Zeitzeugenberichte: JWH, AS - Haus der Demokratie und ...
Zeitzeugenberichte: JWH, AS - Haus der Demokratie und ...
Zeitzeugenberichte: JWH, AS - Haus der Demokratie und ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Menschen? Rechte? Unverzichtbar.<br />
Menschenrechtsbildung mit Jugendlichen<br />
– Karteikarten für den Workshopeinsatz<br />
Zeitzeugnisse DDR-Spezialheime: Gesamtbestand<br />
www.haus<strong>der</strong>demokratie.de/unverzichtbar
<strong>AS</strong> 1<br />
Ich war 10 o<strong>der</strong> 11 Jahre alt. Meine Mutter verweigerte meinen<br />
<br />
Begründung, dass die Kin<strong>der</strong> ja schon wie<strong>der</strong> Uniformen tragen wie<br />
zu ihrer Zeit bei <strong>der</strong> Hitlerjugend. Fazit: Sie wurde fristlos entlassen<br />
<strong>und</strong> ich kam ins Heim.<br />
<br />
Meine Mutter war eine mehrfach ausgezeichnete Bestarbeiterin,<br />
durfte sogar im damaligen Grenzgebiet arbeiten. Im familiären<br />
Alltag gab es keine Beson<strong>der</strong>heiten, die darauf schließen lassen<br />
könnten, dass sich Probleme anbahnen.<br />
Erinnerungen von Peter H, <strong>der</strong> 1969 ins Durchgangsheim Alt-Stralau eingewiesen wurde<br />
<strong>und</strong> bis 1974 u.a. im Spezialkin<strong>der</strong>heim Altengottern <strong>und</strong> im Jugendwerkhof Burg<br />
untergebracht war; Quelle: Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong> Menschenrechte, Berlin
Frage: Hatten Sie Kontakt zu Ihren Verwandten? Wenn ja, wie oft?<br />
Peter H.: Man darf nicht vergessen, dass meine Zwangseinweisung<br />
auf ein politisches Vergehen meiner Mutter zurückzuführen war.<br />
Schreiberlaubnis, Urlaub o<strong>der</strong> Besuch bekam ich nicht.<br />
<br />
<strong>AS</strong> 2<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Frage: Wurden Sie gedemütigt? Wenn ja, aus welchem Anlass?<br />
Peter H.: Jede Bestrafung war eine Demütigung den an<strong>der</strong>en<br />
Kin<strong>der</strong>n gegenüber. Ein Beispiel: zwei St<strong>und</strong>en nackt im kalten<br />
Waschraum Strafe stehen, weil man sich nicht richtig o<strong>der</strong> nur<br />
oberflächlich gewaschen hat. <br />
Geachtet wurden wir, wenn überhaupt, als kleine willenlose Diener<br />
<strong>und</strong> Ja-<br />
<strong>AS</strong> 3<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Frage: Wurden Sie beschimpft o<strong>der</strong> bedroht?<br />
Peter H.: Beschimpft <strong>und</strong> bedroht werden war <strong>der</strong> Alltag für uns<br />
Kin<strong>der</strong>. Hierzu sei gesagt, dass diese Erziehungsmethode in jedem<br />
Heim gängige Normalität war.<br />
<strong>AS</strong> 4<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Man musste kein Verbrechen begehen, um im Arrestraum<br />
eingesperrt zu werden. Ich war zweimal zu Gast in diesem dunklen<br />
Raum. Einmal für eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem Mitinsassen<br />
für zwei Tage <strong>und</strong> einmal, weil ich mich nicht an die Anordnung<br />
eines Erziehers gehalten habe, für fünf Tage.<br />
Der Raum war durch eine schwere Holztür mit Guckloch<br />
abgesichert, innen war alles abgedunkelt <strong>und</strong> sah eher wie ein<br />
stilles Krankenzimmer aus. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, ein Eimer<br />
<br />
<strong>AS</strong> 5<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Man musste kein Verbrechen begehen um im Arrestraum<br />
eingesperrt zu werden. Ich war zweimal zu Gast in diesem dunklen<br />
Raum. Einmal für eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem Mitinsassen<br />
für zwei Tage <strong>und</strong> einmal weil ich mich nicht an die Anordnung<br />
eines Erziehers gehalten habe für fünf Tage.<br />
<br />
Ich selbst habe keine Flucht in Alt-Stralau miterlebt. Aber im<br />
Arrestraum neben mir war ein Junge schon seit fast 2 Wochen<br />
wegen eines Fluchtversuches <strong>und</strong> wartete dort auf seinen<br />
Weitertransport in ein Spezialkin<strong>der</strong>heim.<br />
<strong>AS</strong> 6<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Frage: Welche Verbote <strong>und</strong> Strafen gab es?<br />
Peter H.: Verboten war alles. Die Frage ist falsch gestellt, richtig<br />
h hier muss man berücksichtigen,<br />
dass Erzieher unterschiedlich reagierten. Was bei dem einen<br />
erlaubt war, konnte bei einem an<strong>der</strong>en zur Höchststrafe führen.<br />
Die Bestrafungen: Einzelarrest, Essensentzug, Schlafentzug,<br />
Strafarbeiten, Fernsehverbot, Unterkühlung durch eisiges Wasser,<br />
Sport bis zur Erschöpfung, Schläge, Tritte.<br />
<strong>AS</strong> 7<br />
Erinnerungen von Peter H., <strong>der</strong> 1969 mit 10/11 Jahren in das Durchgangsheim Alt-Stralau<br />
gebracht wurde <strong>und</strong> etwa 6 Jahre in verschiedenen Heimen leben musste, weil seine<br />
Mutter seine Aufnahme in die politische Oere<br />
einem Vergleich mit <strong>der</strong> Hitlerjugend begründete
Das erste Mal [war ich ] im Durchgangsheim Alt-Stralau Ende 1982<br />
.<br />
I<br />
Alle, die 14 Jahre <strong>und</strong> älter waren, die haben dort tagsüber<br />
gearbeitet. Wir haben Diarahmen zusammengesteckt. Also es gab<br />
mal eine Zeit noch vor dem Beamer <strong>und</strong> Filmprojektor o<strong>der</strong><br />
ähnliches, da hat man Fotos gemacht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fotograf hat daraus<br />
Dias angefertigt, die man sich dann zu <strong>Haus</strong>e mit dem Diaprojektor<br />
an die Wand werfen konnte Und die Plastikrahmen, die haben<br />
wir im Durchgangsheim als Kin<strong>der</strong> ohne Arbeitsentgelt, ohne<br />
irgendwas im Akkord zusammengebastelt [Man musste eine<br />
bestimmte Stückzahl erreichen]. So 25 Stück waren das, glaube<br />
ich, immer. Und dann wurden die verkauft. Und davon hat man<br />
diese Heime mitfinanziert.<br />
<strong>AS</strong> 8<br />
Erinnerungen von Stefan L., <strong>der</strong> 1982 im Alter von 15 Jahren für einige Wochen in das<br />
Durchgangsheim Alt-Stralau (Berlin) kam <strong>und</strong> später in einem Berliner Jugendwohnheim<br />
untergebracht wurde; Quelle: Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong> Menschenrechte
<strong>AS</strong> 9<br />
Ich kam dann, weil meine Mutter mich nicht mehr aufnehmen wollte<br />
für drei o<strong>der</strong> vier Wochen in dieses Durchgangs-<br />
<br />
ja keine endgültige Heimunterbringung, son<strong>der</strong>n nur für den<br />
Zeitraum, wo das Jugendamt eben die Zeit brauchte, um einen<br />
<br />
Geschlecht, kein Lachen, kein Spaß, keine freie Bewegungsmöglichkeit.<br />
Nachts die Schlafräume zugeschlossen, kein<br />
WasserDa steht bloß ein Kübel für<br />
die Notdurft.<br />
Erinnerungen von Stefan L., <strong>der</strong> 1982 im Alter von 15 Jahren für einige Wochen in das<br />
Durchgangsheim Alt-Stralau (Berlin) kam <strong>und</strong> später in einem Berliner Jugendwohnheim<br />
untergebracht wurde; Quelle: Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong> Menschenrechte
<strong>AS</strong> 10<br />
[Das] Durchgangsheim Alt-Stralau, [eine Einrichtung] für Kin<strong>der</strong> von sechs bis<br />
achtzehn Jahren, hatte im Keller zwei Einzelarrestzellen. Und ich persönlich<br />
habe dort mehrere Tage <strong>und</strong> Nächte verbringen müssen. Übrigens<br />
zusammen mit einem Mädchen. Also nicht zusammen in einer Zelle, son<strong>der</strong>n<br />
die war in einer Zelle <strong>und</strong> ich war in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Zelle. Und <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> war,<br />
auf Arbeit haben wir nebeneinan<strong>der</strong> gesessen, <strong>und</strong> wir haben Händchen<br />
gehalten. Irgendwann mal für ein paar Sek<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> so. Und wir haben<br />
miteinan<strong>der</strong> geflüstert. Und <strong>der</strong> Arbeitserzieher hat das gesehen <strong>und</strong> an die<br />
an<strong>der</strong>en Erzieher gemeldet <strong>und</strong> boom waren wir für verbotene<br />
Kontaktaufnahme für mehrere Tage auf Einzelarrest.<br />
Über [einen] Lüftungsschacht konnten wir uns wun<strong>der</strong>bar unterhalten.<br />
<br />
dann hat sie mir Lie<strong>der</strong> vorgesungen, die neusten Popsongs <strong>und</strong> so. Also ich<br />
fand das total lustig.<br />
Erinnerungen von Stefan L., <strong>der</strong> 1982 im Alter von 15 Jahren für einige Wochen in das<br />
Durchgangsheim Alt-Stralau (Berlin) kam <strong>und</strong> später in einem Berliner Jugendwohnheim<br />
untergebracht wurde; Quelle: Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong> Menschenrechte
Junge 1: Ich wurde hierher [ins Durchgangsheim Alt-Stralau]<br />
gebracht, vom Heim.<br />
Interviewer: Und warum?<br />
Junge 1: Na wegen <strong>der</strong> ganzen Brandstiftung.<br />
Interviewer: Wo kommst du hin, wenn du jetzt hier rauskommst.<br />
Weißt du das?<br />
<strong>AS</strong> 11a<br />
Junge 1: Na in ein an<strong>der</strong>es Kin<strong>der</strong>heim, aber ich weiß nicht, wo es<br />
ist.<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
<strong>AS</strong> 11b<br />
Junge 2: Also ich bin hier [im Durchgangsheim Alt-Stralau], weil ich<br />
abgehauen bin, aus dem Spezialheim.<br />
Interviewer: Was heißt Spezialheim?<br />
Junge 2: Spezialheim heißt das ist für Kin<strong>der</strong>, die nie auf ihre<br />
Eltern gehört haben o<strong>der</strong> [<strong>der</strong>en] Eltern nicht gut genug waren, die<br />
nicht aufpassen konnten, so dass die Kin<strong>der</strong> immer scheiße gebaut<br />
haben, so wie eingebrochen sind, Brandstiftungen. Aber ich bin<br />
Wenn man zum Beispiel im Normalheim ist <strong>und</strong> Ich bin<br />
immer wie<strong>der</strong> weggelaufen aus dem Normalheim.<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
<strong>AS</strong> 11c<br />
Interviewer: Und warum bist du immer weggelaufen, wo wolltest du<br />
denn hin?<br />
Junge 2: Ich, ich wollte nach <strong>Haus</strong>e. Ich will nach <strong>Haus</strong>e. Da bin ich<br />
immer weggelaufen <strong>und</strong> meine Heimleiterin im Normalheim hat es<br />
nicht mehr mitgemacht <strong>und</strong> hat mich dann in ein Spezialheim<br />
verlegt. Da bin ich jetzt auch immer weggelaufen.<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
Interviewer: Und wie ist es bei Dir? Wie alt bist du?<br />
<strong>AS</strong> 11d<br />
Junge 3: Ich bin zehn Jahre. Ich komme aus Cottbus <strong>und</strong> bin durch<br />
meine Schuldisziplin in ein Normalkin<strong>der</strong>heim gekommen, bloß da<br />
habe ich mich überhaupt nicht benommen in <strong>der</strong> Schule <strong>und</strong> bin<br />
dann immer wie<strong>der</strong> entwichen <strong>und</strong> bin auch aufgegriffen worden,<br />
immer wie<strong>der</strong> <br />
Interviewer: Wie bist du denn aufgegriffen worden,?<br />
Junge 3: Na zum Beispiel ich ] bin schwarz mit dem Zug<br />
gefahren, ohne zu bezahlen <br />
Interviewer: Und dann? Hat <strong>der</strong> Schaffner dich gemeldet?<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
<strong>AS</strong> 11e<br />
Junge 3: Und dann haben sie mich zur Bahnpolizei gebracht <strong>und</strong><br />
dann wurde ich in ein an<strong>der</strong>es Heim gebracht, in ein<br />
Durchgangsheim, dann kam ich ins Normalheim, bloß da hatte man<br />
gesagt, man mache es nicht mehr mit, <strong>und</strong> dann hat mich <strong>der</strong><br />
Heimleiter aus diesem Heim nach Heinewalde gebracht, das liegt<br />
bei Zittau, <strong>und</strong> von dort aus bin ich dann immer weiter gekommen,<br />
so dass ich im Weißwasser [Spezialkin<strong>der</strong>heim in <strong>der</strong> Nähe von<br />
Forst <strong>und</strong> Cottbus] gelandet bin <br />
Da habe ich die Nase voll gehabt. Ich lasse mich nicht von den<br />
Erziehern provozieren <strong>und</strong> [auch nicht] von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> ich bin<br />
immer wie<strong>der</strong> entwichen <strong>und</strong> so bin ich jetzt auf einmal also hier<br />
gelandet.<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
Interviewer: Was ist denn mit euren Eltern?<br />
Junge 3: Na ja ich hab ja jetzt Pflegeeltern, weil meine richtigen<br />
Eltern, die sind ins Gefängnis gekommen, weil sie nicht arbeiten<br />
waren, also sozusagen Assi sind. Sie wohnen jetzt noch in Forst.<br />
Ich war ja drei Jahre bei ihnen. Als ich dann vier Jahre wurde, bin<br />
ich da weggekommen, vier Monate vor meinem Geburtstag <br />
<strong>AS</strong> 11f<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
Interviewer: Was ist denn für euch das Wichtigste im Leben? <br />
Junge1: Na, eine Wohnung zu haben.<br />
<strong>AS</strong> 11g<br />
Junge 3: Na meine wichtigsteas ich zu tun hab, das ist, dass<br />
ich mir etwas leisten kann erst mal, dass ich ein <strong>Haus</strong> hab, denn ich<br />
kann nicht draußen auf <strong>der</strong> Straße irgendwo übernachten<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
Interviewer: Was ist denn für Euch das größte Glück? Könnt ihr<br />
euch das Glück vorstellen?<br />
<strong>AS</strong> 11h<br />
Junge 2: Wenn sie sagen würden ... Ja, ich kann mir mein Glück<br />
vorstellen. Mein größtes Glück wäre, wenn ich nach <strong>Haus</strong>e<br />
kommen würde Wenn sie sagen würden. Na, ja probieren wir es<br />
zu <strong>Haus</strong>e bei ihm. Wenn er sich gut führt, dann kann er [aus dem<br />
Heim] entlassen werden also kann er für immer zu <strong>Haus</strong>e<br />
bleiben. Das wäre mein Glück.<br />
Interview mit Kin<strong>der</strong>n (etwa 10-13 Jahre) im Durchgangsheim Alt-Stralau, in: Zurück nach<br />
<strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans Sparschuh (u.a.), elf99, DDR<br />
Fernsehen 1989
<strong>AS</strong> 12a<br />
Interviewer: Vor einer Viertelst<strong>und</strong>e bis du hierher gebracht worden.<br />
Von wem?<br />
Jugendliche: Von <strong>der</strong> VP [Volkspolizei].<br />
Interviewer: Und von wo haben sie dich geholt?<br />
Jugendliche: Sie haben mich zu <strong>Haus</strong>e geholt, also bei meinen<br />
Eltern Ich hab den Leuten beim <strong>Haus</strong>halt geholfen, bin<br />
einkaufen gegangen...<br />
Interview mit einem 16-jährigen Mädchen, das nach dem Ausreißen aus dem<br />
Jugendwerkhof Eilenburg aufgegriffen <strong>und</strong> ins Durchgangsheim Alt-Stralau gebracht<br />
wurde, in: Zurück nach <strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans<br />
Sparschuh (u.a.), elf99, DDR Fernsehen 1989
Interviewer: Du bist ausgerissen, aus dem Jugendwerkhof<br />
Eilenburg<br />
<strong>AS</strong> 12b<br />
Jugendliche: Meine Mutter ist Alkoholikerin <strong>und</strong> mein Vater ist<br />
zuckerkrank. Also <strong>der</strong> muss arbeiten normalerweise, aber <strong>der</strong> geht<br />
nicht mehr arbeiten, weil seine Kraft nicht mehr dazu reicht. Und<br />
meine Mutter, die verleitet ihn immer mit Alkohol <strong>und</strong> da hat er auch<br />
immer keine Kraft zur Arbeit zu gehen. Da habe ich ihm geholfen,<br />
ich bin für ihn einkaufen gegangen, hab für ihn Essen geholt. Meine<br />
Mutter, wenn er betrunken im Bett liegt, macht ihm auch nichts zu<br />
essen <strong>und</strong> so, sie sagt ass ihn doch sterben, <strong>und</strong> so<br />
Interview mit einem 16-jährigen Mädchen, das nach dem Ausreißen aus dem<br />
Jugendwerkhof Eilenburg aufgegriffen <strong>und</strong> ins Durchgangsheim Alt-Stralau gebracht<br />
wurde, in: Zurück nach <strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans<br />
Sparschuh (u.a.), elf99, DDR Fernsehen 1989
<strong>AS</strong> 12c<br />
Sie macht überhaupt nichts mehr für ihn. Und das ist eigentlich<br />
<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, warum ich immer gehe. Weil ich irgendwie damit .. ich<br />
meine, mit dem Abhauen, kann ich meinen Eltern jetzt nicht helfen,<br />
aber ich versuche doch irgendwie meinem Vater zu helfen. [Ich<br />
habe auch schon] bei <strong>der</strong> VP [Volkspolizei] was gesagt <strong>und</strong> sie<br />
haben gesagt, sie werden versuchen, was zu machen, aber sie<br />
können nicht versprechen, dass es klappt.<br />
Interviewer: Du bist seit Januar im Jugendwerkhof, in Eilenburg, wie<br />
lange wirst du denn dort sein?<br />
Jugendliche: Also bis ich 18 bin, also praktisch noch an<strong>der</strong>thalb<br />
Jahre <br />
Interview mit einem 16-jährigen Mädchen, das nach dem Ausreißen aus dem<br />
Jugendwerkhof Eilenburg aufgegriffen <strong>und</strong> ins Durchgangsheim Alt-Stralau gebracht<br />
wurde, in: Zurück nach <strong>Haus</strong>e. Durchgangsheim Alt-Stralau, Ein Beitrag von Hans<br />
Sparschuh (u.a.), elf99, DDR Fernsehen 1989
<strong>JWH</strong> 1<br />
„In Torgau gab es kein Geld, keine Päckchen, keine Briefe, obwohl<br />
mir meine Eltern angeblich geschrieben haben. Auch Besuch gab's<br />
nicht, das war verboten.“<br />
Interview mit Lutz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 2<br />
„Ich habe gesehen, dass wohl so 12- o<strong>der</strong> 13-jährige Kin<strong>der</strong> aus<br />
Spezialheimen bei uns waren, die so etwa 14 Tage im <strong>JWH</strong> waren,<br />
um abgeschreckt zu werden. Sie sollten sich anschauen, was sie<br />
erwarten könnte. So waren sie im Speiseraum an <strong>der</strong> Heizung<br />
angekettet, haben tagelang nichts Richtiges zu essen bekommen<br />
<strong>und</strong> mussten uns zuschauen.“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, in:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 3<br />
„Das schlimmste war für mich die Dunkelzelle. Die gab es in<br />
Torgau. Erzieher von damals sagen heute, dass es so was nicht<br />
gab. Ich habe sie selbst erlebt, es war das schlimmste in meinem<br />
Leben. Ich kam in eine Zelle, die schwarz geteert war. Es gab kein<br />
Tageslicht, nur einen Schlitz, durch den Essen hineingereicht<br />
wurde. Nach drei Tagen ohne zu sehen kam ich raus <strong>und</strong> war völlig<br />
fertig.“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, in:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 4<br />
„In <strong>der</strong> Mädchenetage waren vier Arrestzellen. Dort war es im<br />
Winter bitterkalt, zumal auch die Heizung abgedreht war. Manchmal<br />
waren es in <strong>der</strong> Zelle kaum über Null Grad. Heulen durfte man<br />
nicht, dann wurde man geschlagen. Ein Erzieher mit Halbglatze, ich<br />
glaube <strong>der</strong> hieß N., kam öfters in den Schlafraum. Er hatte da eine,<br />
die hat er immer befummelt. N. hat auch zugesehen, wenn wir uns<br />
geduscht haben. Ich weiß, dass er auch zu Mädchen gegangen ist,<br />
die allein in <strong>der</strong> Arrestzelle waren.<br />
Interview mit Claudia R., Insassin des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 5<br />
„Wie lange durfte ein Jugendlicher in Torgau festgehalten werden?<br />
– Eigentlich nur sechs Monate. Aber es kam vor, dass sie eine<br />
Typen nach sechs Monaten einmal in ein Auto gesteckt haben,<br />
einmal durch die Stadt gefahren sind <strong>und</strong> dann wurde <strong>der</strong>... erneut<br />
für sechs Monate eingewiesen...“<br />
Interview mit Sven E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 6<br />
„Die Brutalität <strong>der</strong> Erzieher, das sind keine Menschen gewesen, das<br />
waren Tiere. Die haben ausgenutzt, dass sie mit uns machen<br />
konnten, was sie wollten. Viele von uns haben das nicht durch<br />
gestanden. „<br />
Interview mit Sven E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
„Zum Strafsport: Entwe<strong>der</strong> das Treppenkarussell – da ging es bis<br />
zu 100x die drei Etagen rauf <strong>und</strong> runter o<strong>der</strong> es gab die große<br />
R<strong>und</strong>e auf dem Hof. Dabei mussten wir mit Eisenbahnschwellen<br />
auf dem Rücken rennen, bis die ersten schlapp gemacht haben.<br />
Die mussten dann von den an<strong>der</strong>en mitgeschleppt werden.“<br />
<strong>JWH</strong> 7<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
„Der Erzieher dort hieß Herr M… Das war ein Karatetyp <strong>und</strong> als<br />
erstes gab er mir einen Fausthieb. Je<strong>der</strong> Erzieher hatte einen<br />
Gummiknüppel. Am Ende dieses Knüppels war eine Eisenkugel.“<br />
<strong>JWH</strong> 8<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
„Zwei sind damals in meiner Zeit abgehauen. Als sie<br />
wie<strong>der</strong>gebracht wurden, lagen sie mindestens einen Tag auf dem<br />
Flur. Ich erkannte die Gesichter nicht mehr, es war grauenhaft. ...<br />
Er machte uns vor, wie man eine Glasscheibe mit bloßer Hand<br />
zertrümmerte. Er sagte, er würde das nicht nur mit <strong>der</strong> Scheibe<br />
machen.“<br />
<strong>JWH</strong> 9<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 10<br />
„Der leitende Erzieher war ein Herr J., das war <strong>der</strong> Gewalttätigste.<br />
Anfangs hat er mir oft mit dem Schlüsselb<strong>und</strong> auf den Kopf<br />
geschlagen. Wenn wir in Reih <strong>und</strong> Glied standen <strong>und</strong> flüsterten,<br />
schlug er uns wahllos ins Gesicht. Wurde gequatscht o<strong>der</strong> Blödsinn<br />
gemacht, bekamen wir Prügel mit dem Gummiknüppel.“<br />
Interview mit Lutz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 11<br />
„Als ich ankam, musste ich mich in den Flur stellen <strong>und</strong> zwei bis<br />
drei St<strong>und</strong>en stillstehen. Dann bekam ich auch noch das<br />
Schlüsselb<strong>und</strong> ins Gesicht. Einmal hatte mich ein Schäferh<strong>und</strong> auf<br />
dem Hof angefallen. Ich trug Rissw<strong>und</strong>en...“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 12<br />
„Mit einem Kugelschreiber drehte er immer in den Ohren von uns<br />
herum, bis sie fast aufgerissen waren. Schrie man vor Schmerzen,<br />
musste man mit Gewichten im Entengang die Treppe hoch laufen.<br />
Geprügelt wurde, bis Jungen besinnungslos liegen blieben.“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 13<br />
„Ich habe mal gesehen, wie ein Erzieher einem Mädchen, Claudia<br />
hieß die, mit <strong>der</strong> Faust so eine geschossen hat, dass die den<br />
ganzen Flur lang gerutscht ist <strong>und</strong> dann liegen blieb. Bei <strong>der</strong> Angie<br />
war die Spezialität Entengang mit Hanteln. Wenn ihr das nicht<br />
schnell genug ging, dann hat sie auch schon mal nachgetreten. An<br />
den Treppenabsätzen standen Erzieher mit Gummiknüppeln <strong>und</strong><br />
haben auf die Jungen eingedroschen.“<br />
Interview mit Dietrich S., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 14<br />
„Dann kam ein Erzieher auf mich zu <strong>und</strong> schrie: nehmen Sie<br />
Haltung an. Während er das sagte, schlug er mir mit <strong>der</strong> Faust ins<br />
Gesicht. Danach kam ich erst mal für drei Tage in die Arrestzelle.<br />
Weil ich dabei nicht die <strong>Haus</strong>ordnung auswendig gelernt hatte, hat<br />
mir eine Erzieherin das schwere Schlüsselb<strong>und</strong> ins Gesicht<br />
geworfen. Das musste ich dann aufheben <strong>und</strong> mit gestrecktem Arm<br />
zurückgeben.“<br />
Interview mit Claudia R., Insassin des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 15<br />
„Von den Erziehern war <strong>der</strong> junge Spiegel <strong>der</strong> schlimmste Schläger.<br />
… Dann hat mich Spiegel den Flur langgescheucht, ich bin dabei<br />
hingefallen. Als ich unten lag, hat Spiegel auf mich eingetreten.“<br />
Interview mit Claudia R., Insassin des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 16<br />
„Die Brutalität <strong>der</strong> Erzieher: Das sind keine Menschen gewesen,<br />
das waren Tiere. Die haben ausgenutzt, dass sie mit uns machen<br />
konnten, was sie wollten. Ich bin an dem jungen Spiegel vorbei<br />
gegangen. Der hat mir dann von hinten die Beine weg<br />
geschlagen...“<br />
Interview mit Sven E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 17<br />
„Dann hat er mir voll in das Geschlechtsteil getreten. Der wusste,<br />
dass ich mich in <strong>der</strong> Zelle sowieso nicht wehren kann. Der hätte<br />
doch nur einmal rufen brauchen <strong>und</strong> schon wären zwei, drei<br />
Erzieher mit Gummiknüppeln zur Stelle gewesen. Ich habe nur die<br />
Schreie gehört. Den hat Q. mit Handschellen so an ein Gitter<br />
gekettet, dass er die 12 St<strong>und</strong>en auf Zehenspitzen stehen musste.“<br />
Interview mit Mike B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 18<br />
„Sie wurden geschlagen <strong>und</strong> blieben tagelang in <strong>der</strong> Zelle. Zu den<br />
Strafmaßnahmen gehörte das Treppenkarussell. Dabei wurden die<br />
Jugendlichen bis zu 100-mal die drei Etagen rauf <strong>und</strong> runter gejagt.<br />
Auf den Treppenabsätzen standen Erzieher, die auf die<br />
Jugendlichen eindroschen.“<br />
Interview mit Heinz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 19<br />
„Ich erinnere mich, wie Q. einem Jungen unmittelbar vor dem<br />
Essensraum an ein Gitter gekettet hat. Q. hat sich dann vor dem<br />
Jungen auf einen Hocker gesetzt <strong>und</strong> seelenruhig gegessen <strong>und</strong><br />
getrunken. Der Junge blieb St<strong>und</strong>en angekettet <strong>und</strong> bekam in<br />
dieser Zeit we<strong>der</strong> zu essen noch zu trinken. Er hat darum gebettelt,<br />
dass man ihn zur Verrichtung <strong>der</strong> Notdurft losmacht. Auch das<br />
wurde ihm nicht gestattet.“<br />
Interview mit Heinz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 20<br />
„Geschlagen wurden nicht nur Jungen, son<strong>der</strong>n auch Mädchen. Ich<br />
habe mal gesehen, wie Spiegel einem Mädchen mit <strong>der</strong> Faust so<br />
eine geschossen hat, dass das Mädchen den ganzen Flur<br />
langgeschossen ist <strong>und</strong> dann regungslos liegen blieb.“<br />
Interview mit Heinz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 21<br />
„Ralf Spiegel hat ohne erkennbaren Gr<strong>und</strong> zugeschlagen, auf dem<br />
Hof, auf <strong>der</strong> Treppe, im Essenraum, wohl einfach nur, weil ihm das<br />
Spaß machte. Ich erinnere mich... weil man die Schreie von dem<br />
Tomas durch das ganze <strong>Haus</strong> gehört hat. Auf einmal war es still.“<br />
Interview mit Heinz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 22<br />
„Wer sich weigerte in <strong>der</strong> Produktion, musste sportliche<br />
Belastungen über sich ergehen lassen. Z.B. wurden Schubkarren<br />
mit Eisenbahnschwellen beladen. R<strong>und</strong>enweise um die Sturmbahn<br />
geschoben. Strafbarkeit Nr. 1 im <strong>JWH</strong> Torgau war <strong>der</strong> Sport. Der<br />
Torgauer Dreier (Liegestütz, Hocke <strong>und</strong> Hockstrecksprung) war<br />
berühmt. Lei<strong>der</strong> sah ich sehr viele, die vor totaler Erschöpfung<br />
umfielen. „<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 23<br />
„An Ostern 1984 mussten wir einen Ostermarsch im Hof laufen.<br />
Das waren immerhin 21 km. Unter Zwang läufst du, wenn du nicht<br />
mehr konntest, bekamst du einen Rucksack mit Steinen,<br />
Backpfeifen, Ellenbogenstöße, Schlüsselb<strong>und</strong>würfe waren völlig<br />
normal.“<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 24<br />
„Wie lange <strong>und</strong> wie hart wir da gescheucht wurden, hing von <strong>der</strong><br />
Laune des Erziehers ab. Hun<strong>der</strong>t bis 200 Dreier waren ganz<br />
normal... die mussten bis zu 600 Dreier machen. Dann gab es<br />
meist noch einen Ordnungsgong. (Schlag mit <strong>der</strong> geballten Hand<br />
gegen den Hinterkopf des Jugendlichen). Da ging es bis zu 100-mal<br />
die drei Etagen rauf <strong>und</strong> runter, natürlich im Laufschritt – das<br />
Treppenkarussell. An den Treppenabsätzen standen Erzieher, die<br />
auf uns eingedroschen haben. Dabei mussten wir mit<br />
Eisenbahnschwellen auf dem Rücken rennen.“<br />
Interview mit Sven E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 25<br />
„Beim Hofsport wurden die Jungen gezwungen, im Laufschritt<br />
Schubkarren vor sich herzuschieben. Zu den beson<strong>der</strong>en<br />
Schikanen gehörten Liegestütze über aufgeklapptem Messer, das<br />
<strong>der</strong> Erzieher unter <strong>der</strong> Brust des Jugendlichen hielt.“<br />
Interview mit Heinz M., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 26<br />
„[Ich] war […] sieben Wochen in Einzelarrest. Die Zahl meiner<br />
Arresttage erhöhte sich ständig. Ich hatte immer Hunger, sagte ich<br />
etwas, so bekam ich noch weniger. In Torgau wurde generell in <strong>der</strong><br />
Dunkelzelle eingesperrt, um den Willen zu brechen. Der hat mir oft<br />
das Essen auf die Füße gekippt o<strong>der</strong> gar zwei Tage hintereinan<strong>der</strong><br />
in <strong>der</strong> Arrestzelle kein Essen gegeben. Ohne Gr<strong>und</strong> kam ich am<br />
vorletzten Tag meiner Haft in Arrest.“<br />
Interview mit Stefan L., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau vom<br />
8.2.1985 bis zum 28.05.1985. Während des Aufenthaltes verbrachte Stefan sieben<br />
Wochen in <strong>der</strong> Einzelarrestzelle <strong>und</strong> verlor etwa 17 kg. Quelle: Gaetzmann, A.: Der<br />
Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 27<br />
„Ohne große Gespräche kam ich drei Tage in die Einzelzelle.<br />
Vorher wurden mir die Haare abgeschoren. Die Zelle bestand aus<br />
einem Topf, einer Pritsche <strong>und</strong> einem vergitterten Fenster.“<br />
Interview mit René B., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 28<br />
„Dann kam Kretzschmar, <strong>der</strong> Leiter. Ich sagte, dass ich pinkeln<br />
müsste, <strong>und</strong> er meinte: Ziehen sie hoch <strong>und</strong> spucken sie die<br />
Scheiße aus... Und kam dann drei Tage in die Einzelarrestzelle...<br />
Es gab keine Heizung, es war kalt, hatte keine Decke. Ich musste<br />
die <strong>Haus</strong>ordnung auswendig lernen […] Ich war ein paar mal in<br />
Arrest.“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
<strong>JWH</strong> 29<br />
„Danach kam eine Erzieherin auf mich zu, die hatte wohl gemerkt,<br />
dass ich ein Kaugummi im M<strong>und</strong> hatte. Jedenfalls bekam ich auch<br />
von <strong>der</strong> eine geknallt. Danach kam ich erst mal für drei Tage in die<br />
Arrestzelle.“<br />
Interview mit Manfred E., Insasse des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Quelle:<br />
Gaetzmann, A.: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende <strong>der</strong> Erziehung, Berlin 2009
[An den] Rat des Stadtbezirkes<br />
Berlin-Lichtenberg<br />
Abt. Volksbildung –Jugendhilfe<br />
1134 Berlin-Lichtenberg<br />
Werte Frau S.<br />
Burg, d. 7.10.82<br />
<strong>JWH</strong> 30a<br />
Ich muss Ihnen ein paar traurige Mitteilungen machen.<br />
Ich habe hier im Jugendwerkhof Burg mit einem Erzieher, namens<br />
Herr N. Probleme. Der Erzieher N. hat mich schon des öfteren<br />
geschlagen, <strong>und</strong> verleitet an<strong>der</strong>e Jugendliche wie<strong>der</strong>um an<strong>der</strong>e<br />
Jugendliche zu schlagen.<br />
Deshalb bin ich schon viermal entwichen.<br />
Brief eines Jugendlichen an eine Mitarbeiterin <strong>der</strong> Jugendhilfe in Berlin-Lichtenberg,<br />
7.10.1982, Quelle: Ministerium für Bildung, Jugend <strong>und</strong> Sport des Landes Brandenburg:<br />
Einweisung nach Torgau. Texte <strong>und</strong> Dokumente zur autoritären Jugendfürsorge in <strong>der</strong><br />
DDR, Berlin 2002
<strong>JWH</strong> 30b<br />
Nun kann ich mir nicht mehr leisten zu entweichen.<br />
Deshalb geben sie mir bitte einen Rat. Ich weiß nicht mehr was ich<br />
machen soll.<br />
So das wars was ich Ihnen mitteilen wollte.<br />
Mit sozialistischem Gruß<br />
Gez. Jgl. J.K.<br />
Zusatz: Heute am 8.10.82 schlug mich <strong>der</strong> Erzieher N wie<strong>der</strong>holt. Unter Augenzeuge H.<br />
8.10.82<br />
Zeuge: gez. H.<br />
Brief eines Jugendlichen an eine Mitarbeiterin <strong>der</strong> Jugendhilfe in Berlin-Lichtenberg,<br />
7.10.1982, Quelle: Ministerium für Bildung, Jugend <strong>und</strong> Sport des Landes Brandenburg:<br />
Einweisung nach Torgau. Texte <strong>und</strong> Dokumente zur autoritären Jugendfürsorge in <strong>der</strong><br />
DDR, Berlin 2002
<strong>JWH</strong> 31<br />
„Auf dieser Heimversammlung [habe ich] davon gesprochen, dass<br />
die Angestellten im Strafvollzug, das waren damals alles Polizisten,<br />
[…] gewalttätig gegenüber den Insassen sind. Also sehr gerne ihren<br />
Schlagstock benutzt haben <strong>und</strong> sehr gerne Einzelhaft<br />
ver...ver...verhängten. […]<br />
Weil ich darüber offen gesprochen habe […] bin ich nur wenige<br />
Tage später in meinem Betrieb verhaftet worden. Das ist kein<br />
Scherz. Bin in Handschellen abgeführt worden, in die<br />
Untersuchungshaft […] gebracht worden. Und <strong>der</strong> Anklagevorwurf<br />
war Paragraph 220 vom Strafgesetzbuch <strong>der</strong> DDR: öffentliche<br />
Herabwürdigung von staatlichen Einrichtungen <strong>und</strong> Institutionen.“<br />
Interview mit Stefan L., 2012; Quelle: Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong><br />
Menschenrechte