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<strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> –<br />
Für Demokratie e.V.<br />
Stauffenbergstraße 13–14<br />
10785 Berlin<br />
Telefon 030 263978-3<br />
Telefax 030 263978-40<br />
info@gegen-vergessen.de<br />
www.gegen-vergessen.de<br />
Antidiskriminierungsarbeit in der Schule.<br />
Ein Fortbildungsprojekt für Pädagoginnen und Pädagogen
Vorwort<br />
»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans<br />
nimmer mehr« – das meiste, was<br />
Hänschen braucht, soll er in der Schule<br />
lernen. In Zeiten vielfältiger gesellschaftlicher<br />
und sozialer Veränderungen<br />
und nicht zuletzt nach den Ergebnissen<br />
der allerorten zitierten PISA-Studien<br />
werden heute an die Institution Schule<br />
von vielen Seiten Ansprüche gestellt.<br />
Um einer Bildungsmisere entgegenzusteuern<br />
müsse dringend die Wissensvermittlung<br />
verbessert werden. Zunehmende<br />
Gewalt und rechtsextremistische<br />
Vorfälle lassen aber auch den<br />
Ruf nach stärkerer Betonung des<br />
pädagogischen Auftrags – nach der<br />
Erziehungsinstanz Schule, die zum<br />
mündigen demokratischen Staatsbürger<br />
ausbildet – lauter werden. Gleichzeitig<br />
beklagen Lehrer, aber auch Lehramtskandidaten,<br />
nur unzureichend für diese<br />
Aufgaben gerüstet zu sein.<br />
Nicht nur Wissen vermitteln, sondern<br />
auch Demokratie lehren. Kann Schule<br />
das leisten?<br />
In dieser <strong>Broschüre</strong> werden Fragestellungen<br />
zu Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozessen<br />
im Schulalltag<br />
dargestellt und Handlungsmöglichkeiten<br />
aufgezeigt. Es wird ein Ansatz<br />
der Aus- und Fortbildung beschrieben,<br />
der Pädagogen und Schüler gleichermaßen<br />
einbezieht. Wir haben ihn in<br />
den Jahren 2004 bis 2006 an drei<br />
Berliner und drei Potsdamer Grund<br />
und Oberschulen erprobt und stellen<br />
die Ergebnisse hier vor.<br />
Die Fortbildung »Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule« kann keine<br />
Patentrezepte liefern. Aber sie gibt<br />
den Teilnehmern Gelegenheit, sich<br />
mit der eigenen Haltung gegenüber<br />
Voreingenommenheiten, Mobbing<br />
und Ausgrenzung auseinander zu setzen<br />
und zum Ausgangspunkt pädagogischen<br />
Handelns zu machen. In ihr lernen<br />
Pädagogen, wie sie mit demokratieschädlichen<br />
Einflüssen umgehen und<br />
wie Konflikte gelöst werden können.<br />
Sie ist gleichzeitig ein Vorschlag, diese<br />
wesentlichen erzieherischen Aufgaben<br />
in die Ausbildungspraxis von Lehramtskandidaten<br />
stärker als bisher zu<br />
integrieren.<br />
Seite 1<br />
Ohne Zweifel haben die Erfahrungen<br />
in der Schule eine große Bedeutung<br />
für die Sozialisation von Kindern. Dort<br />
begegnen sich Menschen unterschiedlicher<br />
Herkunft, mit mannigfachem<br />
Hintergrund, es werden Beziehungen<br />
geknüpft. In der Schule bereiten sich<br />
junge Menschen auf das Leben in<br />
unserer Gesellschaft vor, sie lernen,<br />
wie man in einer pluralistischen<br />
Welt besteht, wie Konflikte ausgetragen<br />
und ausgehalten werden.<br />
Schule ist ein Ort, wo Demokratie<br />
geübt wird.<br />
Die Vereinigung <strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> –<br />
Für Demokratie e.V. versteht dieses<br />
Modellprojekt als ein Plädoyer dafür,<br />
eine oftmals beklagte Lücke in der Ausund<br />
Fortbildung von Pädagogen zu<br />
schließen.<br />
Joachim Gauck
Seite 2<br />
Ausgangslage und Hintergründe des Projektes<br />
Der erwartete, aber nicht minder erschreckende<br />
»Erfolg« der NPD bei<br />
den Landtagswahlen in Mecklenburg-<br />
Vorpommern zum Zeitpunkt der<br />
Erstellung dieser <strong>Broschüre</strong> sowie<br />
Schlagzeilen über zunehmende –<br />
oftmals rechtsextremistisch geprägte –<br />
gewalttätige Übergriffe auf Migrant/inn/en,<br />
über offene Diskriminierungen<br />
gegenüber Frauen und<br />
Männern, die sich auf Grund ihrer<br />
Hautfarbe, ihrer Ansichten oder<br />
Lebensweise von der Mehrheitsgesellschaft<br />
unterscheiden, begleiteten<br />
auf beunruhigende Weise den Abschluss<br />
eines Modellprojektes, das<br />
von <strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> – Für Demokratie<br />
e.V. in den Jahren 2004 bis 2006<br />
durchgeführt wurde. An dem Fortbildungsprojekt»Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule« beteiligten<br />
sich sechs Schulen in Berlin<br />
und Potsdam sowie der Fachbereich<br />
Interkulturelle Erziehung der Freien<br />
Universität Berlin.<br />
Wo Ausgrenzungsmechanismen als<br />
strukturelle Prinzipien gesellschaftlicher<br />
Prozesse erkannt werden, ist es<br />
nicht verwunderlich, dass diese bereits<br />
von jungen Menschen übernommen<br />
beziehungsweise als eine Form<br />
des Umgangs miteinander »gelernt«<br />
und verinnerlicht werden. Dem<br />
Bereich der präventiven pädagogischen<br />
Arbeit kommt hier eine besondere<br />
Bedeutung zu, um antidemokratischen<br />
Tendenzen frühzeitig und wirkungsvoll<br />
entgegen zu wirken.<br />
Die Fortbildung zur Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule, die sich an angehende<br />
und praktizierende Lehrer/innen<br />
und Schulsozialarbeiter/innen<br />
wendet, setzt an dieser Stelle an und<br />
bietet geeignete Inhalte und Methoden<br />
für eine kontinuierliche Antidiskriminierungsarbeit<br />
im schulischen<br />
und außerschulischen Kontext. Sie<br />
ist Teil des umfassenden Aktionsprogramms<br />
»Jugend für Toleranz und<br />
Demokratie – gegen Rechtsextremismus,<br />
Fremdenfeindlichkeit und<br />
Antisemitismus«. Von 2001 bis<br />
2006 unterstützt das Bundesministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend (BMFSFJ) mit diesem Programm<br />
Projekte, die demokratisches<br />
Verhalten, zivilgesellschaftliches Engagement,<br />
Toleranz und Weltoffenheit<br />
bei Jugendlichen stärken und fördern.<br />
So sollen im Rahmen einer Jugendpolitik<br />
für Demokratie und Toleranz<br />
durch Maßnahmen im präventivpädagogischen<br />
Bereich<br />
· Verständnis für die gemeinsamen<br />
Grundwerte und kulturelle Vielfalt<br />
entwickelt<br />
· Achtung der Menschenwürde<br />
gefördert<br />
· jede Form des Extremismus bekämpft<br />
und<br />
· religiöse Unterschiede respektiert<br />
werden und eine dauerhafte Stärkung<br />
der Zivilgesellschaft erreicht und<br />
eine Kommunikation über Vielfalt, Toleranz,<br />
Respekt und Demokratie initiiert<br />
werden.<br />
Entimon – gemeinsam gegen<br />
Gewalt und Rechtsextremismus<br />
Das Teilprogramm »entimon« –<br />
gemeinsam gegen Gewalt<br />
und Rechtsextremismus richtet<br />
sich gezielt gegen antidemokratische<br />
Entwicklungen, wie die Ausbreitung<br />
rechtsextremistisch geprägter<br />
Alltagskultur, die Zunahme<br />
von Rassismus, Antisemitismus<br />
und Fremdenfeindlichkeit sowie<br />
gegen eine steigende Gewaltbereitschaft.<br />
Zielgruppen der »entimon«-Maßnahmen<br />
sind junge Menschen aus allen<br />
gesellschaftlichen Zusammenhängen<br />
und Erwachsene, die als Eltern oder<br />
Pädagog/inn/en mit der Erziehung<br />
und Bildung dieser jungen Menschen<br />
betraut oder beauftragt sind.<br />
Die unterschiedlichen Erfahrungen<br />
von Mädchen und Frauen sowie<br />
Jungen und Männern sollen als verpflichtendes<br />
Leitprinzip berücksichtigt<br />
werden (Bundesministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen und<br />
Jugend, 2006: 3–4).<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> –<br />
Für Demokratie e.V.<br />
Die Ziele des »entimon«-Programms<br />
stimmen in hohem Maße mit dem<br />
Leitbild des 1993 gegründeten Vereins<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> – Für Demokratie<br />
e.V. überein. Seine Mitglieder haben<br />
es sich zur Aufgabe gemacht, die
Erinnerung an die Vergangenheit lebendig<br />
zu halten, sich sowohl mit der<br />
NS-Gewaltherrschaft als auch mit der<br />
SED-Diktatur auseinander zu setzen,<br />
um damit zur Stärkung der Demokratie<br />
als Lebensform beizutragen.<br />
Letzteres gilt insbesondere vor dem<br />
Hintergrund verbreiteter Fremdenfeindlichkeit,<br />
rechtsextremistischer<br />
Gewalttaten und den Besorgnis erregenden<br />
Wahlerfolgen rechtsextremer<br />
Parteien. Gerade jüngeren Generationen<br />
soll der Zusammenhang zwischen<br />
einer Auseinandersetzung mit der<br />
Vergangenheit und der Stärkung gegenwärtiger<br />
demokratischer Strukturen<br />
und zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
vermittelt werden.<br />
Mit seinem »Forum Demokratie und<br />
Zivilgesellschaft« will der Verein<br />
dazu beitragen, ein wirkungsvolles gesellschaftliches<br />
<strong>Gegen</strong>gewicht zu<br />
rassistischen und rechtsextremistischen<br />
Umtrieben zu schaffen und damit<br />
die kontinuierliche Entwicklung und<br />
Verfestigung zivilgesellschaftlicher<br />
Strukturen fördern.<br />
Ziel ist, eine durch unsere demokratischen<br />
Grundwerte gestützte politische<br />
Haltung zu vermitteln und auch<br />
die Fähigkeit und Bereitschaft zu<br />
entwickeln, sich gegen Gewalt, Rechtsextremismus,<br />
Fremdenfeindlichkeit<br />
und Antisemitismus zu wenden und<br />
Minderheiten zu schützen. Gleichzeitig<br />
soll ein Engagement für die Aufgaben<br />
des Gemeinwesens gefördert<br />
werden.<br />
Ein Schwerpunkt der Projektarbeit ist<br />
die Konzeption und Durchführung<br />
von Multiplikator/ inn/en-Schulungen.<br />
Zu ihnen gehört die im Folgenden<br />
dokumentierte Fortbildungsreihe<br />
»Antidiskriminierungsarbeit in der<br />
Schule«.<br />
Sie richtete sich sowohl an praktizierende<br />
Lehrer/innen, in der Schule<br />
tätige Erzieher/innen oder Sozialarbeiter/innen,<br />
als auch an Studierende<br />
der Erziehungswissenschaft und Pädagogik<br />
der Freien Universität Berlin.<br />
Im Rahmen des Fortbildungsprojektes<br />
wurde mit den Teilnehmer/inne/n<br />
sowohl der aktuelle wissenschaftliche<br />
Stand zum Thema »Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule« als auch<br />
praktische Methoden und Konzepte<br />
für eine pädagogische Auseinanderset-<br />
zung mit demokratiefeindlichen und<br />
ausgrenzenden Phänomenen erarbeitet.<br />
Den praktizierenden und angehenden<br />
Pädagog/inn/en sollten<br />
Handlungskompetenzen im Umgang<br />
mit diskriminierenden und rassistischen<br />
Einstellungen vermittelt werden.<br />
Wirkungsvolle Interventions- und<br />
Präventionsmaßnahmen wurden ebenso<br />
erarbeitet wie ein geeigneter pädagogischer<br />
Umgang mit Voreingenommenheiten,<br />
Beleidigungen, Mobbing<br />
und Ausgrenzung in der Schule.<br />
Der Fortbildungsbedarf<br />
Ausgangspunkt für die Konzeption<br />
der Fortbildung waren Erfahrungen<br />
und Rückmeldungen von Lehrer/inne/n<br />
aus der Schulpraxis, keine<br />
ausreichenden berufsbegleitenden<br />
Qualifizierungsangebote vorzufinden,<br />
die sie befähigen, mit Diskriminierung<br />
und Rassismus umzugehen. Die<br />
dem Projekt vorausgegangene Zusammenarbeit<br />
mit dem Institut für Interkulturelle<br />
Erziehung des Fachbereichs<br />
Erziehungswissenschaft an der Freien<br />
Universität Berlin hatte zudem gezeigt,<br />
dass auch in der Ausbildung<br />
von Lehrer/inne/n und Sozialpädagog/inn/en<br />
ein Defizit beklagt wird,<br />
wenn es um die Vermittlung von<br />
Schlüsselkompetenzen im Bereich der<br />
Antidiskriminierungsarbeit an Schulen<br />
geht.<br />
Die durch die angebotene Fortbildung<br />
vermittelten Ideen für den Umgang<br />
mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierungen<br />
und Konflikten in<br />
der Schule wirkten also einem immer<br />
wieder beklagten Defizit in der<br />
pädagogischen Ausbildung entgegen.<br />
Sie boten eine konstruktive Reaktion<br />
auf die häufig anzutreffende Hilflosigkeit<br />
und fachliche Überforderung<br />
vieler Pädagog/inn/en im Umgang mit<br />
Ausgrenzung, Rassismus und Gewalt.<br />
Die paritätische Zusammensetzung<br />
der Ausbildungsgruppe aus erfahrenen<br />
und angehenden Pädagog/inn/en<br />
ermöglichte zudem<br />
Interaktionsprozesse zwischen den<br />
verschiedenen Generationen von<br />
Lehrenden. Ein gegenseitiger Austausch<br />
aufgrund des jeweiligen<br />
Erfahrungshintergrundes förderte in<br />
der Ausbildungsgruppe bereits<br />
unmittelbar die positive Erfahrung der<br />
gegenseitigen Bereicherung durch<br />
Vielfalt.<br />
Die Fortbildung wurde von Beginn an<br />
als ko<strong>mb</strong>inierte theoretische und<br />
praktische Ausbildung konzipiert, die<br />
drei zweitägige Seminarblöcke und<br />
eine anschließende Praxisphase in verschiedenen<br />
Schulen umfasste. Im<br />
Verlauf der Fortbildung wurden Teams<br />
aus je zwei erfahrenen Pädagog/inn/en<br />
Seite 5<br />
und zwei Studierenden gebildet,<br />
die für die Vorbereitung und Durchführung<br />
der Praxisprojekte verantwortlich<br />
waren. Die Teams wurden in<br />
regelmäßigen Auswertungs- und<br />
Feedbacksitzungen von den Trainerinnen<br />
der Maßnahme beraten.<br />
Das gesamte Projekt wurde von August<br />
2004 bis Ende 2006 mit zwei<br />
Fortbildungsgruppen durchgeführt.<br />
Die erste Fortbildungsphase erstreckte<br />
sich über das Jahr 2005 und<br />
fand in Zusammenarbeit mit drei<br />
Berliner Schulen statt. 2006 beteiligten<br />
sich drei Schulen in Potsdam an<br />
der Maßnahme.
Seite 6<br />
Konzept und Fortbildungsüberblick<br />
Für die Konzeption und Durchführung<br />
der Fortbildung konnten Gabi Elverich<br />
und Dorothea Schütze, zwei kompetente<br />
und erfahrene Trainerinnen, gewonnen<br />
werden, die bereits langjährig<br />
in der Jugend- und Erwachsenenbildung<br />
Fortbildungsmaßnahmen durchführen<br />
und über solide Praxis- und<br />
Beratungserfahrungen zum Thema<br />
»Antidiskriminierungsarbeit in der<br />
Schule« verfügen. Die folgenden<br />
Ausführungen sind sowohl aus unveröffentlichten<br />
Konzeptionsentwürfen<br />
der Trainerinnen zusammengestellt als<br />
auch ihren Publikationen entnommen.<br />
Zielsetzung der Fortbildungsreihe war<br />
es, den teilnehmenden Lehramtsstudierenden<br />
und Pädagog/inn/en Ansätze<br />
zur praxisorientierten Antidiskriminierungsarbeit<br />
in ihren Schulen<br />
zu vermitteln. Der inhaltliche und<br />
methodische Schwerpunkt der Fortbildung<br />
lag im Bereich der antirassistischen<br />
Bildungsarbeit.<br />
Die Erarbeitung zielgruppenorientierter<br />
Konzepte berücksichtigte auch<br />
die jeweils unterschiedlichen Ausgangslagen<br />
der einzelnen Schulen, in<br />
denen die Praxisprojekte durchgeführt<br />
wurden, die Schulformen, die Zusammensetzung<br />
der Schülerschaft,<br />
spezielle Problemlagen und den<br />
Stand der Auseinandersetzung mit<br />
Rassismus und Diskriminierung.<br />
So war ein rassistisch motivierter Übergriff<br />
Ausgangspunkt für die Teilnahme<br />
einer Schule an dem Fortbil-<br />
dungsprojekt, er wurde in der inhaltlichen<br />
Arbeit fortlaufend berücksichtigt.<br />
Den Teilnehmer/inne/n sollte kein<br />
standardisierter Methodenkoffer<br />
angeboten werden, sondern theoretische<br />
und didaktische Grundlagen<br />
für die Entwicklung und Anwendung<br />
bedarfs- und zielgruppenorientierter<br />
Konzepte.<br />
Es wurde von der Annahme ausgegangen,<br />
dass Ausgrenzungsphänomene<br />
als gesellschaftliches Strukturelement<br />
weit über offensichtliche und augenfällig<br />
diskriminierende Situationen<br />
hinausgehen und alle Mitglieder und<br />
Ebenen der Gesellschaft betreffen.<br />
Auf dieser Grundlage kann eine erfolgreiche<br />
Umsetzung von Antidiskriminierungskonzepten<br />
in der schulischen<br />
Bildungsarbeit und anderswo nur<br />
über die Reflexion dieser Prozesse und<br />
der jeweiligen Handlungsmuster<br />
sowie den eigenen Verstrickungen vollzogen<br />
werden. Dabei spielen die<br />
verschiedenen Perspektiven und gesellschaftlichen<br />
(Macht-)Positionen<br />
eine große Rolle (vgl. Leiprecht, 2005).<br />
In der Bildungsarbeit muss stets die<br />
eigene Haltung in Bezug auf Ausgrenzungsphänomene<br />
hinterfragt und<br />
ebenso das Zusammenwirken von<br />
institutionellen Bedingungen und subjektiver<br />
Alltagsebene problematisiert<br />
werden (Elverich, 2006: 13). Die<br />
zugrunde liegenden Vorstellungen<br />
und Handlungen sind immer sozial und<br />
kulturell konstruiert. Es ist auch und<br />
insbesondere die Bewusstwerdung<br />
solcher Prozesse, die erste Schritte zu<br />
einem empathischen und konstruktiven<br />
Dialog ermöglichen. Das Erkennen<br />
von Ausgrenzungen und Diskriminierungen<br />
in den Selbstverständlichkeiten<br />
des Alltags beinhaltet Ansatzpunkte<br />
für Veränderungen.<br />
Die Auseinandersetzung mit der eigenen<br />
Haltung, den eigenen Handlungsmöglichkeiten<br />
und -grenzen war<br />
also Ausgangspunkt und Ziel der<br />
Fortbildung und stellt den umfassenden<br />
Rahmen des gesamten Konzeptes dar.<br />
Struktur der Fortbildung<br />
Das Fortbildungscurriculum basierte<br />
auf verschiedenen Ansätzen. So<br />
wurden Grundlagen der Spielepädagogik,<br />
Gruppendynamik und Gesprächsführung<br />
integriert sowie handlungs-<br />
und erfahrungsorientierte<br />
Methoden aus dem »Baustein zur<br />
nicht-rassistischen Bildungsarbeit« und<br />
dem Betzavta-Konzept aus dem<br />
Bereich der Demokratieentwicklung<br />
eingesetzt. Außerdem wurden aktuelle<br />
Diskurse zu Integration, antirassistischer<br />
Bildungsarbeit und<br />
Antidiskriminierungsansätzen, zu<br />
politischer Bildungsarbeit und<br />
schulischer wie außerschulischer Erziehung<br />
erörtert.<br />
Voraussetzung für die angestrebte antidiskriminierende<br />
und antirassistische<br />
Bildungsarbeit der Pädagog /inn/en<br />
ist die inhaltliche und persönliche<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema,
Seite 8<br />
Ablauf der Fortbildung<br />
Der erste Teil der Fortbildung umfasste drei Ausbildungs-<br />
Module mit unterschiedlichen Schwerpunkten.<br />
Grundlagenmodul: Die Auseinandersetzung mit theoretischen<br />
Grundlagen antidiskriminierender Bildungsarbeit<br />
und die Selbstreflexion der Teilnehmer/innen.<br />
Vertiefungsmodul: Die Erprobung und Reflexion weiterer<br />
Übungen und erfahrungsorientierter Methoden.<br />
Transfermodul: Die konkrete Projektplanung für den<br />
Transfer in die betreffenden Schulen sowie Vertiefungsthemen<br />
aus der Antidiskriminierungs- und<br />
Antirassismusarbeit.<br />
Im Anschluss an diese drei Fortbildungsphasen folgte<br />
als Praxismodul die Durchführung von Projekten in den<br />
einzelnen Schulen.<br />
aus der sich Zielsetzungen und methodische<br />
Schritte ergeben. Zu Beginn<br />
der Fortbildung stand deshalb der eigene<br />
Bezug zum und das Interesse<br />
am Thema »Antidiskriminierungsarbeit«<br />
im Vordergrund.<br />
Darüber hinaus wurden Grundbegriffe<br />
und theoretische Hintergründe erarbeitet<br />
und diskutiert. Eine Einführung<br />
in die Grundlagen der Spielepädagogik<br />
und andere methodische Konzepte<br />
diente als theoretischer Hintergrund<br />
für die Umsetzung erfahrungsorientierter<br />
Methoden.<br />
Da Mechanismen der Ausgrenzung<br />
auf der individuellen Ebene, auf<br />
der Ebene sozialer Gruppen und auf<br />
der gesellschaftlichen Ebene vollzogen<br />
werden, können mit methodischen<br />
Hilfestellungen Phänomene<br />
der Ausgrenzung sichtbar gemacht<br />
werden. Im gesamten Verlauf wurden<br />
themenbezogene Übungen und<br />
Methoden der Auseinandersetzung<br />
und Reflexion selbst erfahren und erprobt,<br />
um sie dann auf ihre Anwendbarkeit<br />
für die Auseinandersetzung<br />
mit Diskriminierung und<br />
Rassismus in der schulischen Arbeit<br />
zu überprüfen bzw. geeignete Variationen<br />
zu entwickeln.<br />
Nach der Klärung der institutionellen<br />
Ausgangssituation und ersten Hospitationen<br />
der Studierenden in den Schulen<br />
begann die Projektplanung für<br />
den Transfer des Antidiskriminierungskonzeptes<br />
in den Schulunterricht.<br />
Schwierigkeiten wurden thematisiert<br />
und Strategien im Umgang mit möglichen<br />
diskriminierenden Situationen<br />
und Aussagen während der Praxisphase<br />
in den Schulen entwickelt und<br />
exemplarisch erprobt.<br />
Die Erarbeitung der Unterrichtskonzepte<br />
für die Projektphase erfolgte in<br />
Gruppenvorbereitungen der jeweiligen<br />
Schulteams unter Begleitung der Trainerinnen.<br />
Die teilnehmenden Schulen,<br />
Pädagog/inn/en und Studierenden<br />
Im Jahr 2005 wurde die Fortbildung<br />
an drei Berliner Schulen durchgeführt:<br />
an einer Grundschule und einer<br />
Oberschule in Berlin Kreuzberg sowie<br />
an einer Oberschule in Berlin Lichtenberg.<br />
Drei Potsdamer Schulen, zwei Oberschulen<br />
und eine Gesamtschule mit<br />
gymnasialer Oberstufe, beteiligten<br />
sich im Jahr 2006.<br />
Die Schulen verpflichteten sich im<br />
Rahmen einer Kooperationsvereinbarung<br />
verbindlich, die Fortbildung<br />
und die Projektphase zu unterstützen<br />
und sich zu den Zielen der Fortbildung<br />
zu bekennen.<br />
Seite 9<br />
Sechs Lehrer/innen bzw. Sozialarbeiter/innen<br />
oder Erzieher/innen, jeweils<br />
zwei pro Schule, nahmen in jeder<br />
Phase an der Fortbildung teil, für die<br />
sie (dreimal für jeweils zwei Tage<br />
vom Unterricht) freigestellt wurden.<br />
Zusätzlich arbeiteten sie in ihren<br />
Klassen mit einem Ausbildungsteam<br />
in der praktischen Phase der Fortbildung<br />
zusammen (je zwei Lehrkräfte<br />
und zwei Studierende an einer<br />
Schule). Die Praxisphase wurde entweder<br />
in den fortlaufenden Unterricht<br />
integriert oder als Projekt<br />
konzipiert.<br />
Im Vorlesungsverzeichnis des Fachbereichs<br />
Interkulturelle Pädagogik der<br />
Freien Universität Berlin (FU) wurde<br />
die Fortbildungsreihe »Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule« als<br />
Lehrveranstaltung angekündigt. Für<br />
jede Ausbildungsphase wurden sechs<br />
Studierende – durch Lehrende der<br />
FU und <strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> – Für Demokratie<br />
e.V. – ausgewählt.
Durchführung der Fortbildung<br />
Theoretische Grundlagen und<br />
Auseinandersetzung mit Begriffen<br />
Das Curriculum der Fortbildung umfasste<br />
theoretische Arbeitseinheiten,<br />
zahlreiche praktische Übungen<br />
und die Vermittlung von Methoden.<br />
Die Aneignung theoretischen Wissens<br />
zum Thema »Antidiskriminierung«<br />
und »Antirassismus« und die Erörterung<br />
von Diskursen und Begrifflichkeiten<br />
bildeten einen Schwerpunkt<br />
der Fortbildung. So wurde an ausgewählten<br />
Texten zum Thema »Umgang<br />
mit Rassismen und Diskriminierungen<br />
in der Schule« gearbeitet,<br />
deren Analysen das Gesamtkonzept<br />
der Fortbildung vervollständigten.<br />
Die Verständigung über die in der Antidiskriminierungs-<br />
und Antirassismusarbeit<br />
verwendeten Begriffe erhöhte<br />
den Reflexionsprozess der Gruppe<br />
und diente der Entwicklung einer gemeinsamen<br />
Arbeitsgrundlage.<br />
Die im Folgenden beschriebene Vorgehensweise<br />
spiegelt stets den Zugang<br />
der beiden Trainerinnen wieder.<br />
Sie grenzten sich beispielsweise bewusst<br />
von den Begriffen »Ausländeroder<br />
Fremdenfeindlichkeit« ab, da<br />
sie diese Begrifflichkeiten für die Beschreibung<br />
des Problems »Rassismus«<br />
für unzutreffend halten. So sind z.B.<br />
weiße Europäer aus Nachbarstaaten<br />
Deutschlands seltener von Rassismus<br />
betroffen, dem entgegen aber die<br />
große Zahl an schwarzen Deutschen.<br />
Die Trainerinnen plädierten dafür,<br />
unterschiedliche Diskriminierungsformen<br />
zu differenzieren und stets im<br />
Blick zu haben, wen diese betreffen.<br />
Dabei sind immer unterschiedliche<br />
Perspektiven und Machtverhältnisse<br />
ausschlaggebend.<br />
»Die Art und Weise, wie man das zu<br />
lösende […] Problem definiert, bestimmt<br />
die Richtung mit, in der nach<br />
Lösungen zu suchen wäre.« (Kalpaka,<br />
1994: 10)<br />
Die für die Fortbildung zentralen Begriffe<br />
wurden mit Hilfe von Impulsreferaten<br />
und durch den Einsatz von<br />
Übungen erarbeitet. An den folgenden<br />
drei Begriffen soll dieser Prozess<br />
hier verdeutlicht werden.<br />
Diskriminierung<br />
In der Auseinandersetzung mit dem<br />
Begriff »Diskriminierung« galt es,<br />
unterschiedliche Diskriminierungsformen<br />
genauer zu betrachten und zu differenzieren.<br />
Diese verschiedenen Ausprägungen<br />
von Diskriminierung und<br />
Ausgrenzung<br />
· auf individueller Ebene,<br />
· auf der Ebene sozialer Gruppen und<br />
· auf gesellschaftlicher Ebene<br />
wurden benannt und analysiert.<br />
In einer Fortbildungsgruppe bildete<br />
diese Begriffsanalyse eine wichtige<br />
Grundlage für den Transfer in die<br />
Schule. Das Team entschied sich<br />
für ein Projekt zur Diskriminierung<br />
auf Grund körperlicher Merkmale und<br />
Abweichungen vom herrschenden<br />
Seite 11<br />
Schönheitsideal (»Bodyismus«)<br />
als Aufhänger für die Beschäftigung<br />
mit weiteren Diskriminierungsformen<br />
und entwickelte auf dieser Grundlage<br />
ein differenziertes Konzept<br />
für mehrere Projekttage. Bodyismus<br />
wurde als Einstieg in die Thematik<br />
gewählt, um Bezug zur Lebenswelt<br />
der Jugendlichen herzustellen.<br />
Rassismus<br />
Insbesondere der Begriff Rassismus<br />
bedarf der sorgfältigen Auseinandersetzung.<br />
Biologischer und auch<br />
kulturell begründeter Rassismus<br />
beinhaltet die Festschreibung von<br />
Merkmalen und die Vorstellung<br />
unaufhebbarer Unterschiede zwischen<br />
Menschen(gruppen) als »natürlich«<br />
bzw. unveränderbar, jeweils gekoppelt<br />
mit Deutungen und Bewertungen.<br />
Da Rassismus auch immer<br />
Machtungleichgewichte, Privilegien<br />
und Ausgrenzungen impliziert,<br />
werden bestehende Herrschaftsverhältnisse<br />
stabilisiert.<br />
Im Rahmen der Fortbildung wurde<br />
von einem Rassismusbegriff ausgegangen,<br />
der als gesellschaftliches<br />
Strukturelement definiert wird. Es<br />
ist tief in Diskursen verankert und hat<br />
damit auch Konsequenzen für individuelles<br />
Denken und Handeln. (Elverich<br />
u. a., 2002: 29–32) »Die Schwierigkeit,<br />
nicht rassistisch zu sein«, besteht
Seite 12<br />
in der unausweichlichen Verstrickung<br />
in die bestehenden Verhältnisse<br />
(Klapaka und Räthzel, 1990). Verschiedene<br />
Erscheinungsformen und Ausprägungen<br />
von Rassismus wurden<br />
benannt. Man verständigte sich schließlich,<br />
treffender von Rassismen im Plural<br />
und immer auch von deren historischen<br />
und kontextabhängigen Bedingungen<br />
zu sprechen.<br />
Die Verwendung des Begriffs »Rassismus«<br />
als »Arbeitsbegriff« wurde entschieden,<br />
da es sich um eine zentrale<br />
Ideologie im rechtsextremen Denken<br />
handelt, die sowohl im schulischen als<br />
auch im außerschulischen Kontext in<br />
Erscheinung tritt.<br />
Kultur<br />
Der Begriff Kultur ist ebenfalls mit vielfältigen<br />
Erklärungen befrachtet, es<br />
bestehen zahlreiche Definitionsvorschläge.<br />
Wenn es um die Vielfalt, die<br />
Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />
menschlicher Lebensformen geht, ist<br />
es unabdingbar, sich auch mit den<br />
eigenen Vorstellungen auseinander zu<br />
setzen. Die Trainerinnen schlugen<br />
für die gemeinsame Arbeit einen »dynamischen<br />
Kulturbegriff« vor, der Kultur<br />
als ein Orientierungssystem versteht,<br />
dass einem permanenten Wandel<br />
unterliegt. Kulturen als vielfältig und<br />
veränderbar zu sehen, ermöglicht auch<br />
eine Abgrenzung zu vorschnellen<br />
Kulturalisierungen – z.B. »die Türken«.<br />
(Elverich u. a., 2006: 15)<br />
Im Fortbildungsverlauf wurde das Verständnis<br />
des Begriffs Kultur mit Hilfe<br />
der Methode des »Placemat Activity«<br />
von den Teilnehmer/ inne/n individuell<br />
be- bzw. erarbeitet:<br />
In Vierergruppen schrieb jedes Mitglied<br />
zunächst die persönlichen<br />
Vorstellungen zum Thema auf, zum<br />
Ende der Übung musste sich dann<br />
auf eine gemeinsame Begriffsdefinition<br />
geeinigt werden. Ziel dieser Übung<br />
war es, sich zum einen Gedanken zu<br />
einem gewohnten Begriff zu machen<br />
und zum anderen eine gemeinsame<br />
Begriffsklärung zu definieren und zu<br />
präsentieren. Unterschiede konnten<br />
und sollten bestehen bleiben und in<br />
einer abschließenden Auswertung<br />
thematisiert werden.<br />
Methoden und Übungen<br />
Die Reflexion der eigenen Bezüge sowie<br />
Denk- und Handlungsmuster war ein<br />
zentraler Bestandteil der drei Module.<br />
Die Übungen, die Ausgangspunkt<br />
für die praktische Arbeit mit den Schüler/inne/n<br />
waren, dienten allesamt<br />
der Sensibilisierung für offensichtliche<br />
und latente Ausgrenzungsmechanismen<br />
und der Entwicklung alternativer<br />
Umgangsweisen. Denn grundsätzlich<br />
kann jeder Mensch für solche Phänomene<br />
anfällig sein, das heißt, ausgegrenzt<br />
werden oder selbst ausgrenzen.<br />
In eigens hierfür konzipierten<br />
Übungen selbst zu erfahren, aufgrund<br />
bestimmter Kennzeichen zugeordnet<br />
zu werden, fördert die Wahrnehmung<br />
für solche allgegenwärtigen Mechanismen.<br />
Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit<br />
dafür geschärft, dass die<br />
Zuschreibungen des »Andersseins«<br />
immer in bestimmten Kontexten<br />
konstruiert werden, also nie »naturgegeben«<br />
oder essentiell sind.<br />
Durch die Übungen sollte ein Verständnis<br />
für das Entstehen von Ausgrenzungsverhalten<br />
entwickelt und seine<br />
Folgen erkannt und antizipiert werden.<br />
Sowohl für die Pädagog / inn/en<br />
und die Studierenden in der Ausbildungsgruppe<br />
als auch für die Schüler/innen<br />
wurde so die Bandbreite<br />
von Ausgrenzungsphänomenen und<br />
Diskriminierungsformen sowie die<br />
eigenen Verstrickung sichtbar.<br />
»Ich bin in dieser Fortbildung zu einer<br />
intensiven Selbstreflexion gezwungen<br />
worden. Dadurch habe ich Vorurteile<br />
in mir aufdecken und Sichtweisen<br />
überdenken können. Diese Selbstreflexion<br />
ist auch für meine spätere<br />
Lehrerrolle von besonderer Bedeutung.«<br />
(Studentin)<br />
Darüber hinaus erfuhren die Teilnehmer/innen<br />
auch einiges über Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede in<br />
der Sozialisation und den Lebenshintergründen<br />
von Menschen. Dies<br />
sollte der häufigen Reduzierung<br />
von Menschen auf ein einziges Merkmal<br />
(z.B. Herkunft oder Aussehen)<br />
und entsprechenden Zuschreibungen<br />
entgegenwirken sowie für die Vielfältigkeit<br />
von Zugehörigkeiten und<br />
Identitäten sensibilisieren.<br />
Die Spielepädagogik<br />
Grundlage für die zahlreichen Übungen<br />
waren Methoden und Prinzipien<br />
der Spielepädagogik. Langjährige<br />
Erfahrungen in der Bildungsarbeit<br />
haben gezeigt, dass gesellschaftspolitische<br />
Zusammenhänge nicht allein<br />
über sachliche Informationen erörtert<br />
werden können, ebenso wenig wie<br />
ein interkultureller Dialog nicht ausschließlich<br />
über die Wissensvermittlung<br />
hinsichtlich einer anderen oder<br />
»fremden« Gruppe initiiert werden<br />
kann. Der Bezug zu anderen Menschen<br />
und ihren Lebenssituationen bedarf<br />
eines ganzheitlichen Verständnisses,<br />
das sowohl die Reflexion der eigenen<br />
Normen, Werte und Ideen als auch<br />
die Ebene eines nachvollziehbaren<br />
Perspektivenwechsels beinhaltet. Einen<br />
Weg, zwischenmenschliche Interaktionen<br />
und gesellschaftspolitische<br />
Konflikte sowohl auf kognitiver als<br />
auch auf emotionaler Ebene erfahrbar<br />
zu machen, bietet die Spielepädagogik.<br />
»Im Freiraum des Spiels (Rollenspiele,<br />
Diskussionsspiele, Planspiele, Bewegungsspiele,<br />
Wahrnehmungsspiele)<br />
können neue Erfahrungen gemacht<br />
werden, die auf den ersten Blick losgelöst<br />
von jeder Realität mit Leben<br />
gefüllt sind, doch aber Emotionen<br />
wecken und Gedanken hervorrufen,<br />
mit denen in der gemeinsamen Reflexion<br />
und Auswertung ganz direkte<br />
und reale Bezüge zu Konflikten in<br />
unserer Gesellschaft hergestellt werden<br />
können.« (aus dem unveröffentlichten<br />
Konzept der Trainerinnen)<br />
Die Spielepädagogik ist grundsätzlich<br />
in allen Altersstufen und Gruppen<br />
einsetzbar. Voraussetzung für den<br />
Einsatz solcher Übungen ist eine fachlich<br />
kompetente Anleitung und Auswertung.<br />
Dazu gehört auch, die Übungen<br />
durch das eigene Ausprobieren<br />
Seite 13<br />
und Erfahren erlernt zu haben, und<br />
dadurch mit den ausgelösten Konsequenzen<br />
und Gefühlen vertraut zu<br />
sein.<br />
»Ich habe festgestellt, dass ich den<br />
Schülerinnen und Schülern die<br />
Übungen ganz anders vermitteln kann,<br />
wenn ich sie selbst kennen gelernt<br />
habe. Und vor allem umgekehrt: Es<br />
fällt mir viel schwerer, eine Übung<br />
anzuleiten, die ich nicht selbst ›erfahren‹<br />
habe«. (Lehrerin)<br />
Das didaktische Spiel bietet die Möglichkeit,<br />
aus gewohnten Denkbahnen<br />
auszubrechen und andere Lösungen<br />
und Verhaltensweisen auszuprobieren,<br />
so dass neue Sichtweisen<br />
und Interpretationen, aber auch<br />
Zweifel möglich sind. In einer sorgfältigen<br />
Reflexion und Auswertung der<br />
Übungen können Handlungs- und<br />
Verhaltensmuster überprüft sowie<br />
Machtstrukturen, Chancenungleichheiten<br />
und Hierarchien thematisiert
Seite 14<br />
werden. In der antirassistischen Bildungsarbeit<br />
können so Ausgrenzungs- und<br />
Diskriminierungsmechanismen in verschiedenen<br />
Zusammenhängen thematisiert<br />
werden.<br />
Die fachliche Anleitung<br />
didaktischer Spiele<br />
Wesentlich bei der Anleitung didaktischer<br />
Spiele sind vor allem die Zielsetzung<br />
und die entsprechend intensive<br />
Auswertung der Übungen. Dies<br />
geschieht stets nach folgenden Prinzipien:<br />
· Die Spieldynamik bzw. der Spielkonflikt<br />
muss noch auf der Spielebene<br />
ausgewertet werden. Die Beteiligten<br />
sprechen aus ihren Spielrollen, mit<br />
allen dazugehörenden Gedanken und<br />
Gefühlen.<br />
· Die Spiele bzw. Übungen sind eindeutig<br />
zu beenden, die Gruppe ist nach<br />
einem in der Übung entstandenen Konflikt<br />
wieder zusammenzuführen.<br />
Das heißt, der Kontakt zwischen den<br />
Gruppenmitgliedern muss wieder<br />
hergestellt werden.<br />
· Der Transfer zwischen Spielverlauf und<br />
den Arbeitsinhalten ist zu vollziehen.<br />
In diesem Schritt wird über das Spiel<br />
und die Bedeutung der erfahrenen<br />
Dynamiken geredet, nicht mehr aus<br />
den Rollen. Es geht um den Vergleich<br />
mit der Realität.<br />
In Seminaren für Multiplikator/ inn/en<br />
sind in einem weiteren Schritt die Potenziale<br />
des Spiels für die Übertragung<br />
in den Schulkontext zu reflektieren.<br />
Jede Übung wurde in der Methodenreflexion<br />
auf die Möglichkeiten und<br />
die Grenzen für den Einsatz in der<br />
Schule überprüft und sinnvolle Abwandlungen<br />
wurden erörtert.<br />
Es empfiehlt sich, mit sogenannten<br />
Warm Ups (Aufwärmspielen) eine<br />
Übung zu beginnen. Sie lockern die<br />
Situation auf, können in die Thematik<br />
einer längeren didaktischen Spielphase<br />
einführen, für Gruppenteilungen<br />
genutzt werden oder Bewegung<br />
bringen und machen ganz einfach<br />
Spaß.<br />
Ebenso wichtig ist die Zusammenführung<br />
der Gruppe nach einem intensiven<br />
Abschnitt. Auch dies wird mit<br />
eigens hierfür konzipierten Spielen,<br />
den sogenannten »Reunionspielen«,<br />
vollzogen. Es kann während intensiver<br />
Übungen zu Konflikten und Spannungen<br />
kommen. Didaktischen Spielen ist<br />
dieses Potential inne, sie provozieren<br />
es oftmals sogar, um Reflexionsprozesse<br />
zu initiieren. Anschließende Reunionspiele<br />
sind daher fester Bestandteil der<br />
Auswertungsphasen und haben das<br />
Ziel, die Gruppe wieder zu einer Einheit<br />
zusammenführen.<br />
»Man merkt, wie wichtig Teamarbeit<br />
ist und wie sehr man auf die anderen<br />
angewiesen ist. Wenn einer ausschert,<br />
gibt es Probleme.« (Schülerin)<br />
»Wie im richtigen Leben«<br />
(Baustein zur nicht-rassistischen<br />
Bildungsarbeit, 2004)<br />
Am Beispiel der Übung »Wie im richtigen<br />
Leben« wird der Auseinandersetzungsprozess<br />
mit dem Thema »Ausgrenzung«<br />
und »Diskriminierung«<br />
in einer Fortbildungsgruppe verdeutlicht.<br />
Durch diese Übung wird sichtbar,<br />
wie Diskriminierung die Entfaltungsmöglichkeiten<br />
von Menschen<br />
einschränkt. Es werden Auswirkungen<br />
von Ungleichheiten in der Lebenswirklichkeit<br />
von Menschen herausgearbeitet.<br />
Die Mitwirkenden übernahmen vorgegebene<br />
Rollen von Menschen mit<br />
unterschiedlichen kulturellen und/oder<br />
sozialen Hintergründen:<br />
· eine 18-jährige iranische Abiturientin,<br />
nicht praktizierende Muslimin, Vater<br />
Arzt, Mutter Hausfrau<br />
· eine 14-jährige deutsche Hauptschülerin<br />
mit türkischem Hintergrund,<br />
traditionell muslimisch, Eltern AlG II<br />
Empfänger/innen<br />
· ein 16-jähriger weißer deutscher<br />
Gymnasiast, evangelisch, Sohn eines<br />
Lehrerehepaares<br />
· ein 17-jähriger schwarzer deutscher<br />
Gesamtschüler, religionslos, Eltern<br />
Facharbeiter/in<br />
· ein 15-jähriger Hauptschüler, katholisch,<br />
Sohn eines togolesischen<br />
Lehrers, Flüchtling im Asylverfahren<br />
· eine 17-jährige weiße polnische Gesamtschülerin,<br />
katholisch, Vater<br />
Unternehmer, Mutter Altenpflegerin<br />
Im Verlauf der Übung entschieden (nur)<br />
die positiven Antworten auf folgende<br />
Fragen, ob sich die einzelnen Personen<br />
in einem im Raum definierten Raster<br />
vorwärts bewegen können:<br />
Kannst du in Berlin/Potsdam …<br />
· … bei einem Diskobesuch damit rechnen,<br />
ohne Probleme eingelassen zu<br />
werden?<br />
· … dich nach Einbruch der Dunkelheit<br />
auf der Straße sicher fühlen?<br />
· … bei der nächsten Kommunalwahl<br />
wählen?<br />
· … damit rechnen, einen Ferienjob als<br />
Aushilfe im Supermarkt zu bekommen?<br />
· … davon ausgehen, dass dich BGS-<br />
Beamte im Zug nicht kontrollieren<br />
werden?<br />
· … ohne Probleme an einer<br />
Klassenfahrt nach London teilnehmen?<br />
· … damit rechnen, am Flughafen<br />
zügig abgefertigt zu werden?<br />
Am Ende der Übung wurde durch die<br />
Positionierung im Raum sehr deutlich,<br />
welche Chancen oder auch Einschränkungen<br />
für die jeweilige Rolle<br />
bestanden. Die Beurteilungen der<br />
Teilnehmer/innen zeigen die dem Spiel<br />
eigene Dynamik:<br />
· »Mit schwarzer Hautfarbe befinde ich<br />
mich stets auf einer Gratwanderung.<br />
Zuerst dachte ich, das und das kann<br />
ich ja, aber dann fiel mir ein, ›ich bin<br />
ja schwarz‹.«<br />
· »Ich bin weiß und habe einen deutschen<br />
Pass, es war schnell klar,<br />
dass ich damit leicht überall durch<br />
und hin komme.«<br />
· »Als weißer deutscher Mittelschichtsschüler<br />
habe ich ein schlechtes Gewissen,<br />
jede Frage mit ›ja‹ beantworten<br />
zu können, und schäme mich<br />
dafür.«<br />
Nach der Übertragung auf die eigene<br />
Lebenssituation »im richtigen Leben«<br />
der Teilnehmerinnen verdeutlichen die<br />
Äußerungen der Teilnehmer/innen<br />
sowohl die Sensibilisierung für Ausgrenzungsmechanismen<br />
und Diskriminierungen<br />
als auch die Überraschung<br />
über die bisher so nicht wahrgenommene<br />
Selbstverständlichkeit von<br />
Privilegien:<br />
· »Es gibt Privilegien, die ich ganz<br />
selbstverständlich habe, die mir aber<br />
nicht dauernd bewusst sind, z.B.<br />
deutsch zu sein oder weiße Hautfarbe<br />
zu haben.«<br />
· »Als weißer deutscher Mann aus der<br />
Mittelschicht repräsentiere ich die<br />
Machthabenden in der Gesellschaft.<br />
Das macht die Notwendigkeit des<br />
Perspektivenwechsels deutlich, um<br />
Achtung und Respekt für andere<br />
zu behalten.«<br />
· »Für die Privilegien, die ich habe, schäme<br />
ich mich oft, so z.B., dass ich<br />
Beamtin bin. Das halte ich in der Öffentlichkeit<br />
oft zurück.«<br />
· »Ich bin in diesem Seminar dafür sensibilisiert<br />
worden, mich öfters in andere<br />
Menschen hinein zu versetzen. Das<br />
möchte ich gerne an die Schüler und<br />
Schülerinnen weitergeben.«<br />
Zum Abschluss wurde die Anwendung<br />
dieser Methode im Schulunterricht<br />
diskutiert. Die Gruppe war sich einig,<br />
dass die Fragen sensibel für die jeweilige<br />
Zielgruppe zugeschnitten sein<br />
müssen und besondere Empathie<br />
beim Einsatz dieser Übung gefragt ist.<br />
Dies insbesondere dann, wenn bereits<br />
Erfahrungen von Benachteiligungen<br />
oder Ausgrenzungsphänomene<br />
im Klassenverband bekannt sind.
Übertragung des Konzeptes in die Schule<br />
Mit beispielhaftem Engagement haben<br />
die Teilnehmer/innen der Fortbildungsgruppen<br />
ihre Unterrichtseinheiten entwickelt<br />
und umgesetzt. Die Projekte<br />
wurden mit unterschiedlichen Zeitabläufen<br />
in den Schulen durchgeführt und<br />
besonders im zweiten Jahr intensiv von<br />
den Trainerinnen begleitet.<br />
Zu Beginn jeder Projektarbeit wurden<br />
die Schüler/innen in das Thema<br />
»Antidiskriminierung und Demokratisches<br />
Handeln« eingeführt. Thematisiert<br />
und be- bzw. erarbeitet werden<br />
sollten:<br />
· Vorurteile und Diskriminierungen in<br />
der Gesellschaft<br />
· Eigene Erfahrungen im Umgang mit<br />
Diskriminierungen<br />
· Funktionen von Vorurteilen und<br />
Diskriminierungen<br />
· Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
· Auseinandersetzung mit eigenen<br />
Vorurteilen<br />
· Gruppendynamische Prozesse und<br />
Ausgrenzungssituationen<br />
Anhand einiger exemplarischer Übungen<br />
und von Ausschnitten aus den<br />
Projektphasen wird hier das Potential<br />
der Methoden und die Stärken des<br />
Konzeptes für die Antidiskriminierungsarbeit<br />
in Schulen verdeutlicht. Die<br />
zitierten Äußerungen stammen<br />
überwiegend von 13- bis 15-jährigen<br />
Schülerinnen und Schülern.<br />
»Auf und Ab«<br />
(Baustein zur nicht-rassistischen<br />
Bildungsarbeit, 2004)<br />
Die Übung »Auf und Ab« wird in der<br />
Regel als Einstieg in das Thema durchgeführt.<br />
Sie dient dazu, Gruppenzugehörigkeiten<br />
festzustellen. Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede können<br />
erkannt oder auch neu »entdeckt«<br />
werden.<br />
Die Spielleitung bittet die Gruppenmitglieder,<br />
bei Beantwortung einer Frage<br />
mit »ja« aufzustehen und in die Mitte<br />
eines Stuhlkreises zu gehen. Das<br />
Aufstehen ist freiwillig, mit weitergehenden<br />
Fragen werden einzelne<br />
Themenbereiche vertieft. Die Fragen<br />
sollten an die jeweilige Gruppe angepasst<br />
werden. Es können Zugehörigkeiten<br />
aus unterschiedlichsten<br />
Lebensbereichen angesprochen werden<br />
(Familie, Staatsbürgerschaft,<br />
Sprache, Körper, Vorlieben, Religion,<br />
Status, ausländische Freunde, Geschlecht,<br />
Behinderungen etc.). Je nach<br />
Auseinandersetzungs- und Reflexionsstand<br />
einer Gruppe können in diesem<br />
Spiel auch sensiblere Fragen (z.B.<br />
nach Ausgrenzungserfahrungen) oder<br />
so genannte »versteckte Identitäten«<br />
(allein erziehende oder geschiedene<br />
Eltern, Halbgeschwister oder Alkoholabhängigkeit<br />
in der Familie) behandelt<br />
werden.<br />
Seite 17<br />
Die Teilnehmer/innen<br />
· erfahren etwas über die Ähnlichkeiten<br />
und Unterschiede zwischen<br />
Menschen.<br />
· bekommen Klarheit darüber, dass Identität<br />
sich nicht an einem einzelnen<br />
Merkmal festmachen lässt, geschweige<br />
denn auf Herkunft oder Nationalität<br />
reduziert werden kann, sondern<br />
dass der gesamter Lebenshintergrund<br />
und die jeweils individuelle und von<br />
vielen unterschiedlichen Aspekten<br />
geprägte Geschichte einen Menschen<br />
ausmacht.<br />
· werden in den Begriff »Gruppenzugehörigkeit«<br />
eingeführt und klären,dass<br />
alle Menschen mehreren Gruppen angehören.<br />
· Außerdem lernen sich die Teilnehmer/innen<br />
noch einmal auf eine<br />
besondere Art kennen bzw. erfahren<br />
Dinge, die bisher noch kein Thema<br />
waren. (aus dem Konzept der Trainerinnen)<br />
»Wir haben über einige Mitschüler<br />
etwas erfahren, was wir bisher<br />
noch nicht wussten, und das verbindet<br />
ja auch.« (Schülerin)
Seite 18 Seite 19<br />
Eine im Anschluss an die Übung stattgefundene<br />
intensive Diskussion in<br />
einer Projektgruppe zeigte das besondere<br />
Potential didaktischer Spiele.<br />
Von der Auseinandersetzung über Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede<br />
ausgehend, über die Überraschung,<br />
noch viel Neues über die Klassenkamerad/inn/en<br />
erfahren zu haben,<br />
endete die Diskussion bei individuellen<br />
Erfahrungen von Allein- oder<br />
Ausgegrenzt sein. An dieser Stelle wurden<br />
beiden Perspektiven – ausgegrenzt<br />
zu werden bzw. auszugrenzen – intensiv<br />
und beeindruckend erörtert und<br />
von der persönlichen auch auf die gesellschaftliche<br />
Ebene übertragen.<br />
· »Ich habe oft Mitleid mit denen, die<br />
ausgeschlossen sind.«<br />
· »Es ist schon schlimm, wenn man bei<br />
einer Frage allein im Kreis steht.«<br />
· »Oft merkt man gar nicht, dass man<br />
ausgrenzt, weil es in der Gruppe<br />
passiert und alle sich so verhalten.«<br />
· »Manchmal grenzt man aus, um<br />
selber dazu zu gehören.«<br />
· »Man schämt sich, vor anderen zuzugeben,<br />
dass man ausgrenzt.«<br />
· »Man macht vielleicht etwas ausländerfeindliches<br />
und will es eigentlich<br />
gar nicht. Manchmal merkt man<br />
es gar nicht mehr, wenn man etwas<br />
ausländerfeindliches sagt.«<br />
· »Man sieht, dass viele Freunde haben,<br />
die Ausländer sind und gleichzeitig<br />
weiß man, was sie an anderer Stelle<br />
über Ausländer denken.«<br />
· »Bestimmte Hintergedanken (z.B. ›Polen<br />
klauen‹) bekommt man schon von<br />
klein auf mit (z.B. durch die Medien) –<br />
rassistische Hintergedanken sind im<br />
Hintergrund da, selbst wenn man ausländische<br />
Freunde hat.«<br />
· »Das ›N-Wort‹ kann einem schon mal<br />
´rausrutschen – ist mir auch schon<br />
passiert – in <strong>Gegen</strong>wart eines Schwarzen.<br />
Das war mir peinlich.«<br />
· »Wenn Türken in der S-Bahn Radau<br />
machen, sind ja nicht alle Türken<br />
so – es gibt solche und solche, wie<br />
bei uns eben auch.«<br />
· »Es gibt kein Land mit unserer Vorgeschichte.<br />
Wir haben uns seit zwei Jahren<br />
hier in der Schule mit dem Thema befasst.<br />
Obwohl wir gar nichts damit<br />
zu tun haben, ist es im Hintergrund<br />
immer da. Man steht immer unter<br />
Druck, etwas Falsches zu sagen.«<br />
· »Deutsche werden im Ausland immer<br />
noch als rassistisch angesehen.«<br />
· »Es ist ein Unterschied, ob es um eine<br />
›kleinere‹ oder ›größere‹ Ausgrenzung<br />
geht, z.B. Ausgrenzung im Freundeskreis<br />
oder ob ein ganzes Land ausgegrenzt<br />
wird.«<br />
· »Wo beginnt Ausgrenzung eigentlich?«<br />
Im Anschluss an eine intensive Diskussion<br />
sollten die Schüler/ innen<br />
den folgenden Satz für sich auf Einzelkarten<br />
vollenden:<br />
»Unter Ausgrenzung verstehe ich …«<br />
»… jemanden wegen einer bestimmten Position, Herkunft,<br />
Meinung, Haltung auszustoßen!«<br />
»… dass man jemanden nicht so akzeptiert, wie er ist, und<br />
ihn vielleicht sogar wegen seinen Klamotten oder<br />
seinem Aussehen auslacht oder bewertet, obwohl man<br />
ihn vielleicht nicht kennt.«<br />
»… wenn man jemanden nur wegen Äußerlichkeiten oder<br />
anderen Merkmalen, die anders sind als die eigenen, ausschließt.«<br />
»… dass man einen Menschen absichtlich oder unabsichtlich<br />
ignoriert oder wegen seiner Kultur oder seinem<br />
Aussehen aus der Gruppe oder Gemeinschaft ausschließt.«<br />
»… dass man von anderen gehänselt, gemobbt und ausgeschlossen<br />
wird! Dass man keine Freunde hat!«<br />
»… wenn man wegen seiner Kultur, Äußerlichkeiten und<br />
wegen begangenen Fehlern ausgeschlossen und gehasst<br />
wird!«
Seite 20 Seite 21<br />
Anhand der auf Seite 19 aufgeführten<br />
Aussagen wurden im Anschluss unterschiedliche<br />
Formen der Ausgrenzung<br />
thematisiert. So wurde festgestellt, dass<br />
oftmals nur einzelne Aspekte einer<br />
Person wahrgenommen werden und<br />
dass es oftmals Äußerlichkeiten sind,<br />
nach denen zugeordnet wird:<br />
· »Es ist ein Unterschied, ob man<br />
wegen seiner Klamotten oder seiner<br />
Hautfarbe ausgegrenzt wird.«<br />
· »Wenn jemand eine andere Hautfarbe<br />
hat, heißt das noch gar nichts. Ich<br />
bin ja selbst halbe Ausländerin, wenn<br />
jemand mich aber nur deshalb beurteilen<br />
würde.«<br />
· »Menschen mir schwarzer Hautfarbe<br />
müssen befürchten zusammen geschlagen<br />
zu werden, wenn sie sich<br />
abends an den falschen Plätzen aufhalten.«<br />
· »Aber es ist auch schlimm, wenn<br />
man nicht genug Geld für Klamotten<br />
hat und dann ausgegrenzt wird.«<br />
Es wurde den Schüler/inne/n deutlich,<br />
dass verschiedene Formen der Ausgrenzung<br />
berücksichtigt werden müssen,<br />
die von den jeweiligen Menschen<br />
sehr unterschiedlich erlebt werden.<br />
Gleichzeitig wurden Diskriminierungsmechanismen<br />
genannt, die Gruppen<br />
von Menschen benachteiligen. Es wurde<br />
erkannt, dass Ausgrenzung und Diskriminierung<br />
höchst unterschiedliche<br />
Ebenen und Facetten beinhalten.<br />
»In and Out«<br />
(Baustein zur nicht-rassistischen<br />
Bildungsarbeit, 2004)<br />
Diese Übung war auf die unterschiedlichen<br />
Formen von Diskriminierung<br />
fokussiert. »Draußen zu stehen« oder<br />
»dazu zu gehören« sollte in dieser<br />
Übung nicht nur sy<strong>mb</strong>olisch erfahren<br />
werden, um anschließend eine Diskussion<br />
über Zugehörigkeiten und Ausgrenzungen<br />
anzuregen.<br />
Für dieses Spiel wurden zwei selbstbewusste<br />
Schülerinnen ausgewählt,<br />
die den Raum verließen. Die anderen<br />
Schüler/innen bildeten drei Gruppen<br />
von 3–5 Personen, die verschiedene<br />
Rollenanweisungen und die<br />
Aufgabe erhielten, neu Hinzukommende<br />
nicht in die Gruppen aufzunehmen:<br />
Gruppe 1: Die Gruppe sollte einen<br />
Code vereinbaren (z.B. sich zu räuspern),<br />
der von den Außenstehenden<br />
erkannt und imitiert werden muss,<br />
um in die Gruppe aufgenommen zu<br />
werden.<br />
Gruppe 2: Die Gruppe sollte cool und<br />
abweisend sein, wenn jemand auf sie<br />
zukommt.<br />
Gruppe 3: Die Gruppe sollte auseinander<br />
gehen und sich in einer anderen<br />
Ecke des Raumes wieder finden,<br />
wenn sich eine neue Person nähert.<br />
Den beiden Schülerinnen außerhalb<br />
des Gruppenraumes wurde erklärt,<br />
dass sie nun nacheinander zurück in<br />
den Raum gehen und versuchen<br />
sollten, in eine der Gruppen aufgenommen<br />
zu werden.<br />
Nach einer ausgiebigen Spielphase<br />
wurde mit gezielten Fragen nach<br />
der Befindlichkeit der beiden Protagonistinnen<br />
und einzelner Gruppenmitglieder<br />
das Spiel ausgewertet.<br />
Die Strategien der Abweisung und<br />
die Versuche der Aufnahme wurden<br />
diskutiert.<br />
Äußerungen der ausgegrenzten<br />
Schülerinnen:<br />
· »Ich habe mich ganz schön einsam<br />
gefühlt. Die Gruppen gehörten so<br />
fest zusammen, ich hatte Angst, auf<br />
eine Gruppe zuzugehen.«<br />
· »Man kommt sich sehr verloren vor,<br />
wenn man so alleine da steht und alle<br />
starren einen an.«<br />
· »Die kannten mich noch gar nicht<br />
und haben sich doch gleich ein Urteil<br />
über mich gebildet. Das hat mich<br />
traurig gemacht.«<br />
· »Am Anfang hatte ich Angst: Was<br />
mache ich jetzt, finde ich hier überhaupt<br />
neue Freunde?«
Seite 22<br />
Äußerungen der<br />
Gruppenmitglieder:<br />
· »Man hat sich in der Gruppe sehr<br />
mächtig gefühlt. Zu sehen, dass einer<br />
da Respekt vor einem hat.«<br />
· »Ich habe mich in der Gruppe gut gefühlt,<br />
die anderen standen hinter<br />
einem, da bist du nicht alleine. Ich hatte<br />
kein Mitleid, weil ich weiß, dass ich<br />
im richtigen Leben nicht so bin.«<br />
· »Ich dachte: ›Was willst Du denn, ich<br />
bin was Besseres.‹ Es hat mir Spaß<br />
gemacht, das mal auszunutzen, dass<br />
ich das mal so spielen kann.«<br />
· »Ich hatte zwar auch Spaß, aber ich<br />
hatte auch immer den Hintergedanken:<br />
›Wenn ich jetzt da stehen würde.‹<br />
Ich war froh, dass ich nicht an der Stelle<br />
war.«<br />
· »Ich fand es toll, Gruppenfreunde zu<br />
haben, die hinter einem stehen. Aber<br />
ich dachte auch: ›Scheiße, Du kennst<br />
das doch, wie es wirklich ist‹.«<br />
Die Spielleitung hinterfragte ebenfalls,<br />
was einzelne Gruppen oder deren<br />
Mitglieder daran gehindert habe, sich<br />
dem Auftrag zu widersetzen:<br />
· »Das, was auf dem Zettel stand, war<br />
doch unser ›Ruf‹. Hätten wir uns dem<br />
denn widersetzen dürfen?«<br />
· »Wir wollten das ja, aber … wir mussten<br />
doch tun, was uns gesagt wurde,<br />
oder?«<br />
Die Frage »Kann man sich nicht jedem<br />
Auftrag widersetzen?« thematisierte<br />
im Anschluss die Problematik des<br />
vorauseilenden Gehorsams, seiner<br />
Konsequenzen und der potentiellen<br />
Möglichkeit, sich einem Gruppendruck<br />
zu entziehen.<br />
Nach jeder Phase des Spiels ist es wichtig,<br />
den Wechsel zur Realität(sebene)<br />
vorzunehmen. So wurde die Frage der<br />
Ausgrenzung in jedem Projekt auf<br />
real erlebte Situationen und auf weitergehende<br />
Formen der Diskriminierung<br />
übertragen:<br />
· »Zum Beispiel die Juden damals, die<br />
wurden von den Nazis ausgegrenzt …«<br />
· »Meine Freunde, die Ausländer sind,<br />
können abends nicht an bestimmte<br />
Plätze in der Stadt gehen.«<br />
· »Wenn man Angst hat alleine da zu<br />
stehen, dann schließt man sich einer<br />
Mehrheit an, Ich habe mich ja eben<br />
auch der Gruppe angeschlossen.«<br />
· »Aber wir wollen ja heute zum<br />
Beispiel auch die Nazis ausgrenzen,<br />
wir wollen die ja nicht mehr.«<br />
· Schülerin 1: »Zum Beispiel die Obdachlosen,<br />
die sind wirklich im Elend<br />
gelandet und viele Leute finden die<br />
ekelig, aber die sind echt schlecht<br />
dran und haben kaum Geld.«<br />
· Schülerin 2: »Das sind aber immer<br />
die, die sich in der Schule nicht<br />
gekümmert haben«<br />
· Schülerin 1: (reagiert heftig): »Das<br />
stimmt so überhaupt nicht, viele<br />
von denen sind wirklich im Elend gelandet.«<br />
· »Die Ossi-Wessi-Abgrenzung ist zum<br />
Beispiel total dumm. In unserem<br />
Alter kann man das doch überhaupt<br />
nicht mehr sagen. Als ich geboren<br />
wurde, da stand die Mauer nicht mehr.<br />
Ich bin im ehemaligen Westberlin<br />
geboren, aber in Potsdam aufgewachsen.<br />
Die Erwachsenen sind die, die<br />
immer von Ossis und Wessis reden.«<br />
»Forum Theater«<br />
In einer weiteren Übung wurde mit<br />
Hilfe der Methode des »Forum<br />
Theaters«, die auf den Theaterpädagogen<br />
Augusto Boal zurückgeht,<br />
der Umgang mit schwierigen Situationen<br />
erprobt. Ausgangspunkt bildeten<br />
real erlebte, konfliktbeladene<br />
Seite 23
Seite 24<br />
Situationen der Schüler/innen, die<br />
in Kleingruppen inszeniert und der<br />
Gesamtgruppe vorgespielt wurden.<br />
In wiederholten Durchgängen dieser<br />
Szenen konnten die zuschauenden<br />
Schüler/innen in den Spielverlauf<br />
verändernd eingreifen und verschiedene<br />
Lösungsvariationen für schwierige<br />
Situationen (vor)spielen. Es konnten<br />
Rollen übernommen oder neue<br />
hinzugefügt werden. So entstand ein<br />
breites Repertoire an Handlungsmöglichkeiten,<br />
das oftmals unerwartete<br />
Lösungsideen bot. Wichtig<br />
war, dass es dabei keine »richtigen«<br />
oder »falschen« Lösungsvorschläge<br />
gab, sondern ein Dialog zwischen<br />
»Betroffenen« und dem Publikum<br />
entstand, der unterschiedliche Verhaltensweisen<br />
ermöglichte.<br />
Die Strategien und Erfahrungen der<br />
jeweiligen Interventionen wurden gesammelt<br />
und festgehalten:<br />
· Solidarisierung mit anderen<br />
· Unterstützung durch eine dritte<br />
Person schafft Sicherheit<br />
· Ablenkung durch Dritte<br />
· Verunsicherung des/der Ausgrenzenden<br />
· Vermittlung durch Dritte<br />
· Das Opfer wird aktiv<br />
· Schlichten<br />
· Zweifel äußern<br />
· Sich dem Gruppenzwang widersetzen<br />
· Helfen<br />
· Das Gespräch suchen<br />
· Schnell eingreifen<br />
· Position beziehen<br />
· Selbst entscheiden<br />
· Sich mit Ausgegrenzten solidarisieren<br />
· Versuchen, beide Positionen zu verstehen.<br />
Der Rollenwechsel im Forum Theater<br />
garantierte die Identifikation mit<br />
beiden Seiten. Die unterschiedlichen<br />
Perspektiven ermöglichten die Reflexion<br />
und Analyse von Hierarchien<br />
und Machtpositionen. In der anschließenden<br />
Auswertung wurde sowohl<br />
über das der Ausgrenzung<br />
innewohnende Machtgefühl diskutiert,<br />
als auch über die Gefühle,<br />
ausgeschlossen zu werden, und die<br />
Erleichterung, wenn jemand zur<br />
Hilfe kommt.<br />
Den gelungenen Abschluss der<br />
Projektphasen bot das »Zukunftspuzzle«.<br />
Alle Schüler/innen sollten den Ausschnitt<br />
eines großen Puzzles mit<br />
ihrer Antwort auf die Frage beschriften<br />
»Was nehme ich mir für ähnliche<br />
Situationen in der Zukunft vor?«<br />
Folgende Antworten verdeutlichen den<br />
hohen Reflexionsstand der Schüler/innen<br />
nach einer Unterrichtseinheit zum<br />
Thema Ausgrenzung und Diskriminierung:<br />
»Was nehme ich mir für ähnliche<br />
Situationen in der Zukunft vor?«<br />
· … Meine Meinung vertreten/Position<br />
beziehen<br />
· … Man sollte Menschen so akzeptieren,<br />
wie sie sind. Jeder Mensch ist<br />
einzigartig. Man sollte sich immer<br />
treu bleiben und versuchen, anderen<br />
zu helfen.<br />
· … Ich nehme mir vor, in Zukunft einzugreifen<br />
· … Die Betroffenen erst mal richtig<br />
kennen zu lernen<br />
· … Nicht zugucken, sondern selbst<br />
handeln<br />
· … Den Mund auf machen<br />
· … Einschreiten, wenn jemand ausgegrenzt<br />
wird<br />
· … Gemeinsam Lösungen finden mit<br />
allen Beteiligten<br />
· … Beide Parteien verstehen<br />
· … Leute aufmerksam machen<br />
· … Erst überlegen, dann reden<br />
· … Mobbingopfern helfen<br />
· … Sich Verstärkung holen<br />
Die abschließenden Aussagen der Schüler/innen<br />
zum Ende einer Praxisphase zeigen den Erfolg des<br />
Gesamtprojekts:<br />
»Die Rollenspiele helfen, sich in Zukunft vielleicht anders<br />
zu verhalten.«<br />
»Man hat die Erfahrung gemacht, wie man sich auf<br />
beiden Seiten fühlt, auszugrenzen und ausgegrenzt zu<br />
werden.«<br />
»Man hat durch die Rollenspiele gelernt, dass man auch<br />
in Streitereien eingreifen kann.«<br />
»Es war eine gute Erfahrung einzugreifen, als jemand<br />
ausgegrenzt wurde. Im Spiel habe ich dann gedacht:<br />
Hätte ich das früher im wirklichen Leben in einer ähnlichen<br />
Situation doch auch schon mal gemacht.«<br />
Seite 25
Ausblick und Perspektiven<br />
»Das war die mit Abstand produktivste<br />
Fortbildung, die ich in 26 Jahren<br />
Schulpraxis mitgemacht habe.« (Lehrer)<br />
Zahlreiche Rückmeldungen aus beiden<br />
Fortbildungsgruppen bestätigten die<br />
Annahme, dass angehende Lehrer/innen,<br />
aber auch bereits in der Praxis<br />
tätige Pädagog/inn/en oftmals hilflos<br />
und überfordert sozialen und eskalierenden<br />
Konflikten im Schulalltag<br />
gegenüberstehen. Das Bedürfnis der<br />
Teilnehmer/innen nach angemessenem<br />
Handwerkszeug für den Unterricht,<br />
aber auch nach Möglichkeiten der kontinuierlichen<br />
Reflexion des pädagogischen<br />
Handelns wurde deutlich geäußert.<br />
Die Erfahrungen im Verlauf der Fortbildung<br />
zeigten, dass ein adäquates<br />
Reagieren auf extremes Verhalten von<br />
Schüler/inne/n mit der eigenen Auseinandersetzung<br />
über gesellschaftliche<br />
Strukturen, Schulbedingungen und<br />
Alltagsdiskurse beginnt. Nicht Standardrezepte<br />
zu ausgrenzendem und dis-<br />
kriminierendem Verhalten bringen<br />
Lösungen, sondern eine ständige<br />
Reflexion von Werten, Ideen und Verhalten.<br />
Erst dann ist ein Repertoire<br />
an Methoden ein nützliches und einsetzbares<br />
Instrument, um gemeinsam<br />
mit Schüler/inne/n veränderte Verhaltensweisen<br />
auszuprobieren und<br />
zu überprüfen.<br />
Kontinuität und Nachhaltigkeit<br />
Die positiven Erfahrungen aus beiden<br />
Fortbildungsgruppen verdeutlichen<br />
aber vor allem auch, dass Antidiskriminierungs-<br />
und Antirassismusarbeit<br />
in der Schule nicht auf einmalige Projekte<br />
reduziert werden darf, sondern<br />
der permanenten Verankerung in den<br />
Schulalltag und Lehrplan bedarf. Alle<br />
Beteiligten thematisierten wiederholt<br />
die Notwendigkeit einer dauerhaften<br />
Einbindung. Auch eine Beschränkung<br />
von Antidiskriminierungs- und Antirassismusarbeit<br />
auf bestimmte Schulfächer<br />
wurde problematisiert.<br />
»In meinen Augen ist es nicht sinnvoll,<br />
Antirassismusarbeit in der Schule<br />
auf ein Unterrichtsfach zu beschränken.<br />
Sie muss als kontinuierliches,<br />
selbstverständliches Element eines jeden<br />
Unterrichts, also als Querschnittsaufgabe,<br />
Eingang finden. Es ist nicht<br />
sinnvoll, Projekttage oder -wochen<br />
durchzuführen und sich dann den Rest<br />
des Jahres nicht mehr damit zu beschäftigen.<br />
Als Beispiel dafür möchte<br />
Seite 27<br />
ich das Auftreten eines offensichtlich<br />
rassistischen Vorfalls im Sportunterricht<br />
nennen. Wann sollte dieser besprochen<br />
werden? Eine Woche später<br />
im Sozialkundeunterricht? Nein, er muss<br />
genau dann, wenn er auftritt, behandelt<br />
werden, im entsprechenden<br />
Fach!« (Student)<br />
Es ist wünschenswert und notwendig,<br />
weitere Lehrkräfte fortzubilden,<br />
um derartige Ansätze zu etablieren.<br />
Ansonsten ist zu befürchten, dass<br />
eine einmalige Durchführung von Antidiskriminierungsprojekten<br />
wichtige<br />
Anstöße gibt, aber keine nachhaltige<br />
Wirkung hat.<br />
Für eine dauerhafte Verankerung in<br />
den Schulalltag ist die Einbettung<br />
politischer Bildungsarbeit in die bestehenden<br />
Strukturen des Lehramtsstudiums<br />
gleichermaßen unerlässlich.<br />
Durch eine Eingliederung in das<br />
Studienangebot werden nicht nur
Seite 28<br />
einzelne engagierte Student/inn/en<br />
gefördert, sondern auch inhaltliche<br />
und strukturelle Defizite der derzeitigen<br />
Lehrerausbildung ausgeglichen.<br />
»Das Thema taucht einfach immer<br />
wieder auf, nicht nur in Konfliktsituationen<br />
zwischen Kindern. Es ist<br />
wichtig, dass Lehrende darauf adäquat<br />
reagieren können.« (Lehrerin)<br />
»Auf jeden Fall sollten Fortbildungen<br />
wie diese in das reguläre Curriculum<br />
der Lehrer/innen-Ausbildung aufgenommen<br />
werden, weil dieses Thema eine<br />
besondere Bedeutung hat bei der<br />
Erziehung der Schüler zu demokratischen<br />
Bürgern.« (Studentin)<br />
Theorie und Praxis<br />
Aufbau und die Struktur der Fortbildung<br />
entsprachen dem geäußerten Bedarf<br />
der Teilnehmer/ innen. Die Verbindung<br />
von theoretischen Grundlagen, erfahrungsorientierter<br />
Selbstreflexion und<br />
praxisorientierten Methoden bot eine<br />
solide Basis für eine Erweiterung pädagogischer<br />
Handlungskompetenz.<br />
Die theoretischen und didaktischen<br />
Grundlagen ermöglichten den Teilnehmer/inne/n,<br />
Übungen im Sinne der<br />
eigenen Zielsetzungen bedarfs- und<br />
zielgruppengerecht zu entwickeln<br />
und an die jeweilige Schulsituation<br />
anzupassen.<br />
Die Zusammenarbeit zwischen erfahrenen<br />
Pädagog/inn/en und Studierenden,<br />
die mit der schulischen Realität<br />
noch wenig vertraut sind, hat sich<br />
als gewinnbringend für beide Seiten<br />
erwiesen. Die Studierenden profitieren<br />
von den langjährigen Erfahrungen<br />
der Pädagog/inn/en, während<br />
die Erzieher/innen, Lehrer/innen und<br />
Sozialpädagog/inn/en neue phantasievolle<br />
Anregungen und konstruktive<br />
Ideen von den Studierenden erhielten.<br />
»Beide Gruppen konnten unheimlich<br />
viel von einander lernen. Oft gab<br />
es zwei unterschiedliche Herangehensweisen,<br />
die nur schwer unter einen<br />
Hut zu bringen waren. Dies war aber<br />
nicht nur ein Nachteil, sondern auch<br />
ein Vorteil, weil einem anhand dieses<br />
Seite 29<br />
Prozesses die unterschiedlichen Denkweisen<br />
vor Augen geführt wurden<br />
und dies eine unheimlich wichtige<br />
und gute Erfahrung war.« (Studentin)<br />
»In der Gruppe waren beide Seiten<br />
gleichberechtigt und brachten ihre<br />
jeweiligen Stärken ein. Der manchmal<br />
übermäßige Enthusiasmus der Studenten<br />
und die Erfahrung der Lehrer<br />
ergaben eine wunderbare Basis<br />
zur gemeinsamen Entwicklung der<br />
Schulprojektkonzepte.« (Student)
Seite 30<br />
Die intensive Auseinandersetzung der<br />
Teilnehmer/innen mit dem Fortbildungsgegenstand<br />
und die Reflexion<br />
der eigenen Einstellungen und Haltungen<br />
hat das Konzept des Projektes<br />
bestätigt, dass neben theoretischen,<br />
didaktischen und methodischen Zugängen<br />
gerade die selbst reflektierende<br />
Arbeit eine erfolgreiche Umsetzung<br />
von Antidiskriminierungsprojekten im<br />
schulischen Kontext garantiert.<br />
Resümee<br />
Gerade Fortbildungen wie das Projekt<br />
»Antidiskriminierungsarbeit in der<br />
Schule« beinhalten breite Potenziale<br />
für eine demokratiefördernde Jugendpolitik.<br />
Sie dürfen angesichts der aktuellen<br />
Debatte über Rechtsextremismus<br />
und Rassismus nicht unterschätzt werden.<br />
Wenn wir heute zur Kenntnis nehmen<br />
müssen, dass rechtsextremistisches<br />
Denken und Handel bis in die Mitte<br />
der Gesellschaft reichen, zeigen die<br />
Ergebnisse des hier vorgestellten<br />
Fortbildungsprojektes, dass ebenfalls<br />
in der Mitte der Gesellschaft auch<br />
das Potenzial für demokratisches und<br />
tolerantes Verhalten nachwächst<br />
und gleichermaßen das für eine Kultur<br />
des Widerspruchs gegen antidemokratische<br />
Tendenzen.<br />
»Ich bin fast geneigt, die Fortbildung<br />
auf eine Höhe mit der fachlichen und<br />
der praktischen Ausbildung des Pädagogikstudiums<br />
zu heben. Mit den<br />
praktischen Erfahrungen, die ich hier<br />
gesammelt und den theoretischen<br />
Ansätzen, die ich hier gelernt habe, kann<br />
kein einzelner Universitätskurs mithalten.<br />
Trotz allen Stresses, jedes Mal,<br />
wenn ich innehalte und darüber nachdenke,<br />
freue ich mich über die Entscheidung,<br />
an diesem Seminar teilgenommen<br />
zu haben.« (Student)<br />
Die erfolgreiche Fortbildung verdeutlicht,<br />
dass Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule auf eine reflektierende<br />
und auch kreative Art und Weise<br />
Schüler/ innen unterschiedlicher Schultypen<br />
ebenso wie Pädagog/inn/en<br />
befähigen, tolerantes und demokratisches<br />
Handeln umzusetzen und<br />
Ausgrenzung, Diskriminierung und<br />
Rassismus entgegen zu treten.
Seite 32<br />
Impressum und Literaturliste<br />
Impressum:<br />
Herausgegeben von<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> –<br />
Für Demokratie e.V.<br />
Text: Birgit Luig<br />
Projektleitung: Martin Ziegenhagen<br />
V.i.S.d.P.: Dr. Andreas Eberhardt<br />
Fotos: Mario Hermann, Tobias<br />
Kleinod, Dorothea Schütze<br />
Layout: BÜRO WEISS, Christoph<br />
Bebermeier, Berlin<br />
Druck: B&W Media-Service G<strong>mb</strong>H,<br />
Essen<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>Vergessen</strong> –<br />
Für Demokratie e. V.<br />
Stauffenbergstraße 13–14<br />
10785 Berlin<br />
Telefon 030 263978-3<br />
Telefax 030 263978-40<br />
info@gegen-vergessen.de<br />
www.gegen-vergessen.de<br />
Sparkasse Bonn,<br />
Konto 85 51 707<br />
BLZ 370 501 98<br />
Berlin 2006<br />
Das Projekt »Antidiskriminierungsarbeit<br />
in der Schule« wurde unterstützt<br />
von<br />
Literaturliste:<br />
Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend<br />
Leitlinien zur Umsetzung des<br />
Programms »entimon – gemeinsam<br />
gegen Gewalt und Rechtsextremismus«<br />
– für das Jahr 2006<br />
Gabi Elverich, Annita Kalpaka,<br />
Karin Reindlmeier<br />
Spurensicherung – Reflexion von Bildungsarbeit<br />
in der Einwanderungsgesellschaft,<br />
Frankfurt am Main, 2006<br />
Annita Kalpaka, Nora Räthzel<br />
Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu<br />
sein, Köln, 1990<br />
Annita Kalpaka<br />
Fremd ist der Fremde…, in: Ausländerbeauftragter<br />
des Senats der Freien<br />
und Hansestadt Ha<strong>mb</strong>urg (Hg.): Bildung<br />
und Erziehung im Einwanderungsland,<br />
Ha<strong>mb</strong>urg, 1994: 10–51<br />
Rudolf Leiprecht<br />
Zum Umgang mit Rassismen in Schule<br />
und Unterricht: Begriffe und Ansatzpunkte,<br />
in: Rudolf Leiprecht, Anne<br />
Kerber (Hg.), Schule in der Einwanderungsgesellschaft.<br />
Ein Handbuch,<br />
Schwalbach, 2005: 317–345<br />
Quelle für didaktische Spiele:<br />
DGB-Bildungswerk Thüringen (Hg.)<br />
Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit,<br />
Erfurt 2004