Süddeutsche Zeitung, Montag 30
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<strong>Süddeutsche</strong> <strong>Zeitung</strong> Stadt und Landkreis, Seite R7 <strong>Montag</strong>, 07. Februar<br />
2011<br />
„Ich bitte Euch, die Birne einzuschalten“<br />
Der Komiker Eisi Gulp will Jugendliche über Alkohol- und Drogenmissbrauch<br />
aufzuklären – ohne erhobenen Zeigefinger<br />
Von Natalia Lucic<br />
Moosach – In der Aula der Samuel-Heinicke-Realschule für Hörgeschädigte blicken<br />
die 200 Siebt- und Achtklässler an diesem Morgen etwas irritiert drein. Auf der Bühne<br />
tanzt ein 55-jähriger Mann, alleine. Er bewegt sich ausgelassen zu einem Mix aus<br />
James Browns Sex Machine, Salsa und beatlastigem 90er-Jahre-Soul. Die meisten<br />
finden es witzig, wie der Mann da oben, der ihr Vater sein könnte, herumhüpft. Der<br />
Mann ist Eisi Gulp, Komiker und Schauspieler. Er soll ihnen heute etwas über<br />
Drogen und Alkoholika erzählen. Und darüber, was passieren kann, wenn man diese<br />
konsumiert. Vermutlich etwas, das sie ungern mit Erwachsenen bereden. Bis jetzt hat<br />
er sie zumindest neugierig gemacht.<br />
Nach seiner wilden Tanzeinlage wirft sich Gulp völlig erschöpft auf den Stuhl in der<br />
Mitte der Bühne. Er schnauft. Und schnauft und schnauft. Heute macht ihm das<br />
besonderen Spaß. Denn nur wenig seitlich von ihm steht heute noch jemand auf der<br />
Bühne, Susanne John Wuol. Sie ist Gebärdensprachen-Dolmetscherin und wird sein<br />
Programm simultan übersetzen. Jetzt ahmt sie sein Schnaufen nach. Gulp macht es<br />
ihr nicht leicht: Er schnauft lange und in ständig wechselndem Rhythmus.<br />
Gulp ist mit seiner „Hackedicht-Schultour der Knappschaft“ unterwegs. Die Tour ist<br />
ein bundesweites Präventionsprojekt der Knappschaft und des Kinderschutzbundes.<br />
Drogen- und Alkoholkonsum sind unter Jugendlichen ein großes Problem: Im Jahr<br />
2009 mussten in Deutschland 26 400 Kinder und Jugendliche wegen<br />
Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus behandelt werden. Für die Organisatoren ein<br />
guter Grund, Aufklärung einmal anders, nicht mit erhobenem Zeigefinger zu<br />
betreiben. Mit einem Programm, dass mit viel Witz an die Problematik herangeht,<br />
aber auch mit Fakten.<br />
Für Eisi Gulp ist „Hackedicht“ ein besonderes Projekt. Der Schauspieler studierte<br />
Tanz in München und New York, tourte als Komiker viele Jahre durch Deutschland,<br />
drehte Filme und moderierte Mitte der achtziger Jahre auch die Jugendsendung „Live<br />
aus dem Alabama“ im Bayerischen Rundfunk. Die Idee, ein Programm über Drogen<br />
und Sucht zu machen, habe er schon vor langer Zeit gehabt, sagt er. Zuerst brachte<br />
er sie in sein abendliches Kabarettprogramm ein. Vor drei Jahren aber entschloss er<br />
sich, damit auch an Schulen zu gehen. „Es ist mein sinnvollstes Programm und hat<br />
mittlerweile absolute Priorität.“ Dieses Jahr wird er es bundesweit in 36 Schulen<br />
aufführen.<br />
Jugendliche können ein schwieriges Publikum sein, das weiß auch Gulp. Deswegen<br />
nähert er sich ihnen auf seine Art: er macht Witze. Übers Rauchen, Kiffen, Koksen<br />
und Saufen. Zuerst spricht er übers Rauchen, erzählt Anekdoten und spielt mit<br />
© <strong>Süddeutsche</strong> <strong>Zeitung</strong> GmbH, München Seite 1 von 2
Dialekten. „Würde sich einer freiwillig über den Kamin hängen und den Rauch<br />
inhalieren?“, fragt er in schönstem Bayerisch. „Oder an den Auspuff eines Wagens,<br />
oder sich gegen die Windrichtung ans Lagerfeuer setzen und tief einatmen?“ Dazu<br />
führt er seine Lippen ganz dicht ans Mikrofon, saugt und erzeugt ein<br />
ohrenbetäubendes Geräusch, das durch die gefüllte Aula hallt. „Die Jugendlichen<br />
denken sich, jetzt kommt da ein alter Sack und erzählt mir, was ich nicht tun darf,“<br />
erzählt Gulp. Wenn das stimmt, ändern sie diese Meinung schnell. Die Schüler<br />
lachen. Nicht zuletzt, weil auch Gulp heute lachen muss. Auch für ihn ist es heute<br />
„etwas völlig Neues und Frisches“. Denn die Gebärden-Dolmetscherin Susanne John<br />
Wuol übersetzt jeden Witz parallel. Dabei gestikuliert sie sehr intensiv. „Saugut! Ich<br />
nehm’ Dich jetzt immer mit“, sagt Gulp. Für John Wuol ist es das erste Mal, dass sie<br />
ein Kabarett übersetzt. „Um den Witz rüberzubringen musste ich es mir vorher auf<br />
DVD genau anschauen“, erzählt sie. „Es macht großen Spaß, aber es ist auch<br />
ziemlich anstrengend.“<br />
Gulp spricht mit dem Publikum, fragt, wer schon einmal gekifft habe und erzählt von<br />
seinem Wohnort, dem Chiemgau. Dieser sei einmal das größte Hanfanbaugebiet<br />
Deutschlands gewesen. Und dass er dort einmal eine Oma getroffen habe, die in<br />
ihrer Jugend auch „beim Festeln a bisserl a Kraut graucht“ habe. „Von Verboten halte<br />
ich gar nichts, aber ich bitte euch, die Birne einzuschalten“, spricht Gulp ins<br />
Publikum. Er sagt, dass es völlig normal sei, Dinge auszuprobieren. Aber dass es<br />
ebenso wichtig sei, auf seinen Körper zu hören. „Dieses Drübersein ist das Problem,<br />
darum geht’s.“<br />
Gegen Ende wird Gulp ernster. Er erzählt von einem jungen Mann, der wegen seiner<br />
Drogensucht gestorben ist. Eine wahre Geschichte. Er hat den jungen Mann sterben<br />
sehen. Die 200 Schüler blicken ihn aufmerksam an. Jetzt nicht irritiert, sondern<br />
konzentriert. Der Mann, der vor knapp zwei Stunden zu Sex Machine über die Bühne<br />
wirbelte, spricht jetzt leiser. Er bedankt sich bei den Jugendlichen, dass sie einem<br />
alten Sack wie ihm zugehört hätten.<br />
© <strong>Süddeutsche</strong> <strong>Zeitung</strong> GmbH, München Seite 2 von 2