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Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. In: Adorno, Theodor W ...

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754 <strong>Musik</strong>soziologisches<br />

mung irrational bleibt. All das än<strong>der</strong>t sich mit dem Sieg <strong>der</strong> bürger-<br />

lichen Klasse. Das Werk setzt sich selbständig und in einem rationa-<br />

len Zeichensystem <strong>der</strong> Gesellschaft als Ware gegenüber; die Tradi-<br />

tion <strong>der</strong> <strong>In</strong>terpreten und ihrer Zünfte reißt mit <strong>der</strong> Durchsetzung<br />

<strong>der</strong> freien Konkurrenz ab; die ,Schulen( werden zu Lern- und<br />

Gesinnungsgemeinschaften ohne Verbindlichkeit <strong>der</strong> übermittelten<br />

Lehrgehalte; die Restbestände traditionaler <strong>Musik</strong>übung, wie etwa<br />

Mahler in Wien sie vorfand, sind, nach seinem Wort, durchsichtig<br />

als 4chlampereic. Der Eingriff des <strong>In</strong>terpreten ins Werk, in <strong>der</strong> Zeit<br />

vor <strong>der</strong> definitiven Verdinglichung <strong>der</strong> Werke jeweils möglich und<br />

selbst gefor<strong>der</strong>t, wird zur schlechten Willkür, die die Authentizität<br />

des rational bezeichneten Werkes von sich fernhalten muß. Die<br />

Geschichte <strong>der</strong> musikalischen Reproduktion im letzten Jahrhun-<br />

<strong>der</strong>t hat die reproduktive Freiheit vernichtet. Der <strong>In</strong>terpret hat<br />

einzig noch die Wahl zwischen zwei Anfor<strong>der</strong>ungen rationaler Art;<br />

er muß entwe<strong>der</strong> sich streng auf die Realisierung, allenfalls Entzif-<br />

ferung <strong>der</strong> genauen Sprache <strong>der</strong> musikalischen Zeichen beschrän-<br />

ken, o<strong>der</strong> er muß den Wünschen entsprechen, die die Gesellschaft<br />

als Markt an ihn richtet und in denen die Gestalt des Werkes<br />

untergeht. Zwischen beiden For<strong>der</strong>ungen vermittelte im 19. Jahr-<br />

hun<strong>der</strong>t die ,<strong>In</strong>terpretenpersönlichkeitc als letztes musikalisches<br />

Refugium irrationaler Reproduktion im kapitalistischen Prozeß.<br />

Sie steht in deutlicher Beziehung zur Form <strong>der</strong> freien Konkurrenz<br />

und enthält so viel Irrationales in sich wie diese. Dem Werk dient<br />

sie, indem sie dessen Gehalte, im Rahmen des vorgezeichneten<br />

Textes und seiner Zeichen, nochmals gleichsam aus sich selbst<br />

hervorbringt; das wird möglich durch die Homogenität <strong>der</strong> Struk-<br />

tur von Autor und <strong>In</strong>terpret, die beide in gleicher Weise bürgerliche<br />

,<strong>In</strong>dividuen< sind und in gleicher Weise den ,Ausdruck< bürgerli-<br />

cher <strong>In</strong>dividualität vollbringen: Liszt, Rubinstein, beide expressive<br />

Komponisten und als <strong>In</strong>terpreten ,Nachschöpfer

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