3 Übungsfall 3 - VWA München
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<strong>VWA</strong> <strong>München</strong><br />
Schuldrecht II<br />
Besonderes Schuldrecht<br />
- Übungen -<br />
Helmut Schneider<br />
Rechtsanwalt
Fall<br />
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
Valentin verkauft am 15. November 2011 eine gebrauchte Orgel<br />
an Kasimir zum Preis von 2.000 Euro. Kasimir und Valentin vereinbaren<br />
ferner die Lieferung der Orgel am 17. November 2011<br />
an die Wohnadresse des Kasimir; die Kaufpreiszahlung solle Zug<br />
um Zug gegen die Lieferung erfolgen.<br />
Am 17. November fährt Valentin mit seinem Transporter zu Kasimir,<br />
um ihm die Orgel zu bringen. Als Valentin zur vereinbarten<br />
Zeit bei Kasimir erscheint, wird ihm dort trotz mehrmaligen andauernden<br />
Läutens an der Haustür nicht geöffnet. Denn der alleinstehende<br />
Kasimir ist eine Stunde vorher mit einem Herzinfarkt<br />
bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert worden. Valentin<br />
muss sich deshalb unverrichteter Dinge auf den Heimweg ma-<br />
RA Helmut Schneider 1
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
chen. Hier gerät das Auto des Valentin auf regennasser Fahrbahn<br />
aufgrund eines geringfügigen Fehlers des Valentin beim Bremsen<br />
ins Schleudern und prallt gegen einen Brückenpfeiler. Die Orgel<br />
wird dabei so unglücklich eingeklemmt, dass sie irreparabel beschädigt<br />
wird.<br />
Kann Valentin von Kasimir Zahlung des vereinbarten Kaufpreises<br />
von 2.000 Euro verlangen?<br />
RA Helmut Schneider 2
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Anspruchsgrundlage für die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises<br />
könnte § 433 II sein, der als Rechtsfolge einen solchen<br />
Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung vorsieht.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 Voraussetzung des § 433 II ist das Bestehen eines wirksamen<br />
Kaufvertrags zwischen dem Anspruchsteller Valentin<br />
und dem Anspruchsgegner Kasimir. Dies ergibt sich aus<br />
dem systematischen Zusammenhang mit § 433 I, der<br />
deutlich macht, dass die Anspruchsgrundlagen aus § 433<br />
das Bestehen eines Kaufvertrags voraussetzen („Durch<br />
den Kaufvertrag …“).<br />
RA Helmut Schneider 3
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
Ein solcher wirksamer Kaufvertrag ist zwischen Valentin<br />
und Kasimir über die Orgel abgeschlossen worden.<br />
2.2 In diesem Kaufvertrag ist auch die von Valentin verlangte<br />
Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 2.000 Euro vereinbart<br />
worden.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 433 II sind erfüllt.<br />
RA Helmut Schneider 4
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
II. Einwendungen („Anspruch entfallen?“)<br />
Dieser Anspruch des Valentin auf die Gegenleistung (hier Kaufpreiszahlung)<br />
könnte wegen der Unmöglichkeit der Leistung (hier<br />
Übereignung und Übergabe der Kaufsache Orgel) entfallen sein.<br />
1. Einwendungsgrundlage<br />
Grundlage der entsprechenden Einwendung des Kasimir könnte<br />
§ 326 I sein, der als Rechtsfolge den Anspruch auf die Gegenleistung<br />
entfallen lässt.<br />
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1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
2. Einwendungsvoraussetzungen<br />
2.1 Erste Voraussetzung der Einwendung des § 326 I 1 ist ein<br />
gegenseitiger Vertrag. Denn § 326 gehört zu den Vorschriften<br />
der §§ 320 – 326, die nur im Fall eines gegenseitigen<br />
Vertrages anwendbar sind. Der von Valentin und Kasimir<br />
geschlossene Kaufvertrag ist ein solcher gegenseitiger<br />
Vertrag.<br />
2.2 § 326 I 1 setzt des Weiteren voraus, dass der Schuldner<br />
nach § 275 I - III nicht zu leisten braucht.<br />
2.2.1 Valentin könnte hier der „Schuldner“ sein, wenn er<br />
dem Kasimir (zunächst) gemäß § 433 I 1 die Leistung<br />
„Übereignung und Übergabe der Orgel“ schuldet.<br />
RA Helmut Schneider 6
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
- Erste Voraussetzung des § 433 I 1 ist das Bestehen<br />
eines wirksamen Kaufvertrages zwischen Kasimir<br />
und Valentin über die Orgel. Ein solcher Kaufvertrag<br />
ist hier laut Sachverhalt gegeben.<br />
- Gemäß § 433 I 1 muss es sich bei dem Kaufgegenstand<br />
um eine Sache handeln, also um einen<br />
körperlichen Gegenstand (§ 90). Eine Orgel ist ein<br />
solcher körperlicher Gegenstand.<br />
Folglich ergibt sich aus § 433 I 1 (zunächst) die Verpflichtung<br />
des Valentin zu der Leistung „Übereignung<br />
und Übergabe der Orgel“ an Kasimir. Im Hinblick<br />
auf diese Leistungspflicht ist Valentin „Schuldner“<br />
und Kasimir „Gläubiger“ im Sinne des § 326.<br />
RA Helmut Schneider 7
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
2.2.2 Zu prüfen ist nun, ob der Schuldner Valentin die<br />
oben 2.2.1 genannte Leistung (Übereignung und<br />
Übergabe der Orgel) gemäß § 275 I – III nicht zu erbringen<br />
braucht.<br />
Im vorliegenden Fall könnte gemäß § 275 I die Verpflichtung<br />
des Valentin ausgeschlossen sein, wenn<br />
die von ihm geschuldete Leistung (Übereignung und<br />
Übergabe der Orgel an Kasimir) unmöglich ist. Dies<br />
ist hier der Fall, da der Leistungsgegenstand, hier<br />
die verkaufte Orgel, bei dem Unfall irreparabel beschädigt<br />
worden ist. Daraus folgt eine physikalische<br />
Unmöglichkeit der Übereignung und Übergabe der<br />
Orgel im funktionsfähigen Zustand.<br />
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1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
Valentin braucht also die Leistung „Übereignung und<br />
Übergabe der Orgel“ gemäß § 275 I nicht zu erbringen.<br />
2.3 Gemäß § 326 I 1 „entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung“.<br />
Die „Gegenleistung“ in diesem Sinne ist im vorliegenden<br />
Fall die von Kasimir gemäß § 433 II geschuldete<br />
Zahlung des Kaufpreises.<br />
Die Leistungspflicht des Schuldners Valentin (Übereignung<br />
und Übergabe der Orgel) steht im Verhältnis Leistung -<br />
Gegenleistung mit der Gegenleistungspflicht des Gläubigers<br />
Kasimir (Kaufpreiszahlung); es liegt also ein sog. Synallagma<br />
vor.<br />
RA Helmut Schneider 9
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
2.4 Der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt allerdings nur<br />
dann, wenn die Gegenleistungspflicht des Gläubigers Kasimir<br />
nicht nach § 326 II, 2. Alternative (Annahmeverzug)<br />
bestehen bleibt.<br />
2.4.1 Zunächst ist zu prüfen, ob Kasimir sich in Annahmeverzug<br />
im Sinne der §§ 293 ff. befunden hat.<br />
- Voraussetzung für den Annahmeverzug (Gläubigerverzug)<br />
ist zunächst ein ordnungsgemäßes<br />
Leistungsangebot des Schuldners, hier des Valentin.<br />
Es ist zunächst zu prüfen, ob ein tatsächliches<br />
Angebot der Leistung in richtiger Weise, also „so,<br />
wie sie zu bewirken ist“, durch Valentin erfolgt ist<br />
(§ 294).<br />
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1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
Valentin erschien mit dem Kaufgegenstand, der<br />
Orgel, zur vereinbarten Zeit bei Kasimir. Im vorliegenden<br />
Fall lag eine Bringschuld vor; daher war<br />
dem Gläubiger Kasimir die geschuldete Ware an<br />
dessen Wohnort anzubieten. Dies ist hier geschehen.<br />
Denn Valentin hat zum Zweck der Erfüllung<br />
seiner Leistungspflicht dem Kasimir die Orgel an<br />
dessen Wohnsitz angeboten, indem er mehrmals<br />
andauernd an der Haustür läutet.<br />
- Ferner ist gemäß § 297 für einen Annahmeverzug<br />
des Kasimir erforderlich, dass Valentin im Zeitpunkt<br />
des tatsächlichen Angebots leistungsfähig<br />
war. Valentin war zum genannten Zeitpunkt auch<br />
bereit und imstande, die Orgel zu übereignen und<br />
RA Helmut Schneider 11
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
zu übergeben.<br />
- Schließlich setzt der Annahmeverzug gemäß §<br />
293 die Nichtannahme der Leistung durch den<br />
Gläubiger Kasimir nötig. Kasimir hat hier die von<br />
Valentin angebotene Leistung, nämlich die Übereignung<br />
und Übergabe der Orgel, nicht angenommen.<br />
Zwar traf den Kasimir hieran keinerlei Verschulden.<br />
Denn aufgrund seiner schweren Erkrankung<br />
und Bewusstlosigkeit ist es ihm nicht möglich,<br />
zumindest nicht zumutbar, gewesen, bis zum Eintreffen<br />
des Valentin zu warten. Da er zudem alleinstehend<br />
ist, konnte auch kein Hausgenosse<br />
die Orgel abnehmen. Jedoch ist für den Gläubi-<br />
RA Helmut Schneider 12
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
gerverzug ein Verschulden des Gläubigers bzgl.<br />
der Nichtannahme der Leistung nicht erforderlich.<br />
Es spielt also keine Rolle, dass Kasimir es im vorliegenden<br />
Fall nicht zu vertreten hat, dass er die<br />
Lieferung durch Valentin nicht angenommen hat.<br />
Kasimir ist somit in Gläubigerverzug geraten.<br />
RA Helmut Schneider 13
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
2.4.2 Des Weiteren ist Voraussetzung der zweiten Alternative<br />
des § 326 II 1, dass der Umstand im Sinne des<br />
§ 275 I – III, also hier die Unmöglichkeit der Übereignung<br />
und Übergabe der Orgel, in einem Zeitpunkt<br />
eintrat, in dem der Annahmeverzug des Kasimir<br />
bereits bestand.<br />
Dies war hier der Fall. Denn die Orgel wurde zerstört,<br />
nachdem Valentin dem Kasimir die Orgel angeboten<br />
und diesen damit in Annahmeverzug gesetzt<br />
hatte.<br />
RA Helmut Schneider 14
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
2.4.3 Schließlich setzt § 326 II voraus, dass dieser Umstand<br />
im Sinne des § 275 I – III, also hier die Unmöglichkeit<br />
der Übereignung und Übergabe der Orgel,<br />
vom Schuldner Valentin nicht zu vertreten ist.<br />
- Die erste Form des Verschuldens ist Vorsatz (§<br />
276 I 1). Vorsatz bedeutet: Wissen und Wollen<br />
der Pflichtverletzung. Dies kann dem Sachverhalt<br />
hier in Bezug auf Valentin nicht entnommen werden:<br />
Valentin hat den Unfall ja nicht absichtlich<br />
herbeigeführt.<br />
RA Helmut Schneider 15
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
- Die gemäß § 276 I 1 zweite Form des Verschuldens,<br />
Fahrlässigkeit, wird definiert als Außerachtlassung<br />
der im (Rechts-)Verkehr erforderlichen<br />
Sorgfalt (§ 276 II).<br />
Valentin hat durch den Bremsfehler zwar die im<br />
Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.<br />
Dabei handelte sich allerdings laut Sachverhalt<br />
nur um einen „geringfügigen Fehler", also<br />
nicht um grobe Fahrlässigkeit. Hier ist zu beachten,<br />
dass gemäß § 300 I der Schuldner während<br />
des Annahmeverzugs des Gläubigers nur grobe<br />
Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Das bedeutet: Da,<br />
wie oben 2.4.1 ausgeführt, Kasimir mit der Annahme<br />
der Orgel in Verzug war, haftet Valentin<br />
RA Helmut Schneider 16
1 <strong>Übungsfall</strong> 1<br />
nicht für seine hier gegebene normale bzw. leichte<br />
Fahrlässigkeit. Daraus folgt gemäß § 300 I, dass<br />
Valentin die Unmöglichkeit der Übereignung und<br />
Übergabe der Orgel nicht zu vertreten hat, da ihm<br />
keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.<br />
Daher bleibt hier gemäß § 326 II Verpflichtung des Kasimir<br />
zur Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) bestehen..<br />
3. Zwischenergebnis Einwendung<br />
Die Einwendung des § 326 I greift somit gemäß § 326 II nicht<br />
durch.<br />
III. Endergebnis<br />
Es besteht ein Anspruch des Valentin gegen Kasimir auf Zahlung<br />
des Kaufpreises von 2.000 Euro.<br />
RA Helmut Schneider 17
Fall<br />
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
<strong>VWA</strong>-Student Kasimir ist außerordentlich ehrgeizig. Daher will er<br />
sich für die Vorbereitung auf die Diplomprüfungs-Klausur im Privatrecht<br />
den BGB-Kommentar von Erman anschaffen. Am 8. April<br />
2011 kauft er von Rechtsanwalt Valentin dessen gebrauchte Ausgabe<br />
dieses Kommentars (12. Auflage) zum Preis von 100 Euro.<br />
Lieferung des Kommentars und Zahlung des Kaufpreises sollen<br />
erst drei Tage später erfolgen, weil Valentin den Kommentar<br />
noch für die Abfassung einer Klageschrift braucht.<br />
Nachdem Kasimir eine Woche lang nichts von Valentin gehört<br />
hat, ruft er ihn am 15. April 2011 an und erkundigt sich, wann er,<br />
Kasimir, nun mit der Lieferung des Erman-Kommentars rechnen<br />
könne. Valentin erwidert, er könne den Kommentar zur Zeit auf<br />
RA Helmut Schneider 18
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
keinen Fall entbehren und brauche ihn noch mindestens vier<br />
Wochen, weil er, Valentin, das Werk noch dringend für die Fertigung<br />
eines anderen wichtigen Schriftsatzes an einen Prozessgegner<br />
brauche. Kasimir lehnt es ab, sich darauf einzulassen, da die<br />
schriftliche Privatrechts-Diplomprüfung bereits in fünf Wochen<br />
stattfinde und er daher auf keinen Fall länger zuwarten könne; er<br />
sagt, dann müsse „er sich eben anderweitig behelfen“.<br />
In der Folgezeit versucht Kasimir, den Erman-Kommentar anderweitig<br />
zu beschaffen. Nach intensiven Bemühungen gelingt es<br />
Kasimir, von Donald am 22. April 2011 eine ebenfalls gebrauchte,<br />
im Erhaltungszustand vergleichbare, Ausgabe der gleichen Auflage<br />
des Erman-BGB-Kommentars zum Preis von insgesamt 140<br />
Euro zu kaufen; Übereignung und Übergabe der beiden Bände an<br />
RA Helmut Schneider 19
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
Kasimir und die Kaufpreiszahlung an Donald erfolgen noch am<br />
gleichen Tag.<br />
Kasimir fordert von Valentin Schadensersatz in Höhe von 40 Euro<br />
wegen des Mehrpreises, den er hat zahlen müssen.<br />
Hat Kasimir diesen Anspruch?<br />
RA Helmut Schneider 20
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Kasimir könnte gegen Valentin einen Anspruch auf Schadensersatz<br />
statt der Leistung in Höhe von 40 Euro wegen des für<br />
den Kommentar gezahlten Mehrpreises haben.<br />
Grundlage hierfür könnte § 280 I i.V.m. § 280 III i.V.m. § 281 I<br />
sein; im Zusammenspiel sehen diese Normen als Rechtsfolge<br />
die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung<br />
vor.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 Erste Voraussetzung hierfür ist das Bestehen eines<br />
Schuldverhältnisses zwischen Anspruchsteller Kasimir und<br />
Anspruchsgegner Valentin.<br />
RA Helmut Schneider 21
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
Ein solches Schuldverhältnis liegt hier in dem zwischen<br />
Kasimir und Valentin geschlossenen Kaufvertrag über den<br />
Erman-Kommentar.<br />
2.2 Weitere Voraussetzung ist gemäß § 281 I 1 das Bestehen<br />
einer Leistungspflicht im Sinne des § 241 I.<br />
Ein solche ist hier gegeben, nämlich die Pflicht des Valentin<br />
aus dem Kaufvertrag mit Kasimir gemäß § 433 I 1 zur<br />
Übereignung und Übergabe des Kommentars an Kasimir.<br />
2.3 Dritte Voraussetzung ist eine Pflichtverletzung des Valentin,<br />
hier in Gestalt der Verletzung der o.g. Leistungspflicht.<br />
Im vorliegenden Fall könnte die Pflichtverletzung in der in<br />
§ 281 I 1 genannten Nichtleistung bestehen.<br />
RA Helmut Schneider 22
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
2.3.1 Auch dieses Tatbestandsmerkmal ist hier erfüllt;<br />
denn, wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, hat Valentin<br />
den verkauften Kommentar nicht an Kasimir<br />
geliefert, weil er nach wie vor den Kommentar nicht<br />
herausgeben will.<br />
2.3.2 Die Vorschrift des § 281 I ist allerdings nur dann<br />
einschlägig, wenn die Nichtleistung keinen Fall des §<br />
275 I – III darstellt, also weder Unmöglichkeit noch<br />
Unverhältnismäßigkeit noch Unzumutbarkeit der<br />
Leistung gegeben ist. Denn wenn dies so wäre, dann<br />
wäre die maßgebliche Rechtsvorschrift für den<br />
Schadensersatz statt der Leistung nicht § 281, sondern<br />
§ 283.<br />
RA Helmut Schneider 23
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
Im vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Sachverhalt<br />
jedoch keine Hinweise darauf, dass der Übereignung<br />
und Übergabe des Kommentars ein Leistungshindernis<br />
im Sinne des § 275 I – III entgegenstünde.<br />
2.4 Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß §<br />
281 I 1 setzt weiter voraus, dass der Schuldner die Verletzung<br />
der Leistungspflicht zu vertreten hat.<br />
Denn § 281 I 1 bestimmt ausdrücklich, dass der Schadensersatzanspruch<br />
nur „unter den Voraussetzungen des §<br />
280 I“ gewährt wird. Und in § 280 I 2 ist ausdrücklich das<br />
Erfordernis des Vertretenmüssens des Schuldners genannt.<br />
Zu prüfen ist also, ob die Nichtlieferung des Kommentars<br />
von Valentin zu vertreten ist.<br />
RA Helmut Schneider 24
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
„Vertretenmüssen" bedeutet grundsätzlich Vorsatz oder<br />
Fahrlässigkeit in Bezug auf die Pflichtverletzung (§ 276 I<br />
1). Valentin will und weiß, dass er den Kommentar jetzt<br />
noch nicht an Kasimir übereignet und übergibt; er handelt<br />
daher diesbezüglich vorsätzlich.<br />
2.5 Beim Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß §<br />
281 I ist des Weiteren grundsätzlich eine vorherige Fristsetzung<br />
durch den Gläubiger Kasimir erforderlich, d.h.,<br />
Kasimir muss dem Schuldner Valentin erfolglos eine angemessene<br />
Frist zur Leistung bestimmt haben.<br />
2.5.1 Zunächst müsste also Kasimir mit der Fristsetzung<br />
die Aufforderung zur Leistung verbunden haben.<br />
Dies ist hier jedoch bisher nicht geschehen. Denn<br />
Kasimir hat nur erklärt, dass „er sich dann ander-<br />
RA Helmut Schneider 25
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
weitig behelfen“ müsse, ohne dem Valentin zuvor<br />
per Fristsetzung noch eine „zweite Chance“ zu geben.<br />
2.5.2 Im vorliegenden Fall könnte die Fristsetzung allerdings<br />
ohnehin gemäß § 281 II entbehrlich sein,<br />
wenn und weil besondere Umstände vorliegen, die<br />
unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die<br />
sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs<br />
rechtfertigen.<br />
Diese „besonderen Umstände“ liegen hier darin,<br />
dass Kasimir den Kommentar sehr dringend benötigt.<br />
Denn Zweck des Erwerbs des Buches war dessen<br />
Nutzung zur Diplomprüfungs-Vorbereitung.<br />
RA Helmut Schneider 26
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
Da die schriftliche Privatrechts-Diplomprüfung bereits<br />
in fünf Wochen stattfand, war Kasimir unbedingt<br />
darauf angewiesen, den Kommentar sofort zu<br />
erhalten. Daher war dem Kasimir ein weiteres Zuwarten<br />
nicht mehr zumutbar, so dass auch unter<br />
Berücksichtigung der Interessen des Valentin ein sofortiger<br />
Rücktritt des Kasimir gerechtfertigt war.<br />
Somit bestand das gesetzliche Rücktrittsrecht des<br />
Kasimir hier auch ohne vorherige Fristsetzung zur<br />
Leistungserbringung.<br />
2.6 Fraglich ist, in welcher Höhe durch die Pflichtverletzung<br />
des Valentin ein zu ersetzender Schaden des Kasimir entstanden<br />
ist.<br />
Im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung ist vor<br />
RA Helmut Schneider 27
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
allem der Mehraufwand für einen Deckungskauf bei einer<br />
alternativen Bezugsquelle zu ersetzen. In diesem Zusammenhang<br />
ist von Bedeutung, dass es Kasimir trotz intensiver<br />
Bemühungen nur gelingt, den Erman-Kommentars zu<br />
einem höheren Preis anderweitig zu beschaffen.<br />
Der Mehraufwand dieser Alternativbeschaffung ist gleich<br />
dem Unterschied zwischen dem Preis, den Kasimir bei Valentin<br />
hätte bezahlen müssen, und dem Preis, zu dem er<br />
sich alternativ eindecken musste, also 40 Euro (140 Euro -<br />
100 Euro). Dieser Mehraufwand stellt einen (typischen) im<br />
Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung zu ersetzenden<br />
Schaden dar.<br />
RA Helmut Schneider 28
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Damit sind sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs auf<br />
Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 I, III i.V.m. §<br />
281 I erfüllt.<br />
II. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?“)<br />
Einwendungen des Valentin sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich.<br />
RA Helmut Schneider 29
2 <strong>Übungsfall</strong> 2<br />
III. Endergebnis<br />
Es besteht ein Anspruch des Kasimir gegen Valentin aus § 280 I,<br />
III i.V.m. § 281 I auf Schadensersatz statt der Leistung.<br />
Der Schadensersatz erfolgt hier „statt der Leistung“, weil Kasimir<br />
an der von Valentin geschuldeten Primärleistung, also der Übereignung<br />
und Übergabe von dessen Erman-Kommentar kein Interesse<br />
mehr hat; denn er musste sich ja bereits anderweitig eindecken.<br />
Der von Valentin dem Kasimir zu ersetzende Schaden des Kasimir<br />
besteht in dem Mehraufwand des Deckungskaufs, also 40 Euro.<br />
RA Helmut Schneider 30
Fall<br />
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
Der Rentner Kasimir kauft am 12. September 2011 vom Kfz-<br />
Händler und -Werkstattbetreiber Valentin einen gebrauchten<br />
VW Golf, Baujahr 2010, zum Preis von 20.000 €. Valentin übereignet<br />
und übergibt den Golf an Kasimir; dieser zahlt seinerseits<br />
den Kaufpreis an Valentin.<br />
Eine Woche später stellt Kasimir fest, dass die Bremsen des Fahrzeugs<br />
bei Gefällestrecken, insbesondere an Bergpässen, nicht<br />
ordnungsgemäß funktionieren. Innerhalb der nächsten drei Wochen<br />
bringt Kasimir den Golf zweimal zu Valentin, damit dieser<br />
den Bremsendefekt behebe. Die Reparaturversuche des Valentin<br />
bleiben jedoch ohne durchgreifenden Erfolg; die Bremsen des<br />
RA Helmut Schneider 31
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
Fahrzeugs funktionieren bei steileren Gefällestrecken nach wie<br />
vor nicht ordnungsgemäß.<br />
Kasimir teilt daraufhin dem Valentin am 11. November 2011 mit,<br />
dass er den Kauf des VW Golf wegen der defekten Bremsen<br />
rückgängig mache und sein Geld zurückhaben wolle. Valentin<br />
entgegnet, er könne für diesen Bremsendefekt nicht verantwortlich<br />
gemacht werden. Wer wisse denn schon genau, meint Valentin,<br />
wann die Bremsen schadhaft geworden seien.<br />
Hat Kasimir den geltend gemachten Anspruch?<br />
RA Helmut Schneider 32
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage hierfür könnte § 346 l sein, der als Rechtsfolge vorsieht,<br />
dass „die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren“<br />
sind.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 § 346 I spricht vom Rücktritt einer „Vertragspartei“. Zu<br />
prüfen ist daher, ob zwischen den Anspruchsgegnern Valentin<br />
und Kasimir ein Vertrag zustande gekommen ist. Im<br />
Sachverhalt heißt es, dass Kasimir „kauft“. Zwischen Kasimir<br />
und Valentin ist also ein Kaufvertrag über den VW<br />
Golf und damit ein Vertrag im Sinne des § 346 I zustande<br />
gekommen.<br />
RA Helmut Schneider 33
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2 Weitere Voraussetzung des § 346 l ist ein Recht des Anspruchstellers<br />
Kasimir zum Rücktritt von diesem Kaufvertrag<br />
mit dem Anspruchsgegner Valentin.<br />
Kasimir hat sich allerdings in dem Kaufvertrag mit Valentin<br />
keinen Rücktritt vorbehalten; es wurde also kein vertragliches<br />
Rücktrittsrecht vereinbart. Daher kann ein Recht des<br />
Kasimir zum Rücktritt nur dann bestehen, wenn er ein gesetzliches<br />
Rücktrittsrecht hat.<br />
Rechtsgrundlage eines solchen gesetzlichen Rücktrittsrechts<br />
könnte § 437 Nr. 2 sein. Denn wenn die Kaufsache<br />
mangelhaft ist, dann sieht § 437 Nr. 2 vor, dass der Käufer<br />
gemäß § 323 bzw. gemäß § 326 V vom Kaufvertrag zurücktreten<br />
kann.<br />
RA Helmut Schneider 34
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
Dabei müssen sowohl die Voraussetzungen des § 437 Nr.<br />
2 als auch die Voraussetzungen des § 323 bzw. des § 326<br />
V vorliegen; denn der Einleitungssatz des § 437 bestimmt<br />
ausdrücklich, dass auch „die Voraussetzungen der folgenden<br />
Vorschriften“, also hier des § 323 bzw. des § 326 V,<br />
vorliegen müssen.<br />
Die Grundlage des Rücktrittsrechts könnte im vorliegenden<br />
Fall § 323 sein. Zu prüfen sind also sämtliche Voraussetzungen<br />
des § 437 Nr. 2 sowie sämtliche Voraussetzungen<br />
des § 323.<br />
RA Helmut Schneider 35
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2.1 Erste Voraussetzung des § 437 Nr. 2 ist ein wirksamer<br />
Kaufvertrag, da § 437 eine Vorschrift aus dem<br />
Kaufrecht ist. Wie oben 2.1 schon geprüft worden<br />
ist, haben Valentin und Kasimir einen Kaufvertrag<br />
über den VW Golf geschlossen.<br />
Weitere Voraussetzung des § 323 in diesem Zusammenhang<br />
ist, dass es sich bei diesem Kaufvertrag<br />
um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Denn<br />
das Recht zum Rücktritt vom Vertrag wird nur bei<br />
Leistungspflichten aus gegenseitigen Verträgen gewährt.<br />
Bei dem zwischen Kasimir und Valentin geschlossenen<br />
Kaufvertrag handelt es sich um einen<br />
typischen gegenseitigen Vertrag.<br />
RA Helmut Schneider 36
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2.2 Weitere Voraussetzung des § 323 ist eine Pflicht des<br />
Valentin gegenüber Kasimir. Aus dem Kaufvertrag<br />
zwischen Kasimir und Valentin resultiert dessen<br />
Pflicht, die Kaufsache mangelfrei zu übereignen und<br />
zu übergeben (§ 433 I 1 und 2).<br />
Beim Rücktrittsrecht aus § 323 muss es sich zudem<br />
um eine Pflicht zur Leistung im Sinne des § 241 I<br />
handeln. Die oben genannte mangelfreie Übereignung<br />
und Übergabe ist eine solche Leistung im Sinne<br />
des § 241 I.<br />
RA Helmut Schneider 37
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2.3 Voraussetzung des § 437 Nr. 2 ist ferner die Mangelhaftigkeit<br />
der Kaufsache.<br />
Wenn die Kaufsache mangelhaft ist, so handelt es<br />
sich zudem auch um eine Verletzung der soeben<br />
genannten Leistungspflicht des Verkäufers Valentin.<br />
Dies ist für ein Rücktrittsrecht aus § 323 Voraussetzung.<br />
Ein solcher Mangel der Kaufsache und damit auch<br />
eine Verletzung der Leistungspflicht des Verkäufers<br />
Valentin könnte hier in dem Bremsendefekt des VW<br />
Golf liegen.<br />
RA Helmut Schneider 38
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
(a) Gemäß § 434 I 1 hat die Kaufsache einen Sachmangel,<br />
wenn sie nicht die vereinbarte Beschaffenheit<br />
hat. Bezüglich der Bremsen des VW Golf<br />
ist aber keinerlei Beschaffenheitsvereinbarung<br />
gegeben; die Vertragsparteien haben sich dazu<br />
gar nicht geäußert.<br />
(b) Soweit eine bestimmte Beschaffenheit, so wie<br />
hier bzgl. der Bremsen, nicht vereinbart ist, hat<br />
die Kaufsache gemäß § 434 l 2 Nr. 1 einen Sachmangel,<br />
wenn sie sich nicht für die nach dem<br />
Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Jedoch<br />
ist aus dem Sachverhalt auch nicht ersichtlich,<br />
dass nach dem Kaufvertrag zwischen Valentin<br />
und Kasimir eine bestimmte Verwendung des<br />
RA Helmut Schneider 39
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
VW Golf vorausgesetzt gewesen wäre.<br />
(c) Daher kann in Bezug auf den Bremsendefekt nur<br />
noch gemäß § 434 l 2 Nr. 2 ein Sachmangel vorliegen.<br />
Dies könnte zum einen dann der Fall sein,<br />
wenn der VW Golf sich nicht für die gewöhnliche<br />
Verwendung eignet. Die „gewöhnliche Verwendung“<br />
eines solchen Fahrzeugs besteht darin,<br />
auch Gefällestrecken verkehrssicher bewältigen<br />
zu können. Dies kann der Golf nicht, wie sich aus<br />
dem Sachverhalt ergibt. Damit liegt schon nach<br />
dieser ersten Variante des § 434 I 2 Nr. 2 (Nichteignung<br />
für die gewöhnliche Verwendung) ein<br />
Sachmangel vor.<br />
RA Helmut Schneider 40
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
(d) Alternativ besteht gemäß § 434 l 2 Nr. 2 auch<br />
dann ein Sachmangel, wenn der VW Golf nicht<br />
eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der<br />
gleichen Art üblich ist und die der Käufer Kasimir<br />
nach der Art der Sache erwarten konnte. Ein nur<br />
ein Jahr alter Pkw wie der verkaufte VW Golf ist<br />
üblicherweise mit funktionsfähigen Bremsen<br />
ausgestattet; dies darf der Käufer eines solchen<br />
Fahrzeugs erwarten. Damit liegt auch nach dieser<br />
zweiten Variante des § 434 I 2 Nr. 2 (Nichtvorhandensein<br />
der üblichen, erwartungsgerechten<br />
Beschaffenheit) ein Sachmangel vor.<br />
RA Helmut Schneider 41
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
(e) Weitere Voraussetzung ist gemäß § 434 l 1, dass<br />
der Sachmangel spätestens im Zeitpunkt des Gefahrübergangs<br />
besteht. Der Zeitpunkt des Gefahrübergangs<br />
ist grundsätzlich nach § 446 Satz<br />
1 derjenige der Übergabe der Kaufsache an den<br />
Käufer.<br />
In Bezug auf den Bremsendefekt steht allerdings<br />
nicht fest, ob dieser Mangel schon bei Übergabe<br />
gegeben war. Darauf beruft sich Valentin auch,<br />
als er einwendet, dass doch niemand wissen<br />
könne, „wann die Bremsen schadhaft geworden<br />
seien“.<br />
RA Helmut Schneider 42
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
Diese Einwendung des Valentin könnte jedoch<br />
an § 476 scheitern. Denn bei einem Verbrauchsgüterkauf<br />
gilt eine Beweislastumkehr: Es wird<br />
zugunsten des Käufers vermutet, dass der Sachmangel<br />
schon bei Gefahrübergang bestand,<br />
wenn er sich innerhalb von sechs Monaten seit<br />
der Übergabe gezeigt hat.<br />
- Nach § 474 l 1 setzt ein Verbrauchsgüterkauf<br />
voraus, dass ein Verbraucher von einem Unternehmer<br />
eine bewegliche Sache kauft:<br />
Gemäß § 14 war der Kfz-Händler Valentin bei<br />
Abschluss des Kaufvertrags Unternehmer.<br />
Denn Valentin hat bei Abschluss des Kaufvertrags<br />
in Ausübung seiner gewerblichen Tätig-<br />
RA Helmut Schneider 43
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
keit gehandelt.<br />
Gemäß § 13 war Kasimir bei Abschluss des<br />
Kaufvertrags Verbraucher. Denn Kasimir als<br />
Rentner hat den Kaufvertrag zu einem Zwecke<br />
abgeschlossen, der weder einer gewerblichen<br />
noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit<br />
zugerechnet werden konnte.<br />
Der Kaufgegenstand VW Golf ist gemäß § 90<br />
eine bewegliche Sache.<br />
- Der Sachmangel hat sich innerhalb von sechs<br />
Monaten seit der Übergabe des Fahrzeugs an<br />
Kasimir gezeigt, nämlich bereits nach einer<br />
Woche.<br />
Damit wird vermutet, dass auch der Bremsende-<br />
RA Helmut Schneider 44
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
fekt bereits bei Übergabe an Kasimir vorhanden<br />
war.<br />
Aus alledem folgt, dass die Kaufsache VW Golf<br />
mangelhaft ist.<br />
RA Helmut Schneider 45
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2.4 Zu prüfen ist noch, ob „der Schuldner nach § 275 I -<br />
III nicht zu leisten“ braucht. Denn in diesem Fall wäre<br />
nicht § 323 die Grundlage für das Rücktrittsrecht,<br />
sondern § 326 V. Dies heißt somit im vorliegenden<br />
Fall: § 323 ist nur dann anwendbar und die richtige<br />
Grundlage für das Rücktrittsrecht, wenn der Leistung<br />
des Valentin aus § 433 I kein Leistungshindernis<br />
im Sinne des § 275 entgegensteht.<br />
(a) Die von Valentin primär geschuldete Leistung ist<br />
gemäß § 433 I 1 und 2 die Übereignung und<br />
Übergabe eines mangelfreien VW Golf. Der VW<br />
Golf ist allerdings mangelhaft, wie oben 2.2.3<br />
festgestellt worden ist. Bei einem solchen Mangel<br />
einer Kaufsache besteht die vom Verkäufer<br />
RA Helmut Schneider 46
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
geschuldete Leistung in der Nacherfüllung, d.h.<br />
gemäß § 439 I in der Beseitigung des Mangels<br />
oder alternativ in der Lieferung einer mangelfreien<br />
anderen Sache.<br />
(b) Zu prüfen ist, ob einer solchen Nacherfüllung ein<br />
Leistungshindernis im Sinne des § 275 I – III (also<br />
Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit oder<br />
Unzumutbarkeit) entgegensteht. In Bezug auf<br />
den Bremsendefekt kann dem Sachverhalt nicht<br />
entnommen werden, dass eine Nacherfüllung<br />
durch Reparatur unmöglich wäre. Nur weil die<br />
Reparaturversuche durch Valentin nicht erfolgreich<br />
waren, heißt dies noch lange nicht, dass<br />
Valentin – wenn er sich vielleicht stärker bemü-<br />
RA Helmut Schneider 47
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
hen würde – es nicht doch schaffen könnte. In<br />
dieser Hinsicht liegt also kein Fall des § 275 I – III<br />
vor.<br />
§ 275 I – III und damit § 326 V sind also bzgl. des<br />
Bremsendefekts nicht anwendbar. § 323 ist tatsächlich<br />
die richtige Rechtsgrundlage für das<br />
Rücktrittsrecht.<br />
RA Helmut Schneider 48
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.2.5 Gemäß § 323 I wäre für das Rücktrittsrecht eigentlich<br />
erforderlich, dass der Käufer dem Verkäufer eine<br />
Frist zur Nacherfüllung setzt. Daher müsste Kasimir<br />
dem Valentin grundsätzlich erst eine Frist zur<br />
Reparatur der Bremsen setzen und den erfolglosen<br />
Fristablauf abwarten, bevor er den Rücktritt vom<br />
Kaufvertrag ausüben könnte. Dies ist hier allerdings<br />
nicht geschehen.<br />
Jedoch hat hier Valentin bereits zweimal erfolglos<br />
einen Reparaturversuch unternommen. Damit gilt<br />
gemäß § 440 Satz 2 die Nachbesserung als fehlgeschlagen.<br />
In diesem Fall ist gemäß § 440 Satz 1 eine<br />
Fristsetzung durch den Käufer ebenfalls entbehrlich.<br />
RA Helmut Schneider 49
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
Kasimir braucht also bzgl. des Bremsendefekts vor<br />
dem Rücktritt keine Frist zur Nacherfüllung zu setzen.<br />
Es liegen also für Kasimir alle Voraussetzungen eines gesetzlichen<br />
Rücktrittsrechts gemäß § 323 bzw. § 326 V<br />
i.V.m. § 437 Nr. 2 vor.<br />
2.3 Weitere Voraussetzung des § 346 l ist, dass der Rücktritt<br />
auch tatsächlich erfolgt ist. Dies geschieht gemäß § 349<br />
durch entsprechende Willenserklärung (Rücktrittserklärung)<br />
gegenüber dem anderen Vertragspartner. Im vorliegenden<br />
Fall hat Kasimir dem Valentin mitgeteilt, dass er<br />
den Kauf des Fahrzeugs rückgängig mache und sein Geld<br />
zurückhaben wolle. Damit hat Kasimir zumindest konkludent<br />
den Rücktritt von dem Kaufvertrag erklärt.<br />
RA Helmut Schneider 50
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
2.4 Ein Rückzahlungsanspruch des Käufers Kasimir aus § 346 l<br />
setzt schließlich voraus, dass der Verkäufer Valentin den<br />
Kaufpreis bereits erhalten hat. Dies ist hier laut Sachverhalt<br />
der Fall; denn Kasimir hat an Valentin den Kaufpreis<br />
von 20.000 € bezahlt.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 346 l i.V.m. § 323 i.V.m.<br />
§ 437 Nr. 2 für einen Anspruch des Kasimir gegen Valentin auf<br />
Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 20.000 € sind vollständig<br />
erfüllt.<br />
II. Einwendungen<br />
Einwendungen des Valentin gegen den Anspruch des Kasimir<br />
sind aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich.<br />
RA Helmut Schneider 51
3 <strong>Übungsfall</strong> 3<br />
III. Endergebnis<br />
Kasimir hat gegen Valentin einen Anspruch aus § 346 l i.V.m. §<br />
323 i.V.m. § 437 Nr. 2 auf Rückzahlung des von ihm geleisteten<br />
Kaufpreises in Höhe von 20.000 € (abzüglich des Werts der gezogenen<br />
Nutzungen), und zwar gemäß § 348 Satz 1 Zug um Zug gegen<br />
Rückübereignung und Rückgabe des VW Golf.<br />
RA Helmut Schneider 52
Fall<br />
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
Ulrich hat in das Computer-Fachgeschäft des Valentin einen<br />
Schwarz-Weiß-Laserdrucker bestellt. Zum vereinbarten Lieferzeitpunkt<br />
erscheint Donald, ein Angestellter des Valentin, auf<br />
dessen Weisung mit dem bestellten Drucker in dem Mehrfamilienhaus,<br />
in dem Ulrich wohnt. Im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses<br />
stellt Donald den schweren Drucker auf den Kinderwagen<br />
der Fanny, einer Nachbarin des Kasimir, um sich kurz auszuruhen.<br />
Dadurch wird der Kinderwagen der Fanny beschädigt; die<br />
Reparatur des Kinderwagens kostet 150 Euro.<br />
Fanny verlangt von Valentin Ersatz des von Donald angerichteten<br />
Schadens. Valentin weigert sich mit Hinweis darauf, dass er selber<br />
ja nichts angestellt habe. Valentin trägt weiter vor, dass er<br />
RA Helmut Schneider 53
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
Donald kürzlich auf Empfehlung eines Bekannten aus dem von<br />
ihm besuchten Fitness-Center eingestellt habe; sonst wisse er<br />
von Donald gar nichts.<br />
Hat Fanny den gegen Valentin geltend gemachten Anspruch?<br />
RA Helmut Schneider 54
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
I. Anspruch („Anspruch entstanden?“)<br />
1. Anspruchsgrundlage<br />
Grundlage für den Anspruch auf Schadensersatz wegen der<br />
Beschädigung des Kinderwagens könnte § 831 I 1 sein, der als<br />
Rechtsfolge die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs<br />
vorsieht.<br />
2. Anspruchsvoraussetzungen<br />
2.1 Erste Voraussetzung des § 831 I 1 ist die Bestellung eines<br />
Verrichtungsgehilfen.<br />
2.1.1 Die „Verrichtung“ lag hier in der Lieferung des Druckers<br />
zu Kasimir, also in der Übereignung und Übergabe<br />
des Druckers an Ulrich.<br />
RA Helmut Schneider 55
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
2.1.2 Zu dieser Verrichtung ist auch Donald von Valentin<br />
bestellt worden: denn laut Sachverhalt erschien<br />
auch Donald „auf Weisung“ des Valentin mit dem<br />
Drucker bei Ulrich, um das Gerät an diesen zu übereignen<br />
und zu übergeben. Donald ist als Angestellter<br />
des Valentin weisungsgebunden und in dessen<br />
Herrschafts- und Organisationsbereich eingegliedert.<br />
Damit war Donald Verrichtungsgehilfe des Valentin.<br />
RA Helmut Schneider 56
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
2.2 Weitere Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs aus<br />
§ 831 I 1 ist, dass der Verrichtungsgehilfe einen Tatbestand<br />
der §§ 823 ff. rechtswidrig erfüllt hat. Hier kommt<br />
ein Fall des § 823 I in betracht.<br />
2.2.1 Donald hat im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses,<br />
in dem Kasimir wohnt, den Kinderwagen der<br />
Fanny, einer Nachbarin des Kasimir, dadurch beschädigt,<br />
dass er den schweren Drucker auf den<br />
Kinderwagen abstellte, um sich kurz auszuruhen.<br />
Damit hat Donald das Eigentum der Fanny gemäß §<br />
823 I verletzt.<br />
RA Helmut Schneider 57
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
2.2.2 Diese Eigentumsverletzung war rechtswidrig. Denn<br />
die tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung indiziert<br />
die Rechtswidrigkeit; Rechtfertigungsgründe<br />
sind nicht ersichtlich.<br />
2.2.3 Ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen selbst ist<br />
bei § 831 I nicht zu prüfen.<br />
2.2.4 Wenn wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz<br />
zu leisten ist, dann kann der Gläubiger<br />
gemäß § 249 II 1 den zur Reparatur erforderlichen<br />
Geldbetrag verlangen. Die Reparatur des Kinderwagens<br />
kostet 150 Euro. Damit besteht der zu ersetzende<br />
materielle Schaden der Fanny in diesem<br />
Geldbetrag in Höhe von 150 Euro.<br />
RA Helmut Schneider 58
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
2.3 Letzte Voraussetzung des § 831 I 1 ist, dass der Schaden in<br />
Ausführung der Verrichtung erfolgte.<br />
Hierfür ist erforderlich, dass die Verletzungshandlung des<br />
Verrichtungsgehilfen Donald in einem inneren Zusammenhang<br />
mit den Aufgaben steht, die der Geschäftsherr,<br />
hier Valentin, dem Verrichtungsgehilfen zugewiesen hat.<br />
Valentin haftet deshalb nicht für Handlungen, die sein<br />
Verrichtungsgehilfe Donald ohne sachlichen Zusammenhang<br />
mit seinem Aufgabenkreis begeht.<br />
Das Abstellen des Druckers auf den Kinderwagen durch<br />
Donald stand noch in einem Sachzusammenhang mit der<br />
Verrichtung „Auslieferung des Druckers“. Im Unterschied<br />
zu dem Diebstahl durch Theo fiel dieses Verhalten des<br />
Donald noch nicht aus dem Kreis oder allgemeinen Rah-<br />
RA Helmut Schneider 59
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
men der ihm übertragenen Aufgaben heraus. Die Tat des<br />
Donald erfolgte also innerhalb des ihm übertragenen<br />
Pflichtenkreises und damit nicht nur „bei Gelegenheit“<br />
der ihm aufgetragenen Tätigkeit.<br />
Daher haftet Valentin hier gemäß § 831 I 1 für die Sachbeschädigung<br />
durch Donald.<br />
3. Zwischenergebnis Anspruch<br />
Es sind alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz<br />
gemäß § 831 I 1 erfüllt.<br />
RA Helmut Schneider 60
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
II. Einwendungen („Anspruch erloschen oder nicht durchsetzbar?“)<br />
1. Einwendungsgrundlage<br />
Valentin könnte sich gemäß § 831 I 2 „exkulpieren“, indem er<br />
den dort bezeichneten Entlastungsbeweis führt. Grundlage für<br />
die Einwendung ist also § 831 I 2, der als Rechtsfolge vorsieht,<br />
dass die Schadensersatzpflicht nicht eintritt.<br />
2. Einwendungsvoraussetzungen<br />
2.1 Hier einschlägige Voraussetzung des § 831 I 2 ist die sorgfältige<br />
Auswahl des Verrichtungsgehilfen Donald durch<br />
den Geschäftsherrn Valentin. Laut Sachverhalt weiß Valentin<br />
von Donald so gut wie gar nichts, nur dass er ihm<br />
von einem Bekannten aus dem Fitness-Center empfohlen<br />
RA Helmut Schneider 61
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
worden sei. Zeugnisse, Referenzen oder dgl. hat Valentin<br />
offenbar nicht eingeholt. Dies reicht für eine Exkulpation<br />
nach § 831 I 2 nicht aus. Valentin hat damit bei der Auswahl<br />
des Donald für die Verrichtung „Lieferung des Druckers<br />
an Kasimir die im Verkehr erforderliche Sorgfalt<br />
nicht beobachtet.<br />
2.2 Valentin könnte sich allerdings auch dann gemäß § 831 I 2<br />
exkulpieren, wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser<br />
Sorgfalt entstanden sein würde. Hierfür gibt allerdings<br />
der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte.<br />
3. Zwischenergebnis Einwendungen<br />
Es sind nicht alle Voraussetzungen der Einwendung aus § 831 I<br />
2, also der Exkulpation, erfüllt.<br />
RA Helmut Schneider 62
4 <strong>Übungsfall</strong> 4<br />
III. Endergebnis<br />
Es besteht ein Anspruch der Fanny gegen Valentin aus § 831 I auf<br />
Schadensersatz wegen der Beschädigung des Kinderwagens in<br />
Höhe von 150 Euro.<br />
RA Helmut Schneider 63
5 Vorlesungsskripten auf <strong>VWA</strong>-Homepage<br />
• Allgemeiner Teil BGB (1. Semester): „<strong>VWA</strong>_PR1_AT.pdf“<br />
• Allgemeines Schuldrecht (2. Semester): „<strong>VWA</strong>_PR2_AS.pdf“<br />
• Besonderes Schuldrecht (3. Semester): „<strong>VWA</strong>_PR3_BS.pdf“<br />
• Besonderes Schuldrecht – Übungen (3. Semester):<br />
„<strong>VWA</strong>_PR4_Übungen.pdf“<br />
RA Helmut Schneider 64
6 Beispiele für Wissensfragen<br />
(1) Wo sind Inhaltsirrtum und Erklärungsirrtum gesetzlich geregelt,<br />
und was ist der wesentliche Unterschied zwischen beiden Irrtumsarten?<br />
„<strong>VWA</strong>_PR1_AT.pdf“, S. 85 – 88<br />
(2) Nach welcher gesetzlichen Regelung können auch durch Vorgänge<br />
im Vorfeld eines Vertragsschlusses Schuldverhältnisse<br />
entstehen? Mit welcher Art von Pflichten entstehen solche<br />
Schuldverhältnisse?<br />
„<strong>VWA</strong>_PR2_AS.pdf“, S. 33 – 34<br />
(3) Soweit der Käufer einer mangelhaften Kaufsache den Kaufpreis<br />
schon gezahlt hat, hat der Käufer, wenn er die Minderung<br />
wählt, in Höhe der Minderung einen Anspruch gegen den Verkäufer<br />
auf Erstattung des Kaufpreises. Aus welcher Rechtsgrundlage<br />
ergibt sich dieser Anspruch?<br />
„<strong>VWA</strong>_PR3_BS.pdf“, S. 89<br />
RA Helmut Schneider 65