Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. In: Adorno, Theodor W ...
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<strong>Musik</strong>soziologisches<br />
Stelle <strong>der</strong> freien Konkurrenz ersehnt: wie es denn tatsächlich auf <strong>der</strong><br />
Festwiese nicht mehr zu einer Konkurrenz, son<strong>der</strong>n bloß <strong>der</strong>en<br />
Parodie in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Junker und Beckmes-<br />
ser kommt. <strong>In</strong> dem ästhetischen Triumph Sachsens und des Junkers<br />
sind die Ideale des Privatiers und des Exporteurs noch gegeneinan-<br />
<strong>der</strong> ausbalanciert. Bei Richard Strauss, dem letzten bedeutenden<br />
bürgerlichen Komponisten, dessen <strong>Musik</strong> das Bürgertum konsu-<br />
miert, hat, wie bereits Ernst Bloch erkannte, die Weltwirtschaft die<br />
Oberhand gewonnen. <strong>In</strong>nerlichkeit und Pessimismus sind liqui-<br />
diert. Der >Schwung(, als Unternehmergeist, emanzipiert sich.<br />
Chromatik und Dissonanz, vordem Mittel <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong> bür-<br />
gerlichen <strong>Musik</strong> aus einem vorgesetzten, irrationalen System und<br />
Träger einer Dialektik, die das Material angreift und verän<strong>der</strong>t,<br />
verlieren die revolutionär-dialektische Kraft und werden, wie<br />
Exotik und Perversität in den Sujets, zum bloßen Emblem welt-<br />
wirtschaftlicher Freizügigkeit; technisch beliebig als Kleckse ver-<br />
wandt, die in je<strong>der</strong> Sekunde vom gesunden Optimismus <strong>der</strong><br />
Quartsextakkorde getilgt werden können. Das Material, das in<br />
Straussens <strong>Musik</strong> schließlich hervortritt, ist gewissermaßen das<br />
Urmaterial aller bürgerlichen <strong>Musik</strong>, das diatonisch-tonale, das das<br />
Bürgertum trotz aller Strukturän<strong>der</strong>ungen in Wahrheit so treu fest-<br />
hielt wie das Prinzip <strong>der</strong> Profitrate und das bei Strauss, indem es<br />
sich die fremden Märkte Literatur, Orient, Antike und dix-hui-<br />
tihme unterwirft, mit einigem Zynismus auftritt. Die Divergenz<br />
zwischen dem phrasenhaft-vielberufenen >technischen Raffine-<br />
ment< Straussens, nämlich einer von außen gesetzten, nicht mate-<br />
rial-immanenten, son<strong>der</strong>n zufälligen und eigentlich irrationalen<br />
,Beherrschung< <strong>der</strong> Apparatur - und einer historisch unberührten,<br />
harmlosen, feuchtfröhlichen <strong>Musik</strong>substanz: diese Divergenz mag<br />
nicht bloß dem empirischen Bewußtseinsstand des großbürgerlich-<br />
industriellen Unternehmers um 1900 recht angemessen sein: sie<br />
zeichnet auch wie<strong>der</strong> deutlich die Selbstentzweiung des Bürgertums<br />
seiner ratio gegenüber ab, die es zugleich steigern und bremsen<br />
muß. Immerhin ist in <strong>der</strong> nachwagnerischen <strong>Musik</strong>situation, durch<br />
die gesellschaftliche Entwicklung und die immanente Dialektik des<br />
Wagnerschen Werkes, die Entfremdung von <strong>Musik</strong>material und<br />
Gesellschaft bereits so weit gediehen, daß eine Produktivkraft wie<br />
die Strauss’sche nicht umstandslos die materialen For<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>Zur</strong> <strong>gesellschaftlichen</strong> <strong>Lage</strong> <strong>der</strong> <strong>Musik</strong><br />
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ignorieren und <strong>der</strong> Gesellschaft sich gefügig zeigen konnte. <strong>In</strong><br />
seinen besten Werken, Salome und Elektra, ist zwar die Divergenz<br />
ebenfalls angelegt; in <strong>der</strong> Jochanaanmusik wie in den gesamten<br />
Schluflpartien <strong>der</strong> Elektra behauptet sich Banalität, aber am Anfang<br />
<strong>der</strong> Salome, im Elektramonolog und <strong>der</strong> Klytemnästraszene ver-<br />
selbständig sich gleichsam sein Kompositionsmaterial und stößt,<br />
gegen seinen Willen, hart an die Grenze des tonalen Raumes. Die<br />
Grenze ist zugleich die des Konsums: von beiden Werken fühlte das<br />
Publikum musikalisch wie stofflich sich chokiert und verweigerte<br />
ihnen, wenn schon nicht alle Opernhäuser, doch den sicheren Platz<br />
im Repertoire. Nach Strauss hat es Schluß gemacht und <strong>der</strong> Schluß-<br />
strich tangiert sein muvre. Aber er hat ihn selber gezogen. Von allen<br />
Komponisten des Bürgertums vielleicht <strong>der</strong> klassenbewußteste, hat<br />
er mit dem .Rosenkavalier«, seinem größten Erfolg, die materiale<br />
Dialektik selber von außen abgebrochen, die Diatonik von allen<br />
gefährlichen Fermenten gesäubert und den Jungen Herrn aus gro-<br />
ßem Hause, gerade eben noch eine Hosenrolle, mit <strong>der</strong> Tochter des<br />
Reichen Neugeadelten vermählt, während die Marschallin, Erbin<br />
Hans Sachsens und Isoldens zugleich, das Nachsehen hat und Trost<br />
im abstrakten Bewußtsein von Vergänglichkeit. Mit dem sacrifi-<br />
cium intellectus ans Konsumentenbewußtsein erlischt die Straussi-<br />
sche Produktivkraft: was auf den Rosenkavalier folgt, ist Kunstge-<br />
werbe. - Der Bruch von Produktion und Konsumtion, dem Strauss<br />
als Produzieren<strong>der</strong> zum Opfer fiel, hat zunächst nur in Deutsch-<br />
land die extreme Gestalt angenommen. <strong>In</strong> Frankreich, wo <strong>der</strong><br />
<strong>In</strong>dustrialisierungsprozeß min<strong>der</strong> weit getrieben war und damit die<br />
Antinomien <strong>der</strong> bürgerlichen Ordnung sich min<strong>der</strong> radikal aus-<br />
prägten, stimmen beide länger zusammen. Das musikalisch interes-<br />
sierte Bürgertum, im Besitz ausgiebigerer Freizeit und durch die<br />
Malerei des Impressionismus geschult, vermag <strong>der</strong> Bewegung wei-<br />
ter zu folgen; die <strong>Musik</strong>, nicht isoliert noch und nicht dialektisch in<br />
sich durch die Polemik zur Gesellschaft, kann ihre Mittel sublimie-<br />
ren, ohne sie substantiell anzugreifen. Noch Debussy, autonomer<br />
Künstler gleich den impressionistischen Malern, <strong>der</strong>en Technologie<br />
er in die musikalische transponiert, darf als Klang und Wohllaut<br />
Elemente <strong>der</strong> bürgerlichen Genuß- und selbst Salonmusik mitneh-<br />
men ins wählerischste artistische Verfahren. Freilich tritt bei ihm<br />
wie bei Strauss, auch theoretisch: im Dogma von den natürlichen