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Menschen oder Märkte - amnesty international Deutschland ...

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<strong>Menschen</strong> <strong>oder</strong> <strong>Märkte</strong><br />

Der Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel war am 13. Mai zu Gast bei <strong>amnesty</strong><br />

<strong>international</strong>. Die Backnanger ai-Gruppe hatte zu einer Diskussionsveranstaltung<br />

zum Thema „<strong>Menschen</strong> <strong>oder</strong> <strong>Märkte</strong> - Außenpolitik und <strong>Menschen</strong>rechte“ eingela-<br />

den. Ellinor Baumann vom Vorstand <strong>amnesty</strong> <strong>international</strong>s bot dem Minister unter<br />

der M<strong>oder</strong>ation von Wieland Backes vom SDR Paroli.<br />

In seiner knapp 25minütigen Rede zu Beginn der Veranstaltung durchschritt der Außenminister das<br />

weit gesteckte Feld des angekündigten Themas. Voll des Lobs für unsere Organisation - er bezeich-<br />

nete <strong>amnesty</strong> als eine Art kollektives Weltgewissen - wies er auf die besondere Verantwortung der<br />

Deutschen zu Bekämpfung von <strong>Menschen</strong>rechtsverletzungen hin. Diese Verpflichtung sei ein Resultat<br />

unserer Vergangenheit, nicht nur der NS-Zeit, sondern auch der Teilung <strong>Deutschland</strong>s. Mit dem<br />

Hinweis auf Solingen und Mölln verschwieg er nicht, daß es auch im eigenen Land ein <strong>Menschen</strong>-<br />

rechtsproblem gibt.<br />

Wandel durch Handel ?<br />

Heftig widersprach Kinkel der These des Veranstaltungstitels. Nicht <strong>Menschen</strong> <strong>oder</strong> <strong>Märkte</strong> müsse es<br />

heißen, sondern <strong>Menschen</strong> und <strong>Märkte</strong>. Seiner Erfahrung nach bringe die wirtschaftliche Öffnung<br />

eines Staates zwangsläufig auch die politische Liberalisierung mit sich. Lateinamerika sei hierfür ein<br />

Beispiel. Auch hätten ihn Dissidenten immer wieder gebeten, die wirtschaftlichen Beziehungen zu<br />

ihrem Land nicht aufs Spiel zu setzen. Dies schade nur der Bevölkerung, nicht aber den Machthabern..<br />

Ellinor Baumann widersprach dem Minister ausdrücklich in ihrer Entgegnung im Anschluß an seine<br />

Rede. Es könne durchaus sein, daß es hier und da durch die wirtschaftliche Öffnung auch Ver-<br />

besserungen in anderen Bereichen gegeben habe, allerdings gebe es dafür keinerlei Automatismus. In<br />

China habe das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens trotz der wirtschaftlichen Öffnung<br />

des Landes stattgefunden. Seit 1994 gebe es in China ein neues Repressionsprogramm, gerade weil<br />

die chinesische Führung die drohende politische Öffnung nicht wünscht. Das gleiche gelte für<br />

Indonesien, wo Opposition unterdrückt werde, und wo vor allem Gewerkschafter politischer Verfolgung<br />

ausgesetzt seien.<br />

Kinkel vertrat die Meinung, daß es möglich sei, auch in guten Beziehungen <strong>Menschen</strong>rechte einzu-<br />

fordern. Dies zeige das Verhältnis <strong>Deutschland</strong>s zur Türkei. Ellinor Baumann lobte die jüngste Mission<br />

des Außenministers, hinterfragte aber gleichzeitig, weshalb die Kritik in den vorangegangenen Jahren<br />

weitgehend ausgeblieben sei. Sie äußerte die Vermutung, daß konservative EU-Parteispitzen meinten,<br />

die Türkei eigne sich nicht für einen EU-Beitritt und daß Kritik an der türkischen <strong>Menschen</strong>rechtspolitik<br />

deshalb wohl wieder möglich geworden ist.


Die präventive <strong>Menschen</strong>rechtspolitik, da waren sich die Diskutanten einig, sei ein elementarer Be-<br />

standteil der <strong>Menschen</strong>rechtsarbeit. Kinkel verwies in diesem Zusammenhang auf die UN-Resolution<br />

zur Ächtung der Folter. Ellinor Baumann kritisierte hingegen, daß die Bundesregierung den wichtigen<br />

Schritt der Einführung einer <strong>Menschen</strong>rechtsklausel in das Kriegswaffenkontrollgesetz, wie dies am-<br />

nesty seit Jahren fordere, immer noch nicht vollzogen habe.<br />

Dialog der Kulturen<br />

Außenminister Kinkel ging ausführlich auf die Frage der Universalität der <strong>Menschen</strong>rechte ein. Diese<br />

könne aufgrund kultureller Unterschiede nicht angefochten werden, ein Mindestbestand an Achtung<br />

der <strong>Menschen</strong>rechte sei von allen Staaten einzufordern. Man dürfe jedoch nicht versuchen, anderen<br />

Ländern die westliche Weltanschauung überzustülpen. In diesem Zusammenhang betonte er die un-<br />

terschiedliche Definition von <strong>Menschen</strong>rechten in den verschiedenen Kulturkreisen. Die <strong>Menschen</strong>-<br />

rechtsidee müsse in einem „Dialog der Kulturen“ den <strong>Menschen</strong> eingepflanzt werden. <strong>Menschen</strong>rechte<br />

und Demokratie bezeichnete er als „globales Leitbild“ und verwies in diesem Zusammenhang auf die<br />

Weltmenschenrechtskonferenz von Wien. Kinkel gestand zu, daß noch viel Arbeit notwendig sei, bis<br />

die Forderungen der Abschlußerklärung erfüllt seien. Als positives Signal bewertete Kinkel die Absicht<br />

Chinas, bis Ende 1997 dem sozialen Pakt beizutreten.<br />

Ellinor Baumann ließ nicht zu, daß die „<strong>Menschen</strong>rechte nach der Kultur relativiert werden“ und sprach<br />

von der Unteilbarkeit der <strong>Menschen</strong>rechte. Überall auf der Erde gebe es <strong>Menschen</strong>rechtsor-<br />

ganisationen, die die <strong>international</strong>en <strong>Menschen</strong>rechtsstandards mittrügen. Nicht zuletzt würde dies<br />

auch durch die Tatsache bewiesen, daß <strong>amnesty</strong> in allen Kulturkreisen vertreten ist.<br />

Kinkel forderte starke Vereinte Nationen mit besserer finanzieller Ausstattung. Außerdem müßten<br />

regionale Organisationen, wie z.B. die Vereinigung afrikanischer Staaten, mehr Verantwortung, etwa<br />

durch die Schaffung von <strong>Menschen</strong>rechtszentren übernehmen. Ellinor Baumann hielt ihm entgegen,<br />

daß die Bundesregierung mit ihrer Verweigerung zur Unterzeichnung einer EU-Resolution gegen<br />

China nicht nur die Europäische Union, sondern auch die Vereinten Nationen geschwächt habe.<br />

Gegen Ende seiner Rede ging der Außenminister auf die <strong>Menschen</strong>rechtsverletzungen an Kindern und<br />

Frauen ein und nannte in diesem Zusammenhang vor allem den sexuellen Mißbrauch von Kindern.<br />

Jährlich werden 500 Millionen Mark mit Kinderpornographie umgesetzt. 400.000 Fälle gibt es im<br />

privaten und im Freizeitbereich.<br />

Ellinor Baumann, die im Vorstand der deutschen Sektion u.a. für die Frauenrechte zuständig ist, fragte,<br />

warum die Bundesregierung Vorbehalte hat gegen das Zusatzprotokoll zur Frauenkonvention, das die<br />

Möglichkeit zur Individualbeschwerde vorsieht.


Das Mykonos Urteil: Ein staatlicher Mord unter vielen ?<br />

Der M<strong>oder</strong>ator Wieland Backes fragte in der anschließenden Diskussion, ob die <strong>Menschen</strong>rechte vor<br />

dem Hintergrund aktueller innenpolitischer Probleme in den Augen der Bürger nicht zu schnell an<br />

Bedeutung verlieren. Dabei bezog er sich auf das Mykonos Attentat in Berlin. Kinkel rechtfertigte noch<br />

einmal seine Haltung in der Frage der Rückkehr der Botschafter der Europäischen Union. Er habe sich<br />

in dieser Frage dem europäischen Konsens untergeordnet, was ihm sehr schwer gefallen sei. Ellinor<br />

Baumann mochte dem Attentat nicht den herausragenden Stellenwert einräumen, den es in der<br />

Öffentlichkeit hatte. Es reihe sich ein in die Serie von <strong>Menschen</strong>rechtsverletzungen, die vom Iran<br />

verübt würden. Es zeige, wie weit der Arm dieses Unrechtsregimes reiche. Dies alles sei der<br />

Bundesregierung bekannt gewesen. Der kritische Dialog habe offensichtlich zu keinem Resultat ge-<br />

führt.<br />

Dieser sei nicht seine Erfindung gewesen, wehrte sich der Außenminister. Vielmehr sei er eine Idee<br />

der europäischen Regierungschefs, die 1992 entstanden sei. Kinkel stellte sich hinter den kritischen<br />

Dialog, vor dessen Abbruch er warnte. Die Länder, die die diplomatischen Beziehungen zu Iran ab-<br />

gebrochen hätten - er nannte die USA und Israel - hätten in <strong>Menschen</strong>rechtsfragen weit weniger er-<br />

reicht als die Bundesrepublik. Im Gegenteil, wenn Probleme aufgetreten seien, seien sie zu ihm ge-<br />

kommen und hätten um Hilfe gebeten.<br />

Rückführung um jeden Preis ?<br />

In der Frage der Rückführung bosnischer Flüchtlinge waren Außenminister Kinkel und Ellinor Bau-<br />

mann weitgehend einer Meinung. Eine Rückführung könne nur dann erfolgen, wenn Akzeptanz vor-<br />

handen sei. Diese zu erzeugen sei angesichts von 900000 Flüchtlingen in Bosnien selbst und einer<br />

enorm hohen Arbeitslosigkeit keine leichte Aufgabe. Der UNHCR habe aber 39 sichere Gebiete aus-<br />

gewiesen, von denen man prüfen werde, ob Flüchtlinge dorthin zurückgeführt werden könnten. Frau<br />

Baumann betonte, daß insbesondere ethnisch gemischte Gruppen und Kriegsdienstverweigerer neue<br />

Gefahren fürchten müßten. Auch sei die Rückführung von <strong>Menschen</strong>, die schon vor ihrer Flucht<br />

<strong>Menschen</strong>rechtsverletzungen ausgesetzt gewesen seien, besonders problematisch.<br />

Zweierlei Maß in der <strong>Menschen</strong>rechtspolitk ?<br />

Wieland Backes bezog sich auf die von der Bundesregierung unterstützte weltweite Kampagne zur<br />

Abschaffung der Todesstrafe und auf die Todesstrafenpraxis der USA, als er Kinkel nach den zweier-<br />

lei Maßstäben in seiner <strong>Menschen</strong>rechtspolitk befragte. Kinkel verteidigte sich, er spreche das Thema<br />

Todesstrafe regelmäßig bei seinen amerikanischen Freunden an. Sie seien aber nun mal anderer<br />

Meinung.<br />

Es gebe unterschiedliche Maßstäbe, gab der Außenminister zu. Ein wichtiges und großes Land wie<br />

China könne sich andere Dinge leisten als ein kleines Land wie etwa Myanmar. Ellinor Baumann ließ


dies nicht zu. Ihrer Überzeugung nach wird <strong>Menschen</strong>rechtspolitk unglaubwürdig, wenn mit unter-<br />

schiedlichen und länderbezogenen Maßstäben gemessen werde. Auch hierfür sei China ein gutes<br />

Beispiel: Die Chinapolitik der Bundesregierung habe nichts bewirkt. Vor der Weltfrauenkonferenz habe<br />

es dort eine Hinrichtungswelle gegeben, angeblich um die Straßen von kriminellen Elementen zu<br />

säubern. Dabei habe die chinesische Führung sehr wohl gewußt, daß sie den Konferenzteilnehmern,<br />

unter ihnen viele NGOs, damit vor den Kopf stoßen würde.<br />

Gegen Ende kam die Diskussion noch einmal auf das Thema der Veranstaltung zurück. Ein Zuhörer<br />

bat den Außenminister um die Begründung, warum die Bundesregierung die Chinaresolution der<br />

Europäischen Union nicht mitgetragen hat. Kinkel erklärte hierzu, daß nach dem Ausscheren Frank-<br />

reichs ein Konsens nicht mehr zu finden gewesen sei. Auch habe er die Interessen der deutschen<br />

Wirtschaft in China zu berücksichtigen gehabt. Die chinesische Führung mache keinen Hehl daraus,<br />

daß sie Aufträge für die deutsche Industrie auch abhängig macht vom Verhalten der Politik in Men-<br />

schenrechtsfragen. Kinkel schilderte, welch enormen Druck Wirtschaftsvertreter auf ihn ausüben,<br />

wenn Wirtschaftsinteressen der Forderung nach Einhaltung der <strong>Menschen</strong>rechte gegenüberstehen.<br />

Juni 1997<br />

Amnesty International, Gruppe 1245 Backnang<br />

c/o Herbert Leuwer, Lichtensteinstraße 48, 71522 Backnang

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