strong>r<br />

Sprache, beschrieben hat. Eine wichtige Zwischenstation auf diesem Weg war<br />

<strong>de</strong>r beruhmte Text Max Blacks von 1954.15 Black geht aus von <strong>de</strong>r Erfahrung,<br />

das die <strong>Metapher</strong> eine Art Zusammenprall inszeniert. Wo die traditionellen<br />

Ansatze behaupteten, die <strong>Metapher</strong> beinhalte einen Vergleich bzw. <strong>de</strong>r metaphorische<br />

Ausdruck substituiere einen eigentlichen, wortlichen Ausdruck im<br />

~ext'~, schlagt Black vor, die <strong>Metapher</strong> als eine ><strong>In</strong>teraktion< neu zu beschreiben.17<br />

Die Tatsache, das das metaphorische Element semantisch nicht in seinen<br />

Kontext past, zwingt dazu, das Element mit seinem Kontext abzuglei-<br />

14 Ebd.<br />

15 Black, Max: âDie <strong>Metapher</strong>á. <strong>In</strong>: Haverkamp, Anselm (Hg.): Theorie <strong>de</strong>r Meta-<br />

pher. Darmstadt 1983, S. 55-79.<br />

16 â<strong>Metapher</strong> [...I. Sie steht zu <strong>de</strong>m von ihr ersetzten eigentlichen Ausdruck nicht,<br />

wie die Synekdoche, in einer Teil-Ganzes-Relation und auch nicht, wie die Met-<br />

onymie, in einer realen Beziehung qualitativer Art, son<strong>de</strong>rn beruht auf einer Ab-<br />

bild- o<strong>de</strong>r Ahnlichkeitsrelation; die Rhetorik <strong>de</strong>r Antike hat <strong>de</strong>shalb die M. als<br />

verkurzten Vergleich aufgefast, neuere M.-theorien bieten an<strong>de</strong>re Erklarungen.á<br />

(Metzler Lexikon Literatur und Kulturtheorie. Stuttgart, Weimar 1998, S. 363).<br />

17 Der Grundgedanke <strong>de</strong>r <strong>In</strong>teraktionstheorie geht auf I. A. Richards zuruck (ebd.,<br />

S. 364).


288 Hartmut Winkler<br />

chen; <strong>Metapher</strong> und Kontext >interagierenin praesentia< - vorhan<strong>de</strong>n<br />

sind. Damit geht die Aufmerksamkeit von <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r <strong>In</strong>halte auf<br />

die Ebene <strong>de</strong>s Textes selbst uber; es geht um die semantische Beziehung zweier<br />

syntagmatisch gereihter Elemente, und nicht wie in <strong>de</strong>r Substitutionsthese um<br />

ein Element, das, eben weil substituiert, selbst abwesend ist und uber das letztlich<br />

nur spekuliert wer<strong>de</strong>n kann. l8<br />

<strong>In</strong> welchem Sinne aber kann man in dieser Perspektive von einer >Ubertra-<br />

gung< sprechen?<br />

Wenn die <strong>Metapher</strong> >ubertragen< wird, dann ja nicht innerhalb <strong>de</strong>s Textes,<br />

son<strong>de</strong>rn von einer semantischen Sphare in die an<strong>de</strong>re, bzw. genauer: von <strong>de</strong>r<br />

semantischen Sphare, in die <strong>de</strong>r benutzte Ausdruck normalerweise gehort19,<br />

in einen Kontext, <strong>de</strong>r dieser Sphare mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r fremd ist. Die Glie<strong>de</strong>-<br />

rung <strong>de</strong>s Wortschatzes in semantische Spharen aber ware gera<strong>de</strong> nicht Teil<br />

<strong>de</strong>s materiell anwesen<strong>de</strong>n Textes. Sie ware Teil <strong>de</strong>r Sprachkompetenz und<br />

insofern - Saussure sagt: >in absentia< - ins Dunkel <strong>de</strong>r sprachkompetenten<br />

Kopfe verbannt.<br />

Will man also bei<strong>de</strong>s haben, Blacks materielle ><strong>In</strong>teraktion< und eine moglichst<br />

materiell ge<strong>de</strong>utete >Ubertragung< mit <strong>de</strong>n Konnotationen von <strong>Post</strong> und<br />

<strong>Transport</strong>, waren meines Erachtens zwei Schritte notig: zunachst <strong>de</strong>r Ruckgriff<br />

auf Derrida, <strong>de</strong>r das Zeichen grundsatzlich uber <strong>de</strong>n materiellen Prozes<br />

seiner Einsetzung in Kontexte bestimmt.<br />

Und zweitens eine Theorie, die zumin<strong>de</strong>st skizziert, was >semantische Spharen<<br />

in Termen einer materialistischen Sprachtheorie sein konnten. Ich habe<br />

hierzu an an<strong>de</strong>rer Stelle <strong>de</strong>n Vorschlag gemacht, das semantische System als<br />

einen kumulierten Abzug uber <strong>de</strong>r unendlich grosen Menge vergangener<br />

Sprachereignisse zu begreifen.20 Sprachereignisse (Auserungen, Texte) nahren<br />

das System <strong>de</strong>r semantischen Verweise; Diskurs schlagt um in Struktur,<br />

und syntagmatische Nahe, dies ist <strong>de</strong>r Kern meiner These, schlagt in paradigmatische<br />

Nahe um.<br />

<strong>In</strong> <strong>de</strong>r Folge wird man zwei Ebenen unterschei<strong>de</strong>n mussen: neben <strong>de</strong>r Ebene<br />

<strong>de</strong>r materiellen Texte ist eine zweite, nicht weniger materielle Ebene anzunehmen:<br />

die Ebene <strong>de</strong>r semantischen Kompetenz, <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s, lokalisiert im<br />

Gedachtnis <strong>de</strong>r Sprachbenutzer, die an vergangenen Ausemngsereignissen teilgenommen<br />

haben. Auf diese Weise entsteht ein veran<strong>de</strong>rtes Bild von <strong>de</strong>r Ubertragung.<br />

>ubertragen< wur<strong>de</strong> tatsachlich je<strong>de</strong>r Begriff, er wird <strong>de</strong>m Co<strong>de</strong> entnommen<br />

und eingestellt in einen jeweils aktuellen (und grundsatzlich >frem<strong>de</strong>n


<strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong> 289<br />

brauchs. Als Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong> bliebe ubrig, das <strong>de</strong>r Kontext noch<br />

ein Stuck frem<strong>de</strong>r als im Normalfall ist.<br />

Die Vorstellung ist von Derrida ausgegangen und kommt auch bei Derrida<br />

wie<strong>de</strong>r an: ging doch <strong>de</strong>r Streit mit Searle gera<strong>de</strong> darum, ob zwischen <strong>de</strong>m<br />

wortlichen Sprachgebrauch und <strong>de</strong>m >parasitaren< <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong> uberhaupt<br />

unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann 21; Derrida hatte dies zu Searles Verbluffung verneint;<br />

er hatte sich uber <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Parasitaren lustig gemacht und die<br />

<strong>Metapher</strong> nicht als sekundar und >abgeleitet


290 Hartmut Winkler<br />

Was allerdings die Ubertragung betrifft, eroffnet die Betonung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholung<br />

eine zusatzliche Perspektive: Nun wird <strong>de</strong>utlich, das die ~bertragun~<br />

eine Ubertragung von <strong>de</strong>r Vergangenheit in die Gegenwart (und perspektivisch:<br />

die Zukunft) ist. Zumin<strong>de</strong>st U. a. ist die Ubertragung eine Maschine <strong>de</strong>r<br />

~raditionsbildung~~; und in diesem Aspekt weniger <strong>Post</strong> als Flaschenpost.. .<br />

VI.<br />

âWenn ich im Gegenteil das <strong>Post</strong>alische [. . . ] <strong>de</strong>nke ausgehend [. . .] von <strong>de</strong>r Sprache<br />

und nicht umgekehrt L...], dann ist die <strong>Post</strong> nicht mehr eine bloJe <strong>Metapher</strong>;<br />

sie ist sogal; als Ort aller Ubertragungen und aller Korrespon<strong>de</strong>nzen,<br />

die >eigene< Moglichkeit je<strong>de</strong>r moglichen Rhetorik.á<br />

(Derrida, <strong>Post</strong>karte, S. 83)<br />

Kehren wir zur <strong>Metapher</strong> zuruck, so ware nun zu prufen, ob Blacks Begriff<br />

<strong>de</strong>r ><strong>In</strong>teraktion< zumin<strong>de</strong>st abstrakt-mo<strong>de</strong>llhaft naher bestimmt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Behauptung war, das zwei Segmente <strong>de</strong>r syntagmatischen Kette - das metaphorische<br />

Element und sein Kontext, Black sagt: Focus und Frame - interagieren;<br />

die Auskunft, das diese <strong>In</strong>teraktion im Kopf <strong>de</strong>s Rezipienten stattfin<strong>de</strong>t,<br />

ware zunachst wenig befriedigend; moglicherweise aber hilft auch hier<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Ubertragung weiter.<br />

Meine These ist, das <strong>Post</strong>-ahnliche Mechanismen auch innerhalb <strong>de</strong>r syntagmatischen<br />

Kette selbst gezeigt wer<strong>de</strong>n konnen. Nun allerdings ist die Ebene<br />

zu wechseln; wenn Frame und Focus namlich interagieren, dann nicht auf<br />

<strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Begriffe selbst, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r Ebene ihrer Be<strong>de</strong>utungskornponenten.<br />

Auf welche Weise man diese Komponenten fast, ob als >MerkmaleSeme< o<strong>de</strong>r >KonnotationenWolf


<strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong> 291<br />

Zusammenprall; ja mehr noch: Erst die Ent<strong>de</strong>ckung einer Unvereinbarkeit auf<br />

<strong>de</strong>r Ebene semantischer Komponenten lost uberhaupt <strong>de</strong>n Reflex aus, das es<br />

sich, da ein wortliches Verstandnis nicht moglich ist, offensichtlich um eine<br />

<strong>Metapher</strong> han<strong>de</strong>lt.<br />

Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungskomponenten also wird tatsachlich etwas<br />

>ubertragenFilterwortlichen< Sprachgebrauch, nur im Fall <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong><br />

allerdings wird sie unabweisbar <strong>de</strong>utlich. Dies ist <strong>de</strong>r Grund, warum vor<br />

allem die <strong>Metapher</strong> an die Wurzeln <strong>de</strong>r Semantik fuhrt.<br />

VII.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s ist nun zu spezifizieren. Grundhypothese ware, das <strong>de</strong>r<br />

Komponentenabgleich in je<strong>de</strong>m Einzelfall in <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> zuruckschreibt, das<br />

je<strong>de</strong> einzelne Zeichenverwendung also Macht - eine sehr begrenzte Macht -<br />

uber <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> hat. <strong>In</strong> <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> allerdings wird nur eingehen, was nicht in<br />

einem einzelnen, son<strong>de</strong>rn in sehr vielen Kontexten als eine Komponentenkonstellation<br />

sich vorfin<strong>de</strong>t. Von Kontext zu Kontext also lauft ein Typisierungsprozep,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n einzelnen Auserungsereignissen (Type von<br />

Token) signifikant unterschei<strong>de</strong>t.<br />

Derrida also hat Recht und Unrecht zugleich: Immer farbt <strong>de</strong>r Kontext die<br />

syntagmatisch gereihten Elemente ein, und niemals wird <strong>de</strong>r Kontext vollstandig<br />

gleich sein o<strong>de</strong>r ausgeschopft wer<strong>de</strong>n konnen; da das Zuruckschreiben<br />

in <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> aber quasi-statistisch kumulativ verlauft, bleibt es sinnvoll,<br />

uber die Wie<strong>de</strong>rholung hinaus auf <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> als ein Moment <strong>de</strong>r Behamng zu<br />

verweisen. Und dies gera<strong>de</strong> dann, wenn man das <strong>In</strong>teresse Derridas teilt, die<br />

âAutoritat <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s als eines [statisch-] geschlossenen Systems von Regelná<br />

zu <strong>de</strong>montieren.<br />

><strong>Ubertragen</strong>< ist die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r <strong>Metapher</strong> also aus drei Grun<strong>de</strong>n: zum<br />

einen, weil je<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung >ubertragen< ist, aus vorangegangenen Wie<strong>de</strong>rholungsereignissen,<br />

aus <strong>de</strong>m Co<strong>de</strong> und aus <strong>de</strong>r Vergangenheit, die sich im dynamischen<br />

Speicher <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s akkumuliert. Zum zweiten, weil im Co<strong>de</strong> selbst<br />

sich Nahe- und Entfernungsrelationen ausbil<strong>de</strong>n, jene semantischen >Spharen<<br />

eben, <strong>de</strong>ren Grenzen die <strong>Metapher</strong> uberspringt. Zum dritten auf <strong>de</strong>r Ebene<br />

<strong>de</strong>r Komponenten, insofern syntagmatisch gereihte Elemente in <strong>In</strong>teraktion<br />

treten und ihre Komponenten hin- und herprojizieren. <strong>In</strong> je<strong>de</strong>m Fall ware<br />

sie Grenzfall <strong>de</strong>r >normalen


292 Hartmut Winkler<br />

Was wir als >Signifikat< ansprechen, ware das unmittelbare Resultat solcher<br />

Ubertragung. Angereichedaufgela<strong>de</strong>n durch die Bestimmungen, die die<br />

Kontexte an das Element herantragen und gleichzeitig eine Abstraktion und<br />

Summenbildung uber diesen Kontexten; Verschickung (Kontextwechsel), das<br />

Gesetz <strong>de</strong>r grosen Zahl (Statistik) und AbstraktioIdGeneralisierung also hangen<br />

auf regelhafte Weise zusammen.<br />

VIII.<br />

Der Weg <strong>de</strong>r Argumentation also hat von <strong>de</strong>r <strong>Post</strong> tief in semantische Proble-<br />

me gefuhrt. Dies aber kollidiert mit einem Hauptpunkt <strong>de</strong>r ausgangs zitierten<br />

Texte: hatte doch Siegert gera<strong>de</strong> darauf abgehoben, das inhaltlich-semanti-<br />

sche Probleme zunehmend irrelevant wur<strong>de</strong>n, weil die Mechanismen <strong>de</strong>r Macht<br />

auf die technisch-organisatorischen Strukturvorgaben <strong>de</strong>r postalischen Zustel-<br />

lung selbst ubergegangen seien. Fallt <strong>de</strong>r Verweis auf die Semantik also hinter<br />

diese These zuruck?<br />

Das Argument selbst hat einiges fur sich. Sein Hintergrund ist, das die<br />

Medienentwicklung die Sprache ja offensichtlich marginalisiert o<strong>de</strong>r hinter<br />

sich gelassen hat. <strong>In</strong> einem ersten Schritt um 1900, als die technischen Bil<strong>de</strong>r<br />

(Photographie und Film) in klarer Polemik gegen die Sprache zum Leitmedi-<br />

um wur<strong>de</strong>n28, und in einem zweiten Schritt in <strong>de</strong>r Gegenwart, in<strong>de</strong>m die Com-<br />

puter, exakt parallel dazu, die Formalsprachen gegen die >naturliche Sprache<<br />

setzen. Macht es also uberhaupt Sinn, <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Ubertragung bis in die<br />

Mikromechanismen <strong>de</strong>r Sprache hinein zu verfolgen?<br />

Meine Behauptung ist, das <strong>de</strong>r Verweis allein auf die technisch-strukturell-<br />

organisatorische Ebene seinen Gegenstand, die Medien, nicht ausschopfen<br />

kann. Selbst wenn man sich entschei<strong>de</strong>t, sich fur die Medien-<strong>In</strong>halte nachhal-<br />

tig nicht mehr zu interessieren, weil das Medium und eben nicht die Botschaft<br />

die Botschaft ist, bleibt das Ratsel, auf welche Weise die Praxen in die Struk-<br />

tur <strong>de</strong>r Medien sich einschreiben und ob veran<strong>de</strong>rte Praxen die Chance haben,<br />

in einer veran<strong>de</strong>rten Medienstruktur sich nie<strong>de</strong>rzuschlagen.<br />

Mein Vorschlag ist <strong>de</strong>shalb, die Mikro-Mechanismen im Feld <strong>de</strong>r Sprache<br />

zum Ausgangspunkt zu wahlen fur die Entwicklung eines abstrakteren Mo-<br />

<strong>de</strong>lls, das dann auch auserhalb von Sprache und Semantik, im Feld <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>-<br />

ren Medien, Gultigkeit beanspruchen kann.<br />

Wenn Auserungsakt und Co<strong>de</strong> zwei <strong>In</strong>stanzen sind, die, zyklisch mitein-<br />

an<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n, die Maschine <strong>de</strong>s Semiotischen bil<strong>de</strong>n, so wird man fragen<br />

mussen, was im Feld <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Medien diesen bei<strong>de</strong>n <strong>In</strong>stanzen entspricht.<br />

Und ebenso ware die Wechselbeziehung zwischen Verschickung (Kontext-<br />

wechsel) und Abstraktion/Signifikatbildung zu klaren. Kann auch im Fall von<br />

Bildmedien und Computer gezeigt wer<strong>de</strong>n, das die Praxen in <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong> zu-<br />

ruckschreiben?<br />

28 H. Winkler: Docuverse (s. Anm. 20), S. 185 ff.


<strong>Ubertragen</strong> - <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>, <strong>Metapher</strong> 293<br />

Das Problem liegt ein weiteres Mal auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s: Bereits die<br />

technischen Bil<strong>de</strong>r (Photographie und Film) <strong>de</strong>mentieren die Existenz eines<br />

Co<strong>de</strong>s - <strong>de</strong>r Filmtheoretiker Metz hatte dies auf die prekare Formel einer >langage<br />

sans langue< gebracht; sie behaupten, in ihrer ikonisch-in<strong>de</strong>xikalischen<br />

Grundanordnung ohne Co<strong>de</strong> auszukommen und die problematische <strong>In</strong>teraktion<br />

von Co<strong>de</strong>, Kontext und PraxedGeschichte vermei<strong>de</strong>n zu konnen.29 Im Fall<br />

<strong>de</strong>r Computer scheint <strong>de</strong>r Co<strong>de</strong> in Gestalt <strong>de</strong>r Formalsprache immer schon<br />

vorvereinbart, und - eben weil formal - von <strong>de</strong>n AuserungsaktenIPraxenhAnwendungen<<br />

weitgehend unabhangig zu sein. <strong>In</strong> bei<strong>de</strong>n Fallen scheint die Dialektik<br />

zwischen Auserung und Co<strong>de</strong> unterbrochen; <strong>de</strong>r Co<strong>de</strong> scheint gegen<br />

<strong>de</strong>n Einspruch <strong>de</strong>r symbolischen Praxen gesichert. Und wie<strong>de</strong>rum ahnlich im<br />

Fall <strong>de</strong>r Siegertschen <strong>Post</strong>-<strong>In</strong>frastruktur. Auch sie kommt nicht <strong>de</strong>shalb in die<br />

Welt, weil die <strong>Post</strong>-Benutzung kumulativ die Kanale bahnt, son<strong>de</strong>rn weil eine<br />

clevere Obrigkeit die Chance <strong>de</strong>r Portoverbilligung erkennt; einmal in die Welt<br />

gebracht und technisch-organisatorisch implementiert, fungiert sie als >AprioriCo<strong>de</strong>s<<br />

erscheint <strong>de</strong>shalb gleichzeitig zu hart und zu weich: zu hart im Licht <strong>de</strong>r genannten<br />

Dementis und zu weich, um die <strong>de</strong>terministische Kraft <strong>de</strong>r in Hardware<br />

o<strong>de</strong>r <strong>In</strong>stitutionen nie<strong>de</strong>rgelegten Strukturen plausibel zu fassen.<br />

Dennoch, <strong>de</strong>nke ich, sind die Deutungen falsch. Von <strong>de</strong>r Semantik ist zu<br />

lernen, das <strong>de</strong>r Co<strong>de</strong> sich grundsatzlich armiert. Zunachst im Gesetz <strong>de</strong>r Statistik,<br />

das <strong>de</strong>m einzelnen machtlosen Auserungsakt das Eigengewicht <strong>de</strong>r gesamten<br />

im Co<strong>de</strong> kumulierten vergangenen Auserungsakte entgegensetzt, und<br />

dann in seiner spezifischen Opazitat, die exakt diesen Mechanismus weitgehend<br />

unsichtbar macht.<br />

Nach <strong>de</strong>m Muster <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>s waren <strong>de</strong>shalb auch <strong>In</strong>stitutionen und Technik<br />

zu <strong>de</strong>konstruieren. Aufzuweisen ware ihre Abhangigkeit von <strong>de</strong>n Praxen<br />

ihrer >~utzungAprioriUbertragung< sind und Akte <strong>de</strong>r ~bertragung<br />

(Kontextwechsel) das Granulat fur eine kumulative Strukturbildung lie-<br />

29 Ebd.<br />

30 Der Begriff <strong>de</strong>s >Users< ist einer <strong>de</strong>r chimarischsten Begriffe im Computerdiskurs.. .


294 Hartmut Winkler<br />

fern, verschiebt das Augenmerk von <strong>de</strong>r Macht auf die Mechanismen ihrer<br />

Reproduktion. <strong>In</strong> gewisser Weise ware diese Vorstellung Siegerts Bezugspunkt,<br />

Foucault, sogar naher als Siegert selbst; geht es Foucault doch gera<strong>de</strong> darum,<br />

<strong>de</strong>n Automatismus im Funktionieren <strong>de</strong>r Disziplinen zu zeigen, <strong>de</strong>n Ubergang<br />

von obrigkeitsstaatlicher <strong>In</strong>tervention zu einer Selbstregulierung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Apparatur wie <strong>de</strong>r Subjekte, die dieses >Selbst-< allererst hervorbringt<br />

und keineswegs weniger machtgesattigt als die Ausgangskonstellation<br />

ist. Siegerts Argument zur <strong>Post</strong>, dies ware mein Einwand, bleibt zumin<strong>de</strong>st<br />

nach einer Seite hin <strong>de</strong>m intervenieren<strong>de</strong>n Staat verhaftet. Zu zeigen eben<br />

ware nicht allein, das die staatliche <strong>Post</strong> die Adressierbarkeit <strong>de</strong>r Subjekte<br />

verlangt, son<strong>de</strong>rn das und warum die Subjekte >selbst< Briefkastenschlitze in<br />

ihre Mahagonituren sagen.<br />

Solange ubertragen wird, entstehen Signifikate - o<strong>de</strong>r signifikataquivalente<br />

Strukturen - als Output, insofern das Signifikat nur <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rfall eines<br />

allgemeineren Mechanismus <strong>de</strong>r Strukturbildung ist. Die Frage ist, wo die<br />

Strukturen sich akkumulieren; ob in <strong>de</strong>n Kopfen <strong>de</strong>r Teilnehmer am Diskurs<br />

(als Signifikate o<strong>de</strong>r Stereotypen), in Texten, die immer die >Aufhebung< aller<br />

vorangegangenen Texte sind, in <strong>de</strong>r Technik, die alle vorangegangenen Techniken<br />

in sich aufhebt o<strong>de</strong>r verdrangt, in <strong>In</strong>stitutionen o<strong>de</strong>r in Algorithmen, die<br />

ihrem formalen Charakter zum Trotz mit ihren weltgebun<strong>de</strong>nen >Anwendungen<<br />

grundsatzlich interagieren. Gegeben sind Kontexte; was die Kontexte<br />

miteinan<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>t, nennen wir >medial


Rhetorik<br />

Figuration und Performanz<br />

Herausgegeben<br />

von Jurgen Fohrmann<br />

Verlag J.B. Metzler<br />

Stuttgart Weimar


Gedruckt mit Unterstutzung <strong>de</strong>r Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

Bibliografische <strong>In</strong>formation Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>de</strong>r Deutschen<br />

Nationalbibliografie; <strong>de</strong>taillierte bibliografische Daten sind im <strong>In</strong>temet<br />

uber abrufbar.<br />

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, saurefreiem und alterungsbestandigem Papier<br />

ISBN 3-476-02009-6<br />

Dieses Werk einschlieslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Je<strong>de</strong><br />

Verwertung auserhalb <strong>de</strong>r engen Grenzen <strong>de</strong>s Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />

Zustimmung <strong>de</strong>s Verlages unzulassig und strafbar. Das gilt insbeson<strong>de</strong>re fur<br />

Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und<br />

Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

O 2004 J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung<br />

und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart<br />

www.metzlerverlag.<strong>de</strong><br />

info@ metzlerverlag.<strong>de</strong><br />

Einbandgestaltung: Willy Loffelhardt<br />

Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart<br />

Druck und Bindung: Ebner & Spiegel GmbH, Ulm<br />

Printed in Germany<br />

Mai / 2004<br />

Verlag J.B. Metzler Stuttgart . Weimar


<strong>In</strong>halt<br />

JURGEN FOHRMANN (Bonn): Vorbemerkung ............................................<br />

I.<br />

Topik und Verzeitlichung<br />

WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN (B~~~~I~)/SEBASTIAN LALLA (Berlin):<br />

Einleitung ..............................................................................................<br />

CHRISTIAN STRUB (Hil<strong>de</strong>sheim): Ordo troporum naturalis.<br />

Zur Systematisierung <strong>de</strong>r Tropen ..........................................................<br />

STEFAN WILLER (Berlin): Orte, Orter, Worter. Zum locus ab etyrnologia<br />

zwischen Cicero und Derrida ................................................................<br />

WALTER F. VEIT (Melbourne): Topics and the Discovery of the New ....<br />

RALF KLAUSNITZER (Berlin): <strong>In</strong>ventio/Elocutio. Metaphorische Re<strong>de</strong><br />

und die Formierung wissenschaftlichen Wissens ..................................<br />

NICOLAS PETHES (Stanford/Bonn): â<strong>In</strong> jenem elastischen Mediumá.<br />

Der Topos >Prozessualitat< in <strong>de</strong>r Rhetorik <strong>de</strong>r Wissenschaften<br />

seit 1800 (Novalis, Goethe, Bernard) ....................................................<br />

UWE HEBEKUS (Konstanz): Geschichte als Ort und Figur.<br />

Retopikalisierungen historischen Wissens im Historismus ...................<br />

SEBASTIAN LALLA (Berlin): Diskussionsbericht ......................................<br />

11.<br />

Regel- Adresse<br />

LUDWIG JAGER (KolnIAachen): Einleitung .............................................<br />

CHRISTIAN STETER (Aachen): Nach Chomsky. Uberlegungen zu einer<br />

symboltheoretisch fundierten Linguistik ...............................................<br />

G~SELA HARRAS (Mannheim): Auf <strong>de</strong>m Weg zu einer einheitlichen<br />

Theorie <strong>de</strong>r <strong>In</strong>direktheit <strong>de</strong>s Sprechens .................................................<br />

ERIKA LINZ (Koln): Sprachlose <strong>Metapher</strong>n. Zur Rhetorizitat<br />

<strong>de</strong>r Kognition und ihrer Mo<strong>de</strong>llierung in <strong>de</strong>r kognitiven Linguistik .....


V1 <strong>In</strong>haltsverzeichnis<br />

CHRISTA M . HEILMANN (Marburg): Das Konzept Korper<br />

in <strong>de</strong>r Rhetorik aus semiotischer Sicht ..................................................<br />

HARTMUT WINKLER (Pa<strong>de</strong>rborn): <strong>Ubertragen</strong> . <strong>Post</strong>, <strong>Transport</strong>.<br />

<strong>Metapher</strong> ................................................................................................<br />

MARTIN STINGELIN (Basel): Nietzsches Rhetorik: Figuration<br />

und Performanz .....................................................................................<br />

MAREIKE BUSS (Aachen): Diskussionsbericht ........................................<br />

I11 .<br />

Writing Culture<br />

JURGEN FOHRMANN (Bonn): Einleitung ...................................................<br />

SVEN LEMBKE (FreiburgIBr.): Die Grenzen <strong>de</strong>s Selbstverstandlichen<br />

in <strong>de</strong>r Moscovia Sigmunds von Herberstein . Fassungskraft<br />

und Nutzen <strong>de</strong>r alten Topik ...................................................................<br />

ERHARD SCH~TTPELZ (Konstanz): Heischebrauche . Der >supplementare<br />

symbolische <strong>In</strong>halt< <strong>de</strong>r Schreibstun<strong>de</strong> von Clau<strong>de</strong> Levi-Strauss .........<br />

DAVID MARTYN (Minneapolis): " " .........................................................<br />

CHENXI TANG (Chicago): Rhetorik mit Akzent: Mundlichkeit.<br />

Schriftlichkeit und Rhetorik <strong>de</strong>r Kulturbeschreibung bei Her<strong>de</strong>r ..........<br />

FRIEDRICH BALKE (Koln): Rhetorik nach ihrem En<strong>de</strong> .<br />

Das Beispiel Adam Mullers ...................................................................<br />

DANIELA GRETZ (Bonn): Diskussionsbericht ..........................................<br />

IV .<br />

Performativa<br />

WERNER HAMACHER (FrankfurtM): Einleitung .....................................<br />

GUNTHER GREWENDORF (FrankfudM.): Perforrnativitat<br />

und Deklarativitat ..................................................................................<br />

DIETER MERSCH (Berlin): Performativitat und Ereignis . Uberlegungen<br />

zur Revision <strong>de</strong>s Performanz-Konzeptes <strong>de</strong>r Sprache ...........................<br />

ELISABETH STROWICK (HamburgNale): Akt <strong>de</strong>s sprechen<strong>de</strong>n Korpers .<br />

Austin - Quintilian - Kafka ..................................................................<br />

RUDIGER CAMPE (Baltimore): >Es lebe <strong>de</strong>r Konig!< . >Im Namen<br />

<strong>de</strong>r Republik.< Poetik <strong>de</strong>s Sprechakts ....................................................<br />

BETTINE MENKE (Erfurt): Zitation/performativ .......................................<br />

UWE WIRTH (FrankfudM.): Das Vorwort als performative,<br />

paratextuelle und parergonale Rahmung ...............................................<br />

EVA GEULEN (Bonn): Erziehungsakte .....................................................<br />

STEFAN LORENZER (FrankfurtIM.). Diskussionsbericht ...........................<br />

Namensregister ...................................................................................... 665

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