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Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2010

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Inhalt<br />

7 Elisabeth Rücker zum Gedenken<br />

(1923–2009)<br />

Kunst- und Kulturgeschichte<br />

Jeffrey F. Hamburger<br />

15 The Netherlands in Nuremburg.<br />

Paul Mülich’s Prayer Book<br />

Klaus Weschenfelder<br />

45 Engel im Diskurs. Zur Coburger Tafel <strong>des</strong><br />

Meisters <strong>des</strong> Augustiner-Altars<br />

Sebastian Schmidt<br />

65 »dan sy” machten dy vürtrefflichen künstner<br />

reich«. Zur ursprünglichen Bestimmung von<br />

Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock<br />

Sabine Lata<br />

83 Das Motiv <strong>des</strong> Indianers in der<br />

Nürnberger Goldschmiedekunst <strong>des</strong><br />

17. Jahrhunderts<br />

Frank Matthias Kammel<br />

105 Die Bildnisbüste <strong>des</strong> Laurentius Russinger.<br />

Persönlichkeit und plastisches Porträt am<br />

Ausgang <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts<br />

Birgit Jooss<br />

135 Die Münchner Bildhauerschule.<br />

Figürliches Arbeiten im Zeichen der Tradition<br />

Niklot Klüßendorf<br />

171 Der Maler Egon Tschirch aus Rostock<br />

und seine Geldkunst<br />

Detlef Hoffmann<br />

185 Symbolische Repräsentation neben stationären<br />

Narrationen. Graphische Bildsequenzen<br />

Neues zu Objekten im GNM<br />

Thomas Schindler<br />

199 Mehr als ein Kerngehäuse. Die Lade der<br />

Nürnberger Flitterschläger, Messingschaber<br />

und Rechenpfennigmacher<br />

Verena Kotonski<br />

211 Belederte Weidenkörbe <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

aus Franken. Untersuchungen zum techno -<br />

logischen Aufbau<br />

Luitgard Löw<br />

219 Aus den Archiven <strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong>.<br />

Aspekte zur Museumsgeschichte<br />

232 Verzeichnis der Autoren<br />

233 Jahresbericht 2009


Zusammenfassung<br />

Ein bislang unpubliziertes Gebetbuch in Lateinisch und Deutsch,<br />

geschrieben von Paul Mülich in Nürnberg und – wie dem Kolophon<br />

zu entnehmen ist – auf 1423 datiert, bietet einen neuen<br />

Blick auf die Buchmalerei jener Stadt in der ersten Hälfte <strong>des</strong><br />

15. Jahrhunderts. Obwohl sein Text enge Beziehungen zu anderen<br />

in Nürnberg produzierten Manuskripten erkennen lässt,<br />

hebt sich vor allem die Dekoration mit ihren außerordentlich innovativen<br />

Bordüren aufgrund ihrer Originalität und Eigenheit<br />

ab. Mehr als zu böhmischer Kunst, die die Nürnberger Malerei<br />

jener Zeit kennzeichnet, verrät die reiche Ausstattung <strong>des</strong> Gebetbuchs<br />

enge Beziehungen zur Kunst der nördlichen Niederlande<br />

und – weniger ausgeprägt – zu der Norditaliens. Am Ende<br />

entzieht sich der Künstler allerdings wie so viele, deren<br />

Werke dem Internationalen Stil zuzuordnen sind, einer präzisen<br />

Lokalisierung. Denn die Dekoration <strong>des</strong> Manuskriptes kann<br />

keinesfalls einer spezifischen Region zugeordnet werden. Vielmehr<br />

stellt sie eine bemerkenswert kreative Synthese von Ideen<br />

und Erfindungen unterschiedlichen Ursprungs dar, für die, zumin<strong>des</strong>t<br />

bis heute, keine Parallelen bekannt sind. Die kosmopolitischen<br />

Verbindungen <strong>des</strong> Buches unterstreichen damit Nürnbergs<br />

Status als ein internationaler Knotenpunkt für Kunst und<br />

Handel. Und so muss das Gebetbuch trotz seines beschädigten<br />

Zustands als wichtiges Beispiel der deutschen Buchmalerei aus<br />

dem frühen 15. Jahrhundert angesehen werden, eines, das unser<br />

Bild von der Produktion in einem der wichtigsten, wenn auch<br />

bislang unzureichend dokumentierten Zentren verändert.<br />

According to conventional art-historical wisdom, the impact<br />

of the new art of the Netherlands first really makes<br />

itself felt in Nuremberg towards the middle of the fifteenth<br />

century. Artists such as Pleydenwurff opened the<br />

door to southern Netherlandish innovations and disseminated<br />

the inventions of early Netherlandish painting<br />

to other centers throughout Central Europe. 1 In contrast,<br />

in the first half of the fifteenth century, not to<br />

mention the second half of the fourteenth, artists in the<br />

imperial city looked primarily to Prague and Bohemia,<br />

not that some connections to the art of Western Europe,<br />

in particular, Paris and the Southern Netherlands, can-<br />

Jeffrey F. Hamburger<br />

The Netherlands in Nuremberg<br />

A Prayer Book written by Paul Mülich in 1423<br />

15<br />

Abstract<br />

A previously unpublished prayer book in Latin and German,<br />

written, according to its colophon, by Paul Mülich of Nuremberg<br />

in 1423, provi<strong>des</strong> a fresh perspective on manuscript illumination<br />

in the city during the first quarter of the fifteenth century.<br />

Although its textual contents betray close ties to other<br />

manuscripts produced in Nuremberg, its decoration, in particular,<br />

that of its extraordinarily inventive borders, stands out on account<br />

of its originality, even idiosyncrasy. Rather than the close<br />

ties to Bohemian art that characterize most painting in Nuremberg<br />

at this period, the prayer book’s lavish illumination betrays<br />

strong connections to the art of the Northern Netherlands and,<br />

to a lesser extant, that of northern Italy. In the end, however, the<br />

artist, like so many others whose work adheres to the norms of<br />

the International Style, defies precise localization. The manuscript’s<br />

decoration can by no means be <strong>des</strong>ignated as derivative<br />

from any particular region. Rather, it represents a remarkably<br />

creative synthesis of ideas and inventions of disparate<br />

origin for which, at least at present, no known parallels survive.<br />

The book’s cosmopolitan connections confirm Nuremberg’s status<br />

as an international crossroads of art and commerce. Despite<br />

its damaged state, the prayer book has to be considered an important<br />

example of early fifteenth-century German illumination,<br />

one that changes our picture of painting in manuscripts in one<br />

of its most important, if still inadequately documented, centers.<br />

not be postulated. 2 There is much to recommend this<br />

view of the development of painting in Nuremberg in<br />

the late fourteenth and early fifteenth century. Given,<br />

however, the cosmopolitan character of the Franconian<br />

metropolis, whose great wealth and political importance<br />

made it a significant center of artistic production<br />

and exchange, other points of contact and exchange<br />

should not be excluded, especially in light of the phenomenon<br />

still best <strong>des</strong>cribed as the International Style,<br />

which lingered longer in parts of Germany, for example,<br />

Cologne and Nuremberg, than in other parts of<br />

northern Europe. 3 A newly discovered prayer book, far


Klaus Weschenfelder<br />

Engel im Diskurs<br />

Zu einer Coburger Tafel aus dem Umkreis Michael Wolgemuts<br />

Zusammenfassung<br />

Die dem Meister <strong>des</strong> Augustiner-Altars zugeschriebene Tafel mit<br />

der Geburt Christi befindet sich seit 1986 als Leihgabe und seit<br />

2003 als Eigentum in den Kunstsammlungen <strong>des</strong> Veste Coburg.<br />

Weder über den ursprünglichen Aufstellungsort der spätmittelalterlichen<br />

Tafel noch über ihre zeitweilige Zugehörigkeit zur<br />

Sammlung William Randolph Hearst im walisischen St. Donat’s<br />

Castle gibt es letzte Sicherheit. Eine stilistische Zuordnung zur<br />

Nürnberger Kunst ist jedoch durch enge, teilweise aus der niederländischen<br />

und oberrheinischen Kunst vermittelte Motivübernahmen<br />

aus dem Umkreis von Hans Pleydenwurff (um 1425–<br />

vor 1472) und Michael Wolgemut (1434 oder 1437–1519)<br />

eindeutig. Den Übergang zu Renaissanceformen, wie er sich bei<br />

Wolgemut beispielsweise im Schwabacher Altar (1506/08) findet,<br />

hat der Maler der Coburger Tafel nicht vollzogen. Auch hierdurch<br />

ist eine Entstehung <strong>des</strong> Gemäl<strong>des</strong> um 1480/90 wahrscheinlich,<br />

selbst wenn die differenzierte Ausgestaltung der<br />

anbetenden Engel ihrer Zeit voraus ist. Da Vorbilder fehlen, zeugen<br />

sie von der ikonographischen Innovationsfreude <strong>des</strong> Malers.<br />

Sein auf der Tafel dargestellter Engelsdiskurs ist einzigartig,<br />

eine Deutung erst in Umrissen möglich.<br />

Die spätmittelalterliche Tafelmalerei bietet zahlreiche<br />

Bilderfindungen, die zum einen dem drängenden<br />

Wunsch nach Verbildlichung differenzierter religiöser<br />

Aussagen geschuldet sind, zum anderen dem zunehmenden<br />

Interesse an wirklichkeitsnaher Darstellung. So<br />

beobachtete Johan Huizinga in der spätmittelalterlichen<br />

Kunst, wie die »ungezügelte Ausarbeitung der Einzelheiten,<br />

[...] unbemerkt in das behagliche Erzählen<br />

von Kleinigkeiten, in das Genreartige übergeht.« 1 In<br />

seiner Tendenz, Wirklichkeit abzubilden, scheint sich<br />

der erstarkende Naturalismus zunehmend der Einbindung<br />

in formale Strukturen oder in symbolische Sinnzusammenhänge<br />

zu widersetzen. 2 Zugleich lassen sich<br />

andererseits in der religiösen Tafelmalerei viele Details,<br />

seien es Gegenstände, Gesten oder Handlungen, als<br />

Bedeutungsträger identifizieren. Gerade in den Darstellungen<br />

Christi sei nichts allein der allgemeinen Alltagserfahrung<br />

entnommen, konstatiert Leo Steinberg. 3<br />

45<br />

Abstract<br />

The panel attributed to the Master of the Saint Augustine-Altarpiece<br />

that depicts the Birth of Christ had been in the art collection<br />

of the Veste Coburg since 1986, first as a loan and since<br />

2003 as an acquisition. There is no absolute certainty concerning<br />

either the original location of the late medieval panel or<br />

its sometime inclusion in the collection of William Randolph<br />

Hearst at St. Donat’s Castle in Wales. Stylistically, however, it<br />

can be definitely attributed to the artistic sphere of Nuremberg<br />

on the basis of the close borrowing of motifs – some drawn from<br />

Dutch and Upper Rhenish art – from the circle of Hans Pleydenwurff<br />

(ca 1425– before 1472) and Michael Wolgemut<br />

(1434 or 1437–1519). The transition to Renaissance forms<br />

that Wolgemut demonstrates, for example, in the Schwabach<br />

Altar (1506/08), has not been completed by the painter of the<br />

Coburg panel. This is another indication that the panel was<br />

probably painted ca 1480/90, even if the differentiated treatment<br />

of the adoring angels is advanced for its time. In the absence<br />

of prototypes, they testify to the iconographic inventiveness<br />

of the artist. The »angelic discourse« depicted on the panel<br />

is unique; thus far, it can only be tentatively interpreted.<br />

Nichts was der Christusknabe macht, ist »kindgemäß«,<br />

ob er nun Katharina einen Ring an den Finger steckt<br />

oder Petrus den Schlüssel überreicht, ob er eine Frucht<br />

isst oder ein Buch durchblättert. Das gleiche gilt für<br />

Handlungen, die in Bezug auf den Jesusknaben vorgenommen<br />

werden. Sie sind voller Bedeutung.<br />

Im Licht dieses Urteils erweckt eine auf den ersten Blick<br />

wenig spektakulär wirkende Tafel eines spätgotischen<br />

Flügelaltars in den Kunstsammlungen der Veste Coburg<br />

Neugier und bietet Gelegenheit zur Entdeckung einer<br />

Besonderheit in der Darstellung der Geburt Christi<br />

(Abb. 1). Wie es scheint ist sie in der Kunstgeschichte<br />

ohne Vergleich und daher einer näheren Betrachtung<br />

wert. Zu erörtern sind Gestik und Haltung der drei das<br />

Christkind umgebenden Engel. Wissenswertes über<br />

Provenienz und stilistische Einordnung <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> soll<br />

vorangestellt werden.


Sebastian Schmidt<br />

»dan sy” machten dy vürtrefflichen künstner reich«<br />

Zur ursprünglichen Bestimmung von Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock<br />

Zusammenfassung<br />

Das Selbstporträt Albrecht Dürers in der Alten Pinakothek, München,<br />

gilt der Kunstgeschichte nicht zu Unrecht als ein herausragen<strong>des</strong><br />

Monument individuellen und künstlerischen Selbstbewusstseins<br />

zwischen Spätgotik und Renaissance. Die reflektierte<br />

Inszenierung jener Epochengrenze »1500« durch den Künstler<br />

wurde dabei bislang als ein Hinweis auf die einstige Funktion<br />

der Tafel, die in einem Muster- bzw. Lehrstück zur Ausstattung<br />

der Werkstatt <strong>des</strong> Meisters gesehen wurde, verstanden.<br />

Da das Münchener Bildnis in seiner handwerklichen Ausführung<br />

und programmatischen Konzeption jedoch anderen<br />

Plänen gerecht zu werden scheint, versucht der vorliegende Beitrag<br />

der Frage nachzugehen, welche Absichten Albrecht Dürer<br />

(1471–1528) mit der Anfertigung seines Selbstbildnisses ursprünglich<br />

verfolgte und welchen Zweck die Tafel dabei einst<br />

hätte erfüllen sollen. Dürers Zusammenarbeit mit Konrad Celtis<br />

(1459–1508) steht hier im Zentrum der Betrachtung, zumal die<br />

gemeinsame Antikenrezeption offenbar darauf abzielt, den<br />

berühmtesten Porträtkünstlern <strong>des</strong> Altertums nachzueifern um<br />

deren einstige Wertschätzung durch die Herrscher ihrer Zeit in<br />

der eigenen Gegenwart für sich selbst einfordern zu können.<br />

Mit dem Selbstporträt stilisierte sich Dürer demnach zu einem<br />

idealen Hofkünstler, weshalb die Funktion <strong>des</strong> Bildnisses wohl<br />

zunächst in einen höfischen Kontext gestanden haben muss. Mit<br />

der humanistischen Praxis der Dedikation von Werken an potentielle<br />

Gönner gewinnt der intellektuelle Anspruch <strong>des</strong> Selbstbildnisses<br />

folglich eine »pragmatische« Bedeutung.<br />

Die Bemühungen, Albrecht Dürers »Selbstbildnis im<br />

Pelzrock« von 1500 (Abb. 1) 1 in seiner ganzen ikonologischen<br />

Komplexität und historischen Bedeutung zu<br />

verstehen, scheinen angesichts der Einsichten der letzten<br />

Jahre zu einem gewissen Abschluss gelangt zu sein.<br />

Mit der Publikation eingehender technologischer Untersuchungsergebnisse<br />

zur Beschaffenheit der Tafel im<br />

Katalog der Dürer-Gemälde in der Alten Pinakothek 2<br />

konnte nicht zuletzt die inzwischen weitgehend akzeptierte<br />

Meinung, Datierung und Inschrift als ursprünglich<br />

anzusehen, abschließend bestätigt werden. 3<br />

Die auf dem Bild befindliche Jahreszahl »1500« hat<br />

<strong>des</strong>halb zur Konsequenz, dass stilanalytisch 4 oder kos-<br />

65<br />

Abstract<br />

The self-portrait of Albrecht Dürer in the Alte Pinakothek in Munich<br />

is justly regarded by art history as a singular monument of<br />

personal and artistic self-awareness between Late Gothic and<br />

Renaissance. And the artist’s considered staging of the epochal<br />

turning-point »1500« has been interpreted thus far as an indication<br />

of the panel’s original function, namely to be displayed<br />

in the workshop of the master as a sample or example for patrons<br />

or pupils.<br />

In its craftsmanship and programmatic conception, however,<br />

the Munich painting appears to fulfill other plans. This essay<br />

therefore attempts to explore the question of the intentions with<br />

which Albrecht Dürer (1471–1528) originally produced his<br />

self-portrait and what purpose the panel was thereby meant to<br />

serve. Dürer’s cooperation with Conrad Celtis (1459–1508) is<br />

central to the study, particularly since their common interest in<br />

classical antiquity was apparently geared toward imitating the<br />

most famous portrait painters of antiquity in order to claim for<br />

themselves in their own time the same esteem that those had<br />

been awarded by the rulers of their day.<br />

Accordingly, Dürer represented himself in this self-portrait as an<br />

ideal court artist and the function of the painting must therefore<br />

have lain in a courtly context. The humanist practice of dedicating<br />

works to potential patrons thus provi<strong>des</strong> a »pragmatic«<br />

explanation for the intellectual claim of the self-portrait.<br />

tümkundlich 5 argumentierende Spätdatierungen <strong>des</strong><br />

Selbstporträts 6 – <strong>des</strong>sen Entstehung im Jahr 1500 bereits<br />

Moritz Thausing für »durchaus unwahrscheinlich« 7<br />

hielt – immer auch eine vorsätzliche und eigenhändige<br />

Rückdatierung <strong>des</strong> Werkes implizieren. Allerdings können<br />

die in der Literatur nur vereinzelt angeführten Erklärungsmodelle<br />

für dieses bemerkenswerte Vorgehen<br />

Dürers 8 in Relation zu den Argumenten, die für die Korrektheit<br />

der Datierung und damit für die Entstehung <strong>des</strong><br />

Bil<strong>des</strong> 1499/1500 9 sprechen, kaum bestehen.<br />

Anliegen dieser Studie ist es, die Korrektheit der<br />

Datierung von Dürers »Selbstbildnis im Pelzrock« mit<br />

einem Resümee der rekonstruierbaren Entstehungs-


Sabine Lata<br />

Das Motiv <strong>des</strong> Indianers in der Nürnberger Goldschmiedekunst<br />

<strong>des</strong> 17. Jahrhunderts<br />

Zusammenfassung<br />

Vom ausgehenden 16. bis in das erste Drittel <strong>des</strong> 17. Jahrhunderts<br />

schufen einige wenige Nürnberger Goldschmiede Silberpokale,<br />

an denen sie die sonst üblichen Schäfte durch Figuren kniender<br />

Indianer ersetzten. Das Motiv einer knienden Trägergestalt – in<br />

Kleinbronzen wie in Silber bereits vorher etabliert – wurde mit<br />

dem seit der Entdeckung Amerikas durch die Druckgraphik<br />

verbreiteten Bild <strong>des</strong> exotischen und in gewisser Weise furchteinflößenden<br />

Ureinwohners kombiniert. Auffallend ist die vorwiegende<br />

Verwendung dieser Figuren im Kontext von Goldschmiedearbeiten,<br />

die als weitere Komponenten Nautilusschalen,<br />

Turboschneckengehäuse oder ähnlich exotische Materialien enthielten.<br />

Offensichtlich reagierten die Nürnberger Silberarbeiter<br />

auf Wünsche ihrer meist fürstlichen Auftraggeberschaft, in deren<br />

Fest- und Repräsentationskultur die Gestalt <strong>des</strong> Indianers ebenfalls<br />

eine Rolle spielte. Die spezifische, vielleicht durch die großformatigere<br />

Brunnenplastik angeregte Variante der Nürnberger<br />

Kunsthandwerker findet in der Goldschmiedekunst anderer Orte,<br />

etwa Augsburg, wenig Parallelen, wenngleich auch dort das Motiv<br />

in variierter Ausprägung durchaus von Bedeutung war. Nach<br />

der Mitte <strong>des</strong> 17. Jahrhunderts spielte in der Nürnberger Goldschmiedekunst<br />

die Indianermode keine wesentliche Rolle mehr.<br />

Trinkgefäße mit figürlichen Schäften begegnen uns in<br />

der Nürnberger Goldschmiedekunst erstmals im Verlauf<br />

<strong>des</strong> 16. Jahrhunderts. Vor allem Prunkgefäße und<br />

Kunstkammerstücke mit seltenen Naturalien erhielten<br />

anstelle von Schaft und Nodus aus Silber gegossene<br />

Trägerfiguren. 1 So balancieren etwa Bacchanten und<br />

Winzer die als Weinreben gebildeten Trinkschalen von<br />

Traubenpokalen auf ihren Köpfen oder auf ihren Fischschwänzen<br />

kniende Nereiden und Tritonen stemmen<br />

Muscheln bzw. Nautilusschalen. 2<br />

Unter den erhaltenen Nürnberger Goldschmiedewerken<br />

befindet sich eine Gruppe von min<strong>des</strong>tens einem<br />

Dutzend Trinkgefäßen, deren Schaftfiguren als<br />

kniende, mit Pfeil und Bogen bewehrte und bis auf Federschmuck<br />

nackte Jäger ausgebildet sind. 3 Durch ihre<br />

Attribute indianisch erscheinend, besitzen sie in einigen<br />

Fällen auch Züge, die ihnen eine afrikanische Anmu-<br />

83<br />

Abstract<br />

In the late16 th and the first third of the 17 th century, a small number<br />

of Nuremberg goldsmiths produced silver cups on which<br />

they replaced the usual shaft with figures of kneeling Indians.<br />

The motif of a kneeling support-figure – already established in<br />

both bronze and silver statuettes – was here combined with the<br />

image of the exotic and somehow terrifying native that had been<br />

disseminated by prints since the discovery of America. It is<br />

striking that the predominant use of these figures was in the context<br />

of goldsmith work, often in conjunction with nautilus shells,<br />

turbo snail shells or other similarly exotic materials. Apparently,<br />

the silversmiths of Nuremberg were responding to the wishes of<br />

their predominantly princely clients, for whom the figure of the<br />

Indian also played a role in lavish courtly festivities and displays<br />

of prestige. The specific variant employed by Nuremberg’s<br />

craftsmen – which was possibly inspired by large-scale fountain<br />

sculpture – finds few parallels in such other centers as Augsburg,<br />

although there, too, variants of the motif were not without<br />

importance. After the middle of the 17 th century, the Indian was<br />

no longer »in fashion« in the art of Nuremberg’s goldsmiths.<br />

tung verleihen – dunkle Hautfarbe, gelocktes Haar<br />

oder volle Lippen. Das Motiv <strong>des</strong> Exoten taucht kurz vor<br />

1600 unvermittelt in der Nürnberger Goldschmiedekunst<br />

auf, häuft sich im ersten Jahrzehnt <strong>des</strong> 17. Jahrhunderts<br />

und tritt auch später vereinzelt noch auf. Die<br />

Kleinplastiken dienen dabei vor allem als Träger für<br />

Trinkschalen aus überseeischen Materialien wie Nautilusschalen,<br />

Straußeneiern und Perlmutt; oft werden sie<br />

von kleinen Muscheln, Schlangen, Fröschen, Schnecken<br />

und Salamandern begleitet.<br />

Die auf den ersten Blick homogen erscheinende Gruppe<br />

lässt sich aufgrund von bestimmten Unterschieden,<br />

vor allem hinsichtlich ihrer Bekleidung und Körperhaltung,<br />

in verschiedene Untergruppen ordnen.<br />

Zur ersten Gruppe gehören die Figuren der beiden ältesten<br />

bislang bekannten Perlmuttpokale mit knienden


Frank Matthias Kammel<br />

Die Bildnisbüste Laurentius Russingers<br />

Persönlichkeit und plastisches Porträt am Ausgang <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts<br />

Zusammenfassung<br />

Die bisher unbekannte Bildnisbüste <strong>des</strong> Laurentius Russinger<br />

(1739–1810) vermittelt erstmals eine Vorstellung von der äußeren<br />

Erscheinung einer bedeutenden Persönlichkeit der frühen<br />

deutschen Porzellangeschichte. Zunächst Bossierer und Modelleur<br />

in der Manufaktur von Höchst und danach wesentlich am<br />

Aufbau der Pfalz-Zweibrückener Porzellanfabrik Gutenbrunn<br />

beteiligt, wirkte Russinger ab 1768 zuerst als Direktor und später<br />

als Besitzer der Manufacture de porcelaine allemande in der<br />

Pariser Faubourg du Temple. Er brachte das Herstellungsgeheimnis<br />

<strong>des</strong> Hartporzellans nach Frankreich und machte sein bis<br />

zur Revolution äußerst erfolgreich geführtes Unternehmen zu einer<br />

der bedeutendsten französischen Porzellanmanufakturen<br />

<strong>des</strong> ausgehenden 18. Jahrhunderts. In den 1960er Jahren führte<br />

die deutsche Kunstwissenschaft eine kontroverse Debatte um<br />

seine künstlerischen Qualitäten und seine kunstgeschichtliche Bedeutung,<br />

insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung seines<br />

Höchster Schaffens zum Werk Johann Peter Melchiors (1747–<br />

1825). Der Schöpfer <strong>des</strong> inschriftlich bezeichneten plastischen<br />

Brustbilds ist der Sohn <strong>des</strong> Porträtierten, Ignaz Christoph Russinger<br />

(1764– nach 1806). Er erhielt seine Ausbildung an der Pariser<br />

Kunstakademie unter dem Einfluss Jean-Antoine Houdons<br />

(1741–1828) und Augustin Pajous (1730–1809). Das einzige<br />

bisher für ihn verbürgte Werk bezeugt nicht nur seine außerordentlichen<br />

künstlerischen Fähigkeiten, sondern stellt auch die<br />

Grundlage für die künftige Eruierung seines Œuvres dar.<br />

Die Bildnisbüste gehört zu jenen Gattungen der Bildhauerkunst,<br />

die im Bestand <strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong><br />

bisher noch nicht ihrer Bedeutung gemäß<br />

vertreten sind. Daher darf eine namhafte Erwerbung<br />

auf diesem Gebiet als besonders erfreulicher Gewinn<br />

betrachtet werden. Im Jahr 2008 gelang es, das 1785<br />

entstandene Porträt <strong>des</strong> Laurentius Russinger (1739–<br />

1810), ein leicht überlebensgroßes, aus Terrakotta bestehen<strong>des</strong><br />

Brustbild, aus dem Kunsthandel zu beschaffen.<br />

Überaus großzügige Unterstützung erfuhr das<br />

Museum in diesem Zusammenhang von der Ernst von<br />

Siemens Kunststiftung in München, die das Bildwerk ankaufte<br />

und dem Institut als Dauerleihgabe zur Verfügung<br />

stellte. 1<br />

105<br />

Abstract<br />

The previously unknown portrait bust of Laurentius Russinger<br />

(1739–1810) provi<strong>des</strong>, for the first time, an impression of the<br />

physical appearance of a significant figure in the early history<br />

of German porcelain. Initially an assembler and modeler at the<br />

porcelain factory in Höchst, Russinger went on to play a major<br />

role in the establishment of the Gutenbrunn factory in Pfalz-Zweibrücken.<br />

After 1768, he became director –and later owner –of<br />

the »manufacture de porcelaine allemande« in the Faubourg du<br />

Temple in Paris. He brought the secret of hard-paste porcelain<br />

manufacture to France and developed the firm he ran with great<br />

success until the Revolution into one of the leading French<br />

porcelain factories of the late 18 th century. During the 1960s,<br />

German scholarship engaged in a controversial debate over<br />

Russinger’s artistic qualities and his significance for the history<br />

of art, particularly with respect to differentiating between his<br />

work in Höchst and that of Johann Peter Melchior (1747–<br />

1825). An inscription on the bust identifies the sculptor of the<br />

portrait as the son of the subject. Ignaz Christoph Russinger<br />

(1764– after 1806) received his training at the Paris academy<br />

of art under the influence of Jean-Antoine Houdon (1741–<br />

1828) and Augustin Pajou (1730–1809). The only thus-far<br />

established example of his work not only bears witness to his extraordinary<br />

artistic ability but also provi<strong>des</strong> a basis for future<br />

investigation of his œuvre.<br />

Die 57 cm hohe Plastik, die auf einem alten profilierten<br />

und mittig leicht eingezogenen, für die Entstehungszeit<br />

typischen, dem Objekt aber nicht sicher als originale<br />

Basis zuzuordnenden Holzsockel steht, zeigt den Porträtierten<br />

in erstaunlicher Lebensnähe und beeindruckender<br />

Präsenz (Abb. 1). Selbstbewusst hebt er sein<br />

Haupt und wendet es leicht nach rechts. Zielsicherheit<br />

bestimmt den Blick aus schmalen Augen mit individuell<br />

gezeichneten Pupillen, die unter buschigen Brauen und<br />

einer mittels feiner Falten strukturierten Stirn liegen.<br />

Nebst gerader Nase, fülligen Wangenpartien und<br />

weich modellierten Lippen verleihen sie dem Antlitz ausdrucksstarke<br />

Züge. Das Haar der über die Schädelkalotte<br />

gestreiften Perücke ist streng nach hinten gestrichen


Zusammenfassung<br />

Die Bildhauerei stand in München stets im Schatten der Malerei.<br />

Das mag der Grund dafür sein, dass die Münchner Bildhauerschule,<br />

deren Geschichte sich vor allem anhand der Professoren<br />

der Akademie der Bildenden Künste illustrieren lässt, bislang nie<br />

zusammenhängend untersucht wurde. Dabei werden gerade an<br />

ihr typische Münchner Phänomene offenbar wie etwa die Ausbildung<br />

von Traditionslinien und Filiationen, das an der klassischen<br />

Antike orientierte Menschenbild oder die Betonung der<br />

Handwerklichkeit. Exemplarisch werden in diesem Beitrag die<br />

Entwicklungsstufen von der klassizistisch und romantisch geprägten<br />

Bildhauerei zu Beginn der 1808 gegründeten Akademie,<br />

über neubarocke und naturalistische Tendenzen in der zweiten<br />

Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, hin zum bedeutendsten Vertreter der<br />

Münchner Bildhauerschule, Adolf von Hildebrand (1847–<br />

1921), aufgezeigt. Er und Hermann Hahn (1868–1945), der<br />

fast alle Bildhauerprofessoren der Nachkriegszeit ausbildete,<br />

prägten die nachfolgenden Generationen. Nach der sogenannten<br />

Machtergreifung zählte die Münchner Kunstakademie<br />

schnell zu den Vorzeigeinstitutionen der Nationalsozialisten.<br />

Hitler selbst sorgte für die Berufung <strong>des</strong> monumental arbeitenden<br />

Josef Thorak (1889–1952), aber auch <strong>des</strong>sen Bildhauerkollegen<br />

trugen mit ihren Skulpturen zum propagierten arischen<br />

Menschenbild im Dritten Reich bei. Die 1946 neuberufenen Professoren<br />

standen für die Rückbesinnung auf die Zeit vor dem Nationalsozialismus<br />

und bemühten sich um die Entwicklung eines<br />

neuen Menschenbil<strong>des</strong>. 1962 hielt mit Robert Jacobsen (1912–<br />

1993) die Abstraktion innerhalb der Bildhauerei ihren späten Einzug<br />

in die Akademie und 1967 mit Karl Fred Dahmen (1917–<br />

1981) ein erweiterter, die traditionellen Gattungen sprengender<br />

Werkbegriff. Doch erst um 1980 konnte sich ein konzeptionelles<br />

Arbeiten in der Münchner Bildhauerschule durchsetzen.<br />

Die Kunststadt München und ihre Akademie waren von<br />

jeher für ihre Malerei berühmt. Insbesondere die Historien-<br />

aber auch die Genremalerei eines Peter von Cornelius<br />

(1783–1867), Wilhelm von Kaulbach (1805–<br />

1874), Karl von Piloty (1826–1886) oder Wilhelm<br />

von Leibl (1844–1900), die Salonmalerei der Künstlerfürsten<br />

Franz von Lenbach (1836–1904), Friedrich<br />

August von Kaulbach (1850–1920) und Franz von<br />

Birgit Jooss<br />

Die Münchner Bildhauerschule<br />

Figürliches Arbeiten im Zeichen der Tradition<br />

135<br />

Abstract<br />

In Munich, sculpture has always been overshadowed by painting.<br />

That may explain why the Munich school of sculpture –<br />

whose history can be best illustrated in terms of the professors<br />

at the academy of fine arts – has never before been reviewed<br />

as a whole. Such a study turns out to reveal phenomena that are<br />

typical for Munich, including the development of lines of tradition<br />

and filiations, a classically influenced view of the human figure<br />

and an emphasis on craftsmanship. This essay uses selected<br />

examples to trace the stages of development, since the<br />

founding of the academy in 1808, from classicism and romanticism<br />

in the early period via neo-baroque and naturalism in the<br />

second half of the 19 th century to the leading figure of the Munich<br />

School, the sculptor Adolf von Hildebrand (1847–1921).<br />

Together with Hermann Hahn (1868–1945), who trained almost<br />

every sculpture professor of the post-war period, Hildebrand<br />

shaped the generations that followed. After Hitler came<br />

to power, the Munich art academy soon emerged as one of the<br />

showcase institutions of National Socialism. Hitler himself<br />

arranged for the appointment of the monumentalist sculptor<br />

Josef Thorak (1889–1952), but during the Third Reich Thorak's<br />

colleagues, too, fostered with their sculptural work the propagandized<br />

Aryan physical ideal. The faculty that was appointed<br />

in 1946 stood for a return to the ideals of the pre-Nazi period<br />

and endeavored to evolve a new human image. The appointment<br />

of Robert Jacobsen (1912–1993) in 1962 marked the<br />

late arrival of sculptural abstraction at the academy and Karl<br />

Fred Dahmen (1917–1981) brought with him in 1967 a concept<br />

of sculpture that goes beyond traditional genres. But it<br />

wasn't until around 1980 that conceptualism succeeded in establishing<br />

itself in the Munich school of sculpture.<br />

Stuck (1863–1928) oder die Avantgar<strong>des</strong>trömungen<br />

um den Blauen Reiter mit Wassily Kandinsky (1866–<br />

1944), Franz Marc (1880–1916) und Gabriele Münter<br />

(1877–1962) machen den Ruhm der Kunststadt bis<br />

heute aus. 1<br />

Vor allem in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

war die Kunstakademie eine der bedeutendsten internationalen<br />

Stätten der Künstlerausbildung. Aus aller


Niklot Klüßendorf<br />

Der Maler und Grafiker Egon Tschirch<br />

aus Rostock und seine Geldkunst<br />

Zusammenfassung<br />

Im Deutschen Kunstarchiv <strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong><br />

als einer zentralen Sammelstelle für Nachlässe Bildender Künstler<br />

liegt ein Teilnachlass <strong>des</strong> Rostocker Malers und Grafikers<br />

Egon Tschirch (1889–1948). Hiervon ausgehend wird eine<br />

Biografie <strong>des</strong> vielseitigen Künstlers erarbeitet, der zwischen<br />

1906 und 1912 die drei großen Berliner Kunstschulen absolvierte<br />

und bis zu seinem Tode freiberuflich wirkte. Vor dem biografischen<br />

Hintergrund wird auch Tschirchs Geldkunst während<br />

der großen deutschen Inflation von 1921 bis 1923 behandelt.<br />

Der große Bedarf dieser Zeit an Zahlungsmitteln, der von staatlichen<br />

Stellen bis herunter zu den Kommunen Ausgabe auf Ausgabe<br />

folgen ließ, gab vielen Künstlern Arbeit. Die Konjunktur<br />

<strong>des</strong> Notgel<strong>des</strong> führte zu zahlreichen Editionen, die nicht für den<br />

Umlauf gedacht waren, sondern in Sätzen an Sammler vertrieben<br />

wurden. In Mecklenburg war dies das nach dem als Autor<br />

der mecklenburgischen Mundart berühmten Volksschriftsteller<br />

Fritz Reuter (1810–1874) benannte Reutergeld, an <strong>des</strong>sen Ausgabe<br />

sich 70 Städte und Gemeinden beteiligten. Neben diesen<br />

Scheinen, die nur die Form, aber nicht die Funktion von Geldzeichen<br />

hatten, hat Tschirch weitere Ausgaben gestaltet. Sein<br />

Entwurf für einen als wertbeständig ausgewiesenen 1-Dollar-<br />

Schein von 1923 steht dabei in Verbindung zu einer ungewöhnlichen<br />

Kapitalmaßnahme <strong>des</strong> Mecklenburg-Schwerinschen<br />

Finanzministeriums.<br />

An jedem Objekt haften zwangsläufig die Fragen nach<br />

den Personen, die es geschaffen haben. Dies gilt auch<br />

für die Gestaltung von Münzen und Geldzeichen aller<br />

Art, mithin Gebrauchsgegenständen, die bei bestimmungsgemäßer<br />

Nutzung durch viele Hände gehen und<br />

vom Publikum oft gar nicht als Produkte <strong>des</strong> Kunstschaffens<br />

wahrgenommen werden. Geldkrisen mit ihrer<br />

erhöhten Nachfrage nach immer neuen Zahlungsmitteln<br />

bringen es mit sich, dass über die amtlichen Einrichtungen<br />

wie Münzstätten und staatliche Wertzeichendruckereien<br />

zahlreiche Künstler freiberuflich<br />

als Entwerfende für Geldzeichen tätig werden. Anhand<br />

der Produkte, die vielfach nicht signiert sind, ist dieser<br />

Personenkreis oft nicht zu fassen. Anders als für das Per-<br />

171<br />

Abstract<br />

The Deutsches Kunstarchiv in the Germanisches Nationalmuseum,<br />

a central repository for the estates of German art personalities,<br />

holds the partial personal papers of the Rostock painter<br />

and graphic artist Egon Tschirch (1889–1948). This fond serves<br />

as the basis for a biography of the versatile artist who was<br />

trained at the three great art schools of Berlin between 1906<br />

and 1912 and who worked freelance throughout his career. In<br />

this biographical framework, Tschirch's work as a currency <strong>des</strong>igner<br />

during the German hyperinflation of 1921 to 1923 is<br />

here discussed. The great shortage of official currency during<br />

that period, which led to one issue after another of emergency<br />

money – not only by the state bank but also by individual communities<br />

– provided work for many artists. The Notgeld-economy<br />

resulted in countless editions that were intended not only<br />

for circulation but also for marketing in sets to collectors. In<br />

Mecklenburg, for example, seventy cities and towns participated<br />

in the issue of »Reutergeld«, named for Fritz Reuter (1810–<br />

1874), the renowned author of popular texts in the Mecklenburg<br />

dialect. Along with such notes, which had the form but not<br />

the function of currency, Tschirch also <strong>des</strong>igned other editions.<br />

His <strong>des</strong>ign for an ultimately stable 1-dollar note of 1923 stands<br />

in connection with an unusual capital measure on the part of the<br />

Ministry of Finance of Mecklenburg-Schwerin.<br />

sonal amtlicher Stellen fehlt hierfür meist die Quellengattung<br />

der Personalakte. Daher setzen bruchstückhafte<br />

Überlieferungen der Klärung gesicherter Lebensdaten<br />

viele Schwierigkeiten entgegen, und geschönte<br />

Darstellungen in der Presse führen nicht selten auf Irrwege.<br />

Die seit Langem betriebene systematische Fürsorge<br />

für Künstlernachlässe im Deutschen Kunstarchiv im <strong>Germanischen</strong><br />

Nationalmuseum hat es nun ermöglicht, eine<br />

gesicherte Biografie von Egon Tschirch (1889–1949)<br />

zu erstellen, der für die erste Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts<br />

als der große Maler Rostocks gilt, darüber hinaus<br />

aber auch ein umfassen<strong>des</strong> grafisches Werk geschaffen<br />

hat, aus dem hier die Bezüge in die Geldkunst der<br />

Inflationszeit exemplarisch herausgearbeitet werden.


Detlef Hoffmann<br />

Symbolische Repräsentationen neben stationären Narrationen<br />

Graphische Bildsequenzen*<br />

Zusammenfassung<br />

Der Aufsatz argumentiert gegen die Verabsolutierung der Anwendung<br />

von Narrationstheorien auf Bilder. Seine These ist,<br />

dass Bilder nicht erzählen können, sie vielmehr Situationen statuieren.<br />

Dabei wird herausgearbeitet, dass auch Sequenzen<br />

wie Dürers Apokalypse, die entlang eines Textes konzipiert<br />

sind, nicht erzählen sondern Phasen der Erzählung festhalten,<br />

sie in das verwandeln, was hier eine »Symbolische Repräsentation«<br />

genannt wird. Selbst für die Bildgeschichte, den Comic,<br />

die sich über die Erzählung definiert, kann gezeigt werden,<br />

dass die einzelnen Bilder einen über die Narration hinausgehenden<br />

Bedeutungsüberschuss produzieren.<br />

Da seit mehr als einem Jahrzehnt der Blick der Kunstgeschichte<br />

auf die Nützlichkeit von Erzähltheorien gelenkt<br />

wird, die die Literaturwissenschaften beschäftigen,<br />

1 scheint es sinnvoll, den Fokus auf die Spezifik<br />

bildlicher Konstruktionen zu richten. Diese besteht darin,<br />

dass Bilder nicht nur erzählen sondern auch statuieren,<br />

still stellen. Versteinerte Szenen, denen das Paradox<br />

der »Lebenden Bilder« zuzuordnen wäre,<br />

können nicht nur als erzählende Szenen angeschaut<br />

werden 2 sondern gleichermaßen als symbolische Gebilde,<br />

die sich nicht wie der Fluss der Erzählung immer<br />

wieder verändern und in ihrer gleich bleibenden Präsenz<br />

Bedeutung konstituieren. Das Wort statuieren<br />

stammt von Johann Wolfgang von Goethe (1749–<br />

1832), der in seiner Kritik von Karl Friedrich Lessings<br />

»Klosterhof im Schnee« aus dem Jahre 1830 schreibt:<br />

»Das sind ja lauter Negationen <strong>des</strong> Lebens, und der<br />

freundlichen Gewohnheiten <strong>des</strong> Daseins, um mich meiner<br />

eigenen Worte zu bedienen. Zuerst also die erstorbene<br />

Natur, Winterlandschaft; den Winter statuiere ich<br />

nicht; und zuletzt, nun vollends noch ein Toter, eine Leiche;<br />

den Tod aber statuiere ich nicht.« 3 Statuieren ist<br />

der Gegensatz zu Erzählen, es ist eine entscheidende<br />

Fähigkeit von Bildern, selbst in der Sequenz statuieren<br />

sie noch. Es gibt bedeutungskonstituierende Bildelemente,<br />

die mit dem symbolischen Haushalt eines Indivi-<br />

185<br />

Abstract<br />

The essay argues against absolutizing the use of narration<br />

theories for paintings. The author’s thesis is that pictures cannot<br />

tell stories but rather exemplify situations. It is elaborated, for<br />

example. that even sequences like Dürer’s Apocalypse, which<br />

are conceived parallel to a text, do not narrate but instead<br />

record phases of the narration, turning them into what is <strong>des</strong>cribed<br />

here as a »symbolic representation.« Even for picture<br />

stories, i.e. comic strips, which define themselves by way of the<br />

story, it can be shown that the individual pictures produce a<br />

surplus of meaning that goes beyond the story itself.<br />

duums oder einer Kultur funktionieren und unabhängig<br />

von <strong>des</strong>sen möglichem erzählerischen Aufbau zu Dominanten<br />

eines Bil<strong>des</strong> werden. An den beiden Extremen<br />

der Amplitude wären auf der einen Seite repräsentative<br />

Bilder zu sehen auf der anderen still gestellte<br />

Erzählungen. Der erste Fall sei an einigen Spielkarten<br />

vorgestellt, der letzte an der »Abdankung Karls V.« von<br />

Louis Gallait (1810–1887). Der narratologische Leitfaden<br />

dieses Textes sind zwei Bücher von Will Eisner<br />

(1917–2005): »Graphic Storytelling« von 1996 und<br />

»Comics and Sequential Art«, 1985 in der erste Auflage<br />

erschienen.<br />

Das erste Beispiel ist das so genannte Liechtensteinsche<br />

Spiel (Abb. 1), <strong>des</strong>sen Datierung in die Jahre 1440 bis<br />

1450 sich durchgesetzt hat. 4 Unter der vorliegenden<br />

Fragestellung sei auf den Unterschied zwischen den repräsentativ<br />

thronenden Königen und den restlichen Figuren<br />

verwiesen, die in eingefrorenen Bewegungen<br />

gezeigt werden. Sie beschäftigen sich demonstrativ mit<br />

ihren Farbzeichen Schwert, Stock, Becher und Münze.<br />

Wie im Tanz heben sie sie so hoch wie möglich in die<br />

Luft oder beugen sich zu den herab gefallenen Zeichen<br />

hinunter. Ähnliches ist in der Wappenreihe zu beobachten.<br />

Über die ersten 200 Jahre der europäischen<br />

Spielkartengeschichte ist augenscheinlich, wie diese


Thomas Schindler<br />

Mehr als ein Kerngehäuse<br />

Die Lade der Nürnberger Flitterschläger, Messingschaber und Rechenpfennigmacher<br />

Zusammenfassung<br />

Sowohl die Flitterschläger als auch die Rechenpfennigmacher<br />

waren Angehörige <strong>des</strong> Handwerks der Messingschaber. Zur<br />

zentralen Verwahrung ihrer Kasse sowie zur Aufbewahrung<br />

wichtiger offizieller Dokumente diente den Handwerken eine<br />

1699 hergestellte Lade. Diese enthielt neben der Kasse und 95<br />

Schriftstücken auch 10 Mustertafeln, 20 Umschläge mit »Proben«<br />

von Meisterstücken aus den Jahren 1612 bis 1764 sowie<br />

die Meisterpunze der Flitterschläger und Rechenpfennigmacher.<br />

Mit der Auflösung <strong>des</strong> Handwerks in den 1860er Jahren<br />

verblieb das Verwahrmöbel zunächst in der Hand <strong>des</strong> letzten<br />

Vorgehers und ging 1917 schließlich in Museumsbesitz über.<br />

Den besonderen wissenschaftlichen Wert dieser Lade macht ihr<br />

einmaliger, weil authentischer Inhalt aus.<br />

»Die Handwerkslade ist das Behältnis der Handwerker,<br />

in welchem sie ihre Ordnung, Privilegien, Handwerksbücher,<br />

Handwerkssiegel, Geburts- und Lehrbriefe und<br />

andere gemeinschaftliche Handwerkssachen aufbehalten«<br />

1 schreibt Johann Andreas Ortloff, der in der<br />

handwerksgeschichtlichen Forschung als einer der<br />

frühen sowie meinungsbildenden Dokumentare und<br />

Kommentatoren gilt, im Jahr 1803. Sein Interesse als Jurist<br />

richtete sich auf die rechtliche Stellung <strong>des</strong> Handwerks<br />

sowie der einzelnen Handwerker, weniger auf<br />

deren Sachkultur. Umso interessanter ist sein Hinweis<br />

auf den Inhalt einer hypothetischen Handwerkslade.<br />

Ihm war einerseits bewusst, dass in einem solchen Möbel<br />

gemeinschaftlicher Besitz einer ganz bestimmten<br />

Kategorie, nämlich Verwaltungssachen, verwahrt wurde.<br />

Darüber hinaus ließ Ortloff jedoch auch Spielraum<br />

für weiteres. Mit seiner vorsichtigen wie pauschalen<br />

Aussage skizzierte er eine Einteilung von Ladeninhalten,<br />

die in zweihundert Jahren Forschung nahezu unverändert<br />

Bestand haben sollte. Bis heute ist es kaum<br />

möglich, den Inhalt historischer Handwerksladen am<br />

Objekt selbst zu studieren und die neuere Fachliteratur<br />

weist bislang lediglich eine Lade in Sachsen mit vollständig<br />

überliefertem Inhalt bei der Übergabe an ein<br />

199<br />

Abstract<br />

The Fripperymakers and Trade Tokensmakers of Nürnberg were<br />

part of the brass makers guild. In 1699 they ordered an new<br />

craftsman’s chest to stow their cash box as well as important official<br />

guild documents. At least they loaded the chest with 129<br />

different objects, including 95 papers, 20 samples of masterpieces,<br />

10 trade samples and 3 tools. After the guilds liquidation<br />

in the 1860s the chest changes the owner. From then on it<br />

was kept in original condition for almost 40 years by the last<br />

head of the guild. After the death of his son in the year 1917 it<br />

was given to the museum as an specific legacy. The authentic<br />

character of the chest and its complete filling which is very rare<br />

makes it so important for the basic research in the topic of historical<br />

craftsmans culture.<br />

Museum aus. 2 Bei allen weiteren Überlieferungen sind<br />

sie rein virtueller Natur und stützen sich bestenfalls auf<br />

archivalisch dokumentierte Inventare.<br />

Vom Verwahrmöbel zum Zunftschrein<br />

Mit einem in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

entstandenen historischen Interesse an den im Verschwinden<br />

befindlichen »traditionellen Handwerken«<br />

stiegen die zwecklos gewordenen »Überbleibsel« 3 der<br />

korporierten Gewerke zu musealem Sammelgut auf.<br />

Bereits um 1900 befassten sich landauf und landab unzählige<br />

Ausstellungen mit der Zunfthistorie, indem vermeintlich<br />

typische Gegenstände unter vorwiegend<br />

kunsthistorischen Gesichtspunkten gruppiert wurden.<br />

Diese Perspektive bevorzugte ästhetisch herausragende<br />

Exponate mit der Folge, dass mitunter die gesamte<br />

Sammlungstätigkeit unter dieser Prämisse erfolgte. 4<br />

Handwerksladen, 5 die »Heiligtümer der Zünfte«, 6 wurden<br />

in diesem Zusammenhang nicht als Gehäuse interpretiert<br />

sondern als spezifisch klassifizierbare, repräsentativ<br />

gestaltete Kleinmöbel. Der oft noch<br />

vorhandene Ladeninhalt, in doppeltem Sinn der eigentliche<br />

Kern <strong>des</strong> Ganzen, wurde in der Regel jedoch


Verena Kotonski<br />

Belederte Weidenkörbe <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts aus Franken<br />

Untersuchungen zum technologischen Aufbau<br />

Zusammenfassung<br />

Besondere Merkmale belederter Körbe <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts aus<br />

Franken sind der Bezug <strong>des</strong> Weidengeflechts mit verschiedenfarbigen<br />

Ledern und Pergament sowie ihre Auszier mit Metallfaden-,<br />

Zirm- und Federkielstickerei. Der Beitrag stellt die Ergebnisse<br />

der technologischen Untersuchungen von vier Armkörben<br />

aus der volkskundlichen Sammlung <strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong><br />

in Nürnberg vor.<br />

Der Anlass zur technologischen Untersuchung von vier<br />

belederten Armkörben aus der Sammlung Volkskunde<br />

<strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong> (Abb. 1–4) hatte<br />

zunächst konservatorische Gründe. Während der eingehenden<br />

Beschäftigung mit den Objekten im Rahmen<br />

einer Diplomarbeit am Institut für Restaurierungs- und<br />

Konservierungswissenschaft der Fachhochschule Köln<br />

(CICS –Cologne Institute of Conservation Sciences)<br />

wurde deutlich, dass die Körbe in der Forschung bisher<br />

wenig Beachtung gefunden hatten, ganz im Gegensatz<br />

zu den breiten Ledergürteln, die seit der ersten Hälfte<br />

<strong>des</strong> 18. Jahrhunderts zur männlichen Kleidung im südlichen<br />

Bayern und in Österreich gehörten. 1 Dieser Umstand<br />

ist bemerkenswert, weisen doch Körbe und<br />

Gürtel auffällige Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer<br />

Herstellung auf. Ein Ziel <strong>des</strong> Beitrages ist, einen detaillierten<br />

Überblick über die verwendeten Materialien<br />

und angewandten Techniken der belederten Körbe zu<br />

geben. Es wird auf Parallelen in Gestaltung und Konstruktion<br />

zwischen den einzelnen Körben hingewiesen<br />

und versucht, die technologischen Beobachtungen in<br />

einen kulturhistorischen Kontext einzubetten. 2<br />

Beschreibung sowie zeitliche und regionale<br />

Einordnung der Körbe<br />

Der Rumpf der Weidenkörbe ist von ovaler, sich nach<br />

oben erweiternder Form, wobei die Wandung im unteren<br />

Drittel stark eingezogen ist. Ein Bügelhenkel ist in sie<br />

integriert und der gewölbte Deckel fällt in sie ein, d. h.<br />

211<br />

Abstract<br />

The unique feature of 19 th century leather-covered baskets from<br />

Franconia (Bavaria/Germany) is the combination of materials<br />

used in their manufacture: willow, leather and coloured parchment,<br />

along with decoration such as metal thread embroidery,<br />

thin leather straps and quills. This contribution presents the<br />

results of the technological examination of four of these baskets<br />

from the folk art collection of the Germanisches Nationalmuseum<br />

in Nuremberg.<br />

als Auflage für den letzteren dient ein innen in die Wandung<br />

eingearbeiteter Deckelfalz. Die Maße der Körbe<br />

sind sehr ähnlich: Ihre durchschnittliche Höhe und Breite<br />

beträgt jeweils 40,4 cm, die Tiefe 31,7 cm. Charakteristisch<br />

ist eine Belederung, die die Außenseiten komplett<br />

oder teilweise bedeckt. Sie setzt sich aus verschiedenfarbigen<br />

Leder-, Pergament- und Textilstücken zusammen<br />

und ist mit Zierstickerei auf der Korboberfläche befestigt.<br />

Zwei der vier untersuchten Körbe sind mit Jahreszahlen<br />

versehen: der teilbelederte Korb BA 1706 (Abb. 1)<br />

ist inschriftlich auf 1858 datiert, der mit Palmettenmotiv<br />

(BA 2239, Abb. 2) auf 1863. Der Korb mit Textilbesatz<br />

(BA 2234, Abb. 3) stammt wohl ebenfalls aus der Mitte<br />

<strong>des</strong> 19. Jahrhunderts. 3 Für den Korb mit Eichel- und<br />

Eichblattmotiv (BA 1894, Abb. 4) ist im Inventar eine<br />

Entstehung »um 1830/40« vermerkt. Die Herstellungsorte<br />

der Körbe sind unbekannt. Als Erwerbsorte nennen<br />

die Museumsinventare Franken bzw. Nürnberg, wobei<br />

der Korb von 1858 aus Hexenagger im Altmühltal nahe<br />

Kelheim stammt.<br />

Identifizierung der verwendeten Materialien<br />

und Techniken<br />

Der Weidenkorb<br />

Feinflechtarbeiten wie die Körbe sind überwiegend aus<br />

weißer Weide hergestellt, ein besonders hochwertiges<br />

und teures Material. Zunächst erfolgte das Zurichten<br />

der Weidenruten zu »Schienen«. 4 Eine Schiene ist eine


Zusammenfassung<br />

Luitgard Löw<br />

Aus den Archiven <strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong><br />

Aspekte zur Museumsgeschichte<br />

Das Germanische Nationalmuseum bewahrt in seinen Archiven,<br />

dem Historischen Archiv und dem Deutschen Kunstarchiv, umfangreiches<br />

Quellenmaterial auf. Letzteres beherbergt Nachlässe<br />

von Künstlern und Sammlern, während sich im Historischen Archiv<br />

unter anderem die Altregistratur mit den museumseigenen<br />

Akten befindet, von denen ein Teil im Januar 1945 verbrannte.<br />

Aus dem erhaltenen Bestand lassen sich wichtige Informationen<br />

erschließen. Insbesondere für neue, weiter ausgreifende Fragen<br />

zur musealen, auf gesellschaftliche Prozesse ausgerichtete Wissenschaftsgeschichte<br />

der Zeiträume, in denen die Rolle <strong>des</strong> Museums<br />

bislang nur wenig beachtet wurde, wie der Weimarer Republik<br />

und der NS-Zeit, sind sie besonders aussagekräftig. Das<br />

zeigt sich bereits an den wenigen, hier aufgeführten Beispielen<br />

aus Verwaltung, Mitgliedspflege, Bibliothek und Objekterwerb.<br />

Eine weitere und für die Zukunft wünschenswerte Erschließung<br />

und Aufarbeitung der Akten dürfte <strong>des</strong>halb zahlreiche neue<br />

Aspekte zur Geschichte <strong>des</strong> Museums hervorbringen.<br />

Die umfangreiche Festschrift, die zum 125jährigen Bestehen<br />

<strong>des</strong> <strong>Germanischen</strong> <strong>Nationalmuseums</strong> erschienen<br />

ist, zeichnet seine Geschichte seit der Gründung<br />

auf eine für die 1970er Jahre moderne Weise auf. Allerdings<br />

ließ die in dem gebotenen Rahmen kritische<br />

Darstellung zahlreiche Aspekte <strong>des</strong> institutionsgeschichtlichen<br />

Ansatzes unberücksichtigt. Diese Defizite<br />

betonten die Herausgeber unter anderem in ihrem<br />

Nachwort und sie räumten ein, dass das fehlende Kapitel<br />

über »Das Museum im Dritten Reich« ein schwerwiegen<strong>des</strong><br />

Versäumnis sei. Für das Selbstverständnis<br />

<strong>des</strong> Museums wie auch für die heutige, auf gesellschaftsgeschichtliche<br />

Prozesse ausgerichtete museale<br />

Wissenschaftsgeschichte ist es von großer Bedeutung,<br />

genau diese Forschungslücke aufzunehmen und darüber<br />

hinaus neue, weiter ausgreifende Fragen zu stellen.<br />

Dies erfordert insbesondere die Auseinandersetzung<br />

mit dem Archivmaterial <strong>des</strong> Museums.<br />

Das Germanische Nationalmuseum besitzt heute<br />

zwei Archive, das Historische Archiv und das Deutsche<br />

219<br />

Abstract<br />

The Germanisches Nationalmuseum preserves in its archives extensive<br />

source materials. In the Fine Arts Archive are to be found<br />

the bequests of artists and collectors, while the Historical<br />

Archive houses, among other things, the original early records<br />

and files of the museum itself. Some of these archives were <strong>des</strong>troyed<br />

by fire in January 1945, but the surviving material still<br />

provi<strong>des</strong> much valuable information. This is especially true of<br />

the archives relating to the period of the Weimar Republic and<br />

the Third Reich which, until now, have received little attention,<br />

particularly with regard to the currently topical issue of the museum’s<br />

role in society. This paper focuses on illuminating examples<br />

drawn from administration, member care, the library and<br />

object acquisition. Continuing examination and publication of<br />

this archival material will undoubtedly bring to light numerous<br />

rewarding insights into the history of the Germanisches Nationalmuseum.<br />

Kunstarchiv (DKA). 1 Während das 1964 als »Archiv<br />

für bildende Kunst« 2 gegründete Deutsche Kunstarchiv<br />

die für unsere Fragestellung überaus wichtigen schriftlichen<br />

Nachlässe von Künstlern, Kunsthistorikern, Sammlern,<br />

Mäzenen und anderes mehr beherbergt, 3 verwaltet<br />

das Historische Archiv 4 unter anderem die<br />

Altregistratur mit den museumseigenen Akten, also Unterlagen<br />

aus dem Geschäftsverkehr <strong>des</strong> Museums<br />

(Abb. 1). Sie bilden eine organisch entstandene Dokumentation,<br />

freilich dezimiert durch die Verluste <strong>des</strong> Luftangriffs<br />

vom 2. Januar 1945, bei dem das Verwaltungsgebäude<br />

am Kornmarkt ausbrannte. Damals<br />

wurden min<strong>des</strong>tens die Akten der Jahre 1942 bis 1944<br />

und die Direktionsakten vernichtet.<br />

Das Repertorium <strong>des</strong> Historischen Archivs verzeichnet<br />

für die Zeit bis 1946 etwa 750 zumeist gut gefüllte<br />

Kapseln mit den Akten <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong> und der Sammlungen<br />

sowie der Leihgaben der Ausstellungen und Publikationen,<br />

der Bibliothek, der Finanzen und <strong>des</strong> Personals,<br />

der Verwaltung sowie der Gebäude. Sie

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