Schuldrecht II - VWA München
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FALL 1:<br />
<strong>VWA</strong> MÜNCHEN – WS 2007/2008 – PRIVATRECHT - ÜBUNGSFÄLLE<br />
Der Bankangestellte Kasimir, Vater von drei Kindern, kauft am 29.01.2008 vom Kfz-Händler und –Werkstattbetreiber<br />
Valentin einen gebrauchten VW Sharan, Baujahr 2007, zum Preis von 25.000 €, weil er für die Familienurlaube einen<br />
größeren Van benötigt. Im schriftlichen Kaufvertrag heißt es u.a.: „... Das verkaufte Fahrzeug ist unfallfrei .... Der<br />
Verkäufer schließt jegliche Gewährleistung für Mängel des verkauften Fahrzeuges aus ....“ Noch am selben Tag übereignet<br />
und übergibt Valentin den Sharan an Kasimir; dieser zahlt seinerseits den Kaufpreis an Valentin.<br />
An Pfingsten 2008 stellt Kasimir bei der ersten Urlaubsfahrt mit dem Sharan fest, dass die Bremsen des Fahrzeugs bei<br />
Gefällestrecken, insbesondere an Bergpässen, nicht ordnungsgemäß funktionieren. Dies teilt Kasimir dem Valentin<br />
am ersten Tag nach den Pfingstferien mit. In der Folgezeit stellt Kasimir dem Valentin den Sharan zweimal jeweils für<br />
einige Tage zur Verfügung, damit Valentin den Bremsendefekt behebe, doch ohne durchgreifenden Erfolg. Wie Valentin<br />
bei einer weiteren Urlaubsfahrt im September 2008 feststellen muss, funktionieren die Bremsen des Fahrzeugs<br />
bei steileren Gefällestrecken nach wie vor nicht ordnungsgemäß. Außerdem stellt sich nun heraus, dass das Fahrzeug<br />
vor der Besitzzeit des Kasimir sehr wohl einen Unfallschaden erlitten hat.<br />
Kasimir teilt daraufhin Valentin Anfang Oktober 2008 mit, dass er den Kauf des Fahrzeugs rückgängig mache und<br />
sein Geld zurückhaben wolle. Valentin entgegnet, er könne für diesen Bremsendefekt nicht verantwortlich gemacht<br />
werden. Wer wisse denn schon genau, meint Valentin, wann die Bremsen schadhaft geworden seien. Im Übrigen habe<br />
doch Kasimir vertraglich ausdrücklich auf alle Gewährleistungsrechte verzichtet; daran müsse sich dieser nun auch<br />
halten.<br />
Hat Kasimir den geltend gemachten Anspruch?<br />
A. ANSPRUCH DES KASIMIR GEGEN VALENTIN AUF RÜCKZAHLUNG DES KAUFPREISES 1<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
Kasimir könnte gegen Valentin Anspruch auf Rückzahlung des für den VW Sharan gezahlten Kaufpreises haben.<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 346 l sein, der als Rechtsfolge vorsieht, dass „die empfangenen Leistungen zurück zu<br />
gewähren“ sind. 2<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 § 346 I spricht vom Rücktritt einer „Vertragspartei“. Zu prüfen ist daher, ob zwischen den Anspruchsgegnern<br />
Valentin und Kasimir ein Vertrag zustande gekommen ist. 3 Dies ist zu bejahen, wie sich deutlich<br />
aus dem Sachverhalt ergibt; dort heißt es, dass Kasimir „kauft“, ferner ist von einem „schriftlichen Kaufvertrag“<br />
die Rede.<br />
Zwischen Kasimir und Valentin ist also ein Kaufvertrag über den VW Sharan zustande gekommen.<br />
2.2 Weitere Voraussetzung des § 346 l ist ein Recht des Anspruchstellers Kasimir zum Rücktritt von diesem<br />
Kaufvertrag mit dem Anspruchsgegner Valentin. 4<br />
Kasimir hat sich allerdings in dem Kaufvertrag mit Valentin keinen Rücktritt vorbehalten; es wurde also kein<br />
vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart.<br />
Daher kann ein Recht des Kasimir zum Rücktritt nur dann bestehen, wenn er ein gesetzliches Rücktrittsrecht<br />
hat. Was im vorliegenden Fall die Rechtsgrundlage eines solchen gesetzlichen Rücktrittsrechts sein<br />
könnte, steht im § 437 Nr. 2. Denn wenn die Kaufsache mangelhaft ist, dann sieht § 437 Nr. 2 vor, dass der<br />
Käufer gemäß § 323 bzw. gemäß § 326 V vom Kaufvertrag zurücktreten kann. Dabei müssen sowohl die<br />
Voraussetzungen des § 437 Nr. 2 als auch die Voraussetzungen des § 323 bzw. des § 326 V vorliegen; denn<br />
der Einleitungssatz des § 437 bestimmt ausdrücklich, dass auch „die Voraussetzungen der folgenden Vor-<br />
1 Die Fallfrage lautet „Hat Kasimir den geltend gemachten Anspruch?“ Kasimir macht im Ergebnis die Rückzahlung des Kaufpreises<br />
geltend; daher ist der gesuchte Anspruch.<br />
2 Gefragt ist nach dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises. Hierfür ist nur § 346 I die richtige Anspruchsgrundlage;<br />
denn nur diese Vorschrift gibt einen Anspruch auf Rückgewähr von Leistungen.<br />
Insbesondere sind die Vorschriften des § 326 V oder des § 323 I keine tauglichen Anspruchsgrundlagen: Sie sind die Grundlage<br />
für das Rücktrittsrecht, nicht aber für den Folgeanspruch aus der Ausübung dieses Rücktrittsrechts, eben für den Anspruch auf<br />
die Rückgewähr der vom Käufer bereits erbrachten Leistung.<br />
§ 433 <strong>II</strong> ist völlig falsch; hier geht es ja um den Anspruch des Verkäufers auf die Zahlung des Kaufpreises, nicht um den des Käufers<br />
auf dessen Rückzahlung.<br />
3 Wie stets kommt es für das Zustandekommen eines Vertrags nicht darauf an, ob er bereits erfüllt ist. Also ist hier keinesfalls die<br />
Übereignung und Übergabe oder die Kaufpreiszahlung zu erwähnen.<br />
4 Man kann auch zuvor die Erklärung des Rücktritts prüfen; die Reihenfolge ist hier gleichgültig.<br />
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schriften“, also hier des § 323 bzw. des § 326 V, vorliegen müssen. Die Grundlagen des Rücktrittsrechts sind<br />
im vorliegenden Fall:<br />
- § 323: Wie noch zu sehen sein wird, ist dies die Grundlage für das Rücktrittsrecht wegen des Bremsendefekts.<br />
- § 326 V: Dies ist die Grundlage für das Rücktrittsrecht wegen des Vorunfalls. 5<br />
Zu prüfen sind also sämtliche Voraussetzungen des § 437 Nr. 2 sowie sämtliche Voraussetzungen des § 323<br />
bzw. des § 326 V. 6<br />
2.2.1 Erste Voraussetzung des § 437 Nr. 2 ist ein wirksamer Kaufvertrag, da § 437 eine Vorschrift aus dem<br />
Kaufrecht ist. Wie oben 2.1 schon geprüft worden ist, haben Valentin und Kasimir einen Kaufvertrag<br />
über den VW Sharan geschlossen.<br />
Weitere Voraussetzung des § 323 ebenso wie des § 326 V in diesem Zusammenhang ist, dass es sich<br />
bei diesem Kaufvertrag um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Denn das Recht zum Rücktritt vom<br />
Vertrag wird nur bei Leistungspflichten aus gegenseitigen Verträgen gewährt. Bei dem zwischen Kasimir<br />
und Valentin geschlossenen Kaufvertrag handelt es sich um einen typischen gegenseitigen Vertrag.<br />
7<br />
2.2.2 Gemäß § 326 V, 2. Halbsatz ist auf das nach dieser Vorschrift gewährte Rücktrittsrecht § 323 entsprechend<br />
anzuwenden. Also gilt: Auch wenn § 326 V die Grundlage des Rücktrittsrechts ist, müssen<br />
grundsätzlich die Voraussetzungen des § 323 vorliegen. 8 Als weitere Voraussetzung ist daher zu prüfen,<br />
ob eine Pflicht des Valentin gegenüber Kasimir vorlag. Beim Rücktrittsrecht aus § 323 bzw. § 326<br />
V muss es sich zudem um eine Pflicht zur Leistung im Sinne des § 241 I handeln.<br />
Aus dem Kaufvertrag zwischen Kasimir und Valentin resultiert dessen Pflicht, die Kaufsache mangelfrei<br />
zu übereignen und zu übergeben (§ 433 I 1 und 2); dies ist eine Leistungspflicht im Sinne des § 241 I.<br />
2.2.3 Voraussetzung des § 437 Nr. 2 ist des Weiteren die Mangelhaftigkeit der Kaufsache.<br />
Wenn die Kaufsache mangelhaft ist, so handelt es sich zudem auch um eine Verletzung der soeben<br />
genannten Leistungspflicht des Verkäufers Valentin. Dies ist für ein Rücktrittsrecht aus § 323 bzw. §<br />
326 V Voraussetzung. 9<br />
2.2.3.1 Gemäß § 434 I 1 hat die Kaufsache einen Sachmangel, wenn sie nicht die vereinbarte Beschaffenheit<br />
hat.<br />
Eine solche Vereinbarung zwischen Valentin und Kasimir über die Beschaffenheit des Sharan<br />
liegt darin, dass im Kaufvertrag das Fahrzeug ausdrücklich als „unfallfrei“ bezeichnet worden<br />
ist.<br />
Dagegen ist bezüglich der Bremsen keinerlei Beschaffenheitsvereinbarung gegeben; die Vertragsparteien<br />
haben sich dazu gar nicht geäußert.<br />
2.2.3.2 Soweit die Beschaffenheit, so wie hier bzgl. der Bremsen, nicht vereinbart ist, hat die Kaufsache<br />
gemäß § 434 l 2 Nr. 1 einen Sachmangel, wenn sie sich nicht für die nach dem Vertrag<br />
vorausgesetzte Verwendung eignet. Jedoch ist aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich, dass<br />
nach dem Kaufvertrag zwischen Valentin und Kasimir eine bestimmte Verwendung des VW<br />
Sharan vorausgesetzt gewesen wäre.<br />
2.2.3.3 Daher kann in Bezug auf den Bremsendefekt nur noch gemäß § 434 l 2 Nr. 2 ein Sachmangel<br />
vorliegen. Dies könnte zum einen dann der Fall sein, wenn der VW Sharan sich nicht für die<br />
gewöhnliche Verwendung eignet. Die „gewöhnliche Verwendung“ eines solchen Fahrzeugs<br />
besteht darin, auch Gefällestrecken verkehrssicher bewältigen zu können. Dies kann der<br />
Sharan nicht, wie sich aus dem Sachverhalt ergibt. Damit liegt schon nach dieser ersten Variante<br />
des § 434 I 2 Nr. 2 (Nichteignung für die gewöhnliche Verwendung) ein Sachmangel vor.<br />
2.2.3.4 Alternativ besteht gemäß § 434 l 2 Nr. 2 auch dann ein Sachmangel, wenn der VW Sharan<br />
nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der<br />
Käufer Kasimir nach der Art der Sache erwarten konnte. Ein nur ein Jahr alter Van wie der<br />
verkaufte VW Sharan ist üblicherweise mit funktionsfähigen Bremsen ausgestattet; dies darf<br />
der Käufer eines solchen Fahrzeugs erwarten. Damit liegt auch nach dieser zweiten Variante<br />
5 Es liegen zwei Sachmängel des Sharan vor. Für den einen Sachmangel (Bremsendefekt) wird das Rücktrittsrecht nach § 323, für<br />
den anderen (Vorunfall) nach § 326 V gewährt. Hieraus ergibt sich auch der nachfolgende Falllösungsaufbau.<br />
6 Ich halte es für „elegant“, die Voraussetzungen des § 437 Nr. 2 und des § 323 bzw. des § 326 V jeweils nebeneinander zu prüfen;<br />
s. dazu sogleich den Falllösungsaufbau.<br />
7 Nebeneinander von § 437 Nr. 2 und § 323 bzw. § 326 V: Die Voraussetzung des § 437 Nr. 2 (= Kaufvertrag) entspricht der Voraussetzung<br />
des § 323 bzw. § 326 V (= gegenseitiger Vertrag).<br />
8 Mit der entscheidenden Ausnahme, dass bei § 326 V – im Gegensatz zu § 323 - eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gerade nicht erforderlich<br />
ist! S. dazu unten 2.2.6.1.<br />
9 Wieder das Nebeneinander von § 437 Nr. 2 und § 323 bzw. § 326 V i.V.m. § 323: Die Voraussetzung des § 437 Nr. 2 (= Sachmangel)<br />
entspricht der Voraussetzung des § 323 bzw. des § 326 V i.V.m. § 323 (= Verletzung einer Leistungspflicht).<br />
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des § 434 I 2 Nr. 2 (Nichtvorhandensein der üblichen, erwartungsgerechten Beschaffenheit)<br />
ein Sachmangel vor. 10<br />
2.2.3.5 Weitere Voraussetzung ist gemäß § 434 l 1, dass der Sachmangel spätestens im Zeitpunkt des<br />
Gefahrübergangs besteht. Der Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist grundsätzlich nach § 446<br />
Satz 1 derjenige der Übergabe der Kaufsache an den Käufer.<br />
2.2.3.5.1 Bezüglich des Vorunfalls sagt der Sachverhalt ausdrücklich, dass dieser Mangel bereits<br />
bei Übergabe bestanden hat. Denn es heißt, dass „das Fahrzeug vor der Besitzzeit<br />
des Kasimir sehr wohl einen Unfallschaden erlitten“ hat.<br />
2.2.3.5.3 Anders ist es in Bezug auf den Bremsendefekt. Hier steht nicht fest, ob dieser<br />
Mangel schon bei Übergabe gegeben war. Darauf beruft sich Valentin auch, als er<br />
einwendet, dass doch niemand wissen könne, „wann die Bremsen schadhaft geworden seien“.<br />
Diese Einwendung des Valentin könnte jedoch an § 476 scheitern. Denn bei einem<br />
Verbrauchsgüterkauf gilt eine Beweislastumkehr: Es wird zugunsten des<br />
Käufers vermutet, dass der Sachmangel schon bei Gefahrübergang bestand, wenn er<br />
sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe gezeigt hat.<br />
- Nach § 474 l 1 setzt ein Verbrauchsgüterkauf voraus, dass ein Verbraucher von<br />
einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft.<br />
(1) Gemäß § 14 war der Kfz-Händler Valentin bei Abschluss des Kaufvertrags<br />
Unternehmer. Denn Valentin hat bei Abschluss des Kaufvertrags in Ausübung<br />
seiner gewerblichen Tätigkeit gehandelt.<br />
(2) Gemäß § 13 war Kasimir bei Abschluss des Kaufvertrags Verbraucher. Denn<br />
Kasimir als Bankangestellter hat den Kaufvertrag zu einem Zwecke abgeschlossen,<br />
der weder einer gewerblichen noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit<br />
zugerechnet werden konnte. Vielmehr benötigt er als Familienvater den Wagen<br />
für Urlaubszwecke.<br />
(3) Der Kaufgegenstand VW Sharan ist gemäß § 90 eine bewegliche Sache.<br />
- Der Sachmangel hat sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe des<br />
Fahrzeugs an Kasimir am 29.01.2008 gezeigt, nämlich an Pfingsten 2008.<br />
Damit wird vermutet, dass auch der Bremsendefekt bereits bei Übergabe an Kasimir<br />
vorhanden war.<br />
2.2.4 Voraussetzung des § 326 V ist ferner, dass „der Schuldner nach § 275 I - <strong>II</strong>I 11 nicht zu leisten“<br />
braucht. Dies heißt somit im vorliegenden Fall: § 326 V ist nur dann anwendbar, wenn der Primärleistung<br />
des Valentin aus § 433 I ein Leistungshindernis im Sinne des § 275 entgegensteht.<br />
2.2.4.1 Die von Valentin geschuldete Primärleistung ist gemäß § 433 I 1 und 2 die Übereignung und<br />
Übergabe eines mangelfreien VW Sharan. Diese Leistungspflicht im Sinne des § 241 I hat<br />
Valentin verletzt. Denn, wie oben 2.2.3 ausgeführt, ist der Sharan mangelhaft.<br />
2.2.4.2 Zu prüfen ist, inwieweit diese Verletzung der Leistungspflicht einen Fall des § 275 l - <strong>II</strong>I darstellt.<br />
Bei einem Mangel einer Kaufsache ist zu fragen, ob einer Nacherfüllung durch den<br />
Verkäufer, d.h. gemäß § 439 I der Beseitigung des Mangels oder der Lieferung einer mangelfreien<br />
Sache, ein Leistungshindernis (also Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit oder<br />
Unzumutbarkeit) entgegensteht.<br />
Dies ist im vorliegenden Fall nur im Hinblick auf den Vorunfall zu bejahen. Dieser Makel,<br />
der dem Sharan anhaftet, d.h. der „merkantile Minderwert“, der sich daraus ergibt, dass ein<br />
„Unfallwagen“ am Markt eine geringere Wertschätzung genießt als ein unfallfreies Fahrzeug,<br />
lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Der Sharan ist und bleibt bis zu seiner Verschrottung<br />
ein „Unfallwagen“. Damit sind beide Formen der Nacherfüllung gemäß § 439 l unmöglich.<br />
Folglich kann und muss Valentin tatsächlich nach § 275 I nicht leisten, d.h. keine<br />
Nacherfüllung erbringen.<br />
Dagegen kann in Bezug auf den Bremsendefekt dem Sachverhalt nicht entnommen werden,<br />
dass eine Nacherfüllung durch Reparatur unmöglich wäre. Nur weil die beiden Reparaturversuchen<br />
durch Valentin nicht erfolgreich waren, heißt dies noch lange nicht, dass Valentin –<br />
wenn er sich vielleicht stärker bemühen würde – es nicht doch schaffen könnte. In dieser<br />
Hinsicht liegt also kein Fall des § 275 I – <strong>II</strong>I vor.<br />
§ 326 V ist also nur in Bezug auf den Vorunfall anzuwenden, nicht dagegen bzgl. des Bremsendefekts.<br />
10 Bitte beachten: Es reicht schon eine Alternative – also entweder Nichteignung für gewöhnliche Verwendung oder Nichtvorhandensein<br />
der üblichen, erwartungsgerechten Beschaffenheit – für die Bejahung eines Sachmangels gemäß § 434 I 2 Nr. 2.<br />
11 § 275 I ist bei allen Formen der Unmöglichkeit (egal ob anfänglich oder nachträglich, objektiv oder subjektiv) anwendbar.<br />
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2.2.5 Wie oben 2.2.2 erwähnt, müssen auch beim Rücktrittsrecht nach § 326 V grundsätzlich auch die Voraussetzungen<br />
des § 323 vorliegen. Gemäß § 323 V 2 ist in dem Fall, dass der Schuldner die Leistung<br />
„nicht vertragsgemäß bewirkt“ hat, ein Rücktrittsrecht des Gläubigers nur dann gegeben, wenn die<br />
Pflichtverletzung nicht nur unerheblich ist. Wenn die Kaufsache, so wie hier, mangelhaft ist, dann<br />
hat der Verkäufer die Leistung „nicht vertragsgemäß bewirkt“. Daher ist zu fragen, ob dieser Sachmangel<br />
nicht nur unerheblich ist. Dies ist bei dem Vorunfall und dem Bremsendefekt zu bejahen; solche<br />
Mängel kann man nicht mehr als bloß unerheblich bezeichnen.<br />
2.2.6 Gemäß § 323 I wäre für das Rücktrittsrecht eigentlich erforderlich, dass der Käufer dem Verkäufer eine<br />
Frist zur Nacherfüllung setzt. Dies ist hier allerdings nicht geschehen.<br />
2.2.6.1 Gemäß der ausdrücklichen Bestimmung des § 326 V, 2. Halbsatz ist aber eine solche Fristsetzung<br />
für das Rücktrittsrecht nach § 326 V entbehrlich. In Bezug auf den Sachmangel Vorunfall<br />
– für den § 326 V die Rechtsgrundlage für das Rücktrittsrecht ist - braucht Kasimir dem<br />
Valentin also keine Frist zur Nacherfüllung zu setzen, um vom Kaufvertrag zurücktreten zu<br />
können.<br />
2.2.6.2 Im Hinblick auf den Bremsendefekt ist, wie ausgeführt, § 326 V nicht anwendbar. Die<br />
Grundlage des Rücktrittsrechts ist hier vielmehr § 323. Daher müsste Kasimir dem Valentin<br />
in Bezug auf den Bremsendefekt grundsätzlich erst eine Frist zur Reparatur der Bremsen setzen<br />
und den erfolglosen Fristablauf abwarten, bevor er den Rücktritt vom Kaufvertrag ausüben<br />
könnte.<br />
Jedoch hat hier Valentin bereits zweimal erfolglos einen Reparaturversuch unternommen.<br />
Damit gilt die Nachbesserung als fehlgeschlagen. In diesem Fall ist gemäß § 440 eine<br />
Fristsetzung durch den Käufer ebenfalls entbehrlich.<br />
Kasimir braucht also bzgl. beider Sachmängel keine Frist zur Nacherfüllung zu setzen.<br />
2.2.7 Schließlich ist zu prüfen, ob das Rücktrittsrecht des Kasimir aus § 323 bzw. § 326 V i.V.m. § 437 Nr. 2<br />
wegen eines vertraglichen Ausschlusses der Gewährleistung ausgeschlossen ist. 12<br />
2.2.7.1 Ein solcher Gewährleistungsausschluss ist durch die Klausel in dem Bestellformular („Der<br />
Verkäufer schließt jegliche Gewährleistung für Mängel des verkauften Fahrzeuges aus.“) vertraglich vereinbart<br />
worden.<br />
2.2.7.2 Auf diesen Gewährleistungsausschluss kann sich Valentin aber gemäß § 475 l nicht berufen, weil<br />
zwischen ihm und Kasimir ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt [s. oben 2.2.3.5.3].<br />
Es liegen also für Kasimir alle Voraussetzungen eines gesetzlichen Rücktrittsrechts gemäß § 323 bzw. § 326<br />
V i.V.m. § 437 Nr. 2 vor.<br />
2.3 Weitere Voraussetzung des § 346 l ist, dass der Rücktritt auch tatsächlich erfolgt ist. Dies geschieht gemäß §<br />
349 durch entsprechende Willenserklärung (Rücktrittserklärung) gegenüber dem anderen Vertragspartner. Im<br />
vorliegenden Fall hat Kasimir dem Valentin mitgeteilt, dass er den Kauf des Fahrzeugs rückgängig mache<br />
und sein Geld zurückhaben wolle. Damit hat Kasimir zumindest konkludent den Rücktritt von dem Kaufvertrag<br />
mit Valentin erklärt.<br />
2.4 Ein Rückzahlungsanspruch des Käufers Kasimir aus § 346 l setzt schließlich voraus, dass der Verkäufer Valentin<br />
den Kaufpreis bereits erhalten hat. Dies ist hier laut Sachverhalt der Fall; denn Kasimir hat an Valentin<br />
den Kaufpreis von 25.000 € bezahlt.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 346 l i.V.m. § 323 / § 326 V i.V.m. § 437 Nr. 2 sind vollständig erfüllt.<br />
<strong>II</strong>. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?")<br />
Als Einwendung des Valentin könnte hier ein Gegenanspruch gegen den Käufer Kasimir auf Wertersatz für die gezogenen<br />
Nutzungen des VW Sharan in Betracht kommen. Gemäß § 346 <strong>II</strong> Nr. 1 muss im Falle eines Rücktritts<br />
derjenige Wertersatz leisten, der Nutzungen aus einem zurück zu gewährenden Leistungsgegenstand gezogen hat,<br />
wenn die Herausgabe dieser Nutzungen nach deren Natur ausgeschlossen ist.<br />
Kasimir hat hier den VW Sharan einige Zeit genutzt und damit „Nutzungen gezogen“. Diese Gebrauchsvorteile können<br />
physikalisch nicht mehr herausgegeben werden. Daher ist dies ein Fall des § 346 <strong>II</strong> Nr. 1: Kasimir muss an Valentin<br />
den Wert dieser Vorteile aus dem Gebrauch des Druckers ersetzen. In dieser Höhe kann Valentin dem Anspruch<br />
des Kasimir auf Kaufpreisrückzahlung eine Einwendung entgegen halten. 13<br />
12 Das Problem des Gewährleistungsausschlusses sollte nicht unter „<strong>II</strong>. Einwendungen“ geprüft werden. Denn der Gewährleistungsausschluss<br />
würde nicht erst dem eigentlichen Anspruch, nämlich dem auf Rückgewähr des Kaufpreises, entgegenstehen,<br />
sondern bereits dem Rücktrittsrecht, also einer der Anspruchsvoraussetzungen. Daher ist es systematisch zutreffend, dieses Thema<br />
bereits bei „I. Anspruch“ zu prüfen.<br />
13 Diese Aussage reicht hier aus. Ausführungen dazu, wie man den Wert dieser Nutzungen bemessen könnte, würde ich hier nicht<br />
erwarten.<br />
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<strong>VWA</strong> MÜNCHEN – WS 2007/2008 – PRIVATRECHT - ÜBUNGSFÄLLE<br />
<strong>II</strong>I. Endergebnis<br />
Kasimir hat gegen Valentin einen Anspruch aus § 346 l i.V.m. § 323 / § 326 V i.V.m. § 437 Nr. 2 auf Rückzahlung<br />
des von ihm geleisteten Kaufpreises in Höhe von 25.000 Euro (abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen),<br />
und zwar gemäß § 348 Satz 1 Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des VW Sharan.<br />
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FALL 2:<br />
<strong>VWA</strong> MÜNCHEN – WS 2007/2008 – PRIVATRECHT - ÜBUNGSFÄLLE<br />
Der siebzehnjährige, allerdings wesentlich älter wirkende Konrad kauft am 29.01.2008 von Motorradhändler Vinzenz<br />
einen neuen Motorroller „Aprilia SR 50 R“ zum Preis von 2.500 €. Der Roller wird an Konrad übereignet und übergeben;<br />
dieser zahlt den gesamten Kaufpreis an Vinzenz. Die Eltern des Konrad wissen nichts von diesem Geschäft.<br />
Als sie am 11.02.2008 davon erfahren, reagieren sie ablehnend; sie wollen nicht, dass Konrad so viel Geld „ausgerechnet<br />
für so eine Stinkekiste“ ausgibt. Dies teilen sie dem Vinzenz noch am selben Tag mit. Vinzenz ist seinerseits zwar<br />
ungehalten, weil er mit einer solchen Entwicklung nicht gerechnet hatte. Er fügt sich aber drein und verlangt nun von<br />
Konrad gegen Rückzahlung des Kaufpreises den Motorroller zurück. Konrad lehnt dies ab mit der Begründung, er<br />
habe den Motorroller bereits am 05.02.2008 „in Faschingsstimmung“ an einen Freund zum Preis von 2.300 € verkauft,<br />
übereignet und übergeben.<br />
Was kann Vinzenz von Konrad verlangen?<br />
A. ANSPRUCH DES KONRAD GEGEN VINZENZ AUF ERSATZ DES WERTES DES MOTORROLLERS 14<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
Konrad könnte gegen Vinzenz Anspruch auf Ersatz des Wertes des Motorrollers haben.<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 812 I l, Fall 1 i.V.m. § 818 <strong>II</strong> sein, der als Rechtsfolge vorsieht, dass man „den Wert<br />
zu ersetzen hat“ ist.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 Erste Voraussetzung des § 812 I 1, Fall 1 ist, dass Konrad etwas erlangt hat. Vinzenz hat den Motorroller<br />
an Konrad übereignet und übergeben. Damit hat Konrad das Eigentum und den Besitz an dem Motorroller<br />
erlangt. Dies ist die Bereicherung des Konrad.<br />
2.2 § 812 I 1, Fall 1 regelt die sog. Leistungskondiktion. Die Vorschrift setzt eine Leistung des Anspruchsstellers<br />
an den Anspruchsgegner voraus. „Leistung“ ist eine bewusste zweckgerichtete Vermögensmehrung.<br />
2.2.1 Vinzenz hat den Motorroller an Konrad übereignet und übergegeben. Damit hat er das Vermögen<br />
des Konrad bewusst gemehrt.<br />
2.2.2 Mit dieser Übereignung und Übergabe des Motorrollers verfolgte Vinzenz den Zweck, seine Verpflichtung<br />
aus dem mit Konrad geschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen. Damit war dies auch „zweckgerichtet“.<br />
2.3 Schließlich setzt § 812 I 1, Fall 1, voraus, dass diese Leistung ohne rechtlichen Grund erfolgte.<br />
2.3.1 Der rechtliche Grund könnte hier allerdings in dem zwischen Vinzenz und Konrad abgeschlossenen<br />
Kaufvertrag über den Motorroller bestehen.<br />
2.3.2 Jedoch ist problematisch, dass Konrad bei Abschluss dieses Kaufvertrags erst 17 Jahre alt und damit<br />
als Minderjähriger gemäß §§ 2, 106 nur beschränkt geschäftsfähig war.<br />
2.3.2.1 Der Minderjährige bedarf gemäß § 107 zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich<br />
einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Die Willenserklärung<br />
des Konrad, die zu dem Abschluss des Kaufvertrags führte, war nicht lediglich<br />
rechtlich vorteilhaft. Denn daraus entstand eine rechtliche Verpflichtung des Konrad, nämlich<br />
diejenige zur Zahlung des Kaufpreises. Die gesetzlichen Vertreter des Konrad sind seine Eltern<br />
(§§ 1626, 1629). Die Eltern haben keine Einwilligung (d.h. gemäß § 183 vorherige Zustimmung)<br />
erteilt; sie wussten ja gar nichts von dem Geschäft.<br />
2.3.2.2 Damit hing gemäß § 108 I die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung der Eltern<br />
ab. Bis zu dieser Genehmigung oder ihrer Verweigerung war der Vertrag schwebend unwirksam.<br />
Jedoch haben die Eltern gegenüber dem Vinzenz die Genehmigung ausdrücklich verweigert.<br />
Damit ist der Kaufvertrag endgültig unwirksam geworden, wenn nicht die Voraussetzungen<br />
des § 110 vorliegen.<br />
14 Die Fallfrage lautet „Was kann Vinzenz von Konrad verlangen?“ Im Sachverhalt heißt es, dass Vinzenz den Motorroller zurückverlange.<br />
Kasimir macht damit im rechtlichen Sinne die Rückübereignung und Rückgabe des Motorrollers geltend. Dies ist hier aber<br />
nicht der gesuchte Anspruch. Vielmehr ergibt sich aus einer Vorüberlegung, dass Konrad zu einer solchen Rückübereignung und<br />
Rückgabe des Motorrollers gar nicht mehr in der Lage wäre [s. in der Falllösung 2.4]. Daher ist es „klausurtaktisch“ zweckmäßig,<br />
gleich mit demjenigen Anspruch zu beginnen, auf den es dann hinauslaufen wird, nämlich mit dem auf Wertersatz.<br />
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2.3.2.3 Gemäß § 110 ist ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters<br />
geschlossener Vertrag dennoch von Anfang an als wirksam anzusehen, wenn der Minderjährige<br />
die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier<br />
Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen<br />
worden sind. Es ist aus dem Sachverhalt aber nicht ersichtlich, woher Konrad die finanziellen<br />
Mittel für den Erwerb des Motorrollers hatte; daher steht auch nicht fest, dass die Voraussetzungen<br />
des § 110 vorliegen. 15<br />
Damit bleibt der Kaufvertrag zwischen Vinzenz und Konrad mangels Zustimmung durch die Eltern<br />
des Konrad unwirksam.<br />
Damit fehlt für die Übereignung und Übergabe des Motorrollers an Konrad der rechtliche Grund.<br />
2.4 Hier ist als weitere Voraussetzung zu prüfen, ob Konrad gemäß § 818 <strong>II</strong> zur Herausgabe des von ihm Erlangten<br />
außerstande ist. Konrad hat das Eigentum und den Besitz an dem Motorroller erlangt [s. oben 2.1].<br />
Damit bestünde die „Herausgabe des Erlangten“ darin, den Motorroller an Vinzenz zurück zu übereignen<br />
und zurück zu geben. Jedoch ist dies nicht mehr möglich, weil Konrad den Motorroller ja wirksam an seinen<br />
Freund weiter übereignet und übergeben hat. 16 Damit liegt hier die weitere Voraussetzung des § 818 <strong>II</strong> für<br />
den Anspruch auf Wertersatz vor; dieser Anspruch tritt an die Stelle des Anspruchs auf Rückgabe und<br />
Rückübereignung des Motorrollers.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 I 1, Fall 1 i.V.m. § 818 <strong>II</strong> sind vollständig erfüllt.<br />
<strong>II</strong>. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?")<br />
Konrad könnte Wegfall der Bereicherung einwenden.<br />
1. Einwendungsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 818 <strong>II</strong>I sein, der als Rechtsfolge vorsieht, dass die „Verpflichtung zum Ersatz des<br />
Wertes ausgeschlossen“ ist.<br />
2. Einwendungsvoraussetzungen<br />
§ 818 <strong>II</strong>I ist anwendbar, soweit „der Empfänger nicht mehr bereichert ist“.<br />
2.1 Konrad kann allerdings nicht einwenden, dass er nicht mehr bereichert sei, weil er den Motorroller nicht<br />
mehr habe. Denn an dessen Stelle ist ja der Kaufpreis in Höhe von 2.300 € getreten, den er von seinem<br />
Freund erhalten hat, und dieser Geldbetrag ist noch in seinem Vermögen vorhanden. In dieser Höhe (2.300<br />
€) ist Konrad zunächst noch bereichert.<br />
2.2 Konrad ist jedoch insoweit nicht bereichert, als er seinerseits eine Gegenleistung an den Vinzenz entrichtet<br />
hat. Diese Gegenleistung in Gestalt des von Konrad an Vinzenz gezahlten Kaufpreises beträgt hier 2.500 €.<br />
Daraus folgt: Die Bereicherung des Konrad in Höhe des von dem Freund erhaltenen Kaufpreises (2.300 €)<br />
wird vollständig aufgezehrt durch seine eigene Gegenleistung an Vinzenz (2.500 €). Damit ist die Bereicherung<br />
des Konrad vollständig entfallen.<br />
3. Zwischenergebnis Einwendung<br />
Die Einwendungsvoraussetzungen des § 818 <strong>II</strong>I sind vollständig erfüllt.<br />
<strong>II</strong>I. Endergebnis<br />
Vinzenz hat gegen Konrad keinen Anspruch auf Ersatz des Werts des Motorrollers. 17<br />
15 Bitte hier nicht einfach unterstellen, dass Konrad den Kauf mit „Taschengeld“ der Eltern oder eines Dritten finanziert hat. Dies<br />
steht so nicht im Sachverhalt und darf daher auch nicht für die Falllösung verwendet werden. Es könnte ja auch z.B. sein, dass<br />
Konrad sich das Geld geliehen hat.<br />
16 Diese Weiterübereignung ist kein Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten gemäß § 932. Vielmehr war Konrad ja<br />
Eigentümer des Motorrollers; er hat damit als Berechtigter den Motorroller an den Freund übereignet.<br />
17 Im vorliegenden Fall war nur nach Ansprüchen des Vinzenz gegen Konrad gefragt, nicht umgekehrt.<br />
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FALL 3:<br />
<strong>VWA</strong> MÜNCHEN – WS 2007/2008 – PRIVATRECHT - ÜBUNGSFÄLLE<br />
Berthold leiht sein Fahrrad im Wert von 400 € dem Norbert. Dieser ist in Geldschwierigkeiten und nutzt daher die<br />
Gelegenheit, indem er dem Donald das Fahrrad zum Preis von 300 € verkauft, übereignet und übergibt. Donald kennt<br />
dabei die wahren Eigentumsverhältnisse bzgl. des Fahrrades nicht. Als Berthold von der Veräußerung erfährt, ist er<br />
empört. Er fragt sich, ob er nun von Norbert eine Geldzahlung verlangen kann, und wenn ja, in welcher Höhe.<br />
[Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff.) sind nicht zu prüfen.]<br />
A. ANSPRUCH DES BERTHOLD GEGEN NORBERT AUF HERAUSGABE DES VERÄUSSERUNGSER-<br />
LÖSES 18<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
Berthold könnte gegen Norbert Anspruch auf Herausgabe des Erlöses haben, den Norbert aus der Veräußerung<br />
des Fahrrades an Donald erzielt hat.<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 816 I 1 sein, der als Rechtsfolge vorsieht, dass man „zur Herausgabe verpflichtet“<br />
ist.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 Erste Voraussetzung des § 816 I 1 ist eine Verfügung. Eine Verfügung ist jedes Rechtsgeschäft, durch das<br />
unmittelbar auf den Bestand eines Rechts - durch Übertragung, Belastung, inhaltliche Veränderung oder<br />
Aufhebung - eingewirkt wird. Der klassische Fall der Verfügung ist die Übereignung einer Sache. Im vorliegenden<br />
Fall hat Norbert das Fahrrad an Donald übereignet. Damit hat Norbert eine Verfügung über das<br />
Fahrrad getätigt.<br />
2.2 Zweite Voraussetzung des § 816 I 1 ist, dass die Verfügung durch einen Nichtberechtigten getroffen wird.<br />
Ein „Nichtberechtigter“ ist jemand, der weder Inhaber des Rechts noch zur Verfügung über das Recht<br />
durch den wahren Inhaber (gemäß § 185) ermächtigt war. Im vorliegenden Fall hat Berthold dem Norbert<br />
das Fahrrad nur geliehen, ihm also nur den Besitz daran verschafft, dagegen nicht das Eigentum. Norbert<br />
war also nicht Eigentümer des Fahrrades; er war auch nicht von Berthold zur Übereignung des Fahrrades<br />
ermächtigt. Damit handelte Norbert als Nichtberechtigter.<br />
2.3 Dritte Voraussetzung ist die Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem wahren Berechtigten. Mit dieser<br />
„Wirksamkeit“ ist gemeint, dass der wahre Berechtigte sein Recht an dem Verfügungsgegenstand verliert.<br />
Dies könnte im vorliegenden Fall dadurch geschehen sein, dass Berthold sein Eigentum an dem Fahrrad<br />
aufgrund der Übereignung des Fahrrades durch Norbert an Donald verloren hat, und zwar gemäß den Vorschriften<br />
über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß § 932.<br />
2.3.1 Erste Voraussetzung des § 932 I ist eine „nach § 929 erfolgte Veräußerung“. § 929 enthält den sachenrechtlichen<br />
Grundtatbestand der Übereignung beweglicher Sachen, und zwar durch Einigung und Übergabe.<br />
Dies hat hier zwischen Norbert und Donald stattgefunden. 19<br />
2.3.2 § 932 I setzt weiter voraus, dass die veräußerte Sache dem Veräußerer nicht gehört. Dies ist hier der<br />
Fall; denn Norbert ist nicht Eigentümer des Fahrrades gewesen.<br />
2.3.3 Schließlich ist Voraussetzung des § 932 I, dass Donald in gutem Glauben war. Gemäß § 932 <strong>II</strong> war<br />
Donald in gutem Glauben, wenn ihm weder bekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt<br />
war, dass das Fahrrad nicht dem Norbert gehörte.<br />
2.3.3.1 Laut Sachverhalt wusste Donald nicht, dass Norbert nicht Eigentümer des Fahrrades war.<br />
2.3.3.2 Fraglich ist, ob diese Unkenntnis des Donald auch nicht auf dessen grober Fahrlässigkeit<br />
beruhte. In diesem Zusammenhang ist die Vorschrift des § 1006 I 1 von wesentlicher Bedeutung.<br />
Denn danach wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er<br />
Eigentümer der Sache sei. Im vorliegenden Fall hat Berthold dem Norbert das Fahrrad geliehen,<br />
ihm also den Besitz daran verschafft. Daher wird zugunsten des Norbert vermutet, dass<br />
18 Im Text heißt es: „[Berthold] fragt sich, ob er nun von Norbert eine Geldzahlung verlangen kann, und wenn ja, in welcher Höhe.“ Darin steckt<br />
natürlich die Fallfrage: „Kann Berthold von Norbert eine Geldzahlung verlangen, und wenn ja, in welcher Höhe?“ In der Vorüberlegung sollte<br />
man darauf stoßen, dass § 816 I 1 einen Anspruch (nur) auf die Herausgabe des Veräußerungserlöses, also auf 300 €, gewährt.<br />
Wenn Berthold dagegen den vollen Wert des Fahrrades (400 €) haben will, muss er gemäß § 823 I vorgehen. Daraus folgt dann<br />
auch der Falllösungsaufbau: Erst Prüfung des § 816 I 1, dann die des § 823 I. Im Rahmen eines Gutachtens müssen beide Ansprüche<br />
geprüft werden. Es wäre unvollständig und führt zu Punktverlust, wenn man nur § 823 I prüfen würde, mit dem Argument,<br />
daraus ergebe sich ohnehin der Anspruch auf die höhere Geldsumme. In der Praxis stünde ja gar nicht fest, ob ggf. der<br />
zuständige Richter Ihre Auffassung zu der Anwendung des § 823 I teilen würde.<br />
19 Mehr muss man zu dieser sachenrechtlichen Frage in einer Klausur im 3. Semester nicht sagen.<br />
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dieser Eigentümer des Fahrrades war; auf diese Vermutungswirkung konnte sich Donald<br />
grundsätzlich verlassen. Daher war Donald nicht grob fahrlässig, als er auf das Eigentum des<br />
Norbert vertraute.<br />
Donald war somit gutgläubig im Sinne des § 932.<br />
Daher hat Donald gemäß §§ 929, 932 das Eigentum an dem Fahrrad erworben; logischerweise hat Berthold<br />
es verloren. Damit ist die Verfügung durch Norbert dem Berthold gegenüber wirksam.<br />
2.4 Weitere Voraussetzung des § 816 I 1 ist die Entgeltlichkeit der Verfügung. § 816 I 1 ist also nur anwendbar,<br />
wenn das der Verfügung zugrunde liegende schuldrechtliche Kausalgeschäft ein gegenseitiger Vertrag<br />
ist; denn nur dann liegt eine Gegenleistung (Entgelt) vor. Hier hat Norbert das Fahrrad an Donald verkauft;<br />
dies ist ein gegenseitiger Vertrag mit einer Gegenleistung des Donald, nämlich der Kaufpreiszahlung.<br />
2.5 Letzte Voraussetzung des § 816 I 1 ist, dass Norbert etwas durch die Verfügung erlangt hat. Donald hat den<br />
Kaufpreis von 300 € an Norbert bezahlt. Damit hat Norbert diesen Geldbetrag erlangt.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 816 I 1 sind vollständig erfüllt.<br />
<strong>II</strong>. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?")<br />
Einwendungen des Norbert sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich, insbesondere nicht diejenige aus § 818 <strong>II</strong>I.<br />
<strong>II</strong>I. Endergebnis<br />
Berthold hat gegen Norbert einen Anspruch auf Herausgabe des durch die Verfügung tatsächlich Erlangten; dies<br />
sind hier die 300 €, die Norbert als Kaufpreis von Donald erhalten hat.<br />
B. ANSPRUCH DES BERTHOLD GEGEN NORBERT AUF ERSATZ DES WERTES DES FAHRRADES 20<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
Berthold könnte gegen Norbert Anspruch auf Ersatz des Wertes des Fahrrades haben<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 823 I sein, der als Rechtsfolge vorsieht, dass man „zum Ersatz des Schadens verpflichtet“<br />
ist.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 § 823 I setzt voraus, dass eine Person bestimmte, in § 823 I genannte, Rechtspositionen einer anderen Person<br />
verletzt hat. Hier kommt in Betracht, dass Norbert das Eigentum des Berthold verletzt hat. Wie oben<br />
ausgeführt, hat Norbert eine Verfügung über das Fahrrad des Berthold getroffen; dadurch hat dieser sein<br />
Eigentum an dem Fahrrad verloren. Eine solche wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten stellt nicht<br />
nur einen Fall des § 816 I dar, sondern auch einen Fall einer deliktischen Eigentumsverletzung: Norbert hat<br />
dadurch, dass er als Nichtberechtigter dem Donald wirksam das Eigentum an dem Fahrrad des Berthold<br />
verschafft hat, dessen Eigentum verletzt.<br />
2.2 Zweite Voraussetzung des § 823 I ist die Rechtswidrigkeit der Verletzung. Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert<br />
die Rechtswidrigkeit; d.h. wenn, so wie hier, die Verletzung einer durch § 823 I geschützten Rechtsposition<br />
vorliegt, so ist dies grundsätzlich „automatisch“ rechtswidrig.<br />
Eine Ausnahme wäre nur dann gegeben, wenn der Täter einen Rechtfertigungsgrund (wie Notwehr usw.)<br />
hätte. Ein solcher ist aber im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.<br />
2.3 Norbert wusste, dass er nicht Eigentümer des Fahrrades und daher zu der Verfügung nicht berechtigt war;<br />
er wollte auch, dass er trotzdem die Verfügung vornahm. Somit hat Norbert vorsätzlich gehandelt.<br />
2.5 Letzte Voraussetzung des § 823 I ist die Entstehung eines Schadens des Berthold. Berthold hat das Eigentum<br />
an dem Fahrrad verloren. Damit ist der Wert dieses Gegenstandes (400 €) aus seinem Vermögen abgeflossen.<br />
Berthold hat folglich einen Schaden in Höhe des Fahrradwertes, also in Höhe von 400 €, erlitten.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 I sind vollständig erfüllt.<br />
<strong>II</strong>. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?")<br />
Einwendungen des Norbert sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich.<br />
<strong>II</strong>I. Endergebnis<br />
Berthold hat gegen Norbert einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens, also des Wertes des Fahrrades in Höhe<br />
von 400 €.<br />
20 S. Fußnote 18.<br />
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