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aus / gezeichnet / zeichnen - Akademie der Künste

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170 Jahren seine Kunst <strong>der</strong> durch Licht erzeugten Bil<strong>der</strong>, „The Art of Photogenic Drawing“, <strong>der</strong><br />

Royal Society vorstellte, wählte er eine Analogie, die von den Künstlern des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

immer wie<strong>der</strong> nachdrücklich bestätigt wurde, mag <strong>der</strong> „Pencil of Nature“ mittlerweile auch<br />

technologisch unendlich verfeinert und manipulierbar geworden sein. Die Photographie nimmt<br />

sofort einen zeichnerischen Charakter an, wo Photographen die Wirkung von Licht und<br />

Schatten eigens thematisieren. Zusammen mit dem Erbe <strong>der</strong> Chronophotographie, <strong>der</strong> Analyse<br />

von Bewegung durch Standbil<strong>der</strong>, gehört das experimentelle Studium des Lichts zum<br />

Kernbestand <strong>der</strong> Mittel des autonomen photographischen Zeichnens.<br />

Das vom Computer generierte Zeichnen, das scheinbar das Ende dieser alten<br />

Kulturtechnik signalisiert, hat den größten Teil seiner Geschichte wohl noch vor sich. Die<br />

Funktion <strong>der</strong> Zeichnung erübrigt sich ja nicht dadurch, dass eine bestimmte Technik <strong>der</strong><br />

Darstellung beherrschbar geworden ist, wie gerade das Beispiel <strong>der</strong> Photographie lehren kann.<br />

Im Gegenteil, die digitale Methode <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>zeugung potenziert die Aufgabe eher dahingehend,<br />

dass die Verfügbarkeit des Verfahrens selbst jetzt <strong>der</strong> Vergewisserung harrt. Der Bogen<br />

zwischen <strong>der</strong> surrealistischen écriture automatique und <strong>der</strong> automatisierten Zeichnung, den<br />

Wulf Herzogenrath in seinem Beitrag „‘Es’ zeichnet“ schlägt (S. 172), beginnt sich erst dann<br />

wirklich zu spannen, wenn eine künstlerische Intelligenz versucht, den gedankenlosen<br />

Zusammenhang zwischen den Determinanten des Programms und <strong>der</strong> unvorstellbaren<br />

Offenheit <strong>der</strong> so gesicherten Möglichkeiten und Zufälle zeichnerisch zu eruieren.12 Immer<br />

wie<strong>der</strong> entsteht so <strong>aus</strong> einer vermeintlichen Endsituation, dass es sich <strong>aus</strong><strong>gezeichnet</strong> hat, weil<br />

ein vertrauter Typus von Zeichnung obsolet geworden zu sein scheint, die Anfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

praktischen Erkundung und Erkenntnis von neuem. Die Geschichte des Zeichnens ist<br />

unabschließbar, solange das Bewusstsein, dass die vorhandene Welt erst durch den<br />

schöpferischen Akt <strong>der</strong> Vergegenwärtigung zu einer realen wird, unter Menschen lebendig<br />

bleibt.<br />

Anmerkungen<br />

1 Baldassare Castiglione, Das Buch vom Hofmann (Il Libro del Cortegiano). Übers. von Fritz Baumgart, München<br />

1986, S. 89<br />

2 Zitiert nach Henri Matisse, Lettre à Henry Clifford (1948). In: Henri Matisse, Écrits et propos sur l’art. Hg.<br />

Dominique Fourcade, Paris 1972, S. 314 („Enfin, je ne sais plus dessiner.“)<br />

3 Zitiert nach Paul Valéry, Danse Degas Dessin (1938). In: Paul Valéry, Œuvres, Bd. II. Hg. Jean Hytier, Paris<br />

1969, S. 1208 bzw. S. 1224f.<br />

4 Vgl. dazu den Beitrag von Werner Busch, Die Durchdringung von Fläche und Raum in <strong>der</strong> neoklassizistischen<br />

Zeichnung. In: Angela Lammert u. a. (Hg.), Räume <strong>der</strong> Zeichnung. Berlin, Nürnberg 2007, S. 91–102<br />

5 Zeichnen ist eine an<strong>der</strong>e Art von Sprache. Neuere amerikanische Zeichnungen <strong>aus</strong> einer New Yorker<br />

Privatsammlung. Stuttgart 1998 (deutsche Ausgabe eines Ausstellungskataloges des Harvard University Art<br />

Museums). Die <strong>Akademie</strong> <strong>der</strong> <strong>Künste</strong> hat <strong>aus</strong> Anlass dieser Ausstellung ein Symposium veranstaltet, dessen<br />

Ergebnisse veröffentlicht wurden: minimal – concept. Zeichenhafte Sprachen im Raum. Amsterdam, Dresden<br />

2001.<br />

6 Paul Klee, Kunst-Lehre. Aufsätze, Vorträge Rezensionen und Beiträge zur bildnerischen Formlehre. Hg.<br />

Günther Regel, Leipzig 1991, S. 95<br />

7 André Breton, Die Manifeste des Surrealismus. Übers. von Ruth Henry, Reinbek b. Hamburg 1968, S. 26<br />

8 Der Zusammenhang zwischen Massons Beschäftigung mit <strong>der</strong> chinesischen Tuschmalerei und seiner Kritik an<br />

Bretons Auffassung vom „Diktat des Unbewussten“ ist ein zentrales Thema des Buches von Dieter Rahn,<br />

Raumdarstellung und Zeitbezug in <strong>der</strong> Malerei. Zur Kunst und Kunstgeschichte André Massons. Mittenwald<br />

1982, insbeson<strong>der</strong>e S. 192–210.<br />

9 Zum primär zeichnerischen Charakter von Pollocks Malerei siehe William Rubin, Jackson Pollock and the<br />

Mo<strong>der</strong>n Tradition (1965). Wie<strong>der</strong>abgedruckt in: Jackson Pollock: Interviews, Articles, Reviews. Hg. Pepe<br />

Karmel, New York 1999, S. 118–175<br />

10 Zitiert nach Margit Rowell, Julio González: Technik, Syntax, Kontext. In: Julio González 1876–1942. Plastiken,<br />

Zeichnungen, Kunstgewerbe. <strong>Akademie</strong> <strong>der</strong> <strong>Künste</strong>, Berlin 1983, S. 9, Anm. 6 [<strong>Akademie</strong>-Katalog 139]<br />

11 Die Rolle <strong>der</strong> Zeichnung in R<strong>aus</strong>chenbergs Werk wird <strong>aus</strong>führlich erörtert von Götz Adriani in dem<br />

Ausstellungskatalog Robert R<strong>aus</strong>chenberg: Zeichnungen, Gouachen, Collagen. 1949–1979. München 1979, S.<br />

7ff.<br />

12 Die Probleme des digitalen Zeichnens werden unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert von Annett<br />

Zinsmeister und Wolfgang Pircher in: Angela Lammert u. a. (Hg.), Räume <strong>der</strong> Zeichnung. Berlin, Nürnberg<br />

2007, S. 258–267 bzw. S. 268–283.<br />

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