15. Zeitzeugenberichte

15. Zeitzeugenberichte
Inhaltsverzeichnis Seite
1. Als die Bomben fielen, bekamen wir doch Angst ................................... 2 - 4
2. Beim Juden Meier waren die Schaufenster eingeschlagen ................... 4 - 5
3. Der Krieg trennte uns – aber wir fanden uns wieder .............................. 5 - 9
4. Eine Groß Breesenerin erzählt ............................................................ 10- 12
5. Erinnerungen von Familie Hampel ..................................................... 12 - 14
6. Erinnerungen von Frau Koschack ...................................................... 14 - 16
7.Erinnerungen von Frau Welkisch und Tochter .................................... 16 - 18
8. Ich arbeitete als Wirtschafterin auf dem Gubener Flugplatz ............. 19 – 20
9. Ich bekam beim Volkssturm – Gott sei Dank – nicht zum Einsatz ..... 20 - 22
10. Ich kannte Herrn Kaplan.................................................................... 22 - 24
11. Manchmal waren wir Lausejungs ...................................................... 24 - 25
12. Schreckliche Plakate – Juden als Monster........................................ 26 - 30
13. Zeitzeugenbericht Frau A K............................................................... 30 - 34
14. Zeitzeugenbericht Herr Kabisch ........................................................ 34 - 39
15. Zeitzeugenbericht Herr Krieger ......................................................... 39 - 42
16. Zeitzeugenbericht Herr Schulz .......................................................... 42 - 45
17. Zeitzeugenbericht Herr Krüger .......................................................... 45 - 49

1. Zeitzeugenbericht Frau Karge (anonym)
Geboren wurde ich in Groß-Bösitz - das gehörte zu Guben. Später zogen wir nach Guben in
die Bösitzer Straße in eine kleine Wohnung. Wir waren 8 Geschwister. Mein ältester Bruder
wurde 1906, der zweite 1909 geboren. Am 28. April 1911 kam ich dann als ältestes Mädchen
zur Welt. 1913 und 1914 bekam ich dann noch 2 Schwestern und 1922 einen Bruder. 1929
wurden noch die Zwillinge, zwei Mädchen, geboren. Ich war als Kind sehr krank, durch Masern
war ich damals schon fast erblindet.
Mein Vater war bei der Hutfabrik Lißner als Presser beschäftigt. Meine Mutter ging der Kinder
wegen nur zeitweise als Weberin in die Tuchfabrik Wolf arbeiten. Meine Einschulung fand
1917 in der Sandschule statt. Später ging ich aber durch den Umzug in die Hindenburgschule.
Da ich das älteste Mädchen war, mußte ich viel zu Hause helfen. Die Schule war für mich
immer zweitrangig. Mein Vater kam eines Tages nach Hause und berichtete, daß die Firma in
der Ostsiedlung Häuser baut und wer Interesse hat, sollte sich melden. Das tat er dann auch
und nachdem mein jüngster Bruder 1922 geboren war, zogen wir in die Ostsiedlung in ein
Häuschen mit Garten ein. Es war sehr schön dort. Wir hatten auch eine kleine Laube, in der
wir öfter Frühstückten.
1925 kam ich aus der Schule und da das Geld gebraucht wurde, fing ich gleich als Zwirnerin
bei der Tuchfabrik Wolf zu arbeiten an, wo ich später meinen Ehemann kennenlernte. Er war
dort Meister in der Walke. 1937 heirateten wir und 1939 wurde unser Sohn geboren. Am
Anfang unserer Ehe bewohnten wir in der Ostsiedlung eine kleine Wohnung in einem
Privathaus mit einer Stube und Küche. Als unser Sohn 2 oder 3 Jahre alt war, erhielten wir von
der Firma Wolf eine schöne Werkswohnung in der Trommelgasse. Wir hatten zwei Zimmer,
eine große Küche - alles schön und neu eingerichtet - und Toilette. Wir haben uns dort sehr
wohlgefühlt. 1941 wurde mein Mann zur Wehrmacht eingezogen und 1942 ist er im Lazarett in
Brandenburg gestorben.
Als 1945 der Räumungsbefehl bekannt gegeben wurde, meinten die Leute aus dem Haus, es
wird schon nicht so schlimm werden und wir versteckten uns gemeinsam auf dem Hof der
Firma Wolf in einer Lagerhalle. Als dann die ersten Bomben fielen bekamen wir doch Angst
und beschlossen, zu flüchten. Meine Schwägerin mit ihren beiden Jungen kam zu mir. Da wir
wußten, daß die Firma Wolf die Tuche retten wollten und sie mit LKWs wegbrachten, fragten
wir die Fahrer, ob sie uns - meine Schwägerin mit den zwei Jungen und mich mit meinem
Jungen - mitnehmen würden. Kurz vor Senftenberg haben sie uns ausgeladen und wir sind zu
Fuß weitergelaufen. Meine Schwägerin hatte in Senftenberg Verwandte, bei denen wir bleiben
konnten. Die besaßen eine Gaststätte und uns ging es gut. Als eines Tages die Russen
kamen, meinten die Wirtsleute, wir sollten uns auf dem Boden verstecken und leise sein. Der
Wirt versorgte uns mit Essen und was sonst noch gebraucht wurde.
Ein Russe kam zu uns auf den Boden und forderte meine Schwägerin und mich auf,
mitzukommen in ein Gästezimmer. Wir nahmen jeder unser Kind mit. Der Sohn meiner
Schwägerin schrie so sehr, daß er sie wieder gehen ließ. Ich saß auf dem Bettrand, meinen
Sohn im Arm und der besoffene Russe neben mir. Immer wieder sagte ich zu meinem Sohn:
Schrei doch! Aber er war so voller Angst, daß er keinen Ton herausbrachte. Irgendwann war
es dem Russen zu viel und ich konnte gehen.
Als der Krieg zu Ende war, machten wir uns zu Fuß auf den Weg nach Guben. Unterwegs
übernachteten wir in einer Villa. Die Leute, denen das Haus gehörte, hatten sich in Sicherheit
gebracht. Nur die Angestellten, eine Familie mit einer Tochter, bewachten das Haus und ließen
uns bei sich schlafen. Nachts kamen auch hier wieder Russen und suchten nach Frauen. Sie
hatten die Tochter unserer Wirtsleute im Visier, die sie aber nicht finden konnten, weil man sie
weggebracht hatte. Dafür sollte ich mitgehen, aber ich weigerte mich. Die Anderen bettelten,
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ich soll doch mitgehen, sonst erschießen sie uns - und letzten Endes blieb mir nichts anderes
übrig, als doch mitzugehen. Der große, kräftige Kerl führte mich die Treppe hinauf und kam mit
einem Talglicht hinterher. Im Zimmer angekommen, fragte ich, was ich hier soll. Er sagte:
Sauber machen! Ich meinte, es ist alles sauber und lief im Dunkeln wieder die Treppe hinunter.
Ein Wunder, daß ich nicht gestürzt bin. Der Wachposten, der vor der Tür stand und die
anderen Leute bewachte, stieß ich zur Seite und ging hinein zu den Anderen. Am nächsten
Morgen sind wir frühzeitig aufgestanden, um weiterzugehen.
Die Kinder machten sich auch über die Russen lustig, da die sich ihr Frühstück aus einem
Nachttopf schmecken ließen.Wir sind bis nach Guben gekommen, dort haben die Polen
Straßensperren auf der Chaussee eingerichtet. Nachbarn hatten uns für den Transport einen
Handwagen gegeben.An der Straßensperre wurden wir durchsucht, ich konnte ungeschoren
durchgehen. Anderen wurde vieles weggenommen.
Zu Hause angekommen konnten wir nicht in unsere Wohnung, es war alles verwüstet. Wir
bewohnten eine Doppelhaushälfte und zwischen den beiden Wohnungen hatte man im
Wohnzimmer ein großes Loch geschlagen, um hin und her zu gehen. Wir schliefen also
vorerst in der Waschküche, in die wir zunächst alle verfügbaren Chaiselongues und Betten
räumten. Ein Mann aus dem Haus versuchte, einiges zu reparieren, wie zum Beispiel die
Fenster.
Am 20. Juni 1946 mußten wir ganz plötzlich wieder raus. Ich konnte nur mein Kind nehmen
und dann ging es über die Lubststraße zum Spicherer Platz. Hier war alles voller Menschen.
Ich sagte zu meiner Nachbarin, es geht ja nicht voran, wer weiß, wie lange wir hier noch
zubringen müssen. Ich gehe noch mal zurück und hole noch den Sportwagen und ein Bett für
den Jungen. Vor der Grenze hatten die Polen ein Haus eingerichtet, in welches alle zur
Kontrolle hineingehen mußten. Sie durchsuchten uns und manchen wurde der Schmuck und
die Uhren abgenommen. Über die Achenbachbrücke, die man notdürftig mit Balken belegt
hatte, kamen wir auf die Westseite von Guben. Manch ein Leiterwagen ist in die Neiße
gestürzt, da es sehr eng und eine ziemlich wackelige Angelegenheit war. In der Siedlung
Thielestraße hatten wir gute Bekannte, bei denen wir bleiben konnten. Hier habe ich auch
meine Eltern getroffen, die ebenfalls aus ihrem Haus raus mußten.
Meine Mutter meinte, wir können den Bekannten nicht so lange zur Last fallen und bemühte
sich, eine Behelfswohnung zu erhalten. Ich bekam in der Grochestraße ein Holzhäuschen mit
einer Stube und Küche mit Herd. Ein Plumpsklo für mehrere Leute war etwas abseits. Im
Sommer war es warm und im Winter sehr kalt. Um das Zimmer warm zu bekommen, mußte
man ständig feuern. Das Wasser, das wir uns in Eimern holen mußten, war, wenn es richtig
kalt war, ständig eingefroren. Wir sammelten im Wald Kusken (Kiefernzapfen) und Holz. Die
Wälder waren damals sauber, wie ausgefegt. Eines Tages erzählten Nachbarn, daß sich die
Leute nachts Bäume aus dem Wald klauten, um etwas mehr Brennholz zu haben und nicht
frieren zu müssen. Wir beschlossen, das auch so zu machen. Meine Eltern, die in der Nähe
auch in solch einem Holzhäuschen wohnten, und ich gingen mit Säge und Axt in den Wald in
der Nähe der damaligen Lungenstation, heute die Gegend in der Nähe der Klaus-Hermann-
Straße. Eines Tages, meine Nachbarin und ich waren wieder einen Baum umsägen. Wir
haben wir das zersägte Holz auf einen Handwagen geladen und begaben uns auf den
Heimweg. Uns erwischte die Polizei und wir mußten mit auf die Polizeiwache in die
Kaltenborner Straße. Das Holz mußte ich dort abladen und die Säge meines Vaters wurde
beschlagnahmt.
In diesem Behelfsheim habe ich 27 Jahre!!! - bis 1973 - gewohnt. Erst dann führten meine
Bemühungen zum Erfolg und ich bekam eine Neubauwohnung. In diesem Haus, aber in einer
anderen Wohnung, wohne ich noch heute.
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Meine Mutter - sie war bei der Ärztin, Frau Dr. R. in Behandlung - erzählte mir, daß diese eine
Hilfe für den Haushalt sucht. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich im Wald und dachte, das
wäre etwas für mich, da ich dann nicht mehr bei Wind und Wetter draußen arbeiten mußte. Ich
stellte mich bei ihr vor und wurde auch eingestellt. Ich verdiente monatlich 100 Mark, das war
nicht viel. Fr. Dr. R. war eine sehr nette Frau und wir haben uns sehr gut verstanden. Sie lebte
mit einer jüdischen Frau zusammen. Diese hatte sie die ganzen Jahre während der Nazizeit
bei sich versteckt. Nur nachts sind sie gemeinsam an die frische Luft gegangen. Später zogen
beide nach Dresden.
Ich traf meinen früheren Meister und er bot mir an, wieder bei ihm zu arbeiten. Der Betrieb lief
inzwischen wieder und sie brauchten dringend Leute. Nach dem Wegzug von Frau Dr. R., so
ca. 1950, begann ich wieder mit der Arbeit als Zwirnerin bei der Gubener Wolle, bis ich dann
als Rentnerin aus dem Betrieb ausschied.
2. Zeitzeugenbericht Frau Müller (anonym)
Am 8.8.1919 wurde ich in Merzwiese, Kreis Crossen, geboren. Wir hatten dort einen kleinen
Bauernhof, den meine Mutter bewirtschaftete. Mein Vater arbeitete als Maurer in Guben.
Ich wuchs mit zwei Schwestern, einer jüngeren und einer älteren auf.
1926 wurde ich in Merzwiese eingeschult und ging dort 2 oder 3 Jahre zur Schule.
1929 verkauften wir unser Grundstück und zogen nach Guben. In der Kohlstraße hatten wir
eine Mietwohnung mit einer Stube und Küche. Hier besuchte ich dann die Hindenburgschule.
Meine Mutter arbeitete in der Küche der Mückenberger Kaserne und verdiente gut.
Mein Vater hatte eine Anstellung in Mückenberg bei Maurermeister Schmidt und so konnten
wir uns später ein kleines Häuschen in einer Arbeiterwohnsiedlung, gleich bei den
Mückenberger Kasernen, leisten.
Diese Arbeiterwohnsiedlung nannte sich Arbeitereigentum. Wir zahlten am Anfang monatlich,
ich glaube 30,- Mark ab. Durch den guten Verdienst meiner Eltern konnten wir später das
Haus vollständig abzahlen. Wir bewohnten dann dort eine Doppelhaushälfte im Heimweg mit 3
Zimmern und Küche. Toilette gab es allerdings nicht. Wir hatten draußen ein Plumpsklo.
1933 kam ich aus der Schule und arbeitete bis 1945 im Stammhaus der Berlin-Gubener
Hutfabrik. Ich hatte keine Ausbildung und wurde für verschiedene Arbeiten eingesetzt.
Hauptarbeit war das Einkleben der Hutweite (Größe) in die fertigen Hüte. Erlebnisse mit Juden
gab es bei mir nicht, aber als ich nach der Kristallnacht 1939 früh zur Arbeit ging, sah ich, daß
beim Juden Maier am Markt die Schaufensterscheiben eingeschlagen waren. Mein Vater, er
war zu der Zeit schon älter, wurde noch kurz vor Kriegsende eingezogen, aber nicht zum
Volkssturm, sondern zur Truppe Todt.
Am 12. Februar 1945 wurden wir über Lautsprecher zum Verlassen der Stadt aufgefordert.
Meine jüngere Schwester mit ihrem 7 Monate alten Baby, meine ältere Schwester mit vier
Kindern, das Älteste war 12 Jahre, meine Mutter und ich bereiteten uns gemeinsam auf die
Flucht vor. Wir packten einen Handwagen voll mit Wäsche, Betten und was sonst noch
gebraucht wurde und verließen unser Haus in Richtung Bahnhof. Dort stiegen wir in einen mit
Stroh ausgelegten Güterzug, der voller Menschen war. Man brachte uns ohne Zwischenfälle
nach Crinitz bei Luckau. Bei einem Töpfer, der in Crinitz ein großes Haus besaß, bekamen wir
mit noch einer anderen Familie ein Quartier. Wir lebten dort ruhig. Es war zwar ab und zu
Fliegeralarm, aber Bombenabwürfe gab es nicht. Verpflegt haben wir uns selbst mit den
damals üblichen Lebensmittelkarten, die wir bei der Flucht mitnahmen.
Anfang Mai 1945 marschierten auch dort russische Soldaten ein und es fanden
Kampfhandlungen statt. Aus Angst vor Übergriffen versteckten wir uns im Keller des Hauses.
Als die Russen am 8. Mai durch Crinitz durch waren, machten wir uns zu Fuß auf den
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Heimweg nach Guben. Unseren Handwagen hatte man uns geklaut und deshalb besorgten wir
uns auf die gleiche Weise einen anderen Wagen. Den Kinderwagen wollten uns die Russen
ebenfalls wegnehmen, aber das konnten wir verhindern. Zwei Tage waren wir unterwegs. In
der ersten Nacht schliefen wir in Vetschau in einem Haus, in dem noch viele andere Familien
übernachteten. Die zweite Nacht verbrachten wir in Peitz in der Gaststätte Teichschenke. Über
eine Notbrücke im Königpark gelangten wir über die Neiße. Jedes zweite Haus in der Siedlung
war zerstört. Unser Haus stand noch und war äußerlich unbeschädigt, aber drinnen befand
sich nur noch ein Schrank, ein Tisch und die Betten. Alles andere war ausgeräumt. Wir
versuchten uns wieder häuslich einzurichten, wohnten aber nur für kurze Zeit dort. Am 20. Juni
kamen Polen in unser Haus und sagten, daß wir innerhalb einer Stunde raus sein müssen.
Mitnehmen durften wir nichts, außer das, was wir am Körper trugen und was wir in der Eile an
persönlichen Sachen greifen konnten. Meine Uhr versteckte ich am Körper und hatte Glück,
daß sie nicht entdeckt wurde. Bei der Kontrolle an der Neiße nahmen uns die Polen alles weg,
was ihnen gefiel, da verloren wir noch unser letztes Hab und Gut.
In der Pestalozzistraße im Gemeindehaus (heute ein kirchlicher Kindergarten) mußten wir uns
melden. Dort standen schon viele Menschen. Grüppchenweise wurden wir hineingelassen und
bekamen eine Zuweisung für eine Unterkunft. Wir erhielten eine Wohnung mit zwei Zimmern,
Küche und Toilette in einem Mietshaus in der Kupferhammerstraße. In diesem Haus befand
sich eine Bäckerei und die Mühle. In diesen beiden Räumen lebte unsere Familie mit 9
Personen - Mutter, Schwestern mit ihren Kindern und ich, später auch mein Vater - für zwei
Jahre.
Mein Vater geriet im Kriegseinsatz in tschechische Kriegsgefangenschaft und kehrte im
September/Oktober nach Hause zurück.Mein Vater baute 1947/48 in der Gasstraße 14 das
Dachgeschoß für uns aus und wir zogen dort ein. Ich selbst lebte bis zu meiner Hochzeit 1952
mit in diese Wohnung.
3. Der Krieg trennte uns, aber wir fanden uns wieder –
Familie Schultz
Herr Schultz - Der Weg eines Gubeners im 2. Weltkrieg
Ich wurde am 1.11.1919 in Ratzdorf an der Warthe, Kreis Landsberg, geboren. Meine Eltern
sind mit mir 1927 nach Groß Breesen in das damalige Russenlager, in dem 1914 18.000
Russen interniert waren, gezogen. Dort bewohnten wir ein Haus, an dem sich die
Waschanstalt für das Russenlager anschloß. Wir hatten kein Licht und auch keine Toilette.
Von 1927 bis 1934 besuchte ich die Schule in Breesen und von 1934 bis 1938 habe ich
Former bei der Maschinenfabrik und Gießerei Quade in der Straupitzsstraße, gelernt.
Produziert haben wir Teile für Waschmaschinen und für die Hutindustrie.
Nach der Lehre hatte man in dieser Firma keine Arbeit für mich und so erhielt ich den „Blauen
Brief“. Ich fand eine neue Arbeit bei der Firma Alfred Donath in der Gießerei.
Dort wurden zu dieser Zeit Gehäuse für Traktoren der Marke Loewe hergestellt. Die Firma hat
die Fam. Donath von Fam. Köhler für billiges Geld übernommen. Die Tochter Eva hat sich den
Männern verschrieben, der Sohn den Autos, sie gerieten beide auf die „Schiefe Bahn“ und
irgendwann war die Firma pleite, eine günstige Gelegenheit für Fam. Donath.
Im Oktober 1940 wurde ich als aktiver Soldat verpflichtet und wurde zur Ausbildung in Kystrien
bei den Pionieren stationiert. Nach 8 Wochen ging es nach Polen, nach Cherworsk, an die
russische Grenze zur Vorbereitung auf den Angriff im Juli 1941 auf die Russen.
Am 19.7.1941 bin ich krank geworden. Es war sehr heiß, so 30 - 33 Grad Celsius, und mein
Kreislauf machte schlapp. Der Arzt diagnostizierte Darmkatarr und ich wurde ins Lazarett in
Reichenbach in Schlesien eingewiesen. Nach der Genesung, so ca. 6 Wochen später, kam ich
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zum Ersatztruppenteil nach Cottbus und nach 3 Wochen wurde ich wieder zur Front abgestellt.
Im Januar 1942 traf ich dann an der Front in der Ukraine ein. Im Oktober 1942 wurde ich
verwundet, ich war nicht transportfähig und lag 3 Wochen auf dem Hauptverbandsplatz.
Nachdem ich operiert wurde und die Transportfähigkeit wieder hergestellt war, wurde ich nach
Kursk verlegt. Dort teilte ich ein Krankenzimmer mit 21 schwer verwundeten Panzerfahrern.
Von dort aus ging es mit einem Lazarettzug nach Bayreuth ins Lazarett. Nach 8 Monaten
wurde ich zur Erholung nach Neuenmark Würzberg verlegt. Mein dortiger Arzt hat mich in den
Heimaturlaub geschickt, da ich schon 6 Monate keinen Urlaub hatte.
Endlich konnte ich meine Eltern besuchen. Meine Eltern wohnten in einer Dienstwohnung im
Parkhotel in dem mein Vater als Hausmeister angestellt war. Am Tag meiner Ankunft hatte er
etliche Zentner Kohlen bekommen und ich half ihm, diese reinzutragen. Mein Zeigefinger war
durch einen Schuß verletzt und beim Kohlenschippen hat sich mein Finger derart entzündet,
weil noch ein Splitter drin steckte, daß ich das Lazarett aufsuchen mußte. Als mein Urlaub zu
Ende war, mußte ich wieder in Neuenmark Würzberg erscheinen. Der Arzt schickte mich
wieder nach Bayreuth zur Behandlung meines Fingers. Dort wurde mir der rechte Zeigefinger
abgenommen und zur Heilung blieb ich noch 8 Wochen.
Dann ging es zurück nach Kystrien und ich wurde zunächst im Ersatztruppenteil eingesetzt
und kam dann zur Ausbildungskompanie und mußte Rekruten ausbilden.
Einmal hatte ich als Unteroffizier einen Fahrauftrag, dort sollte ich einen Arrestanten von
Kystrien nach Frankfurt Oder bringen. Man hat ihn mir mit Handschellen übergeben, ich bekam
eine Pistole und los ging es. Er bat mich, ihm die Handschellen abzunehmen, er würde nichts
machen, das tat ich dann auch und wir kamen auch gut in Frankfurt/Oder an. Ich erinnerte
mich, daß mein Vater, meine Eltern waren bereits geschieden, in Frankfurt wohnt. Ich habe
auch seine Wohnung gefunden, bin aber nicht zu ihm gegangen.. Wieder zurück habe ich ihm
einen Brief geschrieben und kurze Zeit später hat er mich in Kystrien aufgesucht, wollte mir
120,- RM in die Hand drücken (den Unterhalt von 5,- RM pro Monat hatte er nie bezahlt), aber
ich habe sie nicht angenommen.
Dann ging der Kriegseinsatz los, aber nicht nach Polen, sondern nach Dänemark. Ich lieferte
die Soldaten dort ab und kehrte nach Kystrien zurück.
Bis 1943 habe ich dort als Ausbilder für Rekruten fungiert. Zwischendurch war ich für ein paar
Monate in Deichow, dort haben wir nach Flusstreibminen gesucht.
Mitte Februar 1944 hieß es, es geht innerhalb von 8 Tagen an die Front und ich wollte doch
meine Verlobte, mit der ich bereits 5 Jahre zusammenlebte, absichern und so haben wir am
26.2.1944 geheiratet.
Im November/Dezember 1944 sind die Russen in Kystrien einmarschiert, die vorhandenen
Brücken mußten zur Sprengung vorbereitet werden. Ich habe auch Sprengstoff dafür
herangefahren.
Die Festung Kystrien mußte aufgegeben werden, die Brücken wurden alle zerstört, die
Eisenbahnschwellen wurden mit Phosphor übergossen und angebrannt. Nun ging nichts mehr
raus. Wir haben uns nasse Säcke übergeworfen und konnten so doch noch hinaus.
Eine Brücke Richtung Altstadt war noch begehbar, dort befand sich auch ein Bunker. Es waren
dort deutsche Offiziere mit einem russischen Gefangenen, den ich auf die Festung bringen
sollte. Da dies ja eigentlich unmöglich war, gingen wir erst einmal mit einem weißen Tuch los.
Unterwegs habe ich ihm dann meine Waffe gegeben und ihm zu verstehen gegeben, er solle
auf seine Leute warten. Ich bin dann allein weiter Richtung Fürstenwalde (Oderbruch) und bin
bei Manschnow zufällig direkt in eine deutsche Stellung gerobbt.
Wir sind dann mit dem Zug in Richtung Randgebiet von Berlin gefahren und haben in Zehdenik
Stellung bezogen. Ich habe irgendwie den Anschluß verpaßt und wurde unterwegs von den
„Kettenhunden“ aufgegriffen.
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Die „Kettenhunde“ waren die Militärpolizei und hatten diesen Namen wegen der Ketten mit
einem ziemlich großen Schild, welche sie um den Hals trugen.
Ich bekam von denen Auftrag, in einer Ziegelei russische Gefangene zu beaufsichtigen, bin
aber abgehauen und habe mir ein Nachtquartier gesucht. Da las ich an einem Laden
„Fleischer During“ und ging hinein. Der bot mir ein Quartier im Schweinestall an, der zwar leer
war, aber das war wirklich unter aller Würde. Ich bin wieder zu ihm hin und fragte ihn, ob er
denn in Guben Verwandte habe. Er bejahte meine Frage und ich sagte nur: „na denen werde
ich erzählen, was Du mir für ein Quartier angeboten hast“ und ging wieder. Mir begegnete eine
Frau, die mich fragte, in welcher Einheit ich denn diene und ich antwortete ihr, bei den
Pionieren. Sie fragte „bei den 68.ern?“ Ich sagte ja und sie brachte mich in ein Haus, dort habe
ich in einem Bett sehr gut die Nacht verbracht. Es stellte sich heraus, daß es die Frau eines
Kameraden aus meiner Einheit war.
Am nächsten Morgen haben mich die „Kettenhunde“ wieder geschnappt.
Ich fand meine Einheit wieder. In Richtung Löwenberg, Ludwigslust marschierend gerieten wir
in Hitzacker in englische Gefangenschaft.
Mein Kamerad und ich gruben uns ein Loch, packten Moos rein und wir haben 3 Tage
durchgeschlafen. Unterwegs hatten wir eine Kiste mit Brot organisiert, die wir auch in unserem
Loch versteckten. Das war unser Glück, denn in den drei Wochen, die wir dort verbrachten,
gab es zwar warmes Wasser zum waschen, aber nichts zu essen. Das Brot reichte gerade für
die drei Wochen.
Unterwegs fand ich ein Motorrad, welches ich mitnahm, fahren konnte ich nicht. Dieses
Motorrad haben mir die Engländer bei der Gefangennahme gleich abgenommen, ich erhielt
von ihnen aber eine Stange Zigaretten.
Die Engländer verfrachteten uns in LKWs und brachten uns Richtung Euthin in ein
Entlassungslager. Auf einem Bauernhof wurden wir im Kuhstall untergebracht. Die Kühe
befanden sich auf der Weide. Mein Kumpel und ich hatten insofern Glück, daß im Stall kein
Platz mehr war und wir beide auf dem Heuboden geschlafen konnten.
Zur Beschäftigung haben wir dort sehr viel Fußball gespielt. Mit im Entlassungslager befanden
sich ein Sportoffizier von Hertha BSC und Spieler von Schalke 04 und 1860 München.
Dreimal in der Woche haben wir dann je ein Spiel absolviert und nannten uns „Die Chorgruppe
von Stockhausen“. Für jedes Spiel gab es ½ Liter Milch und eine Tütensuppe für 4-6
Personen. Wenn wir für die Springreiter in Warendorf (bei Euthin) die Ratten auf dem
Dachboden totgeschlagen haben, erhielten wir pro Stück eine Packung Kekse - ich habe mich
davor "gedrückt".
Vom Entlassungslager Euthin ging es mit dem Zug ins Quarantänelager nach Bamberg. Aber
dort wollte ich nicht hin. Das Quarantänelager lag auf der rechten Seite vom Zug. Ich stieg auf
der linken Seite aus dem Zug und bin zu Fuß nach Bayreuth gelaufen. Da ich unterwegs
großen Hunger bekam ging ich in ein Bauernhaus und bat um etwas zu essen, bekam aber
nichts. Einem Kameraden, den ich unterwegs traf, erzählte ich davon. Der gab mir den Rat, im
nächsten Laden ein Kreuz zu kaufen, dann würde mir man etwas geben. Ich folgte seinem
Ratschlag und es war so, wie er sagte, ich bekam dann beim nächsten Bauern auch eine
Stulle.
In Bayreuth habe ich 2 Monate verbracht. Ich war auf der Suche nach einer Unterkunft und
erinnerte mich an eine Frau Schulze, bei der schon meine Frau übernachtet hat, als sie mich
im Lazarett besuchte. Sie bot mir einen Schlafplatz an, in Ihrem Haus konnte ich auf dem
Fußboden der Küche schlafen. In den anderen Räumen waren Flüchtlinge untergebracht.
Arbeit habe ich über einen Bauingenieur, den ich im Lazarett kennenlernte, vermittelt
bekommen. Er fragte mich nach meinem Beruf und ich sagte, ich bin ein gelernter Former. Ich
konnte in meinem Beruf bei der Fa. Kaiser arbeiten und wir haben Maschinenteile produziert.
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Im November1945 habe ich mich auf den Weg nach Guben gemacht, um nach meiner Frau zu
schauen. In der Nähe von Lobenstein habe ich mich über die Grenze geschmuggelt. Es waren
ja schon die Besatzungszonen festgelegt. Es ging aber alles gut und so konnte ich mit dem
Zug nach Leipzig fahren. Der Bahnhof war überfüllt. Am 8. November 1945 bin ich in Guben
angekommen und lief gleich zu dem Haus in der Kupferhammerstraße, in dem meine Frau
wohnte. Vor dem Haus saß meine Schwägerin in schwarzen Sachen und weinte, meine
Schwiegermutter ist zwei Tage vorher verstorben.
Von ihr erfuhr ich, daß sich meine Frau in Schleswig Holstein aufhält, sie hatte auch eine
Postkarte mit der Adresse, so konnte ich sie gezielt suchen. Zunächst trat den Rückweg nach
Bayreuth an, denn ich mußte mir meine Lebensmittelkarten holen, damit ich mich auf meiner
Reise nach Schleswig Holstein verpflegen konnte.Ich fand eine Mitfahrgelegenheit auf einem
Güterzug, der in den Norden fuhr. Dieser war beladen mit gespritzter Saat. Die
Mitfahrgelegenheit haben auch noch andere genutzt und weil sie hungrig waren, haben sie von
der Saat gegessen. Sie hatten sich schlimm den Magen verdorben. Der Zug fuhr bis Hamburg-
Harburg und mit der Adresse in der Hand konnte ich sehr schnell meine Frau finden. Ihr ging
es gut und sie arbeitete in einer Schneiderei.
Wir blieben beide dort, wir wohnten in einem Zimmer im Haus eines Wehrmachtsoffiziers a. D.,
bis im Dezember 1945 Züge zusammengestellt wurden, die Flüchtlinge aus dem Osten in ihre
Heimat zurückbringen sollten. Auch wir haben uns gemeldet und so sind wir mit einem
Zwischenstop bei Verwandten in Berlin, im Januar 1946 wieder in Guben angekommen. Es
war bei der Ankunft zwar Sperrstunde, aber wir sind trotzdem mit unserem Koffer nach Hause
gelaufen. Unser Haus war voller Flüchtlinge.
In der Nacht stand die Polizei vor der Tür und fragten, ob ich in der Nacht nach Hause
gekommen bin. Ich bejahte dies und sie sagten mir, ich soll mich am nächsten Morgen in der
Mittelstraße bei der GPU melden. Man verhörte mich dort und letztlich stellte sich heraus, daß
ich mit einem anderen Mann, der den gleichen Namen wie ich trug und Bannführer bei der HJ
war, verwechselt wurde. Ab Mitte Januar 1946 habe ich wieder bei der Firma Quade begonnen
zu arbeiten. Wir produzierten u. a. Schöpfkellen, Untersetzer für Bügeleisen und Plinzsteine.
Der Verdienst betrug damals 180,-RM und zum Vergleich – ein Pfund Margarine kostete 300,-
RM, ein Zentner Kartoffeln so ca. 1000,00 RM.
Foto: Lösch
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Frau Schultz – Der Weg einer Gubenerin im 2. Weltkrieg
Am 30.8.1921 wurde ich in Guben, Kupferhammerstraße 18, geboren. Ich habe noch 3
Geschwister – einen Bruder und 2 Schwestern – ich bin die Zweitgeborene. Wir wohnten in
einem Mietshaus, mein Vater arbeitete als Rottenführer bei der Eisenbahn und meine Mutter
versorgte uns Kinder als Hausfrau. Meine Schulzeit war vom 1.4.1928 bis 1936. Ich ging in die
Klosterschule in der Kirchstraße. Ich war in der Schule sehr gut, konnte aber das Lyzeum nicht
besuchen, weil es sich meine Eltern nicht leisten konnten.
Nach der Schulzeit habe ich als Hilfsarbeiterin in der Tuchfabrik Werner Wolf für 7,50 RM /
Woche gearbeitet. Ich nähte die Nummern in die Tuche ein und erledigte Botengänge und
Handlanger- sowie Reinigungsarbeiten. Später konnte ich für etwas mehr Lohn als Ausnäherin
arbeiten, d. h. ich habe die Fehler in den Tuchen ausgebessert.
Die Ehefrau von Herrn Wolf leitete eine Gymnastikgruppe. Dort habe ich regelmäßig und gern
Sport getrieben. Auch war sie Vorsitzende beim Roten Kreuz und mußte Hilfsschwestern für
den Einsatz in den immer zahlreicher werdenden Lazaretten werben.
Ich meldete mich und ab 1941 arbeitete ich für ca. 6 Monate als Schwester in der
Hindenburgschule, die ebenfalls als Lazarett umfunktioniert war. Anschließend war mein
Einsatzort im Lyzeum (Grüne Wiese), bis im Februar 1945 Guben geräumt werden mußte. Die
Ärzte und wir Schwestern fuhren zum Einsatz in ein Lazarett nach Berlin Tegel. Dieses wurde
von englischen Fliegerbomben zerstört und wir setzten unsere Arbeit in einem Lazarett in
Spandau bis 1945 fort.
Mein Mann schrieb mir, daß die Russen immer näher kommen und ich soll zusehen, daß ich in
den Westen komme. Ich befolgte diesen Rat und ging gemeinsam mit einer Krankenschwester
und 8 verletzten Soldaten - einer davon war im Rollstuhl - Ende April 1945 zu Fuß von
Spandau los Richtung Westen. In Falkensee haben wir den Zug bestiegen und sind Richtung
Kyritz gefahren. Der Zug wurde von russischen Fliegern beschossen, es war ein schrecklicher
Anblick. Säuglinge, die in den Gepäcknetzen schliefen, wurden getroffen. Der Zug fuhr nicht
mehr weiter, weil die Lok einen Treffer bekam. Auf dem Nebengleis stand ein Güterzug in den
wir die Toten und Verletzten reingelegt haben. Unterkunft für die Übernachtung haben wir in
Lazaretten gefunden. Unterwegs haben wir in der Zeitung gelesen, daß immer da, wo wir
zuvor Halt gemacht hatten, die Russen einmarschiert sind. Die sind uns quasi gefolgt.
Mit einer neuen Lok ging es weiter nach Kyritz, wo wir in einen anderen Zug umgestiegen sind,
der uns nach Schleswig Holstein brachte. Dort sind nur wir zwei Schwestern angekommen.
Wir meldeten uns beim Roten Kreuz und wurden in Märkisch Osterholz im Krankenhaus
eingesetzt. Dort lagen viele Patienten mit Malaria, Ruhr usw. Verwundete wurden in
umliegende Lazarette und kleine Krankenhäuser verteilt.Mir wurde vom Roten Kreuz
angeboten, für 2 Jahre nach Kanada zu gehen und dort verwundete deutsche Soldaten zu
pflegen. Da ich aber wissen wollte, was aus meinem Mann geworden ist, habe ich abgelehnt.
Im August 1945 wurde ich vom Roten Kreuz entlassen und ich nahm eine Stelle als Näherin
an. Ich habe vorrangig Oberhemden genäht.
Ende November 1945, plötzlich stand mein Mann im Geschäft, die Wiedersehensfreude war
groß und wie wir wieder nach Guben zurückgekommen sind, hat ja mein Mann bereits
berichtet.
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4. Eine Groß Breesenerin erzählt:
Zeitzeugenbericht Fam. Wachshaus - anonym -
Am 8. Februar 1927 wurde ich in Groß Breesen geboren.Mein Vater befand sich für 1-2 Jahre
bei der Wehrmacht, wurde dann, noch während des Krieges, zur Bahn geholt und arbeitete
dort als Weichensteller.Meine Mutter war Hausfrau und hat bei ihrer Schwester in Sembten in
der Landwirtschaft mitgeholfen.Mein Bruder und ich sind von unserem Elternhaus im
sozialistischen Sinne erzogen worden - mein Vater war SPD-Anhänger - und wir durften nicht
in die HJ bzw. BDM.
1933 wurde ich in Groß Breesen in die Grundschule eingeschult, besuchte diese bis zur
4. Klasse und beendete die 8. Klasse an der Volkschule Groß Breesen. Es war eine schlimme
Zeit. In einem Klassenraum wurden zwei oder drei Klassen von einem Lehrer unterrichtet. In
diese Schule gingen nur Groß Breesener und Bresinchener Kinder. Unser Lehrer bis zur 4.
Klasse war Lehrer Sparmann. Der war nazistisch eingestellt und ließ es mich manchmal ganz
schön merken, daß er etwas gegen unsere Familie hat. Offensichtlich hat er die "Rechten"
bevorzugt. In der Volksschule unterrichtete uns Lehrer Plenz. Ein netter Lehrer und von
Neutralität gekennzeichnet. Er sang mit meinem Vater im Gesangsverein und hat mich immer
beschützt.
Nach dem Schulabschluß leistete ich mein Pflichtjahr bei meiner Tante in Sembten ab. Ich
konnte dies bei ihr machen, weil sie 5 Kinder hatte, davon waren 3 noch klein und bin täglich 4
km mit dem Fahrrad morgens hin und abends wieder nach Hause gefahren. Dort wohnen
durfte ich nicht, mein Vater hat es mir nicht erlaubt. Ich bekam keine Lehrstelle und mußte in
der Rüstungsproduktion arbeiten. Ich arbeitete bei der Hutfabrik Wilke in der Gasstraße. Dort
wurden in einem Raum, der für die Rüstung freigestellt war, Schutzhauben für die Bevölkerung
gegen Gasangriffe aus Wachstuch genäht. Die Bezahlung waren nur wenige Mark pro Woche
und die Arbeitszeit ging von Montags bis Samstags 6:00 Uhr bis 16:00 Uhr.
Als wir Ende Januar 1945 beobachteten, daß viele große Trecks durch unser Dorf liefen und
diese immer mehr wurden, beschlossen meine Cousine mit Tochter und ich nach Bayern zu
fahren. Ich hatte damals einen Freund, der in der Nähe von Ulm zu Hause war, bei dessen
Eltern sind wir untergekommen. Die Fahrt mit dem Zug dorthin war noch relativ normal.Meine
Eltern und mein Bruder - so erfuhr ich später - sind nach Halbe geflüchtet, haben alles gut
überstanden und sind nach Groß Breesen zurückgekehrt. Im Herbst 1945 hat mich mein Vater
dort abgeholt und wir sind nach Groß Breesen zurückgekommen. Wir mußten "schwarz" über
die bereits bestehende Grenze.
Ich habe dann in der Bürgermeisterei angefangen zu Arbeiten.
Der Ehemann berichtet:
Ich wurde in Wuttschdorf im Kreis Züllichau-Schwiebus am 30.1.1926 geboren. Mein Vater
arbeitete dort als Melkermeister. 1939 begann er mit der Arbeit als Melkermeister auf dem Gut
Groß-Breesen. Wir zogen dorthin und ich besuchte von 1939 bis 1941 dort die Schule.
Ich lernte bei Lehmann in der Cockerillstraße für 3 Jahre den Beruf des Friseurs. Nach der
Prüfung bekam ich den Einberufungsbefehl zum Arbeitsdienst nach Finsterwalde. Dort erhielt
ich die Armeeausbildung mit Spaten. Wir haben Straßen für Panzer gebaut, Rüstungsmaterial,
welches aus den Kampfgebieten eingesammelt und zurückgebracht wurde, sortiert. Der
Arbeitsdienst ging 1 Jahr und als ich ca. 2 Wochen zu Hause war, mußte ich als Soldat nach
Schwerin an der Warthe. Von dort aus ging ich als 17jähriger zum Einsatz nach Frankreich in
der Nähe von Brest. Ich erhielt die Infanterieausbildung und wurde dann Funker in der
Nachrichteneinheit.
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Bei der Invasion der Engländer in der Normandie wurde ich durch den Einsatz von Phosphor
an den Beinen leicht verwundet und kam in das Lazarett nach Paris. Nach 2 - 3 Wochen
Aufenthalt mußte ich wieder an die Front zur Sicherungseinheit für schwere Flak bei Morleau.
Dort marschierten dann die Amerikaner mit Panzern auf und ich bin mit anderen Kameraden
bei Nacht und Nebel Richtung Deutschland geflüchtet. Auf dem Weg habe ich meine
Kameraden verloren und bin allein weitergelaufen, teils gerobbt. Ich sah eine Einheit, dachte,
es wären Deutsche, und bin zu ihnen hingegangen. Es war aber eine amerikanische
Nachschubkolonne, die mich bei sich aufnahmen. Sie behandelten mich, als ob ich zu ihnen
gehörte, konnten mich aber nach 2 Tagen nicht mehr weiter mitnehmen und übergaben mich
den Franzosen. Dort kam ich ins Gefängnis. Einen Fotoapparat, den ich bei mir hatte, nahmen
sie mir weg, alles war voller Flöhe und ich wurde traktiert und geschlagen.
Weil Frankreich keine kriegführende Macht war, mußten die deutschen Gefangenen, wir waren
ca. 30 Mann, auf Anordnung der Amerikaner in amerikanische Kriegsgefangenschaft
übergeben werden. Die brachten mich in ein Gefangenencamp, ein großes Zeltlager
außerhalb von Cherbourg. Ein Kamerad, Eberhard Dehl aus Mannheim, sprach gut englisch
und setzte sich bei den Amerikanern für mich ein. So konnte ich im Zeltlazarett als Sanitäter
und Friseur arbeiten, fiel somit unter die Genfer Konvention und wurde mit PP - für
geschütztes Personal - gekennzeichnet.
Zeltlazarett Cherbourg Foto: privat
Dieses Zeltlazarett wurde aufgelöst und wir kamen in ein amerikanisches Lazarett direkt in
Cherbourg. Das war ein Komplex mit mehreren Häusern und Werkstätten. Es gab riesige Säle.
In einem dieser Säle lagen ca. 50 Verwundete, alles Amerikaner. Wir wurden dort nicht
bewacht. Die ca. 30 deutschen Gefangenen haben verschiedene Arbeiten gemacht wie
Autoreparatur, Müllabfuhr, Reinigungsarbeiten und alles was anfiel. Ich arbeitete unter
anderem als Verwalter und habe an die Gefangenen Wäsche, Seife usw. verteilt.
Bei der Weihnachtsfeier 1944 wurden wir unterbrochen. Vor Cherbourg wurden Schiffe, mit
Nachschub für die amerikanischen Truppen, von einem deutschen U-Boot versengt, es gab
viele Verwundete und wir sollten helfen, diese zu versorgen. Wir brachten viele Soldaten, naß
bis auf die Knochen und oftmals ziemlich schwer verletzt, in die Säle. Das war Schwerstarbeit,
für Körper und Seele, Fahrstühle gab es nicht. Im Frühjahr wurden wir nach Antwerpen,
Belgien, verlegt. Dort bekam ich eine Blinddarmentzündung und wurde von den Amerikanern
in Lüttich operiert. Nach der Genesung wurde ich in ein Entlassungslager nach Marburg an der
Lahn verlegt.
Nach und nach wurde einer nach dem anderen in die amerikanische, englische oder
französische Besatzungszone entlassen. Da ich ja aus dem "Osten" kam, hätte ich lange auf
meine Entlassung warten können, da in die sowjetische Besatzungszone niemand entlassen
werden durfte. Als ich gefragt wurde, wohin ich denn entlassen werden wolle, sagte ich: nach
Mannheim. Mein Sani-Kameraden hatte mir die Adresse seiner Eltern in Mannheim gegeben
und gesagt, ich könne mich dorthin wenden.
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Am 11. Dezember 1945 war der Tag meiner Entlassung aus Marburg nach Mannheim. Dort
suchte ich die Eltern meines Kameraden auf, ihn selbst habe ich aber aus den Augen verloren.
Seine Eltern nahmen mich auf und ich wohnte dort für 1 bis 2 Jahre. Ich meldete mich beim
Arbeitsamt und arbeitete in dieser Zeit als Friseur.Ich wollte zu gern wissen, wie es meiner
Mutter ging und machte mich auf den Weg nach Groß Breesen. Ich bin "schwarz" über die
Grenze und es ging alles gut. Ich bin dann noch mal zurück, um meine Sachen abzuholen und
nach Hause zurückgekehrt.
5. Zeitzeugenbericht Fam. Hampel
Frau Hampel
Am 2. November wurde ich in Guben, Kaltenborner Str. geboren. Wir wohnten in einem
Mietshaus mit 9 Parteien. Wir hatten eine Stube und eine Küche.Vom 1.4.1935 bis zum
31.3.1943 ging ich in die Pestalozzischule, damals Volksschule. Unsere Fächer waren neben
Rechnen und Schreiben Gesang, Handarbeit und viel Sport.
Täglich hatten wir ca. 6 Unterrichtsstunden. Gerne habe ich im Chor der Schule mitgesungen.
Im Sommer begannen wir mit der Schule 7:00 Uhr und im Winter begann die Schule 8:00 Uhr.
Ab dem 10. Lebensjahr sind wir Mädchen in den BDM aufgenommen worden. Wir bekamen
jeder eine Uniform, die aus Rock, Bluse, Halstuch, welches mit einem Lederkonten
zusammengehalten wurde, und einer Velourslederjacke bestand. An den Veranstaltungen des
BDM habe ich wenig teilgenommen, weil mich das alles nicht interessiert hat. Ich habe
deswegen auch Ärger bekommen. Einmal hat mich der Jugendführer Sonntag früh aus dem
Bett geholt, da sollte eine Veranstaltung im "Tivoli", eine Gaststätte im heutigen Gubin in der
Nähe der Himmelsleiter, sein. Ich wollte dort nicht hin, aber alle, die nicht von sich aus kamen,
wurden abgeholt.
Jeden Monat einmal trafen sich die Jungen im Rahmen der HJ und die Mädchen innerhalb des
BDM getrennt voneinander. Bei uns wurde dann von extra geschulten BDM-Führern erzählt,
vorgelesen und gesungen.Nach der Schule ging ich nach Hause, meine Großmutter hat für
uns 2 Mädels gekocht, meine Schwester ist zwei Jahre älter.
Dann haben wir Schularbeiten gemacht und sind dann in unseren Garten gegangen, den wir
zur Eigenversorgung bewirtschaftet haben. Da war immer zu tun, Gießen, Unkraut jäten usw.
Oftmals haben wir nachmittags mit unseren Lehrern Kräuter gesammelt, die auf dem Boden
unserer Schule getrocknet wurden. Auch sammelten wir Altpapier.Mein Vater war von 1939 bis
1945 eingezogen, er war in Stalingrad und überlebte nur, weil er im Stab war. Nur dieser
wurde gerettet. 1940 wurde meine Mutter schwer krank und mußte für etwa ein halbes Jahr in
die Heilstätte Berlin Grünau. In dieser Zeit kümmerte sich unsere Tante um uns Mädels. Meine
Mutter dachte, sie wird die Heimat nicht mehr wiedersehen, weil so viele Bomben in Berlin
fielen.
Ab 1.4.1943 mußte ich ein Pflichtjahr absolvieren. Das erste halbe Jahr arbeitete ich bei der
Schwester von Fell-Herrmann in der Frankfurter Straße als Haushaltshilfe und
Kindermädchen. Das 2. Halbe Jahr arbeitete ich bei Fam. Seidel in der Zweigertstraße im
heutigen Gubin. Dort habe ich die 3 kleinen Kinder der Familie betreut und den Haushalt
geführt. Mal Einkaufen, mal putzen, mal Abwaschen - dies waren meine Aufgaben. Der Vater
der Familie war im Krieg, da konnte die Frau eine Hilfe gebrauchen, weil sie auch selbst
gesundheitliche Probleme hatte.
Die Arbeitszeit war von 7:00 bis 19:00 Uhr, das nannte man den "totalen Kriegseinsatz". Der
Monatslohn betrug 10,00 RM pro Monat. Gewohnt habe ich zu Hause. Ab 1.4.1944 begann
meine Lehre als Schneiderin bei Frau Geike in der Pestalozzistraße.
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Die Lehrzeit betrug 3 1/2 Jahre mit einem Lehrlingsgeld von
2,00 RM im 1. Lehrjahr,
24,00 RM im 2. Lehrjahr und
48,00 RM im 3. Lehrjahr.
Wir nähten für Kundschaft aus allen Schichten, ab und zu auch Änderungsarbeiten.
Die Besuche der Veranstaltungen des BDM waren auch während der Lehrzeit Pflicht.
Meine Lehre mußte ich aber am 14.2.1945 unterbrechen.
Seit Mitte Januar konnten wir schon Flüchtlingsströme zum Beispiel aus dem Warthe-Land
beobachten und haben uns natürlich auch die Frage gestellt, wie es weitergehen wird. Wir
bereiteten uns auf den Tag vor, an dem auch wir flüchten müssen und nähten uns Säcke, in
denen wir einiges von unserem Hab und Gut, wie Bettwäsche, Leibwäsche, Schuhe, Schmuck,
Papiere, unsere Lebensmittelkarten usw. verstauen konnten. Dann kam der Räumungsbefehl
und auch wir flüchteten aus Guben. Wir fuhren am 14.2.1945 gemeinsam mit einer Nachbarin
und deren 2 Kindern mit dem Zug nach Cottbus. Unser Ziel war Bitterfeld, dort hatten unsere
Nachbarn Verwandte.
Auf dem Bahnhof in Cottbus angekommen, ging es zunächst nicht weiter. Der Bahnhof war
bombardiert worden und man hatte Angst um die Züge. Wir mußten alle aussteigen und der
Zug wurde aus dem Bahnhof gefahren. Nach ca. 6 Stunden hat sich die Lage soweit beruhigt,
daß der Zug wieder in den Bahnhof geholt wurde und wir einsteigen konnten. Zwischenzeitlich
kamen immer mehr Züge in Cottbus an mit Flüchtlingen, die auch weiter wollten. Der Zug war
überfüllt, Kinder lagen oben in den Gepäcknetzen. Dann ging es über Falkenberg nach
Leipzig. Der Zug konnte in Leipzig nicht in den Bahnhof hineinfahren, weil dort durch eine
Bombe die Bahnhofsdecke in der Bahnhofshalle und auf den Gleisen lag. Wir mußten daher
vor dem Bahnhof auf freier Strecke aussteigen. Ohne Bahnsteig war es ganz schön schwierig,
die Waggons waren ganz schön hoch. Wir fanden dann mit Hilfe der Eisenbahner einen
Anschlußzug nach Bitterfeld.
Unsere Flüchtlingswohnung hatte 3 Zimmer. Die Kinder bekamen 1 Zimmer, die Erwachsenen
1 Zimmer und das Gepäck brachten wir im Wohnzimmer unter, dort haben wir auch gegessen.
Gehungert haben wir nicht, wir hatten unsere Lebensmittelkarten mitgenommen, später haben
wir entbehrliche Sachen, wie Schmuck und Bettwäsche, beim Bauern gegen Lebensmittel -
hauptsächlich Kartoffeln - eingetauscht.In der Nähe von Bitterfeld war ein Vorratslager der
Wehrmacht, welches durch einen Bombenangriff brannte. Dort haben wir uns die brauchbaren
Büchsen mit Lebensmitteln geholt.
Bis September 1945 mußten wir in Bitterfeld verbleiben. Die Eisenbahnbrücke über die Mulde
war zerschossen, wurde dann repariert und im September fuhr wieder der erste Zug über
diese Brücke. Sachsen Anhalt, somit auch Bitterfeld, gehörte zur amerikanischen
Besatzungszone. Schon bei der Java-Konferenz und später beim Potsdamer Abkommen
wurde beschlossen, Sachsen Anhalt an die russische Besatzung abzugeben.
Wir erlebten die Amerikaner geschniegelt und gebügelt und nach 6 - 8 Wochen, als es dann
russische Besatzungszone wurde, war das ein Bild wie Tag und Nacht. Die Russen kamen mit
ihren Panjewagen und hatten selbst oft nur Lappen um die Füße. Meiner Ansicht nach waren
das meist Mongolen, kleine Männer, die sich korrekt verhalten haben. Auf dem Weg nach
Hause, wurde der Zug auf freier Strecke kurz vor Falkenberg gestoppt. Die Russen haben alle
Waggons kontrolliert und haben alle Männer ab 16 Jahre zum Arbeiten mitgenommen. Wohin
sie gekommen sind und was aus ihnen geworden ist, ist nicht bekannt. Bei unserer Ankunft in
Cottbus, es war schon am Abend, fuhr kein Zug mehr, und wir übernachteten im Keller einer
Ruine in der Nähe des Bahnhofs. Wir mußten auf unser Gepäck achten, denn dort waren
schon die Polen, die unbeachtete Gepäckstücke geklaut haben.
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Am nächsten Tag ging es im überfüllten Zug nach Guben in unsere alte Wohnung. Sie war heil
geblieben und die Möbel waren auch noch drin. Nur war sie bewohnt mit Flüchtlingen von der
Ostsiedlung, einer Frau mit ihren zwei Kindern. Die haben aber ohne weiteres die Wohnung
frei gemacht und sind in den Keller gezogen. Dort haben sie noch einige Jahre gewohnt.
Herr Hampel
Ich bin im Dezember 1928 in Guben geboren. Wir wohnten in einem Einfamilienhaus in der
Damaschkestraße zur Miete. Später sind wir in die Flemmingstraße gezogen. Meine
Großeltern haben dieses Haus als kinderreiche Familie preisgünstig von der Stadt gekauft und
an meine Eltern vererbt.
Mein Onkel wohnte in der Nähe der Mückenbergkaserne, den haben wir ab und an besucht,
dort war das 29. Infanterieregiment. Zum Tag der Wehrmacht sind wir auch zu den
Festlichkeiten an der Mückenbergkaserne gegangen und haben dort aus der Gulaschkanone
Mittag gegessen. Ich kann mich erinnern, daß wir mit Juden nichts zu tun hatten. Ich weiß nur,
daß es im Königspark. Die Insassen waren ausschließlich Frauen mit Kindern, die im Januar
1945 zu Fuß über die Flemmingstraße nach Jamlitz verbracht wurden. Diesen Treck habe ich
beobachtet.
1942 fielen in Guben drei Bomben. Eine zerstörte ein Haus in der Lindenstraße in
Reichenbach, eine riß einen Krater auf eine Wiese zwischen Bahnhof und Reichenbach und
die dritte schlug in der Nähe des Königsparks ein. Wir haben dem Räumungsbefehl nicht
befolgt und beschlossen in Guben zu bleiben. Als mein Cousin und ich mal unterwegs waren,
hat uns ein SS-Wehrkommando geschnappt und uns gesagt, wir müssen uns in der Gaststätte
in Lübbinchen melden. Dort sagte man uns, wir sollen nach Lübben gehen und uns dort beim
Wehrkreiskommando melden.
In Lübben auf einer Kreuzung begegneten wir einem bekannten Flakhelfer, der uns zurief:
"Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen, macht euch nach Hause". Wir sind durch den Wald bis
nach Hause gelaufen. Nach zwei Tagen haben wir beschlossen doch zu flüchten, damit man
uns nicht erschießt und wir sind zu Zehnt aufgebrochen. Meine Eltern, mein zehn Jahre
jüngerer Bruder, mein Cousin mit seiner Mutter, zwei Tanten, ein Onkel und eine Cousine sind
mit dem Handwagen aufgebrochen. Diesen haben wir beladen mit allem was man
gebrauchen könnte, Hühner - die versorgten uns mit Eiern -, Kaninchen, Verpflegung, Tee,
Kocher, Fahrräder usw. Der Wagen hatte bestimmt ein Gewicht von ca. 15 Zentner. Bei
Pausen im Wald haben wir die Hühner am Wagen festgebunden, damit sie etwas herumlaufen
und scharren konnten.
3 Tage haben wir uns im Wald versteckt und die Front ist während dessen über uns
hinweggerollt. Wir flüchteten nach Lübben und meine Mutter, mein Vater, mein Bruder und ich
quartierten uns in ein Einfamilienhaus ein, deren Bewohner auch geflüchtet sind. Die anderen
haben jeweils auch eine Bleibe gefunden und wir blieben untereinander in Kontakt. Als Ende
April der Kessel von Halbe zugemacht wurde, ging nichts mehr und wir beschlossen nach
Guben zurückzukehren. Als zwei Tage später Lübben gebrannt hat, das war dann im März
oder April 1945 machten wir uns alle auf den Weg nach Guben. Wir waren 1 1/2 Tage
unterwegs. Übernachtet haben wir in Goyatz beim Bäcker.
Unser Haus war vom Krieg, der noch nicht ganz vorbei war, verschont geblieben und während
wir weg waren, haben unsere Nachbarn, es waren alte Leute, die sich der Strapazen der
Flucht nicht aussetzen wollten, auf unser Haus aufgepaßt und unser Vieh, wir hatten Schweine
und Ziegen, gefüttert. Nach der Kapitulation ging es an die Aufräumarbeiten. Alle im Alter ab
14 Jahre mußten arbeiten gehen, um Lebensmittelkarten zu erhalten. Die Arbeit wurde uns
vom Amt, deren Sitz in dem jetzigen Gebäude der Volkssolidaritat ist, zugeteilt. Dort mußte
man sich vorher registrieren lassen.
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6. Erinnerungen von Frau Koschack
Ich wurde am 02.01.1930 als Einzelkind im heutigen Gubin geboren. Wir wohnten an der
Roonstraße. Mein Vater baute 1933/34 ein Haus für unsere Familie, zu der noch meine Oma
gehörte. Dieser Hausbau war für meinen Vater eine sinnvolle Beschäftigung, um seine
Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Die Steine hierfür fertigte er selbst an. 1934 konnten wir das
Haus beziehen. Wir hatten eine kleine Landwirtschaft zu Hause, die meine Mutter führte. So
baute sie Gemüse, wie z. B. Salat, Möhren, Kohl u. a. an und züchtete Geflügel, wie Enten,
Gänse, Hühner sowie auch Schweine und Ziegen. Was wir von den Erträgen selbst nicht
verbrauchten, boten meine Eltern auf dem Markt zum Verkauf an. Mein Vater bekam später
eine Anstellung in der Hutfabrik. 1940/41 ließ Hitler die Kasernen Mückenberg und Moltke
bauen. Dort fand mein Vater dann längerfristig Arbeit als Kesselschmied. Bei uns zu Hause
fanden regelmäßig geheime Treffen statt, worüber ich aber nicht sprechen durfte. Mein Vater
war Mitglied der KPD und traf sich mit gleichgesinnten Genossen. Ich fand einmal auf dem
Boden eine versteckte KPD-Fahne, die mir meine Mutter ängstlich wegnahm und in Sicherheit
brachte.
Ich wurde im Jahr 1936 eingeschult. Alle Schüler mußten dem Jungvolk beitreten. Mit 10
Jahren wurden wir im BDM aufgenommen. Dort fanden einmal in der Woche Heimatabende
und organisierte Sportfeste statt. Die Sportveranstaltungen bereiteten mir Spaß, die
Heimatabende weniger. So kam es, daß ich manchmal schwänzte. Das hatte aber Folgen. Bei
dreimaligem Fehlen kam die Polizei nach Hause. Mir erging es so, und meine Mutter drohte
mir damit, daß ich bei weiteren Fehlstunden von der Polizei mitgenommen werden würde. Nun
ging ich regelmäßig zu den Veranstaltungen. Eine weitere, von der Schule geforderte Aktivität
der Schüler war „Altstoffe sammeln“. Daran gingen wir mit großem Eifer. Wir sangen dabei das
Lied "Lumpen, Knochen, Eisen und Papier, ... ja das sammeln wir". So zogen wir von Haus zu
Haus. Montags lieferten wir die Altstoffe in der Schule ab und bekamen dafür Punkte, die am
Jahresende zusammengezählt und ausgewertet wurden. Die Fleißigsten bekamen dann
Preise als Anerkennung. In der Regel waren es Bücher. Ich selbst besitze zwei Bücher aus
dieser Zeit (Heidi-Heimatroman).
1944 wurde ich aus der Schule entlassen. Jetzt begann ein Pflichtjahr für alle Schüler - die
Jungen wurden zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen und die Mädchen absolvierten ein
Hauswirtschaftsjahr. Mein Vater wollte für mich eine andere Ausbildung. Er sagte: „Für die
Bonzen arbeitest du nicht“. Da ich schon immer Kindergärtnerin werden wollte, begann ich
eine Lehre als Kinderpflegerin in Forst. Um nicht täglich hin und her fahren zu müssen, wohnte
ich in einem Heim.
Mit 16 Jahren wurden alle Mädchen zum Arbeitsdienst eingesetzt. Dieser war für ein Jahr
befristet, aber für alle Pflicht. Die Arbeit dieser Organisation bestand darin, Gehorsam und
Pflichtbewußtsein auszubilden. Es wurde die Versorgung der Menschen übernommen.
Feiertage wurde zum Anlaß genommen, um Militäraufmärsche im Stadion abzuhalten. Der 1.
Mai wurde groß gefeiert. Es fanden Aufmärsche am Hamdorffplatz statt und Reden wurden
gehalten. Hitler versprach den Menschen Arbeit und diese glaubten daran, wußten aber nicht,
daß sie für die Kriegsrüstung arbeiten sollten.
Als der Krieg ausbrach, waren alle Menschen kopflos. Meine Mutter sagte immer wieder:
„Was soll bloß aus uns werden?“ Mein Vater wurde Ende 1944 zum Volkssturm eingezogen.
Der Ausbruch des Krieges wurde damit erklärt, daß man Deutschland zurückerobern wolle.
Die Beschüsse der Stadt wechselten zwischen Russen und Deutschen. Mein Vater hatte, wie
andere auch, auf unserem Acker einen Bunker gebaut, in dem wir uns verstecken konnten.
Plünderungen und Vergewaltigungen von Deutschen und Russen waren an der
Tagesordnung. Meine Tante gab sich freiwillig hin, um mich zu schonen. Anfang 1945 wurde
die Zivilbevölkerung vertrieben. Die Deutschen rückten nach und die Russen wollten
verhindern, daß Geheimnisse an sie preisgegeben werden.
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Die Russen forderten uns auf, hinter den Frontabschnitt zu gehen und so kamen wir nach
Crossen-Thiemdorf und wurden auf einem Bauernhof aufgenommen. Dort waren polnische
Zwangsarbeiter, die vom Gutsherren schlecht behandelt wurden. So kam es dazu, daß sie sich
dafür an ihm rächten, indem sie einige Tiere töteten und so dem Bauern Schaden zufügten.
Uns ging es dagegen gut. Als wir Ende April 1945 in die Heimat zurückkamen, fanden wir
unser Haus einigermaßen unversehrt wieder. Die Fenster waren zerschlagen und einige Türen
fehlten. Diese fanden wir dann aber in der näheren Umgebung wieder. Der Zusammenhalt mit
den Nachbarn hatte sich vertieft, die Hilfsbereitschaft war gewachsen. Ende Mai wurden wir
von den Polen in den westlichen Teil Gubens getrieben.
Es galt eine Sperrstunde ab 22:00 Uhr, die wir aber nicht befolgten. Wir nutzten die Dunkelheit,
um auf den Feldern Kartoffeln und Gemüse zu stehlen. Am Tage versuchten wir, durch
Gelegenheitsarbeiten etwas Geld zu verdienen. So halfen wir auch, Tote von den Straßen
wegzuräumen und zu beerdigen. Wer gearbeitet hat, bekam Marken, mit denen man ½ Brot
erwerben konnte. Mein Vater war in tschechische Kriegsgefangenschaft geraten. Als er
zurückkam sagte er, daß die Tschechen die Schlimmsten waren. Wir aber waren froh, daß er
lebend nach Hause zurückgekommen ist. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen. In der
Nachbarschaft wurde ein Junge geboren, mit einem auffälligen Äußeren - er hatte weiß-blonde
Haare und rote Augen. Eines Tages war dieses Kind verschwunden und keiner hatte eine
Ahnung, wo es abgeblieben ist. Ich bin mir sicher, daß man dieses Kind ins KZ gebracht hat,
wie so viele auch, die nicht dem Idealbild eines Deutschen entsprachen. Es tauchte auch nie
wieder auf.
7. Erinnerungen von Frau Welkisch und Tochter
Am 17. Juni 1913 wurde ich in Guben in der Einbeckenstraße geboren. Hier hatten wir ein
Haus, in dem ich mit meinen Eltern und meinem Bruder wohnte. Mein Vater arbeitete in der
Tuchfabrik Lehmanns Wwe. & Sohn als Zwirnmeister, dort wurde das Garn für die Tuche
produziert. Meine Mutter war Hausfrau, wir besaßen viel Ackerland und wir bewirtschafteten
dieses mit Kartoffel- und Getreideanbau, auch Ziegen und Hühner haben wir gehalten.
1919 wurde ich in der Osterbergschule eingeschult. Nach der Schule mußten wir Kinder viel im
Haus und auf dem Acker helfen. Das habe ich immer gern gemacht. Vom 16. Lebensjahr an
bis zu meiner Heirat arbeitete ich in der Hutfabrik Lißner in der Garnitur. Dort hat es mir sehr
gut gefallen, es war ein sehr gutes Arbeitsklima. Mein Elternhaus wurde im Krieg 1945 leider
zerstört.
1934 / 1935 habe ich geheiratet und zog zu meinem Mann und den Schwiegereltern in die
Triftstraße. Sie hatten dort ein eigenes Haus und ein großes Grundstück, das bis zum
Bismarckturm verlief. Ein kinderloses, älteres Ehepaar aus Berlin, denen Guben nach einem
Baumblütenfest sehr gefallen hat, wohnte noch mit in dem Haus. Im Laden vom Juden Hirsch
sind wir immer einkaufen gegangen. Der war immer sehr nett und hat uns gut bedient. Auch im
Kaufhaus Wolf und Grimmer, deren Geschäftsführer ein Jude war, haben wir gern eingekauft.
1937 wurde meine Tochter geboren und ich gab meine Arbeit, der ich seit meinem 16.
Lebensjahr nachging, auf.Mein Mann arbeitete vor dem Krieg als Schlosser bei der Firma
Heinze in der Uferstraße. Später war er bei Borsig als Eisendreher beschäftigt, bis er noch
kurz vor Kriegsende zum Volkssturm geholt wurde. Er kämpfte in Groß Gastrose und geriet
dort in russische Gefangenschaft. Im Gefangenenlager in Sorau hat ihm ein Russe oft
geholfen. Er nahm ihn mit in den Keller und sie unterhielten sich. So brachte er ihn auch mit
seinem Freund, der ebenfalls in russischer Gefangenschaft war, zusammen. Er sagte ihnen,
wie sie zusammen nach Guben und über die Neiße gehen können.
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Es ist auch alles gut gegangen. Eine Zeit lang war er noch im Quarantänelager, das in den
Borsig-Baracken eingerichtet war. Wir gingen oft dorthin und schoben ihm etwas zu Essen
durch den Zaun. Mein Sohn wurde im Januar 1945 geboren.
Die Tochter erzählt weiter
An die Schulzeit habe ich keine Erinnerungen. Die "kleinen Leute" haben sich nicht gegen
irgendetwas aufgelehnt. Hitler hat Arbeit geschaffen und alle waren zufrieden - bis zum
Kriegsausbruch. Radio hören war verboten. Da wir einen Volksempfänger besaßen, haben
meine Eltern nachts heimlich Radio gehört, der Sender "Radio London" brachte immer die
neuesten Kriegsberichte von der sich nähernden Front.
Am 6. Februar 1945 kam der Aufruf, daß Schwangere und Mütter mit kleinen Kindern Guben
verlassen müssen. Auf dem Bahnhof wurde ein Zug zusammengestellt, der nach Finsterwalde
fahren soll. Am 9. Februar 1945 brachte mein Vater uns - meine Mutter, mein Bruder, der
gerade 3 Wochen alt war, und mich - zum Bahnhof.
Wir hatten einen Kinderwagen und ein paar Sachen dabei. Mein Vater blieb in Guben. Der Zug
war vollkommen überfüllt. Wir wurden nach Finsterwalde gebracht und bei der Firma Kellberg
mit vielen anderen Leuten im Gemeinschaftsraum untergebracht. Ich erinnere mich an einen
Mann, der an einem Tisch mit schwachem Licht saß und die Leute registrierte und
beaufsichtige.
Die Firma Kellberg war eine Schwedische Firma und befaßte sich mit Schweißtechnik. Auf
dem Dach des Gebäudes war ein Kreuz und eine schwedische Fahne, was bedeutete, daß
das Haus nicht bombardiert wurde. Die Mutter erinnert sich, daß ihr eine Schwester auf die
Frage, ob sie etwas Milch für ihr Baby bekommen könnte, zur Antwort gab: Die hätten sie sich
schon von zu Hause mitbringen müssen. Später wurden wir in einem großen
Mehrfamilienhaus untergebracht. Unten war eine Eisenwarenhandlung. Wir wohnten in der 4.
Etage unterm Dach. Es waren sehr nette Leute im Haus. Jemand gab uns eine Schwinge aus
Korb, in die meine Mutter meinen kleinen Bruder legen konnte. Es war oft Fliegeralarm und wir
mußten die 4 Treppen runter in den überfüllten Keller. Eine Familie aus dem Haus sorgte
sogar dafür, daß mein Bruder die Nottaufe erhielt und lud uns hinterher zu Kaffee und Kuchen
ein und hat uns so eine kleine Feier ermöglicht.
Meine Großeltern wurden nach Kemmen, in der Nähe von Calau, evakuiert und erfuhren, daß
wir uns in Finsterwalde befinden. Eines Tages kam dann mein Großvater, er hatte uns in
Finsterwalde glücklicher Weise gefunden. Es war gerade wieder ein Bombenangriff und ich
erinnere mich an Tiefflieger, höllischen Lärm und daß die Flügeltüren im Flur hin und her
flogen. Wir hielten uns im Flur auf, in den Keller gingen wir nicht, weil er völlig überfüllt war.
Ich habe schrecklich geheult und mich unter dem Jackett von meinem Großvater verkrochen.
Der Großvater sagte: "hier bleibt ihr nicht" und nach ein paar Tagen konnte er uns mit nach
Kemmen in ihre Unterkunft, einem Bauernhof holen. Der Bauernhof lag etwas abseits vom
Dorf und wir hatten es dort ruhiger. Der Landwirt hielt täglich mit seinem Fernglas Ausschau.
Eines Tages, etwa 3 Wochen vor Kriegsende, sah er am Horizont, daß die Russen im
Anmarsch waren. Die meisten Dorfbewohner flüchteten aus Angst in den Wald. Meine Mutter
wollte nicht flüchten und somit blieben wir dort. Die Russen besetzten das Dorf. Rings um das
Bauerngehöft wurden Flakgeschütze in Stellung gebracht. Wir erlebten, wie die Russen ein
deutsches Flugzeug abschossen. Der Opa von dem Bauerngehöft wurde mit der Situation
nicht fertig und erschoß sich in der Scheune. Man gab uns noch ein Papier, auf dem bestätigt
wurde, daß er Selbstmord beging. Die Russen gaben uns zu verstehen, daß es nicht gut wäre,
wenn wir dort blieben und halfen uns noch, einen Handwagen zu beladen. So zogen wir ins
Dorf. Dort warteten wir bis der Krieg zu Ende war. Nach Kriegsende verabredeten sich alle
Gubener, die dort in der Nähe waren und stellten einen Treck zusammen. Zu Fuß machten wir
uns auf den Weg nach Guben. Bei Cottbus übernachteten wir in irgend welchen Baracken und
am nächsten Tag kamen wir ohne weitere Vorkommnisse in Guben an.
17

Die Brücken waren zerstört, auch die Achenbachbrücke und wir mußten mit dem Kinderwagen
über einen sehr wackeligen Brettersteg. Ich hatte große Angst und klammerte mich am
Kinderwagen fest, denn rechts und links war alles vermint. Über die Grüne Wiese liefen wir zu
unserem zu Hause in die Triftstraße und unterwegs kann ich mich an ein Haus erinnern, daß
aussah wie eine Puppenstube, es fehlte die gesamte Vorderfront. Vor unserem Haus war ein
Panzer gesprengt worden, ein großes Teil davon lag im Zimmer der Großeltern. Ansonsten
war das Haus unversehrt. Auf dem Küchentisch stand Mutters bestes Geschirr. Auf den
Tellern lagen noch ein paar Kuchenkrümel, die ich noch aufgesammelt habe. Große
Plünderungen hatten wir nicht zu beklagen, nur eine Uhr und ein Teppich fehlten. Bei einem
späteren Besuch im Ostteil Gubens bei früheren Nachbarn aus der Triftstraße hat meine
Mutter ihre Uhr und ihren Teppich in deren Wohnung vorgefunden. Die Uhr hatte ein
besonderes Merkmal und diese hat sie dann auch mitgenommen.
Bei unserer Rückkehr war es bereits Anfang Mai und meine Mutter beeilte sich, den Garten
umzugraben, um schnell noch etwas zu säen, denn wir brauchten ja etwas zu essen. Ein
schreckliches Erlebnis war auch, als wir eines Tages sahen, wie nebenan Steine und ein Bein
durch die Luft flogen. Es war jemand auf eine Mine getreten und wir denken heute, daß es
großes Glück war, daß uns damals nichts passierte. Wir wohnten ja, wie schon gesagt, an den
Gubener Bergen in der Nähe des Bismarckturms und diese waren vermint. Deshalb wurden
sie von den Polen "Todesberge" genannt. Die Russen haben an uns Kinder Brot mit Zucker
verteilt. Ich war sehr schüchtern und traute mich nicht meine Hand danach auszustrecken.
Täglich bekamen wir für meinen kleinen Bruder 1/4 Liter Milch zugeteilt und ich stand gerade
mit der Milchkanne am Laden an, als eine Frau angelaufen kam und schrie: Wir müssen raus,
wir müssen raus!
Ich lief weinend, ohne Milch zu meiner Mutter, die auf dem Berg in unserem Garten arbeitete.
Sie dachte erst ich habe die Milch verschüttet, aber als wir auf den Hof kamen stand schon ein
Pole dort mit dem Gewehr auf den Boden gerichtet. Er gab uns 10 Minuten Zeit, Haus und Hof
zu verlassen. Wir packten schnell ein paar Habseligkeiten auf einen Handwagen zusammen
und ich bekam, trotz großer Hitze, dicke Strümpfe, Wintermantel und alles, was ging,
angezogen. Meine Mutter hängte noch einen Topf an den Handwagen um für uns etwas
kochen zu können. Am Berg hatten wir die erste Kontrolle und alles, was den Polen gefiel
nahmen sie uns weg. Aber den Kochtopf ließ sich meine Mutter nicht wegnehmen. Sie sagte,
den brauche ich für die Kinder. Nun war der Wagen wesentlich leichter. Auf einer
Behelfsbrücke überquerten wir die Neiße. Auf der anderen Seite angekommen, irrten wir bis
zum Abend durch Guben. Es war ein sehr heißer Tag, wir wußten nicht wohin, Verwandte
hatten wir hier nicht. Abends schickte man uns in Liehr’s Hotel in der Bahnhofsstraße (neben
der Glaserei Dulitz). Irgendwann wurden wir in der Altsprucke in dem Tanzsaal einer
Gaststätte untergebracht. Der Saal war ringsum mit Stroh ausgelegt. Eine Frau hat dort ihr
Baby bekommen. Es waren schlimme Zustände. Zu Essen gab es Pellkartoffeln mit einer
Soße, welche aus in Wasser aufgelöstem Käsepulver bestand. Beim Anstehen zum Essen sah
ich bei dem Mädchen, das vor mir stand, daß der ganze Kopf voller Läuse war.
Im September bekamen wir dann eine Einweisung in ein Borsig-Haus am Finkenhebbel. Dort
wohnten viele Berliner, die bei Borsig gearbeitet haben. Diese wurden wohl wieder nach Berlin
geschickt. Wir bewohnten zwei Stuben, eine Küche und eine Kammer mit 8 Personen. Meine
Mutter, mein Bruder, ich, die Großeltern beiderseits und später kam mein Vater, der aus der
Kriegsgefangenschaft heimkehrte und eine 3wöchige Quarantänezeit hinter sich gebracht
hatte, noch dazu. Ein mir unbekannter alter Mann wohnte auch noch dort in der Kammer.
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8. Ich arbeite als Wirtschafterin auf dem
Gubener Flugplatz
Zeitzeugenbericht von Frau Erna Riemer
Ich wurde als letztes von 9 Kindern am 25.06.1914 in Wiesenthal, in der Nähe von Sorau-
Sommerfeld, geboren. Bereits im frühen Kindesalter verstarben 5 meiner Geschwister. Wir
bewohnten in einem Mietshaus eine Wohnung mit 2 Zimmern. Wir 4 Kinder teilten uns ein
Zimmer, unsere Eltern bewohnten das andere Zimmer, in diesem wurde auch gekocht. 1920
oder 1921 wurde ich in Grünaue (Schere) eingeschult. Nach 8 Jahren Schulbesuch, so
1928/1929 kam ich aus der Schule und machte danach 1 Jahr Zwangspause, da ich sehr
zierlich und schlank und somit nicht arbeitsfähig war. Ich unterstützte in diesem Jahr tatkräftig
meine Mutter im Haushalt, sie war auf einem Gut in Wiesenthal als Landarbeiterin tätig. Mein
Vater arbeitete in der Kohlegrube in Teublitz als Bergbauarbeiter.
Auf dem Dorf gab es keine Möglichkeit, eine Lehre zu beginnen, außerdem wurde das Geld
gebraucht und so ging ich in Anstellung bei Dr. Bennewitz. Er hatte eine Ziegelei und ich
arbeitete bei ihm als Hausmädchen und betreute die Kinder der Familie für ca. 3 1/2 Jahre. Die
Ziegelei wurde geschlossen und ich bemühte mich um neue Arbeit. Ich fand eine neue
Anstellung als Hausmädchen für ein halbes Jahr auf einem Gutshof in Lindo-Grode. Im April
1933 ging ich nach Guben zu meiner älteren Schwester. Sie arbeitete bereits bei Lina Naschke
als Gemüsebäuerin. Ich begann eine Anstellung bei Fritz Winkler, der mich als
Gemüsegärtnerin beschäftigte. Mein Monatslohn betrug 20,00 RM. Kost und Logis waren aber
frei. Das Zimmer teilte ich mir mit einer Mitbewohnerin. Dies war eine anstrengende Zeit,
frühzeitig aufstehen und ein langer Arbeitstag waren an der Tagesordnung - so 12 bis 14
Stunden. Nach 4 ½ Jahren habe ich meine Anstellung gekündigt, da ich bereits eine neue
Stelle bei Dr. Kleemann als Hausmädchen sicher hatte. Herr Winkler wollte mich gar nicht
gehen lassen, aber Dr. Kleemann hat besser bezahlt und so fing ich bei dem Arzt für Hautund
Geschlechtskrankheiten an zu arbeiten.
Ich versorgte den Haushalt in seiner Wohnung, Berliner Straße. Auch machte ich in seiner
Praxis sauber, die ebenfalls in der Berliner Straße war, aber dort, wo jetzt die Apotheke ist. Bei
Dr. Kleemann hatte ich ein Zimmer für mich allein. Der Lohn betrug 50,00 RM, Kost und Logis
hatte ich auch frei und zu Weihnachten und zum Geburtstag erhielt ich von ihm Geschenke. 5
Jahre arbeitete ich bei ihm und fing dann 1942/43 - ich war so 28 oder 29 Jahre alt - auf dem
Gubener Flugplatz beim Fliegerhorst als Putzfrau an zu arbeiten. Dort hatte ich auch meine
Unterkunft. Nach wenigen Wochen kam ich in die Gefolgschaftsküche und habe als
Küchenhelferin Kartoffeln geschält und abgewaschen. Zu dieser Zeit habe ich dann bei meiner
Schwester in der Triftstraße (heute Gubin) gewohnt.
Wenig später wurde ich als Wirtschafterin im Fliegerlehrlingsheim eingesetzt. Dort machte ich
sauber und bereitete das Frühstück und das Abendbrot für die Lehrlinge zu. Später wurde ich
in der Truppenküche eingesetzt, habe dort auch wieder abgewaschen und Essen vorbereitet.
Gekocht haben dort 2 angestellte Köche. Wie hoch mein Verdienst war, weiß ich nicht mehr,
aber es war mehr als bei Dr. Kleemann und mehr Freizeit hatte ich auch. 1945 gab es
zunehmend Fliegeralarm. Wir erhielten bereits unsere Papiere, arbeiteten aber weiter, wir
hatten da wenigstens etwas zu Essen. Eines Sonntags, als wieder einmal Fliegeralarm war,
ich arbeitete gerade mit den anderen Kollegen in der Küche, berieten wir uns und
beschlossen, ab Montag nicht mehr arbeiten zu gehen. Als der Räumungsbefehl
bekanntgegeben wurde, wollten wir nicht gehen. Meine Schwester und ich sind durch den
Garten gegangen bis zum Gehöft von Maler Gersdorf und haben uns mit einigen anderen
Leuten bei ihm im Keller versteckt. Als die Russen kamen und uns im Keller entdeckten,
nahmen sie 2 Männer mit, die mit uns im Keller hockten. Während der Kämpfe gingen die
Besitzansprüche unseres Gebietes dauernd hin und her. Als die Deutschen das Gebiet
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zurückerobert hatten, kamen die beiden Männer zurück und sagten zu uns: "Jetzt aber raus!“
Ich packte ein paar Sachen auf mein Fahrrad und wir - Frau Pilz mit ihren 2 Töchtern, Herr und
Frau Lehmann, Frau Gersdorf, Herr Pilz, meine Schwester und ich - verließen Guben in
Richtung Schenkendöbern. Der Weg war sehr matschig und rechts und links neben der Straße
hat es gebrannt. Es waren viele Menschen unterwegs. In einer Feldscheune haben wir auf
Stroh mit vielen anderen Menschen übernachtet. Am nächsten Morgen ging es weiter in
Richtung Cottbus. Immer wieder mußten wir uns vor Tieffliegern im Wald verstecken.
Manchmal hatten wir Glück und wurden von Soldaten ein Stück mit einem LKW mitgenommen.
Als wir in Cottbus angekommen sind, wurden wir mit einem Güterzug nach Calau gebracht.
Wir wußten vorher nicht, wohin man uns bringen würde. In Calau wurden meine Schwester
und ich von einem älteren Ehepaar in einem Einfamilienhaus aufgenommen. Wir gingen beide
als Gemüsegärtnerinnen arbeiten, um uns versorgen zu können.
Nach Kriegsende kehrten wir beide nach Guben in die Triftstraße zurück. Das Haus selbst hat
in der 1. Etage einen Einschlag von einer "Stalinorgel" abbekommen, unsere Wohnung war
soweit in Ordnung, wir konnten darin wohnen. Nebenan war eine Drogerie, ich kann mich
erinnern, die war abgebrannt. Meine Schwester und ich arbeiteten in der Apotheke in der
Kurmärkischen Straße (jetzt Berliner Straße), um Lebensmittelkarten zu bekommen. Dort
haben wir Flaschen gewaschen und sauber gemacht. Als wir nicht mehr vom Ostteil der Stadt
(heute Gubin) in den Westen der Stadt (heute Guben) gehen durften, sind wir in der
Osterbergschule sauber machen gegangen. Dort sprach uns eines Tages ein Soldat, der sehr
gut deutsch sprach, an; er sagte zu uns, wir sollten weggehen. Schon am darauffolgenden Tag
kam ein polnischer Offizier und vertrieb uns aus unserer Wohnung. Wir konnten nichts
mitnehmen, wir sind nur mit Handtasche losgegangen. Meine Armbanduhr band ich mir noch
um den Mittelfuß und einen Reisekorb voller Wäsche versteckten wir noch im Heustall. Über
die Schlachthofbrücke (Achenbachbrücke), die notdürftig mit Brettern belegt war, kamen wir
über die Neiße in den Westteil von Guben.
Natürlich wurden wir kontrolliert, aber meine Armbanduhr war an meinem Bein sicher. Auch
Frau Pilz und ihre beiden Töchter sind wieder mit uns geflüchtet und wir konnten uns im
Mietshaus von Familie Hildebrand in der Wohnung von Siegels in der Deulowitzer Straße
einquartieren. Siegels waren von der ersten Flucht (noch) nicht zurückgekehrt. Wir hatten 2
Zimmer und Küche für uns 5 Personen zur Verfügung. Geschlafen haben wir auf dem
Fußboden, wir hatten keine Betten oder Matratzen. Wir begannen wieder mit der Arbeit,
erledigten Aufräumarbeiten, meistens haben wir am Bahnhof Unkraut gejätet. Geld haben wir
dafür nicht erhalten, aber die so wichtigen Lebensmittelkarten.
In diesem Mietshaus wohnte ein junger Mann, mit dem ich mich gut verstanden habe. Wir
lernten uns näher kennen und am 11.11.1945 haben wir geheiratet. Ich zog zu ihm in seine
Wohnung, die aus einem Zimmer und einer Kammer bestand. Mein Mann war Invalide und
somit von dem Dienst in der Wehrmacht befreit. Zum Volkssturm wurde er dann doch
einberufen. Er ist auf dem Bahnhof in den Transportzug eingestiegen und meinte im letzten
Moment, er müsse noch mal raus. Der Zug fuhr ohne ihn ab und so blieb ihm dieser Einsatz
erspart. 1947 wurden wir stolze Eltern einer Tochter.
9. Ich kam beim Volkssturm – Gott sei Dank – nicht
zum Einsatz
Erinnerungen eines Zeitzeugen (Lehmann)
Ich wurde am 30.09.1929 im heutigen Gubin am Rande der Stadt geboren. Unsere Wohnung
lag in einem Arbeiterviertel. Vorwiegend waren dort Gemüsebauern angesiedelt. Es wurden
große Flächen mit Gemüse angebaut, deren Erträge verkauft wurden. Jede Nacht hielt ein Zug
von der Strecke Berlin-Breslau in Guben, um fertig verpacktes Gemüse aufzuladen und
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mitzunehmen. Da mein Vater im Krieg war, mußte ich als 10jähriger die so genannte
„Vaterrolle“ übernehmen. So ging es vielen Jungen. Infolgedessen, lernten wir frühzeitig
Verantwortung für bestimmte Dinge zu tragen. Meine Mutter arbeitete als Weberin bei C.
Lehmanns Wwe. & Sohn. Um die Kinder und den Haushalt kümmerte sich meine Oma.
Mit dem 10. Lebensjahr war es Pflicht, bis zur Lehre der Hitler-Jugend beizutreten. Wir hatten
mittwochs und samstags immer Dienst, wo Beschäftigungen, wie Kriegsspiele, Verkehrsspiele
und Marschieren verrichtet wurden. Meine Jugendzeit verlief relativ problemlos, ich wuchs
behütet auf. In Guben gab es viele Juden. Die meisten waren wohlhabende Geschäftsleute.
Einigen gehörten sogar große Betriebe wie z. B. Wilke (Hutfabrik), Wolf (Tuchfabrik am Damm
in Gubin), Kohn´s (Hutfabrik) u. a. Auch Pfarrer Schulz gehörte zu den Juden. Einzelnen
gelang es, ins Ausland zu fliehen. Viele blieben aber auch hier und wurden enteignet und
entrechtet.
Im Herbst 1939 bis zum Januar 1940 wurden Zwangsarbeiter in Guben angesiedelt. Sie
wurden in allen Wirtschaftsbereichen eingesetzt, um Löcher auszugleichen, die durch das
Einziehen von Männern in den Krieg verursacht worden waren. Alle Zwangsarbeiter aus Polen
mußten ein auf der Spitze stehendes gelbes Viereck mit einem schwarzen „P“, für Polen, als
Kennzeichen tragen. Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft tätig waren konnten sich frei
bewegen, wogegen Beschäftigte in Rüstungsbetrieben und in den Arbeitslagern schlechtere
Lebensbedingungen hatten. Es wurden Klassenunterschiede deutlich. So war es Gesetz, daß
Arbeiter nicht mit den Herrschaften an einem Tisch sitzen durften. Andere wiederum vertraten
die Ansicht: „Wir arbeiten zusammen, also essen wir auch zusammen.“ Ab Mitte1940 kamen
vermehrt holländische, belgische, französische und mit Beginn des Rußlandfeldzuges 1941
ukrainische Zwangsarbeiter hinzu.
Alle mit dem Zug in Guben angekommenen Arbeiter wurden in verschiedene Bereiche der
Wirtschaft (u. a. in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft) verteilt. Dabei war die körperliche
Verfassung eines jeden die Grundlage, für den entsprechenden Einsatz. Im März 1944 kam
ich aus der Schule und begann am 1. April eine Lehre als Tischler. Bereits im Juni wurde ich in
Meseritz zum Schippen von Laufgräben eingesetzt. Im Herbst bin ich wegen Krankheit
vorzeitig entlassen worden. Im Dezember des gleichen Jahres wurde ich in den Volkssturm
eingegliedert, kam aber - Gott sei Dank - nicht zum Einsatz. Die Überlebenschancen in diesen
Einheiten waren sehr gering.
Bis Anfang 1945 blieb Guben, bis auf ein paar kleine Bomben in Reichenbach, weitgehend
unzerstört. Am Sonntag, 18. Februar 1945, begann der Artilleriebeschuss auf Guben, aber es
betraf vorerst nur die Randgebiete. Die Deutschen hatten sich am Mittwoch, 21. Februar
weitgehend zurückgezogen und die Sowjetverbände rückten gleich nach. Darauf erfolgte durch
die Artillerie der Angriff auf die Innenstadt, wobei die ersten Toten in Guben zu beklagen
waren.
Am 24. Februar 1945 sind meine Großeltern, meine Mutter und ich geflüchtet. Alle die noch da
geblieben sind, wurden von den Russen ostwärts getrieben. Wir befanden uns zwischen der
sich bekämpfenden deutschen und russischen Front. Unsere Evakuierung endete in der Nähe
von Calau. Wir wurden in Laasow auf einem Bauernhof aufgenommen und mit weiteren
Flüchtlingen im Keller untergebracht. Die Frauen wurden versteckt, um sie vor den
Vergewaltigungen durch die Sowjets zu schützen. Die sowjetischen Truppen hatten anläßlich
des „Führergeburtstages“ versucht, Berlin zu erreichen und unter ihre Kontrolle zu bringen,
was ihnen aber nicht gelang. Ein Russischer Politoffizier fragte uns, woher wir kommen. Als wir
sagten, wir wären aus Guben, versicherte er uns, daß wir nach etwa fünf Tagen Wartezeit
wieder zurück könnten. Er war sich sicher, daß Guben dann „befreit“ ist und letztlich war es
auch so. Während unseres fünftägigen Aufenthaltes mußte ich mich beim Bau eines
Feldflugplatzes beteiligen.
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Auf dem Rückweg nach Guben, der drei Tage dauerte, übernachteten wir in einer Schule in
Peitz. Da die Schule völlig überfüllt war, mußten einige auch vor der Schule im Freien die
Nacht verbringen. Als wir am 18. Mai 1945 wieder in Guben eintrafen, war unser Haus von
Artillerie und Infanterie zerschossen worden und so ziemlich alles vermint. Obwohl die Türen
fehlten und die Fenster zerschlagen waren, konnten wir das Haus noch bewohnen. Der
Hinweis „Mine“ stand in russischer Schrift auf vielen Schildern. Dieses war mein erstes
erlerntes russisches Wort. Alle Ortsschilder waren auch mit russischen Namen versehen.
Auf den Straßen wurden junge und arbeitsfähige Bürger einfach von den Russen aufgegriffen
und zum Viehtreiben herangezogen. Ich gehörte ebenfalls dazu. Wer die Möglichkeit fand, sich
zu verstecken, um dieser schweren Arbeit zu entgehen, hatte Glück. Von Dezember 1944 bis
Januar 1945 wurden alle verfügbaren Menschen, egal ob alt oder jung zum Schippen von
Gräben eingesetzt.
Mein Vater ist in Stalingrad geblieben und gilt als vermißt.
10. Ich kannte Herrn Kaplan
Zeitzeugenbericht von Frau Erika Haupt (anonym)
Im Dezember 1922 erblickte ich im Ostteil von Guben (heute Gubin) das Licht der Welt. Mit
meinen Eltern und meinem 2 Jahre älteren Bruder lebte ich in der Hoemannstraße in einem
Doppelhaus. Das Haus war eins von ca. 8 Häusern in einer Siedlung, die für verdiente
Arbeiter der Fabriken Lehmanns Wwe. & Sohn, Wilke u. a. errichtet wurden. Dort verlebte ich
eine unbeschwerte Kindheit. Mein Vater arbeitete bei Lehmanns Wwe. & Sohn als
Wollfachmann, er war dort für den Einkauf der Rohware im In- und Ausland zuständig und ein
sehr angesehener Mitarbeiter. Meine Mutter war Hausfrau. Es gab in der Siedlung viele
gleichaltrige Kinder, mit denen ich viel Zeit verbrachte. 1937 bauten meine Eltern in der
Karrgasse ein neues Haus. Dieses steht noch gut erhalten im heutigen Gubin.
1929 wurde ich in die Osterbergschule in eine reine Mädchenklasse eingeschult, die ich bis
1937 besuchte. Ich war eine gute Schülerin und lag mit einer Klassenkameradin im ständigen
Wetteifer um die besseren Noten. Unsere Lehrer waren älteren Jahrganges und gute
Pädagogen. Wir wurden in der Schule in politischer Hinsicht kaum behelligt. Der politische
Einfluss nahm erst gegen Ende meiner Schulzeit zu. Mädels, die freiwillig zu den Jung-Mädeln
gingen, brauchten am Samstag nicht zur Schule zu gehen, sie leisteten bei der Organisation
Dienst. Ich trat dem DJ erst bei, als es Pflicht wurde. Im BDM wurde ich nie Mitglied, da für
mich keine Verpflichtung bestand. Wir unternahmen viele Fahrten. Dies gefiel meinem Vater
nicht. Er war ein Familienmensch, der es lieber sah, wenn die Familie zusammen ist. Aber er
wehrte sich nicht dagegen, wahrscheinlich kannte er die Konsequenzen. Die Fahrten waren
immer toll, nur die Organisationsführerin war mir nicht sympathisch.
Die Reichskristallnacht habe ich noch sehr deutlich in Erinnerung. Wir sind als Kinder in die
Synagoge gegangen und haben die Zerstörung gesehen. Ich konnte die Zusammenhänge
zwar noch nicht begreifen, aber ich war entsetzt, wie man so etwas schönes so zerstören
kann. Die Judenverfolgung begriff ich damals noch nicht, ich sah zwar die zerschlagenen
Fenster und hörte auch wie gesagt wurde, daß der Herr Kronheim, mit dem mein Vater oft
spazieren ging und bei dem er seine Hüte kaufte, abgeholt wurde, konnte mir aber kein Reim
drauf machen, was damit gemeint war. Ich habe keine schlechten Erfahrungen mit Juden
gemacht, ich kannte auch Herrn Kaplan, sie waren alle freundliche Leute. Später war ich
erschüttert, als ich erfuhr was mit ihnen passiert ist.
In unserem neuen Haus war alles schön, aber nun vom Krieg überschattet. Mit dem Krieg fing
das entbehrliche Leben an. Lebensmittel wurden knapp und bestimmte Dinge gab es gar nicht
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mehr oder nur noch selten. Mit 14 Jahren ließ mich mein Vater nicht aufs Lyzeum gehen,
worüber ich sehr traurig war, schließlich gingen alle meine Freundinnen aufs Lyzeum. Ich kam
stattdessen für ein Jahr auf die Pestalozzi-Fröbel Schule, eine Hauswirtschaftsschule in Berlin.
Anfangs hatte ich ziemliches Heimweh, trotzdem hat es mir dort sehr gut gefallen. Mein Vater
wollte, daß aus mir eine gute Hausfrau wird. Mein Berufswunsch war Kinderkrankenschwester.
Mein Bruder besuchte die Realschule. Da er aber nicht besonders gute Leistungen hatte,
wurde er auf Initiative meines Vaters in die Hauptschule zurückgestuft.
Nach dem Schulabschluß mußte ich zum Pflichtjahreinsatz. Da ich schon immer ein wenig
Fernweh hatte, bemühte sich mein Vater um eine Pflichtjahrstelle in Ludwigshafen am Rhein.
Dort betreute ich die beiden Kinder bei einer jungen Familie. Nach dem Pflichtjahr wurde ich
zum Arbeitsdienst einberufen. Ich ging für ein ½ Jahr nach Bomst bei Posen an der
ehemaligen polnischen Grenze und wurde dort in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Uniform
mit dem kratzigen Hut mußten wir bei der Arbeit immer tragen. Alle 8 Wochen durften wir
Arbeitsmaiden nach Hause fahren. Den Hut abnehmen, war das Erste was wir taten. Während
des Arbeitsdienstes wurde ich krank und wurde mit Scharlach ins Krankenhaus in Schwibus
eingeliefert. 1942 kam ich zurück nach Guben und die meisten waren bereits zum Kriegsdienst
verpflichtet worden. Mein Vater hat mir eine Stelle im Fernamt besorgt und so hatte ich Glück,
daß ich nicht verpflichtet wurde und so zu Hause bleiben konnte. Ich arbeitete dort bis 1945,
zum Ende des Krieges. Ich hatte dort nette - überwiegend gleichaltrige Kollegen und die Arbeit
hat uns Spaß gemacht.
Zwischenzeitlich, als der Krieg schon in Deutschland tobte, nahm ich an einem
Austauschprogramm teil und tauschte meinen Arbeitsplatz mit einer Kollegin aus
Recklinghausen. Sie kam nach Guben und wohnte bei meinen Eltern und ich ging nach
Recklinghausen, wo ich das erste Mal mit dem Krieg richtig in Berührung gekommen bin. Bei
Fliegeralarm beschäftigte ich die Kinder im Luftschutzbunker. Trotz der Bombenangriffe in
Recklinghausen machte ich dort meine Arbeit und lernte neue moderne Technik kennen, die
es zu Hause auf meiner Arbeitsstelle nicht gab. Ab 1943 bekamen wir Gasmasken
ausgehändigt und wir wurden mit Übungen auf den direkten Kontakt mit dem Krieg vorbereitet.
Während meiner Tätigkeit im Fernamt in Guben wohnte ich weiter bei meinen Eltern in
unserem Haus. Ende 1944 konnten wir von unserem Haus aus die aus Osten kommenden
Flüchtlingstrecks beobachten. Ich verteilte mit meiner Mutter warmen Tee an die Flüchtlinge.
Der Kontakt mit dem Tod in Verbindung mit den Flüchtlingstrecks war ein einschneidendes
Erlebnis.
Als der Krieg näher kam, schickte ich meine Mutter nach Finsterwalde zu einer Verwandten,
um sie in Sicherheit zu wissen. Um uns nach dem Krieg wiederzufinden, verabredeten wir
einen Treffpunkt in Oschatz, ebenfalls bei Verwandten.Mein Vater war zum Kriegsdienst nach
Frankfurt Oder eingezogen worden. Mein Bruder war ebenfalls noch im Krieg und wir hofften
jeden Tag, daß keine schlechte Meldung kommt. Ich selbst blieb in Guben und ging so lange
wie möglich arbeiten, zuletzt wurde im Keller ein Ausweichamt eingerichtet. Zu dieser Zeit
durften wir nicht mehr nach Hause - unsere Wohnung war im Ostteil der Stadt - weil dieses
Gebiet bereits wegen Kriegshandlungen gesperrt war. Ich wohnte bei einer Kollegin gegenüber
der Arbeitsstelle.
Ich wollte noch einmal zurück in unser Haus und fragte einen jungen Leutnant. Er begleitete
mich zu meinem zu Hause. Als wir dort waren sagte er, ich würde das Haus nie wieder sehen.
Im Keller hatten wir für meine Verlobung ein paar Flaschen roten Sekt gelagert, den nahmen
wir mit. Im Februar 1945 nahm die Bombardierung Gubens zu und meine Kollegen und ich
fuhren mit dem letzten Postauto aus Guben heraus. Über Lübbinchen fuhren wir nach Lübben
und wir wurden in dem dortigen Postamt aufgenommen. Dort verbrachten wir die Nacht auf
harten Holzstühlen. Meine Kollegin, wir nannten sie Strick-Liesel, weil sie ständig strickte,
sagte mitten in der Nacht: hätte ich doch bloß nicht linksrum gestrickt! - und alle mußten
lachen.
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An nächsten Tag wurden wir entlassen und waren auf uns selbst gestellt. Wir gingen
zusammen auf den Lübbener Bahnhof. Ich wollte nach Oschatz in Sachsen, denn dort war ich
mit meiner Familie verabredet. Meine Kolleginnen fuhren Richtung Berlin. Sie fuhren ab und
ich war das erste Mal in diesem Krieg allein, hatte Angst und brach in Tränen aus. Mir wurde
schlagartig bewußt, in welcher Situation ich mich befand.
Irgendwann kam ich in Oschatz an. Dort wurde ich bereits von meinen Verwandten erwartet.
Von Oschatz ging meine Reise weiter nach Weiden in die Oberpfalz. Ich suchte das junge
Paar auf, bei denen ich mein Pflichtjahr ableistete, sie nahmen mich auch sofort auf. Das
Kriegsende erlebte ich in der Oberpfalz. Ich habe mir im Traum immer ausgemalt, daß bei
Kriegsende die 9. Symphonie von Beethoven erklingt. Zu meiner Enttäuschung spielte der
Sender Beromünster im Radio die 7., die Schicksals Symphonie. Im Juli 1945 begab ich mich
zu Fuß, ab und an per Anhalter, auf den Heimweg nach Guben. An der Zonengrenze der
amerikanischen und russischen Sektoren bei Plauen wurde ich mit anderen Rückkehrern
aufgegriffen und zur GPU gebracht. Die vermuteten, daß wir von der russischen in die
amerikanische Zone flüchten wollen, wir wollten aber von der amerikanischen in die russische
Zone. Die GPU schikanierte uns alle, nahm uns erstmal alles ab und ließ uns dann gehen. Ich
hatte keine Angst und forderte beim Gehen mein Hab und Gut zurück - sie händigten es mir
auch aus.
Ich vermutete meine Mutter noch bei den Verwandten in Finsterwalde, mußte dort aber
erfahren, daß sie bereits in Guben bei Bekannten sei. Sie wohnte bei Familie Pole in der Alten
Poststraße. Ich suchte diese auf und erfuhr, sie sei auf dem Weg zum Geburtstag einer Tante
nach Groß Gastrose. Ich bin sofort auf dem Neißedamm Richtung Groß Gastrose gelaufen
und konnte auf halben Wege dorthin meine Mutter in die Arme schließen. Die
Wiedersehensfreude war groß.
Da meine Eltern ja bereits Ende Mai nach Guben zurückgekehrt waren (mein Vater hatte
meine Mutter in Finsterwalde abgeholt), beseitigten sie die entstandenen Kriegsschäden am
Haus. Ein handwerklich begabter Nachbar, dessen Haus in der Crossener Straße zerstört war,
half ihnen und er konnte mit seiner Familie zum Dank dort wohnen. Die Wehrmacht hatte alle
Türen für den Schützengraben benutzt und das Dach war kaputt. Am 20. Juni, bei der
Räumung des Ostteils der Stadt, sind sie zur besagten Bekannten geflüchtet und haben dort
zunächst gewohnt. 1946 kam mein Bruder aus der englischen Kriegsgefangenschaft zurück.
Mein Vater arbeitete bei der Gubener Wolle und half beim Wiederaufbau. Zunächst wohnten
wir von 1945 bis 1954 im Bürohaus der Gubener Wolle. Dieses Haus bestand aus Büroräumen
im Parterre und im 1. Stock befanden sich Wohnungen, eine davon bewohnten wir.
1955 bekamen wir eine Wohnung auf der Halbinsel in der Villa (Richter & Lehmann), Nähe
Kugelbrücke. Dort wohnten wir ca. 40 Jahre, bis wir 1995 wegen ungeklärter
Besitzverhältnisse, die Villa räumen mußten. Ich arbeitete wieder bei der Post, besuchte eine
Fachschule in Leipzig und arbeitete danach bis zuletzt als Dienststellenleiterin.
11. Manchmal waren wir "Lausejungs"
In der Anlage übersende ich Ihnen einen Bericht über die letzten Jahre der Gubener
Oberschule für Jungen. Ich nehme an, daß er Ihnen ein wenig Nutzen, bringen kann.
Vermissen werden Sie vermutlich Bemerkungen über einen von Schülern und Lehrern
geleisteten "Widerstand". Einen solchen hat es aber keineswegs gegeben, und sollte es sein,
daß dieser und jener, der von Ihnen Befragten, der die Schule ebenfalls besucht hat, Ihnen
Gegenteiliges berichtet, dann entspricht das in keiner Weise den Tatsachen. Was wollte man
auch von 10-18-jährigen Schülern, die ja gar nichts anderes kennengelernt hatten, als den
Nationalsozialismus, eine gegenteilige Meinung, die schließlich sogar in einen "Widerstand"
mündete, erwarten!
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In den 30er Jahren ist wohl einmal ein unangenehmer Vorfall geschehen, als man einem
jüdischen Schüler - allerdings nicht von seiten seiner Klassenkameraden oder Lehrern,
sondern "von oben" Schwierigkeiten machte. Wie die Sache ausgegangen ist, weiß ich nicht;
fest steht allerdings, daß sich damals der Studiendirektor Wolf sehr für den Jungen eingesetzt
hat.
Daß etliche unserer Lehrer mit dem Nationalsozialismus und dem "Führer" nicht einverstanden
waren, haben wir nicht bemerkt; erst im Nachhinein, also lange nach dem Kriege, ist mir in der
Erinnerung einiges aufgefallen, das eigentlich (in der damaligen Zeit) recht unnormal war:
Wenn Direktor Wolf unsere Klasse betrat, stürzte er eilends aufs Pult, riß die rechte Hand
hoch, rief "Heil Hitler" und blätterte derweil - und das alles in Sekundenschnelle - im
Lateinbuch die Vokabelseiten auf, die daraufhin abgefragt wurden. Verwundert war ich immer
über Studienrat Erich Müller (der zur DDR-Zeit Direktor der Friedensschule wurde, obwohl er
der Ost-CDU: angehörte). Bei ihm hatten wir Geschichte. Als wir die "Kampfzeit" der
Nationalsozialisten durchnahmen, dem im Geschichtsbuch übermäßig viele Seiten gewidmet
waren, hieß er uns Lineal und Bleistift hervornehmen und gab an, welche Sätze zu
unterstreichen und somit zu lernen waren. Auch, daß sein Unterricht über dieses Kapitel
unserer Geschichte voller Begeisterung war, kann nicht behauptet werden. Andererseits aber
ließ er keinen Zweifel daran, daß er "ein alter Soldat" war - freilich im ersten Weltkrieg, und vor
allem Friedrich der Große hatte es ihm (und auch uns) angetan.
Was aber sehr auffällig war, von uns aber gar nicht so richtig wahrgenommen und eingeordnet
wurde, war sein Gruß. Er stand dann auf dem Pult, winkelte den rechten Arm, erhoben und
nach hinten abgewinkelt, empor und rief - nein, nicht "Heil Hitler", sondern "Heitla!!" Was mich
seinerzeit immer wunderte, denn einen Sprachfehler hatte er nicht. Heute bin ich in der Lage,
diese Art des Grußes zu deuten...Eine tragische Figur war Studienrat Neumann. Ich habe das
in meiner "Alten Schule" anklingen lassen. Er wurde von allen Klassen gehänselt, wobei man
sagen muß, daß er in seiner Art die Schüler auch provozierte. Als Spitznamen mußte er sich
über den Namen "Moses" ärgern. Auch sein Gruß war glattwegs lächerlich. Er stand dann auf
dem Katheder, hielt den Arm gestreckt nach vorn (wie es Vorschrift war) und intonierte ein
feierliches "Heil Hitler!" Was wir, die wir uns köstlich amüsierten, mit einem in
Sekundenschnelle dahingerufenen "Heil Hitler!!!" beantworteten, was er aber nicht akzeptierte,
sondern uns ermahnte: Ihr müßt so grüßen, als ob der Führer hier vor euch stünde!" Dann
wurde die ganze Prozedur noch einmal wiederholt und diesmal taten wir ihm den Gefallenen,
langsam zu sprechen - allerdings nun doppelt so langsam, als er es verlangte. Ja, wir waren
schon, wie er oft schimpfte, "Lausejungs"!
Einmal, als wir es gar zu wild trieben, erklärte er (er war wohl, bevor er nach Guben kam, in
Berlin Lehrer gewesen): "Damals, als in Berlin noch alles rot war, habe ich schon treu zur
Fahne gestanden. Das nahmen wir zur Kenntnis, es erhöhte aber unsere Achtung vor ihm
keineswegs. Viele Jahre später - der Sohn von Studienrat Roland war inzwischen der Leiter
des Freundeskreises der Gubener Oberschulen geworden - und wir beide waren enge
Freunde - erzählte ich ihm die Berliner Begebenheit. Er lachte und erwiderte: "Neumann? Der
und ein alter Nationalsozialist? Der war alles andere als ein solcher!!
Da Roland mit Sicherheit vieles von seinem Vater erfahren hatte, ist ihm zu glauben. Ganz
offensichtlich ist dieses Gehabe von Studienrat Neumann lediglich ein, wenn auch tragischer,
Versuch gewesen, wenigstens ein klein wenig Respekt von seinen Schülern zu erhalten, was
sich aber als vergebens erwies. In den ersten Jahren nach dem Kriege hat er noch eine
Zeitlang an der Oberschule Latein und Griechisch unterrichtet.
Manfred Hausmann
Wolfenbüttel, 8.9.2005
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12. Schreckliche Plakate – Juden als Monster –
Erinnerungen einer Zeitzeugin - Frau Kuchling -
Ich wurde 1939 als viertes Kind unserer Familie in Guben geboren. Unsere Wohnung - 1
Zimmer mit Alkoven - in der Nähe der Stadt- und Hauptkirche war einfach zu klein geworden.
Deshalb bemühten sich meine Eltern um eine größere Wohnung. In der Nähe des Friedhofs
entstand die Stadtsiedlung. Leider war dort schon alles vergeben, aber in der Sprucke konnten
sich Familien mit mindestens vier "lebend geborenen" Kindern bewerben. Wir erhielten ein
Häuschen mit Garten Am Waldrand 1 und meine Eltern zogen mit uns in die sogenannte "Rote
Sprucke". Hier war rundherum nur Wald.
Wie wir zur Hausnummer 1 gelangten, dazu gibt es eine Geschichte, die wir nicht so wollten,
aber die dennoch so gelaufen ist: Nachdem meine Eltern sich um das Grundstück beworben
hatten, wurden die Hausnummern ausgelost. Mein Vater zog eine Nummer um die zwanzig
herum. Weil er aber Bäckermeister und Konditor war und gern mal ein Café einrichten wollte,
hat er mit den Leuten, die die Nummer 1 gezogen hatten, getauscht. Nur - unsere
ursprüngliche Nummer wurde nie gebaut, es kam der Krieg dazwischen. In dieser Zeit wurden
dann die Rotdornweg-Blocks, eigentlich für Arbeiter der Borsig-Werke, gebaut. Als Bauarbeiter
waren nicht kriegstaugliche Männer verpflichtet worden.
In unser neues Häuschen mit 70 m² Wohnfläche mußten meine Eltern, wie alle Leute ringsum
2 Bauarbeiter aufnehmen. Einer von ihnen war Rentner und kam aus Templin und der andere,
sehr viel jüngerer, war Invalide. Richtig fertig wurden die Häuser aber erst zu DDR-Zeit,
nämlich erst dann wurden z. B. die geplanten Badewannen eingebaut. Aber fertig waren die
Luftschutzbunker in den Blocks. Die Sprucke war damals ein ländlicher Vorort. In der Stadt war
meine Mutter es gewöhnt, mit Stöckelschuhen aus dem Haus zu gehen, was jetzt nicht mehr
möglich war - es waren überall nur Sandwege. Die Busverbindungen waren sehr spärlich und
ein Fahrrad besaßen wir nicht. Sicherlich war auch der Garten für unsere Mutti ein Problem:
Es war eine große Hecke zu pflegen und ohne Ahnung sollte sie plötzlich wissen, was
Unkraut, Möhren oder Petersilie sind. Unser Vater wurde eingezogen, ursprünglich wollte er für
den Garten zuständig sein. Ich war noch sehr klein und konnte mich kaum an ihn erinnern.
Er war in Berlin bei einem, wie ich meine, Reservetrupp stationiert. Ich erinnere mich, daß
unsere Mutti mit uns jeden Sonntag mit der Bahn nach Berlin gefahren ist, um ihn zu
besuchen. Auch kann ich mich an schreckliche Plakate auf den Bahnhöfen und Straßen
erinnern. Dort wurden Juden als Monster dargestellt. Wir hatten Angst. Einmal, wir waren
wieder unterwegs nach Berlin, nahmen uns auf dem Gubener Bahnhof Soldaten in schwarzer
Uniform unsere Mutter weg und gingen mit Ihr die Treppe vom Bahnsteig hinunter. Meine
Mutter hatte dunkles Haar und braune Augen wie ich, meine Brüder waren blond, hatten auch
braune Augen, ich denke, sie haben Juden gesucht - äußerlich hätte es man ja annehmen
können, daß wir welche waren. Ich schrie wie am Spieß, nach einer Weile kam unsere Mutter
wieder und ich bekam eine Ohrfeige von ihr.
Einmal holte unsere Mutti auf der Rückreise eine kleine runde Metalldose, die obenauf ein
Muster, ähnlich einer Sonne hatte, hervor, darin war herrliche Schokolade, die hatte der Vati
ihr bei der Abfahrt noch in die Hand gedrückt. Das war Schokolade mit Koffein, SCHO-KA-
KOLA - Fliegerschokolade und die gibt es übrigens noch heute. Ab und zu kam mein Vater auf
Urlaub nach Hause. Bei diesen gelegentlichen Besuchen hat er uns Plätzchen gebacken. Die
wurden in großen Werbebüchsen aus Blech oben auf dem Küchenschrank aufbewahrt und
wenn wir Kinder Hunger hatten oder wenn Besuch kam, gab es Plätzchen. Sie mußten immer
so eingeteilt werden, daß sie bis zum nächsten Besuch des Vaters reichten. Einmal kam der
Vater in seiner Uniform durch den Hintereingang nach Hause, mein Bruder sah ihn und rief:
"Mutti, hol die Backschüssel vor, Vati kommt!"
26

Auch hat meine Mutter manchmal unseren Hunger nach Süßigkeiten gestillt, indem sie
Bonbons aus Zucker, Mohn und roter Farbe hergestellt hat. Einkaufen waren wir im heutigen
Café "Idyll". Dort war ein Milchladen und die Bäckerei Wolf, dort gab es auch andere
Lebensmittel. Von Zeit zu Zeit kamen Vertreter zu uns nach Hause und verkauften Gasmasken
und spezielle Brillen für unseren Schutz. Flugzeuge warfen Aluminiumstreifen ab, um Bomber
und andere Kriegsflugzeuge zu irritieren. Dies sollte auch zum Schutz der Bevölkerung dienen.
Wir Kinder sammelten diese ein und zu Weihnachten wurden sie zerschnitten und als Lametta
an den Weihnachtsbaum gehängt, es gab ja keinen Baumschmuck.
Andere Vertreter verkauften Rollos und Clips, um die Fenster zu verdunkeln. Es durfte kein
Licht an den Seiten durchschimmern. Straßenlampen brannten schon lange nicht mehr.
Beeindruckend waren für mich die vielen Flugzeuge am Himmel, die sahen für mich aus wie
Metallsplitter und ich zeigte mit dem Finger auf sie. Meine Mutter hat mir das immer verboten,
ich sollte noch nicht einmal den Kopf heben und nach ihnen schauen, solche Angst kursierte
unter den Menschen. Autos gab es keine mehr, sie wurden beschlagnahmt. Unser Auto stand
bei meinen Großeltern in der Scheune in Sommerfeld. Mein Opa hat sich zwar geweigert, das
Auto rauszugeben, aber ihm wurde die Pistole auf die Brust gesetzt und es blieb ihm nichts
anderes übrig, als es herauszugeben.
Da die Einheit, bei der mein Vater stationiert war, als Reservetrupp in Bereitschaft stand und
die Verpflegung den Hunger auch nicht restlos stillen konnte, hat die Truppe beschlossen,
selbst Gemüse anzubauen und Hühner zu halten. Das Feld war "vor der Tür". Es wurde
gefragt, wer Hühner besorgen kann und mein Vater meldete sich, da er nicht wußte, wie es
weitergeht, dann würde er wenigstens seine Familie noch einmal sehen. Als er nach Hause
kam und berichtete, was der Grund war, ist unsere Mutti fast in Ohnmacht gefallen. Wer hatte
denn in dieser Zeit Hühner abzugeben? Schließlich hat sie ein Einziges aufgetrieben, mit dem
er zu seiner Einheit zurückkehrte. Er mußte dafür in den "Bau".
Unsere Nachbarin, Frau Schauersberger, eine große, hübsche Frau mit langen, zum Knoten
gebundenen dunklen Haaren, bekam ein Baby und ich als kleines Mädchen war ziemlich
neugierig und Mutti ist dann auch mit mir gucken gegangen. Frau Schauersberger hatte schon
4 Jungs und dieses Baby war ein Mädchen. Unsere Mutti fragte diese Frau, "Haben sie denn
keine Angst?" "Nein", sagte sie, "mein Mann bekleidet einen hohen Rang beim Militär". Eines
Tages kam ein blonder, schöner, großer Mann, das war der Papa der Familie, für ein paar
Tage nach Hause, um sich seine Tochter anzusehen. Kurze Zeit später erhielt die Frau die
Nachricht, daß sich ihr Mann im nahegelegenen Wald erschossen hat. Im Nachhinein wurde
bekannt, daß jüdische Militärangehörige nach Hause geschickt wurden, um ihre Familie zu
töten. Er konnte dies offensichtlich nicht.
Es war ein kalter Morgen, als ein Auto die Straße hinaufkam und es stiegen Männer mit
schwarzen Stiefeln und schwarzer Uniform, ich denke das waren welche von der Gestapo,
aus. Da es auf einmal ziemlich laut auf der Straße war, sind wir auch neugierig geworden. An
der Hand meiner Mutter sah ich Frau Schauersberger im Morgenrock mit dem Baby auf dem
Arm auf der Straße stehen. Am anderen Arm hatte sie einen Sohn, 2 Söhne versteckten sich
hinter ihr. Der älteste Sohn stand etwas abseits und rief "Mutti, wo soll ich denn hin?, Zu
Oma?, zur Tante?" Frau Schauersberger traute sich nicht zu antworten, da die Gestapo-Leute
die Gewehre auf sie gerichtet hatten. Irgendwann antwortete sie "Lauf Junge, lauf!" Und schon
zuckten diese Männer mit ihren Gewehren. Ich habe meine Mutti damals nicht verstanden,
warum sie nicht zu dem Jungen gesagt hat, "komm doch zu uns". Frau Schauersberger wurde
mit den 3 Jungs und dem Baby mitgenommen, wohin sie gebracht wurden und was aus ihnen
geworden ist, ist unbekannt.
Der älteste Sohn kehrte natürlich in der Nacht in oder an sein Elternhaus zurück. Die Gestapo-
Leute waren am nächsten Tag wieder da und nahmen auch ihn mit. Unsere Mutti sagt mir, das
waren Juden. Als das Haus von Schauersbergers leer war, haben wir Kinder gern dort
herumgestöbert, obwohl Mutti uns das verboten hatte. Wir fanden in der Schublade des
27

Küchenschranks Tabletten und mußten die natürlich kosten. Eine Sorte war bitter, die andere
war süß. So teilten wir uns diese "Bonbons" ein. Heute gehe ich davon aus, die eine Sorte
waren Schmerztabletten, die anderen Traubenzucker, aber genau wissen wir das bis heute
nicht. Irgendwann wurde die Einheit meines Vaters in den Krieg beordert, wohin er gehen
mußte, weiß ich nicht mehr, nur daß eines Tages mit der Post - die im Krieg immer
funktionierte, aber lange gedauert hat - ein Brief eintraf mit der Mitteilung, daß mein Vater
vermißt wird.
Mein Vater lebte - Gott sei Dank -, er befand sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Bei
der Entlassung aus dieser hat man ihm gesagt, er brauche nicht nach Guben gehen, dort steht
kein Stein mehr auf dem andren. Er erhielt eine Bescheinigung, mit der er nach Amerika hätte
auswandern können. Da sich meine Eltern aber ausgemacht hatten, sich zu Hause
wiederzutreffen, kam er dann 1946 doch nach Hause. Ich denke, im Herbst 1943 wurde bei
uns eine Frau zwangseinquartiert. Fräulein Nebel war eine Gutsbesitzertochter aus Tilsit. Als
sie nach ein paar Tagen anfing zu riechen, sagte meine Mutter zu ihr, sie solle sich doch bitte
waschen, die Füße usw. Als Antwort bekam sie dann: "Es ist doch keiner da, der mich wäscht,
waschen Sie mich?" Meine Mutter sagte ihr klipp und klar, sie würde kein einziges Körperteil
von ihr waschen. Dies war also eine feine Dame, die es gewohnt war an- und ausgekleidet,
gewaschen und bedient zu werden.
Auch kann ich mich erinnern, daß so im Sommer 1944 Soldaten mit ihren Frauen oder
Freundinnen bei uns Urlaub gemacht haben. Wahrscheinlich war auf Grund der
Kriegsgeschehnisse Urlaub in anderen Gebieten nicht mehr möglich. Hier war es ideal, die
Gegend lud dazu ein mit den Waldgebieten und dem Deulowitzer See.
Öfter kamen Leute zu uns, um für die Kinderlandverschickung zu werben. Sie wollten meinen
ältesten Bruder mitnehmen. Sie haben meiner Mutter erklärt, es würde ihm dort gut gehen, da
gäbe es genug zu Essen, die Kinder würden nichts vom Krieg mitbekommen usw. Meine
Mutter stimmte dem aber nicht zu, schließlich hatte sie versprochen, die Familie nicht
auseinanderzureißen.
Einen Freund hatte ich damals auch. Er hieß Peter und trug eine Brille, weil er so schrecklich
schielte. 1945 ist er mit seiner hochschwangeren Mutti nach Hamburg zur Oma gefahren. Er
bekam eine Schwester mit meinem Vornamen. Von Peter habe ich nie wieder etwas gehört.
Im Februar 1945 mußten auch zwangsweise wir flüchten. Wir Kinder bekamen jeder
mindestens 3fach Unterwäsche von unserer Mutti angezogen und sie packte Handtücher,
Bettwäsche usw. ein. Ich bekam die kostbare große Puppe in den Arm gedrückt und die Jungs
ihr Lieblingsspielzeug und los ging es bei Nacht und Nebel mit unseren Rucksäcken und
Koffern zum Bahnhof. Wir bestiegen den Zug, wohin die Reise gehen würde, wußten wir nicht.
Wir waren voller Angst und Sorge. Der Funkenflug der Kohle-Lok im Dunkel der Nacht hat uns
zusätzlich Angst bereitet. Im Morgengrauen mußten wir alle aus dem Zug aussteigen, die
Schienen waren zerstört und die Weiterfahrt nicht möglich.
Wir waren in Lautawerk (heute Lauta) bei Senftenberg angekommen. Wir bekamen eine
Unterkunft zugewiesen, in der wir nicht freundlich aufgenommen wurden, denn Kinder wollte
niemand. Unzählige Bombenangriffe im Wald, im Luftschutzbunker oder im Keller haben wir
miterlebt. Der Luftschutzbunker war ein kahler gemauerter Raum mit starken Pfeilern.
Erreichbar war er durch eine Treppe mit einer auf Schienen laufenden Platte. Diese war zur
Tarnung mit Rasen bedeckt und konnte auf- und zugeschoben werden. Dort lagen wir auf dem
Boden mit einem Taschentuchknebel im Mund, der uns davor schützen sollte, daß uns im
Körper durch den Druck der Bombeneinschläge etwas platzte. Auch waren wir von dem Druck
vorübergehend taub. Es gab mit jedem Einschlag starke Erschütterungen und die Menschen
schrien und weinten vor Angst. Bei Entwarnung verließen wir den Bunker und hofften, daß
unsere Unterkunft nicht getroffen wurde. Unsere Mutter fiel aus Angst und Sorge und wegen
der Unterernährung öfters in Ohnmacht, was uns Kinder jedesmal zusätzlich in Panik
versetzte.Bekannte haben zwei Mal ihr Obdach und somit auch alle Habseligkeiten verloren.
28

Fliegeralarm gab es Tag und Nacht und die Tiefflieger beschossen einzelne Objekte - auch
Menschen. In unserer kleinen Straße waren Kettenbomben niedergegangen. 3, 4 oder mehr
Bomben in akkurater Reihenfolge und genauem Abstand. Wir wollten zu gern auf dem Po in
die Bombentrichter hineinrutschen, unsere Mutti hat uns dies aber verboten. Unsere Unterkunft
bestand aus einem Zimmer mit Kochgelegenheit und einem Ehebett für uns alle. Beim
gegenüberliegenden Haus war die Wand eingestürzt und man konnte von oben bis unten in
die Wohnung hineinsehen. Ein Sofa stand dort "auf der Kippe" und mein 10jähriger Bruder
machte sich einen Spaß daraus, darauf zu schaukeln. Jeden Augenblick konnte die Wand
nachgeben oder das Sofa rutschen. Unsere Mutter hat fast einen Herzschlag erlitten, als sie
das sah.
Ich kann mich an sehr viele kaputte Dachziegel auf allen Straßen erinnern. Ich sammelte
immer die - nach meiner Meinung - Schönsten. Im Kaufhaus saßen in der Babyabteilung
Babypuppen in der Auslage, die mit den zu verkaufenden Sachen bekleidet waren. Gern hätte
ich solch eine Puppe gehabt, aber die waren ja nicht verkäuflich. Einmal, nach so einem
fürchterlichen Bombenangriff, das Kaufhaus war getroffen, lief ich dorthin, um mir so eine
Puppe zu holen. Es war aber alles in Schutt und Asche gelegt. Unsere Mutti meldete uns für
den Guben-Treck an, den wir aber verpaßten. So machten wir uns allein auf den Weg. Am
Ortsausgang ging unser Leiterwagen kaputt und wir mußten zurück, um Hilfe zu holen. Mein
6jähriger Bruder mußte bei dem kaputten Wagen bleiben. Er kam uns mit weinendem
Geschrei entgegen - ein Russe hatte das am Wagen befestigte Trinktöpfchen abgeschnitten.
Der Wagen mit unseren Habseligkeiten war dann weg und es ging zu Fuß mit Rucksack und
einer Karre weiter Richtung Guben. In unserer ehemaligen Wohngegend in Gubin stand kein
Stein mehr auf dem anderen. So war es Glück im Unglück, daß wir auf der anderen Seite der
Neiße gewohnt haben, unser Haus blieb unversehrt.
Seit unserer Flucht hatten wir nie genug zu Essen. Wasser und Strom gab es auch nicht. In
der Nachbarschaft befand sich eine Pumpe. Dort haben wir Kinder uns abwechselnd
angestellt, jeder eine Stunde. Als wir dann dran waren, haben unsere Mutti und meine Tante
die Eimer, die mit einem Holzbrettchen abgedeckt wurden, damit nichts verschüttet wird, nach
Hause getragen. Zu uns kamen nach und nach weitere Familienangehörige aus dem heutigen
Gubin und wir waren schließlich 14 Personen in dem kleinen Häuschen. Wie alle satt kriegen,
war das nächste Problem. Von einem Bauern aus der Nachbarschaft bekam meine Mutti 3
Kornäpfel und 1 Ei geschenkt mit der ernsthaften Ermahnung, ein Mittagessen daraus zu
machen!?!?
In der Näher der Post in der Berliner Straße befand sich eine Molkerei. Dort konnten wir uns
Molke holen. Auch dort haben wir uns abwechselnd angestellt, um Molke zu erhalten. Am
Besten war es, wenn man die letzten Reste erhalten hat, denn da hat sich dann immer am
Boden der Milchkanne etwas Quark abgesetzt. War man aber zu spät dran, war die Molke alle
und wir gingen unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Von der Molke wurde Suppe gekocht
mit einer hineingeriebenen Kartoffel. Unser Vater, als Bäckermeister und Konditor, hatte so
einige "Spezialrezepte. Wir haben auch "Schlagsahne" gemacht. Apfelsaft wurde mit Zucker
vermischt und im Keller kalt gestellt. Mein ältester Bruder mußte dies dann mit dem
Schneebesen mindestens eineinhalb Stunden aufschlagen.
Um Kartoffeln anzubauen, hat mein Vater den Samen aus den Blüten der Pflanzen gewonnen,
denn Steckkartoffeln gab es nicht zu kaufen. Durch den sandigen Boden wuchsen daraus
Kartoffeln, die nur so groß wie Murmeln waren. Aber wir haben sie als Pellkartoffeln gegessen,
einige wurden als Saatkartoffeln genommen. Nach der Entlassung meines Vaters, mußte er
zunächst in das Quarantäne-Lager im Schlagsdorfer Weg. Dort haben wir unseren Vati
besucht, die Trennung durch den Zaun habe ich als schrecklich empfunden. Er bekam später
Arbeit bei der Bahn als Gleisbauer. Am 1. September 1945 wurde ich in der Pestalozzischule
eingeschult. Meine Lehrerin war Fräulein Wuttke und in meiner Klasse waren 45 Schüler.
29

Meine Mutti sagte, daß wir uns keine Zuckertüte leisten können, aber als ich am ersten
Schultag nach Hause kam lag doch eine Zuckertüte mit Äpfeln und Birnen aus dem Garten auf
meinem Bett.
13. Erinnerungen einer Zeitzeugin - Frau Kuchling -
Ich wurde 1939 als viertes Kind unserer Familie in Guben geboren. Unsere Wohnung - 1
Zimmer mit Alkoven - in der Nähe der Stadt- und Hauptkirche war einfach zu klein geworden.
Deshalb bemühten sich meine Eltern um eine größere Wohnung. In der Nähe des Friedhofs
entstand die Stadtsiedlung. Leider war dort schon alles vergeben, aber in der Sprucke konnten
sich Familien mit mindestens vier "lebend geborenen" Kindern bewerben. Wir erhielten ein
Häuschen mit Garten Am Waldrand 1 und meine Eltern zogen mit uns in die sogenannte "Rote
Sprucke". Hier war rundherum nur Wald.
Wie wir zur Hausnummer 1 gelangten, dazu gibt es eine Geschichte, die wir nicht so wollten,
aber die dennoch so gelaufen ist: Nachdem meine Eltern sich um das Grundstück beworben
hatten, wurden die Hausnummern ausgelost. Mein Vater zog eine Nummer um die zwanzig
herum. Weil er aber Bäckermeister und Konditor war und gern mal ein Café einrichten wollte,
hat er mit den Leuten, die die Nummer 1 gezogen hatten, getauscht. Nur - unsere
ursprüngliche Nummer wurde nie gebaut, es kam der Krieg dazwischen. In dieser Zeit wurden
dann die Rotdornweg-Blocks, eigentlich für Arbeiter der Borsig-Werke, gebaut. Als Bauarbeiter
waren nicht kriegstaugliche Männer verpflichtet worden.
In unser neues Häuschen mit 70 m² Wohnfläche mußten meine Eltern, wie alle Leute ringsum
2 Bauarbeiter aufnehmen. Einer von ihnen war Rentner und kam aus Templin und der andere,
sehr viel jüngerer, war Invalide. Richtig fertig wurden die Häuser aber erst zu DDR-Zeit,
nämlich erst dann wurden z. B. die geplanten Badewannen eingebaut. Aber fertig waren die
Luftschutzbunker in den Blocks. Die Sprucke war damals ein ländlicher Vorort. In der Stadt war
meine Mutter es gewöhnt, mit Stöckelschuhen aus dem Haus zu gehen, was jetzt nicht mehr
möglich war - es waren überall nur Sandwege. Die Busverbindungen waren sehr spärlich und
ein Fahrrad besaßen wir nicht. Sicherlich war auch der Garten für unsere Mutti ein Problem:
Es war eine große Hecke zu pflegen und ohne Ahnung sollte sie plötzlich wissen, was
Unkraut, Möhren oder Petersilie sind. Unser Vater wurde eingezogen, ursprünglich wollte er für
den Garten zuständig sein. Ich war noch sehr klein und konnte mich kaum an ihn erinnern.
Er war in Berlin bei einem, wie ich meine, Reservetrupp stationiert. Ich erinnere mich, daß
unsere Mutti mit uns jeden Sonntag mit der Bahn nach Berlin gefahren ist, um ihn zu
besuchen. Auch kann ich mich an schreckliche Plakate auf den Bahnhöfen und Straßen
erinnern. Dort wurden Juden als Monster dargestellt. Wir hatten Angst. Einmal, wir waren
wieder unterwegs nach Berlin, nahmen uns auf dem Gubener Bahnhof Soldaten in schwarzer
Uniform unsere Mutter weg und gingen mit Ihr die Treppe vom Bahnsteig hinunter. Meine
Mutter hatte dunkles Haar und braune Augen wie ich, meine Brüder waren blond, hatten auch
braune Augen, ich denke, sie haben Juden gesucht - äußerlich hätte es man ja annehmen
können, daß wir welche waren. Ich schrie wie am Spieß, nach einer Weile kam unsere Mutter
wieder und ich bekam eine Ohrfeige von ihr.
Einmal holte unsere Mutti auf der Rückreise eine kleine runde Metalldose, die obenauf ein
Muster, ähnlich einer Sonne hatte, hervor, darin war herrliche Schokolade, die hatte der Vati
ihr bei der Abfahrt noch in die Hand gedrückt. Das war Schokolade mit Koffein, SCHO-KA-
KOLA - Fliegerschokolade und die gibt es übrigens noch heute. Ab und zu kam mein Vater auf
Urlaub nach Hause. Bei diesen gelegentlichen Besuchen hat er uns Plätzchen gebacken. Die
wurden in großen Werbebüchsen aus Blech oben auf dem Küchenschrank aufbewahrt und
wenn wir Kinder Hunger hatten oder wenn Besuch kam, gab es Plätzchen. Sie mußten immer
so eingeteilt werden, daß sie bis zum nächsten Besuch des Vaters reichten. Einmal kam der
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Vater in seiner Uniform durch den Hintereingang nach Hause, mein Bruder sah ihn und rief:
"Mutti, hol die Backschüssel vor, Vati kommt!" Auch hat meine Mutter manchmal unseren
Hunger nach Süßigkeiten gestillt, indem sie Bonbons aus Zucker, Mohn und roter Farbe
hergestellt hat. Einkaufen waren wir im heutigen Café "Idyll". Dort war ein Milchladen und die
Bäckerei Wolf, dort gab es auch andere Lebensmittel. Von Zeit zu Zeit kamen Vertreter zu uns
nach Hause und verkauften Gasmasken und spezielle Brillen für unseren Schutz. Flugzeuge
warfen Aluminiumstreifen ab, um Bomber und andere Kriegsflugzeuge zu irritieren. Dies sollte
auch zum Schutz der Bevölkerung dienen. Wir Kinder sammelten diese ein und zu
Weihnachten wurden sie zerschnitten und als Lametta an den Weihnachtsbaum gehängt, es
gab ja keinen Baumschmuck.
Andere Vertreter verkauften Rollos und Clips, um die Fenster zu verdunkeln. Es durfte kein
Licht an den Seiten durchschimmern. Straßenlampen brannten schon lange nicht mehr.
Beeindruckend waren für mich die vielen Flugzeuge am Himmel, die sahen für mich aus wie
Metallsplitter und ich zeigte mit dem Finger auf sie. Meine Mutter hat mir das immer verboten,
ich sollte noch nicht einmal den Kopf heben und nach ihnen schauen, solche Angst kursierte
unter den Menschen. Autos gab es keine mehr, sie wurden beschlagnahmt. Unser Auto stand
bei meinen Großeltern in der Scheune in Sommerfeld. Mein Opa hat sich zwar geweigert, das
Auto rauszugeben, aber ihm wurde die Pistole auf die Brust gesetzt und es blieb ihm nichts
anderes übrig, als es herauszugeben.
Da die Einheit, bei der mein Vater stationiert war, als Reservetrupp in Bereitschaft stand und
die Verpflegung den Hunger auch nicht restlos stillen konnte, hat die Truppe beschlossen,
selbst Gemüse anzubauen und Hühner zu halten. Das Feld war "vor der Tür". Es wurde
gefragt, wer Hühner besorgen kann und mein Vater meldete sich, da er nicht wußte, wie es
weitergeht, dann würde er wenigstens seine Familie noch einmal sehen. Als er nach Hause
kam und berichtete, was der Grund war, ist unsere Mutti fast in Ohnmacht gefallen. Wer hatte
denn in dieser Zeit Hühner abzugeben? Schließlich hat sie ein Einziges aufgetrieben, mit dem
er zu seiner Einheit zurückkehrte. Er mußte dafür in den "Bau".
Unsere Nachbarin, Frau Schauersberger, eine große, hübsche Frau mit langen, zum Knoten
gebundenen dunklen Haaren, bekam ein Baby und ich als kleines Mädchen war ziemlich
neugierig und Mutti ist dann auch mit mir gucken gegangen. Frau Schauersberger hatte schon
4 Jungs und dieses Baby war ein Mädchen. Unsere Mutti fragte diese Frau, "Haben sie denn
keine Angst?" "Nein", sagte sie, "mein Mann bekleidet einen hohen Rang beim Militär". Eines
Tages kam ein blonder, schöner, großer Mann, das war der Papa der Familie, für ein paar
Tage nach Hause, um sich seine Tochter anzusehen. Kurze Zeit später erhielt die Frau die
Nachricht, daß sich ihr Mann im nahegelegenen Wald erschossen hat. Im Nachhinein wurde
bekannt, daß jüdische Militärangehörige nach Hause geschickt wurden, um ihre Familie zu
töten. Er konnte dies offensichtlich nicht.
Es war ein kalter Morgen, als ein Auto die Straße hinaufkam und es stiegen Männer mit
schwarzen Stiefeln und schwarzer Uniform, ich denke das waren welche von der Gestapo,
aus. Da es auf einmal ziemlich laut auf der Straße war, sind wir auch neugierig geworden. An
der Hand meiner Mutter sah ich Frau Schauersberger im Morgenrock mit dem Baby auf dem
Arm auf der Straße stehen. Am anderen Arm hatte sie einen Sohn, 2 Söhne versteckten sich
hinter ihr. Der älteste Sohn stand etwas abseits und rief "Mutti, wo soll ich denn hin?, Zu
Oma?, zur Tante?" Frau Schauersberger traute sich nicht zu antworten, da die Gestapo-Leute
die Gewehre auf sie gerichtet hatten. Irgendwann antwortete sie "Lauf Junge, lauf!" Und schon
zuckten diese Männer mit ihren Gewehren. Ich habe meine Mutti damals nicht verstanden,
warum sie nicht zu dem Jungen gesagt hat, "komm doch zu uns". Frau Schauersberger wurde
mit den 3 Jungs und dem Baby mitgenommen, wohin sie gebracht wurden und was aus ihnen
geworden ist, ist unbekannt. Der älteste Sohn kehrte natürlich in der Nacht in oder an sein
Elternhaus zurück. Die Gestapo-Leute waren am nächsten Tag wieder da und nahmen auch
ihn mit. Unsere Mutti sagt mir, das waren Juden.
31

Als das Haus von Schauersbergers leer war, haben wir Kinder gern dort herumgestöbert,
obwohl Mutti uns das verboten hatte. Wir fanden in der Schublade des Küchenschranks
Tabletten und mußten die natürlich kosten. Eine Sorte war bitter, die andere war süß. So
teilten wir uns diese "Bonbons" ein. Heute gehe ich davon aus, die eine Sorte waren
Schmerztabletten, die anderen Traubenzucker, aber genau wissen wir das bis heute nicht.
Irgendwann wurde die Einheit meines Vaters in den Krieg beordert, wohin er gehen mußte,
weiß ich nicht mehr, nur daß eines Tages mit der Post - die im Krieg immer funktionierte, aber
lange gedauert hat - ein Brief eintraf mit der Mitteilung, daß mein Vater vermißt wird.
Mein Vater lebte - Gott sei Dank -, er befand sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Bei
der Entlassung aus dieser hat man ihm gesagt, er brauche nicht nach Guben gehen, dort steht
kein Stein mehr auf dem andren. Er erhielt eine Bescheinigung, mit der er nach Amerika hätte
auswandern können.Da sich meine Eltern aber ausgemacht hatten, sich zu Hause
wiederzutreffen, kam er dann 1946 doch nach Hause.Ich denke, im Herbst 1943 wurde bei uns
eine Frau zwangseinquartiert. Fräulein Nebel war eine Gutsbesitzertochter aus Tilsit. Als sie
nach ein paar Tagen anfing zu riechen, sagte meine Mutter zu ihr, sie solle sich doch bitte
waschen, die Füße usw. Als Antwort bekam sie dann: "Es ist doch keiner da, der mich wäscht,
waschen Sie mich?" Meine Mutter sagte ihr klipp und klar, sie würde kein einziges Körperteil
von ihr waschen. Dies war also eine feine Dame, die es gewohnt war an- und ausgekleidet,
gewaschen und bedient zu werden.
Auch kann ich mich erinnern, daß so im Sommer 1944 Soldaten mit ihren Frauen oder
Freundinnen bei uns Urlaub gemacht haben. Wahrscheinlich war auf Grund der
Kriegsgeschehnisse Urlaub in anderen Gebieten nicht mehr möglich. Hier war es ideal, die
Gegend lud dazu ein mit den Waldgebieten und dem Deulowitzer See. Öfter kamen Leute zu
uns, um für die Kinderlandverschickung zu werben. Sie wollten meinen ältesten Bruder
mitnehmen. Sie haben meiner Mutter erklärt, es würde ihm dort gut gehen, da gäbe es genug
zu Essen, die Kinder würden nichts vom Krieg mitbekommen usw. Meine Mutter stimmte dem
aber nicht zu, schließlich hatte sie versprochen, die Familie nicht auseinanderzureißen.
Einen Freund hatte ich damals auch. Er hieß Peter und trug eine Brille, weil er so schrecklich
schielte. 1945 ist er mit seiner hochschwangeren Mutti nach Hamburg zur Oma gefahren. Er
bekam eine Schwester mit meinem Vornamen. Von Peter habe ich nie wieder etwas gehört.
Im Februar 1945 mußten auch zwangsweise wir flüchten. Wir Kinder bekamen jeder
mindestens 3fach Unterwäsche von unserer Mutti angezogen und sie packte Handtücher,
Bettwäsche usw. ein. Ich bekam die kostbare große Puppe in den Arm gedrückt und die Jungs
ihr Lieblingsspielzeug und los ging es bei Nacht und Nebel mit unseren Rucksäcken und
Koffern zum Bahnhof. Wir bestiegen den Zug, wohin die Reise gehen würde, wußten wir nicht.
Wir waren voller Angst und Sorge. Der Funkenflug der Kohle-Lok im Dunkel der Nacht hat uns
zusätzlich Angst bereitet. Im Morgengrauen mußten wir alle aus dem Zug aussteigen, die
Schienen waren zerstört und die Weiterfahrt nicht möglich.
Wir waren in Lautawerk (heute Lauta) bei Senftenberg angekommen. Wir bekamen eine
Unterkunft zugewiesen, in der wir nicht freundlich aufgenommen wurden, denn Kinder wollte
niemand. Unzählige Bombenangriffe im Wald, im Luftschutzbunker oder im Keller haben wir
miterlebt. Der Luftschutzbunker war ein kahler gemauerter Raum mit starken Pfeilern.
Erreichbar war er durch eine Treppe mit einer auf Schienen laufenden Platte. Diese war zur
Tarnung mit Rasen bedeckt und konnte auf- und zugeschoben werden. Dort lagen wir auf dem
Boden mit einem Taschentuchknebel im Mund, der uns davor schützen sollte, daß uns im
Körper durch den Druck der Bombeneinschläge etwas platzte. Auch waren wir von dem Druck
vorübergehend taub. Es gab mit jedem Einschlag starke Erschütterungen und die Menschen
schrien und weinten vor Angst. Bei Entwarnung verließen wir den Bunker und hofften, daß
unsere Unterkunft nicht getroffen wurde. Unsere Mutter fiel aus Angst und Sorge und wegen
der Unterernährung öfters in Ohnmacht, was uns Kinder jedesmal zusätzlich in Panik
versetzte. Bekannte haben zwei Mal ihr Obdach und somit auch alle Habseligkeiten verloren.
32

Fliegeralarm gab es Tag und Nacht und die Tiefflieger beschossen einzelne Objekte - auch
Menschen. In unserer kleinen Straße waren Kettenbomben niedergegangen. 3, 4 oder mehr
Bomben in akkurater Reihenfolge und genauem Abstand. Wir wollten zu gern auf dem Po in
die Bombentrichter hineinrutschen, unsere Mutti hat uns dies aber verboten. Unsere Unterkunft
bestand aus einem Zimmer mit Kochgelegenheit und einem Ehebett für uns alle. Beim
gegenüberliegenden Haus war die Wand eingestürzt und man konnte von oben bis unten in
die Wohnung hineinsehen. Ein Sofa stand dort "auf der Kippe" und mein 10jähriger Bruder
machte sich einen Spaß daraus, darauf zu schaukeln. Jeden Augenblick konnte die Wand
nachgeben oder das Sofa rutschen. Unsere Mutter hat fast einen Herzschlag erlitten, als sie
das sah.
Ich kann mich an sehr viele kaputte Dachziegel auf allen Straßen erinnern. Ich sammelte
immer die - nach meiner Meinung - Schönsten. Im Kaufhaus saßen in der Babyabteilung
Babypuppen in der Auslage, die mit den zu verkaufenden Sachen bekleidet waren. Gern hätte
ich solch eine Puppe gehabt, aber die waren ja nicht verkäuflich. Einmal, nach so einem
fürchterlichen Bombenangriff, das Kaufhaus war getroffen, lief ich dorthin, um mir so eine
Puppe zu holen. Es war aber alles in Schutt und Asche gelegt.
Unsere Mutti meldete uns für den Guben-Treck an, den wir aber verpaßten. So machten wir
uns allein auf den Weg. Am Ortsausgang ging unser Leiterwagen kaputt und wir mußten
zurück, um Hilfe zu holen. Mein 6jähriger Bruder mußte bei dem kaputten Wagen bleiben. Er
kam uns mit weinendem Geschrei entgegen - ein Russe hatte das am Wagen befestigte
Trinktöpfchen abgeschnitten. Der Wagen mit unseren Habseligkeiten war dann weg und es
ging zu Fuß mit Rucksack und einer Karre weiter Richtung Guben.
In unserer ehemaligen Wohngegend in Gubin stand kein Stein mehr auf dem anderen. So war
es Glück im Unglück, daß wir auf der anderen Seite der Neiße gewohnt haben, unser Haus
blieb unversehrt. Seit unserer Flucht hatten wir nie genug zu Essen. Wasser und Strom gab es
auch nicht. In der Nachbarschaft befand sich eine Pumpe. Dort haben wir Kinder uns
abwechselnd angestellt, jeder eine Stunde. Als wir dann dran waren, haben unsere Mutti und
meine Tante die Eimer, die mit einem Holzbrettchen abgedeckt wurden, damit nichts
verschüttet wird, nach Hause getragen. Zu uns kamen nach und nach weitere
Familienangehörige aus dem heutigen Gubin und wir waren schließlich 14 Personen in dem
kleinen Häuschen. Wie alle satt kriegen, war das nächste Problem. Von einem Bauern aus der
Nachbarschaft bekam meine Mutti 3 Kornäpfel und 1 Ei geschenkt mit der ernsthaften
Ermahnung, ein Mittagessen daraus zu machen!?!?
In der Näher der Post in der Berliner Straße befand sich eine Molkerei. Dort konnten wir uns
Molke holen. Auch dort haben wir uns abwechselnd angestellt, um Molke zu erhalten. Am
Besten war es, wenn man die letzten Reste erhalten hat, denn da hat sich dann immer am
Boden der Milchkanne etwas Quark abgesetzt. War man aber zu spät dran, war die Molke alle
und wir gingen unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Von der Molke wurde Suppe gekocht
mit einer hineingeriebenen Kartoffel. Unser Vater, als Bäckermeister und Konditor, hatte so
einige "Spezialrezepte. Wir haben auch "Schlagsahne" gemacht. Apfelsaft wurde mit Zucker
vermischt und im Keller kalt gestellt. Mein ältester Bruder mußte dies dann mit dem
Schneebesen mindestens eineinhalb Stunden aufschlagen.
Um Kartoffeln anzubauen, hat mein Vater den Samen aus den Blüten der Pflanzen gewonnen,
denn Steckkartoffeln gab es nicht zu kaufen. Durch den sandigen Boden wuchsen daraus
Kartoffeln, die nur so groß wie Murmeln waren. Aber wir haben sie als Pellkartoffeln gegessen,
einige wurden als Saatkartoffeln genommen. Nach der Entlassung meines Vaters, mußte er
zunächst in das Quarantäne-Lager im Schlagsdorfer Weg. Dort haben wir unseren Vati
besucht, die Trennung durch den Zaun habe ich als schrecklich empfunden. Er bekam später
Arbeit bei der Bahn als Gleisbauer. Am 1. September 1945 wurde ich in der Pestalozzischule
eingeschult. Meine Lehrerin war Fräulein Wuttke und in meiner Klasse waren 45 Schüler.
33

Meine Mutti sagte, daß wir uns keine Zuckertüte leisten können, aber als ich am ersten
Schultag nach Hause kam lag doch eine Zuckertüte mit Äpfeln und Birnen aus dem Garten auf
meinem Bett.
14. Zeitzeugenbericht Herr Kabisch
Ich wurde am 15.8.1931 in Guben, Grüne Wiese, geboren. Wir bewohnten bei Seifen-Knappe,
einem Seifengroßhändler, eine kleine Stube. Mein Vater war Friseur in der Grünen Wiese,
später in der Salzmarktstraße, meine Mutter arbeitete als Kostümschneiderin im Theater. Ich
habe noch eine 3 Jahre ältere Schwester. Meine Eltern trennten sich und mein Vater heiratete
1939 ein zweites Mal und wurde 1940 zur Wehrmacht einberufen. Aufgewachsen bin ich bei
meiner Stiefmutter in der Germersdorfer Straße. Mein Stiefgroßvater arbeitete seit 1900 in der
Hutfabrik Lißner (Standort des heutigen ALDI).
Sie besaßen Ackerland. Es waren 3 Grundstücke, eines war verpachtet und zwei wurden
selbst bewirtschaftet. Das Haus war so groß, daß stets ein Zimmer vermietet war. Zunächst
bewohnte es der Stabsfeldwebel Rach aus Hoyerswerda, der nach ca. 1/2 Jahr versetzt
wurde. Danach lebte dort für ca. ein Jahr ein Herr Kurth, er war Spieß auf dem Flugplatz
Guben und bis Ende 1944 wohnte dort die Familie Reh aus Berlin. Sie flüchteten vor den
Bombenangriffen auf Berlin. Durch den Herrn Kurth hatten wir Vorteile genossen. In einem
strengen Winter sind unsere Pfirsichbäume erfroren und mußten ausgegraben werden. Da
stellte uns Spieß Kurth einige Soldaten zur Verfügung, die diese Arbeit erledigten. Die haben
es gern gemacht, - es hat 3 Tage gedauert, obwohl ein halber Tag gereicht hätte - weil sie bei
uns eine gute Versorgung bekamen.
Brot gab es nicht genug, aber mein Stiefgroßvater war Teilselbstversorger und schlachtete, ich
weiß von 1940, ein Schwein und später Hammel. Dadurch hatten wir Fleisch und Wurst zur
Verfügung. Auch Obst und Gemüse waren wegen der großen Ländereien ausreichend
vorhanden. In die heute noch vorhandene Osterbergschule wurde ich 1938 eingeschult und
besuchte ab 1942 dann die Oberschule für Jungen (Gymnasium Neustadt). Für den
Schulwechsel, an der Oberschule für Jungen mußte Schulgeld gezahlt werden, dafür war die
Zustimmung der Eltern notwendig, die Zustimmung meiner Mutter war keine Schwierigkeit,
aber die Zustimmung meines Vaters, da er sich ja zu der Zeit im Krieg befand. Nachdem der
Unterricht schon seit 14 Tagen lief, traf die Entscheidung von meinem Vater ein und ich konnte
mit der Schule dort beginnen.
Ein lustiges Erlebnis möchte ich hier schildern:
Englisch wurde ja ebenso seit 14 Tagen unterrichtet, was ich ja verpaßt hatte. Unsere Lehrerin
wollte mich nun testen und fragte mich etwas in englischer Sprache. Ich antwortete mit "ja",
obwohl ich nichts verstanden hatte. Mein Banknachbar grinste und schob mir seine
Federtasche in die Hosentasche. Ich begriff nichts. Die Lehrerin hatte mich gefragt, ob ich eine
Federtasche in der Hosentasche habe und als sie merkte, daß meine Antwort stimmte, war sie
sehr verblüfft - ich auch. Von Erziehung im nationalsozialistischen Sinne war meines
Erachtens nichts zu merken. Wir haben unsere Lehrer verehrt. Unser Oberstudiendirektor
Wolff hat in erster Linie auf gute Leistungen geachtet. Kein Lehrer hat in Uniform unterrichtet
und der Hitler-Gruß wurde unverständlich dahergenuschelt.
Zweimal im Jahr gab es Fahnenappell, da mußten wir in unserer Pimpf-Uniform erscheinen
und es wurde die Deutschlandhymne gesungen. Bezüglich des Hausmeisters mußten wir
Vorsicht walten lassen, der war ein strammer Parteigenosse, der auch täglich in Uniform zur
Arbeit erschien.
Unser Direktor hat auch auf die Ärmeren geachtet, da machte er keine Unterschiede zu besser
betuchten. Er legte in der schulischen Erziehung Wert auf das Lernen, Hilfsbereitschaft und
34

Sauberkeit. 1943 wurde das Lyzeum zum Reservelazarett umfunktioniert und die Mädchen
wurden bei uns in der Oberschule für Jungen unterrichtet. Es wurde der Schichtunterricht
eingeführt, immer im Wechsel für eine Woche die Jungen vormittags und die Mädchen
nachmittags, dann umgekehrt. Nach 3 Wochen wurde diese Festlegung geändert, da in der
Woche, wo die Mädchen nachmittags Schulunterricht hatten, einige Mädchen beim nach
Hause gehen aus der Schule angepöbelt wurden. So wurde entschieden, daß die Mädchen
generell vormittags unterrichtet werden und die Jungen am Nachmittag. Das war für mich
ziemlich unangenehm, weil es meinen Tagesrhythmus völlig durcheinander gebracht hat. Nun
hat man früh etwas länger geschlafen, Schularbeiten waren zu machen, nachmittags die
Schule, da war keine Zeit mehr zum rumstromern in den Bergen - ich konnte meine Freiheiten
nicht mehr ausleben. Dieser Zustand hielt bis zur Schließung der Schule Ende Januar 1945 so
an.
Trotzdem bin ich weiter gern zur Schule gegangen und habe ebenso gern gelernt. Sport war in
dieser Zeit groß geschrieben, zur Schule gehörte ein großer Sportplatz und die städtische
Turnhalle war auch in der Nähe (Hamdorffplatz). Mein Ding war das mit dem Sport nicht so
richtig, ich habe immer zugesehen, daß ich Zeiten oder Weiten usw. aufschreiben konnte. Im
Musikunterricht mußten wir auch mal ein nationalsozialistisches Lied singen, aber die Lehrer
haben das auch mal ausfallen lassen. Ganz gegen den Strom zu schwimmen, ging natürlich
nicht. Wir haben für die Schule Altstoffe - Lumpen, Knochen, Papier, Metall - gesammelt, diese
wurden eingetragen und es wurden Punkte vergeben.
Das Altstoffsammeln war überall gegenwärtig. Man mußte eine entsprechende Anzahl an
Punkten nachweisen. Die SA hat gesammelt und wollte von jedem einen Anteil, für das
Jungvolk, in dem ich seit 1942 Mitglied war, mußte ich sammeln und für mich privat wollte ich
auch ein paar Pfennige verdienen. Das waren einschließlich der Schule dann 4 Mal sammeln.
Obwohl ich gern Altstoffe sammelte, war das kaum zu schaffen und um die erforderlichen
Punkte zu erhalten, habe ich frisches Obst und Gemüse in das Lazarett Lyzeum, Grüne
Wiese, gebracht und bekam dort eine Bescheinigung, mit der ich meine Pflicht nachweisen
konnte. Auch mußten wir mit der Sammelbüchse Geld sammeln, das war nicht mein Ding. Die
meisten Leute hatten ja selbst nicht viel, ich opferte so manches Mal mein eigenes Geld.
Wichtig war, zu den Zeiten, zu denen die Sammlungen angekündigt waren, immer kleine
Münzen zur Verfügung zu haben. Es sammelten ja viele und auf einem Weg von 500 Metern
konnte man viel Geld loswerden.
Für die Altstoffsammlungen gab es ab und an Geschenke. Leider bin ich zu deren Verteilung
nie anwesend gewesen. Gern hätte ich ein Quartettspiel über "Kohlenklau" gehabt. Die
Erinnerungen an meine Kindheit sind recht angenehm. Ich habe viel in den Bergen gespielt,
konnte mich auf Grund der Untermieter auch auf dem Flugplatz bewegen.
In der Gaststätte Wilhelmshöhe waren Rekruten untergebracht, dort haben wir Kinder, ich war
so 11 Jahre alt, uns öfters Essen geholt. Es gab meistens Eintopf aus der Feldküche.
Höhepunkt war im März der Tag der Wehrmacht, der war natürlich für uns Kinder sehr
interessant. Es gab Vorführungen der Technik, Informationen über die Ausbildung und vor
allem Essen. Ich bin zuerst in die Mückenbergerkaserne I gegangen und habe dort
Erbseneintopf mit Speck gegessen, danach ging es in die Mückenbergerkaserne II zum
Kartoffelsuppe essen. Dies alles gab es ohne Marken von der Lebensmittelkarte für ca. 20
Pfennig.
Um Essen habe ich mich immer gekümmert, so habe ich ab 1942 in einem Kolonialwarenladen
56 Zeitungen numeriert, dafür erhielt ich dann auch mal Bonbons.In meine Klasse ging
auch ein Bäckerssohn, der täglich 2 Brötchen, die mit Zucker belegt waren, als Frühstück
mitbekam. Oftmals habe ich mit ihm 1 Brötchen gegen Obst getauscht. In der Haagstraße gab
es einen Bäcker Kieschke, dort habe ich mir manchmal für 5 Pfennig 1 Paket mit 500 Gramm
Kuchenränder gekauft.
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Ich habe gern die Maße beim Maßnehmen aufgeschrieben, die Kunden benachrichtigt,
Sachen ausgeliefert und das Geld kassiert sowie Nähmaterialien eingekauft. So kannte ich
mich gut in Guben ausAuch kannte ich mich gut in den Bergen aus, was mir in meinem Dienst
beim Jungvolk zugute kam.
Ab dem 11. Lebensjahr (1941) mußte ich dem Jungvolk beitreten. Ich gehörte dem Fähnlein
Nr. 8 an. Ich habe mich dort nie so richtig wohl gefühlt, einmal, weil ich in der Wohnung meiner
Eltern gemeldet war, wir aber, nachdem mein Vater eingezogen wurde, zu den Eltern meiner
Stiefmutter gezogen sind und dadurch in dem Umfeld die Kinder gar nicht kannte und
weiterhin, weil ich kein Sporttyp war. Der Drill war nichts für mich und die Normen im Sport
habe ich auch nicht geschafft. Ich habe mich lieber als Schreiber oder Nachrichtenüberbringer
gemeldet.
1 Mal pro Woche hatten wir für 2 Stunden Dienst und alle 4 Wochen am Wochenende Einsatz
im Gelände mit Schießübungen und Geländespielen. Aufgabe war es, eine Fahne zu erobern.
Daran als "Kämpfer" teilzunehmen war mir gar nichts und so habe ich mich rausgewunden,
indem ich mich anbot, eine Stelle für die Fahne auszusuchen und sie zu bewachen. Ich kannte
mich ja richtig gut in dem Gelände aus und letztlich wurde die Fahne nicht gefunden, ich stand
gut da. Während der Ferien konnte man sich einmal aus wichtigem Grund vom Dienst befreien
lassen. Ich hatte in Steinsdorf Verwandte, da habe ich angegeben, sie dort zu besuchen und
bei ihnen Arbeiten zu verrichten. Da das ja nur ein Vorwand war, konnte ich mich natürlich
nicht in der Stadt sehen lassen und verbrachte die Zeit in den Gubener Bergen.
Wir führten einmal in Neuzelle ein Geländespiel durch. Dort übernachteten wir und an ein "U-
Boot-Spiel" kann ich mich erinnern. Da kroch man aus einem Ärmel heraus, dieser wurde in
die Höhe gehalten und jemand schüttete kaltes Wasser hinein. Das war ja nun wieder was für
mich. Da ich mich sträubte, bekam ich zur Strafe Küchendienst. Ich habe mich darüber gefreut,
daß ich Kartoffeln schälen mußte, da brauchte ich mich nicht bei dem Geländespiel raufen.
Monatlich ein Mal war Pflichtappell im Centralkino mit über 1000 Sitzplätzen in der
Salzmarktstraße. Für einen Eintrittspreis von 0,20 RM wurden uns dort militärische
Propagandafilme gezeigt. Fehlen war nur mit Vorlage einer Krankenbescheinigung erlaubt.Aus
meiner Erinnerung möchte ich sagen, war es so 1943, da hat man den Gubenern den Krieg
schmackhaft gemacht, indem sie auf der Neißebrücke den Kampf gegen Flugzeuge
demonstrierten.
Der NSKK machte in Verbindung mit KdF mehrmals im Jahr Werbefahrten mit Autos. Da
wurden die Kinder durch die Stadt kutschiert. Die Gubener haben im Krieg recht ruhig gelebt.
Die Auswirkungen des Krieges in den Familien bestanden hauptsächlich darin, daß die Frauen
Kopfschützer, Mützen, Socken und Strümpfe stricken mußten. Diese wurden dann beim WHW
(Winterhilfswerk) abgeliefert. Alles wurde genau notiert, auch wurden Aufkleber an die
Haustüren angebracht, und man hatte dann seine Ruhe, wenn man seine Schuldigkeit getan
hatte.
Es wurde höllisch aufgepaßt, ob man richtig verdunkelt, gleichzeitig wurde gelauscht, welcher
Radiosender gehört wird. Wir hatten einen Hund, der sofort gebellt hat, wenn jemand in die
Nähe unseres Hauses kam, da hatten wir durch ihn eine Vorwarnung. Die SA und die Partei in
Uniform (NSDAP) hat auch regelmäßig kontrolliert, ob man sparsam mit Strom und Kohle
umgeht. Sie sind in die Wohnung gekommen und wenn die Lampe mehrere Glühbirnen hatte,
wurde angewiesen, nur eine davon zu benutzen oder sie auszutauschen, wenn sie zu viel Watt
verbraucht. Dazu möchte ich ein Gedicht, veröffentlicht im Gubener Heimatkalender 2005,
vortragen:
Verderbt den Kohlenklau den Spaß
und spart mit Kohle, Strom und Gas,
mach Deine Stromentnahme klein,
schränk Deine Deckenleuchte ein.
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Beim Rundfunkhören sei ganz Hörer,
Wenn nicht, dann sei kein Stromverzehrer.
Mit Koks und Kohle haltet haus,
Das Ofenloch gibt nichts heraus.
Schließt Feuer- und Bodenfenster dicht,
vergeßt auch Haus- und Hoftür nicht.
Macht Wasser warm in kleiner Kanne,
nur halbvoll sei die Badewanne.
Der spart an Gas, der sehr geschickt,
zwei Töpfe aufeinanderrückt.
Als Kohlensparer sehr geschätzt,
sind Öfen, die instand gesetzt.
Der Kontakt zu Gefangenen war uns untersagt, wir haben uns nicht daran gehalten. Auf einem
der drei Grundstücke meines Stiefopas arbeitete ein polnischer Kriegsgefangener (ab 1940
waren dann alle Polen Zivilarbeiter). Er wurde von uns gut behandelt und versorgt. An Juden
kann ich mich nicht erinnern, aber zu dieser Zeit waren kaum noch Juden in Guben - und wenn
ich welche gesehen haben sollte, dann hätte ich mich es sowieso nicht getraut, mit denen in
Kontakt zu treten. Es waren ja überall Aufpasser.Mein Stiefgroßvater arbeitete ja, wie bereits
erwähnt, in der Hutfabrik Lißner. In den Jahren 1942 bis 1944 kann ich mich an wunderschöne
Weihnachtsfeiern, die er für die Kinder seiner Arbeiter veranstaltete, erinnern. Es gab ein
buntes Programm, Plätzchen und Kakao, Äpfel und sogar eine Apfelsine. In Richtung
Kriegsende erfolgte oft Fliegeralarm. Wenn er während der Schulzeit erfolgte, sind wir in den
Luftschutzbunker am Hamdorffplatz gegangen.
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Quelle: Lausitzer Markt 19./ 20. Oktober 1994
Fotos: privat
Passierte es nachts zu Hause, mußten wir in einen Luftschutzkeller, der ca. 150 m vom Haus
entfernt war, gehen. Es war kalt, dunkel und aus dem Schlaf gerissen, ist mir dies in
unangenehmer Erinnerung gebliebenIm Januar 1945 kamen die ersten Trecks mit Flüchtlingen
aus Ostpreußen und dem schlesischen Raum über das Wartheland durch Guben. Diese
wurden vom Roten Kreuz, dem Luftschutz, der NSDAP, der SA und Privatpersonen versorgt
und verpflegt. Auf der Schützenhausinsel befand sich auch solch eine Versorgungsstelle, dort
habe ich gern mitgeholfen, die Suppe auszuschenken. In der Gubener Zeitung las ich dann
eines Tages in dem Kolonialwarenladen, in dem ich die Zeitungen numerierte und austrug,
daß die Russen bei Crossen sind.
Dann kam die Evakuierung. Mit einem der letzten Züge, die Lok fuhr mein Onkel, Herbert
Klinke, sind meine Stiefmutter und ich nach Potsdam Babelsberg gefahren. Zwei Tage waren
wir unterwegs und wurden dort zunächst für 3 Tage im Keller einer Schule mit insgesamt
ca. 40 Personen untergebracht. Danach erhielten wir Privatunterkünfte und wir bewohnten in
der Blücher Straße 2 bei Familie Schulze, in dem Haus befand sich eine Fleischerei, ein
möbliertes Zimmer mit einem Bett. Verpflegt haben wir uns mit unseren Lebensmittelkarten.
Ich habe dort schlimme Bombenangriffe erlebt. Der Keller, in dem wir Schutz fanden, wackelte
entsetzlich.
Zur Schule mußte ich dort natürlich auch gehen. Die Kinder waren aus verschiedenen
Regierungsbezirken zusammengewürfelt und die Klassen waren derart überfüllt, daß ich meist
gestanden habe oder auf der Heizung gesessen habe. Einen Sitzplatz bekam man eventuell,
wenn ein Schüler fehlte. Nach einer Woche, so von Ende Februar an, bin ich einfach nicht
mehr in die Schule gegangen. Ende April wurde der Schulbetrieb dann allerorts eingestellt. Die
Schule besuchte ich dann erst wieder ab September 1945 in Guben. ch hatte ja nun Zeit zum
"Rumstöbern" und fand in unmittelbarer Nähe unserer Unterkunft in Potsdam Babelsberg ein
Lebensmittellager. Da holte ich mir Knäckebrot. Ein anderes Mal wurde von der SS ein
eigenes Verpflegungslager gesprengt, um es nicht in Feindhände gelangen zu lassen. Da
kamen auf einmal auf der Nuthe Kisten angeschwommen, die ich natürlich rausfischte. Darin
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waren Schnapsflaschen, die ich gegen Zucker eintauschte. In der Sempatalis-Kaserne
in Potsdam bin ich auch plündern gegangen. Dort waren Kartoffeln und Knäckebrot zu
holen.Meine Stiefgroßeltern sind zu diesem Zeitpunkt in Guben geblieben, wurden
dann aber zwangsevakuiert und landeten in Golßen.
Im März 1945, einmal Mitte und einmal Ende des Monats, sind meine Stiefmutter und ich nach
Guben gefahren. Zunächst mit der S-Bahn nach Berlin, dann mit dem Zug nach Cottbus - es
gab noch eine regelmäßige Bahnverbindung zwischen Berlin und Cottbus - und mit dem LKW
bis nach Peitz. Dort haben wir in den Reichshallen (heute Gymnasium) übernachtet und mit
dem Panjewagen bis zum Reichenbacher Berg und zu Fuß weiter bis nach Hause. Unterwegs
haben wir die Salzmarktstraße, den Marktplatz und die Königstraße zerstört und brennend
vorgefunden. Nach Hause, in die Germersdorfer Straße, durften wir nicht, weil in der Nähe
schon die Russen waren. Aus der Wohnung meiner Großmutter väterlicher Seite in der
Pförtener Straße durften wir noch Kleinigkeiten holen. Ein Wachmann begleitete uns zu
unserem Schutz. Der sagte zu meiner Stiefmutter noch: packt so viel ein, wie ihr könnt. Beim
2. Mal sind wir mit dem Zug bis nach Grunow gefahren und dann zu Fuß weiter.
Eine Woche nach Kriegsende, im Mai 1945 kamen wir zurück nach Guben. Unser kleiner
Handwagen ging unterwegs kaputt, da hat eine andere Familie unsere Sachen auf ihren
Wagen aufgeladen und so kamen wir am 20.5.1945 wieder in Guben an. Auch die
Stiefgroßeltern waren aus Golßen bereits zurückgekehrt, ich freute mich riesig.
Von meinem Vater haben wir lange nichts gehört. Er war beim Baubataillon und ist im
Kriegseinsatz krank geworden. Eine Muskelverspannung wurde falsch behandelt. Er wurde in
der Nähe von Baden-Baden operiert, dabei wurde sein Muskel zerschnitten.
Ein Pfarrer hat ihn besucht und uns benachrichtigt. Meine Stiefmutter hat ihn dann dort
besucht. Im September 1945 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft wieder nach Guben
zurück.
15. Zeitzeugenbericht Herr Krieger
Im Jahr 1930 wurde ich geboren, wir wohnten in einem 2-Familienhaus, Hinter den Höfen 56,
im heutigen Gubin zusammen mit meinen Großeltern. 1941 war ich 11 Jahre alt und ich kann
mich an eine schöne Jugend erinnern. Wir haben in den Gubener Bergen, in der Nähe des
Bismarckturms gespielt.
1936 wurde ich in die Osterbergschule eingeschult. Die Erziehung war durch Staat und Schule
im nationalsozialistischen Sinne geprägt. Organisationen, wie Jungvolk, Hitlerjugend usw.
waren darauf ausgerichtet, künftige Soldaten heranzuziehen. In der Freizeit wurde Krieg
gespielt, welche von den Organisationen gelenkt wurden. Es ging "Straße gegen Straße" oder
"Stadt gegen Land". Ein Erlebnis bei solchen Kriegsspielen brachte mich dazu, darüber
nachzudenken. Wir spielten mal wieder Krieg, Jungstamm 2 gegen Jungstamm 3, da flogen
auf einmal die Fahrtenmesser. Alles sträubte sich in mir und ich beschloß für mich - bis dahin
und nicht weiter.
Ab 1941 besuchte ich die "Oberschule für Jungen" und war Mitglied des Schulchores.
Durch die Mitwirkung im Schulchor bedingt, wechselte ich dann zur so genannten Spielschar,
eine Organisation innerhalb der Hitlerjugend. Dort trafen sich Jugendliche, die sich künstlerisch
betätigen wollten. Man konnte im Chor singen, im Orchester musizieren oder in der
Volkstanzgruppe mitwirken. Ich lernte in dieser Zeit Geige spielen. Wir hatten diverse Auftritte
vor Soldaten in der Mückenberger Kaserne. Auch fuhren wir im Frühjahr 1944 nach Borkum
und traten vor Flaksoldaten auf, die dort stationiert waren. Auf der Fahrt dorthin mit dem Zug
habe ich das erste Mal direkten Kontakt mit den Kriegsereignissen erfahren. In Berlin mußten
wir das erste Mal aussteigen und mußten uns wegen der Bombenangriffe von Engländern und
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Amerikanern in einem Bunker in Sicherheit bringen. Das Gleiche widerfuhr uns noch mal in
Emden. In den Bunkern konnte man die Wucht der Einschläge spüren, es wackelte alles.
Auch in Borkum haben wir die Flugzeuge mit Luftangriffen erlebt. Während wir am Strand
waren, schlugen die Bombensplitter neben uns ein. Der 2. Kontakt mit den unmittelbaren
Auswirkungen des Krieges war dann 1944.Die ersten Flüchtlinge trafen aus dem Warthegau
und Ostpreußen ein. Sie wurden in der Osterbergschule einquartiert. Ich kann mich noch
erinnern, wie Massen von Menschen mit Pferdewagen, Handwagen usw. durch die Straßen
zogen.
In Guben selbst gab es nur einen Bombeneinschlag, das war ca. 1941, genau kann ich das
nicht mehr sagen, aber ich weiß noch, daß dies für die Gubener eine "Sensation" war. Der
Einschlag war am Reichenbacher Berg und alle sind gucken gegangen. Die Schule wurde oft
wegen Luftalarm unterbrochen oder fiel deswegen ganz aus.
Mein Vater arbeitete zunächst als Meister in der Hutfabrik und war dienstverpflichtet bei der
Fa. Lorenz in Guben, Herstellungsbetrieb für Nachrichtentechnik, (Standort war in der heutigen
Stadtverwaltung). Er arbeitete dann in Mittweida, wohin diese Produktion verlegt wurde. Er
hatte eine Wehrdienstuntauglichkeitsbescheinigung, weil er 1939 im Polenfeldzug verwundet
wurde.
Die Lage wurde immer ernster, die Front rückte im Februar 1945 immer näher und wir
flüchteten mit unserem Nachbar, einem Winzer, mit dem Pferdewagen nach Cahnsdorf, bei
Luckau. Winzer wurden in Guben auch die Gemüsebauern genannt. In den Gubener Bergen
wurde früher Wein angebaut. Da der Absatz wegen mangelnder Qualität immer weiter
zurückging, wurde der Anbau auf Gemüse umgestellt, die Bauern haben aber den Namen
Winzer behalten.
Mit geflüchtet sind meine Großtante, meine Mutter und meine Schwester. Meine Oma war
nicht aus dem Haus zu bewegen und blieb somit daheim. In Cahnsdorf bekamen wir ein
Zimmer in einem Bauernhaus zugewiesen. Unsere Flucht war mein Glück, dadurch bin ich
dem Volkssturm entkommen, wo ja kurz vor Kriegsende noch die Jugend einberufen und
verheizt wurde.
Mein vier Jahre älterer Bruder, bereits zur Wehrmacht einberufen, war in Frankfurt/Oder
stationiert und geriet im April 1945 in dem Kessel von Halbe in russische Kriegsgefangenschaft
und erst im Herbst 1949 wurde er aus der Gefangenschaft in die Heimat entlassen.
Zweimal fuhr ich während dieser Zeit nach Hause, um nach dem Rechten zu sehen. Zuerst
sind wir mit der Großtante mit der Bahn, ich glaube mit der Spreewaldbahn, bis nach
Lieberose gefahren und von dort aus zu Fuß oder mit diversen Mitfahrgelegenheiten bis nach
Guben gekommen. Im Haus lagerte ein Zug von ca. 30 Soldaten der Wehrmacht und hinter
dem Haus verliefen Laufgräben bis in die Gubener Berge. Groß war die Freude beim
Wiedersehen mit der Oma.Beim 2. Mal, so im Februar/März 1945, fuhr ich mit dem Fahrrad,
welches ich beim 1. Mal mitgenommen hatte, nach Guben. Auf der Crossener Brücke bin ich in
einen Fliegerangriff geraten und mußte schnell in ein Haus flüchten.
Zu Hause angekommen, kann ich mich an einen zerschossenen Panzer T 34 erinnern, der vor
unserem Haus stand. Unser Haus selbst hatte nur einen kleinen Einschuß in dem Zimmer,
welches mein Bruder und ich bewohnten, ansonsten war es unversehrt. Ich habe einige
persönliche Dinge mitgenommen und bin in unseren Flüchtlingsort zurückgefahren. Kurz vor
Kriegsende stieß auch unser Vater zu uns nach Cahnsdorf.
Zu Hause, so berichtete meine Oma, waren ununterbrochen Kampfhandlungen zu hören.
Eines Tages schaute sie aus dem Fenster und konnte den Bismarckturm nicht mehr sehen.
Der befand sich so in 150 m bis 200 m Luftlinie von unserem Haus entfernt. Sie hatte die
Sprengung nicht mitbekommen, weil die Kämpfe so laut tobten.
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Den Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 erlebten wir in Cahnsdorf. Am 20./21. 4.
waren die Russen im Dorf. Wir versteckten uns im Keller, wurden dann entdeckt und von
einem Kommissar verhört. Während der ersten 2 Tage wurden wir von den Kampfverbänden
der Roten Armee nicht weiter belästigt. Erst als die Nachschubeinheiten das Dorf besetzten,
kam es häufig zu Vergewaltigungen von jungen Mädchen und Frauen. Großtante, Mutter und
Schwester (8 Jahre) blieben zum Glück davor verschont.
Nach dem 8. Mai 1945 beschlossen wir, nach Hause zurückzukehren. Am ersten Tag
schafften wir die Strecke von Cahnsdorf bis nach Jamlitz. Abends haben wir in Jamlitz pausiert
und wurden in der Gaststätte einquartiert. Der Saal war überfüllt mit Flüchtlingen, Verwundeten
und Kranken. Dort haben wir unsere kranke Großmutter auf dem Stroh liegend vorgefunden.
Welch ein Glück!
Am nächsten Tag sind wir mit einem Handwagen und der kranken Großmutter nach Hause
gelaufen. Am Stadion haben die Russen eine Behelfsbrücke montiert, auf der wir die Neiße
überqueren konnten. Wir haben im Stadion noch eine "Ehrenrunde" gedreht, dies war der von
den Russen uns zugewiesene Weg. Über die Triftstraße und Winzerstraße sind wir dann an
unserem Haus angekommen. Der Weg dorthin war komisch, alles sah anders aus, Gräben
waren überall ausgehoben. In der Winzerstraße klaffte ein tiefes Loch, ein sogenannter
Panzergraben, und nur ein schmaler Gehweg war begehbar.
Zu Hause angekommen standen die Aufräumungsarbeiten an, wie z. B. an der Oberschule für
Jungen (heutiger Lebensmittelmarkt in Gubin), die während der Kampfhandlungen als Lazarett
diente. Man mußte sich an diesen Arbeiten beteiligen, um Lebensmittelmarken zu erhalten.
Natürlich waren wir Jungs neugierig und erkundeten die Gegend, es sah ja alles ganz anders
aus, als vor der Flucht. Wir liefen die Laufgräben hinter unserem Haus entlang bis zum
Bismarckturm und Engelmanns Berg, früher eine beliebte Ausflugsgaststätte. Wir waren
neugierig auf den Spiegelsaal und es waren tatsächlich noch einige Spiegel ganz geblieben.
Als ich wieder draußen war und mich etwa 150 m entfernt hatte, krachte es hinter mir - eine
Mine ging hoch.
Wir sind zum Aussichtspunkt "Schnecke" gelaufen, einer der höchsten Punkte in Guben mit
einer Aussichtsplattform. Diese hatte auch einen Treffer abbekommen und ein großes Stück
war weggebrochen. Dort habe ich den grausamen Anblick eines zerteilten Körpers ertragen
müssen.
Einmal, ich war wieder in den Laufgräben unterwegs, habe ich in der Germersdorfer Anhöhe
eine Kirschbaumplantage entdeckt, die Bäume hingen übervoll mit großen schwarzen
Kirschen. Ich mußte natürlich unbedingt welche haben, wußte aber auch, daß dort Minen
lagen. Vorsichtig mit einem Stock und mit den Händen untersuchte ich den Boden und sprang
dann mit einem Satz auf den Baum. Dort aß ich mich erst einmal satt und pflückte noch welche
für zu Hause. Meine Mutter schimpfte natürlich mit mir, "Junge, bist du denn verrückt!?"
Täglich kamen Menschen durch Minen zu Schaden. Diese wurden in eine Villa in der
Uferstraße, eines der Hilfskrankenhäuser, gebracht und behandelt. Auch ein Freund von mir
mußte dieses Schicksal erleiden, er trat auf der Schützenhausinsel auf eine Mine und verlor
dadurch ein Bein.
Beim Arbeitseinsatz im westlichen Stadtteil von Guben, im Haus des Restaurants "Stadt
Guben", wo wir das zerstörte Dach deckten, konnten wir täglich morgens einen Zug deutscher
Kriegsgefangener beobachten, die im Marschschritt an uns vorbeizogen. Sie mußten im
polnisch besetzten Teil von Guben, dem heutigen Gubin, Minen suchen.
Wir waren ungefähr einen Monat zu Hause, dann sollte sich alles noch einmal ändern.
Der 20.6.1945 war für uns ein schrecklicher Tag.
Plötzlich standen polnische Soldaten in der Stube und befahlen uns, innerhalb von
10 Minuten das Haus zu verlassen. Ja, was nun mitnehmen? Alle waren kopflos und
schnappten sich die unmöglichsten Dinge, nur nicht das, was nötig war. Als wir auf die Straße
kamen sahen wir die großen Menschenströme mit Handwagen. Wir dachten uns, da können
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wir ja auch unseren Handwagen holen und ein paar Dinge einladen und gingen noch mal
zurück. Den Handwagen durften wir uns noch nehmen, aber ins Haus hat man uns nicht mehr
gelassen. Wir mußten Richtung Westen über eine Pontonbrücke am Königpark. Vor der
Brücke wurden wir "gefilzt", das wenige, was wir dabei hatten, wurde gründlich durchsucht. Ich
beobachtete, wie eine Mutti ihr Baby aus dem Kinderwagen nehmen mußte, um eventuell
wertvolle Dinge darin zu finden. Diese wurden den Ausgewiesenen weggenommen.
Wir kamen dann bei einer Bekannten unter und wohnten bei ihr, bis sich die Lage
einigermaßen normalisiert hat.
Das Essen war knapp, die Bettelei auf den Bauernhöfen der Dörfer ging los sowie auch das
Stoppeln auf den Feldern.
Meine Großmutter ist kurz vor der Ausweisung verstorben. Zu Fuß, den roh gehobelten Sarg
auf einen Tischlerwagen geladen, gingen wir zum Ostfriedhof und beerdigten sie.
16. Zeitzeugenbericht des Herrn Kurt Schulz
Ich wurde am 11.8.1928 in Groß Bösitz geboren. Meine Großmutter besaß dort ein Haus mit
einem Garten. Auch hatten wir ein paar Ziegen. Ansonsten waren wir eine Arbeiterfamilie.
Mein Vater arbeitete in der Kohlengrube am Nassen Fleck. Meine Mutter hat während der
Erntezeit bei den Bauern im Ort geholfen. Ich hatte noch einen Bruder und eine Schwester.
1935 wurde ich in Groß Bösitz eingeschult. In unserer Schule gab es zwei Klassenräume und
in jedem wurden 4 Klassen unterrichtet. Unterricht hatten wir bei Lehrer Kahlo und Lehrer
Puhlmann. Er war nicht auf Hitler eingestellt, deshalb wollte ihn der Bürgermeister nicht mehr
in der Schule haben. So bekamen wir dann Lehrer Fettke. Ich nehme an, daß Herr Puhlmann
pensioniert wurde. Lehrer Fettke organisierte des Öfteren Schulausflüge.
So besuchten wir unter anderem den Bismarckturm, die Drenziger Schweiz und das Kloster
Neuzelle.
Im Stadtforst in Guben sammelten wir im Herbst Blaubeeren und brachten sie in die
Hindenburgschule. Dort war zu dieser Zeit ein Lazarett eingerichtet.
An Pfingsten fanden HJ- bzw. BDM-Treffen statt. Bei einem der Treffen übernachteten wir auf
einem Gut hinter Stargart und übten tagsüber marschieren. Ich erinnere mich auch an ein
Sportfest in Kanig.
In meiner Freizeit ging ich einmal in der Woche zur Flieger-Hitler-Jugend. Unser Ausbilder war
Herr Naumann und wir bauten dort Flugzeugmodelle. Das machte mir großen Spaß und ich
bin sehr gerne dort hingegangen. Die hier erlernten handwerklichen Fähigkeiten konnte ich
später gut anwenden.
1943 kam ich aus der Schule und begann eine Lehre bei F. W. Schmidt (jetzt Berliner Straße)
als Tuchausrüster.
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Ich arbeitete in der Appretur und in der Walke. Produziert wurden Feldstoffe für das Militär. Bei
der Fa. F. W. Schmidt waren auch französische Kriegsgefangene eingesetzt. Die Franzosen
waren schnittige Leute, mit denen ich mich gut unterhalten konnte. Sie wollten von mir einen
fetten Kater – dessen Fleisch sie essen wollten -, wofür ich Schokolade bekommen sollte. Es
kam auch tatsächlich zu diesem Tauschgeschäft.
Später arbeitete ich auch noch bei der Firma Wolf am Damm. Dort wurden feine Tuche, wie z.
B. für Jäger hergestellt.
In der Lehrzeit war ich abkommandiert zur Firma BRABAG in Schwarzheide - dort wurde
Benzin hergestellt. Für Bauarbeiten brauchte man Kies und so wurden wir mit dem Bus nach
Prieschka in der Nähe von Liebenwerda gefahren, wo wir in der Kneipe untergebracht waren.
Der Wirt hatte zwei Töchter. Eine hieß Wiesgard und sie gefiel mir gut. Eine Zeit lang haben
wir uns noch geschrieben. Der Betrieb wurde bombardiert und ziemlich zerstört. Für die
Reparatur mußten wir in der nahegelegenen Kiesgrube Zeischa Kies in die bereitgestellten
Loren schippen. Wenn diese voll waren kam eine kleine Lok und transportierte die Loren zu
den Eisenbahnwaggons und der Kies wurde umgekippt. Auch dort waren Kriegsgefangene -
Franzosen und Engländer - eingesetzt.
Im Herbst 1944, ich war gerade 16 Jahre alt, kam die Einberufung zum Arbeitsdienst nach
Schwerin an der Warthe. Die Ausbildung umfaßte den Dienst an der Waffe. Beim Marschieren
bin ich mit meinem linken Knie auf einen Stein gefallen. Danach konnte ich nicht mehr richtig
laufen und humpelte hinterher. Der Ausbilder sah sich das Knie an, es wurde schon dick, und
schickte mich ins Revier. Eine oder zwei Wochen habe ich dort verbracht. Hier war es
wenigstens warm. In den Holzbaracken, in denen wir untergebracht waren, durfte kein Feuer
gemacht werden und es war demzufolge sehr kalt. Unter die Nachtwäsche haben wir uns den
Trainingsanzug gezogen, um nicht zu sehr zu frieren.
Nach der Ausbildung, die ca. 8 Wochen dauerte, erfolgte die Verlegung nach Forst. Es lag
schon der erste Schnee, als wir den Fußmarsch antraten. Da mein Knie mir immer noch
Probleme machte, hieß es: „Schulz bekommt ein Fahrrad“. Zuerst ging es von
Schwerin/Warthe über Crossen nach Bobersberg. In einem RAD-Lager übernachteten wir.
Mein Vater erfuhr irgendwie, daß wir dort waren und wollte mir Wurst vom Schlachten bringen.
Leider kam er einen Tag zu spät, wir waren schon wieder unterwegs über Pförten nach Forst.
Der Vater eines Kameraden aus Kerkwitz kam und meinte: „Junge, der Krieg ist doch vorbei“,
und er nahm seinen Sohn mit nach Hause. Auf dem Heimweg fielen sie den Kettenhunden in
die Hände, diese haben meinen Kameraden im Wald als Deserteur erschossen.
Von Forst ging es mit dem Zug nach Potsdam in die Kaserne Sempatalis, eine alte Kaserne
aus dem ersten Weltkrieg. Ich kann mich noch an die erste Mahlzeit dort erinnern. Es gab
Nudeln mit Gulasch auf Blechtellern und Quarkspeise. Von zu Hause kannte ich so was nicht.
Es schmeckte mir sehr gut.
Die Ausbildung fand auf dem Übungsplatz Bornstetter Feld statt. Wir übten das Schippen von
Gräben, in die wir uns legten. Anschließend rollten die Panzer über uns hinweg. Nach ca. 8
Wochen marschierten wir nachts von Potsdam nach Brandenburg. Viele hielten diesen Marsch
in den neuen Schuhen und Socken, die wir zuvor erhalten hatten, nicht durch.
Ein Oberleutnant, der Kompaniechef der Einheit, suchte sich aus unserer Gruppe einzelne
Leute aus, zu denen auch ich gehörte. Zusammen mit Verwundeten, die nach einem
Lazarettaufenthalt wieder wehrtauglich waren, stellte er einen Zug zusammen. Wir gehörten
zur 4. Kompanie, wurden ausgerüstet mit SMG und Granatwerfern. In Eisenbahnwaggons, die
mit Stroh ausgelegt waren, teilten wir uns den Platz mit Pferden und es ging über Dresden in
Richtung Tschechei an die Front. Von Predigern wurden wir noch seelisch und moralisch auf
den Kampf vorbereitet. Es hieß: „Für Führer, Volk und Vaterland“. Ganz in der Nähe hörten wir
das Donnern der Kanonen von der nahen Front. In einer Ziegelei, in der wir gelegen haben,
gab mir der Unteroffizier ein Fernglas in die Hand und ich sollte auf den Dachboden steigen
und Ausschau halten.
In der Toreinfahrt der gegenüberliegenden Scheune sah ich ein Geschütz stehen und in
diesem Moment knallte es über mir. Wir wurden von Russen beschossen. Ich hatte Glück, mir
war nichts passiert.
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Einmal kam ein PKW mit Russen, aus Richtung Front, auf uns zu. Meine Kameraden ließen es
so nahe wie möglich an uns herankommen und schossen es ab. Aber keiner traute sich in
dessen Nähe. Erst als es Dunkel war wurde nachgeschaut, ob jemand überlebt hatte.
Bei einem Schußwechsel wurde unser Kompanieführer sehr schwer verletzt. Er konnte seine
starken Schmerzen kaum ertragen und flehte mich an, ihn zu erschießen. Ich blieb bei ihm, die
Zeit bis zum Eintreffen der Sanitäter erschien mir endlos. Ich habe nie erfahren, was aus ihm
geworden ist. Das war eines der schlimmsten Erlebnisse als Soldat.
Im Mai 1945 geriet ich in Brünn in tschechische Gefangenschaft. Lange blieben wir nicht dort,
dann wurden wir mit dem Zug über Ungarn, die Ukraine und Kiew nach Stalino, einem Ort
nordwestlich von Odessa, gebracht. Dort mußten wir im Kohlebergbau, bei karger Kost (Kraut
und Graupen) hart arbeiten. Ich war in der Glaserei beschäftigt, wo ich eines Tages mit meinen
Holzschuhen, die wir von den Russen bekommen hatten, von einer Betonkante abrutschte,
stürzte und eine Gehirnerschütterung erlitt. Deshalb wurde ich für einige Zeit OKD
(dienstuntauglich) geschrieben, und konnte ein paar Tage auf der Stube bleiben.
Meinem Freund war bei der Arbeit umgefallen und man brachte ihn in die Stadt ins
Krankenhaus. Als ich später die Ruhr bekam wurde ich ins Lazarett gebracht.
Nachdem ich wieder essen konnte, bekam ich Weißbrotstullen dick mit Butter bestrichen. Die
Butter war in Dosen und kam aus Amerika.
Eines Nachts, ca. 1.00 Uhr, wurden alle OKD geschriebenen und die Kranken in die
Kommandantenbaracke außerhalb des Lagers gebracht.
Wir erfuhren, daß eine Gruppe nach Hause entlassen werden sollte. Eine Liste wurde
vorgelesen aber mein Name und der meines Freundes waren nicht darunter. Mein Freund
Heinz wollte wieder zurück ins Lager gehen und sich hinlegen, aber ich sagte: Wir bleiben
sitzen. Als der Kommandant am nächsten morgen kam, wunderte er sich, daß da noch zwei
Jungen sitzen. Er fragte uns wie alt wir sind. Wir antworteten - auf Russisch - 17 Jahre und der
Kommandant sagte darauf mit einer Handbewegung: „Ab nach Hause, zu Mutter“. Zuerst
wurden wir entlaust und dann ging es mit 3 bereitgestellten Waggons Richtung Heimat. Nach
einigen Wochen, die wir unterwegs waren und der anschließenden Quarantäne kamen wir im
Oktober 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Für ein paar Tage blieb ich noch bei
meinem Freund in Schönfließ. Hier gab es gutes Essen, aber bei mir ist nichts drin geblieben.
Mein Magen hat das gute Essen nicht vertragen.
Ich erfuhr, daß sich meine Eltern in Bresinchen befinden – und machte mich auf den Weg
dorthin. Meine Großeltern väterlicherseits hatten in Bresinchen einen Bauernhof, den die ältere
Schwester meines Vaters bewirtschaftete. Dorthin sind meine Eltern geflüchtet.
Sie haben mich kaum wieder erkannt, so dünn war ich geworden. Mein Vater sagte: „Mensch
Junge, du stolperst ja sogar noch über einen Strohhalm“.
Nach meiner Heirat bewohnte ich mit meiner Frau ein Zimmer in einem Haus in Bresinchen.
Später haben wir gegenüber ein eigenes Haus gebaut.
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17. Zeitzeugenbericht von Herrn Krüger
Am 24.10.1933 wurde ich in Guben im Kastaniengraben 13 geboren. Meine Eltern lebten zur
Miete bei Frau Utzig in einer Kellerwohnung mit Küche und Schlafraum. Mein Vater war als
Schlosser bei der Tuchfabrik Schemel beschäftigt und meine Mutter arbeitete als Hutmacherin
bei der Firma Wilke. Sie arbeitete dort viel mit Quecksilber und als ich geboren wurde hieß es,
„der lebt nicht lange“. So erhielt ich schnell noch vom evangelischen Pfarrer Lehmann die
Nottaufe. Meine Mutter suchte dann mit mir Herrn Schleising, einen Homöopathen in der
Teichbornstraße, auf. Der meinte, „das kriegen wir schon wieder hin“ und ich wurde gesund.
Im Alter von einem Jahr erhielt ich dann die offizielle Taufe in der Stadt- und Hauptkirche.
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Meine Kindheit verlief sorglos und ich mußte nichts entbehren. Wir hatten einen 700 m² großen
Schrebergarten, in dem wir Gemüse und Obst angebauten, welches meine Mutter auch für
den Winter einweckte. Kartoffeln brauchten wir keine kaufen und auch Hühner, Kaninchen und
Enten hielten wir uns. Eingekauft wurde beim Kaufmann Strauß in der Königstraße. Weil man
uns dort kannte, bekamen wir auch Dinge, die es nicht immer gab. Ab und zu bekam ich von
ihm Schokolade.
1940 wurde ich in die Sandschule eingeschult, die ich bis zur 3. Klasse besuchte. Ein Cousin
meines Vaters hatte in der Pförtener Straße ein größeres Einfamilienhaus gebaut. Er bot uns
an, bei ihnen zu wohnen und wir zogen dort ein und kurz darauf, im Januar 1942, wurde meine
kleine Schwester geboren. Mein Vater arbeitete ab 1942 in den Borsig-Werken und wir zogen
nochmals um - in die Sommerfelder Straße. Was er dort gearbeitet hat weiß ich nicht. Darüber
durfte man nicht sprechen. Ab der 4. Klasse besuchte ich die Klosterschule. Als im Herbst
1944 hier ein Lazarett eingerichtet wurde, mußte ich dann in die Osterbergschule.
Unsere Lehrer in der Sandschule waren sehr streng. Es waren meist ausgemusterte
Wehrmachtsangehörige, die als Lehrer eingesetzt wurden. Unser Geschichtslehrer war ein
ehemaliger Flugzeugführer, der bei einem Flugzeugabsturz ein Bein verloren hatte. Unseren
Klassenlehrer Müller werde ich nicht vergessen. Er hatte den „gelben Onkel“ (Rohrstock)
immer dabei und ließ ihn uns auch oft spüren. Die Mädchen bekamen ihn über die Finger und
die Jungen mußten die Hosen runter lassen. Unsere Musiklehrerin war Frl. Galaske. Sie
spielte Geige und benutzte den Geigenstock auch schon mal anderweitig. Wer brummte oder
falsch sang, den bestellte sie zu sich nach Hause in Schemels Weg zur Gesangsstunde. In
den unteren Klassen sangen wir Volkslieder, Heimatlieder, Kirchenlieder und in der
Vorweihnachtszeit Weihnachtslieder, während später, ab der 5. Klasse auch Nazilieder gelernt
werden mußten.
Herr Ringelhahn war unser Klassenlehrer und Religionslehrer in der Klosterschule. Der
Religionsunterricht fand nach der Schule in dem kleinen Häuschen neben der Kirche statt. Wir
versuchten uns immer davor zu drücken und verschwanden unterwegs heimlich, um in der
Neiße ein Bad zu nehmen oder rumzustromern. Aber meistens erwischte uns Herr Ringelhahn
und holte uns zum Unterricht.
Freizeit hatte ich nicht viel zur Verfügung. Ich mußte im bereits erwähnten Garten und in dem
meines Großvaters helfen. Als 1942 meine Schwester geboren wurde, habe ich sie oft
spazieren fahren müssen. Da ich aber meine Freizeit mit den anderen spielend verbringen
wollte, habe ich sie auch mal geärgert, damit sie weint. Meiner Mutter habe ich dann gesagt,
sie hätte Hunger - und so war ich sie los. Einmal landete der Kinderwagen beim Rennen
fahren im Chausseegraben, kippte um und meine Schwester fiel raus. Zu Hause gab es dafür
mit dem Ausklopfer.
Im Alter von 9 Jahren bin ich dem Deutschen Jungvolk beigetreten. Es wurde Werbung
gemacht, daß sie junge Leute suchen, die besondere Interessen haben. Ich interessierte
mich für den Flugmodellbau und konnte dies dort verwirklichen. Meine Eltern waren dagegen
und schimpften mit mir aber ich setzte meinen Kopf durch. Ich gehörte dem Fähnlein 9 an,
in dem Flugzeugmodelle gebastelt wurden - das fand in dem Gebäude statt, wo heute die
Polizei ihren Sitz hat. Das hat mir großen Spaß gemacht, mopste ich doch bei meiner Mutter
die Einweckgummis, damit die Flugzeuge auch durch die Luft sausen konnten.
Ich bekam bei dem DJ ein schwarzes Halstuch mit einem braunen Lederknoten. Offiziell wurde
man mit 10 Jahren in das DJ aufgenommen und dann mußten wir auch zu bestimmten
Anlässen und Staatsfeiertagen, wie Hitlergeburtstag, Tag der Wehrmacht u. ä., Uniform
tragen. Die schwarzen Hosen und das braune Hemd mußten die Eltern kaufen und vom
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Jungvolk erhielt jeder ein Fahrtenmesser. Der Kopf des Messergriffes war wie ein Adler
geformt und in den Griff des Messers war das Zeichen der HJ eingraviert. Bei gutem Verhalten
gab es ein Abzeichen. Es wurden Ausflüge von der DJ und HJ organisiert. Wir sind mal übers
Wochenende, mal für 4 Tage nach Schiedlo gewandert und haben in der dortigen
Jugendherberge übernachtet. Wir lernten dort in Kriegsspielen die Kriegsverhältnisse und das
Soldatendasein kennen. Irgendwann dachte ich mir, irgend etwas stimmt hier nicht und habe
die Uniform nicht mehr getragen. Das zog Repressalien mit sich, unser Sportlehrer an der
Osterbergschule war ein bekennender Nazi und hat uns das mit Schlägen und Tritten spüren
lassen. Bis 1945 war ich Mitglied im DJ. Die Schule wurde dann geschlossen.
1942 wurde mein Vater zur Wehrmacht eingezogen und wurde in Rathenow kaserniert bei
einer Kfz-Nachschubeinheit. Als seine Truppe nach Rußland abkommandiert wurde, erkrankte
mein Vater und so hatte er Glück im Unglück und kam nach seiner Genesung als Kraftfahrer
nach Norwegen. Während der Dienstzeit in Oslo war er bei einem Bauer, der selbst keine
Kinder hatte, untergebracht. Mein Vater war ja gelernter Schlosser und er half auf dem
Bauernhof oft mit. Er verstand sich mit dem Bauer sehr gut und dieser schlug meinem Vater
vor, seine Familie herzuholen.
Nach Kriegsende 1945 geriet er in englische Gefangenschaft, wurde dort gut behandelt und
wurde im Frühjahr 1947 nach Deutschland entlassen. Über Kiel wurde er in ein
Internierungslager nach Frankfurt/Oder in die russische Zone entlassen. Der norwegische
Bauer hatte ihn zuvor noch mit vielen Dingen, wie Eßwaren, Bekleidung u. a. ausgestattet.
Bei der Kontrolle in Frankfurt hatte er Glück und konnte alles behalten.
Nach ca. 4 Wochen Internierungslager kam er dann nach Guben zurück, mußte für 2 bis 3
Monate nach Küstrin Kietz gehen, um dort als Schlosser Panzer zu verschrotteten und begann
dann bei der Firma C. Heinze - Hutmaschinenfabrik mit der Arbeit.
1943 wurde in der Sommerfelder Straße ein Internierungslager angelegt. Es waren 8 oder 10
Baracken. Auf der linken Seite waren Italiener und Franzosen untergebracht. Sie arbeiteten bei
verschiedenen Firmen wie z. B. Wilke, Borsig, Reißner. Nach der Arbeit konnten sie sich
relativ frei bewegen. Auf der rechten Seite waren Russen und Polen, sogar mit Kindern,
eingesperrt und streng bewacht. Sie bekamen wenig zu Essen und täglich sah man
Leichenwagen rausfahren. Wir haben als Kinder manchmal Kartoffeln, Brot oder Birnen aus
Onkels Garten über den Zaun geworfen. Der Onkel schimpfte: Wenn die Wachposten euch
erwischen! - Wurden wir aber nicht.
Es war Mitte Februar 1945, meine Mutter und ihre Schwester waren einkaufen und draußen
wurde es bereits dunkel. Meine Schwester und ich spielten in unserer Wohnung in der
Sommerfelder Straße, sie mit ihrer Puppenstube und ich hatte eine Burg mit Lineolsoldaten,
als die erste Stalinorgel über unser Haus hinweg schoß und in ein Haus in der Pförtener
Straße einschlug. Meine Mutter kam ganz aufgeregt nach Hause gelaufen und war froh, daß
uns nichts passiert war. Ich lief, neugierig wie ich war, das in Trümmer gelegte Haus
angucken. Am nächsten Tag beschloß meine Mutter, unsere Sachen zu vergraben.
Der Keller dieses Hauses sollte zum Luftschutzbunker ausgebaut werden, wozu es aber nicht
mehr kam. So lag seit einiger Zeit ein großer Kieshaufen dort. In eine große Regentonne, die
wir schon vorher aus unserem Garten geholt haben, packte meine Mutter eingewecktes
Fleisch und Obst ein. Dafür hatten wir einige Tiere, die wir noch aus dem Garten holen
konnten, geschlachtet. Die Tonne wurde dann unter dem Kieshaufen vergraben.
Anfang März kamen SS-Leute zu uns nach Hause und meinten, es ist zu gefährlich, wir
müssen hier raus und sollen mitnehmen, was wir können. In unser Schlafzimmer postierte sich
ein Heckenschütze. Meine Mutter bepackte unseren großen Handwagen mit allem
Notwendigen, was gebraucht wurde - Wäsche, Betten, Papiere usw. Damit zogen wir in die
Dreikreuzstraße zur Tante und blieben dort bis Mitte April. Aber auch hier kam die SS und
meinte: „Jetzt aber raus mit Euch, in zwei Tagen wird die Neißebrücke gesprengt“. Es wurde
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eilig ein Treck zusammengestellt. Dazu gehörten ca. 5 Pferdefuhrwerke und einige
Handwagen. Der Einzige, der nicht zur Flucht zu bewegen war, war Herr Ribbisch. Er blieb mit
seiner Frau und seiner Mutter da. Meine Tante, ihre Tochter, meine Mutter, meine Schwester
und ich reihten uns in den Treck ein. Zum Glück mußten wir unseren großen Handwagen nicht
ziehen, sondern konnten ihn an einen Pferdewagen anbinden. Wir fuhren über die
Königstraße, Stadtschmiedstraße, über die Neißebrücke, die schon zur Sprengung vorbereitet
war, Adolf-Hitler-Straße, Bahnhofstraße, Bahnhofsberg und den Reichenbacher Berg hinauf.
Hier wurden wir noch von der russischen Artillerie beschossen und wir mußten in Deckung
gehen. Getroffen wurde niemand.
An der Kreuzung vor Lübbinchen stand deutsche Artillerie, die gerade anfing, das Gegen-feuer
zu eröffnen. Es gingen uns fast die Pferde durch und die Kutscher hatten Mühe, sie zu halten.
In Pinnow an der alten Schmiede befand sich eine Auffangstelle für Flüchtlinge, wo wir
Verpflegung und Anweisungen, welchen Weg wir nehmen sollen, erhielten. Wir wurden nach
Lieberose geschickt und im Schloß einquartiert. Nachdem wir dort die Nacht ver-brachten,
wurden wir am nächsten Morgen aufgeteilt. Die eine Hälfte des Trecks sollte nach Halbe und
die andere, wozu wir gehörten, sollte über Lübben nach Golßen weiterziehen. In Golßen
angekommen wurden wir auf die Häuser im Ort aufgeteilt. Unsere Familie wurde in einem
Haus untergebracht, in dem polnische Arbeiter wohnten, die in Golßen, in einem Betrieb, der
Militärgeschirr herstellte, arbeiteten. Die Hauseigentümer waren Berliner, sie waren nicht da.
Die Schwester meiner Mutter war bei einem Fleischer untergebracht. Als meine Mutter von
einem Besuch bei ihrer Schwester zurückkehrte, stellte sie fest, daß unsere Geldkassette mit
sämtlichen Papieren, Fotos und Unterlagen gestohlen worden war.
Nach ca. 8 Tagen, als die Russen auch hierher kamen, zogen wir weiter über Sellendorf, in
Richtung Luckenwalde, Jüterbog bis kurz vor Schlenzer. Eine Nacht verbrachten wir im Wald,
weil uns jemand erzählte, daß in Schlenzer die Russen sind. Die weiße Bettwäsche wurde
abgezogen, damit man uns nicht entdeckt. In der Nacht regnete es und alles wurde naß. In der
Nähe hörten wir einen lauten Knall. Am Morgen sahen wir, daß ein russischer Panzer
abgeschossen worden ist. In Schlenzer angekommen, hat uns der Ortsbauernführer in das
Rittergut eingewiesen. Eine alte Frau, die schon über 70 Jahre alt war, bewirtschaftete ganz
allein dieses Gut, denn alle Angehörigen waren im Krieg. Sie hat uns eine Wohnung
zugewiesen. Nach 3 Tagen kamen die Russen. Meine Schwester lief auf dem Hof herum, als
ein Auto vorfuhr und sie ein älterer Russe heranwinkte. Meine Mutter hatte Angst um sie, aber
nach einer Weile kam sie mit einer großen Tüte braunem Zucker zurück. Bis zum Ende des
Krieges blieben wir im Dorf Schlenzer. Weil im Ort die Vergewaltigungen nicht aufhörten ließ
ein russischer Offizier einige seiner eigenen Leute an die Wand stellen.
Um den 12. Mai machten wir uns auf den Heimweg. Die alte Frau gab uns zwei 10 l Tontöpfe,
gefüllt mit Schmalz, mit. Wir waren etwa 3 Tage zu Fuß unterwegs und kamen am 15. 5. in
Guben an. Über eine Notbrücke zwischen der Eisenbahnbrücke Richtung Sommerfeld und der
großen Neißebrücke, in Höhe der Brauerei Gröll, kamen wir in unserer Wohnung in der
Sommerfelder Straße an. Dort war alles in Ordnung und auch unsere vergrabenen Vorräte im
Keller waren noch da. Die Soldaten, die in unserer Wohnung lagen, haben sich gut
benommen. Nur das Loch für die Schießscharte im Schlafzimmer, die sie für den
Heckenschützen rausgeschlagen hatten, war noch vorhanden. Im Garten haben noch ein paar
Hühner überlebt und sogar die Zigarren, die meine Mutter für die Rückkehr meines Vaters
unter dem Bett versteckt hatte, waren noch da. Ich entdeckte sie und habe mit ein paar
Kumpels auf dem Plumpsklo heimlich geraucht. Eine Nachbarin, Frau Erdmann, entdeckte den
Qualm und petzte es meiner Mutter. Ich versteckte mich unter dem Bett, meine Mutter
hinterher. Ich war aber schneller wieder hervorgekommen und lief auf Strümpfen bis zur
Pförtener Straße, Höhe Gartenanlage Busch, vor meiner Mutter weg, die mich mit dem
Ausklopfer verfolgte.
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Die Polen zogen uns Jungen zum Arbeiten heran. Unter Aufsicht mußten wir in der gesamten
Sommerfelder Straße bis Schmachtenhain die Schützengräben zuschippen. Dabei haben wir
oftmals auch Konservendosen mit Lebensmitteln gefunden.
Auf der rechten Seite vor Schmachtenhain haben wir ein großes Massengrab ausgehoben.
Dort sollten wir die gefallenen Soldaten, die wir in den Chausseegräben gefunden haben,
begraben. Wir waren gerade dabei, die ersten beiden Toten aus den Schützengräben, in
Tücher eingehüllt, in dem Massengrab zu beerdigen, als ein polnischer Offizier am 20. 6.
um 9 Uhr zu uns sagte: „Alles stehen und liegen lassen. Ihr müßt hier raus und ihr kommt nie
wieder, es wird polnisches Staatsgebiet.“ Er schickte uns nach Hause.
Meine Mutter hat wieder den Handwagen, den wir schon bei der ersten Flucht benutzt hatten,
zusammengepackt. Der polnische Offizier war human und sie konnte alles, was rein ging
mitnehmen, auch die beiden Schmalztöpfe, die wir von der alten Frau vom Rittergut in
Schlenzer erhielten. Obendrauf kam ein großer Teller mit Plinzen, die meine Mutter gerade
gebacken hatte. Trotz großer Hitze mußte ich meinen Anzug mit den kurzen Hosen, darüber
den Anzug mit den langen Hosen und noch einen Wintermantel anziehen. In der Tasche vom
Wintermantel hatte ich die goldene Uhr meiner Mutter. Der Wintermantel war doppelt
abgefüttert.
Vor der Schützenhausinsel, beim Fotograf Simon, war eine Kontrollstelle eingerichtet. Ich
mußte rein zur Kontrolle. Der Pole griff mir in die Tasche, die Uhr rutschte in das Mantelfutter
und er wurde wütend und beförderte mich mit einem Fußtritt nach draußen. Ich suchte nach
meiner Mutter, konnte sie aber nicht sehen. Sie hatte die Plinze an die Kinder verteilt und der
polnische Posten fragten sie, ob das alles ihre Kinder seien. Sie bejahte dies und konnte ohne
Kontrolle über die Brücke gehen. Wir sind dann beim Tischler Ploke in der Sprucker Straße
gelandet.
Ab 1. Oktober 1945 ging ich wieder zur Schule in das Pestalozzigymnasium und ab 1948
erlernte ich den Beruf eines Modelltischlers bei der Firma Heinze (später Textima) in der
Uferstraße.
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