Schmerztherapie 2 2008 Sparen wir unsere Schmerzpatienten zu ...
Schmerztherapie 2 2008 Sparen wir unsere Schmerzpatienten zu ...
Schmerztherapie 2 2008 Sparen wir unsere Schmerzpatienten zu ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SCHMERZTHERAPIE<br />
Deutsche Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong> e. V. – DGS<br />
24. Jahrgang <strong>2008</strong> Ehemals StK<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
<strong>Sparen</strong> <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Schmerz-<br />
patienten <strong>zu</strong> Tode? ........................ 2<br />
Frankfurter Expertenkonsensus .... 3<br />
Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />
<strong>Schmerztherapie</strong> zwischen<br />
Wissenschaft, Politik und<br />
Ökonomie ..................................... 4<br />
Der Deutsche Schmerzpreis <strong>2008</strong><br />
Genetische Faktoren in der<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> ........................... 8<br />
Palliativmedizin statt aktiver<br />
Sterbehilfe ..................................... 9<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Symptomkontrolle in der<br />
Palliativmedizin ............................ 12<br />
SCHMERZTHERAPIE<br />
Internationale Presse ................ 17<br />
Serie Rückenschmerzen<br />
Grundzüge der manuellen<br />
Diagnostik und Therapie ............. 18<br />
Praxismanagement<br />
Biofeedback als IGeL-Leistung ... 21<br />
Medizin und Recht<br />
Fragen aus der schmerzthera-<br />
peutischen Vertragsarztpraxis ..... 22<br />
DGS-Veranstaltungen/Interna .. 24<br />
Pharmakotherapie<br />
Mit sublingualem Fentanyl gegen<br />
Durchbruchschmerzen ................ 25<br />
Bücherecke ................................ 26<br />
Kasuistik<br />
Oberbauchschmerzen ................. 27<br />
www.dgschmerztherapie.de<br />
ISSN 1613-9968<br />
2I<strong>2008</strong><br />
Frankfurter Resolution<br />
gegen riskante Sparpolitik
Editorial<br />
<strong>Sparen</strong> <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Schmerz-<br />
patienten <strong>zu</strong> Tode?<br />
Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Der Apotheker soll’s richten, der Arzt soll allenfalls den<br />
Sündenbock abgeben. Dies ist die Quintessenz des Rahmenvertrags zwischen den Spitzenverbänden<br />
der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband gemäß § 1 9<br />
SGB V Absatz . Hiernach muss der Apotheker seit 1. April 008 jedes <strong>zu</strong>lasten der GKV<br />
verordnete Medikament gegen das für die jeweilige Kasse rabattierte umtauschen bzw.<br />
eines der drei preisgünstigsten Generika abgeben, wenn das rabattierte nicht vorrätig ist.<br />
S pätestens<br />
seit Michael Überalls Übersichtsarbeit<br />
„Einerlei oder zweierlei? –<br />
Generika und Originalprodukt in der Therapie“<br />
(SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2008</strong>, S. 4–6) wissen<br />
Sie, dass zwei Präparate mit gleichem<br />
Wirkstoff und gleicher Wirkstoffmenge bei<br />
einem Patienten keineswegs die gleiche Wirkung<br />
entfalten. Verantwortlich hierfür sind<br />
unterschiedliche Freiset<strong>zu</strong>ngscharakteristika<br />
wie auch ein <strong>zu</strong>lässiger Äquivalenzkorridor<br />
zwischen Original und Generikum, der zwischen<br />
80 und 125% liegen darf. Bei manchen<br />
Substanzen mag diese mögliche Varianz eine<br />
untergeordnete Rolle spielen, bei stark <strong>wir</strong>ksamen<br />
Schmerzmitteln könnte sie katastrophale<br />
Aus<strong>wir</strong>kungen auf die Therapie von<br />
<strong>Schmerzpatienten</strong> haben.<br />
Patienten, die oft nach langer Titrationsphase<br />
mit verschiedenen Medikamenten schließlich<br />
gut eingestellt sind, werden ausschließlich<br />
aus ökonomischen Gründen auf andere – rabattierte<br />
– Präparate umgestellt und beklagen<br />
bei schnellerer Anflutung Überdosierungserscheinungen<br />
oder auch kürzere Retardierung<br />
mit Ent<strong>zu</strong>gserscheinungen am Ende der Dosis.<br />
Besonders gravierend <strong>wir</strong>d dies beim Wechsel<br />
von einem Generikum auf ein anderes. Völlig<br />
undurchsichtig <strong>wir</strong>d es für Patienten vollends,<br />
wenn sie die Krankenkasse wechseln oder ihre<br />
Krankenkasse den Rabattvertragspartner wechselt.<br />
Denn dies bedeutet wieder einen Wechsel<br />
des Präparats.<br />
Opioidtherapie durch den<br />
Apotheker?<br />
Waren <strong>wir</strong> bisher der Ansicht, dass die Einstellung<br />
mit Opioiden einer besonderen Sorgfalt<br />
und engmaschigen Überwachung bedarf, so<br />
werden <strong>wir</strong> jetzt eines Besseren belehrt. Nach<br />
den aktuellen konkretisierten Richtlinien des<br />
Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte<br />
(BfArM) werden alle diesbezüglichen<br />
Bedenken weggewischt. So gilt für die Austauschbarkeit<br />
generischer transdermaler Pflaster,<br />
dass allein die Dosisstärke eines Pflasters,<br />
also die pro Zeiteinheit freigesetzte Menge,<br />
ausschlaggebend ist und nicht die Gesamtmenge<br />
an enthaltenem Wirkstoff. Auch der<br />
Austausch eines Reservoirpflasters gegen ein<br />
Matrixpflaster oder umgekehrt mit der gleichen<br />
Freiset<strong>zu</strong>ngsrate ist deshalb möglich.<br />
Da die verschiedenen Pflaster sich hinsichtlich<br />
ihrer Substanzbeladung gravierend<br />
voneinander unterscheiden, kann es vorkommen,<br />
dass durch den Austausch die nach<br />
der BtMVV <strong>zu</strong>lässige Gesamtmenge an Betäubungsmitteln<br />
durch eine Verordnung überschritten<br />
<strong>wir</strong>d. Hier soll der Apotheker einfach<br />
nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt<br />
auf dem BTM-Rezept das große A anbringen.<br />
Nach Ansicht des BfArM <strong>wir</strong>d die lückenlose<br />
Dokumentation dadurch gewährleistet, dass<br />
der Apotheker auf Teil 2 des BTM-Rezepts die<br />
Pharmazentralnummer <strong>zu</strong>r Abrechnung angibt.<br />
Deshalb besteht laut BfArM keine Verpflichtung<br />
des Apothekers, den verschreibenden Arzt<br />
über die erfolgte Belieferung des Rabatt-BTMs<br />
<strong>zu</strong> informieren, ohne die gesetzlich geforderte<br />
lückenlose Dokumentation (§§ 13 und 14 Bt-<br />
MVV) <strong>zu</strong> gefährden. Ausdrücklich bestätigt<br />
das BfArM als verlängerter Arm des Bundesgesundheitsministeriums<br />
damit, dass der<br />
verordnende Arzt noch nicht einmal über das<br />
tatsächlich abgegebene Medikament informiert<br />
werden muss, obwohl er hierfür haftet.<br />
Gerhard H. H. Müller-<br />
Schwefe, Göppingen<br />
Patienten werden gefährdet!<br />
Nach einem Monat Versorgungsrealität unter<br />
diesen Bedingungen zeichnet sich klar ab,<br />
dass immer wieder durch Fehlabgaben Patienten<br />
in Lebensgefahr kommen. So werden<br />
retardierte gegen nicht retardierte Opioide<br />
ausgetauscht, 24-Stunden retardierte Opioide<br />
werden gegen 12-Stunden retardierte Opioide<br />
ausgetauscht mit massiven kurzfristigen<br />
Überdosierungserscheinungen, mit Atemdepression<br />
und nächtlicher Apnoe. Sie als verordnender<br />
Arzt dürfen dann nächtens <strong>zu</strong>m<br />
Notfall eilen oder auch vor dem Kadi Rede<br />
und Antwort stehen für eine Verordnung, deren<br />
Umset<strong>zu</strong>ng Sie nicht in der Hand hatten.<br />
Kein Zuckerbrot – nur Peitsche<br />
Nun kann natürlich sofort entgegnet werden,<br />
durch Ankreuzen von „Aut Idem“ auf dem<br />
BTM-Rezept kann jeder Arzt einen Austausch<br />
entsprechend den Rabattverträgen verhindern.<br />
Diese Argumentation ist an Scheinheiligkeit<br />
kaum <strong>zu</strong> überbieten, zeigen doch die<br />
Arzneimittelregressverfahren des Jahres<br />
2005, wie Ärzte, die eine differenzierte Opioidtherapie<br />
betreiben, eingeschüchtert und in<br />
Regress genommen werden. Der Wechsel auf<br />
ein substanzgleiches Präparat mit anderer<br />
Galenik und Kinetik ist – was Risiken und<br />
Sorgfalt betrifft – einer Neueinstellung gleich<strong>zu</strong>setzen.<br />
Opioidwechsel ist Neueinstellung<br />
Keineswegs bedeutet dies, dass Patienten<br />
nicht mit Generika eingestellt werden können.<br />
Gefahr droht jedoch beim – ausschließlich<br />
ökonomisch begründeten – Wechsel von Opioiden,<br />
der noch ohne Wissen und Begleitung<br />
des Arztes vorgenommen <strong>wir</strong>d.<br />
Mit dem Ziel, Gesundheitspolitiker wach <strong>zu</strong><br />
rütteln und auch alle praktisch tätigen Kolleginnen<br />
und Kollegen <strong>zu</strong> informieren, hat deshalb<br />
auf dem Deutschen Schmerztag <strong>2008</strong><br />
eine Expertenkommission einen Konsensus<br />
<strong>zu</strong>r qualitätsgesicherten Opioidversorgung von<br />
GKV-versicherten <strong>Schmerzpatienten</strong> erarbeitet<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
und veröffentlicht (s. u.). Bitte wehren Sie sich<br />
mit aller Vehemenz dagegen, Haftungsrisiken<br />
aufgezwungen <strong>zu</strong> bekommen für Therapien,<br />
die Sie nicht beeinflussen können. Angesichts<br />
der heraufziehenden nächsten Bundestagswahl<br />
eignet sich dieses Thema hervorragend <strong>zu</strong>r Kontaktaufnahme<br />
mit Ihrem Abgeordneten.<br />
Qualifizierte <strong>Schmerztherapie</strong> bleibt<br />
ärztliche Aufgabe<br />
Gerade weil qualifizierte und differenzierte<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> eine ärztliche Aufgabe ist<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
und bleiben muss, ist die schmerzthera-<br />
peutische Fort- und Weiterbildung für jeden<br />
Arzt so wichtig.<br />
Mehr als 2500 Kolleginnen und Kollegen<br />
haben deshalb am Deutschen Schmerz-<br />
und Palliativtag <strong>2008</strong> in Frankfurt am Main<br />
die Chance wahrgenommen, die aktuellsten<br />
Konzepte der Schmerzforschung wie auch<br />
Neuentwicklungen in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
kennen<strong>zu</strong>lernen. Einige der Themen finden<br />
Sie in dem vorliegenden Heft der SCHMERZ-<br />
THERAPIE.<br />
Editorial<br />
Ich wünsche Ihnen beim Lesen viel Freude<br />
und für Ihre tägliche Arbeit praktische Erkenntnisse<br />
und grüße Sie herzlich. ❏<br />
Ihr<br />
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />
Präsident, Deutsche Gesellschaft für<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> e. V.<br />
Expertenkonsensus <strong>zu</strong>r qualitätsgesicherten Opioidversorgung<br />
von GKV-versicherten <strong>Schmerzpatienten</strong><br />
Erarbeitet am Deutschen Schmerz- und Palliativtag 008 in Frankfurt/Main<br />
am 5. März 008. Vorsitz: Gerhard H.H. Müller-Schwefe. Von Peter<br />
Ahrens, Verden; Hans-Joachim Balzat, Herdecke; Johannes Horlemann,<br />
Kevelaer; Uwe Junker, Remscheid; Harry Kletzko, Oberursel; Michael Küster,<br />
Bonn-Bad-Godesberg; Gerd Mikus, Heidelberg; Gerhard H.H.<br />
Müller-Schwefe, Göppingen; Thomas Nolte, Wiesbaden; Harald G.<br />
Schweim, Bonn; Hans-Bernd Sittig, Geesthacht; Michael Überall, Nürnberg<br />
Präambel<br />
Das Grundgesetz garantiert als höchstes<br />
Rechtsgut das Recht auf Leben und körperliche<br />
Unversehrtheit (Grundgesetz Art. 2 (2).<br />
In Ausübung seines Berufes ist der Arzt für<br />
seinen Patienten Sachwalter dieses Rechtsgutes,<br />
das höherwertiger ist als andere Gesetzgebung<br />
wie z.B. die Sozialgesetzgebung.<br />
Darüber hinaus garantiert § 2 SGB V jedem<br />
gesetzlich Versicherten Arzneimittel, die dem<br />
Erfordernis der Wirksamkeit und Qualität entsprechen<br />
und den medizinischen Fortschritt<br />
berücksichtigen. Der Anspruch umfasst die<br />
Versorgung nach den Regeln der ärztlichen<br />
Kunst auf der Grundlage des allgemein anerkannten<br />
Standes der medizinischen Erkenntnisse.<br />
Diese muss ausreichend, zweckmäßig<br />
und <strong>wir</strong>tschaftlich sein.<br />
Durch im Rahmen des SGB V veranlasste<br />
gesetzgeberische Maßnahmen und Vereinbarungen<br />
wie dem Rahmenvertrag über die<br />
Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2<br />
SGB V in der Fassung vom 17. Januar <strong>2008</strong><br />
zwischen den Spitzenverbänden der Kran-<br />
[1] Überall, M.A. ( 008): Querschnittsbefragung<br />
<strong>zu</strong> den psychosozialen Folgen einer Umstellung<br />
von Originalpräparaten auf Generika bei chronisch<br />
schmerzkranken Menschen im Rahmen einer<br />
stabilen/<strong>zu</strong>friedenstellenden Behandlungs-<br />
situation. Deutsche Schmerzliga.<br />
kenkassen und dem Deutschen Apothekerverband<br />
e.V. wie auch durch das Arzneimittelversorgungs<strong>wir</strong>tschaftlichkeitsgesetz<br />
(AVWG)<br />
sowie das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />
<strong>wir</strong>d dieses höchste Rechtsgut in eklatanter<br />
Weise verletzt.<br />
Jeder Austausch von Betäubungsmitteln<br />
innerhalb einer Substanz oder unterschiedlicher<br />
Substanzen untereinander erzeugt für<br />
den Patienten neue vom Arzt <strong>zu</strong> begleitende<br />
Risiken, die in ihren Anforderungen einer<br />
Neueinstellung entsprechen. Diese Haftung<br />
kann nicht auf den Apotheker übergehen,<br />
selbst wenn der Apotheker ein dem Arzt nicht<br />
bekanntes Produkt abgibt, z.B. im Rahmen<br />
von ökonomischen Einsparpflichten. Die Haftung<br />
verbleibt beim Arzt.<br />
Selbst bei gleicher Substanz und Substanzmenge<br />
unterschiedlicher Präparate bestehen<br />
für den Patienten spürbare Unterschiede<br />
hinsichtlich der Kinetik und Bioverfügbarkeit.<br />
Die klinische Relevanz dieser Unterschiede<br />
<strong>wir</strong>d durch die weltweit erste und einzige Untersuchung<br />
<strong>zu</strong>r Aus<strong>wir</strong>kung von Umstellungen<br />
von WHO-Stufe-III-Opioiden an über 424 Patienten<br />
eindrucksvoll belegt [1]. In dieser Studie<br />
war für 85% der Patienten die Umstellung<br />
mit einer signifikanten Schmerz<strong>zu</strong>nahme und<br />
gravierenden Beeinträchtigung der Lebensqualität<br />
verbunden.<br />
Im Gegensatz da<strong>zu</strong> ist die immer wieder auf-<br />
gestellte Behauptung, eine Umstellung<br />
auf <strong>wir</strong>kstoffgleiche Medikamente<br />
sei problemlos, in<br />
keiner einzigen Untersuchung<br />
belegt.<br />
Basierend auf den vorstehenden<br />
Fakten sowie den klinischen Erfahrungen<br />
der unterzeichnenden Experten stellen <strong>wir</strong> die<br />
folgenden Forderungen:<br />
1. Opioide der WHO-Stufe III (<strong>zu</strong>r Therapie<br />
starker Schmerzen) dürfen nicht aus ökonomischen<br />
Gründen einer Austauschpflicht entsprechend<br />
des Rahmenvertrages zwischen<br />
den Spitzenverbänden der Krankenkassen<br />
und dem Deutschen Apothekerverband e.V.<br />
nach § 129 Absatz 2 SGB V unterliegen.<br />
2. Eine Verpflichtung <strong>zu</strong>r Umstellung von Stufe-III-Opioiden<br />
auf Morphin ausschließlich<br />
aus ökonomischen Gründen ist unter wissenschaftlichen<br />
und ethischen Gesichtspunkten<br />
nicht vertretbar. Opioide unterscheiden sich<br />
wesentlich voneinander hinsichtlich<br />
■ unterschiedlicher Rezeptorspezifität,<br />
■ unterschiedlichem Metabolismus abhängig<br />
von Leber- und Nierenfunktion der Patienten,<br />
■ der Relevanz aktiver Metaboliten (Morphin),<br />
■ der genetisch determinierten Opioidrezeptorenausstattung,<br />
■ der genetisch determinierten Polymorphismen<br />
der Metabolisierung,<br />
■ der immunsuppressiven Wirkungen (ausschließlich<br />
Morphin).<br />
Auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen<br />
Fakten sowie der konsentierten Expertenmeinung<br />
lehnen die Unterzeichner<br />
den Zwang <strong>zu</strong>m ausschließlich ökonomisch<br />
begründeten Austausch innerhalb einer Substanz<br />
wie auch von anderen WHO-Stufe-III-<br />
Opioiden gegen Morphin ab. ❏
Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />
<strong>Schmerztherapie</strong> zwischen Wissenschaft,<br />
Ökonomie und Politik<br />
Mit über 2000 Teilnehmern war der 19. Schmerz- und Palliativtag, bei<br />
dem die topaktuellen wissenschaftlichen Trends in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
vorgestellt wurden, ein voller Erfolg. Vielfach sind diese Innovationen aber<br />
für den Patienten aufgrund der aktuellen Gesundheitspolitik nicht mehr<br />
erreichbar, da den verordnenden Ärzten Regresse drohen oder von Apothekern<br />
andere Medikamente abgegeben werden. Moderne multimodale<br />
Therapiekonzepte rechnen sich langfristig für die Gesellschaft, die Vorteile<br />
der neben<strong>wir</strong>kungsärmeren modernen Substanzen sollten daher auch nicht<br />
durch eine kontraproduktive Sparpolitik wieder infrage gestellt werden,<br />
forderten die Experten unisono.<br />
Abkehr vom WHO-Stufenschema<br />
Das vor 22 Jahren von der WHO eingeführte<br />
Stufenschema der medikamentösen <strong>Schmerztherapie</strong><br />
mit den peripher <strong>wir</strong>ksamen, entzündungshemmenden<br />
Analgetika (NSAR und<br />
Coxibe auf Stufe 1), den schwach <strong>wir</strong>ksamen<br />
Opioiden wie Tramadol und Tilidin auf Stufe 2<br />
und den stark <strong>wir</strong>ksamen Opioiden (Stufe 3)<br />
ist nicht <strong>zu</strong>letzt aufgrund der hohen Toxizität<br />
der Stufe 1 längst überholt und mehr ein<br />
Hemmschuh, denn eine Richtlinie für eine<br />
zeitgemäße <strong>Schmerztherapie</strong>, kritisierte Dr.<br />
med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen.<br />
Die klassischen NSAR besitzen neben<br />
einem hohen gastrointestinalen Risiko besonders<br />
in der Langzeittherapie ein kardiovaskuläres<br />
Risiko. Letzteres Manko haben auch die<br />
neueren Coxibe. Cox-Hemmer scheiden aufgrund<br />
dieser Einschränkungen für chronisch<br />
Schmerzkranke als Einstieg oder Basismedikation<br />
bei einer Dauermedikation aus.<br />
Eine moderne <strong>Schmerztherapie</strong> erfordert<br />
eine gezielte Substanzwahl in Abhängigkeit<br />
von den Entstehungsmechanismen<br />
des Schmerzes. Beim chronischen Rückenschmerz<br />
findet sich z. B. häufig eine erhöhte<br />
muskuläre Spannung. So konnte der Göppinger<br />
Algesiologe in einer prospektiven<br />
doppelblinden randomisierten Studie mit 209<br />
Patienten nachweisen, dass eine Therapie<br />
mit 300 mg Flupirtinmaleat täglich ebenso<br />
analgetisch <strong>wir</strong>ksam ist wie die Therapie mit<br />
dreimal 50 mg Tramadol, aber deutlich besser<br />
verträglich.<br />
Expertenkonsensus verabschiedet<br />
Resolution<br />
Aufgrund der Rabattverträge werden immer<br />
mehr <strong>Schmerzpatienten</strong>, die auf ein modernes<br />
Opioid eingestellt wurden, von ihren Apothekern<br />
eigenmächtig auf billigere Generika<br />
und die Leitsubstanz Morphin umgestellt. Gegen<br />
dieses Vorgehen verabschiedeten die<br />
rund 2000 deutschen Schmerzexperten eine<br />
gemeinsame Resolution (siehe Seite 3): Das<br />
grundgesetzlich garantierte Recht auf Leben<br />
und körperliche Unversehrtheit <strong>wir</strong>d mit diesen<br />
unfachgemäßen Umstellungen in eklatanter<br />
Weise verletzt (Grundgesetz Art. 2).<br />
Nach einhelliger Ansicht aller unterzeichnenden<br />
Schmerzexperten dürfen die modernen<br />
Opioide nicht einer Austauschpflicht durch<br />
den Apotheker aufgrund der Rabattverträge<br />
zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern<br />
unterliegen. In Ausübung seines<br />
Berufes ist der Arzt für seinen Patienten<br />
Sachverwalter dieses Rechtsgutes, das höherwertiger<br />
ist als andere Gesetzgebung wie<br />
z. B. die Sozialgesetzgebung. Diese Haftung<br />
kann nicht auf den Apotheker übergehen,<br />
denn selbst bei gleicher Substanz und Substanzmenge<br />
bestehen für den Patienten oft<br />
spürbare Unterschiede. Die Umstellung von<br />
Stufe-III-Opioiden auf Morphin ausschließlich<br />
Weniger Schmerzen<br />
keine<br />
Schmerzstärke Schmerzen<br />
Arbeit<br />
Allgemeine<br />
Aktivität<br />
Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen<br />
aus ökonomischen Gründen ist aus wissenschaftlichen<br />
und ethischen Gründen nicht<br />
vertretbar, da sich Opioide wesentlich voneinander<br />
unterscheiden.<br />
Fixkombination im Vorteil<br />
Die hohe Wirksamkeit und Verträglichkeit der<br />
Fixkombination von retardiertem Oxycodon<br />
und Naloxon (Targin ® ) bestätigt eine aktuelle<br />
nicht interventionelle Studie an 7836 Patienten,<br />
die Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden,<br />
und Dr. med. H. J. Balzat, Herdecke,<br />
präsentierten. Drei Viertel der Patienten waren<br />
bereits mit Opioiden vorbehandelt, 39%<br />
mit Präparaten der Stufe 2 und 36% mit Opioiden<br />
der Stufe 3. Hauptsächlich litten die<br />
Patienten an Schmerzen des Bewegungsapparats<br />
(überwiegend degenerative Wirbelsäulenerkrankungen),<br />
<strong>zu</strong> geringerem Anteil auch<br />
an neuropathischen Schmerzen oder Tumorschmerzen.<br />
Durch die Umstellung auf die<br />
Abbildung 1: Signifikante Schmerzlinderung und Steigerung der Lebensqualität<br />
durch die Fixkombination aus Oxycodon mit Naloxon, die die Darmfunktion<br />
deutlich bessert.<br />
Grad der Beeinträchtigung<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Mehr Lebensqualität<br />
3,2 5,6<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Eingangstermin<br />
2. Kontrolltermin (nach 4 Wochen)<br />
Gehvermögen Schlaf<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Bowel-Function-Index 100<br />
stärkste<br />
Schmerzen<br />
Darmfunktion<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann
Fixkombination (mittlere Tagesdosis 27,3 mg<br />
Oxycodon) konnte neben der starken Analgesie<br />
die Lebensqualität eindrucksvoll verbessert<br />
werden: Aktivität, Schlaf, Stimmung,<br />
Gehvermögen, Lebensfreude und die sozialen<br />
Beziehungen verbesserten sich (Abb. 1).<br />
Vor dieser Umstellung litt jeder Dritte der mit<br />
Opioiden vorbehandelten Patienten unter Obstipation,<br />
unter der Fixkombination am Ende<br />
der vierwöchigen Therapie nur noch 2,1%.<br />
Für eine effiziente <strong>Schmerztherapie</strong> sind<br />
angepasste individuelle Therapiestrategien<br />
mit gut verträglichen Medikamenten nötig,<br />
Morphin ist nicht mehr der Goldstandard, bestätigte<br />
Nolte. Für eine bestmögliche Lebensqualität<br />
sind vermeidbare Neben<strong>wir</strong>kungen<br />
wie eine Obstipation präventiv an<strong>zu</strong>gehen.<br />
Nur bei der Fixkombination ist die hohe<br />
analgetische Wirksamkeit des Oxycodons<br />
gesichert, ohne dass es <strong>zu</strong>gleich am Darm<br />
<strong>zu</strong> der unerwünschten Obstipation kommt.<br />
Naloxon verdrängt aufgrund seiner höheren<br />
Affinität <strong>zu</strong> den intestinalen Opioidrezeptoren<br />
die Opioid<strong>wir</strong>kung selektiv am Darm. Dies ist<br />
bei chronisch Schmerzkranken ein wertvoller<br />
Vorteil. Denn trotz Laxanziengabe bereitet die<br />
opioidinduzierte Obstipation, wenn sie erst<br />
einmal eingetreten ist, größte therapeutische<br />
Probleme. Eindrucksvoll untermauerte Dr.<br />
Nolte, was diese Fixkombination im Einzelfall<br />
bedeutet anhand einer Patientin, die unter der<br />
Monotherapie mit Oxycodon bereits zweimal<br />
einen Ileus bekommen hatte. Mit dem Fixpräparat<br />
wurden ihre Schmerzen erträglich und<br />
sie litt unter keinen Verdauungsproblemen<br />
mehr. Das Umsetzen von Patienten mit dem<br />
Präventionsopioid auf ein anderes Morphin-<br />
Der Deutsche Schmerzpreis <strong>2008</strong><br />
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Stamer wurde<br />
auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag<br />
in Frankfurt/Main mit dem<br />
DEUTSCHEN SCHMERZPREIS – Deutscher<br />
Förderpreis für Schmerzforschung und<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> <strong>2008</strong> ausgezeichnet.<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Stamer ist Oberärztin<br />
an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie<br />
und spezielle Intensivmedizin der<br />
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
Bonn und <strong>zu</strong> 50% auf der Palliativstation<br />
des Malteser Krankenhauses Bonn tätig.<br />
Der mit 10.000 Euro dotierte Preis <strong>wir</strong>d<br />
jährlich an Persönlichkeiten oder Organi-<br />
sationen verliehen, die sich durch wissenschaftliche<br />
Arbeiten über Diagnostik und<br />
Therapie akuter und chronischer Schmerz-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
präparat bezeichnete Nolte daher als „perfides<br />
Vorgehen“. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />
ist die neben<strong>wir</strong>kungsärmere<br />
Therapie langfristig durch Vermeidung von<br />
Folgekosten die kostengünstigere Option.<br />
Nicht austauschbar<br />
Targin ® aus Kostengründen gegen ein Generikum<br />
mit Oxycodon oder gar Morphin aus<strong>zu</strong>tauschen<br />
bedeutet bei 90% eine spürbare<br />
Verschlechterung, warnte auch Priv.-Doz. Dr.<br />
med. Michael Überall, Vizepräsident der DGS,<br />
Nürnberg. An über 600 Schmerzkranken hatte<br />
der Nürnberger Algesiologe im Auftrag der<br />
DGS und der Deutschen Schmerzliga eine aktuelle<br />
Querschnittsbefragung <strong>zu</strong> den psychosozialen<br />
Folgen einer Umstellung von Originalpräparaten<br />
auf Generika durchgeführt.<br />
Bei dieser Untersuchung war für 85% der<br />
<strong>zu</strong>vor gut eingestellten Patienten, von denen<br />
424 Patienten stark <strong>wir</strong>ksame Opioide erhielten,<br />
die Umstellung mit einer signifikanten<br />
Schmerz<strong>zu</strong>nahme und gravierenden Beeinträchtigung<br />
der Lebensqualität verbunden.<br />
Bei den mit Oxygesic ® bzw. Targin ® eingestellten<br />
Patienten zeigte sich bzgl. des Parameters<br />
„Zufriedenheit mit der Verträglichkeit“<br />
mit 65,7% bzw. 88,6% ein signifikanter Gruppenunterschied<br />
(p = 0,003).<br />
Besonders kritisch war die Verschlechterung<br />
der Behandlungsqualität bei den initial<br />
auf Targin ® eingestellten Patienten: Über 90%<br />
beklagten bei einer Umstellung die schlechtere<br />
analgetische Wirksamkeit, bei 64% reduzierte<br />
sich die gesamte Lebensqualität. Für<br />
diese innovative Fixkombination gibt es derzeit<br />
kein vergleichbares Generikum, warnte Überall.<br />
<strong>zu</strong>stände verdient gemacht oder die durch<br />
ihre Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend<br />
<strong>zu</strong>m Verständnis des Problemkreises<br />
Schmerz und der davon betroffenen Personen<br />
beigetragen haben.<br />
Der wissenschaftliche Träger des Schmerzpreises<br />
ist die Deutsche Gesellschaft für<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> e.V. Gestiftet <strong>wir</strong>d der Preis<br />
von der Firma Mundipharma GmbH & Co.<br />
KG, Limburg.<br />
Wie Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe bei<br />
der Übergabe erläuterte, „hat Frau Dr.<br />
Stamer mit ihren Forschungsarbeiten, Publikationen<br />
und Vorträgen <strong>zu</strong>m Thema ,Genetik,<br />
Schmerz und Analgesie’ und insbesondere<br />
<strong>zu</strong>m Verständnis der individuellen<br />
Reaktionsweise und Wirkungsweise von<br />
Opiaten beigetragen und denjenigen Pati-<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />
Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />
Kritisch sei auch, dass 94% der Befragten abrupt<br />
umgestellt wurden, 48,8% wurden dabei<br />
sogar mehrfach umgestellt. Die Patienten waren<br />
vorher in puncto Schmerzintensität deutlich<br />
besser eingestellt, und im Durchschnitt<br />
ergab sich bei der Kosten-Nutzen-Effizienz-<br />
Bewertung, dass eine Einsparung von einem<br />
Euro einer Verschlechterung im VAS-Bereich<br />
von 2,3 Punkten gleichkam. Die Befragung<br />
widerlegt somit die immer wieder aufgestellte<br />
Behauptung, eine Umstellung auf <strong>wir</strong>kstoffgleiche<br />
Medikamente sei problemlos. Dies ist<br />
in keiner einzigen Untersuchung belegt.<br />
Hydromorphon bei Tumorschmerzen<br />
und Multimorbidität<br />
Bei älteren Patienten mit progredienten Tumorschmerzen<br />
ist nach Erfahrungen von<br />
Dr. med. Peter Ahrens, Verden, Hydromorphon<br />
neben der modernen Kombination aus<br />
Oxycodon und Naloxon das Mittel der ersten<br />
Wahl. Die retardierte Kapsel ist in den Wirkstärken<br />
4, 8, 16 und 24 mg als Palladon ® verfügbar.<br />
Es besitzt keinen Ceiling-Effekt und ist<br />
auch in allen für die Tumorschmerztherapie<br />
sinnvollen Applikationsformen vorhanden: für<br />
die Rescuemedikation nicht retardiert in einer<br />
1,3-mg- und 2,6-mg-Dosis und bei Schluckstörungen<br />
als Palladon ® injekt für die subkutane<br />
oder intravenöse Applikation (2 mg/1 ml,<br />
10 mg/1 ml, 100 mg/10 ml). Letztere Darreichungsform<br />
lindert mit einem Wirkeintritt innerhalb<br />
von fünf bis zehn Minuten auch<br />
Schmerzspitzen sehr schnell.<br />
Da Hydromorphon CYP-neutrral ist, unterliegt<br />
es auch keinen genetischen Polymorphismen<br />
wie z. B. Tramadol oder Codein. Codein<br />
Preisverleihung v.l.n.r: Michael Überall, Gerhard<br />
Müller-Schwefe, Ulrike Stamer, Thomas<br />
Nolte, Marianne Koch, Ingrid Spohr.<br />
enten, bei denen gängige schmerztherapeutische<br />
Maßnahmen <strong>wir</strong>kungslos blieben,<br />
auch unter Einbeziehung moderner Therapierichtlinien<br />
Perspektiven gegeben.“
Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />
<strong>wir</strong>d bei 20% der Kaukasier nicht metabolisiert<br />
und bleibt dann als Pro-Drug un<strong>wir</strong>ksam.<br />
Auch bei Tramadol ist aufgrund der genetischen<br />
Polymorphismen bei 10% mit einer<br />
Wirkungsabschwächung <strong>zu</strong> rechnen. Hydromorphon<br />
ist bei Niereninsuffizienz gegenüber<br />
dem Morphin im Vorteil, da es keine aktiven<br />
Metaboliten besitzt und nicht akkumuliert.<br />
Aufgrund seiner geringen Plasma-Eiweiß-<br />
Bindung unterscheidet sich Hydromorphon<br />
positiv vom Fentanyl, das häufig mit anderen<br />
Medikamenten interagiert. Hydromorphon<br />
lässt sich dagegen ohne Einschränkungen<br />
mit Koanalgetika wie Butylscopolamin, Dexamethason,<br />
Haloperidol, Ketamin, Metoclopramid<br />
und Levomepromazin kombinieren.<br />
Im Unterschied <strong>zu</strong>m Targin ® ist allerdings bei<br />
Hydromorphon eine Obstipationsprophylaxe<br />
zwingend erforderlich, schränkte Ahrens ein.<br />
Transdermale Systeme z. B. mit Fentanyl,<br />
warnte Ahrens, sind bei Tumorpatienten häufig<br />
problematisch, da die Resorption bei wechselnder<br />
Hautdurchblutung stark schwankt<br />
und bei Palliativpatienten häufig gestört ist.<br />
Zudem reagieren sie sehr träge und ermöglichen<br />
keine individuelle Behandlung bei<br />
schwankenden Schmerzstärken. Mindestens<br />
jeder zweite Patient mit starken Schmerzen<br />
weist starke tageszeitliche Schwankungen<br />
auf, ergab eine Studie von Dr. Uwe Junker,<br />
Remscheid, an 1243 Patienten. 53% litten<br />
Der Posterpreis ging an das osthessische<br />
Palliativzentrum.<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />
an Erkrankungen des Bewegungsapparates,<br />
30% an Tumorerkrankungen und 10% an<br />
Leiden des Nervensystems. Durch eine flexible<br />
Dosisanpassung an die tageszeitlichen<br />
Schmerzschwankungen konnte die Schmerzintensität<br />
mit einer zweimal täglichen Hydromorphongabe<br />
innerhalb von vier Wochen bei<br />
88,8% der Patienten deutlich verbessert werden<br />
(von 5,6 [mittags] bis 6,5 NRS [nachts]<br />
auf 2,8 nachts, morgens und mittags bzw. 2,9<br />
abends). Die Lebensqualität wurde insgesamt<br />
verbessert.<br />
Posterpreis für nasales Fentanyl<br />
Mit einer Fertigrezeptur für nasales Fentanyl<br />
arbeitet das osthessische Palliativnetz von<br />
DGS-Leiter Dr. med. Thomas Sitte, Fulda. Für<br />
ihre Posterpräsentation auf dem Deutschen<br />
Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main<br />
wurde das Team um Dr. Peter Fehrenbach und<br />
Thomas Sitte mit dem ersten Posterpreis ausgezeichnet.<br />
Seit fünf Jahren setzen die Ärzte des Palliativ-Netzes<br />
Osthessen das starke Opioid Fentanyl<br />
als Nasenspray ein, wenn ein Patient in<br />
der Lebensendphase unter Atemnot und /oder<br />
Schmerzattacken wie starke Durchbruchsschmerzen<br />
leidet. Das Nasenspray, das der<br />
Apotheker auf ärztliche Anweisung herstellt,<br />
kann sogar von den Patienten oder den Angehörigen<br />
selbst eingesetzt werden. Seine<br />
analgetische Wirkung entfaltet das Spray in<br />
weniger als zwei Minuten.<br />
Bei mehr als 200 Patienten haben die Palliativspezialisten<br />
das Mittel inzwischen mit guten<br />
Erfahrungen eingesetzt. Die Einzeldosis variiert<br />
bei den verschiedenen Indikationen zwischen<br />
25 und 2000 µg Fentanyl (pro Hub 50 µl). „Nach<br />
<strong>unsere</strong>n Erfahrungen gibt es insbesondere bei<br />
akuter Atemnot in der Palliativsituation keine<br />
Möglichkeit der Symptomkontrolle, die so gut<br />
<strong>wir</strong>kt wie dieses Nasenspray.“<br />
Besonders in ländlichen Gebieten ist es<br />
eine Herausforderung, im Krisenfall sofort und<br />
effektiv Hilfe am Patientenbett leisten <strong>zu</strong> können.<br />
Atemnot ist der häufigste Einweisungsgrund<br />
<strong>zu</strong>r stationären Behandlung in der Sterbephase.<br />
Nach den positiven Erfahrungen der<br />
Gruppe setzt man dort das Spray nicht mehr<br />
als Ultima Ratio, sondern frühzeitig ein und<br />
stellt es teilweise auch vorbeugend den Patienten<br />
und ihren Angehörigen <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />
Von 94 Patienten, die im vergangenen Jahr in<br />
der Endphase mit dem Fentanylspray versorgt<br />
worden waren, mussten nur fünf – ausschließlich<br />
wegen psychosozialen Indikationen – stationär<br />
eingewiesen werden. Das Poster sowie<br />
die Anleitung für die Fertigrezeptur finden Sie<br />
auf der Homepage www.palliativnetz-osthessen.de.<br />
Patientenforum – ein Magnet<br />
für Betroffene<br />
Wie jedes Jahr nutzten auch dieses Mal viele<br />
Betroffene die Gelegenheit, im Rahmen des<br />
Patientenforums ihre Fragen direkt an das<br />
sachkundige Podium <strong>zu</strong> stellen. Unter der Moderation<br />
der Präsidentin der Deutschen<br />
Schmerzliga, Dr. med. Marianne Koch, stellten<br />
sich Dr. med. Michael Küster, DGS-Leiter<br />
und Dr. Gabi Müller, Schmerzzentrum Wiesbaden,<br />
sowie Dipl.-Psych. Gideon Franck,<br />
Fulda, dem interessierten Publikum.<br />
Gesundheitspolitisches Forum<br />
Abgeschlossen wurde der Deutsche Schmerz-<br />
und Palliativtag <strong>2008</strong> mit einer hochkarätig<br />
besetzten Podiumsdiskussion <strong>zu</strong> den aktuellen<br />
gesundheitspolitischen Problemen. Mit<br />
Herrn Franz Knieps stellte sich ein Vertreter<br />
des Bundesgesundheitsministeriums der <strong>zu</strong>m<br />
Teil schonungslosen Kritik der Schmerztherapeuten<br />
an der Gesundheitsreform mit ihren<br />
Medikamentenbudgets und Pharmaregressen.<br />
Aus der Sicht eines von einem Arzneimittelregress<br />
betroffenen Arztes schilderte<br />
Gerhard Müller-Schwefe, welch hohen Zeitaufwand<br />
eine derartige Regressforderung von<br />
150 000 Euro für seine Praxis bedeutet hat;<br />
diese Situation hält er für unerträglich.<br />
Dr. Dietrich Jungck, Hamburg, ergänzte,<br />
dass die Rabattverträge von Institutionen<br />
ohne die nötige Sachkenntnis abgeschlossen<br />
worden seien. Umstellungen von Retardformulierungen<br />
auf kurz <strong>wir</strong>ksame Opioide sind<br />
gefährlich und für Schmerztherapeuten völlig<br />
unverständlich.<br />
Dr. Heinz Werner Meier, stellvertretender<br />
Vorsitzender des Verbandes forschender<br />
Arzneimittelhersteller, gab <strong>zu</strong> bedenken,<br />
dass Kosten-Nutzen-Berechnungen heute<br />
zwingend durchgeführt werden müssten,<br />
um den Wert neuer innovativer Substanzen<br />
ab<strong>zu</strong>sichern. Wird deren Effizienz aber nachgewiesen,<br />
müssten diese innovativen Substanzen<br />
dann auch verordnet werden dürfen,<br />
da „<strong>wir</strong> uns nicht im Sinne einer sinnlosen<br />
Sparmedizin <strong>zu</strong> einer Einheitsmedizin hin<br />
entwickeln dürfen“. Franz Knieps betonte,<br />
dass sowohl Ärzte als auch KVen aufgefordert<br />
sind, sich an den Rabattverträgen <strong>zu</strong><br />
beteiligen.<br />
Dr. med. Marianne Koch, Präsidentin der<br />
Deutschen Schmerzliga, München, mahnte,<br />
dass die rabattierten Analgetika oft eine<br />
geringere Therapiebreite als die modernen<br />
Retardopioide hätten und Umstellungen ausschließlich<br />
in die Hand der Ärzte gehörten.<br />
Der hohe zeitliche Aufwand der Erstanamnese<br />
der Schmerztherapeuten, die ein bis zwei<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Stunden erfordere, müsse in der Abrechnung<br />
abgebildet werden. Der große bürokratische<br />
Aufwand der BTMVV-Verordnungen, an denen<br />
nur der Arzt Änderungen abzeichnen<br />
darf, <strong>wir</strong>d durch die Apotheken und deren<br />
Rabattverträge außer Kraft gesetzt. Hier<br />
seien dringend Korrekturen erforderlich, da<br />
eigenmächtige Umset<strong>zu</strong>ngen im Bereich der<br />
Analgetika Neueinstellungen bedeuteten, die<br />
nur unter ärztlicher Kontrolle legitim seien.<br />
Herr Michael Wenninghoff von der AOK<br />
Rheinland/Hamburg, der bundesweit für die<br />
Vertragsgestaltung <strong>zu</strong>ständig ist, erinnerte als<br />
Vertreter der Krankenkassen an die Möglichkeiten<br />
der integrierten Versorgung, die insbesondere<br />
auch im Bereich der Palliativmedizin<br />
möglich sind.<br />
Jungck widersprach, dass derartige Verträge<br />
für chronisch Schmerzkranke nach<br />
wie vor nicht verfügbar seien und abgelehnt<br />
würden. Nach dem neuen EBM <strong>2008</strong> hätten<br />
Schmerzkranke noch weniger Chancen. Zwar<br />
schafften integrierte Versorgungsverträge als<br />
Wettbewerbsmodelle der Krankenkassen vereinzelt<br />
Chancen, aber die flächendeckende<br />
Versorgung der GKV sei dennoch in Gefahr.<br />
Derzeit ist die Vergütungssituation für Algesiologen<br />
kaum kostendeckend möglich und<br />
die Budgets für ein Quartal sind bereits mit<br />
dem Erstkontakt überschritten. Dies zeigt laut<br />
Müller-Schwefe die Inkompetenz bei den Verhandlungsführern.<br />
Franz Knieps stellte richtig, dass die Approbationsordnung,<br />
die gerade wieder geändert<br />
werde, keine Aufgabe der Gesetzgeber<br />
sei. In Bayern wurde beispielsweise jetzt die<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Palliativmedizin als Fach eingeführt, den Ländern<br />
sei hier viel Freiraum gegeben.<br />
Für die Techniker Krankenkasse (TK) ergänzte<br />
die Direktorin des Wissenschaftlichen<br />
Institutes WINEG, Frau Dr. med. Eva Susanne<br />
Dietrich, dass die TK mit Erfolg auf die integrierten<br />
Versorgungsverträge, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
bei Rückenschmerzen, setzt.<br />
Die Diskussion mündete in einem konstruktiven<br />
Dialog, in dem der Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums,<br />
Franz Knieps,<br />
den Zuhörern wie auch den Mitdiskutanten<br />
versicherte, sich um gravierende Mängel und<br />
Probleme der <strong>Schmerztherapie</strong> <strong>zu</strong> kümmern.<br />
Es sei gegen den Willen des Bundesgesundheitsministeriums,<br />
dass chronische Schmerzen<br />
bisher nicht verschlüsselbar und auch<br />
nicht aufgenommen seien. Auch um diesen<br />
Themenkomplex wolle Knieps sich intensiv in<br />
seinem Hause kümmern.<br />
Die Vertreter der Krankenkassen AOK und<br />
TK setzten sich nachdrücklich für die strukturierten<br />
Versorgungsverträge ein, die den besonderen<br />
Bedürfnissen chronischer <strong>Schmerzpatienten</strong><br />
entsprechen. Der von der TK bereits<br />
mit der Deutschen Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong><br />
e. V. abgeschlossene Rückenschmerz-Integrationsvertrag<br />
gilt sowohl von<br />
den Ergebnissen als auch von den finanziellen<br />
Einsparvolumina her als ein Paradestück der<br />
modernen Versorgungsgestaltung. Der Vertreter<br />
der AOK, Michael Wenninghoff, beteuerte,<br />
dass die AOK bundesweit die Versorgung von<br />
<strong>Schmerzpatienten</strong> in Hausarztverträgen und<br />
strukturierten Verträgen regeln möchte. Auch<br />
hier erging die Zusage, Schmerztherapeuten<br />
Bonner Palliativmediziner Eberhard Klaschik ausgezeichnet<br />
Prof. Dr. med. Eberhard Klaschik, Bonn,<br />
wurde auf dem Deutschen Schmerz- und<br />
Palliativtag in Frankfurt/Main mit dem<br />
EHRENPREIS des Deutschen Schmerzpreises<br />
– Deutscher Förderpreis <strong>2008</strong> für Schmerzforschung<br />
und <strong>Schmerztherapie</strong> ausgezeichnet.<br />
Professor Klaschik ist Leiter des Zentrums für<br />
Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus<br />
Bonn-Hardtberg, Professor für Palliativmedizin<br />
an der Universität Bonn und Leiter des<br />
regionalen Schmerzzentrums DGS Bonn.<br />
Der mit 3000 Euro dotierte Preis <strong>wir</strong>d jährlich<br />
an Persönlichkeiten verliehen, die sich<br />
durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik<br />
und Therapie akuter und chronischer<br />
Schmerz<strong>zu</strong>stände verdient gemacht oder<br />
die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches<br />
Wirken entscheidend <strong>zu</strong>m Verständnis des<br />
Problemkreises Schmerz und der davon betroffenen<br />
Personen beigetragen haben.<br />
Der wissenschaftliche Träger des Ehrenpreises<br />
ist die Deutsche Gesellschaft für<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> e.V. Gestiftet <strong>wir</strong>d der Preis<br />
von der Firma AWD.pharma GmbH, Dresden.<br />
In der Urkunde heißt es: „Prof. Klaschik hat<br />
bis heute unermüdlich, beharrlich und integrativ<br />
die Botschaft einer konsequenten<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> in alle klinischen Fachgebiete<br />
transportiert. In seinem beruflichen Lebensmittelpunkt<br />
steht dabei seit Jahren die<br />
Entwicklung und Verbesserung der palliativmedizinischen<br />
Versorgung als wesentlicher<br />
Pfeiler in einem bio-psycho-sozialen Behandlungskonzept.<br />
Durch beharrliche Fort-<br />
und Weiterbildungsaktivitäten wie auch eine<br />
konsequente Öffentlichkeitsarbeit ist so der<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />
Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />
V.l.n.r.: F. Knieps, M. Wenninghoff, G. H. H.<br />
Müller-Schwefe, M. Koch, E. S. Dietrich und<br />
H. W. Meier.<br />
in die Versorgungs- und Planungsgestaltung<br />
mitein<strong>zu</strong>beziehen und dem besonderen Versorgungsbedarf<br />
von chronisch Schmerzkranken<br />
gerechter <strong>zu</strong> werden.<br />
Hinsichtlich der Vergütungsregelung bei<br />
<strong>Schmerzpatienten</strong> kritisierte Gerhard Müller-Schwefe,<br />
dass nach den aktuellen Regelungen<br />
des EBM 2000 in der Version <strong>2008</strong><br />
Schmerztherapeuten bereits mit dem ersten<br />
Arzt-Patienten-Kontakt ihr Punktzahl-Grenzvolumen<br />
überschreiten und damit weitere<br />
Behandlungen von <strong>Schmerzpatienten</strong> ausschließlich<br />
<strong>zu</strong>lasten der Schmerztherapeuten<br />
gehen. Hier ist dringend mehr finanzielle<br />
Planungssicherheit für die Schmerzpraxen<br />
gefordert. Auch hier sicherte Franz Knieps<br />
<strong>zu</strong>, dass das Bundesgesundheitsministerium<br />
bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />
adäquate Regelungen einfordere. ❏<br />
Preisverleihung v.l.n.r: Gerhard Müller-<br />
Schwefe, Eberhard Klaschik, Thomas Nolte,<br />
Michael Überall.<br />
Aufbau eines ambulanten und stationären<br />
palliativmedizinischen Versorgungsnetzes in<br />
Deutschland eng mit seinem Namen verknüpft.“
Der Deutsche Schmerzpreis 200<br />
Genetische Faktoren in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
Die Wirksamkeit der analgetischen Therapie <strong>wir</strong>d von den Genen entscheidend<br />
beeinflusst. Über ihre neuesten pharmakogenetischen Forschungs-<br />
arbeiten <strong>zu</strong> Tramadol und welche genetisch determinierten Varianten<br />
bei der <strong>Schmerztherapie</strong> praktisch eine Rolle spielen, informiert Priv.-Doz.<br />
Dr. med. Ulrike Stamer, Bonn, die beim Deutschen Schmerztag in Frankfurt/<br />
Main mit dem Deutschen Schmerzpreis 200 ausgezeichnet wurde.<br />
W arum<br />
<strong>wir</strong>ken Arzneimittel individuell<br />
so unterschiedlich? Aufgrund welcher<br />
genetischer Varianten kann es <strong>zu</strong> mangelnder<br />
Wirksamkeit, <strong>zu</strong> stärkeren Neben<strong>wir</strong>kungen,<br />
Überdosierungserscheinungen oder gar <strong>zu</strong>r<br />
Toxizität eines Medikamentes kommen? Würde<br />
der genetische Hintergrund der Patienten<br />
künftig mehr berücksichtigt, könnte dies die<br />
medikamentöse <strong>Schmerztherapie</strong> nachhaltig<br />
verbessern. Die Pharmakogenetik beschäftigt<br />
sich mit den hereditären Ursachen, die die<br />
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik und<br />
somit die Wirksamkeit, aber auch die Neben<strong>wir</strong>kungen<br />
einer Pharmakotherapie beeinflussen.<br />
Genetischer Polymorphismus<br />
Veränderungen von Arzneimittel<strong>wir</strong>kungen<br />
können durch genetische Polymorphismen<br />
bedingt sein (Polymorphismus: genetische<br />
Variante mit einer Allelhäufigkeit > 1%). Ein<br />
bereits bekanntes und gut untersuchtes Beispiel<br />
für klinisch relevante Polymorphismen<br />
betrifft die Cytochrom-P450-Enzyme (CYP),<br />
die überwiegend in der Leber lokalisiert sind.<br />
Im Rahmen der Phase-I-Reaktion metabolisieren<br />
diese Enzyme endogene und exogene<br />
Substanzen durch Oxydation, Reduktion oder<br />
Hydrolyse. CYP1, CYP2 und CYP3 sind vor<br />
allem bei der Metabolisierung von Medikamenten<br />
beteiligt, während CYP4, CYP5 und<br />
CYP7 für die Verstoffwechslung endogener<br />
Substanzen wie Steroide und Gallensäuren<br />
<strong>zu</strong>ständig sind. Zahlreiche Medikamente werden<br />
von spezifischen Cytochrom-P450-Isoformen<br />
metabolisiert. Bei einer veränderten<br />
Enzymaktivität können sich daraus schwerwiegende<br />
Neben<strong>wir</strong>kungen, aber auch eine<br />
fehlende Wirkung ergeben. Tabelle 1 veranschaulicht,<br />
welche Aus<strong>wir</strong>kungen derartige<br />
genetische Varianten auf die Therapie haben<br />
und welche Neben<strong>wir</strong>kungen dadurch entstehen<br />
können. Allein für CYP2D6 sind inzwischen<br />
mehr als 80 verschiedene Allelvarianten<br />
identifiziert worden.<br />
Sog. Poor Metabolizer (PM) weisen keine<br />
Enzymaktivität auf und metabolisieren im<br />
Unterschied <strong>zu</strong> den Extensive Metabolizern<br />
(EM) entsprechende Medikamente nicht <strong>zu</strong><br />
ihrem CYP2D6-abhängigen Metaboliten. Etwa<br />
8–10% der weißen Bevölkerung weisen den<br />
PM-Genotyp für CYP2D6 auf. Hingegen sind<br />
ca. 4% der weißen Bevölkerung Ultra Rapid<br />
Metabolizer (UM) und metabolisieren die ent-<br />
Tabelle 1: Ausgewählte Medikamente, die von spezifischen Cytochrom-<br />
P450-Isoformen metabolisiert werden<br />
Isoform Medikamente Neben<strong>wir</strong>kungen/Risiken<br />
CYP2C9 Warfarin Blutung<br />
Phenytoin Ataxie<br />
NSAIDs Gastrointestinale Blutung<br />
Tolbutamid Hypoglykämie<br />
CYP2C19 Omeprazol<br />
Diazepam Sedierung<br />
CYP2D6 Trizyklische Antidepressiva Überdosierung,<br />
Kardiotoxizität<br />
Betablocker Überdosierung<br />
Antiarrhythmika Arrhythmien<br />
Haloperidol Parkinsonismus<br />
5-HT3-Rezeptorantagonisten Emesis<br />
Codein Keine Analgesie<br />
Tramadol Reduzierte Analgesie<br />
sprechende Medikamente sehr schnell (Abb.<br />
1). Bei anderen ethnischen Gruppen treten<br />
diese genetischen Varianten mit anderer Häufigkeit<br />
auf. Die UM-Variante ist z.B. in Asien<br />
sehr selten (Allelhäufigkeit 0,5%) in Äthiopien<br />
mit 29% dagegen häufig an<strong>zu</strong>treffen.<br />
Aus<strong>wir</strong>kungen auf die<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
Diese genetischen Varianten spielen bei einigen<br />
Pharmaka, die in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
eingesetzt werden, eine klinisch relevante<br />
Rolle.<br />
Codein <strong>wir</strong>d als Pro-Drug erst analgetisch<br />
<strong>wir</strong>ksam, wenn es durch CYP2D6 in seinen<br />
aktiven Metaboliten Morphin umgewandelt<br />
<strong>wir</strong>d. Bei Poor Metabolizern ist dies der Grund<br />
für eine mangelnde Analgesie durch Codein.<br />
(In Deutschland ist Codein als Analgetikum<br />
in Kombinationspräparaten enthalten.) Auf<br />
der anderen Seite zeigen UM-Patienten, die<br />
eine hohe Enzymaktivität aufweisen, stärkere<br />
Opioideffekte unter Codein. Bereits unter<br />
niedrigen Dosierungen sind hier Atemdepressionen<br />
beschrieben.<br />
Tramadolkonzentration vom<br />
CYP2D6-Genotyp abhängig<br />
Auch die Wirksamkeit von Tramadol, einem<br />
synthetischen Opioid, hängt maßgeblich von<br />
der CYP2D6-abhängigen Umwandlung in den<br />
M1-Metaboliten (+)O-Demethyltramadol ab.<br />
Im Gegensatz <strong>zu</strong> EM <strong>wir</strong>d bei PM der aktive<br />
M1-Metabolit nicht gebildet, die agonistische<br />
Wirkung am Opioidrezeptor entfällt. Lediglich<br />
die analgetische Wirkung über die beiden Tramadol-Enantiomere,<br />
die für die Noradrenalin-<br />
und Serotonin-Reuptakehemmung verantwortlich<br />
sind, bleibt davon unberührt. Poor<br />
Metabolizer zeigen daher einen deutlich<br />
Abbildung 1: Häufigkeit von CYP2D6-<br />
Genotypen in einem Kollektiv von<br />
postoperativen Patienten<br />
EM<br />
HZ/IM<br />
Metabolisierung normal<br />
PM<br />
UM<br />
Metabolisierung<br />
reduziert<br />
Keine<br />
Metabolisierung<br />
Metabolisierung<br />
erhöht<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Ulrike Stamer,<br />
Bonn<br />
schlechteren analgetischen Effekt unter Tramadol<br />
als Patienten mit erhaltener Enzymfunktion.<br />
Bei einer postoperativen Versorgung<br />
mit einer PCA-Pumpe forderten Patienten mit<br />
geringer CYP2D6-Enzymaktivität mehr Tramadol<br />
und Rescue-Medikation ab als Patienten<br />
mit normaler oder hoher Enzymaktivität.<br />
Der Anteil an Tramadol-Nonrespondern war in<br />
der Gruppe der PM signifikant erhöht.<br />
Komedikation als nicht genetische<br />
Einflussgröße<br />
Begleitmedikation und Komorbidität können<br />
die analgetische Behandlung <strong>zu</strong>sätzlich beeinflussen.<br />
Werden bei einer Tramadol- oder<br />
Codeinmedikation <strong>zu</strong>sätzlich Cytochrom blockierende<br />
Substanzen verordnet (Tabelle 2),<br />
kann dies z.B. die CYP2D6-Aktivität erheblich<br />
reduzieren oder ganz inhibieren. In einer Studie<br />
an postoperativen Patienten, die nach<br />
einem abdominellen Eingriff Tramadol erhielten,<br />
konnte die Bonner Arbeitsgruppe<br />
nachweisen, dass eine derartige Komedikation<br />
den Tramadolmetabolismus hemmt.<br />
Verstärkte Neben<strong>wir</strong>kungen von<br />
Koanalgetika<br />
Auch bei der Metabolisierung vieler Koanalgetika<br />
können derartige genetische Varianten<br />
eine klinisch relevante Rolle spielen. Sowohl<br />
der NMDA-Antagonist Dextrometorphan als<br />
auch Antidepressiva sind Substrate von<br />
CYP2D6. Trizyklische Antidepressiva werden<br />
vielfach als Koanalgetika bei chronischen und<br />
neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Poor<br />
Metabolizer sind jedoch besonders stark von<br />
den Neben<strong>wir</strong>kungen dieser Substanzen wie<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Mundtrockenheit, Tachykardien und Sedierung<br />
betroffen. Patienten mit einer geringen<br />
CYP2D6-Aktivität können das trizyklischen<br />
Antidepressivum Amitriptylin nur langsam<br />
metabolisieren. Patienten mit erhöhter Enzymfunktion<br />
im Sinne von UM weisen dagegen oft<br />
nur subtherapeutische Spiegel auf. Ggf. <strong>wir</strong>d<br />
einem solchen Patienten eine mangelnde<br />
Compliance unterstellt, wenn nicht an diese<br />
genetische Besonderheit gedacht <strong>wir</strong>d.<br />
Weitere Kandidatengene<br />
Die Arzneimittel<strong>wir</strong>kung <strong>wir</strong>d aber nicht nur<br />
durch Enzymvarianten beeinflusst, sondern<br />
auch Rezeptoren und Ionenkanäle können<br />
die Arzneimittelreaktionen verändern. Polymorphismen<br />
des µ-Opioidrezeptors scheinen<br />
die Wirksamkeit der Opioide <strong>zu</strong> beeinflussen.<br />
So konnte die Arbeitsgruppe von Klepstad et<br />
al. zeigen, dass Patienten mit Krebserkrankungen,<br />
die homozygot für das G-Allel an<br />
Position 118 sind, höhere Morphindosen für<br />
eine erfolgreiche Analgesie benötigen als Patienten<br />
mit dem Wildtyprezeptor. Bei diesem<br />
Polymorphismus <strong>wir</strong>d an Position 118 Adenin<br />
gegen Guanin ausgetauscht. Da dieser Basenaustausch<br />
in der kodierenden Region liegt<br />
(Exon), führt dieses auch <strong>zu</strong> einer Änderung<br />
der Aminosäurenfrequenz (Asparagin gegen<br />
Aspartat). Die Häufigkeit des seltenen<br />
G-Allels beträgt 10–15% in einer weißen Bevölkerung.<br />
Ein weiteres Kandidatengen ist die Katecholamin-0-Methyltransferase<br />
(COMT).<br />
Beim Polymorphismus Val158Met <strong>wir</strong>d die<br />
Aminosäure Valin durch Methionin ausgetauscht.<br />
Dadurch sinkt die Aktivität dieses<br />
Enzyms, das die Katecholamine Dopamin<br />
und Noradrenalin abbaut, um das Vierfache.<br />
Nach Untersuchungen der Arbeitsgruppe<br />
von Zubieta et al. verändert sich dadurch die<br />
Tabelle 2: CYP2D6-Inhibitoren<br />
Palliativmedizin<br />
(Ausführliche Liste unter<br />
http://medicine.iupui.edu/flockhart/table.htm)<br />
■ Amiodaron<br />
■ Cimetidin, Ranitidin<br />
■ Chinidin<br />
■ Cocain<br />
■ Paroxetin<br />
■ Propafenon<br />
■ Methadon<br />
■ Histamin-1-Rezeptorantagonisten<br />
■ Fluoxetin<br />
■ Haloperidol<br />
sensorische und affektive Schmerzsensibilität.<br />
Derzeit werden genetische Varianten der<br />
COMT intensiv untersucht und die Bedeutung<br />
von Haplotypen, die mit sehr hoher oder niedriger<br />
Schmerzsensitivität einhergehen, in den<br />
Fokus der Forschung gestellt.<br />
Fazit<br />
Genetische Varianten können Wirksamkeit<br />
und Neben<strong>wir</strong>kungen von Analgetika und Koanalgetika<br />
beeinflussen. Genetische Untersuchungen<br />
eröffnen somit die Perspektive, die<br />
analgetische Therapie <strong>zu</strong> individualisieren,<br />
sofern die dafür erforderlichen genetischen<br />
Tests, z. B. DNA-Chips, für die Praxis verfügbar<br />
und bezahlbar werden. Die Evaluierung<br />
dieser genetischen Tests sowie der Nachweis<br />
ihrer Kosteneffektivität dürfte aber weitere<br />
fünf bis zehn Jahre Forschung erfordern, bevor<br />
diese Diagnostik in die klinische Praxis<br />
Eingang findet. ❏<br />
Ulrike Stamer, Bonn<br />
Literatur bei der Verfasserin<br />
Palliativmedizin statt „aktiver Sterbehilfe“<br />
Mit seinem Beitrag über die Definitionen und Begriffe <strong>zu</strong>r Sterbehilfe, Euthanasie<br />
und Palliativmedizin gibt Prof. Dr. Günter Baust, Petersberg, Ehren-<br />
mitglied in der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., eine eindeutige Antwort<br />
auf gefährliche gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und fordert nachdrücklich<br />
eine Euthanasia medica statt aktiver oder passiver Sterbehilfe.<br />
W ir<br />
Ärzte haben uns offen und kompromisslos<br />
gegen jegliche Form einer<br />
„aktiven Sterbehilfe“ bekannt und als verbindliche<br />
Antwort für einen schnellen, weiteren<br />
Aufbau der Palliativmedizin entschieden.<br />
Doch warum erreicht <strong>unsere</strong> Botschaft die<br />
Menschen nur zögernd oder mit Vorbehalt?<br />
Warum werden mithilfe der Medien noch immer<br />
Ängste geschürt, dass das Sterben nach<br />
wie vor mit Schmerzen, Leiden, Entwürdigung<br />
Günter Baust,<br />
Petersberg<br />
und Einsamkeit verbunden ist? Wie wenig erfahren<br />
in diesem Zusammenhang die positiven<br />
Aspekte der Palliativmedizin eine verdiente<br />
Anerkennung, obwohl sie ein menschenwürdiges<br />
Sterben ermöglicht.<br />
9
Palliativmedizin<br />
Ruf nach Selbstbestimmung<br />
am Lebensende<br />
Noch immer werden in der Öffentlichkeit unbewusst<br />
oder aus mangelnder Kompetenz<br />
falsche Informationen verbreitet und damit<br />
bewährte aufwendige ärztliche und pflegerische<br />
Leistungen diskriminiert. Dies hat <strong>zu</strong>r<br />
Folge, dass sich z. B. über 70% <strong>unsere</strong>r Bevölkerung<br />
<strong>zu</strong>r aktiven Sterbehilfe bekannt hat<br />
– rechtlich ein „verbotenes Töten auf verlangen“(§<br />
216 StGB) oder novelliert ein „Sterben<br />
auf Verlangen“, welches bisher weder eine<br />
strafrechtliche Relevanz beinhaltet noch <strong>zu</strong><br />
den ärztlichen Pflichten gehört. Auch der Ruf<br />
nach Selbstbestimmung am Lebensende ist<br />
lauter geworden. Warum wenden sich immer<br />
mehr Menschen von uns ab und wollen ihr<br />
Schicksal am Lebensende selbst bestimmen?<br />
Gegenwärtig baut der schweizerische Verein<br />
„Dignitate“ in Deutschland erfolgreich eine<br />
Organisation auf und will mit dem deutschen<br />
Mediziner U. Ch. Arnold einen Präzedenzfall<br />
der aktiven Sterbehilfe für einen Musterprozess<br />
provozieren.<br />
So gibt es einen gefährlichen Stau von Problemen<br />
in <strong>unsere</strong>r Gesellschaft, der <strong>zu</strong>sätzlich<br />
durch die einschneidende demografische Entwicklung<br />
belastet <strong>wir</strong>d. Ärztlicherseits müssen<br />
<strong>wir</strong> uns da<strong>zu</strong> bekennen, dass die so wichtige<br />
Aufklärung der Bevölkerung über den eingetretenen<br />
Wandel in der Betreuung Sterbender<br />
noch immer un<strong>zu</strong>reichend ist. Die Angst, irgendwann<br />
einmal nicht mehr über sich selbst<br />
entscheiden <strong>zu</strong> können, bewegt jeden Menschen.<br />
Wir können und dürfen eine derartige<br />
Entwicklung weder länger ignorieren noch<br />
dem Selbstlauf überlassen.<br />
Zweifellos hat der Paradigmenwandel in<br />
der Psychologie des Sterbens die so wich-<br />
Palliativmedizin – welche Ängste haben Laien?<br />
10<br />
Bildarchiv Nolte<br />
tige vertrauensvolle Beziehung zwischen dem<br />
Arzt und seinem Patienten in den letzten Jahren<br />
verändert. Besonders die fast grenzenlos<br />
gewordenen Möglichkeiten des ärztlichen<br />
Handelns und Entscheidens am Lebensende<br />
mithilfe der modernen Medizin lösen tagtäglich<br />
nicht nur Hoffnung und Zuversicht, sondern<br />
auch Ängste und Unsicherheit aus.<br />
Gerade diesbezüglich besteht bei uns<br />
Ärzten ein enormes Defizit in der geduldigen<br />
und verständlichen Aufklärung. Wir<br />
müssen erklären, wie <strong>wir</strong> auch unter diesen<br />
veränderten medizinischen Bedingungen ein<br />
menschenwürdiges Sterben gewährleisten<br />
können. Wir müssen den medizinischen Laien<br />
verständlich die Grenzen der modernen Medizin<br />
erläutern oder wann das Sterben beginnt<br />
und wann der irreversible Tod eintritt. Die Fragenden<br />
müssen die Sicherheit erhalten, dass<br />
die oft nicht einfachen Entscheidungen der<br />
Ärzte in derartigen Situationen stets auf der<br />
Basis gültiger medizinischer, ethischer und<br />
rechtlicher Grundlagen getroffen werden. Es<br />
gilt, die Kompetenz der Patienten <strong>zu</strong> stärken<br />
und <strong>zu</strong>gleich Vertrauen <strong>zu</strong> bewahren. Die so<br />
dringend notwendige Korrektur der vorherrschenden<br />
Verständigungsschwierigkeiten<br />
<strong>wir</strong>d zweifellos eine <strong>unsere</strong>r schwierigsten<br />
Aufgaben in den nächsten Jahren sein. Einige<br />
Empfehlungen für diesen Dialog sollen in diesem<br />
Beitrag <strong>zu</strong>r Diskussion gestellt werden.<br />
Sterbehilfe – ihre Definition und<br />
ver<strong>wir</strong>rende Synonyma<br />
Zur Verständigung in der Medizin dient die<br />
Wissenschaftssprache, <strong>zu</strong>r sprachlichen<br />
Kommunikation zwischen Arzt und Patient die<br />
Umgangssprache. Häufiger spielen in der<br />
ärztlichen Praxis Verständigungsschwierigkeiten<br />
eine Rolle, da die Kompliziertheit der<br />
wissenschaftlichen Grundlagen <strong>zu</strong>genommen<br />
hat. Dies gilt in besonderem Maße für den<br />
Umgang mit dem noch immer tabuisierten<br />
Thema „Sterben und Tod“.<br />
Neue Worte und Wortbildungen beflügeln<br />
zwar die Fantasie vieler Menschen, sie können<br />
aber Handlungsabläufe suggerieren, die<br />
von dem eigentlichen Wortbegriff weit entfernt<br />
sind. So gibt es eine positive und eine<br />
negative Macht der Sprache, die mithilfe der<br />
überwältigenden Kraft der Medien fast jeden<br />
gewünschten Einfluss bei Millionen von Menschen<br />
hervorrufen kann.<br />
Die Meinung vieler Menschen <strong>wir</strong>d in<br />
<strong>unsere</strong>r Zeit <strong>zu</strong>nehmend von den Medien<br />
bestimmt. Das erschwert häufig einen sachkompetenten<br />
Aufklärungsprozess über die<br />
Betreuung Sterbender. Es ist fürwahr ein<br />
schwieriges Kapitel, <strong>zu</strong> dem alle Menschen<br />
irgendwann eine individuelle Einstellung fin-<br />
den möchten. Dafür brauchen sie und <strong>wir</strong><br />
dringend endlich präzise und verständliche<br />
Wortbildungen und Aussagen.<br />
Schon 1989 äußerte sich anlässlich des<br />
Symposions „Arzt und Tod, Verantwortung,<br />
Freiheiten und Zwänge“ der bekannte Bundesverfassungsrichter,<br />
Prof. Dr. Böhmer über<br />
die nach wie vor umstrittene Bezeichnung<br />
„Sterbehilfe“. Er beteuerte, den Ausdruck<br />
„Sterbehilfe“ stets bewusst vermieden <strong>zu</strong><br />
haben, weil er eine maßgebliche Zielrichtung<br />
ärztlichen Handelns verfälscht, nämlich<br />
„Leidhilfe“, nicht aber „Hilfe <strong>zu</strong>m Sterben“ <strong>zu</strong><br />
leisten. Er vertrat die Ansicht, das schöne<br />
Wort Hilfe werde missbraucht, um <strong>zu</strong> verdecken,<br />
dass in Wahrheit gezielte Tötung gemeint<br />
ist. Bei einem redlichen Umgang mit der<br />
Sprache müsste eigentlich von „Tötungshilfe“<br />
gesprochen werden. Doch das Wort „Tötung“<br />
erwecke ein gewisses Schaudern, dagegen<br />
<strong>wir</strong>ke Sterbehilfe versöhnlich und menschlich<br />
(W. Böhmer, in: E. Matouschek: „Arzt und Tod“,<br />
Schattauer Verlag 1989).<br />
Diese eindeutige und plausible Erklärung,<br />
selten so deutlich von einem Juristen ausgesprochen,<br />
doch von vielen Menschen ähnlich<br />
empfunden, weist auf die Verständigungsschwierigkeiten<br />
hin. Mit der Wortkonstruktion<br />
„Sterbehilfe“ – sie enthält den tabuisierten<br />
Begriff „Sterben“, kombiniert mit dem Wort<br />
„Hilfe“, das immer mit Hoffnung besetzt ist –<br />
<strong>wir</strong>d die inhaltliche Aussage schon ungenau<br />
und auslegungsfähig. Hilfe im Sterben, beim<br />
Sterben, <strong>zu</strong>m Sterben? Dieser Begriff ist deshalb<br />
ungeeignet, ja falsch und gefährlich. Das<br />
ständige Ergänzen mit neuen Wortbildungen<br />
hat die Verunsicherung eher noch erhöht, da<br />
diese alle das eigentliche ärztliche Handeln<br />
nicht reflektieren.<br />
Wenn Begriffe Konjunktur haben, ist stets<br />
eine kritische Aufmerksamkeit geboten. Zurzeit<br />
sind etwa folgende Worte und Wortverbindungen<br />
im Sprachgebrauch: Aktive/passive,<br />
direkte/indirekte Euthanasie; pränatale,<br />
soziale, geriatrische oder Früheuthanasie;<br />
aktive/passive, direkte/indirekte Sterbehilfe;<br />
Sterbebegleitung, Sterbebetreuung, Sterbebeistand,<br />
Sterben auf Verlangen, soziales<br />
Sterben, Recht auf Sterben, würdeloses<br />
Sterben, humane Sterbehilfe, Sterbetourismus.<br />
Solche Begriffe sind unklar und auslegungsfähig.<br />
Beispielsweise nutzen Ärzte und<br />
Juristen identische Begriffe, die <strong>zu</strong>m Teil aber<br />
in ihrem Verständnis und ihrer Anwendung erheblich<br />
voneinander abweichen.<br />
Euthanasie – hat der antike Begriff<br />
noch eine Berechtigung?<br />
Alle für die Sterbebetreuung kreierten Termini<br />
scharen sich eigentlich um den klassischen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Begriff „Euthanasie“, der nach wie vor in der<br />
internationalen Rhetorik vorherrschend ist.<br />
Der aus dem Griechischen stammende Begriff<br />
„Euthanasie“ („schöner Tod“) wurde 1605<br />
von Francis Bacon, der die Schmerzlinderung<br />
bei Sterbenden als ärztliche Aufgabe ansah,<br />
als „Euthanasia medica“ bezeichnet.<br />
Wenn dieser aus dem Altertum stammende<br />
und bewährte Begriff in Deutschland während<br />
des Nationalsozialismus als Deckname für<br />
die systematische grausame Tötung unschuldiger<br />
Menschen pervertiert wurde, ist dies<br />
eine beschämende Tatsache der deutschen<br />
Geschichte. Die für diese Verbrechen Verantwortlichen<br />
erhielten anlässlich des Nürnberger<br />
Kriegsverbrecherprozesses ihre verdiente<br />
Strafe. Doch mit diesem Prozess verschwand<br />
ein seit über 2000 Jahren bewährter Begriff<br />
aus dem deutschen Sprachraum.<br />
Neudefinition<br />
Bereits 1983 gab es die Empfehlung, den Begriff<br />
<strong>zu</strong> rehabilitieren, da viele Wortkombinationen<br />
in dieser unrühmlichen Zeit missbraucht<br />
worden waren, jedoch später ihre<br />
ursprüngliche Bedeutung wiedererlangt haben.<br />
Die Sprache des Dritten Reiches hat der<br />
bekannte Philologe Viktor Klemperer in seinem<br />
„Notizbuch eines Philologen“, das unter<br />
dem Titel: LTI (Lingua Tertii Imperii) erschienen<br />
ist, kritisch analysiert. Klemperer bemerkt<br />
da<strong>zu</strong>: „… sie (gemeint ist die nazistische Sprache,<br />
d. Verf.) beschlagnahmte für die Partei,<br />
was früher Allgemeingut war, und in alldem<br />
durchtränkte sie Worte und Wortgruppen und<br />
Satzformen mit ihrem Gift, machte sie, die<br />
Sprache, ihrem furchtbaren System dienbar.“<br />
Wir Deutschen haben noch immer Probleme<br />
mit der Aufarbeitung <strong>unsere</strong>r Geschichte.<br />
Das gilt bis in die unmittelbare Gegenwart.<br />
Doch <strong>zu</strong> den Gräueltaten des Dritten Reiches<br />
haben <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Abscheu deutlich <strong>zu</strong>m Ausdruck<br />
gebracht und die Lehren daraus gezogen.<br />
Die Perversion des Begriffs „Euthanasie“<br />
durch die Verbrecher des Naziregimes ist jedoch<br />
kein Grund, auf ihn <strong>zu</strong> verzichten. Würden<br />
<strong>wir</strong> dies tun, so wäre das in der Tat ein<br />
später Sieg der Nationalsozialisten. Deshalb<br />
sollten <strong>wir</strong> ihm seine ursprüngliche Bedeutung<br />
wieder <strong>zu</strong>rückgeben und diesen weltweit anerkannten<br />
Terminus technicus wieder in unser<br />
medizinisches Vokabular aufnehmen.<br />
Wenn <strong>wir</strong> diese klare Botschaft der Verständigung<br />
den vielen verunsicherten Menschen<br />
vermitteln würden, könnten <strong>wir</strong> das gesamte<br />
wolkige Vokabular der Sterbehilfe auf einen<br />
präzisen Begriff reduzieren. Dann hätten <strong>wir</strong><br />
endlich ein gemeinsames Vokabular für den<br />
dringend notwendigen Klärungs- und Verständigungsprozess.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Euthanasia medica<br />
Unser Vorschlag für eine bewährte und eindeutige<br />
Bezeichnung für die Betreuung Sterbender<br />
wäre „Euthanasia medica“ oder „palliativmedizinische<br />
Euthanasie“ – zwei klassische, eindeutige<br />
Begriffe („schöner oder würdiger Tod“),<br />
ergänzt mit den bewährten schmerz- und leidmindernden<br />
Maßnahmen der modernen Medizin,<br />
auf der Grundlage ethischer Normative<br />
und dem geltenden Recht.<br />
Wenn sich diesbezüglich jedoch eine Einigung<br />
schwierig gestalten sollte, dann wäre<br />
der Begriff „Sterbebetreuung“ eine Alternative,<br />
da er eindeutig und verständlich ist. Alle<br />
anderen Wortbildungen würden ersatzlos<br />
gestrichen. Eine offene und kritische interdisziplinäre<br />
Debatte könnte dann bald <strong>zu</strong> einer<br />
klaren verbindlichen Antwort führen.<br />
Mit dieser sprachlichen Korrektur würden<br />
auch endlich die überflüssigen und gefährlichen<br />
Wortergän<strong>zu</strong>ngen wie „direkt/indirekt“<br />
oder „aktive/passive“ oder das „Tun/Unterlassen“<br />
ersatzlos gestrichen. Da<strong>zu</strong> einige klärende<br />
Worte: „Aktive Sterbehilfe/Euthanasie“<br />
ist die Tötung durch eine Handlung. „Passive<br />
Sterbehilfe/Euthanasie“ ist die Tötung durch<br />
Unterlassung einer Handlung. Beides ist eine<br />
„Sterbenachhilfe“ oder, um ohne Euphemismen<br />
und Umschreibungen <strong>zu</strong> argumentieren,<br />
die Tötung eines Menschen.<br />
Da die „aktive Sterbehilfe“ noch als Synonym<br />
für den pervertierten Begriff „Euthanasie“<br />
aus dem Dritten Reich in weiten Kreisen<br />
der Bevölkerung bekannt ist, bedarf er meist<br />
keiner weiteren Klärung. Die „passive Sterbehilfe“<br />
klingt zwar versöhnlicher, doch ist die<br />
Auslegung vielfältig und nicht weniger mit<br />
einem unerwünschten Tun oder Unterlassen<br />
verbunden.<br />
Das ergänzende Adjektiv „passiv“ bedeutet<br />
laut Duden „untätig, nicht zielstrebig,<br />
teilnahmslos“. Diese Eigenschaften erfassen<br />
keineswegs das gebotene ärztliche Handeln<br />
am Lebensende. Vielmehr kommt es dann <strong>zu</strong><br />
einer frühen oder unzeitigen Beendigung des<br />
Lebens, ohne auf die belastenden Symptome<br />
des Betroffenen therapeutisch eingehen <strong>zu</strong><br />
müssen. Man lässt ihn hilflos sterben – und<br />
das soll keine strafbare Handlung sein, obwohl<br />
dann eine „unterlassene Hilfeleistung“<br />
nach § 323c StGB vorliegen würde? Im geltenden<br />
Recht kommen „aktive“ und „passive“<br />
Sterbehilfe als Termini nicht vor.<br />
Nach F. H. Hoßfeld „Tun oder Unterlassen“<br />
(Rechtsphilosophische Schriften, Peter Lang,<br />
Internat. Verlag der Wissenschaften, 2007)<br />
wurde die Sterbehilfe als eine Tötung – durch<br />
ein Tun oder Unterlassen – um des Patienten<br />
willen so definiert: „Um etwa die Tötung von<br />
unheilbar kranken Patienten aus ökono-<br />
Bildarchiv Baust<br />
Palliativmedizin<br />
„Euthanasia medica” – Sterben in Würde.<br />
mischen Motiven von vornherein aus<strong>zu</strong>schließen,<br />
wurde der Begriff ,Sterbehilfe’ auf solche<br />
Fälle begrenzt, in denen der Tod als Mittel <strong>zu</strong>r<br />
Leidensverkür<strong>zu</strong>ng herbeigeführt <strong>wir</strong>d.“ Wenn<br />
diese Überlegung richtig ist, lässt sich an der<br />
unterschiedlichen Bewertung von aktiver und<br />
passiver Sterbehilfe nicht festhalten.<br />
Der Sterbehelfer, der ein tödliches Mittel<br />
verabreicht, will genauso den Tod des Patienten<br />
<strong>zu</strong>r Leidensverkür<strong>zu</strong>ng wie derjenige,<br />
der eine lebenserhaltende Maßnahme nicht<br />
fortsetzt. Die Folgen der Handlung sind als<br />
Mittel <strong>zu</strong>r Beendigung des Leidens gewollt.<br />
Das heißt, weder das Tun oder Unterlassen<br />
noch der Grad ihrer Vorsätzlichkeit kann eine<br />
Handlung rechtfertigen, die normalerweise<br />
verboten ist.<br />
Ohne auf weitere ethische und juristische<br />
Standpunkte eingehen <strong>zu</strong> wollen: Ein Verzicht<br />
auf die genannten Ergän<strong>zu</strong>ngen und Begriffe<br />
würde der besseren Verständigung dienen.<br />
Das Lavieren mit diesen sehr auslegungsfähigen<br />
Begriffen könnte damit wegfallen. Auch<br />
der Entscheidungs- und Handlungsprozess<br />
der Ärzte dürfte sich dann künftig kompetenter,<br />
verständlicher und nach den geltenden<br />
medizinisch-ethischen und rechtlichen Regeln<br />
präziser gestalten.<br />
Wenn <strong>wir</strong> diesen notwendigen Schritt endlich<br />
wagen – und er muss von uns Ärzten<br />
erfolgen – , könnten <strong>wir</strong> die Vielfalt der hausgemachten<br />
und konstruierten Missverständnisse<br />
über das Lebensende durch eine klärende<br />
Botschaft und mit einer gemeinsamen<br />
Sprache bald überwinden.<br />
Möge dieser kleine Beitrag Anlass <strong>zu</strong>m<br />
weiteren Nachdenken über die entstandene<br />
medizinisch-ethische, juristische und sozialpolitische<br />
Lage sein. ❏<br />
Günter Baust, Petersberg<br />
11
Zertifizierte Fortbildung<br />
Symptomkontrolle in der Palliativmedizin<br />
Gegenstand der Palliativmedizin ist die Behandlung und Begleitung von<br />
Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen<br />
Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Durch eine ganzheitliche<br />
Behandlung soll Leiden umfassend gelindert werden, um dem Patienten<br />
und seinen Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung <strong>zu</strong> helfen und ihm<br />
eine Verbesserung der Lebensqualität <strong>zu</strong> ermöglichen. Dies ist auch eine<br />
der Kernaussagen der Sat<strong>zu</strong>ng der Deutschen Gesellschaft für Palliativ-<br />
medizin. Wie die Behandlung der wichtigsten Symptome in der Endphase<br />
des Lebens aussehen sollte, schildern Hanna Ludwig und Dr. med. Uwe<br />
Junker vom Sanaklinikum Remscheid.<br />
W elche<br />
Aspekte eine ganzheitliche Behandlung<br />
des Leidens beachten<br />
sollte, beschrieb schon 1964 Cicely Saunders<br />
(1920 – 2005), die englische Begründerin der<br />
Palliativmedizin, mit dem Begriff „Total Pain“<br />
sehr treffend [1]. Sie verstand darunter ein<br />
Phänomen, das Jahrzehnte später mit dem<br />
schwerfälligen Ausdruck „biopsychosoziales<br />
Schmerzmodell“ benannt werden sollte, nämlich<br />
dass Schmerzen eine physische, psychische,<br />
soziale und spirituelle Dimension<br />
haben.<br />
Saunders hatte in ihrer praktischen Tätigkeit<br />
früh erkannt, dass z. B. durch regelmäßige<br />
Gabe von Morphinlösung nur ein Teil der<br />
Schmerzen ihrer Patienten gebessert wurde<br />
und folglich andere Leidensaspekte ebenfalls<br />
behandelt werden mussten.<br />
Das bedeutet auch für uns, dass bei jedem<br />
Patienten, der unter einer gut durchdachten<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> kaum Linderung erfährt,<br />
nach Leidensdruck im psychischen, sozialen<br />
oder spirituellen Bereich gesucht werden<br />
sollte.<br />
Ebenso gilt, dass anhaltende körperliche<br />
Probleme den Lebenswillen stark beeinflussen.<br />
Unbehandelte Schmerzen können <strong>zu</strong><br />
Suizidgedanken und Depression führen. Eine<br />
gute Therapie körperlicher Symptome ist<br />
also ein Beitrag <strong>zu</strong> mehr Lebensqualität beim<br />
Schwerkranken. Die Hauptbeschwerden am<br />
Lebensende sind Schwäche, Schmerzen und<br />
Anorexie (vgl. Tab. 1 [nach 2]).<br />
Oft kann dem Wunsch der Patienten nach<br />
einem Tod in der eigenen Wohnung entsprochen<br />
werden. Notfallmäßige Krankenhauseinweisungen<br />
von Sterbenden erfolgen am häufigsten<br />
wegen Luftnot und Übelkeit [3].<br />
Daher ist es wichtig, bei der Begleitung<br />
Sterbender mögliche Verschlechterungen im<br />
Voraus <strong>zu</strong> bedenken, sie mit den Angehörigen<br />
oder Pflegediensten <strong>zu</strong> besprechen und einen<br />
Notfallplan <strong>zu</strong> erstellen.<br />
12<br />
In diesem Artikel werden die Hauptsymptome<br />
unter praktischen Gesichtspunkten<br />
besprochen; <strong>zu</strong>r Vertiefung der Kenntnisse<br />
empfehlen <strong>wir</strong> den Basiskurs Palliativmedizin<br />
(40 Stunden), der vielerorts bereits als<br />
Wochenendkurs durchgeführt <strong>wir</strong>d. Die<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> bei Tumorkranken wurde in<br />
Heft 2/2007 der SCHMERZTHERAPIE durch<br />
Freynhagen und Junker bereits ausführlich<br />
dargestellt [6].<br />
Fatigue<br />
Die Mehrzahl der Tumorpatienten klagt über<br />
eine Abnahme der Leistungsfähigkeit auf allen<br />
Ebenen. Dies <strong>wir</strong>d am besten unter dem<br />
Begriff Fatigue <strong>zu</strong>sammengefasst:<br />
Fatigue bei Krebskranken ist ein subjektives<br />
Gefühl unüblicher Müdigkeit, das sich<br />
aus<strong>wir</strong>kt auf den Körper (29%), die Gefühle<br />
(59%) und die mentalen Funktionen (12%),<br />
das mehrere Wochen andauert und sich<br />
durch Ruhe und Schlaf nur unvollständig oder<br />
gar nicht beheben lässt [4].<br />
Ein genaues Erfragen des Ausmaßes der<br />
Müdigkeit und ihrer Aus<strong>wir</strong>kung im täglichen<br />
Alltag führt <strong>zu</strong>m einen <strong>zu</strong>r Wahrnehmung des<br />
Problems durch alle Beteiligten und ermöglicht<br />
<strong>zu</strong>m anderen, Strategien <strong>zu</strong>m Umgang<br />
mit diesem Symptom <strong>zu</strong> entwickeln. Wenn<br />
keine ursächlichen Therapieansätze sichtbar<br />
sind (z.B. hormonelle Störungen, Korrektur<br />
des Hämoglobinspiegels, Elekrolytentgleisungen,<br />
Medikamentenüberdosierungen),<br />
sollte mit dem Patienten und seiner Familie<br />
besprochen werden, wie mit dem niedrigen<br />
„Energiekonto“ sorgsam umgegangen werden<br />
kann. Ziel ist ein vorsichtiger Wechsel von körperlicher<br />
Aktivität und Ruhephasen, z.B. mit<br />
frühzeitigem Einsatz eines unterstützenden<br />
Hilfsmittels wie einem Rollstuhl. Der Einsatz<br />
von Medikamenten wie Steroiden, Psychostimulanzien<br />
und Hormonen <strong>wir</strong>d kontrovers<br />
diskutiert [5], kann aber beim einzelnen Pa<br />
SCHMERZTHERAPIE<br />
Hanna Ludwig und Uwe Junker, Remscheid<br />
tienten durchaus hilfreich sein. Inzwischen<br />
gibt es spezialisierte Sprechstunden für Fatiguepatienten<br />
(z. B. Klinik für Palliativmedizin,<br />
Universität Aachen).<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
Die <strong>Schmerztherapie</strong> beim Schwerkranken<br />
folgt den allgemeinen Grundsätzen (s. Freynhagen<br />
et al. SCHMERZTHERAPIE 2/2007<br />
[6]), muss sich aber mit <strong>zu</strong>nehmendem Verfall<br />
des Patienten verändern. So zwingen Gewichtsreduktion,<br />
abnehmende Organfunktion<br />
und veränderte Essensgewohnheiten <strong>zu</strong> einer<br />
individuellen Anpassung von Dosierungen<br />
und insbesondere auch Applikationsformen.<br />
Geschmacksstörungen sind häufig, was<br />
<strong>zu</strong>r Ablehnung von Medikamenten führen<br />
Tabelle 1: Die häufigsten Symptome<br />
bei fortgeschrittener Krebserkrankung<br />
[2]<br />
■ Schwäche 95%<br />
■ Schmerzen 80%<br />
■ Anorexie 80%<br />
■ Obstipation 65%<br />
■ Luftnot 60%<br />
■ Schlaflosigkeit 60%<br />
■ Schwitzen 60%<br />
■ Ödeme 60%<br />
■ Mundtrockenheit 50%<br />
■ Übelkeit 50%<br />
■ Erbrechen 40%<br />
■ Angst 40%<br />
■ Husten 30%<br />
■ Ver<strong>wir</strong>rung 30%<br />
■ Druckgeschwüre 30%<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
kann. Die Mundtrockenheit unter Opioiden<br />
bedingt nicht selten Schluckstörungen. Daher<br />
sollte früh bedacht werden, ob nicht ein<br />
Wechsel auf eine transdermale oder subkutane<br />
Applikationsform angebracht ist. Für ein<br />
transdermales System spricht die einfache Anwendung,<br />
dagegen die langsame Pharmakokinetik<br />
(ausreichende Wirkung frühestens nach<br />
12–24 Std.) [6] und die unsichere Resorption<br />
bei reduzierten Kreislaufverhältnissen.<br />
In der Palliativmedizin <strong>wir</strong>d seit Jahrzehnten<br />
die subkutane Gabe von Medikamenten<br />
bevor<strong>zu</strong>gt [7, 8], die durchaus von<br />
pflegenden Angehörigen durchgeführt werden<br />
kann. Der Patient erhält eine subkutane<br />
Injektionsnadel, die über drei bis sieben Tage<br />
belassen <strong>wir</strong>d [8]. Das hat den Vorteil, dass<br />
der Patient ohne weitere schmerzhafte Injektionen<br />
mehrfach täglich Medikamente subkutan<br />
erhalten kann. Alternativ da<strong>zu</strong> können<br />
Spritzenpumpen angeschlossen werden, die<br />
eine Medikamentenmischung kontinuierlich<br />
über 24 Stunden abgeben. Auf diese Weise<br />
vermeidet man schwankende Medikamentenspiegel.<br />
Viele Medikamente sind zwar für den<br />
subkutanen Gebrauch nicht <strong>zu</strong>gelassen, aber<br />
seit Langem in der Palliativmedizin in dieser<br />
Form im Gebrauch.<br />
Ähnliches gilt für die Mischungen, für die<br />
inzwischen alltagstaugliche Tabellen existieren,<br />
die über mögliche Inkompatibilitäten informieren.<br />
So ist die Kombination von Morphin<br />
Tabelle 2: Antiemetika<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
mit Metoclopramid und Midazolam in der klinischen<br />
Erfahrung unproblematisch.<br />
Das maßgebliche englische Standardwerk<br />
hier<strong>zu</strong> erschien 2005 nach Bearbeitung<br />
durch Bausewein in deutscher Sprache [9].<br />
Ebenso finden sich alle Informationen unter<br />
www.palliativedrugs.com.<br />
Umrechnungsfaktoren (nach [9] und www.<br />
palliativedrugs.com)<br />
Morphindosis oral : 2 bis 3 = s.c.<br />
Oxycodon oral – 1/3 = s.c.<br />
Hydromorphondosis oral : 6 = s.c.<br />
Morphin s.c. = Oxycodon s.c.<br />
Dyspnoe<br />
Dyspnoe beschreibt den Zustand subjektiv<br />
erlebter Atemnot (Luftnot, Lufthunger), dessen<br />
Schwere nur der Patient selbst beurteilen<br />
kann [10]. Die Ausdrücke „Atemnot“ und „Lufthunger“<br />
weisen deutlich auf die emotionale<br />
Komponente dieses Symptoms hin: Die Atmung,<br />
ein Vorgang, der normalerweise unbewusst<br />
geschieht [11], <strong>wir</strong>d als unangenehm<br />
und beklemmend wahrgenommen, der Patient<br />
ist „in Not“. Atmung bedeutet Leben; eine<br />
Störung <strong>wir</strong>d daher von Patienten und Angehörigen<br />
als lebensbedrohlich empfunden und<br />
setzt ängstliche Reaktionen bis hin <strong>zu</strong> Ohnmachtsgefühlen<br />
in Gang. Dies führt oft da<strong>zu</strong>,<br />
dass sich die Atemnot durch erhöhte Atemanstrengungen<br />
und Anspannung noch steigert.<br />
Anhaltende Dyspnoe beeinflusst stark den<br />
I. Antiemetika mit zentraler Wirkung [23]<br />
Wirkort Wirkstoffgruppe Wirkstoff (Beispiele) Dosis p.o.<br />
Chemorezeptor- Dopaminantagonisten Haloperidol 1 x 2 mg abends<br />
triggerzone Levomepromazin 3 x 3 mg<br />
Metoclopramid 3 x 10–20 mg<br />
5-HT3-Antagonisten Ondansetron 2 x 4–8 mg<br />
Brechzentrum Anticholinergika Scopolamin TTS 1 mg/72 Std.<br />
Antihistaminika Dimenhydrinat 3 x 50 mg<br />
Levomepromazin 3 x 3 mg<br />
5-HT2-Antagonisten Levomepromazin<br />
Zerebraler Cortex Benzodiazepine Lorazepam 2 x 0,5 mg<br />
Steroide Dexamethason 1 x 2–8 mg<br />
Cannabinoide Dronabinol 2–4 x 2,5 mg<br />
II. Antiemetika mit Wirkung im Gastrointestinaltrakt<br />
Prokinetisch 5-HT4-Agonist Metoclopramid 3 x 10–20 mg<br />
Dopaminantagonist Metoclopramid<br />
5-HT3-Rezeptor-<br />
Blockade<br />
5-HT3-Blocker Ondansetron s.o.<br />
Antisekretorisch Anticholinergika N-Butylscopolamin<br />
(keine antiemetische Wirkung)<br />
s. Text<br />
Somatostatinanaloga Octreotid<br />
(keine antiemetische Wirkung)<br />
s. Text<br />
Antiödematös Steroide Dexamethason s. Text<br />
Bildarchiv Junker<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Erreichen bestmöglicher Lebensqualität ist<br />
in der Palliativmedizin oberstes Gebot.<br />
Lebenswillen der Schwerkranken, die in fortgeschrittenem<br />
Stadium mit einer Häufigkeit<br />
bis <strong>zu</strong> 60% an Luftnot leiden [12].<br />
Gerade in dieser Situation ist es umso<br />
wichtiger, dass der Therapeut die Ruhe bewahrt<br />
und sehr genau darüber nachdenkt,<br />
was <strong>zu</strong> tun ist [13]. Zunächst sammelt man in<br />
der Anamnese wichtige Hinweise: Beginn der<br />
Luftnot langsam oder akut, Ursache Schmerz<br />
oder Angst, bestimmte Auslöser (z. B. Angehörigenbesuch),<br />
Ruhedyspnoe oder Atemnotattacke.<br />
Hin<strong>zu</strong> kommen die Befunde der körperlichen<br />
Untersuchung, bei der die meisten<br />
Ursachen für Dyspnoe bereits festgestellt<br />
werden können: z.B. Pneumonie, Bronchospastik,<br />
Lungenödem, Pleuraerguss (ab 500<br />
ml), Zwerchfellhochstand durch Aszites oder<br />
Ileus, generalisierte Ödemneigung, Angst<br />
und Hyperventilation. Weitere diagnostische<br />
Schritte sollten nur unternommen werden,<br />
wenn daraus auch Konsequenzen resultieren.<br />
Ist eine ursächliche Therapie der Luftnot<br />
möglich, muss sie mit dem Patienten diskutiert<br />
werden. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium<br />
lehnen viele Patienten medizinische<br />
Eingriffe ab und bitten nur noch um Linderung<br />
ihrer Leiden.<br />
Ein stufenweises Vorgehen könnte so aussehen<br />
[nach 14]:<br />
1. Allgemeine Maßnahmen:<br />
Lagerung<br />
Frischluft<strong>zu</strong>fuhr [Fenster öffnen, Ventilator)<br />
Entspannungsverfahren (Patienten nicht<br />
allein lassen!)<br />
Selten O 2Gabe<br />
2. Abnahme von Tachypnoe und Atemarbeit<br />
und Beeinflussung der Wahrnehmung der<br />
Dyspnoe durch Opioide:<br />
Morphin 2,5 mg p.o./4 h beim opioidnaiven<br />
Patienten, Erhöhung der Tagesdosis um bis<br />
13
<strong>zu</strong> 50% beim opioidgewohnten Patien<br />
ten.<br />
3. Anxiolyse:<br />
Lorazepam 1–2,5 mg s.l.<br />
4. Bei Panik sedierende Maßnahmen:<br />
Levomepromazin und/oder Benzodiazepine<br />
(z. B. Midazolam 1–2,5 mg i.v.)<br />
Die Gründe für eine gute Wirkung der Opioide<br />
bei Dyspnoe sind folgende:<br />
■ Emotionale Reaktionen werden gedämpft<br />
(limbisches System).<br />
■ Atemzentrum <strong>wir</strong>d gedämpft, rasche oberflächliche<br />
Atmung <strong>wir</strong>d ruhiger, tiefer und<br />
langsamer = Ökonomisierung der Atmung.<br />
■ Wirkung auf Hustenrezeptoren in der Lunge.<br />
■ Reduktion des Widerstandes im kleinen<br />
Kreislauf = Entlastung des Herzens [13].<br />
Bei vorsichtiger Titration ist keine Atemdepression<br />
<strong>zu</strong> erwarten.<br />
Morphin <strong>wir</strong>d am häufigsten <strong>zu</strong>r Therapie<br />
einer Dyspnoe verwendet; möglich ist<br />
jedoch auch der Gebrauch anderer Opiate,<br />
die den µRezeptor ansprechen, z. B. von<br />
Hydromorphon. Versuche, Morphin inhalativ<br />
14<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Tabelle 3: Laxanzien [nach 23]<br />
<strong>zu</strong> verabreichen, konnten nicht überzeugen,<br />
was sicher auch am bitteren Geschmack der<br />
Substanz liegt. Ein Versuch mit hoch dosiertem<br />
Kortison kann sinnvoll sein, wenn der<br />
Verdacht besteht, dass eine Schwellung die<br />
Luftwege einengt.<br />
Die Gabe von parenteraler Flüssigkeit sollte<br />
bei Luftnot auf ein Minimum reduziert werden<br />
(500 ml/Tag), eventuell kann auch mit Diuretika<br />
ein Flüssigkeitsent<strong>zu</strong>g be<strong>wir</strong>kt werden.<br />
Sauerstoffgabe bei Luftnot in palliativer Situation<br />
<strong>wir</strong>d möglichst vermieden. Der apparative<br />
Aufwand lenkt erheblich vom Patienten ab,<br />
der gerade in dieser Situation viel Zuwendung<br />
braucht. Zudem be<strong>wir</strong>kt die Luftinsufflation ein<br />
Austrocknen der Schleimhäute in Mund und<br />
Nase – ein Problem, dass die opioidtherapierten<br />
Patienten ohnehin sehr quält.<br />
Untersuchungen haben ergeben, dass die<br />
Sauerstoffgabe im Vergleich <strong>zu</strong> Luft und <strong>zu</strong><br />
Opioiden keine Verbesserung der Dyspnoe<br />
be<strong>wir</strong>kt [6, 15]. Bei hoch dosierter O 2Gabe<br />
besteht <strong>zu</strong>sätzlich das Risiko von Resorptionsatelektasen<br />
[17].<br />
Wirkstoff Handelsname Dosis Wirkungs- Bemerkungen/<br />
(Beispiele) eintritt Neben<strong>wir</strong>kungen<br />
Macrogol Movicol 1–3 Btl. 1–2 d Bei Koprostase bis 8 Btl.<br />
Osmotische Laxanzien<br />
Lactulose Bifiteral 1–30 ml 8–10 h Blähungen, Völlegefühl<br />
Mannitol Mannit-Lsg. 20–50 g als<br />
5–20% Lsg.<br />
Salinische Laxanzien<br />
Mg-Sulfat Bittersalz 10–20 g 2–4 h Cave Niereninsuffizienz<br />
Na-Sulfat Glaubersalz 2–4 h Cave Herzinsuffizienz<br />
Stimulierende Laxanzien<br />
Senna Pursennid 2–4 Drg. 8–12 h<br />
Liquidepur 5–20 ml 8–12 h<br />
Rizinusöl Laxopol 1–2 EL 2–4 h Aspiration löst<br />
Lipidpneumonie aus<br />
Kapseln 4–6 g<br />
Bisacodyl Dulcolax 10 mg 8–12 h<br />
Na-picosulfat Laxoberal 10–40 Trpf. 6–12 h<br />
Phenol- Obstinol 10–20ml 12–48 h Rotfärbung von Urin, Stuhl<br />
phthalein Cave Allergien<br />
Gleitmittel<br />
Docusat- Potsilo 25–50 mg Std. bis Tage Nur als Kombinations-<br />
Natrium präparat<br />
Paraffin Agarol 10–30 ml 8–12 h Resorptionshemmung von<br />
Fett und fettlösl. Vitaminen,<br />
Malabsorption, Gefahr von<br />
Fremdkörpergranulomen<br />
Patienten und Angehörige empfinden es<br />
beim Symptom Luftnot als sehr hilfreich, wenn<br />
sie gut beraten werden und Entspannungs<br />
und Atemübungen erlernen [18]. Dies ist ein<br />
Einsatzbereich für Physiotherapeuten, die die<br />
Patienten noch mit Thoraxvibrationsmassage<br />
und Mobilisierungsübungen (frühzeitiger Einsatz<br />
des Gehwagens) unterstützen können [20].<br />
Übelkeit und Erbrechen<br />
Diese Symptome quälen gerade Tumorpa<br />
tienten häufig und ziehen leicht Komplikationen<br />
nach sich wie unsichere Resorption von<br />
Medikamenten, Flüssigkeits, Elekrolytverlust<br />
und Schwäche. Das ständige Unwohlsein<br />
führt bei Patienten und Angehörigen <strong>zu</strong> gesteigerter<br />
„Angst vor dem Verhungern“ mit<br />
sinkender Compliance und Ablehnung von<br />
Therapien. Abgesehen von somatischen Ursachen<br />
kann Übelkeit ein Ausdruck psychosozialer<br />
Probleme sein, wie <strong>zu</strong>m Beispiel in<br />
Redewendungen wie diesen deutlich <strong>wir</strong>d:<br />
„Seinen Ärger ausspucken“ oder „Etwas liegt<br />
schwer im Magen“ [21].<br />
Die genaue Anamnese (Beginn, Dauer, Ablauf,<br />
Aussehen und Geruch des Erbrochenen)<br />
liefert viele Hinweise für die Diagnose. Gründe<br />
von Übelkeit und Erbrechen sind [22]:<br />
■ Gastrointestinale Funktionsbeeinträchtigungen<br />
■ Pharyngeale Erkrankungen<br />
■ Arzneimittel, toxische Ursachen<br />
■ Metabolische Unstimmigkeiten<br />
■ Gestörte Funktion der neuronalen Steuerung<br />
■ Hirnmetastasen<br />
■ Schmerzen und psychische Störungen.<br />
Allgemeine Regeln beim Umgang mit Patienten,<br />
die an Übelkeit leiden:<br />
■ Frische Luft im Raum, Vermeidung starker<br />
Gerüche<br />
■ Bequeme, aufrechte Lagerung <strong>zu</strong>m Essen<br />
■ Essen in ruhiger Atmosphäre, in kleinen<br />
Portionen, Wunschkost (!), keine Diäten<br />
■ „Fütternde“ Angehörige aufklären und einbeziehen.<br />
Die anatomischen Strukturen, die bei Übelkeit<br />
und Erbrechen <strong>zu</strong>sammen<strong>wir</strong>ken, können<br />
medikamentös beeinflusst werden (Tab. 2).<br />
Ist die Ursache unklar oder mehrfaktoriell,<br />
empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen<br />
unter Beachtung der möglichen Neben<strong>wir</strong>kungen<br />
und Kontraindikationen. Liegt keine<br />
Obstruktion vor, so ist für uns Metoclopramid<br />
das Medikament der ersten Wahl. Damit bei<br />
Erfolglosigkeit rasch eine Besserung eintritt,<br />
folgen <strong>wir</strong> im nächsten Schritt den englischen<br />
Kollegen, die gern Levomepromazin einsetzen,<br />
weil es ein so breites Wirkspektrum besitzt<br />
(Antagonismus <strong>zu</strong> Dopamin, Histamin,<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Nach Freynhagen et al., <strong>Schmerztherapie</strong> Nr. 2/2007, S. 12–17 Abbildung 1: Stufenschema der Laxanzientherapie<br />
1<br />
2<br />
Acetylcholin und 5HT2Rezeptoren). In niedriger<br />
Dosis (3 x 3 mg = 3 x 3 Trpf. p.o. oder<br />
12,5 mg/24 h s.c.) verwendet, treten kaum<br />
Neben<strong>wir</strong>kungen auf [23].<br />
Rasche Erfolge erzielt man mit der Gabe<br />
von Dexamethason, was besonders in der<br />
Terminalphase der Patienten wichtig ist, in<br />
der es nur noch um Linderung und nicht um<br />
Beachtung von Kontraindikationen geht.<br />
Bei unsicherer Medikamentenresorption<br />
sollte der rektale oder subkutane Applikationsweg<br />
genutzt werden, damit es dem<br />
Patienten rasch besser geht. Ohne permanentes<br />
Unwohlsein tolerieren die meisten<br />
Patienten Erbrechen zwei bis dreimal/Tag,<br />
sodass eine Magensonde nur die Ausnahme<br />
sein muss.<br />
Vorgehen bei intestinaler<br />
Obstruktion:<br />
1. Therapie der Übelkeit<br />
2. Spasmolyse: Metamizol, NButylscopolamin<br />
3. Reduktion der intestinalen Sekrete: NButylscopolamin<br />
60 bis max. 300 mg/Tag s.c.;<br />
wenn nach zwei Tagen keine Besserung,<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
3<br />
Macrogol<br />
4<br />
5<br />
Rizinusöl<br />
Manuelle Ausräumung<br />
Senna & Paraffin & Amidotrizoesäure<br />
Macrogol & Senna & Paraffin<br />
& Suppositorien & Einlauf<br />
Macrogol & Senna & Paraffin<br />
Macrogol & Senna<br />
Macrogol & Natriumpicosulfat<br />
Tabelle 4: Ursachen für Obstipation in der Palliativmedizin (mod. nach [24])<br />
■ Tumorbedingt (gastrointestinale Obstruktion, Infiltration nervaler Strukturen)<br />
■ Durch reduzierten Allgemein<strong>zu</strong>stand bedingt (Immobilität, Schwäche, veränderte Ess-<br />
und Trinkgewohnheiten, Ver<strong>wir</strong>rtheit, Depression, Übelkeit und Erbrechen)<br />
■ Durch Medikamente bedingt (Opioide, Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva,<br />
Phenothiazine, Scopolamin, N-Butylscopolamin, Sedativa, Ondansetron, Diuretika,<br />
aluminiumhaltige Antazida, Antihistaminika, Zytostatika)<br />
■ Metabolisch bedingt (Hyperkalziämie, Hypokaliämie, Urämie)<br />
6<br />
7<br />
Nach: Klaschik E et al., Support Care Cancer 2003;11:679–685<br />
■ Andere Erkrankungen (Hypothyreose, Diabetes mellitus, Divertikulose, Hämorrhoiden,<br />
Analfissuren, Verlust des analen Dehnungsreflexes)<br />
8<br />
Umsetzen auf Octreotid 250 bis 750 µg/Tag<br />
s.c., ggf. Protonenpumpenblocker.<br />
Obstipation<br />
Die Hälfte aller Schwerkranken leidet an Obstipation,<br />
bei Behandlung mit Opioiden steigt<br />
die Rate sogar auf über 90% [20]. Eine genaue<br />
Definition der Obstipation <strong>wir</strong>d durch die<br />
große Varianz der Stuhlgewohnheiten erschwert.<br />
Den Stellenwert des Symptoms<br />
muss man durch eine genaue Anamnese und<br />
abdominelle sowie rektale Untersuchung herausfinden.<br />
Klagt der Patient über eine niedrige<br />
Stuhlfrequenz, nicht ausreichende Mengen<br />
evtl. mit dem Gefühl der unvollständigen<br />
Entleerung, <strong>zu</strong> harte Konsistenz oder Schmerzen<br />
beim Stuhlgang, dann sollte therapeutisch<br />
eingegriffen werden. Die Ursachen der<br />
Obstipation sind vielfältig (Tab. 4). Wenn möglich<br />
beginnt man mit einer kausalen Therapie,<br />
um dem Patienten weitere Medikamenteneinnahmen<br />
<strong>zu</strong> ersparen.<br />
Ist eine laxative Therapie indiziert, gilt es,<br />
unter den verschiedenen Medikamenten die<br />
Kombination <strong>zu</strong> finden, die der Patient toleriert.<br />
Für Patienten, die keine Probleme bei<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
der Flüssigkeitsaufnahme haben, ist das Stufenschema<br />
nach Klaschik et al. [25] empfehlenswert<br />
(Abb. 1).<br />
Basistherapeutikum ist Macrogol, welches<br />
nicht aus dem Darmlumen resorbiert <strong>wir</strong>d,<br />
wegen seines definierten Wasserbindungsvermögens<br />
dem Körper keine Flüssigkeit oder<br />
Elektrolyte entzieht und selten Blähungen<br />
verursacht (Tab. 3).<br />
Wenn aber die Aufnahme von drei gro<br />
ßen Gläsern Macrogol/Tag <strong>zu</strong>m Problem <strong>wir</strong>d,<br />
sollte die Therapie verändert werden. Dann<br />
kann die Kombination von Paraffin 30 ml als<br />
Gleitmittel und Natriumpicosulfat 40 Tropfen/<br />
Tag p.o. eine gute Alternative sein.<br />
Bettlägerige Patienten, denen Stuhlgang<br />
und Mobilisation Schmerzen bereiten, sind<br />
gern mit „Abführtagen“ einverstanden, weil<br />
dann alle nötigen Manöver (z.B. Gabe von<br />
Analgetika vor Lagerung und Reinigung) ruhig<br />
und geplant ablaufen. Abends könnte ein<br />
Suppositorium Glycerin <strong>zu</strong>r Stuhlerweichung<br />
verabreicht werden, um dann morgens den<br />
Darm mit Bisacodyl rektal <strong>zu</strong> stimulieren.<br />
In Hospizen gibt es <strong>zu</strong>sätzlich viele Hausrezepte<br />
für sanfte Einläufe und darmanregende<br />
Wickel.<br />
Die fixe Kombination eines Opioidanalgetikums<br />
mit einem µRezeptorantagonisten wie<br />
bei Tilidin/Naloxon oder Oxycodon/Naloxon<br />
kann das Risiko der Obstipation vermindern.<br />
Eine neue Therapieoption steht mit Methylnaltrexon<br />
<strong>zu</strong>r Verfügung, einem Antagonisten<br />
der µOpioidrezeptoren, der keine eigene intrinsische<br />
Aktivität besitzt. Die Anwendung erfolgt<br />
parenteral (i.v. oder s.c.) und be<strong>wir</strong>kt bei<br />
rund 60% der Patienten eine Stuhlentleerung<br />
innerhalb von Stunden, ohne die Analgesie<br />
durch Opioide auf<strong>zu</strong>heben [25].<br />
Schlussbemerkung:<br />
„Wie Menschen sterben, verbleibt im Gedächtnis<br />
derer, die weiterleben, und für sie<br />
(sowie für die Patienten selbst) sind <strong>wir</strong> verpflichtet,<br />
über den Verlauf und die Behandlung<br />
terminaler Schmerzen und Leiden informiert<br />
<strong>zu</strong> sein.<br />
Das, was in den letzten Stunden geschieht,<br />
kann frühere Erinnerungen heilen oder es<br />
bleibt als zerstörendes Andenken, das die<br />
Bewältigung der Trauer verhindert“ (Dame<br />
Cicely Saunders). ❏<br />
Literatur bei den Verfassern und im Internet<br />
unter www.cme-punkt.de, wo Sie auch<br />
die CMEÜbersicht und die Fragen <strong>zu</strong>r Zertifizierung<br />
finden (siehe nächste Seite).<br />
Hanna Ludwig, Uwe Junker, Remscheid<br />
15
16<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
CME-Herausgeber- und Review-Board:<br />
Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen; Dr. Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden; Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg<br />
In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer<br />
und der Deutschen Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong> e.V. – DGS<br />
CME-Fragen Symptomkontrolle in der<br />
Palliativmedizin<br />
Hier können Sie CME-Punkte sammeln a) für die Pflichtfortbildung aller<br />
Vertragsärzte und b) für freiwillige Fortbildungszertifikate, die viele Landesärztekammern<br />
anbieten. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen<br />
Fortbildungsbeitrag (S. 12–15). Die Antworten ergeben sich aus dem Text.<br />
Wenn Sie 70% der Fragen richtig beantworten, erhalten Sie 2, bei 100% 3 CME-<br />
Punkte. Es <strong>wir</strong>d jeweils nur eine richtige Antwort gesucht. Teilnehmen können Sie<br />
nur via Internet über www.cme-punkt.de (Einzelheiten siehe nächste Seite).<br />
Einsendeschluss ist der 21.11.<strong>2008</strong>.<br />
1. Das Hauptziel der Palliativmedizin für die<br />
Patienten ist<br />
A. die Verbesserung der Mobilität.<br />
B. die Verlängerung der Lebensdauer.<br />
C. die Verbesserung der Lebensqualität.<br />
D. die Versorgung im Hospiz.<br />
E. Linderung von körperlichen Symptomen.<br />
2. Was ist unter dem Begriff „Total Pain“<br />
nach Cicely Saunders <strong>zu</strong> verstehen?<br />
Der Schmerz …<br />
A. beherrscht vollkommen die sozialen Beziehungen.<br />
B. dominiert das Befinden des Patienten.<br />
C. besitzt eine physische und psychische Komponente.<br />
D. besitzt eine physische, psychische, soziale<br />
und spirituelle Dimension.<br />
E. Der Patient kann sich nur noch auf den<br />
Schmerz konzentrieren.<br />
3. Fatigue ist …<br />
A. eine länger als 6 Monate anhaltende unerklärliche<br />
Müdigkeit.<br />
B. meist durch eine medikamentöse Therapie<br />
nicht <strong>zu</strong> behandeln.<br />
C. durch Ruhe und Schlaf <strong>zu</strong> bessern.<br />
D. immer eine Folge der Chemotherapie.<br />
E. ein seltenes, aber schwerwiegendes Symptom<br />
bei Tumorleiden.<br />
4. Welche Aussage <strong>zu</strong>r palliativen <strong>Schmerztherapie</strong><br />
trifft <strong>zu</strong>?<br />
A. Die Dosierung richtet sich in der palliativen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> nach der Schmerzinten<br />
SCHMERZTHERAPIE<br />
sität und nicht nach dem Körpergewicht.<br />
B. Geschmacksstörungen können die Compliance<br />
bei oralen Analgetika beeinträchtigen.<br />
C. Der Wechsel von oralen auf transdermale<br />
Systeme führt innerhalb von 4 Stunden <strong>zu</strong><br />
stabilen Medikamentenspiegeln.<br />
D. Die subkutane Gabe von Medikamenten ist<br />
in der Palliativmedizin obsolet.<br />
E. Eine subkutane Infusionsnadel muss spätestens<br />
nach 24 Stunden gewechselt<br />
werden.<br />
5. Wenn die orale Morphindosis eines Patienten<br />
120 mg betrug, sollte er subkutan<br />
mindestens wie viel Milligramm erhalten?<br />
A. 10 mg<br />
B. 20 mg<br />
C. 30 mg<br />
D. 40 mg<br />
E. 100 mg<br />
6. Welche Aussage ist falsch? Opioide<br />
sind das Medikament der Wahl bei<br />
Dyspnoe, weil ...<br />
A. sie durch eine Reduktion der Atemfrequenz<br />
die Atemarbeit ökonomisieren.<br />
B. sie durch die Dämpfung des limbischen<br />
Systems eine psychische Distanzierung<br />
be<strong>wir</strong>ken.<br />
C. Hustenreiz reduzieren.<br />
D. sie über eine Widerstandsreduktion des<br />
kleinen Kreislaufs die kardiale Arbeit ent<br />
lasten.<br />
E. sie eine tiefe Sedierung herbeiführen.<br />
Unter www.cme-punkt.de finden Sie<br />
alle zertifizierten Fortbildungsangebote<br />
des Verlags Urban & Vogel. Bei<br />
Anklicken des Zeitschriftentitels<br />
„<strong>Schmerztherapie</strong>“ finden Sie die<br />
derzeit aktive zertifizierte Fortbildung<br />
und die entsprechenden Fragen.<br />
Unmittelbar nach Ausfüllen des<br />
Fragebogens sehen Sie, ob Sie bestanden<br />
haben.<br />
7. Welche Aussage <strong>zu</strong> Übelkeit und Erbrechen<br />
in der Palliativmedizin trifft <strong>zu</strong>:<br />
A. Psychische Ursachen von Übelkeit und Erbrechen<br />
sind in der Palliativmedizin <strong>zu</strong> vernachlässigen.<br />
B. Jeder Patient mit Erbrechen sollte eine Magensonde<br />
erhalten.<br />
C. Bei Übelkeit und Erbrechen sollten<br />
Medikamente bevor<strong>zu</strong>gt subkutan oder rektal<br />
verabreicht werden.<br />
D. Abendliches Erbrechen ist typisch für Patienten<br />
mit gesteigertem Hirndruck.<br />
E. Dexamethason <strong>wir</strong>d wegen <strong>zu</strong> hoher Risiken<br />
hier prinzipiell nicht eingesetzt.<br />
8. Bei inoperabler intestinaler Obstruktion<br />
ist neben den Analgetika eine Kombination<br />
von Medikamenten sinnvoll, um eine Antiemese,<br />
Spasmolyse und Reduktion intestinaler<br />
Sekrete <strong>zu</strong> be<strong>wir</strong>ken. Welches Medikament<br />
gehört nicht in diese Reihe?<br />
A. Levomepromazin<br />
B. NButylscopolamin<br />
C. Methylnaltrexon<br />
D. Octreotid<br />
E. Omeprazol<br />
9. Welche Aussage über die Obstipation bei<br />
Schwerkranken trifft <strong>zu</strong>?<br />
A. Jeder fünfte Schwerkranke leidet an Obstipation.<br />
B. Bei Behandlung mit Opioiden steigt der Anteil<br />
mit Obstipation auf rund 50%.<br />
C. Die Diagnose der Obstipation stützt sich auf<br />
Anamnese, abdominelle und rektale Untersuchung.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
D. Basistherapie der Obstipation ist<br />
Paraffin.<br />
E. Einläufe sind in der Palliativmedizin<br />
obsolet.<br />
10. Welche Aussage über Laxanzien<br />
trifft <strong>zu</strong>:<br />
A. Macrogol <strong>wir</strong>d aus dem Darm resorbiert.<br />
B. Zu den Gleitmitteln gehört auch Rhizinusöl.<br />
C. Glaubersalz (Natriumsulfat) be<strong>wir</strong>kt Blähungen<br />
und Völlegefühl.<br />
D. Die Kombination eines Gleitmittels mit einem<br />
darmstimulierenden Laxans kann sinnvoll<br />
sein.<br />
E. Die Wirkung von Macrogol tritt innerhalb<br />
von 3–4 Stunden ein.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
So kommen Sie <strong>zu</strong> Ihren Punkten:<br />
Die Teilnahme ist nur möglich via Internet unter www.cme-punkt.de.<br />
Dort melden Sie sich als Arzt an und finden unter dem Kopf der Zeitschrift<br />
SCHMERZTHERAPIE die derzeit aktive zertifizierte Fortbildung.<br />
Damit der Fragebogen für die Zertifizierung ausgewertet werden kann, benötigen <strong>wir</strong><br />
von Ihnen die Einheitliche Fortbildungsnummer EFN.<br />
Sie erhalten via Internet unmittelbar Rückmeldung darüber, ob Sie die Fragen richtig<br />
beantwortet haben oder nicht, und können die Bescheinigung sofort ausdrucken. Wir<br />
empfehlen, die Bescheinigungen gesammelt bei Ihrer Landesärztekammer ein<strong>zu</strong>reichen.<br />
Wir führen auf dieser Seite auch ein elektronisches Punktekonto für Sie. Bei erfolgreicher<br />
Teilnahme werden Ihre Daten an den Einheitlichen Informationsverteiler (EIV) der Ärztekammern<br />
weitergegeben.<br />
Nähere Hinweise hier<strong>zu</strong> unter: www.cme-punkt.de/faq.html<br />
Teilnahmeschluss ist der 21.11.<strong>2008</strong><br />
Viel Glück beim Punktesammeln!<br />
Vertebroplastik: Bei Therapieversagern lohnt zweiter Versuch<br />
Eine perkutane Vertebroplastik lindert oft sehr<br />
effektiv die Schmerzen bei osteoporotischen<br />
Wirbelkompressionsfrakturen. Dennoch sind<br />
nach den Erfahrungen von S. C. He et al.<br />
5–22% der Patienten Therapieversager. Bei<br />
den Therapieversagern lohnt sich aber mitunter<br />
auch ein erneuter Versuch auf der gleichen<br />
Wirbelebene, zeigen die Erfahrungen<br />
der chinesischen Experten, die einen Zweiteingriff<br />
bei 15 Patienten durchführten. Insgesamt<br />
wurden in den Jahren 2000 bis 2006<br />
an der chinesischen Klinik 334 Vertebroplastiken<br />
an 242 Patienten durchgeführt. Beim<br />
Zweiteingriff wurden im Durchschnitt 4 ml<br />
Polymethylmethacrylat in den Wirbelkörper<br />
injiziert (1,5–9 ml). Die Schmerzen auf der<br />
auf 1,67 Punkte ab, im Durchschnitt sanken<br />
sie um 6,93 Punkte.<br />
Somit war der Zweiteingriff bei zwölf Patienten<br />
ein voller (73%) und bei vier Patienten<br />
(27%) ein partieller Erfolg. Auch die wiederholte<br />
perkutane Vertebroplastik wurde ohne<br />
ernste Komplikationen vertragen, sodass<br />
die Autoren einen Zweiteingriff bei Therapieversagern<br />
als aussichtsreiche Therapie einschätzen.<br />
Vermutlich war eine un<strong>zu</strong>reichende<br />
Zementfüllung beim Ersteingriff der Grund für<br />
das Therapieversagen.<br />
VAS nahmen postoperativ von Werten von 8,6<br />
He S.C. et al.: Repeat vertebroplasty for unrelieved<br />
pain at previously treated levels with osteoporotic<br />
vertebral compression fractures.<br />
Spine <strong>2008</strong>;15:640–647.<br />
Schwerste Osteoporose.<br />
Infotelegramm<br />
Depressive Symptome ernst nehmen<br />
Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzsyndromen<br />
und begleitenden depressiven Symptomen<br />
sollten möglichst früh antidepressiv behandelt<br />
werden, da das Ansprechen auf eine<br />
Therapie nach einem halben Jahr bereits deutlich<br />
schlechter <strong>wir</strong>d, ergab eine Studie von M.<br />
J. Sullivan et al. an 80 Patienten (Pain<br />
<strong>2008</strong>;135:151–159).<br />
Mit Radiotherapie gegen Gelenkschmerz<br />
Bei einer Patientin mit akuter myeloischer Leukämie<br />
konnte die palliative Radiotherapie, die<br />
vorher therapieresistenten Gelenkschmerzen<br />
bis <strong>zu</strong>m Tod wenige Wochen später deutlich<br />
lindern, berichten A. Chabratborty et al. aus<br />
Toronto (J Pain Symptom Manage <strong>2008</strong>, Epub<br />
ahead of print).<br />
Dr. Thomas Nolte ausgezeichnet<br />
Preisträger des Ideenpark Gesundheits<strong>wir</strong>tschaft<br />
<strong>2008</strong> der Financial Times wurde<br />
Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident<br />
und Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums<br />
Wiesbaden mit dem Projekt „Inte-<br />
grierte Versorgung bei akuten und chronischen<br />
Rückenschmerzen“, das <strong>wir</strong> in <strong>unsere</strong>r<br />
Zeitschrift <strong>Schmerztherapie</strong> 1/2007,<br />
S.7–8 ausführlich vorgestellt haben. Bis Ende<br />
April <strong>2008</strong> wurden inzwischen über 1000<br />
Rückenschmerzpatienten nach diesem wegweisendenRückenschmerz-Behandlungskonzept<br />
behandelt. Über 92% der Behandelten<br />
konnten nach vier oder acht Wochen deutlich<br />
gebessert wieder arbeiten gehen, bei 83%<br />
hielt das positive Behandlungsergebnis auch<br />
über sechs Monate an, sodass keine Krank-<br />
Thomas Nolte, Wiesbaden<br />
Internationale Presse<br />
schreibungen wegen Rückenschmerzen mehr<br />
anfielen.<br />
„Mit dem ,Ideenpark Gesundheits<strong>wir</strong>tschaft’<br />
will die Financial Times Deutschland da<strong>zu</strong> beitragen,<br />
innovative Ideen in die Öffentlichkeit<br />
<strong>zu</strong> tragen und damit die Debatte über ein<br />
hochwertiges, effizientes und transparentes<br />
Gesundheitssystem <strong>zu</strong> beleben.“ Wir gratulieren<br />
dem Preisträger. StK<br />
17<br />
Archiv U & V
Serie Rückenschmerzen<br />
Grundzüge der manuellen Diagnostik<br />
und Therapie von Rückenschmerzen<br />
Chronische Rückenschmerzen sind eines der häufigsten, am wenigsten<br />
verstandenen und am vielfältigsten therapierten Krankheitsbilder moderner<br />
Industriegesellschaften. Eine teure High-Tech-Apparatediagnostik ist nur<br />
in seltenen Fällen angezeigt, diagnostisch weichenstellend sind meist die<br />
Anamnese und eine manualsegmentale Untersuchung. Bei der Therapie<br />
gilt es vorrangig von den vier faulen F hin <strong>zu</strong> den vier F des Turnvaters<br />
Jahn <strong>zu</strong> kommen, betont Dr. med. Wolfgang Bartel, Schmerzpreisträger<br />
2001 und früherer DSG-Leiter Halberstadt, im zweiten Teil der Serie<br />
Rückenschmerzen.<br />
Epidemie der Neuzeit<br />
Aufgrund ihrer Häufigkeit stellen Rückenschmerzen<br />
sowohl eine große sozialmedizinische<br />
als auch individualtherapeutische He-<br />
18<br />
rausforderung dar. 65–80% der Gesamtbevölkerung<br />
und jeder Vierte der 30- bis 40-Jährigen<br />
klagen oder klagten schon einmal über<br />
Rückenschmerzen. Sie sind somit die häu-<br />
Dr. Wolfgang Bartel – hier auf dem deutschen Schmerz- und Palliativtag – demonstriert vor<br />
wissbegierigem Publikum die manuelle Diagnostik bei Rückenbeschwerden.<br />
Haltungsschule<br />
Wolfgang Bartel,<br />
Halberstadt<br />
falsch richtig falsch richtig<br />
Sitzende Tätigkeit:<br />
Bei überwiegend sitzender Tätigkeit sollten Sie Folgendes beachten:<br />
1. Lehne so einstellen, dass der Rücken ca. 15–20 cm über der Sitzfläche<br />
gestützt <strong>wir</strong>d.<br />
2. Nicht längere Zeit ununterbrochen in der gleichen Sitzhaltung verweilen,<br />
zwischendurch aufstehen, Streckübungen durchführen (die Bandscheiben<br />
leben von der Bewegung)<br />
Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />
figste Erkrankung der unter 45-jährigen Patienten.<br />
Bei 87% der Rückenschmerzpatienten<br />
summieren sich die Ausfallszeiten im Arbeitsprozess<br />
wegen Rückenproblemen auf über<br />
drei Monate. Zirka 27% aller Krankmeldungen<br />
betreffen das Bewegungssystem. Jeder zweite<br />
vorzeitige Berentungsantrag erfolgt wegen<br />
Wirbelsäulenleiden.<br />
Häufiger an muskuläre Ursachen<br />
denken<br />
Bei Rückenschmerzen bestimmen arthrogene<br />
und muskuläre Komponenten das Beschwerdebild.<br />
Zu den häufigsten Ursachen von Rückenschmerzen<br />
zählen:<br />
• Einseitige körperliche Belastung<br />
• Falsche Bewegungsmuster<br />
• Psychische Belastungen, Zeitdruck, Stress<br />
• Angeborene organische Schäden<br />
• Falsche Ernährung<br />
• Zwangshaltung des Rumpfes<br />
• Körperliche Schwerarbeit<br />
• Übergewicht<br />
• Kompensation ungünstiger Arbeitsplatzgestaltung<br />
durch Fehlhaltungen<br />
• Persönliches Umfeld.<br />
Primäre Ursachen sind vielfältig, sie münden<br />
alle in Muskeldysbalancen. Ca. 60% aller<br />
Rückenschmerzen sind muskulär bedingt, die<br />
Bandscheiben spielen bei 2–4% eine Rolle,<br />
degenerative Veränderungen bei etwa 10%.<br />
Aufgrund dieser Häufigkeit ist <strong>zu</strong> fordern: Bei<br />
Stehende Tätigkeit:<br />
1. Höhe der Arbeitsfläche so wählen, dass man bequem aufrecht stehen<br />
kann.<br />
2. Wenn möglich abwechselnd ein Bein hochstellen (z.B. auf einen Schemel<br />
oder eine Kiste)<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Beschwerden im Bewegungssystem wie z.B.<br />
Rückenschmerzen sollte man häufiger an<br />
eine muskuläre Ursache denken.<br />
Gesellschaftliches Problem ersten<br />
Ranges: Bewegungsmangel<br />
Die Bewegungsarmut ist heute – <strong>zu</strong>mal angesichts<br />
der Umkehr der Alterspyramide – ein<br />
gewichtiges gesundheitliches Problem <strong>unsere</strong>r<br />
Gesellschaft. Mehr Sport ist für die Gesundheit<br />
eine zentrale Forderung. Die vier F des Turnvaters<br />
Jahn „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ sind<br />
schließlich sehr viel besser bekömmlich als die<br />
modernen vier F „Filzpantoffeln, Fernseher,<br />
Flaschenbier, Feierabend“.<br />
Die Ursachen vieler Rückenschmerzen<br />
sind nichts anderes als die Folgen falschen<br />
Alltagsverhaltens:<br />
• Bewegungsmangel<br />
• Zu langes oder schlicht falsches Sitzen,<br />
falsches Liegen, Heben und Tragen, Gehen<br />
oder Stehen<br />
• Ergonomisch schlechte Arbeitsplätze<br />
• Der Kreuzschmerz ist die gesunde Antwort<br />
mündiger Bürger auf die pathologische Leistungsgesellschaft<br />
Diagnostische Prinzipien<br />
Nur die genaue Diagnose ermöglicht eine gezielte<br />
Therapie, deren Ergebnisse dann keine<br />
Zufallserfolge sind. Die Untersuchung der Patienten<br />
ist heute in einem solchen Maße von<br />
Tabelle 1: Die vier „A“ der manualmedizinischen<br />
Untersuchung<br />
■ Anamnese,<br />
■ Ausziehen,<br />
■ Anschauen<br />
■ Anfassen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Tabelle 2: Diagnostikschema<br />
■ Anamnese<br />
■ Zeigetest (wo tut es weh?)<br />
■ Inspektion<br />
■ Palpation Kinesiologischer Status<br />
■ Funktionsuntersuchung<br />
Neuroorthopädische Untersuchung<br />
■ Umgebungsuntersuchung<br />
■ Zusat<strong>zu</strong>ntersuchung<br />
Heben und Tragen von Lasten: Meist packen <strong>wir</strong> die Dinge falsch an!<br />
1. Beim Anheben von Lasten beugen <strong>wir</strong> uns mit rundem Rücken und<br />
gestreckten Beinen nach unten. In dieser Stellung <strong>wir</strong>d der Druck in den<br />
Bandscheiben der Lenden<strong>wir</strong>belsäule stark erhöht, die Bandscheiben damit<br />
allmählich geschädigt. Machen <strong>wir</strong> es wie die Gewichtheber: in die<br />
Knie gehen, den Gegenstand anheben und mit geradem Rücken hochgehen.<br />
2. Beim Tragen von Lasten das Gewicht verteilen. Lieber zwei kleine Taschen<br />
als eine große und schwere.<br />
Apparaten und Ausrüstungen abhängig, dass<br />
die Anwendung von Berührung, Palpation und<br />
manueller Untersuchung der Gelenke, Muskeln<br />
und Ligamente eine verloren gegangene<br />
Kunst <strong>zu</strong> sein scheint (Tab. 1).<br />
Die größte Herausforderung in der Diagnostik<br />
von Funktionsstörungen ist aber die<br />
sichere Differenzierung in Blockierung oder<br />
muskuläre Fixierung. Funktion kann man nicht<br />
mit einer einzigen Struktur oder Lokalisation<br />
verbinden, sie ist das Ergebnis einer Interaktion<br />
verschiedener, häufig weit auseinander<br />
liegender Strukturen. Um diese komplexen<br />
Veränderungen diagnostisch richtig ein<strong>zu</strong>ordnen,<br />
muss sich der Blick weg von der strukturbezogenen,<br />
pathogenetischen Denkweise<br />
und hin <strong>zu</strong> einer funktionspathologisch-orientierten<br />
Aktualitätsdiagnose verlagern!<br />
Vor Beginn der Therapie muss eindeutig<br />
zwischen geschädigter bzw. zerstörter Struktur<br />
mit typischer Pathomorphologie im Unterschied<br />
<strong>zu</strong> der reinen Funktionseinschränkung<br />
bzw. -störung (pathogenetische Aktualitäts-<br />
diagnose) unterschieden werden.<br />
Eine funktionelle Diagnostik mit guter<br />
Anamnese reicht bei den meisten Rücken-<br />
Periphere Gelenke Segmentale<br />
(Kapselmuster) Untersuchung<br />
Serie Rückenschmerzen<br />
schmerzpatienten aus, um eine probatorische<br />
Therapie ein<strong>zu</strong>leiten (Tab. 2 und 3).<br />
• Anamnese<br />
• Untersuchung von Funktionen und deren<br />
Störungen<br />
Tabelle 3: Mindestprogramm der<br />
Untersuchung<br />
falsch richtig falsch richtig<br />
■ Die Hals<strong>wir</strong>belsäule und Kopfgelenke<br />
sollten im Sitzen orientierend untersucht<br />
werden<br />
■ die Atemwelle in Bauchlage <strong>zu</strong>r Prüfung<br />
der BWS<br />
■ Die LWS mit Vor-Rück-Seitbewegung<br />
■ Beckenpunktpalpation (ein Muss bei<br />
Kindern mit Kopfschmerz)<br />
■ Test für den M. piriformis ist die Außenrotation<br />
des Oberschenkels<br />
■ Patrick-Test für Hüfte und Ileo-<br />
sacralgelenk<br />
■ Gebeugte Adduktion<br />
■ Fussrotation nach Gaymanns<br />
■ Muskulatur<br />
Liegen – das Bett: Vermeiden Sie eine durchgelegene Matratze.<br />
1. Zu empfehlen sind eine feste Unterlage (harter Bettrost) und darauf<br />
eine weiche Matratze, sodass der Körper überall gleichmäßig aufliegt.<br />
2. Keine <strong>zu</strong> großen oder dicken Kissen verwenden, die den Oberkörper<br />
in halbe Sitzlage bringen. Günstig ist ein kleines und flaches Kissen <strong>zu</strong>r<br />
Unterstüt<strong>zu</strong>ng von Kopf und Nacken.<br />
19
20<br />
Serie Rückenschmerzen<br />
Tabelle 4: Techniken der Manualtherapie<br />
■ Weichteiltechniken<br />
■ Traktion<br />
■ Mobilisation<br />
■ Manipulation<br />
■ Selbstmobilisation<br />
■ Prophylaxe (Tabelle 6)<br />
Tabelle 5: Schwierigkeiten bei der<br />
Behandlung von Patienten mit<br />
Kreuzschmerzen<br />
1. Problem der Diagnose<br />
2. Problem der Therapie<br />
■ Monokausaler Behandlungsansatz<br />
■ Zu viele Injektionen (häufige Ursache<br />
von Kunstfehlerprozessen)<br />
■ Passive balneophysikalische Maßnahmen<br />
■ Aktivierende Therapie<br />
3. Problem der Prävention und Rehabilitation<br />
4. Probleme beim Umgang mit<br />
Kreuzschmerzpatienten<br />
Zu fördern Zu vermeiden<br />
• Ganzheitliches Herangehen im Rahmen<br />
der medizinisch-diagnostischen Methoden.<br />
• Untersuchungsgang <strong>wir</strong>d von der orientierenden<br />
<strong>zu</strong>r lokal gezielten, speziell manualmedizinischen<br />
Untersuchung geführt.<br />
• Funktionsstörungen werden struktur- und<br />
beschwerdebezogen ermittelt.<br />
Therapie<br />
Gute Therapie ist nicht nur der Wunsch der<br />
Patienten, sondern auch eine wahre Herausforderung<br />
für den Arzt! Erkrankungen des<br />
Bewegungssystems sind multifaktoriell bedingt<br />
– besonders Rückenschmerzen – und<br />
bergen eine hohe Chronifizierungsgefahr. Die<br />
beste Antichronifizierungstherapie ist eine<br />
effiziente Primärtherapie: Wie behandle ich<br />
am richtigen Ort <strong>zu</strong>r richtigen Zeit mit welcher<br />
Methode? Der Behandlungserfolg ist die Messlatte<br />
für eine <strong>zu</strong>grunde gelegte Konzeption.<br />
Es gibt keine vorgefertigten Therapieprogramme<br />
– Aktualitätsdiagnose!<br />
Ein rein syndrom- oder gar symptomorientiertes<br />
Therapievorgehen führt zwangsläufig<br />
in eine Sackgasse, sowohl für den Patienten<br />
als auch für den Therapeuten.<br />
Nicht die schmerzhafte Struktur, sondern<br />
die auslösende Fehlfunktion ist <strong>zu</strong> behandeln.<br />
Das spiegelt sich auch in den Therapieansätzen<br />
(Tab. 3 und 4). Die Behandlung orientiert<br />
sich nicht allein am ursprünglich auslösenden<br />
Tabelle 6: Wichtige Allgemeinmaßnahmen <strong>zu</strong>r Sekundärprophylaxe<br />
von Rückenschmerzen<br />
Regelmäßige körperliche Bewegung Zu langes Stehen und Sitzen<br />
Fahrradfahren, Rückenschwimmen, Tennis, Squash, Reiten, Kegeln, Skiabfahrts-<br />
Skilanglauf, Wandern, Walking lauf<br />
Rückenschule: Halte den Rücken gerade, Wirbelsäulenbelastung durch extreme<br />
gehe beim Bücken in die Hocke, hebe keine Drehbewegungen<br />
schweren Gegenstände, verteile Lasten und<br />
halte sie dicht am Körper<br />
Ergonomische Anpassung am Arbeitsplatz Übergewicht<br />
(richtige Tischhöhe, keilförmiges Sitzkissen)<br />
Erlernen von Entspannungstechniken Nikotinabusus (Bandscheibenprolaps bei<br />
(progressive Muskelrelaxation nach Jakobson, Rauchern dreimal häufiger!)<br />
autogenes Training)<br />
Insbesondere bei chronifizierten Schmerzen: Geringe körperliche Kondition<br />
Erlernen von Schmerzbewältigung (z.B. Verhaltenstherapie,<br />
Ablenkungsstrategien,<br />
Analyse persönlicher Problembereiche mit<br />
sekundärem Krankheitsgewinn)<br />
Monotone, unangenehme Arbeit<br />
Vibrationsexposition (z. B. Baumaschinen)<br />
Schaden, sondern an den Funktions- und Verhaltensdefiziten<br />
des Betroffenen: Schonverhalten<br />
nach dem Angst-Vermeidungsmodell<br />
ist grundverkehrt: „Wir schonen uns krank.“<br />
Patienten mit Rückenschmerzen stellen für<br />
den behandelnden Arzt oft eine besondere<br />
Herausforderung dar (Tab. 5).<br />
Therapieschritte<br />
1. Normalisierung der peripheren Strukturen<br />
(sonst kann eine Bewegung nicht ökonomisch<br />
programmiert werden), z.B. Triggerpunktquelle<br />
einer gestörten Information<br />
2. Verbesserung der muskulären Dysbalance<br />
3. Automatisierung der Bewegungen über<br />
das zentrale Nervensystem<br />
4. Die therapeutischen Techniken richten<br />
sich streng nach den erhobenen Befunden,<br />
der Aktualitätsdiagnose.<br />
5. Die manualtherapeutische Therapie ist multimodal<br />
und integriert verschiedene Techniken<br />
und sollte nicht in einem Austausch<br />
von Behandlungstechiken bestehen.<br />
Als Basis der Therapie und <strong>zu</strong>r Sekundärprävention<br />
kommt den Allgemeinmaßnahmen eine<br />
große Bedeutung <strong>zu</strong>. Zu ihnen gehören eine<br />
Haltungsschule (vgl. Bildleiste) und die Beachtung<br />
wichtiger Grundregeln im Alltag, die dem<br />
Patienten vom Arzt nahegelegt werden sollten<br />
(Tab. 6).<br />
Fazit<br />
Gäbe es eine Pille, welche folgende Eigenschaften<br />
vereinigen würde – Vorbeugung vielfältiger<br />
Beschwerden und Schmerzen des<br />
Bewegungsapparats sowie <strong>zu</strong>sätzlich Senkung<br />
des Sauerstoffbedarfs des Herzmuskels,<br />
Vergrößerung des Sauerstoffangebots des<br />
Herzmuskels, Hemmung der Verkalkung der<br />
Gefäßwände, Verbesserung der Fließeigenschaften<br />
des Blutes, verbunden mit einem<br />
Effekt, der die Verklumpung des Blutes vermeidet,<br />
Abnahme des Körpergewichtes, Vermeidung<br />
von Schmerzen und Fehlfunktionen<br />
des Bewegungsapparates, Begünstigung einer<br />
optimalen Entwicklung von Körper und<br />
Geist, Vermeidung von körperlichen und altersbedingten<br />
Leistungseinbußen – mit welch<br />
großartiger Dramaturgie würde wohl ein solches<br />
Medikament weltweit gefeiert werden!<br />
Dabei ist dieses Medikament vorhanden.<br />
Es heißt: geeignetes, individuell angepasstes<br />
körperliches Training vom Kindes- bis <strong>zu</strong>m<br />
Greisenalter. Seiner Anwendung steht leider<br />
das physikalische Gesetz der Trägheit entgegen,<br />
und damit müssen <strong>wir</strong> nun einmal leben.<br />
❏<br />
Wolfgang Bartel, Halberstadt<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Biofeedback als IGeL-Leistung<br />
Von den nicht medikamentösen Verfahren <strong>zu</strong>r <strong>Schmerztherapie</strong> gibt es<br />
wenige, die für Laien so gut nachvollziehbar sind wie das Biofeedback.<br />
Wie sich dieses Verfahren sinnvoll als IGeL-Leistung in eine Schmerzpraxis<br />
integrieren lässt, schildert Herr Dipl.-Psych. Gideon Franck, Institut für<br />
Gesundheit, Fulda.<br />
D ie<br />
Darstellung von Körperfunktionen an<br />
einem Computerbildschirm ist heute<br />
jedem Patienten bekannt. Ein EKG z. B. kennen<br />
die meisten. Allerdings werden beim Biofeedback<br />
andere Parameter gemessen (z.B.<br />
Muskelspannung, Hauttemperatur, Durchblutung).<br />
Entgegen den oft ungläubigen Gesichtern<br />
der Patienten kann über die Darstellung<br />
und bei guter therapeutischer Begleitung<br />
relativ schnell gelernt werden, wie diese Parameter<br />
willentlich <strong>zu</strong> beeinflussen sind. Innerhalb<br />
der <strong>Schmerztherapie</strong> gilt Biofeedback<br />
inzwischen als etabliertes Verfahren.<br />
Erfreulicherweise nahm die Deutsche Migräne-<br />
und Kopfschmerzgesellschaft Biofeedback<br />
in ihre Empfehlungen <strong>zu</strong>r Migränetherapie (Prophylaxe)<br />
auf. Mit etwas Mühe findet man kleine<br />
Artikel hier<strong>zu</strong> auf den Internetseiten einiger<br />
Krankenkassen – interessant vor allem, da das<br />
Verfahren dort angepriesen <strong>wir</strong>d, die Kosten<br />
aber nicht übernommen werden. Biofeedback<br />
ist eine IGeL-Leistung. Da es sich aber um ein<br />
originär verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
handelt und auf dem operanten Konditionieren<br />
fußt, <strong>wir</strong>d es innerhalb einer Verhaltenstherapie<br />
bezahlt und nicht beanstandet.<br />
Biofeedback als IGeL-Leistung<br />
IGeLn hat für viele einen negativen Beigeschmack.<br />
Das ist beim Biofeedback jedoch<br />
absolut unbegründet. Es handelt sich um ein<br />
Biofeedback – überraschend gut erlernbar.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Bildarchiv Rüdiger Schellenberg<br />
wissenschaftlich evaluiertes Verfahren, dass in<br />
so manchem, vor allem multimodalen Behandlungsplan<br />
Erfolg versprechend sein kann. Insofern<br />
ist es eher negativ <strong>zu</strong> bewerten, diese<br />
Möglichkeit den Patienten nicht an<strong>zu</strong>bieten, als<br />
dafür Geld <strong>zu</strong> nehmen.<br />
Da hier nichts geregelt ist, was die Kosten<br />
oder auch die Dauer einer Sit<strong>zu</strong>ng angeht,<br />
bleibt es im Grunde jedem selbst überlassen,<br />
dies <strong>zu</strong> gestalten. Sicherlich gibt es Empfehlungen<br />
von den Fachgesellschaften, aber verbindlich<br />
sind sie leider nicht. Die Dauer einer<br />
üblichen Biofeedbacksit<strong>zu</strong>ng beläuft sich mit<br />
Begrüßung, Besprechung der Übungen <strong>zu</strong><br />
Hause seit dem letzten Termin, der eigentlichen<br />
Biofeedbacksit<strong>zu</strong>ng und der Nachbesprechung<br />
auf 30 bis 50 Minuten, je nachdem wie gründlich<br />
die einzelnen Teile bearbeitet werden.<br />
Mit Ausbildungsgrad und Länge der Sit<strong>zu</strong>ng<br />
schwanken dann auch die Kosten für den Patienten.<br />
Üblicherweise liegen sie im Bereich<br />
von 30,00 € bis 100,55 € pro Sit<strong>zu</strong>ng, wobei<br />
Letzteres dem 2,3-fachen Satz für Verhaltenstherapie<br />
nach der GOÄ entspricht und auch<br />
nur bei entsprechender Leistung und Ausbildungsstand<br />
des Therapeuten abgerechnet<br />
werden sollte. Erfahrungsgemäß findet man<br />
eine gute Annahme durch die Patienten im<br />
Bereich um 50,00 € pro Sit<strong>zu</strong>ng, ohne dass<br />
man als Anbieter starke zeitliche Beschränkungen<br />
der Therapie vornehmen müsste.<br />
Wichtig ist es, den Einstieg für die Patienten<br />
<strong>zu</strong> erleichtern. Schulen Sie Ihr Praxispersonal<br />
darin, was Biofeedback ist und wie es angeboten<br />
<strong>wir</strong>d. Das Personal kennt die Patienten<br />
und ist oftmals länger mit ihnen <strong>zu</strong>sammen<br />
als die behandelnden Ärzte. Evtl. können die<br />
Angestellten so auch in Absprache mit Ihnen<br />
das Angebot unterbreiten.<br />
Probesit<strong>zu</strong>ng als Bestandteil<br />
des Therapieplans<br />
Als sehr hilfreich hat sich eine unentgeltliche<br />
Informationssit<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> Anfang erwiesen. Diese<br />
sollte als klarer Bestandteil eines vernünftigen<br />
Therapieplans ausgewiesen werden und<br />
nicht als ein „nettes Extra am Rande“. So<br />
kann der Patient direkt erfahren, um was es<br />
sich hierbei handelt und den möglichen Nutzen<br />
für sich abschätzen.<br />
Gideon Franck,<br />
Fulda<br />
Praxismanagement<br />
Therapieplan, Besprechung<br />
mit dem Patienten<br />
Nach dieser Probesit<strong>zu</strong>ng sollte das weitere<br />
Prozedere besprochen werden. Es gibt grundsätzlich<br />
zwei Wege, wie man weiter verfahren<br />
kann. Zum einen kann von Stunde <strong>zu</strong> Stunde<br />
abgerechnet werden. Oft zerfasert hier die<br />
Therapie allerdings, da die Patienten nicht immer<br />
regelmäßige Termine ausmachen. Da Biofeedback<br />
<strong>zu</strong> einem großen Teil aus Training<br />
besteht, ist das für die Therapie ungünstig.<br />
Zum anderen können Sit<strong>zu</strong>ngen als Block<br />
angeboten werden (z.B. 5 Sit<strong>zu</strong>ngen für 250 €).<br />
Hier ist zwar die Schwelle für die Patienten<br />
höher, doch stellt diese Regelung sicher,<br />
dass die Therapie regelmäßig durchgeführt<br />
<strong>wir</strong>d und somit auch eher <strong>zu</strong>m Erfolg führt.<br />
Eine richtige Biofeedbacktherapie macht selten<br />
Sinn unter 10 Sit<strong>zu</strong>ngen. Die Sit<strong>zu</strong>ngen<br />
sollten wöchentlich erfolgen und der Patient<br />
Übungen für <strong>zu</strong> Hause mitbekommen, auch<br />
wenn er da kein Biofeedbackgerät hat. In den<br />
meisten Forschungsberichten sind um die 20<br />
Sit<strong>zu</strong>ngen erwähnt, doch sollte die Hürde für<br />
die Patienten nicht <strong>zu</strong> hoch gesetzt werden.<br />
Zusammenfassend gibt es einige Punkte,<br />
die beim Angebot von Biofeedback wichtig<br />
sind:<br />
1. Welche Qualität kann ich anbieten? (Ausbildung<br />
der Therapeuten, Sit<strong>zu</strong>ngsumfang,<br />
Preisgestaltung)<br />
2. Überlegen: Welche Patienten kommen für<br />
das Angebot infrage? (Es sind mehr, als<br />
man <strong>zu</strong>erst denken mag!)<br />
3. Wie kann ich den Patienten den Einstieg<br />
erleichtern? (Einbindung von Biofeedback<br />
in den Therapieplan, Probesit<strong>zu</strong>ng o.Ä.)<br />
4. In welcher Form biete ich die Sit<strong>zu</strong>ngen an:<br />
als Block mit Vorkasse oder einzeln?<br />
Es ist sinnvoll, ein für Ihre Praxis passendes<br />
Konzept <strong>zu</strong> entwickeln und dieses<br />
stringent an<strong>zu</strong>bieten. Alles andere schafft<br />
Ver<strong>wir</strong>rung bei der Planung, Abrechnung<br />
und im Angebot durch das Praxispersonal.<br />
Biofeedback ist eine sinnvolle Ergän<strong>zu</strong>ng für<br />
die meisten Schmerzpraxen, erfordert jedoch<br />
ein wenig an Überlegung, um es sinnvoll und<br />
<strong>wir</strong>tschaftlich nutzen <strong>zu</strong> können. ❏<br />
Gideon Franck, Fulda<br />
21
Medizin und Recht<br />
Fragen aus der schmerztherapeutischen<br />
Vertragsarztpraxis<br />
Was tun bei Regressen? Wer darf an der Abrechnung der speziellen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> teilnehmen? Kann ich einen hälftigen Vertragsarztsitz<br />
veräußern? Antworten auf diese juristischen Probleme, die von DGS-<br />
Mitgliedern beim Deutschen Schmerztag <strong>2008</strong> gestellt wurden, gibt<br />
Dr. Ralf Clement, Rechtsanwälte Ratajczak & Partner, Sindelfingen.<br />
M it<br />
Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes<br />
(GKV-WSG) <strong>zu</strong>m<br />
1.4.2007 hat der Gesetzgeber für Richtgrößenprüfungen<br />
nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V<br />
eine zweijährige Verjährungsfrist eingeführt.<br />
Vor dem Hintergrund der daraufhin drohenden<br />
Verjährung wurden von den Prüfgremien<br />
Ende 2007 <strong>zu</strong>meist kurzfristig und ohne eingehende<br />
Prüfung der speziellen Verordnungssituation<br />
der jeweiligen Praxen Prüfbescheide<br />
erlassen und <strong>zu</strong>m Teil erhebliche Regressforderungen<br />
festgesetzt.<br />
Für Schmerztherapeuten besteht das Problem<br />
meist darin, dass sie unmittelbar mit der<br />
Verordnungsweise der übrigen Kollegen ihrer<br />
Fachgruppe verglichen werden, ohne dass<br />
den sich aus der schmerztherapeutischen<br />
Behandlung ergebenden Praxisbesonderheiten<br />
ausreichend Rechnung getragen <strong>wir</strong>d.<br />
Die durchschnittlichen Verordnungskosten<br />
eines <strong>Schmerzpatienten</strong> sind in der<br />
Regel um ein Vielfaches höher als<br />
z. B. die eines durchschnittlichen<br />
hausärztlichen oder orthopädischen<br />
Patienten; ein besonders deutliches<br />
Missverhältnis besteht auch<br />
zwischen den durchschnittlichen<br />
Verordnungskosten vorwiegend<br />
operativ tätiger Anästhesisten auf<br />
der einen und vorwiegend oder ausschließlich<br />
schmerztherapeutisch<br />
tätiger Anästhesisten auf der anderen<br />
Seite, weshalb es gerade in<br />
der Fachgruppe der Anästhesisten<br />
<strong>zu</strong> besonders hohen Regressforderungen<br />
kommt.<br />
Richtgrößenprüfungen<br />
Die Regressforderungen sind <strong>zu</strong>meist<br />
nicht gerechtfertigt und sollten<br />
daher nicht widerspruchslos hingenommen<br />
werden. Soweit die Richtgrößen<br />
erst nach dem 1.1. des betreffenden<br />
Jahres vereinbart und<br />
veröffentlicht wurden und für die<br />
Zeit davor auch nicht auf vorjährige<br />
Richtgrößen <strong>zu</strong>rückgegriffen wer-<br />
22<br />
den kann (z. B. weil solche nicht – oder jedenfalls<br />
nicht <strong>wir</strong>ksam – vereinbart wurden), sprechen<br />
gewichtige Argumente dafür, dass eine<br />
Richtgrößenprüfung nach der bis Ende 2007<br />
geltenden Rechtslage ausscheidet. Die weitere<br />
rechtliche Argumentation sollte <strong>zu</strong>nächst<br />
bei der Richtgrößenfestset<strong>zu</strong>ng unter dem<br />
Aspekt der Vergleichsgruppenbildung ansetzen,<br />
da es sich bei der Richtgrößenprüfung<br />
letztlich um eine „verschärfte“ Durchschnittsprüfung<br />
handelt.<br />
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass<br />
in Fällen, in denen das Tätigkeitsspektrum des<br />
betroffenen Arztes sich so sehr von denen der<br />
übrigen Ärzte der Arztgruppe unterscheidet,<br />
dass ein Vergleich nicht mehr tragfähig ist,<br />
die Bildung einer engeren, verfeinerten Vergleichsgruppe<br />
in Betracht <strong>zu</strong> ziehen ist; allerdings<br />
haben die Prüfgremien insoweit einen<br />
Beurteilungsspielraum. Hier ist es vorteilhaft,<br />
Ralf Clement,<br />
Sindelfingen<br />
wenn sich mehrere Betroffene <strong>zu</strong>sammenfinden<br />
und austauschen, da dies die Möglichkeit<br />
eröffnet, unter Be<strong>zu</strong>gnahme auf die individuell<br />
<strong>zu</strong> ermittelnden durchschnittlichen Verordnungskosten<br />
der einzelnen Praxen statistisch<br />
<strong>zu</strong> argumentieren.<br />
Praxisbesonderheit betonen<br />
Jedenfalls aber handelt es sich bei der<br />
schmerztherapeutischen Tätigkeit um eine<br />
Praxisbesonderheit, die bei der Prüfung <strong>zu</strong><br />
berücksichtigen ist. Die sich aus der schmerztherapeutischen<br />
Behandlung der Patienten<br />
ergebenden Mehrkosten im Vergleich <strong>zu</strong>m<br />
„Durchschnittspatienten“ der Fachgruppe, die<br />
von den Prüfgremien als Praxisbesonderheiten<br />
an<strong>zu</strong>erkennen sind, sollten anhand der<br />
individuellen Verordnungsstatistik ermittelt,<br />
möglichst konkret beziffert und medizinisch<br />
begründet werden. Hier ist eine intensive Zusammenarbeit<br />
zwischen Arzt und rechtlichem<br />
Berater erforderlich.<br />
Nicht <strong>zu</strong>letzt sollte die Möglichkeit nicht<br />
außer Acht gelassen werden, dass die von<br />
den Prüfgremien dem jeweiligen Arzt <strong>zu</strong>geordneten<br />
Verordnungen erhebliche Fehler<br />
aufweisen können. Bei ersten stichprobenartigen<br />
Überprüfungen im Rahmen der<br />
Richtgrößenprüfungen für 2005 in Baden-<br />
Württemberg mussten <strong>wir</strong> feststellen, dass<br />
die Abweichungen zwischen den von den<br />
Prüfgremien <strong>zu</strong>grunde gelegten und den<br />
mittels der praxiseigenen EDV ermittelten<br />
Verordnungskosten im Mittel deutlich über<br />
5% lagen. Nach der Rechtsprechung des<br />
BSG müssen in diesem Fall die Verordnungen<br />
anhand der Verordnungsblätter<br />
oder Printimages individuell, d. h. „manuell“<br />
von den Prüfgremien ausgewertet<br />
werden; sie sind also bei<strong>zu</strong>ziehen.<br />
Allerdings muss der Einwand fehlerhafter<br />
Zuordnung unbedingt noch im<br />
Verwaltungs-, d. h. spätestens im Widerspruchsverfahren<br />
erhoben werden, da er<br />
sonst nach der Rechtsprechung des BSG<br />
verspätet ist und von den Sozialgerichten<br />
nicht mehr berücksichtigt werden muss.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Angesichts der zahlreichen rechtlichen<br />
Fragen, Fallstricke und rechtlich nur <strong>zu</strong>m Teil<br />
geklärten Probleme, die im Rahmen einer<br />
Richtgrößenprüfung aufgeworfen werden,<br />
sollte spätestens im Widerspruchsverfahren<br />
dringend anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen<br />
werden.<br />
Wer kann an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
teilnehmen?<br />
Mit Inkrafttreten des EBM <strong>2008</strong> hat die spezielle<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> in Kap. 30.7 des EBM<br />
eine eigenständige und umfassende Normierung<br />
erfahren. Vorausset<strong>zu</strong>ng für die Abrechnung<br />
der Gebührenordnungspositionen der<br />
Nrn. 30700 ff. ist eine Genehmigung der <strong>zu</strong>ständigen<br />
Kassenärztlichen Vereinigung gem.<br />
Qualitätssicherungsvereinbarung <strong>zu</strong>r<br />
schmerztherapeutischen Versorgung chronisch<br />
schmerzkranker Patienten gem. § 135<br />
Abs. 2 SGB V (Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong>).<br />
Mit Einführung des EBM <strong>2008</strong> fielen einige,<br />
bislang im Rahmen einer schmerztherapeutischen<br />
Behandlung auch ohne die Teilnahme<br />
an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> gesondert berechenbare<br />
Leistungen weg, sodass für einige Kollegen,<br />
die bereits bislang schmerztherapeutisch tätig<br />
waren, aber keine Genehmigung <strong>zu</strong>r Teilnahme<br />
an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> beantragt hatten, nun aus<br />
<strong>wir</strong>tschaftlichen Gesichtspunkten<br />
die Notwendigkeit entsteht,<br />
eine solche <strong>zu</strong> beantragen.<br />
Eine besondere Hürde stellt<br />
hierbei offensichtlich § 4 Abs. 3<br />
Nr. 1 der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
dar, nach der der Arzt eine ganztägige<br />
zwölfmonatige Tätigkeit in<br />
einer gemäß den Anforderungen<br />
in Anlage 1 der Vereinbarung<br />
entsprechend qualifizierten<br />
Schmerzpraxis, Schmerzambulanz<br />
oder einem Schmerzkrankenhaus<br />
nachweisen muss.<br />
Als schmerztherapeutische<br />
Einrichtung im Sinne des § 4<br />
Abs. 3 Nr. 1 gelten danach nur<br />
Einrichtungen, die ausschließlich<br />
bzw. weit überwiegend<br />
regelmäßig mindestens 150<br />
<strong>Schmerzpatienten</strong> im Quartal<br />
behandeln. Die Regelung stellt<br />
im Vergleich <strong>zu</strong>r „Vereinbarung<br />
über die ambulante Behandlung<br />
chronisch schmerzkranker<br />
Patienten“ (<strong>Schmerztherapie</strong>-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
Vereinbarung; Anlage 12 des Arzt-Ersatzkassenvertrages<br />
vom 1.7.1997) bzw. anderer bis<br />
<strong>zu</strong>m Inkrafttreten der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> geltenden<br />
<strong>Schmerztherapie</strong>vereinbarungen aufgrund<br />
der vorgeschriebenen Patientenzahl eine<br />
deutliche Verschärfung dar.<br />
Die seit 2005 gültige Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> sieht lediglich<br />
Übergangsregelungen für Ärzte vor, die bereits<br />
vor ihrem Inkrafttreten an der <strong>Schmerztherapie</strong>-Vereinbarung<br />
1997 oder an anderen<br />
gleichwertigen <strong>Schmerztherapie</strong>vereinbarungen<br />
im Rahmen der vertragsärztlichen<br />
Versorgung teilgenommen haben. Unter Bestandsschutzgesichtspunkten<br />
und vor dem<br />
Hintergrund der jüngsten Veränderungen<br />
durch den EBM <strong>2008</strong> sollte daher im Einzelfall<br />
geprüft werden, ob und in wieweit im Rahmen<br />
eines Antrags auf Genehmigung <strong>zu</strong>r Teilnahme<br />
an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> auch ältere Aus-, Fortbildungs-<br />
und Tätigkeitszeiten Berücksichtigung<br />
finden können. Rechtliche Argumente gibt es<br />
dafür allemal.<br />
Kann ich einen hälftigen Vertragsarztsitz<br />
verkaufen?<br />
Mit Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes<br />
(VÄndG) <strong>zu</strong>m 1.1.2007 hat der<br />
Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen,<br />
durch schriftliche Erklärung gegenüber dem<br />
Zulassungsausschuss den Versorgungsauf-<br />
Medizin und Recht<br />
trag auf die Hälfte <strong>zu</strong> beschränken. Dies hat<br />
die Frage aufgeworfen, ob bei einer hälftigen<br />
Reduzierung des Versorgungsauftrages die<br />
andere Hälfte einer Ausschreibung und Nachbeset<strong>zu</strong>ng<br />
gem. § 103 Abs. 4 SGB V und damit<br />
einer <strong>wir</strong>tschaftlichen Verwertung <strong>zu</strong>gänglich<br />
ist. Damit ließe sich z. B. eine gestaffelte<br />
Praxisübergabe gestalten, ohne den Beschränkungen<br />
des Job-Sharing unterworfen<br />
<strong>zu</strong> sein.<br />
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />
und die Zulassungsausschüsse haben bislang<br />
jedoch einhellig die Auffassung vertreten,<br />
dass dies un<strong>zu</strong>lässig ist. Das SG<br />
München ist dem nun in einem Beschluss<br />
vom 15.1.<strong>2008</strong> (S 38 KA 17/08 ER), der im<br />
Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens<br />
ergangen ist, entgegengetreten.<br />
Es verweist insoweit auf den Sinn und Zweck<br />
des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V, der die Ausschreibung<br />
und Nachbeset<strong>zu</strong>ng eines vakant<br />
werdenden Vertragsarztsitzes ermöglicht, um<br />
die <strong>wir</strong>tschaftliche Verwertung einer Praxis in<br />
für Neu<strong>zu</strong>lassungen gesperrten Planungsbereichen<br />
sicher<strong>zu</strong>stellen.<br />
Das SG München führt aus, dass zwar<br />
der Wortlaut des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V<br />
gegen die Ausschreibungsfähigkeit einer Teil<strong>zu</strong>lassung<br />
spreche, § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB<br />
V jedoch im Lichte der Eigentumsgarantie und<br />
aufgrund des Rechts am eingerichteten und<br />
ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 GG<br />
verfassungskonform aus<strong>zu</strong>legen und auch<br />
auf den Fall einer Beschränkung<br />
auf den hälftigen Versorgungsauftrag<br />
<strong>zu</strong> erstrecken sei. Wie bei<br />
den in § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB<br />
V ausdrücklich aufgeführten Tatbeständen<br />
bestehe auch im Falle<br />
der Beschränkung auf den halben<br />
Versorgungsauftrag nach § 19a<br />
Abs. 2 Ärzte-ZV ein Recht des<br />
Arztes, einen Teil seines Vertragsarztsitzes<br />
<strong>wir</strong>tschaftlich <strong>zu</strong> verwerten.<br />
Im Grunde genommen sei die<br />
Beschränkung auf den hälftigen<br />
Versorgungsauftrag nichts anderes<br />
als ein Verzicht auf die halbe Zulassung<br />
<strong>zu</strong>r vertragsärztlichen Tätigkeit.<br />
Ob sich die Auffassung des<br />
SG München, die insbesondere in<br />
der vertragsarztrechtlichen Literatur<br />
eine Stütze findet, durchsetzt,<br />
bleibt allerdings ab<strong>zu</strong>warten. ❏<br />
Ralf Clement, Sindelfingen<br />
23
Juni <strong>2008</strong><br />
TCM in der Palliativmedizin<br />
04.06.<strong>2008</strong> in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />
Leer<br />
Basiskurs Palliativmedizin Teil 3<br />
06.06.–07.06.<strong>2008</strong> in Bad Bergzabern; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Bad Bergzabern<br />
Der Schmerz- und Palliativkongress NRW<br />
06./07.06 <strong>2008</strong> in Köln; Geschäftsstelle der DGS<br />
TCM und <strong>Schmerztherapie</strong><br />
07.06.<strong>2008</strong> in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />
Leer<br />
Quintessenz der mentalen Schmerzkontrolle<br />
07.06.<strong>2008</strong> in Steinheim; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Schieder Bad Pyrmont<br />
Curriculum Palliativmedizin – Modul 3<br />
11.06.–15.06.<strong>2008</strong> in Wiesbaden; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden<br />
Schulterschmerz – Diagnostik, konservative und<br />
operative Therapie<br />
11.06.<strong>2008</strong> in Chemnitz; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Chemnitz<br />
Multiprofessioneller Gesprächskreis „Qualitätszirkel<br />
Palliativmedizin Siegen“<br />
11.06.<strong>2008</strong> in Siegen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Siegen<br />
Curriculum Chirotherapie / Manuelle Medizin DGS/<br />
DAfNA – Kurs 4 (60 Stunden)<br />
13.–15.06.<strong>2008</strong> und 20.–22.06.<strong>2008</strong> in Speyer; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Ludwigshafen<br />
Curriculum Neuraltherapie – diagnostisch/therapeutische<br />
Lokalanästhesie, Regionalblockaden/<br />
Regionalanästhesie und TENS – Kurs A – Grundkurs<br />
14.06.–15.06.<strong>2008</strong> in Mainz; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Ludwigshafen<br />
9. Wiesbadener Schmerztag – Patientenforum<br />
14.06.<strong>2008</strong> in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Wiesbaden<br />
Curriculum Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>, Teil 1<br />
15.–16.06.<strong>2008</strong> und 21.–22.06.<strong>2008</strong> in Kassel;<br />
Geschäftsstelle DGS<br />
Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen (ISS)<br />
17.06.<strong>2008</strong> in Siegen;Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Siegen<br />
Arthritis – Arthrose<br />
18.06.<strong>2008</strong> in Gießen-Kleinlinden; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Gießen<br />
24<br />
DGS-Veranstaltungen<br />
Weitere Informationen <strong>zu</strong> den Seminaren erhalten Sie über die<br />
Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/286060,<br />
Fax: 06171/286069, E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />
Die aktuellsten Informationen <strong>zu</strong> den Veranstaltungen und den<br />
Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de<br />
mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />
Praxissemniar – Arzt und Recht – Aktuelles <strong>zu</strong> Vertragsgestaltung,<br />
Mietrecht, Kooperationsverträgen<br />
18.06.<strong>2008</strong> in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Leipzig<br />
Neues vom Kopfschmerz – Untersuchung, IHS-Kriterien,<br />
Therapieoptionen<br />
18.06.<strong>2008</strong> in Stade; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Stade<br />
Psychosomatik I<br />
19.06.<strong>2008</strong> in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Bad Säckingen<br />
Patientenvorstellung <strong>zu</strong>m Thema WS-Erkrankungen<br />
25.06.<strong>2008</strong> in Halle; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Halle Saale<br />
Balintgruppe für Schmerztherapeuten und Palliativmediziner<br />
25.06.<strong>2008</strong> in Wangen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Wangen<br />
TENS in der <strong>Schmerztherapie</strong> – Theorie & praktischer<br />
Kurs mit Übungen<br />
28.06.<strong>2008</strong> in Tegernsee; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-München<br />
Juli <strong>2008</strong><br />
Neues in der psychologischen <strong>Schmerztherapie</strong><br />
16.07.<strong>2008</strong> in Künzelsau; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Künzelsau/Hohenlohe<br />
Myelographie<br />
17.07.<strong>2008</strong> in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Bad Säckingen<br />
August <strong>2008</strong><br />
Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 1<br />
– Fallseminare und Supervision<br />
06.08.–10.08.<strong>2008</strong> in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Lünen<br />
Workshop: Chronische Patienten<br />
06.08.<strong>2008</strong> in Marburg; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Marburg<br />
Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 2<br />
– Fallseminare und Supervision<br />
11.08.–15.08.<strong>2008</strong> in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Lünen<br />
Qualifikationen<br />
Schwerpunkt Palliativmedizin<br />
Dr. med. Erich Mützel, Goldbach<br />
Schwerpunkt Algesiologe DGS/DgfA<br />
Dr. med Anke Boden, Großröhrsdorf<br />
Dr. med Vassilios Rachaniotis, Augsburg<br />
Dr. med Hendrikus Seyer, Erlangen<br />
Dr. med. Heike Sievert, Osnabrück<br />
Dr. med. Susan Frischkorn, Oberursel<br />
Schwerpunkt <strong>Schmerztherapie</strong><br />
Dr. med. Ingo Messer, Bad Schwartau<br />
DGS-Zentrum Dresden<br />
Das regionale Schmerzzentrum Dresden hat<br />
Dipl.-Med. Torsten Kupke übernommen. Herr<br />
Kupke ist als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />
in Dresden niedergelassen. Darüber<br />
hinaus ist er als Kursleiter der Deutschen Gesellschaft<br />
für Akupunktur und Neuraltherapie<br />
tätig. Schwerpunkte sind spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>,<br />
Neuraltherapie, Chirotherapie, Akupunktur<br />
und Naturheilverfahren.<br />
Torsten Kupke, Dresden<br />
DGS-Zentrum Münster<br />
Wir begrüßen Dr. med. Klaus Wrenger und<br />
Dr. med. Roswitha Eusterbrock als neue Leiter<br />
des regionalen DGS-Münster. Beide sind niedergelassene<br />
Fachärzte für Anästhesie mit den<br />
Zusatzbezeichnungen Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong><br />
und Algesiologen DGS.<br />
Klaus Wrenger, Münster<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Mit sublingualem Fentanyl gegen<br />
Durchbruchschmerzen?<br />
Nach wie vor stellt die Therapie der Durchbruchschmerzen, die bei etwa<br />
zwei von drei Patienten mit Tumorschmerzen auftreten und mit deutlichen<br />
physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Alltag verbunden sind,<br />
eine klinische Herausforderung dar. Eine neue vielversprechende Behandlungsmöglichkeit<br />
eröffnet sich durch die kurz vor der Markteinführung<br />
stehende Fentanyl-Sublingualtablette (F.A.S.T.), die Dr. rer. nat. Christoph<br />
Eisen, Senior Medical Manager der Fa. Arzneimittel ProStrakan GmbH,<br />
Starnberg, in Frankfurt/Main vorstellte.<br />
D ie<br />
Dauer der Schmerzattacken bei<br />
Durchbruchschmerzen variiert zwischen<br />
wenigen Sekunden und mehreren<br />
Stunden. Auch die Häufigkeit von Durchbruchschmerzen<br />
schwankt stark. Bei 50–70% der<br />
Patienten gibt es auslösende Faktoren, bei ca.<br />
40% der Patienten treten sie spontan auf.<br />
Diagnose und Therapie von Durchbruchschmerzen<br />
Unterschiedliche Schmerzarten (neuropathisch,<br />
viszeral bzw. somatisch) sind auch mit<br />
Unterschieden in der medianen Dauer und<br />
Häufigkeit der Schmerzattacken verbunden.<br />
Vor einer Behandlung ist daher eine adäquate<br />
Schmerzdiagnose notwendig. Je nach Diagnose<br />
ergeben sich <strong>zu</strong>m Teil spezifische Therapieansätze,<br />
z. B. der Einsatz von Antikonvulsiva<br />
und Antidpressiva bei neuropathischen<br />
Schmerzen, und von Bisphosphonaten bei<br />
Knochenschmerzen. Der derzeitige Therapiestandard<br />
in der ambulanten Therapie von<br />
Durchbruchschmerzen, kurz <strong>wir</strong>ksames orales<br />
Morphinsulfat, <strong>wir</strong>d gastrointestinal absorbiert<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
und ist daher erst nach frühestens 30 Minuten<br />
im Blut nachweisbar. Die maximalen Wirkspiegel<br />
werden erst nach ca. 60 Minuten erreicht,<br />
also <strong>zu</strong> einem Zeitpunkt, <strong>zu</strong> dem die Durchbruchschmerzen<br />
meist schon wieder spontan<br />
abgeklungen sind.<br />
Neue Entwicklungen<br />
Derzeit sind neben einer Sublingualtablette<br />
und einer Bukkaltablette auch nasale und inhalative<br />
Applikationsformen mit dem Wirkstoff<br />
Fentanyl in Entwicklung. Fentanyl ist gegenüber<br />
Morphin 50–100-mal stärker <strong>wir</strong>ksam und<br />
entspricht aufgrund seiner schnellen Anflutung<br />
und kurzen Wirkdauer den Anforderungen<br />
an ein Therapeutikum <strong>zu</strong>r Behandlung<br />
von Durchbruchschmerzen.<br />
Die lipophilen Eigenschaften von Fentanyl<br />
bedingen, dass der Wirkstoff schnell und direkt<br />
über die orale oder nasale Mukosa aufgenommen<br />
<strong>wir</strong>d und die Blut-Hirn-Schranke<br />
leicht überwindet. Einen günstigen Applikationsort<br />
für Fentanyl bietet aufgrund ihrer großen,<br />
gut durchbluteten und leicht permeablen<br />
Abbildung 1: F.A.S.T.- PK-Profil bei mit Opioiden vorbehandelten Krebspatienten<br />
Fentanyl-Plasmakonzentration [ng/ml]<br />
1,10<br />
1,00<br />
0,90<br />
0,80<br />
0,70<br />
0,60<br />
0,50<br />
0,40<br />
0,30<br />
0,20<br />
0,10<br />
0<br />
n = 8 Patienten<br />
Einzeldosis Crossover-Design<br />
FAST-Fentanyl<br />
100 µg<br />
200 µg<br />
400 µg<br />
0 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600<br />
Zeit [min]<br />
Fentanylplasmakonzentrationen bei mit Opioiden vorbehandelten Krebspatienten nach Einnahme einer<br />
F.A.S.T.-Sublingualtablette mit 100, 200 oder 400 µg Fentanyl.<br />
Der Deutsche Schmerzkongress<br />
Oberfläche die sublinguale Mukosa. Die Nähe<br />
<strong>zu</strong> den Speicheldrüsen und die konstanten<br />
Temperaturbedingungen ermöglichen eine<br />
optimale Auflösung von Sublingualtabletten<br />
auch bei Xerostomie. Besonders vielversprechend<br />
ist hierfür die neu entwickelte sog.<br />
F.A.S.T.-Technologie (Fa. ProStrakan), die<br />
eine schnelle und gut steuerbare Absorption<br />
des Wirkstoffs ermöglicht.<br />
F.A.S.T<br />
F.A.S.T. steht für „Fast Acting Sublingual Technology“<br />
und bezeichnet eine neuartige Sublingualtablette,<br />
die bei Kontakt mit Speichel in<br />
wenigen Sekunden (10–15 Sekunden) mukoadhäsive<br />
Partikel mit mikronisiertem Fentanyl<br />
freisetzt (feinste Partikelgröße für besonders<br />
rasche Auflösung).<br />
Diese mukoadhäsiven Partikel ermöglichen<br />
eine rasche Verteilung des Wirkstoffes<br />
über die gesamte Mukosa und verhindern das<br />
Verschlucken des Wirkstoffs. Im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> derzeit verfügbarem transmukosalem Fentanyl,<br />
bei dem 75% der Wirkstoffmenge nach<br />
Verschlucken gastrointestinal absorbiert <strong>wir</strong>d<br />
und einem ausgeprägten „First-Pass“-Effekt<br />
unterliegt, <strong>wir</strong>d der Wirkstoff bei der F.A.S.T.-<br />
Sublingualtablette durch die mukoadhäsiven<br />
Partikel praktisch vollständig über die Mukosa<br />
aufgenommen.<br />
Vergleichbare Fentanyl-Plasmawerte werden<br />
dadurch mit 50% geringeren Wirkstoffmengen<br />
erreicht. Bereits nach 5–10 Minuten<br />
sind Fentanyl-Plasmaspiegel nachweisbar<br />
und eine gegenüber Placebo signifikante<br />
schmerzlindernde Wirkung <strong>wir</strong>d innerhalb<br />
von 10–15 Minuten erreicht (Abb. 1). Im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> dem Fentanyl-Lutscher entsteht<br />
keine mechanische Belastung der Mukosa<br />
(Anwendbarkeit auch bei Patienten mit oraler<br />
Mukositis). Da kein sicherer Zusammenhang<br />
<strong>zu</strong>r Dosis der Dauermedikation besteht, muss<br />
die Dosierung individuell erfolgen.<br />
Fazit<br />
Durchbruchschmerzen sind eine große Belastung<br />
für die betroffenen Patienten und werden<br />
bislang in der Schmerzbehandlung noch <strong>zu</strong><br />
wenig berücksichtigt. Eine adäquate Diagnosestellung<br />
ist die Vorausset<strong>zu</strong>ng für eine erfolgreiche<br />
Behandlung. Dabei eröffnet sich<br />
vor allem durch die Fentanyl-Sublingualtablette<br />
(F.A.S.T.) eine vielversprechende Behandlungsmöglichkeit.<br />
❏<br />
25
26<br />
Bücherecke<br />
Biofeedback in der Praxis<br />
Biofeedback zeigt dem Patienten, wie sein Körper auf verschiedene<br />
Situationen wie Angst, Stress, Freude reagiert, indem es die Herzrate,<br />
Atmung, Muskelspannung, Fingertemperatur plastisch vor Augen führt.<br />
Praxisnah erläutert die österreichische Expertin alle Indikationen des<br />
Biofeedbacks bei Erwachsenen: Neben der arteriellen Hypertonie sind<br />
psychosomatische Leiden, psychische Erkrankungen wie Tics und<br />
Angststörungen sowie Depressionen, aber auch Krebs und Tinnitus<br />
lohnende Indikationen. Neurofeedback erleichtert Patienten mit Epilepsie<br />
die Selbstkontrolle. Speziell Frauen erlaubt diese Technik eine Rehabilitation<br />
bei Stress- und Mischinkontinenz. Lohnend ist der Einsatz<br />
des Alpha-Theta-Trainings, einer Hypnoseschulung für Suchtkranke.<br />
Somit ergibt sich eine Fülle von Anwendungsgebieten.<br />
Mit diesem Buch können sich Schmerztherapeuten, die das Biofeedback in ihrer Schmerzpraxis<br />
einsetzen, über das breite Spektrum der Indikationen fortbilden. StK<br />
Ingrid Pirker-Binder: Biofeedback in der Praxis. Band 2 Erwachsene. 211 S., 50 Abb.; Softcover, 29,95 €;<br />
ISBN 978-3-211-29191-7. Springer Verlag, Wien, New York.<br />
Akupunktur in der Praxis<br />
Mit einem kasuistisch aufgebauten praxisnahen Quiz stellt die Autorin<br />
Dr. Vera Breuer, überzeugte Anhängerin der Traditionellen Chinesischen<br />
Medizin, die Indikationen und Therapiemöglichkeiten der modernen<br />
Akupunktur dar. Systematisch geht die Autorin anhand von<br />
Praxisfällen die Indikationen von den Erkrankungen am Bewegungsapparat<br />
über neurologische, psychische, bronchopulmonale, kardiovaskuläre,<br />
bis <strong>zu</strong> urogenitalen Erkrankungen durch und erläutert anhand<br />
von Fällen Fragen <strong>zu</strong>r Akupunkturtechnik von Ohrakupunktur bis<br />
Mundakupunktur. Im dritten Teil folgen ausführlichst die Antworten auf<br />
die bei den Fällen gestellten 733 Fragen. Dieses praxisnahe Buch ist<br />
nichts für Anfänger, da bereits ein profundes Wissen vorausgesetzt <strong>wir</strong>d.<br />
Wertvoll ist es für Akupunkteure, die ihr Wissen weiter trainieren wollen.<br />
Stk<br />
Vera Breuer: Akupunkturwissen in Fällen und Fragen; Ausbildung, Praxis, Training; Auflage 2006, IX, 121 S.<br />
mit 4 Abb., kartoniert, € 29,95, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.<br />
Nichtmedikamentöse<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
Chronischer Schmerz erfordert im Sinne einer ganzheitlichen Therapie<br />
stets eine interdisziplinäre <strong>Schmerztherapie</strong>. Vor allem Patienten<br />
mit chronischen Schmerzen möchten <strong>zu</strong>nehmend über alternative<br />
Methoden informiert werden. Dieses Buch liefert da<strong>zu</strong> einen profunden<br />
Überblick. Nach allgemeinen Informationen <strong>zu</strong>r Schmerzentstehung<br />
stellen die Autoren ausführlich gängige Naturheilverfahren wie Traditionelle<br />
Chinesische Medizin, psychotherapeutische Verfahren, physikalische<br />
und andere häufig verwendete Methoden vor. Einzelne Kapitel<br />
widmen sich der Musiktherapie, Akupressur, medizinischen Trainingstherapie,<br />
dem Schamanismus, Ayurveda und der Phytotherapie. Neben<br />
Indikationen werden auch mögliche (Kontra)indikationen und Grenzen der Verfahren dargelegt.<br />
Soweit möglich ist die Wirkung im Sinne der evidenzbasierten Medizin beschrieben. Ein gelungenes<br />
Werk für alle Schmerztherapeuten, die ihre Patienten nicht nur pharmakologisch gut<br />
versorgen wollen. Stk<br />
Bernatzky, G.; Likar, R.; Wendtner, F.; Wenzel, G.; Ausserwinkler, M.; Sittl, R. (Hrsg.): Komplementäre<br />
Methoden in der Praxis. 2007, XIX, 525 S., 61 illus., geb., 68,00 €, ISBN: 978-3-211-33547-5, Springer<br />
Verlag, Wien, New York.<br />
Impressum<br />
Organ der Deutschen Gesellschaft für<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
Herausgeber<br />
Gerhard H. H. Müller-Schwefe,<br />
Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen<br />
Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477<br />
E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />
Schriftleitung<br />
Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg;<br />
Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid;<br />
Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.:<br />
08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden; Michael<br />
Überall, Nürnberg<br />
Beirat<br />
Joachim Barthels, Bad Sal<strong>zu</strong>ngen; Christoph Baerwald,<br />
Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler,<br />
Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert,<br />
Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune,<br />
Erlangen; Thomas Cegla, Wuppertal; Mathias Dunkel,<br />
Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Gerd Geisslinger,<br />
Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld;<br />
Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Winfried Hoerster,<br />
Gießen; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt;<br />
Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg;<br />
Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen;<br />
Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing;<br />
Bernd Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe;<br />
Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin;<br />
Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;<br />
Günter Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, Heidelberg;<br />
Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg;<br />
Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn;<br />
Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger,<br />
München; Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />
In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für<br />
Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung<br />
und <strong>Schmerztherapie</strong>; Deutsche Akademie<br />
für Algesiologie – Institut für schmerztherapeutische<br />
Fort- und Weiterbildung; Deutsche Gesellschaft für<br />
interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche<br />
Gesellschaft <strong>zu</strong>m Studium des Schmerzes e.V. (DGSS);<br />
Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische<br />
Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche<br />
Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V. (GGMM);<br />
Institut für Qualitätssicherung in <strong>Schmerztherapie</strong> und<br />
Palliativmedizin (IQUISP); Verband Deutscher Ärzte für<br />
Algesiologie – Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten<br />
e.V.<br />
Mit der Annahme eines Beitrags <strong>zu</strong>r Veröffentlichung<br />
er<strong>wir</strong>bt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere<br />
das Recht der weiteren Vervielfältigung <strong>zu</strong> gewerblichen<br />
Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer<br />
Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen<br />
einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich<br />
geschützt.<br />
Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen<br />
– vor allem von Neu<strong>zu</strong>lassungen – sollten<br />
in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten<br />
Medikamente verglichen werden.<br />
Be<strong>zu</strong>gspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für<br />
4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl.<br />
MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den<br />
Be<strong>zu</strong>gspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint<br />
im 24. Jahrgang.<br />
Verlag: © URBAN & VOGEL GmbH, München,<br />
Mai <strong>2008</strong><br />
Leitung Medical Communication:<br />
Ulrich Huber (verantw.)<br />
Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn<br />
Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />
Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co.<br />
KG, Höchberg<br />
Titelbild: Getty Images, Photo Library, Howard Rice<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)
Oberbauchschmerzen<br />
Oberbauchbeschwerden bereiten häufig diagnostische und therapeutische<br />
Probleme und die betroffenen Patienten landen schnell in der „Psychoecke“.<br />
Neben entzündlichen Veränderungen des Pankreas kommen vor<br />
allem Kapselspannungen der Leber wie auch Gallengangobstruktionen und<br />
Spasmen in Frage. Aufgrund der spasmogenen Wirkung ist Morphin für<br />
diese Patienten völlig ungeeignet. Angesichts der fehlenden Organtoxizität<br />
von Oxycodon/Naloxon und der hervorragenden Langzeitverträglichkeit ist<br />
diese Kombination Mittel der Wahl, illustriert Dr. med. Gerhard H. H.<br />
Müller-Schwefe, Göppingen, anhand einer Patientin mit Morbus Osler.<br />
Der Praxisfall<br />
Die 46-jährige Lehrerin erkrankte im Juni<br />
2006 an einer gastrointestinalen Infektion, die<br />
mit massiven Durchfällen und Oberbauchschmerzen<br />
einherging. Nachdem die Infektion<br />
antibiotisch behandelt war und die Durchfälle<br />
sistierten, blieben anhaltende Oberbauchschmerzen,<br />
anfangs intermittierend, später<br />
<strong>zu</strong>nehmend als Dauerschmerzen.<br />
Der Schmerzcharakter war brennend, ziehend<br />
und drückend, die Schmerzintensität auf<br />
der VAS 100 betrug 80. Als Erträglichkeits-<br />
niveau wurde 20 angegeben. Die Instrumente<br />
des Deutschen Schmerzfragebogens wiesen<br />
zahlreiche Auffälligkeiten auf: Modifizierter<br />
Pain Disability Index mit einem Score von 35<br />
deutlich auffällig; die Lebensqualität war mit<br />
einem Score von 11 aus 40 (QLIP) ebenfalls<br />
massiv beeinträchtigt.<br />
Schmerz auslösend und verstärkend<br />
<strong>wir</strong>kte vor allem Essen. Anfangs traten nach<br />
1,5–2 Stunden, dann <strong>zu</strong>nehmend auch sofort<br />
danach massive krampfartige Schmerzen und<br />
Dauerschmerzen im Oberbauch auf.<br />
In der Folgezeit bei gedämpftem Appetit<br />
massiver Gewichtsverlust von mehr als 10 kg.<br />
Unter dem Verdacht einer Nahrungsmittelallergie<br />
wurde eine Rotationsdiät durchgeführt.<br />
Hierunter zeigte sich keinerlei Besserung.<br />
Eine umfangreiche Diagnostik (mehrfache<br />
Sonographien, Gastroskopien, Koloskopien,<br />
MRT von Herz und Leber, Kontrastdarstellung<br />
des gesamten Darms, ERCP) ergab keinen<br />
pathologischen Befund.<br />
Befund<br />
Bei der Erstuntersuchung findet sich bei der<br />
168 cm großen, 56 kg schweren Patientin ein<br />
weiches Abdomen mit Spontan- und Druckschmerzhaftigkeit<br />
im gesamten Oberbauch<br />
mit Ausstrahlung in den Rücken. Unter der<br />
Verdachtsdiagnose einer chronischen Pankreatitis<br />
wurden nochmals bildgebende und<br />
laborchemische Diagnostik veranlasst.<br />
Wiederum waren alle Entzündungsparameter<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />
negativ, die Pankreasenzyme im Normbereich.<br />
Es fiel lediglich eine erhöhte Gamma-GT auf<br />
(weniger als das 1,5-Fache des Normwerts)<br />
bei normalem Bilirubin und alkalischer Phosphatase.<br />
Zudem bestand eine mikrozytäre hypochrome<br />
Anämie mit Hb-Werten um 9 g/dl.<br />
Unter der Annahme einer somatoformen<br />
Störung wurde die Patientin schließlich stationär<br />
in ein psychiatrisches Krankenhaus aufgenommen<br />
und 6 Wochen behandelt, ohne<br />
dass eine Besserung <strong>zu</strong> verzeichnen war.<br />
Therapie und Verlauf<br />
Unter der Annahme funktioneller Störungen<br />
waren bei der Patientin verschiedene Prokinetika,<br />
Spasmolytika und entzündungshemmene<br />
Analgetika erfolglos versucht worden.<br />
Bei ihrer Vorstellung im Schmerzzentrum<br />
war sie verzweifelt, da sie ihrem Beruf<br />
an vielen Tagen schmerzbedingt nicht mehr<br />
nachgehen konnte und sich mit der Diagnose<br />
„psychogene Oberbauchschmerzen“ alleingelassen<br />
und abgestempelt vorkam. Mit der Arbeitshypothese<br />
einer chronischen, laborchemisch<br />
nicht mehr nachweisbaren Pankreatitis<br />
wurde im Schmerzzentrum mit 2 x 5 mg Oxycodon<br />
eine systemische analgetische Therapie<br />
eingeleitet. Hierunter mäßige Schmerzlinderung,<br />
jedoch deutliche Obstipation, deshalb<br />
Aufdosierung auf 10 mg Oxycodon/Naloxon<br />
Manchmal macht sich der Morbus Osler bereits<br />
an der Haut durch Teleangiektasien bemerkbar.<br />
Bildarchiv Urban & Vogel<br />
Der Fall aus der Schmerzpraxis<br />
(Targin ® ) zweimal täglich. Innerhalb weniger<br />
Tage berichtete die Patientin eine massive<br />
Schmerzreduktion auf VAS 10–12 bei gleichzeitig<br />
normaler Darmaktivität (VAS-Skala von<br />
0–100: 0 = keine Schmerzen; 100 = stärkste<br />
vorstellbare Schmerzen).<br />
In den folgenden drei Monaten unter gleichbleibender<br />
Therapie mit Targin ® 2 x 10 mg<br />
Gewichts<strong>zu</strong>nahme um 8 kg und weitgehende<br />
Schmerzfreiheit, sodass die Patientin ihrem<br />
Beruf wieder vollständig nachgehen konnte.<br />
Morbus Osler als späte Diagnose<br />
Beim Versuch, die Opioiddosis <strong>zu</strong> reduzieren,<br />
kam es allerdings erneut sofort <strong>zu</strong> massiven<br />
Oberbauchbeschwerden. Deshalb nochmalige<br />
intensive Diagnostik in einem Leberzentrum.<br />
Hier wurde schließlich überraschend die<br />
Diagnose eines Morbus Osler gestellt. Es<br />
handelt sich dabei um hereditäre hämorrhagische<br />
Teleangiektasien, die bei <strong>unsere</strong>r Patientin<br />
nun erstmalig in der Leber nachweisbar<br />
waren und offensichtlich <strong>zu</strong> schmerzhaften<br />
Kapselspannungen geführt hatten.<br />
Auch die anamnestisch bekannte Anämie<br />
wurde durch die nun gestellte Diagnose begründet.<br />
Erneut erfolgte die Einstellung auf<br />
Targin ® 2 x 10 mg, worunter die Patientin wiederum<br />
sehr schnell beschwerdefrei wurde.<br />
Angesichts der fehlenden Organtoxizität von<br />
Oxycodon/Naloxon und der hervorragenden<br />
Verträglichkeit ist bei <strong>unsere</strong>r Patientin von<br />
einer lebenslangen Therapienotwendigkeit<br />
aus<strong>zu</strong>gehen. Hier<strong>zu</strong> eignet sich die Kombination<br />
Oxycodon/Naloxon besonders gut.<br />
Diskussion<br />
Oberbauchbeschwerden stellen häufig eine<br />
diagnostische und therapeutische Herausforderung<br />
dar. Neben entzündlichen Veränderungen<br />
des Pankreas kommen vor allem Kapselspannungen<br />
der Leber wie auch Gallengangsobstruktionen<br />
und Spasmen in Frage.<br />
Ohne Zweifel ist aufgrund der spasmogenen<br />
Wirkung Morphin für diese Patienten völlig ungeeignet.<br />
Eine Langzeittherapie sollte auf der<br />
anderen Seite neben<strong>wir</strong>kungsarm und ohne<br />
Organtoxizität möglich sein. Hier bietet sich Oxycodon<br />
an, dass nicht nur an µ- sondern auch an<br />
κ-Rezeptoren <strong>wir</strong>ksam ist und damit im Gastrointestinalbereich<br />
gegenüber Morphin nicht nur<br />
weniger Neben<strong>wir</strong>kungen, sondern auch eine<br />
deutlich bessere Analgesie aufweist.<br />
Auch bei nichtmalignombedingten Schmerzen<br />
wie bei hereditären hämorrhagischen Teleangiektasien<br />
stellt hier Oxycodon/Naloxon<br />
eine hervorragende Therapieoption dar, da<br />
es eine Langzeittherapie ohne Organtoxizität<br />
und Obstipation ermögicht. ❏<br />
Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen<br />
27