Hannah Pyschny - Landrat-Lucas Gymnasium
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Die Frau aus dem Mittelalter<br />
oder<br />
Das verräterische Schriftzeichen<br />
Von <strong>Hannah</strong> <strong>Pyschny</strong><br />
Es war wie in einem schlechten Roman. Der Nebel hing zwischen den Bäumen und<br />
der Mond belächelte schwach die Landschaft, Düsternis drückte auf ihre Schultern<br />
und Stille auf ihre Ohren, als sie sich von hinten an ihr Opfer heranschlich. Lautlos<br />
wie ein Schatten. Die Stille hüllte das ganze Tal ein, nur ein sanftes Rauschen war<br />
zu hören. Als ob die Gräser neugierig geworden seien durch die Erzählungen des<br />
Windes, sie fragten sich, wieso das Opfer die drohende Gefahr nicht bemerkte.<br />
Die langen schwarzen Haare fielen ihr in das blasse Gesicht, so konnte man die vor<br />
Hass verengten grün funkelnden Augen kaum erkennen. In dem Moment, als ein<br />
feiner Schauer, ein Nieselregen, auf den Wald niederging, fuhr ihr Opfer herum.<br />
Dieser verhasste ignorante Blick, diese verhasste gerümpfte Nase und dann dieses<br />
verhasste selbstgefällige Lächeln, welches den Mund umspielte. Immer noch dieses<br />
Lächeln. Ihr Hassgefühl verstärkte sich und sie konnte sich nicht erinnern, in ihrem<br />
ganzen Leben jemanden so sehr gehasst zu haben. So furchtbar tief aus dem<br />
Herzen heraus. Der Moment ihrer Rache war gekommen. Blitzschnell zog sie ihr<br />
Schwert. Es war unheimlich anzusehen, wie ihre zierliche Gestalt mit der Nacht<br />
verschmolz. Dann sauste die Schneide auf ihr Opfer nieder. Und immer noch, selbst<br />
im Wissen, dass der Tod nicht mehr fern war, selbst in jenem Moment war da noch<br />
dieses Lächeln. Überlegen und provokant. Erst, als warmes rotes Blut an der<br />
durstigen Klinge ihres geliebten Schwertes hinunterlief, fühlte sie, dass ihre<br />
beinahe unstillbare Begierde nach Rache nachließ. Sie warf einen angeekelten Blick<br />
auf die blasse Leiche im Schlamm, dann steckte sie zufrieden ihr Schwert weg und<br />
verbarg es unter ihrem Umhang. Elena drehte sich auf dem Absatz um und<br />
verschwand so lautlos, wie sie gekommen war. Doch nicht ohne ihr Markenzeichen<br />
hinterlassen zu haben. Man durfte schließlich eitel sein.<br />
Inspektor Noll marschierte in seinen Büroräumen auf und ab, immer vom Fenster<br />
bis zur Tür, von dort bis zum Fenster zurück und das bestimmt schon seit drei<br />
Stunden. Wie immer, wenn er nachdachte. Als heute Morgen die Leiche im Wald<br />
gefunden worden war, da hatten sie beinahe keinerlei brauchbare Spuren gefunden.<br />
Es war sicher, dass der Mord mit einer scharfen Klinge begangen worden war, aber<br />
es hätte sich bei der Tatwaffe ebenso gut um ein scharfes Messer oder eine<br />
leichte Axt handeln können als auch um ein Schwert. Aber wer benutzte<br />
heutzutage schon Schwerter? Der Fall war völlig unklar für Inspektor Noll. Weder<br />
das Warum war geklärt noch das Wer. Wieso lauerte jemand mitten in der Nacht<br />
im Wald einer Person auf, die sich scheinbar zufällig dort aufhielt, um sie dann<br />
umzubringen? Dem Opfer, bei dem es sich um einen Andreas Faber gehandelt<br />
hatte, hatten weder Geldbörse oder sonstige Wertsachen gefehlt, als man die
Leiche untersucht hatte. Es waren keine Spuren eines Kampfes sichtbar gewesen,<br />
das einzige Seltsame an der Leiche war das merkwürdige Lächeln gewesen, das wie<br />
ins Gesicht gemeißelt schien. Alles hätte auf Selbstmord hinweisen können, wenn<br />
die Tatwaffe nicht gefehlt hätte. Andreas Faber war durch Durchtrennung der<br />
Kehle gestorben, die Nackenwirbel warfen angeschnitten, es musste sich also um<br />
eine wirklich ungewöhnlich scharfe Waffe gehandelt haben. Inspektor Noll griff<br />
nach seinem Mantel, um noch einmal zum Tatort hinaus zu fahren. Es musste doch<br />
irgendwelche Indizien geben!<br />
Noll klappte seinen Mantelkragen hoch, denn der Wind pfiff ihm um die Ohren. Der<br />
Tatort war verlassen worden, die Spurensicherung war abgezogen. Noll war sich<br />
selbst nicht sicher, was er zu finden hoffte. Schließlich waren die von der<br />
Spurensicherung meistens gründlich. Er setzte sich an die Lichtung und<br />
betrachtete die kleine offene Wiese, auf der der Mord begangen worden war.<br />
Als Inspektor Noll heute Mittag mit der Frau von Andreas Faber gesprochen hatte,<br />
war sie ihm nicht besonders nützlich gewesen. Nein, es gebe keine Familienfeinde<br />
und nein, ihr Mann hätte keinen Termin gehabt und nein, sie könne sie auch nicht<br />
erklären, wieso ihr Mann sich nachts auf der Wiese herumgetrieben habe und<br />
außerdem solle man nun endlich verschwinden. Eine grässliche Frau, nicht besonders<br />
ansehnlich und mit einer Stimme wie ein Marktweib. Furchtbar, sie war dem<br />
Inspektor sehr unsympathisch erschienen.<br />
Die Fabers waren weder reich noch besaßen sie ein gut gehendes Unternehmen<br />
oder Geschäft, was Neider hätte verursachen können. Sie waren eine stinknormale<br />
Familie, mit zwei Kindern, Tochter und Sohn, die in einem gemütlichen Häuschen am<br />
Rande der Stadt lebte. Ein wenig spießig. Nachdenklich zupfte Inspektor Noll an<br />
einem Grashalm. Wieso um alles in der Welt war Andreas Faber gestorben? Für<br />
Inspektor Noll war es ganz klar Mord. Es konnte sich einfach nicht um Selbstmord<br />
handeln, denn Gift oder Ähnliches hatten die Gerichtsmediziner nicht gefunden.<br />
Der Inspektor fragte sich bestimmt zum hundertsten Mal in seinem Leben, wieso<br />
er zur Polizei gegangen war und schon in der nächsten Sekunde hatte er sich seine<br />
Frage wieder einmal von selbst beantwortet: Der Nervenkitzel, die Spannung. So<br />
wie bei jenem Fall Faber. Vielleicht war die Familie Faber ja ein bisschen zu normal,<br />
fragte sich der Inspektor. Und diese Frau ... er war sich sicher, wäre sie die seine<br />
gewesen hätte er sich schleunigst auf die Suche nach einer neuen gemacht. Wo er<br />
so länger darüber nachdachte ... es wäre schließlich möglich, dass Herr Faber von<br />
einem wütenden Ehemann umgebracht worden war, dessen Frau er verführt hatte.<br />
Aber diese Erklärung war wahrlich zu weit hergeholt. Es gab keine Beweise, die<br />
eine solche Überlegung hätte bestätigen können. Plötzlich wurde Inspektor Noll auf<br />
ein kleines E aufmerksam, welches mit roter Farbe auf den Stamm direkt neben<br />
ihm gepinselt war. Klein und traurig stand es da, beinahe unsichtbar, nur erkennbar<br />
für jemanden, der unmittelbar neben dem Baum saß. Und da schlug das Warnsignal<br />
in seinem Kopf an. Er wusste, das war seine Spur. Vorsichtig begutachtete er das
kleine Schriftzeichen. Womöglich war es eine Eitelkeit des Mörders, eine Art<br />
Markenzeichen, ein Beweis dafür, dass der Mörder stolz auf seine Tat war? Der<br />
Inspektor rannte zu seinem Wagen um seine Kamera zu holen. Nach getaner Arbeit<br />
raste er zurück ins Polizeipräsidium. Er würde im Computer nachschauen, ob es<br />
bereits Hinweise auf ein blutrotes E als Markenzeichen gab.<br />
Inspektor Noll schmiss seine Jacke unachtsam in die Ecke, sie war ihm völlig egal,<br />
und stürzte zum Computer. Und es überraschte ihn nur wenig, als er tatsächlich<br />
Hinweise auf ein E fand. Man hatte dieses Zeichen bereits bei der Leiche eines<br />
vergifteten Hundes gefunden, sowie bei einem Haus, in dem jemand brandgestiftet<br />
hatte. Beide Fälle waren aufgeklärt worden, eine Elena von Mehlen hatte insgesamt<br />
zehn Jahre dafür in Haft verbracht. Beide Taten waren aus Rache begangen<br />
worden, beide Male hatte die Täterin sie stolz gestanden. Inspektor Noll<br />
betrachtete das Foto in Elena' s Akte. Sie sah klein und zierlich aus, nicht wie<br />
jemand, der mordete. Aber da war ein verbitterter Zug um die grünen<br />
Katzenaugen. Inspektor Noll fand, sie sah aus wie einem Mittelalterroman<br />
entsprungen, denn sie trug einen dunklen langen Umhang. Und dann dieser Name.<br />
Sie war verdächtig. Auf jeden Fall.<br />
Inspektor Noll und drei seiner Männer standen um die Haustür von Elena von<br />
Mehlen herum und der Inspektor klingelte. Es dauerte eine Zeit, da öffnete eine<br />
kleine Person. Im ersten Augenblick hielt Noll sie für ein Kind, dann erkannte er<br />
Elena.<br />
„Guten Tag, Polizei", sagte er und wollte gerade fortfahren, als sie ihm die Tür<br />
vor der Nase zuschlug. Drinnen hörte man eilige Schritte.<br />
„Schnell, schlagt die Tür ein!" befahl Noll und seine Männer machten sich ans<br />
Werk. Die vier stürmten in das Haus. Es war düster und es herrschte Stille. Die<br />
Polizisten zogen ihre Waffen und teilten sich auf.<br />
„Mist", fluchte der Inspektor, er hatte nicht erwartet, dass Elena von Mehlen so<br />
schnell Schwierigkeiten machen würde. Vorsichtig spähte er um die nächste Ecke,<br />
für den Fall, dass sie mit einer Schusswaffe wartete. Womit er nicht falsch lag.<br />
Elena stand auf einem Tisch in einem Zimmer, das anscheinend das Wohnzimmer<br />
war und hatte einen Bogen auf ihn angelegt. Ihr erster Pfeil traf. Der Inspektor<br />
zuckte zurück, glücklicherweise hatte sie nur seinen Unterschenkel getroffen, aber<br />
es blutete sehr und schmerzte schrecklich. Die Wut packte ihn. Anscheinend war<br />
die Frau wahnsinnig.<br />
„Ergeben Sie sich, lassen Sie die Waffe fallen!", schrie Noll und presste die linke<br />
Hand auf seine Wunde.<br />
„Niemals, das werde ich nicht tun!", kreischte Elena.<br />
„Dann muss ich schießen!" Blitzschnell schnellte Noll vor und feuerte mehrmals auf<br />
von Mehlens Beine. Mit einem lang gezogenen Schrei ging sie zu Boden, der Bogen<br />
entglitt ihren Händen. Er hatte Glück gehabt, dass sie ihn nicht ernstlich getroffen<br />
hatte. Der Inspektor drehte ihr die Hände auf den Rücken, sie wehrte sich heftig.
„Nach dem freundlichen Empfang zu urteilen denke ich, sie gestehen den Mord an<br />
Andreas Faber?", fragte Noll und augenblicklich hörte die Frau auf zu kämpfen.<br />
„Ja, ich habe ihn umgebracht! Dieses miese Schwein hat bekommen, was es<br />
verdiente!"<br />
„Schön, dann habe ich nur noch eine Frage", meinte der Inspektor, froh, dass sie<br />
gleich gestanden hatte, „warum haben Sie es getan?"<br />
„Ich hasse ihn, hasse ihn schon seit ich denken kann, wir wuchsen zusammen auf<br />
und jetzt hat er meine Schwester verführt! Dafür musste er büßen! Er hat eine<br />
Frau und zwei Kindern und verführt dann meine Schwester, nur um mich zu reizen!"<br />
Elena von Mehlen war sehr schnell sehr rot im Gesicht geworden, sie schrie sich<br />
ihre Wut aus dem Leib.<br />
„Gut, Frage geklärt. Ein ausführliches Tatgeständnis werden Sie dann im<br />
Polizeirevier ablegen, vielen Dank." Noll führte sie humpelnd mit Hilfe seiner<br />
Kollegen ab. Und innerlich dachte er: Hatte ich doch recht, Andreas Faber hatte<br />
einfach die Nase voll von seiner schrecklichen Frau.