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Schmerztherapie 2 2008 Sparen wir unsere Schmerzpatienten zu ...

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SCHMERZTHERAPIE<br />

Deutsche Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong> e. V. – DGS<br />

24. Jahrgang <strong>2008</strong> Ehemals StK<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

<strong>Sparen</strong> <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Schmerz-<br />

patienten <strong>zu</strong> Tode? ........................ 2<br />

Frankfurter Expertenkonsensus .... 3<br />

Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />

<strong>Schmerztherapie</strong> zwischen<br />

Wissenschaft, Politik und<br />

Ökonomie ..................................... 4<br />

Der Deutsche Schmerzpreis <strong>2008</strong><br />

Genetische Faktoren in der<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> ........................... 8<br />

Palliativmedizin statt aktiver<br />

Sterbehilfe ..................................... 9<br />

Zertifizierte Fortbildung<br />

Symptomkontrolle in der<br />

Palliativmedizin ............................ 12<br />

SCHMERZTHERAPIE<br />

Internationale Presse ................ 17<br />

Serie Rückenschmerzen<br />

Grundzüge der manuellen<br />

Diagnostik und Therapie ............. 18<br />

Praxismanagement<br />

Biofeedback als IGeL-Leistung ... 21<br />

Medizin und Recht<br />

Fragen aus der schmerzthera-<br />

peutischen Vertragsarztpraxis ..... 22<br />

DGS-Veranstaltungen/Interna .. 24<br />

Pharmakotherapie<br />

Mit sublingualem Fentanyl gegen<br />

Durchbruchschmerzen ................ 25<br />

Bücherecke ................................ 26<br />

Kasuistik<br />

Oberbauchschmerzen ................. 27<br />

www.dgschmerztherapie.de<br />

ISSN 1613-9968<br />

2I<strong>2008</strong><br />

Frankfurter Resolution<br />

gegen riskante Sparpolitik


Editorial<br />

<strong>Sparen</strong> <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Schmerz-<br />

patienten <strong>zu</strong> Tode?<br />

Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Der Apotheker soll’s richten, der Arzt soll allenfalls den<br />

Sündenbock abgeben. Dies ist die Quintessenz des Rahmenvertrags zwischen den Spitzenverbänden<br />

der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband gemäß § 1 9<br />

SGB V Absatz . Hiernach muss der Apotheker seit 1. April 008 jedes <strong>zu</strong>lasten der GKV<br />

verordnete Medikament gegen das für die jeweilige Kasse rabattierte umtauschen bzw.<br />

eines der drei preisgünstigsten Generika abgeben, wenn das rabattierte nicht vorrätig ist.<br />

S pätestens<br />

seit Michael Überalls Übersichtsarbeit<br />

„Einerlei oder zweierlei? –<br />

Generika und Originalprodukt in der Therapie“<br />

(SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2008</strong>, S. 4–6) wissen<br />

Sie, dass zwei Präparate mit gleichem<br />

Wirkstoff und gleicher Wirkstoffmenge bei<br />

einem Patienten keineswegs die gleiche Wirkung<br />

entfalten. Verantwortlich hierfür sind<br />

unterschiedliche Freiset<strong>zu</strong>ngscharakteristika<br />

wie auch ein <strong>zu</strong>lässiger Äquivalenzkorridor<br />

zwischen Original und Generikum, der zwischen<br />

80 und 125% liegen darf. Bei manchen<br />

Substanzen mag diese mögliche Varianz eine<br />

untergeordnete Rolle spielen, bei stark <strong>wir</strong>ksamen<br />

Schmerzmitteln könnte sie katastrophale<br />

Aus<strong>wir</strong>kungen auf die Therapie von<br />

<strong>Schmerzpatienten</strong> haben.<br />

Patienten, die oft nach langer Titrationsphase<br />

mit verschiedenen Medikamenten schließlich<br />

gut eingestellt sind, werden ausschließlich<br />

aus ökonomischen Gründen auf andere – rabattierte<br />

– Präparate umgestellt und beklagen<br />

bei schnellerer Anflutung Überdosierungserscheinungen<br />

oder auch kürzere Retardierung<br />

mit Ent<strong>zu</strong>gserscheinungen am Ende der Dosis.<br />

Besonders gravierend <strong>wir</strong>d dies beim Wechsel<br />

von einem Generikum auf ein anderes. Völlig<br />

undurchsichtig <strong>wir</strong>d es für Patienten vollends,<br />

wenn sie die Krankenkasse wechseln oder ihre<br />

Krankenkasse den Rabattvertragspartner wechselt.<br />

Denn dies bedeutet wieder einen Wechsel<br />

des Präparats.<br />

Opioidtherapie durch den<br />

Apotheker?<br />

Waren <strong>wir</strong> bisher der Ansicht, dass die Einstellung<br />

mit Opioiden einer besonderen Sorgfalt<br />

und engmaschigen Überwachung bedarf, so<br />

werden <strong>wir</strong> jetzt eines Besseren belehrt. Nach<br />

den aktuellen konkretisierten Richtlinien des<br />

Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte<br />

(BfArM) werden alle diesbezüglichen<br />

Bedenken weggewischt. So gilt für die Austauschbarkeit<br />

generischer transdermaler Pflaster,<br />

dass allein die Dosisstärke eines Pflasters,<br />

also die pro Zeiteinheit freigesetzte Menge,<br />

ausschlaggebend ist und nicht die Gesamtmenge<br />

an enthaltenem Wirkstoff. Auch der<br />

Austausch eines Reservoirpflasters gegen ein<br />

Matrixpflaster oder umgekehrt mit der gleichen<br />

Freiset<strong>zu</strong>ngsrate ist deshalb möglich.<br />

Da die verschiedenen Pflaster sich hinsichtlich<br />

ihrer Substanzbeladung gravierend<br />

voneinander unterscheiden, kann es vorkommen,<br />

dass durch den Austausch die nach<br />

der BtMVV <strong>zu</strong>lässige Gesamtmenge an Betäubungsmitteln<br />

durch eine Verordnung überschritten<br />

<strong>wir</strong>d. Hier soll der Apotheker einfach<br />

nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt<br />

auf dem BTM-Rezept das große A anbringen.<br />

Nach Ansicht des BfArM <strong>wir</strong>d die lückenlose<br />

Dokumentation dadurch gewährleistet, dass<br />

der Apotheker auf Teil 2 des BTM-Rezepts die<br />

Pharmazentralnummer <strong>zu</strong>r Abrechnung angibt.<br />

Deshalb besteht laut BfArM keine Verpflichtung<br />

des Apothekers, den verschreibenden Arzt<br />

über die erfolgte Belieferung des Rabatt-BTMs<br />

<strong>zu</strong> informieren, ohne die gesetzlich geforderte<br />

lückenlose Dokumentation (§§ 13 und 14 Bt-<br />

MVV) <strong>zu</strong> gefährden. Ausdrücklich bestätigt<br />

das BfArM als verlängerter Arm des Bundesgesundheitsministeriums<br />

damit, dass der<br />

verordnende Arzt noch nicht einmal über das<br />

tatsächlich abgegebene Medikament informiert<br />

werden muss, obwohl er hierfür haftet.<br />

Gerhard H. H. Müller-<br />

Schwefe, Göppingen<br />

Patienten werden gefährdet!<br />

Nach einem Monat Versorgungsrealität unter<br />

diesen Bedingungen zeichnet sich klar ab,<br />

dass immer wieder durch Fehlabgaben Patienten<br />

in Lebensgefahr kommen. So werden<br />

retardierte gegen nicht retardierte Opioide<br />

ausgetauscht, 24-Stunden retardierte Opioide<br />

werden gegen 12-Stunden retardierte Opioide<br />

ausgetauscht mit massiven kurzfristigen<br />

Überdosierungserscheinungen, mit Atemdepression<br />

und nächtlicher Apnoe. Sie als verordnender<br />

Arzt dürfen dann nächtens <strong>zu</strong>m<br />

Notfall eilen oder auch vor dem Kadi Rede<br />

und Antwort stehen für eine Verordnung, deren<br />

Umset<strong>zu</strong>ng Sie nicht in der Hand hatten.<br />

Kein Zuckerbrot – nur Peitsche<br />

Nun kann natürlich sofort entgegnet werden,<br />

durch Ankreuzen von „Aut Idem“ auf dem<br />

BTM-Rezept kann jeder Arzt einen Austausch<br />

entsprechend den Rabattverträgen verhindern.<br />

Diese Argumentation ist an Scheinheiligkeit<br />

kaum <strong>zu</strong> überbieten, zeigen doch die<br />

Arzneimittelregressverfahren des Jahres<br />

2005, wie Ärzte, die eine differenzierte Opioidtherapie<br />

betreiben, eingeschüchtert und in<br />

Regress genommen werden. Der Wechsel auf<br />

ein substanzgleiches Präparat mit anderer<br />

Galenik und Kinetik ist – was Risiken und<br />

Sorgfalt betrifft – einer Neueinstellung gleich<strong>zu</strong>setzen.<br />

Opioidwechsel ist Neueinstellung<br />

Keineswegs bedeutet dies, dass Patienten<br />

nicht mit Generika eingestellt werden können.<br />

Gefahr droht jedoch beim – ausschließlich<br />

ökonomisch begründeten – Wechsel von Opioiden,<br />

der noch ohne Wissen und Begleitung<br />

des Arztes vorgenommen <strong>wir</strong>d.<br />

Mit dem Ziel, Gesundheitspolitiker wach <strong>zu</strong><br />

rütteln und auch alle praktisch tätigen Kolleginnen<br />

und Kollegen <strong>zu</strong> informieren, hat deshalb<br />

auf dem Deutschen Schmerztag <strong>2008</strong><br />

eine Expertenkommission einen Konsensus<br />

<strong>zu</strong>r qualitätsgesicherten Opioidversorgung von<br />

GKV-versicherten <strong>Schmerzpatienten</strong> erarbeitet<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


und veröffentlicht (s. u.). Bitte wehren Sie sich<br />

mit aller Vehemenz dagegen, Haftungsrisiken<br />

aufgezwungen <strong>zu</strong> bekommen für Therapien,<br />

die Sie nicht beeinflussen können. Angesichts<br />

der heraufziehenden nächsten Bundestagswahl<br />

eignet sich dieses Thema hervorragend <strong>zu</strong>r Kontaktaufnahme<br />

mit Ihrem Abgeordneten.<br />

Qualifizierte <strong>Schmerztherapie</strong> bleibt<br />

ärztliche Aufgabe<br />

Gerade weil qualifizierte und differenzierte<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> eine ärztliche Aufgabe ist<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

und bleiben muss, ist die schmerzthera-<br />

peutische Fort- und Weiterbildung für jeden<br />

Arzt so wichtig.<br />

Mehr als 2500 Kolleginnen und Kollegen<br />

haben deshalb am Deutschen Schmerz-<br />

und Palliativtag <strong>2008</strong> in Frankfurt am Main<br />

die Chance wahrgenommen, die aktuellsten<br />

Konzepte der Schmerzforschung wie auch<br />

Neuentwicklungen in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />

kennen<strong>zu</strong>lernen. Einige der Themen finden<br />

Sie in dem vorliegenden Heft der SCHMERZ-<br />

THERAPIE.<br />

Editorial<br />

Ich wünsche Ihnen beim Lesen viel Freude<br />

und für Ihre tägliche Arbeit praktische Erkenntnisse<br />

und grüße Sie herzlich. ❏<br />

Ihr<br />

Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />

Präsident, Deutsche Gesellschaft für<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> e. V.<br />

Expertenkonsensus <strong>zu</strong>r qualitätsgesicherten Opioidversorgung<br />

von GKV-versicherten <strong>Schmerzpatienten</strong><br />

Erarbeitet am Deutschen Schmerz- und Palliativtag 008 in Frankfurt/Main<br />

am 5. März 008. Vorsitz: Gerhard H.H. Müller-Schwefe. Von Peter<br />

Ahrens, Verden; Hans-Joachim Balzat, Herdecke; Johannes Horlemann,<br />

Kevelaer; Uwe Junker, Remscheid; Harry Kletzko, Oberursel; Michael Küster,<br />

Bonn-Bad-Godesberg; Gerd Mikus, Heidelberg; Gerhard H.H.<br />

Müller-Schwefe, Göppingen; Thomas Nolte, Wiesbaden; Harald G.<br />

Schweim, Bonn; Hans-Bernd Sittig, Geesthacht; Michael Überall, Nürnberg<br />

Präambel<br />

Das Grundgesetz garantiert als höchstes<br />

Rechtsgut das Recht auf Leben und körperliche<br />

Unversehrtheit (Grundgesetz Art. 2 (2).<br />

In Ausübung seines Berufes ist der Arzt für<br />

seinen Patienten Sachwalter dieses Rechtsgutes,<br />

das höherwertiger ist als andere Gesetzgebung<br />

wie z.B. die Sozialgesetzgebung.<br />

Darüber hinaus garantiert § 2 SGB V jedem<br />

gesetzlich Versicherten Arzneimittel, die dem<br />

Erfordernis der Wirksamkeit und Qualität entsprechen<br />

und den medizinischen Fortschritt<br />

berücksichtigen. Der Anspruch umfasst die<br />

Versorgung nach den Regeln der ärztlichen<br />

Kunst auf der Grundlage des allgemein anerkannten<br />

Standes der medizinischen Erkenntnisse.<br />

Diese muss ausreichend, zweckmäßig<br />

und <strong>wir</strong>tschaftlich sein.<br />

Durch im Rahmen des SGB V veranlasste<br />

gesetzgeberische Maßnahmen und Vereinbarungen<br />

wie dem Rahmenvertrag über die<br />

Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2<br />

SGB V in der Fassung vom 17. Januar <strong>2008</strong><br />

zwischen den Spitzenverbänden der Kran-<br />

[1] Überall, M.A. ( 008): Querschnittsbefragung<br />

<strong>zu</strong> den psychosozialen Folgen einer Umstellung<br />

von Originalpräparaten auf Generika bei chronisch<br />

schmerzkranken Menschen im Rahmen einer<br />

stabilen/<strong>zu</strong>friedenstellenden Behandlungs-<br />

situation. Deutsche Schmerzliga.<br />

kenkassen und dem Deutschen Apothekerverband<br />

e.V. wie auch durch das Arzneimittelversorgungs<strong>wir</strong>tschaftlichkeitsgesetz<br />

(AVWG)<br />

sowie das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />

<strong>wir</strong>d dieses höchste Rechtsgut in eklatanter<br />

Weise verletzt.<br />

Jeder Austausch von Betäubungsmitteln<br />

innerhalb einer Substanz oder unterschiedlicher<br />

Substanzen untereinander erzeugt für<br />

den Patienten neue vom Arzt <strong>zu</strong> begleitende<br />

Risiken, die in ihren Anforderungen einer<br />

Neueinstellung entsprechen. Diese Haftung<br />

kann nicht auf den Apotheker übergehen,<br />

selbst wenn der Apotheker ein dem Arzt nicht<br />

bekanntes Produkt abgibt, z.B. im Rahmen<br />

von ökonomischen Einsparpflichten. Die Haftung<br />

verbleibt beim Arzt.<br />

Selbst bei gleicher Substanz und Substanzmenge<br />

unterschiedlicher Präparate bestehen<br />

für den Patienten spürbare Unterschiede<br />

hinsichtlich der Kinetik und Bioverfügbarkeit.<br />

Die klinische Relevanz dieser Unterschiede<br />

<strong>wir</strong>d durch die weltweit erste und einzige Untersuchung<br />

<strong>zu</strong>r Aus<strong>wir</strong>kung von Umstellungen<br />

von WHO-Stufe-III-Opioiden an über 424 Patienten<br />

eindrucksvoll belegt [1]. In dieser Studie<br />

war für 85% der Patienten die Umstellung<br />

mit einer signifikanten Schmerz<strong>zu</strong>nahme und<br />

gravierenden Beeinträchtigung der Lebensqualität<br />

verbunden.<br />

Im Gegensatz da<strong>zu</strong> ist die immer wieder auf-<br />

gestellte Behauptung, eine Umstellung<br />

auf <strong>wir</strong>kstoffgleiche Medikamente<br />

sei problemlos, in<br />

keiner einzigen Untersuchung<br />

belegt.<br />

Basierend auf den vorstehenden<br />

Fakten sowie den klinischen Erfahrungen<br />

der unterzeichnenden Experten stellen <strong>wir</strong> die<br />

folgenden Forderungen:<br />

1. Opioide der WHO-Stufe III (<strong>zu</strong>r Therapie<br />

starker Schmerzen) dürfen nicht aus ökonomischen<br />

Gründen einer Austauschpflicht entsprechend<br />

des Rahmenvertrages zwischen<br />

den Spitzenverbänden der Krankenkassen<br />

und dem Deutschen Apothekerverband e.V.<br />

nach § 129 Absatz 2 SGB V unterliegen.<br />

2. Eine Verpflichtung <strong>zu</strong>r Umstellung von Stufe-III-Opioiden<br />

auf Morphin ausschließlich<br />

aus ökonomischen Gründen ist unter wissenschaftlichen<br />

und ethischen Gesichtspunkten<br />

nicht vertretbar. Opioide unterscheiden sich<br />

wesentlich voneinander hinsichtlich<br />

■ unterschiedlicher Rezeptorspezifität,<br />

■ unterschiedlichem Metabolismus abhängig<br />

von Leber- und Nierenfunktion der Patienten,<br />

■ der Relevanz aktiver Metaboliten (Morphin),<br />

■ der genetisch determinierten Opioidrezeptorenausstattung,<br />

■ der genetisch determinierten Polymorphismen<br />

der Metabolisierung,<br />

■ der immunsuppressiven Wirkungen (ausschließlich<br />

Morphin).<br />

Auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen<br />

Fakten sowie der konsentierten Expertenmeinung<br />

lehnen die Unterzeichner<br />

den Zwang <strong>zu</strong>m ausschließlich ökonomisch<br />

begründeten Austausch innerhalb einer Substanz<br />

wie auch von anderen WHO-Stufe-III-<br />

Opioiden gegen Morphin ab. ❏


Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />

<strong>Schmerztherapie</strong> zwischen Wissenschaft,<br />

Ökonomie und Politik<br />

Mit über 2000 Teilnehmern war der 19. Schmerz- und Palliativtag, bei<br />

dem die topaktuellen wissenschaftlichen Trends in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />

vorgestellt wurden, ein voller Erfolg. Vielfach sind diese Innovationen aber<br />

für den Patienten aufgrund der aktuellen Gesundheitspolitik nicht mehr<br />

erreichbar, da den verordnenden Ärzten Regresse drohen oder von Apothekern<br />

andere Medikamente abgegeben werden. Moderne multimodale<br />

Therapiekonzepte rechnen sich langfristig für die Gesellschaft, die Vorteile<br />

der neben<strong>wir</strong>kungsärmeren modernen Substanzen sollten daher auch nicht<br />

durch eine kontraproduktive Sparpolitik wieder infrage gestellt werden,<br />

forderten die Experten unisono.<br />

Abkehr vom WHO-Stufenschema<br />

Das vor 22 Jahren von der WHO eingeführte<br />

Stufenschema der medikamentösen <strong>Schmerztherapie</strong><br />

mit den peripher <strong>wir</strong>ksamen, entzündungshemmenden<br />

Analgetika (NSAR und<br />

Coxibe auf Stufe 1), den schwach <strong>wir</strong>ksamen<br />

Opioiden wie Tramadol und Tilidin auf Stufe 2<br />

und den stark <strong>wir</strong>ksamen Opioiden (Stufe 3)<br />

ist nicht <strong>zu</strong>letzt aufgrund der hohen Toxizität<br />

der Stufe 1 längst überholt und mehr ein<br />

Hemmschuh, denn eine Richtlinie für eine<br />

zeitgemäße <strong>Schmerztherapie</strong>, kritisierte Dr.<br />

med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen.<br />

Die klassischen NSAR besitzen neben<br />

einem hohen gastrointestinalen Risiko besonders<br />

in der Langzeittherapie ein kardiovaskuläres<br />

Risiko. Letzteres Manko haben auch die<br />

neueren Coxibe. Cox-Hemmer scheiden aufgrund<br />

dieser Einschränkungen für chronisch<br />

Schmerzkranke als Einstieg oder Basismedikation<br />

bei einer Dauermedikation aus.<br />

Eine moderne <strong>Schmerztherapie</strong> erfordert<br />

eine gezielte Substanzwahl in Abhängigkeit<br />

von den Entstehungsmechanismen<br />

des Schmerzes. Beim chronischen Rückenschmerz<br />

findet sich z. B. häufig eine erhöhte<br />

muskuläre Spannung. So konnte der Göppinger<br />

Algesiologe in einer prospektiven<br />

doppelblinden randomisierten Studie mit 209<br />

Patienten nachweisen, dass eine Therapie<br />

mit 300 mg Flupirtinmaleat täglich ebenso<br />

analgetisch <strong>wir</strong>ksam ist wie die Therapie mit<br />

dreimal 50 mg Tramadol, aber deutlich besser<br />

verträglich.<br />

Expertenkonsensus verabschiedet<br />

Resolution<br />

Aufgrund der Rabattverträge werden immer<br />

mehr <strong>Schmerzpatienten</strong>, die auf ein modernes<br />

Opioid eingestellt wurden, von ihren Apothekern<br />

eigenmächtig auf billigere Generika<br />

und die Leitsubstanz Morphin umgestellt. Gegen<br />

dieses Vorgehen verabschiedeten die<br />

rund 2000 deutschen Schmerzexperten eine<br />

gemeinsame Resolution (siehe Seite 3): Das<br />

grundgesetzlich garantierte Recht auf Leben<br />

und körperliche Unversehrtheit <strong>wir</strong>d mit diesen<br />

unfachgemäßen Umstellungen in eklatanter<br />

Weise verletzt (Grundgesetz Art. 2).<br />

Nach einhelliger Ansicht aller unterzeichnenden<br />

Schmerzexperten dürfen die modernen<br />

Opioide nicht einer Austauschpflicht durch<br />

den Apotheker aufgrund der Rabattverträge<br />

zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern<br />

unterliegen. In Ausübung seines<br />

Berufes ist der Arzt für seinen Patienten<br />

Sachverwalter dieses Rechtsgutes, das höherwertiger<br />

ist als andere Gesetzgebung wie<br />

z. B. die Sozialgesetzgebung. Diese Haftung<br />

kann nicht auf den Apotheker übergehen,<br />

denn selbst bei gleicher Substanz und Substanzmenge<br />

bestehen für den Patienten oft<br />

spürbare Unterschiede. Die Umstellung von<br />

Stufe-III-Opioiden auf Morphin ausschließlich<br />

Weniger Schmerzen<br />

keine<br />

Schmerzstärke Schmerzen<br />

Arbeit<br />

Allgemeine<br />

Aktivität<br />

Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen<br />

aus ökonomischen Gründen ist aus wissenschaftlichen<br />

und ethischen Gründen nicht<br />

vertretbar, da sich Opioide wesentlich voneinander<br />

unterscheiden.<br />

Fixkombination im Vorteil<br />

Die hohe Wirksamkeit und Verträglichkeit der<br />

Fixkombination von retardiertem Oxycodon<br />

und Naloxon (Targin ® ) bestätigt eine aktuelle<br />

nicht interventionelle Studie an 7836 Patienten,<br />

die Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden,<br />

und Dr. med. H. J. Balzat, Herdecke,<br />

präsentierten. Drei Viertel der Patienten waren<br />

bereits mit Opioiden vorbehandelt, 39%<br />

mit Präparaten der Stufe 2 und 36% mit Opioiden<br />

der Stufe 3. Hauptsächlich litten die<br />

Patienten an Schmerzen des Bewegungsapparats<br />

(überwiegend degenerative Wirbelsäulenerkrankungen),<br />

<strong>zu</strong> geringerem Anteil auch<br />

an neuropathischen Schmerzen oder Tumorschmerzen.<br />

Durch die Umstellung auf die<br />

Abbildung 1: Signifikante Schmerzlinderung und Steigerung der Lebensqualität<br />

durch die Fixkombination aus Oxycodon mit Naloxon, die die Darmfunktion<br />

deutlich bessert.<br />

Grad der Beeinträchtigung<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Mehr Lebensqualität<br />

3,2 5,6<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />

Eingangstermin<br />

2. Kontrolltermin (nach 4 Wochen)<br />

Gehvermögen Schlaf<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Bowel-Function-Index 100<br />

stärkste<br />

Schmerzen<br />

Darmfunktion<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann


Fixkombination (mittlere Tagesdosis 27,3 mg<br />

Oxycodon) konnte neben der starken Analgesie<br />

die Lebensqualität eindrucksvoll verbessert<br />

werden: Aktivität, Schlaf, Stimmung,<br />

Gehvermögen, Lebensfreude und die sozialen<br />

Beziehungen verbesserten sich (Abb. 1).<br />

Vor dieser Umstellung litt jeder Dritte der mit<br />

Opioiden vorbehandelten Patienten unter Obstipation,<br />

unter der Fixkombination am Ende<br />

der vierwöchigen Therapie nur noch 2,1%.<br />

Für eine effiziente <strong>Schmerztherapie</strong> sind<br />

angepasste individuelle Therapiestrategien<br />

mit gut verträglichen Medikamenten nötig,<br />

Morphin ist nicht mehr der Goldstandard, bestätigte<br />

Nolte. Für eine bestmögliche Lebensqualität<br />

sind vermeidbare Neben<strong>wir</strong>kungen<br />

wie eine Obstipation präventiv an<strong>zu</strong>gehen.<br />

Nur bei der Fixkombination ist die hohe<br />

analgetische Wirksamkeit des Oxycodons<br />

gesichert, ohne dass es <strong>zu</strong>gleich am Darm<br />

<strong>zu</strong> der unerwünschten Obstipation kommt.<br />

Naloxon verdrängt aufgrund seiner höheren<br />

Affinität <strong>zu</strong> den intestinalen Opioidrezeptoren<br />

die Opioid<strong>wir</strong>kung selektiv am Darm. Dies ist<br />

bei chronisch Schmerzkranken ein wertvoller<br />

Vorteil. Denn trotz Laxanziengabe bereitet die<br />

opioidinduzierte Obstipation, wenn sie erst<br />

einmal eingetreten ist, größte therapeutische<br />

Probleme. Eindrucksvoll untermauerte Dr.<br />

Nolte, was diese Fixkombination im Einzelfall<br />

bedeutet anhand einer Patientin, die unter der<br />

Monotherapie mit Oxycodon bereits zweimal<br />

einen Ileus bekommen hatte. Mit dem Fixpräparat<br />

wurden ihre Schmerzen erträglich und<br />

sie litt unter keinen Verdauungsproblemen<br />

mehr. Das Umsetzen von Patienten mit dem<br />

Präventionsopioid auf ein anderes Morphin-<br />

Der Deutsche Schmerzpreis <strong>2008</strong><br />

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Stamer wurde<br />

auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag<br />

in Frankfurt/Main mit dem<br />

DEUTSCHEN SCHMERZPREIS – Deutscher<br />

Förderpreis für Schmerzforschung und<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> <strong>2008</strong> ausgezeichnet.<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Stamer ist Oberärztin<br />

an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie<br />

und spezielle Intensivmedizin der<br />

Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />

Bonn und <strong>zu</strong> 50% auf der Palliativstation<br />

des Malteser Krankenhauses Bonn tätig.<br />

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis <strong>wir</strong>d<br />

jährlich an Persönlichkeiten oder Organi-<br />

sationen verliehen, die sich durch wissenschaftliche<br />

Arbeiten über Diagnostik und<br />

Therapie akuter und chronischer Schmerz-<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

präparat bezeichnete Nolte daher als „perfides<br />

Vorgehen“. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />

ist die neben<strong>wir</strong>kungsärmere<br />

Therapie langfristig durch Vermeidung von<br />

Folgekosten die kostengünstigere Option.<br />

Nicht austauschbar<br />

Targin ® aus Kostengründen gegen ein Generikum<br />

mit Oxycodon oder gar Morphin aus<strong>zu</strong>tauschen<br />

bedeutet bei 90% eine spürbare<br />

Verschlechterung, warnte auch Priv.-Doz. Dr.<br />

med. Michael Überall, Vizepräsident der DGS,<br />

Nürnberg. An über 600 Schmerzkranken hatte<br />

der Nürnberger Algesiologe im Auftrag der<br />

DGS und der Deutschen Schmerzliga eine aktuelle<br />

Querschnittsbefragung <strong>zu</strong> den psychosozialen<br />

Folgen einer Umstellung von Originalpräparaten<br />

auf Generika durchgeführt.<br />

Bei dieser Untersuchung war für 85% der<br />

<strong>zu</strong>vor gut eingestellten Patienten, von denen<br />

424 Patienten stark <strong>wir</strong>ksame Opioide erhielten,<br />

die Umstellung mit einer signifikanten<br />

Schmerz<strong>zu</strong>nahme und gravierenden Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität verbunden.<br />

Bei den mit Oxygesic ® bzw. Targin ® eingestellten<br />

Patienten zeigte sich bzgl. des Parameters<br />

„Zufriedenheit mit der Verträglichkeit“<br />

mit 65,7% bzw. 88,6% ein signifikanter Gruppenunterschied<br />

(p = 0,003).<br />

Besonders kritisch war die Verschlechterung<br />

der Behandlungsqualität bei den initial<br />

auf Targin ® eingestellten Patienten: Über 90%<br />

beklagten bei einer Umstellung die schlechtere<br />

analgetische Wirksamkeit, bei 64% reduzierte<br />

sich die gesamte Lebensqualität. Für<br />

diese innovative Fixkombination gibt es derzeit<br />

kein vergleichbares Generikum, warnte Überall.<br />

<strong>zu</strong>stände verdient gemacht oder die durch<br />

ihre Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend<br />

<strong>zu</strong>m Verständnis des Problemkreises<br />

Schmerz und der davon betroffenen Personen<br />

beigetragen haben.<br />

Der wissenschaftliche Träger des Schmerzpreises<br />

ist die Deutsche Gesellschaft für<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> e.V. Gestiftet <strong>wir</strong>d der Preis<br />

von der Firma Mundipharma GmbH & Co.<br />

KG, Limburg.<br />

Wie Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe bei<br />

der Übergabe erläuterte, „hat Frau Dr.<br />

Stamer mit ihren Forschungsarbeiten, Publikationen<br />

und Vorträgen <strong>zu</strong>m Thema ,Genetik,<br />

Schmerz und Analgesie’ und insbesondere<br />

<strong>zu</strong>m Verständnis der individuellen<br />

Reaktionsweise und Wirkungsweise von<br />

Opiaten beigetragen und denjenigen Pati-<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />

Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />

Kritisch sei auch, dass 94% der Befragten abrupt<br />

umgestellt wurden, 48,8% wurden dabei<br />

sogar mehrfach umgestellt. Die Patienten waren<br />

vorher in puncto Schmerzintensität deutlich<br />

besser eingestellt, und im Durchschnitt<br />

ergab sich bei der Kosten-Nutzen-Effizienz-<br />

Bewertung, dass eine Einsparung von einem<br />

Euro einer Verschlechterung im VAS-Bereich<br />

von 2,3 Punkten gleichkam. Die Befragung<br />

widerlegt somit die immer wieder aufgestellte<br />

Behauptung, eine Umstellung auf <strong>wir</strong>kstoffgleiche<br />

Medikamente sei problemlos. Dies ist<br />

in keiner einzigen Untersuchung belegt.<br />

Hydromorphon bei Tumorschmerzen<br />

und Multimorbidität<br />

Bei älteren Patienten mit progredienten Tumorschmerzen<br />

ist nach Erfahrungen von<br />

Dr. med. Peter Ahrens, Verden, Hydromorphon<br />

neben der modernen Kombination aus<br />

Oxycodon und Naloxon das Mittel der ersten<br />

Wahl. Die retardierte Kapsel ist in den Wirkstärken<br />

4, 8, 16 und 24 mg als Palladon ® verfügbar.<br />

Es besitzt keinen Ceiling-Effekt und ist<br />

auch in allen für die Tumorschmerztherapie<br />

sinnvollen Applikationsformen vorhanden: für<br />

die Rescuemedikation nicht retardiert in einer<br />

1,3-mg- und 2,6-mg-Dosis und bei Schluckstörungen<br />

als Palladon ® injekt für die subkutane<br />

oder intravenöse Applikation (2 mg/1 ml,<br />

10 mg/1 ml, 100 mg/10 ml). Letztere Darreichungsform<br />

lindert mit einem Wirkeintritt innerhalb<br />

von fünf bis zehn Minuten auch<br />

Schmerzspitzen sehr schnell.<br />

Da Hydromorphon CYP-neutrral ist, unterliegt<br />

es auch keinen genetischen Polymorphismen<br />

wie z. B. Tramadol oder Codein. Codein<br />

Preisverleihung v.l.n.r: Michael Überall, Gerhard<br />

Müller-Schwefe, Ulrike Stamer, Thomas<br />

Nolte, Marianne Koch, Ingrid Spohr.<br />

enten, bei denen gängige schmerztherapeutische<br />

Maßnahmen <strong>wir</strong>kungslos blieben,<br />

auch unter Einbeziehung moderner Therapierichtlinien<br />

Perspektiven gegeben.“


Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />

<strong>wir</strong>d bei 20% der Kaukasier nicht metabolisiert<br />

und bleibt dann als Pro-Drug un<strong>wir</strong>ksam.<br />

Auch bei Tramadol ist aufgrund der genetischen<br />

Polymorphismen bei 10% mit einer<br />

Wirkungsabschwächung <strong>zu</strong> rechnen. Hydromorphon<br />

ist bei Niereninsuffizienz gegenüber<br />

dem Morphin im Vorteil, da es keine aktiven<br />

Metaboliten besitzt und nicht akkumuliert.<br />

Aufgrund seiner geringen Plasma-Eiweiß-<br />

Bindung unterscheidet sich Hydromorphon<br />

positiv vom Fentanyl, das häufig mit anderen<br />

Medikamenten interagiert. Hydromorphon<br />

lässt sich dagegen ohne Einschränkungen<br />

mit Koanalgetika wie Butylscopolamin, Dexamethason,<br />

Haloperidol, Ketamin, Metoclopramid<br />

und Levomepromazin kombinieren.<br />

Im Unterschied <strong>zu</strong>m Targin ® ist allerdings bei<br />

Hydromorphon eine Obstipationsprophylaxe<br />

zwingend erforderlich, schränkte Ahrens ein.<br />

Transdermale Systeme z. B. mit Fentanyl,<br />

warnte Ahrens, sind bei Tumorpatienten häufig<br />

problematisch, da die Resorption bei wechselnder<br />

Hautdurchblutung stark schwankt<br />

und bei Palliativpatienten häufig gestört ist.<br />

Zudem reagieren sie sehr träge und ermöglichen<br />

keine individuelle Behandlung bei<br />

schwankenden Schmerzstärken. Mindestens<br />

jeder zweite Patient mit starken Schmerzen<br />

weist starke tageszeitliche Schwankungen<br />

auf, ergab eine Studie von Dr. Uwe Junker,<br />

Remscheid, an 1243 Patienten. 53% litten<br />

Der Posterpreis ging an das osthessische<br />

Palliativzentrum.<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />

an Erkrankungen des Bewegungsapparates,<br />

30% an Tumorerkrankungen und 10% an<br />

Leiden des Nervensystems. Durch eine flexible<br />

Dosisanpassung an die tageszeitlichen<br />

Schmerzschwankungen konnte die Schmerzintensität<br />

mit einer zweimal täglichen Hydromorphongabe<br />

innerhalb von vier Wochen bei<br />

88,8% der Patienten deutlich verbessert werden<br />

(von 5,6 [mittags] bis 6,5 NRS [nachts]<br />

auf 2,8 nachts, morgens und mittags bzw. 2,9<br />

abends). Die Lebensqualität wurde insgesamt<br />

verbessert.<br />

Posterpreis für nasales Fentanyl<br />

Mit einer Fertigrezeptur für nasales Fentanyl<br />

arbeitet das osthessische Palliativnetz von<br />

DGS-Leiter Dr. med. Thomas Sitte, Fulda. Für<br />

ihre Posterpräsentation auf dem Deutschen<br />

Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main<br />

wurde das Team um Dr. Peter Fehrenbach und<br />

Thomas Sitte mit dem ersten Posterpreis ausgezeichnet.<br />

Seit fünf Jahren setzen die Ärzte des Palliativ-Netzes<br />

Osthessen das starke Opioid Fentanyl<br />

als Nasenspray ein, wenn ein Patient in<br />

der Lebensendphase unter Atemnot und /oder<br />

Schmerzattacken wie starke Durchbruchsschmerzen<br />

leidet. Das Nasenspray, das der<br />

Apotheker auf ärztliche Anweisung herstellt,<br />

kann sogar von den Patienten oder den Angehörigen<br />

selbst eingesetzt werden. Seine<br />

analgetische Wirkung entfaltet das Spray in<br />

weniger als zwei Minuten.<br />

Bei mehr als 200 Patienten haben die Palliativspezialisten<br />

das Mittel inzwischen mit guten<br />

Erfahrungen eingesetzt. Die Einzeldosis variiert<br />

bei den verschiedenen Indikationen zwischen<br />

25 und 2000 µg Fentanyl (pro Hub 50 µl). „Nach<br />

<strong>unsere</strong>n Erfahrungen gibt es insbesondere bei<br />

akuter Atemnot in der Palliativsituation keine<br />

Möglichkeit der Symptomkontrolle, die so gut<br />

<strong>wir</strong>kt wie dieses Nasenspray.“<br />

Besonders in ländlichen Gebieten ist es<br />

eine Herausforderung, im Krisenfall sofort und<br />

effektiv Hilfe am Patientenbett leisten <strong>zu</strong> können.<br />

Atemnot ist der häufigste Einweisungsgrund<br />

<strong>zu</strong>r stationären Behandlung in der Sterbephase.<br />

Nach den positiven Erfahrungen der<br />

Gruppe setzt man dort das Spray nicht mehr<br />

als Ultima Ratio, sondern frühzeitig ein und<br />

stellt es teilweise auch vorbeugend den Patienten<br />

und ihren Angehörigen <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />

Von 94 Patienten, die im vergangenen Jahr in<br />

der Endphase mit dem Fentanylspray versorgt<br />

worden waren, mussten nur fünf – ausschließlich<br />

wegen psychosozialen Indikationen – stationär<br />

eingewiesen werden. Das Poster sowie<br />

die Anleitung für die Fertigrezeptur finden Sie<br />

auf der Homepage www.palliativnetz-osthessen.de.<br />

Patientenforum – ein Magnet<br />

für Betroffene<br />

Wie jedes Jahr nutzten auch dieses Mal viele<br />

Betroffene die Gelegenheit, im Rahmen des<br />

Patientenforums ihre Fragen direkt an das<br />

sachkundige Podium <strong>zu</strong> stellen. Unter der Moderation<br />

der Präsidentin der Deutschen<br />

Schmerzliga, Dr. med. Marianne Koch, stellten<br />

sich Dr. med. Michael Küster, DGS-Leiter<br />

und Dr. Gabi Müller, Schmerzzentrum Wiesbaden,<br />

sowie Dipl.-Psych. Gideon Franck,<br />

Fulda, dem interessierten Publikum.<br />

Gesundheitspolitisches Forum<br />

Abgeschlossen wurde der Deutsche Schmerz-<br />

und Palliativtag <strong>2008</strong> mit einer hochkarätig<br />

besetzten Podiumsdiskussion <strong>zu</strong> den aktuellen<br />

gesundheitspolitischen Problemen. Mit<br />

Herrn Franz Knieps stellte sich ein Vertreter<br />

des Bundesgesundheitsministeriums der <strong>zu</strong>m<br />

Teil schonungslosen Kritik der Schmerztherapeuten<br />

an der Gesundheitsreform mit ihren<br />

Medikamentenbudgets und Pharmaregressen.<br />

Aus der Sicht eines von einem Arzneimittelregress<br />

betroffenen Arztes schilderte<br />

Gerhard Müller-Schwefe, welch hohen Zeitaufwand<br />

eine derartige Regressforderung von<br />

150 000 Euro für seine Praxis bedeutet hat;<br />

diese Situation hält er für unerträglich.<br />

Dr. Dietrich Jungck, Hamburg, ergänzte,<br />

dass die Rabattverträge von Institutionen<br />

ohne die nötige Sachkenntnis abgeschlossen<br />

worden seien. Umstellungen von Retardformulierungen<br />

auf kurz <strong>wir</strong>ksame Opioide sind<br />

gefährlich und für Schmerztherapeuten völlig<br />

unverständlich.<br />

Dr. Heinz Werner Meier, stellvertretender<br />

Vorsitzender des Verbandes forschender<br />

Arzneimittelhersteller, gab <strong>zu</strong> bedenken,<br />

dass Kosten-Nutzen-Berechnungen heute<br />

zwingend durchgeführt werden müssten,<br />

um den Wert neuer innovativer Substanzen<br />

ab<strong>zu</strong>sichern. Wird deren Effizienz aber nachgewiesen,<br />

müssten diese innovativen Substanzen<br />

dann auch verordnet werden dürfen,<br />

da „<strong>wir</strong> uns nicht im Sinne einer sinnlosen<br />

Sparmedizin <strong>zu</strong> einer Einheitsmedizin hin<br />

entwickeln dürfen“. Franz Knieps betonte,<br />

dass sowohl Ärzte als auch KVen aufgefordert<br />

sind, sich an den Rabattverträgen <strong>zu</strong><br />

beteiligen.<br />

Dr. med. Marianne Koch, Präsidentin der<br />

Deutschen Schmerzliga, München, mahnte,<br />

dass die rabattierten Analgetika oft eine<br />

geringere Therapiebreite als die modernen<br />

Retardopioide hätten und Umstellungen ausschließlich<br />

in die Hand der Ärzte gehörten.<br />

Der hohe zeitliche Aufwand der Erstanamnese<br />

der Schmerztherapeuten, die ein bis zwei<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Stunden erfordere, müsse in der Abrechnung<br />

abgebildet werden. Der große bürokratische<br />

Aufwand der BTMVV-Verordnungen, an denen<br />

nur der Arzt Änderungen abzeichnen<br />

darf, <strong>wir</strong>d durch die Apotheken und deren<br />

Rabattverträge außer Kraft gesetzt. Hier<br />

seien dringend Korrekturen erforderlich, da<br />

eigenmächtige Umset<strong>zu</strong>ngen im Bereich der<br />

Analgetika Neueinstellungen bedeuteten, die<br />

nur unter ärztlicher Kontrolle legitim seien.<br />

Herr Michael Wenninghoff von der AOK<br />

Rheinland/Hamburg, der bundesweit für die<br />

Vertragsgestaltung <strong>zu</strong>ständig ist, erinnerte als<br />

Vertreter der Krankenkassen an die Möglichkeiten<br />

der integrierten Versorgung, die insbesondere<br />

auch im Bereich der Palliativmedizin<br />

möglich sind.<br />

Jungck widersprach, dass derartige Verträge<br />

für chronisch Schmerzkranke nach<br />

wie vor nicht verfügbar seien und abgelehnt<br />

würden. Nach dem neuen EBM <strong>2008</strong> hätten<br />

Schmerzkranke noch weniger Chancen. Zwar<br />

schafften integrierte Versorgungsverträge als<br />

Wettbewerbsmodelle der Krankenkassen vereinzelt<br />

Chancen, aber die flächendeckende<br />

Versorgung der GKV sei dennoch in Gefahr.<br />

Derzeit ist die Vergütungssituation für Algesiologen<br />

kaum kostendeckend möglich und<br />

die Budgets für ein Quartal sind bereits mit<br />

dem Erstkontakt überschritten. Dies zeigt laut<br />

Müller-Schwefe die Inkompetenz bei den Verhandlungsführern.<br />

Franz Knieps stellte richtig, dass die Approbationsordnung,<br />

die gerade wieder geändert<br />

werde, keine Aufgabe der Gesetzgeber<br />

sei. In Bayern wurde beispielsweise jetzt die<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Palliativmedizin als Fach eingeführt, den Ländern<br />

sei hier viel Freiraum gegeben.<br />

Für die Techniker Krankenkasse (TK) ergänzte<br />

die Direktorin des Wissenschaftlichen<br />

Institutes WINEG, Frau Dr. med. Eva Susanne<br />

Dietrich, dass die TK mit Erfolg auf die integrierten<br />

Versorgungsverträge, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

bei Rückenschmerzen, setzt.<br />

Die Diskussion mündete in einem konstruktiven<br />

Dialog, in dem der Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums,<br />

Franz Knieps,<br />

den Zuhörern wie auch den Mitdiskutanten<br />

versicherte, sich um gravierende Mängel und<br />

Probleme der <strong>Schmerztherapie</strong> <strong>zu</strong> kümmern.<br />

Es sei gegen den Willen des Bundesgesundheitsministeriums,<br />

dass chronische Schmerzen<br />

bisher nicht verschlüsselbar und auch<br />

nicht aufgenommen seien. Auch um diesen<br />

Themenkomplex wolle Knieps sich intensiv in<br />

seinem Hause kümmern.<br />

Die Vertreter der Krankenkassen AOK und<br />

TK setzten sich nachdrücklich für die strukturierten<br />

Versorgungsverträge ein, die den besonderen<br />

Bedürfnissen chronischer <strong>Schmerzpatienten</strong><br />

entsprechen. Der von der TK bereits<br />

mit der Deutschen Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong><br />

e. V. abgeschlossene Rückenschmerz-Integrationsvertrag<br />

gilt sowohl von<br />

den Ergebnissen als auch von den finanziellen<br />

Einsparvolumina her als ein Paradestück der<br />

modernen Versorgungsgestaltung. Der Vertreter<br />

der AOK, Michael Wenninghoff, beteuerte,<br />

dass die AOK bundesweit die Versorgung von<br />

<strong>Schmerzpatienten</strong> in Hausarztverträgen und<br />

strukturierten Verträgen regeln möchte. Auch<br />

hier erging die Zusage, Schmerztherapeuten<br />

Bonner Palliativmediziner Eberhard Klaschik ausgezeichnet<br />

Prof. Dr. med. Eberhard Klaschik, Bonn,<br />

wurde auf dem Deutschen Schmerz- und<br />

Palliativtag in Frankfurt/Main mit dem<br />

EHRENPREIS des Deutschen Schmerzpreises<br />

– Deutscher Förderpreis <strong>2008</strong> für Schmerzforschung<br />

und <strong>Schmerztherapie</strong> ausgezeichnet.<br />

Professor Klaschik ist Leiter des Zentrums für<br />

Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus<br />

Bonn-Hardtberg, Professor für Palliativmedizin<br />

an der Universität Bonn und Leiter des<br />

regionalen Schmerzzentrums DGS Bonn.<br />

Der mit 3000 Euro dotierte Preis <strong>wir</strong>d jährlich<br />

an Persönlichkeiten verliehen, die sich<br />

durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik<br />

und Therapie akuter und chronischer<br />

Schmerz<strong>zu</strong>stände verdient gemacht oder<br />

die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches<br />

Wirken entscheidend <strong>zu</strong>m Verständnis des<br />

Problemkreises Schmerz und der davon betroffenen<br />

Personen beigetragen haben.<br />

Der wissenschaftliche Träger des Ehrenpreises<br />

ist die Deutsche Gesellschaft für<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> e.V. Gestiftet <strong>wir</strong>d der Preis<br />

von der Firma AWD.pharma GmbH, Dresden.<br />

In der Urkunde heißt es: „Prof. Klaschik hat<br />

bis heute unermüdlich, beharrlich und integrativ<br />

die Botschaft einer konsequenten<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> in alle klinischen Fachgebiete<br />

transportiert. In seinem beruflichen Lebensmittelpunkt<br />

steht dabei seit Jahren die<br />

Entwicklung und Verbesserung der palliativmedizinischen<br />

Versorgung als wesentlicher<br />

Pfeiler in einem bio-psycho-sozialen Behandlungskonzept.<br />

Durch beharrliche Fort-<br />

und Weiterbildungsaktivitäten wie auch eine<br />

konsequente Öffentlichkeitsarbeit ist so der<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />

Der Deutsche Schmerztag <strong>2008</strong><br />

V.l.n.r.: F. Knieps, M. Wenninghoff, G. H. H.<br />

Müller-Schwefe, M. Koch, E. S. Dietrich und<br />

H. W. Meier.<br />

in die Versorgungs- und Planungsgestaltung<br />

mitein<strong>zu</strong>beziehen und dem besonderen Versorgungsbedarf<br />

von chronisch Schmerzkranken<br />

gerechter <strong>zu</strong> werden.<br />

Hinsichtlich der Vergütungsregelung bei<br />

<strong>Schmerzpatienten</strong> kritisierte Gerhard Müller-Schwefe,<br />

dass nach den aktuellen Regelungen<br />

des EBM 2000 in der Version <strong>2008</strong><br />

Schmerztherapeuten bereits mit dem ersten<br />

Arzt-Patienten-Kontakt ihr Punktzahl-Grenzvolumen<br />

überschreiten und damit weitere<br />

Behandlungen von <strong>Schmerzpatienten</strong> ausschließlich<br />

<strong>zu</strong>lasten der Schmerztherapeuten<br />

gehen. Hier ist dringend mehr finanzielle<br />

Planungssicherheit für die Schmerzpraxen<br />

gefordert. Auch hier sicherte Franz Knieps<br />

<strong>zu</strong>, dass das Bundesgesundheitsministerium<br />

bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

adäquate Regelungen einfordere. ❏<br />

Preisverleihung v.l.n.r: Gerhard Müller-<br />

Schwefe, Eberhard Klaschik, Thomas Nolte,<br />

Michael Überall.<br />

Aufbau eines ambulanten und stationären<br />

palliativmedizinischen Versorgungsnetzes in<br />

Deutschland eng mit seinem Namen verknüpft.“


Der Deutsche Schmerzpreis 200<br />

Genetische Faktoren in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />

Die Wirksamkeit der analgetischen Therapie <strong>wir</strong>d von den Genen entscheidend<br />

beeinflusst. Über ihre neuesten pharmakogenetischen Forschungs-<br />

arbeiten <strong>zu</strong> Tramadol und welche genetisch determinierten Varianten<br />

bei der <strong>Schmerztherapie</strong> praktisch eine Rolle spielen, informiert Priv.-Doz.<br />

Dr. med. Ulrike Stamer, Bonn, die beim Deutschen Schmerztag in Frankfurt/<br />

Main mit dem Deutschen Schmerzpreis 200 ausgezeichnet wurde.<br />

W arum<br />

<strong>wir</strong>ken Arzneimittel individuell<br />

so unterschiedlich? Aufgrund welcher<br />

genetischer Varianten kann es <strong>zu</strong> mangelnder<br />

Wirksamkeit, <strong>zu</strong> stärkeren Neben<strong>wir</strong>kungen,<br />

Überdosierungserscheinungen oder gar <strong>zu</strong>r<br />

Toxizität eines Medikamentes kommen? Würde<br />

der genetische Hintergrund der Patienten<br />

künftig mehr berücksichtigt, könnte dies die<br />

medikamentöse <strong>Schmerztherapie</strong> nachhaltig<br />

verbessern. Die Pharmakogenetik beschäftigt<br />

sich mit den hereditären Ursachen, die die<br />

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik und<br />

somit die Wirksamkeit, aber auch die Neben<strong>wir</strong>kungen<br />

einer Pharmakotherapie beeinflussen.<br />

Genetischer Polymorphismus<br />

Veränderungen von Arzneimittel<strong>wir</strong>kungen<br />

können durch genetische Polymorphismen<br />

bedingt sein (Polymorphismus: genetische<br />

Variante mit einer Allelhäufigkeit > 1%). Ein<br />

bereits bekanntes und gut untersuchtes Beispiel<br />

für klinisch relevante Polymorphismen<br />

betrifft die Cytochrom-P450-Enzyme (CYP),<br />

die überwiegend in der Leber lokalisiert sind.<br />

Im Rahmen der Phase-I-Reaktion metabolisieren<br />

diese Enzyme endogene und exogene<br />

Substanzen durch Oxydation, Reduktion oder<br />

Hydrolyse. CYP1, CYP2 und CYP3 sind vor<br />

allem bei der Metabolisierung von Medikamenten<br />

beteiligt, während CYP4, CYP5 und<br />

CYP7 für die Verstoffwechslung endogener<br />

Substanzen wie Steroide und Gallensäuren<br />

<strong>zu</strong>ständig sind. Zahlreiche Medikamente werden<br />

von spezifischen Cytochrom-P450-Isoformen<br />

metabolisiert. Bei einer veränderten<br />

Enzymaktivität können sich daraus schwerwiegende<br />

Neben<strong>wir</strong>kungen, aber auch eine<br />

fehlende Wirkung ergeben. Tabelle 1 veranschaulicht,<br />

welche Aus<strong>wir</strong>kungen derartige<br />

genetische Varianten auf die Therapie haben<br />

und welche Neben<strong>wir</strong>kungen dadurch entstehen<br />

können. Allein für CYP2D6 sind inzwischen<br />

mehr als 80 verschiedene Allelvarianten<br />

identifiziert worden.<br />

Sog. Poor Metabolizer (PM) weisen keine<br />

Enzymaktivität auf und metabolisieren im<br />

Unterschied <strong>zu</strong> den Extensive Metabolizern<br />

(EM) entsprechende Medikamente nicht <strong>zu</strong><br />

ihrem CYP2D6-abhängigen Metaboliten. Etwa<br />

8–10% der weißen Bevölkerung weisen den<br />

PM-Genotyp für CYP2D6 auf. Hingegen sind<br />

ca. 4% der weißen Bevölkerung Ultra Rapid<br />

Metabolizer (UM) und metabolisieren die ent-<br />

Tabelle 1: Ausgewählte Medikamente, die von spezifischen Cytochrom-<br />

P450-Isoformen metabolisiert werden<br />

Isoform Medikamente Neben<strong>wir</strong>kungen/Risiken<br />

CYP2C9 Warfarin Blutung<br />

Phenytoin Ataxie<br />

NSAIDs Gastrointestinale Blutung<br />

Tolbutamid Hypoglykämie<br />

CYP2C19 Omeprazol<br />

Diazepam Sedierung<br />

CYP2D6 Trizyklische Antidepressiva Überdosierung,<br />

Kardiotoxizität<br />

Betablocker Überdosierung<br />

Antiarrhythmika Arrhythmien<br />

Haloperidol Parkinsonismus<br />

5-HT3-Rezeptorantagonisten Emesis<br />

Codein Keine Analgesie<br />

Tramadol Reduzierte Analgesie<br />

sprechende Medikamente sehr schnell (Abb.<br />

1). Bei anderen ethnischen Gruppen treten<br />

diese genetischen Varianten mit anderer Häufigkeit<br />

auf. Die UM-Variante ist z.B. in Asien<br />

sehr selten (Allelhäufigkeit 0,5%) in Äthiopien<br />

mit 29% dagegen häufig an<strong>zu</strong>treffen.<br />

Aus<strong>wir</strong>kungen auf die<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

Diese genetischen Varianten spielen bei einigen<br />

Pharmaka, die in der <strong>Schmerztherapie</strong><br />

eingesetzt werden, eine klinisch relevante<br />

Rolle.<br />

Codein <strong>wir</strong>d als Pro-Drug erst analgetisch<br />

<strong>wir</strong>ksam, wenn es durch CYP2D6 in seinen<br />

aktiven Metaboliten Morphin umgewandelt<br />

<strong>wir</strong>d. Bei Poor Metabolizern ist dies der Grund<br />

für eine mangelnde Analgesie durch Codein.<br />

(In Deutschland ist Codein als Analgetikum<br />

in Kombinationspräparaten enthalten.) Auf<br />

der anderen Seite zeigen UM-Patienten, die<br />

eine hohe Enzymaktivität aufweisen, stärkere<br />

Opioideffekte unter Codein. Bereits unter<br />

niedrigen Dosierungen sind hier Atemdepressionen<br />

beschrieben.<br />

Tramadolkonzentration vom<br />

CYP2D6-Genotyp abhängig<br />

Auch die Wirksamkeit von Tramadol, einem<br />

synthetischen Opioid, hängt maßgeblich von<br />

der CYP2D6-abhängigen Umwandlung in den<br />

M1-Metaboliten (+)O-Demethyltramadol ab.<br />

Im Gegensatz <strong>zu</strong> EM <strong>wir</strong>d bei PM der aktive<br />

M1-Metabolit nicht gebildet, die agonistische<br />

Wirkung am Opioidrezeptor entfällt. Lediglich<br />

die analgetische Wirkung über die beiden Tramadol-Enantiomere,<br />

die für die Noradrenalin-<br />

und Serotonin-Reuptakehemmung verantwortlich<br />

sind, bleibt davon unberührt. Poor<br />

Metabolizer zeigen daher einen deutlich<br />

Abbildung 1: Häufigkeit von CYP2D6-<br />

Genotypen in einem Kollektiv von<br />

postoperativen Patienten<br />

EM<br />

HZ/IM<br />

Metabolisierung normal<br />

PM<br />

UM<br />

Metabolisierung<br />

reduziert<br />

Keine<br />

Metabolisierung<br />

Metabolisierung<br />

erhöht<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Ulrike Stamer,<br />

Bonn<br />

schlechteren analgetischen Effekt unter Tramadol<br />

als Patienten mit erhaltener Enzymfunktion.<br />

Bei einer postoperativen Versorgung<br />

mit einer PCA-Pumpe forderten Patienten mit<br />

geringer CYP2D6-Enzymaktivität mehr Tramadol<br />

und Rescue-Medikation ab als Patienten<br />

mit normaler oder hoher Enzymaktivität.<br />

Der Anteil an Tramadol-Nonrespondern war in<br />

der Gruppe der PM signifikant erhöht.<br />

Komedikation als nicht genetische<br />

Einflussgröße<br />

Begleitmedikation und Komorbidität können<br />

die analgetische Behandlung <strong>zu</strong>sätzlich beeinflussen.<br />

Werden bei einer Tramadol- oder<br />

Codeinmedikation <strong>zu</strong>sätzlich Cytochrom blockierende<br />

Substanzen verordnet (Tabelle 2),<br />

kann dies z.B. die CYP2D6-Aktivität erheblich<br />

reduzieren oder ganz inhibieren. In einer Studie<br />

an postoperativen Patienten, die nach<br />

einem abdominellen Eingriff Tramadol erhielten,<br />

konnte die Bonner Arbeitsgruppe<br />

nachweisen, dass eine derartige Komedikation<br />

den Tramadolmetabolismus hemmt.<br />

Verstärkte Neben<strong>wir</strong>kungen von<br />

Koanalgetika<br />

Auch bei der Metabolisierung vieler Koanalgetika<br />

können derartige genetische Varianten<br />

eine klinisch relevante Rolle spielen. Sowohl<br />

der NMDA-Antagonist Dextrometorphan als<br />

auch Antidepressiva sind Substrate von<br />

CYP2D6. Trizyklische Antidepressiva werden<br />

vielfach als Koanalgetika bei chronischen und<br />

neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Poor<br />

Metabolizer sind jedoch besonders stark von<br />

den Neben<strong>wir</strong>kungen dieser Substanzen wie<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Mundtrockenheit, Tachykardien und Sedierung<br />

betroffen. Patienten mit einer geringen<br />

CYP2D6-Aktivität können das trizyklischen<br />

Antidepressivum Amitriptylin nur langsam<br />

metabolisieren. Patienten mit erhöhter Enzymfunktion<br />

im Sinne von UM weisen dagegen oft<br />

nur subtherapeutische Spiegel auf. Ggf. <strong>wir</strong>d<br />

einem solchen Patienten eine mangelnde<br />

Compliance unterstellt, wenn nicht an diese<br />

genetische Besonderheit gedacht <strong>wir</strong>d.<br />

Weitere Kandidatengene<br />

Die Arzneimittel<strong>wir</strong>kung <strong>wir</strong>d aber nicht nur<br />

durch Enzymvarianten beeinflusst, sondern<br />

auch Rezeptoren und Ionenkanäle können<br />

die Arzneimittelreaktionen verändern. Polymorphismen<br />

des µ-Opioidrezeptors scheinen<br />

die Wirksamkeit der Opioide <strong>zu</strong> beeinflussen.<br />

So konnte die Arbeitsgruppe von Klepstad et<br />

al. zeigen, dass Patienten mit Krebserkrankungen,<br />

die homozygot für das G-Allel an<br />

Position 118 sind, höhere Morphindosen für<br />

eine erfolgreiche Analgesie benötigen als Patienten<br />

mit dem Wildtyprezeptor. Bei diesem<br />

Polymorphismus <strong>wir</strong>d an Position 118 Adenin<br />

gegen Guanin ausgetauscht. Da dieser Basenaustausch<br />

in der kodierenden Region liegt<br />

(Exon), führt dieses auch <strong>zu</strong> einer Änderung<br />

der Aminosäurenfrequenz (Asparagin gegen<br />

Aspartat). Die Häufigkeit des seltenen<br />

G-Allels beträgt 10–15% in einer weißen Bevölkerung.<br />

Ein weiteres Kandidatengen ist die Katecholamin-0-Methyltransferase<br />

(COMT).<br />

Beim Polymorphismus Val158Met <strong>wir</strong>d die<br />

Aminosäure Valin durch Methionin ausgetauscht.<br />

Dadurch sinkt die Aktivität dieses<br />

Enzyms, das die Katecholamine Dopamin<br />

und Noradrenalin abbaut, um das Vierfache.<br />

Nach Untersuchungen der Arbeitsgruppe<br />

von Zubieta et al. verändert sich dadurch die<br />

Tabelle 2: CYP2D6-Inhibitoren<br />

Palliativmedizin<br />

(Ausführliche Liste unter<br />

http://medicine.iupui.edu/flockhart/table.htm)<br />

■ Amiodaron<br />

■ Cimetidin, Ranitidin<br />

■ Chinidin<br />

■ Cocain<br />

■ Paroxetin<br />

■ Propafenon<br />

■ Methadon<br />

■ Histamin-1-Rezeptorantagonisten<br />

■ Fluoxetin<br />

■ Haloperidol<br />

sensorische und affektive Schmerzsensibilität.<br />

Derzeit werden genetische Varianten der<br />

COMT intensiv untersucht und die Bedeutung<br />

von Haplotypen, die mit sehr hoher oder niedriger<br />

Schmerzsensitivität einhergehen, in den<br />

Fokus der Forschung gestellt.<br />

Fazit<br />

Genetische Varianten können Wirksamkeit<br />

und Neben<strong>wir</strong>kungen von Analgetika und Koanalgetika<br />

beeinflussen. Genetische Untersuchungen<br />

eröffnen somit die Perspektive, die<br />

analgetische Therapie <strong>zu</strong> individualisieren,<br />

sofern die dafür erforderlichen genetischen<br />

Tests, z. B. DNA-Chips, für die Praxis verfügbar<br />

und bezahlbar werden. Die Evaluierung<br />

dieser genetischen Tests sowie der Nachweis<br />

ihrer Kosteneffektivität dürfte aber weitere<br />

fünf bis zehn Jahre Forschung erfordern, bevor<br />

diese Diagnostik in die klinische Praxis<br />

Eingang findet. ❏<br />

Ulrike Stamer, Bonn<br />

Literatur bei der Verfasserin<br />

Palliativmedizin statt „aktiver Sterbehilfe“<br />

Mit seinem Beitrag über die Definitionen und Begriffe <strong>zu</strong>r Sterbehilfe, Euthanasie<br />

und Palliativmedizin gibt Prof. Dr. Günter Baust, Petersberg, Ehren-<br />

mitglied in der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., eine eindeutige Antwort<br />

auf gefährliche gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und fordert nachdrücklich<br />

eine Euthanasia medica statt aktiver oder passiver Sterbehilfe.<br />

W ir<br />

Ärzte haben uns offen und kompromisslos<br />

gegen jegliche Form einer<br />

„aktiven Sterbehilfe“ bekannt und als verbindliche<br />

Antwort für einen schnellen, weiteren<br />

Aufbau der Palliativmedizin entschieden.<br />

Doch warum erreicht <strong>unsere</strong> Botschaft die<br />

Menschen nur zögernd oder mit Vorbehalt?<br />

Warum werden mithilfe der Medien noch immer<br />

Ängste geschürt, dass das Sterben nach<br />

wie vor mit Schmerzen, Leiden, Entwürdigung<br />

Günter Baust,<br />

Petersberg<br />

und Einsamkeit verbunden ist? Wie wenig erfahren<br />

in diesem Zusammenhang die positiven<br />

Aspekte der Palliativmedizin eine verdiente<br />

Anerkennung, obwohl sie ein menschenwürdiges<br />

Sterben ermöglicht.<br />

9


Palliativmedizin<br />

Ruf nach Selbstbestimmung<br />

am Lebensende<br />

Noch immer werden in der Öffentlichkeit unbewusst<br />

oder aus mangelnder Kompetenz<br />

falsche Informationen verbreitet und damit<br />

bewährte aufwendige ärztliche und pflegerische<br />

Leistungen diskriminiert. Dies hat <strong>zu</strong>r<br />

Folge, dass sich z. B. über 70% <strong>unsere</strong>r Bevölkerung<br />

<strong>zu</strong>r aktiven Sterbehilfe bekannt hat<br />

– rechtlich ein „verbotenes Töten auf verlangen“(§<br />

216 StGB) oder novelliert ein „Sterben<br />

auf Verlangen“, welches bisher weder eine<br />

strafrechtliche Relevanz beinhaltet noch <strong>zu</strong><br />

den ärztlichen Pflichten gehört. Auch der Ruf<br />

nach Selbstbestimmung am Lebensende ist<br />

lauter geworden. Warum wenden sich immer<br />

mehr Menschen von uns ab und wollen ihr<br />

Schicksal am Lebensende selbst bestimmen?<br />

Gegenwärtig baut der schweizerische Verein<br />

„Dignitate“ in Deutschland erfolgreich eine<br />

Organisation auf und will mit dem deutschen<br />

Mediziner U. Ch. Arnold einen Präzedenzfall<br />

der aktiven Sterbehilfe für einen Musterprozess<br />

provozieren.<br />

So gibt es einen gefährlichen Stau von Problemen<br />

in <strong>unsere</strong>r Gesellschaft, der <strong>zu</strong>sätzlich<br />

durch die einschneidende demografische Entwicklung<br />

belastet <strong>wir</strong>d. Ärztlicherseits müssen<br />

<strong>wir</strong> uns da<strong>zu</strong> bekennen, dass die so wichtige<br />

Aufklärung der Bevölkerung über den eingetretenen<br />

Wandel in der Betreuung Sterbender<br />

noch immer un<strong>zu</strong>reichend ist. Die Angst, irgendwann<br />

einmal nicht mehr über sich selbst<br />

entscheiden <strong>zu</strong> können, bewegt jeden Menschen.<br />

Wir können und dürfen eine derartige<br />

Entwicklung weder länger ignorieren noch<br />

dem Selbstlauf überlassen.<br />

Zweifellos hat der Paradigmenwandel in<br />

der Psychologie des Sterbens die so wich-<br />

Palliativmedizin – welche Ängste haben Laien?<br />

10<br />

Bildarchiv Nolte<br />

tige vertrauensvolle Beziehung zwischen dem<br />

Arzt und seinem Patienten in den letzten Jahren<br />

verändert. Besonders die fast grenzenlos<br />

gewordenen Möglichkeiten des ärztlichen<br />

Handelns und Entscheidens am Lebensende<br />

mithilfe der modernen Medizin lösen tagtäglich<br />

nicht nur Hoffnung und Zuversicht, sondern<br />

auch Ängste und Unsicherheit aus.<br />

Gerade diesbezüglich besteht bei uns<br />

Ärzten ein enormes Defizit in der geduldigen<br />

und verständlichen Aufklärung. Wir<br />

müssen erklären, wie <strong>wir</strong> auch unter diesen<br />

veränderten medizinischen Bedingungen ein<br />

menschenwürdiges Sterben gewährleisten<br />

können. Wir müssen den medizinischen Laien<br />

verständlich die Grenzen der modernen Medizin<br />

erläutern oder wann das Sterben beginnt<br />

und wann der irreversible Tod eintritt. Die Fragenden<br />

müssen die Sicherheit erhalten, dass<br />

die oft nicht einfachen Entscheidungen der<br />

Ärzte in derartigen Situationen stets auf der<br />

Basis gültiger medizinischer, ethischer und<br />

rechtlicher Grundlagen getroffen werden. Es<br />

gilt, die Kompetenz der Patienten <strong>zu</strong> stärken<br />

und <strong>zu</strong>gleich Vertrauen <strong>zu</strong> bewahren. Die so<br />

dringend notwendige Korrektur der vorherrschenden<br />

Verständigungsschwierigkeiten<br />

<strong>wir</strong>d zweifellos eine <strong>unsere</strong>r schwierigsten<br />

Aufgaben in den nächsten Jahren sein. Einige<br />

Empfehlungen für diesen Dialog sollen in diesem<br />

Beitrag <strong>zu</strong>r Diskussion gestellt werden.<br />

Sterbehilfe – ihre Definition und<br />

ver<strong>wir</strong>rende Synonyma<br />

Zur Verständigung in der Medizin dient die<br />

Wissenschaftssprache, <strong>zu</strong>r sprachlichen<br />

Kommunikation zwischen Arzt und Patient die<br />

Umgangssprache. Häufiger spielen in der<br />

ärztlichen Praxis Verständigungsschwierigkeiten<br />

eine Rolle, da die Kompliziertheit der<br />

wissenschaftlichen Grundlagen <strong>zu</strong>genommen<br />

hat. Dies gilt in besonderem Maße für den<br />

Umgang mit dem noch immer tabuisierten<br />

Thema „Sterben und Tod“.<br />

Neue Worte und Wortbildungen beflügeln<br />

zwar die Fantasie vieler Menschen, sie können<br />

aber Handlungsabläufe suggerieren, die<br />

von dem eigentlichen Wortbegriff weit entfernt<br />

sind. So gibt es eine positive und eine<br />

negative Macht der Sprache, die mithilfe der<br />

überwältigenden Kraft der Medien fast jeden<br />

gewünschten Einfluss bei Millionen von Menschen<br />

hervorrufen kann.<br />

Die Meinung vieler Menschen <strong>wir</strong>d in<br />

<strong>unsere</strong>r Zeit <strong>zu</strong>nehmend von den Medien<br />

bestimmt. Das erschwert häufig einen sachkompetenten<br />

Aufklärungsprozess über die<br />

Betreuung Sterbender. Es ist fürwahr ein<br />

schwieriges Kapitel, <strong>zu</strong> dem alle Menschen<br />

irgendwann eine individuelle Einstellung fin-<br />

den möchten. Dafür brauchen sie und <strong>wir</strong><br />

dringend endlich präzise und verständliche<br />

Wortbildungen und Aussagen.<br />

Schon 1989 äußerte sich anlässlich des<br />

Symposions „Arzt und Tod, Verantwortung,<br />

Freiheiten und Zwänge“ der bekannte Bundesverfassungsrichter,<br />

Prof. Dr. Böhmer über<br />

die nach wie vor umstrittene Bezeichnung<br />

„Sterbehilfe“. Er beteuerte, den Ausdruck<br />

„Sterbehilfe“ stets bewusst vermieden <strong>zu</strong><br />

haben, weil er eine maßgebliche Zielrichtung<br />

ärztlichen Handelns verfälscht, nämlich<br />

„Leidhilfe“, nicht aber „Hilfe <strong>zu</strong>m Sterben“ <strong>zu</strong><br />

leisten. Er vertrat die Ansicht, das schöne<br />

Wort Hilfe werde missbraucht, um <strong>zu</strong> verdecken,<br />

dass in Wahrheit gezielte Tötung gemeint<br />

ist. Bei einem redlichen Umgang mit der<br />

Sprache müsste eigentlich von „Tötungshilfe“<br />

gesprochen werden. Doch das Wort „Tötung“<br />

erwecke ein gewisses Schaudern, dagegen<br />

<strong>wir</strong>ke Sterbehilfe versöhnlich und menschlich<br />

(W. Böhmer, in: E. Matouschek: „Arzt und Tod“,<br />

Schattauer Verlag 1989).<br />

Diese eindeutige und plausible Erklärung,<br />

selten so deutlich von einem Juristen ausgesprochen,<br />

doch von vielen Menschen ähnlich<br />

empfunden, weist auf die Verständigungsschwierigkeiten<br />

hin. Mit der Wortkonstruktion<br />

„Sterbehilfe“ – sie enthält den tabuisierten<br />

Begriff „Sterben“, kombiniert mit dem Wort<br />

„Hilfe“, das immer mit Hoffnung besetzt ist –<br />

<strong>wir</strong>d die inhaltliche Aussage schon ungenau<br />

und auslegungsfähig. Hilfe im Sterben, beim<br />

Sterben, <strong>zu</strong>m Sterben? Dieser Begriff ist deshalb<br />

ungeeignet, ja falsch und gefährlich. Das<br />

ständige Ergänzen mit neuen Wortbildungen<br />

hat die Verunsicherung eher noch erhöht, da<br />

diese alle das eigentliche ärztliche Handeln<br />

nicht reflektieren.<br />

Wenn Begriffe Konjunktur haben, ist stets<br />

eine kritische Aufmerksamkeit geboten. Zurzeit<br />

sind etwa folgende Worte und Wortverbindungen<br />

im Sprachgebrauch: Aktive/passive,<br />

direkte/indirekte Euthanasie; pränatale,<br />

soziale, geriatrische oder Früheuthanasie;<br />

aktive/passive, direkte/indirekte Sterbehilfe;<br />

Sterbebegleitung, Sterbebetreuung, Sterbebeistand,<br />

Sterben auf Verlangen, soziales<br />

Sterben, Recht auf Sterben, würdeloses<br />

Sterben, humane Sterbehilfe, Sterbetourismus.<br />

Solche Begriffe sind unklar und auslegungsfähig.<br />

Beispielsweise nutzen Ärzte und<br />

Juristen identische Begriffe, die <strong>zu</strong>m Teil aber<br />

in ihrem Verständnis und ihrer Anwendung erheblich<br />

voneinander abweichen.<br />

Euthanasie – hat der antike Begriff<br />

noch eine Berechtigung?<br />

Alle für die Sterbebetreuung kreierten Termini<br />

scharen sich eigentlich um den klassischen<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Begriff „Euthanasie“, der nach wie vor in der<br />

internationalen Rhetorik vorherrschend ist.<br />

Der aus dem Griechischen stammende Begriff<br />

„Euthanasie“ („schöner Tod“) wurde 1605<br />

von Francis Bacon, der die Schmerzlinderung<br />

bei Sterbenden als ärztliche Aufgabe ansah,<br />

als „Euthanasia medica“ bezeichnet.<br />

Wenn dieser aus dem Altertum stammende<br />

und bewährte Begriff in Deutschland während<br />

des Nationalsozialismus als Deckname für<br />

die systematische grausame Tötung unschuldiger<br />

Menschen pervertiert wurde, ist dies<br />

eine beschämende Tatsache der deutschen<br />

Geschichte. Die für diese Verbrechen Verantwortlichen<br />

erhielten anlässlich des Nürnberger<br />

Kriegsverbrecherprozesses ihre verdiente<br />

Strafe. Doch mit diesem Prozess verschwand<br />

ein seit über 2000 Jahren bewährter Begriff<br />

aus dem deutschen Sprachraum.<br />

Neudefinition<br />

Bereits 1983 gab es die Empfehlung, den Begriff<br />

<strong>zu</strong> rehabilitieren, da viele Wortkombinationen<br />

in dieser unrühmlichen Zeit missbraucht<br />

worden waren, jedoch später ihre<br />

ursprüngliche Bedeutung wiedererlangt haben.<br />

Die Sprache des Dritten Reiches hat der<br />

bekannte Philologe Viktor Klemperer in seinem<br />

„Notizbuch eines Philologen“, das unter<br />

dem Titel: LTI (Lingua Tertii Imperii) erschienen<br />

ist, kritisch analysiert. Klemperer bemerkt<br />

da<strong>zu</strong>: „… sie (gemeint ist die nazistische Sprache,<br />

d. Verf.) beschlagnahmte für die Partei,<br />

was früher Allgemeingut war, und in alldem<br />

durchtränkte sie Worte und Wortgruppen und<br />

Satzformen mit ihrem Gift, machte sie, die<br />

Sprache, ihrem furchtbaren System dienbar.“<br />

Wir Deutschen haben noch immer Probleme<br />

mit der Aufarbeitung <strong>unsere</strong>r Geschichte.<br />

Das gilt bis in die unmittelbare Gegenwart.<br />

Doch <strong>zu</strong> den Gräueltaten des Dritten Reiches<br />

haben <strong>wir</strong> <strong>unsere</strong> Abscheu deutlich <strong>zu</strong>m Ausdruck<br />

gebracht und die Lehren daraus gezogen.<br />

Die Perversion des Begriffs „Euthanasie“<br />

durch die Verbrecher des Naziregimes ist jedoch<br />

kein Grund, auf ihn <strong>zu</strong> verzichten. Würden<br />

<strong>wir</strong> dies tun, so wäre das in der Tat ein<br />

später Sieg der Nationalsozialisten. Deshalb<br />

sollten <strong>wir</strong> ihm seine ursprüngliche Bedeutung<br />

wieder <strong>zu</strong>rückgeben und diesen weltweit anerkannten<br />

Terminus technicus wieder in unser<br />

medizinisches Vokabular aufnehmen.<br />

Wenn <strong>wir</strong> diese klare Botschaft der Verständigung<br />

den vielen verunsicherten Menschen<br />

vermitteln würden, könnten <strong>wir</strong> das gesamte<br />

wolkige Vokabular der Sterbehilfe auf einen<br />

präzisen Begriff reduzieren. Dann hätten <strong>wir</strong><br />

endlich ein gemeinsames Vokabular für den<br />

dringend notwendigen Klärungs- und Verständigungsprozess.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Euthanasia medica<br />

Unser Vorschlag für eine bewährte und eindeutige<br />

Bezeichnung für die Betreuung Sterbender<br />

wäre „Euthanasia medica“ oder „palliativmedizinische<br />

Euthanasie“ – zwei klassische, eindeutige<br />

Begriffe („schöner oder würdiger Tod“),<br />

ergänzt mit den bewährten schmerz- und leidmindernden<br />

Maßnahmen der modernen Medizin,<br />

auf der Grundlage ethischer Normative<br />

und dem geltenden Recht.<br />

Wenn sich diesbezüglich jedoch eine Einigung<br />

schwierig gestalten sollte, dann wäre<br />

der Begriff „Sterbebetreuung“ eine Alternative,<br />

da er eindeutig und verständlich ist. Alle<br />

anderen Wortbildungen würden ersatzlos<br />

gestrichen. Eine offene und kritische interdisziplinäre<br />

Debatte könnte dann bald <strong>zu</strong> einer<br />

klaren verbindlichen Antwort führen.<br />

Mit dieser sprachlichen Korrektur würden<br />

auch endlich die überflüssigen und gefährlichen<br />

Wortergän<strong>zu</strong>ngen wie „direkt/indirekt“<br />

oder „aktive/passive“ oder das „Tun/Unterlassen“<br />

ersatzlos gestrichen. Da<strong>zu</strong> einige klärende<br />

Worte: „Aktive Sterbehilfe/Euthanasie“<br />

ist die Tötung durch eine Handlung. „Passive<br />

Sterbehilfe/Euthanasie“ ist die Tötung durch<br />

Unterlassung einer Handlung. Beides ist eine<br />

„Sterbenachhilfe“ oder, um ohne Euphemismen<br />

und Umschreibungen <strong>zu</strong> argumentieren,<br />

die Tötung eines Menschen.<br />

Da die „aktive Sterbehilfe“ noch als Synonym<br />

für den pervertierten Begriff „Euthanasie“<br />

aus dem Dritten Reich in weiten Kreisen<br />

der Bevölkerung bekannt ist, bedarf er meist<br />

keiner weiteren Klärung. Die „passive Sterbehilfe“<br />

klingt zwar versöhnlicher, doch ist die<br />

Auslegung vielfältig und nicht weniger mit<br />

einem unerwünschten Tun oder Unterlassen<br />

verbunden.<br />

Das ergänzende Adjektiv „passiv“ bedeutet<br />

laut Duden „untätig, nicht zielstrebig,<br />

teilnahmslos“. Diese Eigenschaften erfassen<br />

keineswegs das gebotene ärztliche Handeln<br />

am Lebensende. Vielmehr kommt es dann <strong>zu</strong><br />

einer frühen oder unzeitigen Beendigung des<br />

Lebens, ohne auf die belastenden Symptome<br />

des Betroffenen therapeutisch eingehen <strong>zu</strong><br />

müssen. Man lässt ihn hilflos sterben – und<br />

das soll keine strafbare Handlung sein, obwohl<br />

dann eine „unterlassene Hilfeleistung“<br />

nach § 323c StGB vorliegen würde? Im geltenden<br />

Recht kommen „aktive“ und „passive“<br />

Sterbehilfe als Termini nicht vor.<br />

Nach F. H. Hoßfeld „Tun oder Unterlassen“<br />

(Rechtsphilosophische Schriften, Peter Lang,<br />

Internat. Verlag der Wissenschaften, 2007)<br />

wurde die Sterbehilfe als eine Tötung – durch<br />

ein Tun oder Unterlassen – um des Patienten<br />

willen so definiert: „Um etwa die Tötung von<br />

unheilbar kranken Patienten aus ökono-<br />

Bildarchiv Baust<br />

Palliativmedizin<br />

„Euthanasia medica” – Sterben in Würde.<br />

mischen Motiven von vornherein aus<strong>zu</strong>schließen,<br />

wurde der Begriff ,Sterbehilfe’ auf solche<br />

Fälle begrenzt, in denen der Tod als Mittel <strong>zu</strong>r<br />

Leidensverkür<strong>zu</strong>ng herbeigeführt <strong>wir</strong>d.“ Wenn<br />

diese Überlegung richtig ist, lässt sich an der<br />

unterschiedlichen Bewertung von aktiver und<br />

passiver Sterbehilfe nicht festhalten.<br />

Der Sterbehelfer, der ein tödliches Mittel<br />

verabreicht, will genauso den Tod des Patienten<br />

<strong>zu</strong>r Leidensverkür<strong>zu</strong>ng wie derjenige,<br />

der eine lebenserhaltende Maßnahme nicht<br />

fortsetzt. Die Folgen der Handlung sind als<br />

Mittel <strong>zu</strong>r Beendigung des Leidens gewollt.<br />

Das heißt, weder das Tun oder Unterlassen<br />

noch der Grad ihrer Vorsätzlichkeit kann eine<br />

Handlung rechtfertigen, die normalerweise<br />

verboten ist.<br />

Ohne auf weitere ethische und juristische<br />

Standpunkte eingehen <strong>zu</strong> wollen: Ein Verzicht<br />

auf die genannten Ergän<strong>zu</strong>ngen und Begriffe<br />

würde der besseren Verständigung dienen.<br />

Das Lavieren mit diesen sehr auslegungsfähigen<br />

Begriffen könnte damit wegfallen. Auch<br />

der Entscheidungs- und Handlungsprozess<br />

der Ärzte dürfte sich dann künftig kompetenter,<br />

verständlicher und nach den geltenden<br />

medizinisch-ethischen und rechtlichen Regeln<br />

präziser gestalten.<br />

Wenn <strong>wir</strong> diesen notwendigen Schritt endlich<br />

wagen – und er muss von uns Ärzten<br />

erfolgen – , könnten <strong>wir</strong> die Vielfalt der hausgemachten<br />

und konstruierten Missverständnisse<br />

über das Lebensende durch eine klärende<br />

Botschaft und mit einer gemeinsamen<br />

Sprache bald überwinden.<br />

Möge dieser kleine Beitrag Anlass <strong>zu</strong>m<br />

weiteren Nachdenken über die entstandene<br />

medizinisch-ethische, juristische und sozialpolitische<br />

Lage sein. ❏<br />

Günter Baust, Petersberg<br />

11


Zertifizierte Fortbildung<br />

Symptomkontrolle in der Palliativmedizin<br />

Gegenstand der Palliativmedizin ist die Behandlung und Begleitung von<br />

Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen<br />

Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Durch eine ganzheitliche<br />

Behandlung soll Leiden umfassend gelindert werden, um dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung <strong>zu</strong> helfen und ihm<br />

eine Verbesserung der Lebensqualität <strong>zu</strong> ermöglichen. Dies ist auch eine<br />

der Kernaussagen der Sat<strong>zu</strong>ng der Deutschen Gesellschaft für Palliativ-<br />

medizin. Wie die Behandlung der wichtigsten Symptome in der Endphase<br />

des Lebens aussehen sollte, schildern Hanna Ludwig und Dr. med. Uwe<br />

Junker vom Sanaklinikum Remscheid.<br />

W elche<br />

Aspekte eine ganzheitliche Behandlung<br />

des Leidens beachten<br />

sollte, beschrieb schon 1964 Cicely Saunders<br />

(1920 – 2005), die englische Begründerin der<br />

Palliativmedizin, mit dem Begriff „Total Pain“<br />

sehr treffend [1]. Sie verstand darunter ein<br />

Phänomen, das Jahrzehnte später mit dem<br />

schwerfälligen Ausdruck „biopsychosoziales<br />

Schmerzmodell“ benannt werden sollte, nämlich<br />

dass Schmerzen eine physische, psychische,<br />

soziale und spirituelle Dimension<br />

haben.<br />

Saunders hatte in ihrer praktischen Tätigkeit<br />

früh erkannt, dass z. B. durch regelmäßige<br />

Gabe von Morphinlösung nur ein Teil der<br />

Schmerzen ihrer Patienten gebessert wurde<br />

und folglich andere Leidensaspekte ebenfalls<br />

behandelt werden mussten.<br />

Das bedeutet auch für uns, dass bei jedem<br />

Patienten, der unter einer gut durchdachten<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> kaum Linderung erfährt,<br />

nach Leidensdruck im psychischen, sozialen<br />

oder spirituellen Bereich gesucht werden<br />

sollte.<br />

Ebenso gilt, dass anhaltende körperliche<br />

Probleme den Lebenswillen stark beeinflussen.<br />

Unbehandelte Schmerzen können <strong>zu</strong><br />

Suizidgedanken und Depression führen. Eine<br />

gute Therapie körperlicher Symptome ist<br />

also ein Beitrag <strong>zu</strong> mehr Lebensqualität beim<br />

Schwerkranken. Die Hauptbeschwerden am<br />

Lebensende sind Schwäche, Schmerzen und<br />

Anorexie (vgl. Tab. 1 [nach 2]).<br />

Oft kann dem Wunsch der Patienten nach<br />

einem Tod in der eigenen Wohnung entsprochen<br />

werden. Notfallmäßige Krankenhauseinweisungen<br />

von Sterbenden erfolgen am häufigsten<br />

wegen Luftnot und Übelkeit [3].<br />

Daher ist es wichtig, bei der Begleitung<br />

Sterbender mögliche Verschlechterungen im<br />

Voraus <strong>zu</strong> bedenken, sie mit den Angehörigen<br />

oder Pflegediensten <strong>zu</strong> besprechen und einen<br />

Notfallplan <strong>zu</strong> erstellen.<br />

12<br />

In diesem Artikel werden die Hauptsymptome<br />

unter praktischen Gesichtspunkten<br />

besprochen; <strong>zu</strong>r Vertiefung der Kenntnisse<br />

empfehlen <strong>wir</strong> den Basiskurs Palliativmedizin<br />

(40 Stunden), der vielerorts bereits als<br />

Wochenendkurs durchgeführt <strong>wir</strong>d. Die<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> bei Tumorkranken wurde in<br />

Heft 2/2007 der SCHMERZTHERAPIE durch<br />

Freynhagen und Junker bereits ausführlich<br />

dargestellt [6].<br />

Fatigue<br />

Die Mehrzahl der Tumorpatienten klagt über<br />

eine Abnahme der Leistungsfähigkeit auf allen<br />

Ebenen. Dies <strong>wir</strong>d am besten unter dem<br />

Begriff Fatigue <strong>zu</strong>sammengefasst:<br />

Fatigue bei Krebskranken ist ein subjektives<br />

Gefühl unüblicher Müdigkeit, das sich<br />

aus<strong>wir</strong>kt auf den Körper (29%), die Gefühle<br />

(59%) und die mentalen Funktionen (12%),<br />

das mehrere Wochen andauert und sich<br />

durch Ruhe und Schlaf nur unvollständig oder<br />

gar nicht beheben lässt [4].<br />

Ein genaues Erfragen des Ausmaßes der<br />

Müdigkeit und ihrer Aus<strong>wir</strong>kung im täglichen<br />

Alltag führt <strong>zu</strong>m einen <strong>zu</strong>r Wahrnehmung des<br />

Problems durch alle Beteiligten und ermöglicht<br />

<strong>zu</strong>m anderen, Strategien <strong>zu</strong>m Umgang<br />

mit diesem Symptom <strong>zu</strong> entwickeln. Wenn<br />

keine ursächlichen Therapieansätze sichtbar<br />

sind (z.B. hormonelle Störungen, Korrektur<br />

des Hämoglobinspiegels, Elekrolytentgleisungen,<br />

Medikamentenüberdosierungen),<br />

sollte mit dem Patienten und seiner Familie<br />

besprochen werden, wie mit dem niedrigen<br />

„Energiekonto“ sorgsam umgegangen werden<br />

kann. Ziel ist ein vorsichtiger Wechsel von körperlicher<br />

Aktivität und Ruhephasen, z.B. mit<br />

frühzeitigem Einsatz eines unterstützenden<br />

Hilfsmittels wie einem Rollstuhl. Der Einsatz<br />

von Medikamenten wie Steroiden, Psychostimulanzien<br />

und Hormonen <strong>wir</strong>d kontrovers<br />

diskutiert [5], kann aber beim einzelnen Pa­<br />

SCHMERZTHERAPIE<br />

Hanna Ludwig und Uwe Junker, Remscheid<br />

tienten durchaus hilfreich sein. Inzwischen<br />

gibt es spezialisierte Sprechstunden für Fatiguepatienten<br />

(z. B. Klinik für Palliativmedizin,<br />

Universität Aachen).<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

Die <strong>Schmerztherapie</strong> beim Schwerkranken<br />

folgt den allgemeinen Grundsätzen (s. Freynhagen<br />

et al. SCHMERZTHERAPIE 2/2007<br />

[6]), muss sich aber mit <strong>zu</strong>nehmendem Verfall<br />

des Patienten verändern. So zwingen Gewichtsreduktion,<br />

abnehmende Organfunktion<br />

und veränderte Essensgewohnheiten <strong>zu</strong> einer<br />

individuellen Anpassung von Dosierungen<br />

und insbesondere auch Applikationsformen.<br />

Geschmacksstörungen sind häufig, was<br />

<strong>zu</strong>r Ablehnung von Medikamenten führen<br />

Tabelle 1: Die häufigsten Symptome<br />

bei fortgeschrittener Krebserkrankung<br />

[2]<br />

■ Schwäche 95%<br />

■ Schmerzen 80%<br />

■ Anorexie 80%<br />

■ Obstipation 65%<br />

■ Luftnot 60%<br />

■ Schlaflosigkeit 60%<br />

■ Schwitzen 60%<br />

■ Ödeme 60%<br />

■ Mundtrockenheit 50%<br />

■ Übelkeit 50%<br />

■ Erbrechen 40%<br />

■ Angst 40%<br />

■ Husten 30%<br />

■ Ver<strong>wir</strong>rung 30%<br />

■ Druckgeschwüre 30%<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


kann. Die Mundtrockenheit unter Opioiden<br />

bedingt nicht selten Schluckstörungen. Daher<br />

sollte früh bedacht werden, ob nicht ein<br />

Wechsel auf eine transdermale oder subkutane<br />

Applikationsform angebracht ist. Für ein<br />

transdermales System spricht die einfache Anwendung,<br />

dagegen die langsame Pharmakokinetik<br />

(ausreichende Wirkung frühestens nach<br />

12–24 Std.) [6] und die unsichere Resorption<br />

bei reduzierten Kreislaufverhältnissen.<br />

In der Palliativmedizin <strong>wir</strong>d seit Jahrzehnten<br />

die subkutane Gabe von Medikamenten<br />

bevor<strong>zu</strong>gt [7, 8], die durchaus von<br />

pflegenden Angehörigen durchgeführt werden<br />

kann. Der Patient erhält eine subkutane<br />

Injektionsnadel, die über drei bis sieben Tage<br />

belassen <strong>wir</strong>d [8]. Das hat den Vorteil, dass<br />

der Patient ohne weitere schmerzhafte Injektionen<br />

mehrfach täglich Medikamente subkutan<br />

erhalten kann. Alternativ da<strong>zu</strong> können<br />

Spritzenpumpen angeschlossen werden, die<br />

eine Medikamentenmischung kontinuierlich<br />

über 24 Stunden abgeben. Auf diese Weise<br />

vermeidet man schwankende Medikamentenspiegel.<br />

Viele Medikamente sind zwar für den<br />

subkutanen Gebrauch nicht <strong>zu</strong>gelassen, aber<br />

seit Langem in der Palliativmedizin in dieser<br />

Form im Gebrauch.<br />

Ähnliches gilt für die Mischungen, für die<br />

inzwischen alltagstaugliche Tabellen existieren,<br />

die über mögliche Inkompatibilitäten informieren.<br />

So ist die Kombination von Morphin<br />

Tabelle 2: Antiemetika<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

mit Metoclopramid und Midazolam in der klinischen<br />

Erfahrung unproblematisch.<br />

Das maßgebliche englische Standardwerk<br />

hier<strong>zu</strong> erschien 2005 nach Bearbeitung<br />

durch Bausewein in deutscher Sprache [9].<br />

Ebenso finden sich alle Informationen unter<br />

www.palliativedrugs.com.<br />

Umrechnungsfaktoren (nach [9] und www.<br />

palliativedrugs.com)<br />

Morphindosis oral : 2 bis 3 = s.c.<br />

Oxycodon oral – 1/3 = s.c.<br />

Hydromorphondosis oral : 6 = s.c.<br />

Morphin s.c. = Oxycodon s.c.<br />

Dyspnoe<br />

Dyspnoe beschreibt den Zustand subjektiv<br />

erlebter Atemnot (Luftnot, Lufthunger), dessen<br />

Schwere nur der Patient selbst beurteilen<br />

kann [10]. Die Ausdrücke „Atemnot“ und „Lufthunger“<br />

weisen deutlich auf die emotionale<br />

Komponente dieses Symptoms hin: Die Atmung,<br />

ein Vorgang, der normalerweise unbewusst<br />

geschieht [11], <strong>wir</strong>d als unangenehm<br />

und beklemmend wahrgenommen, der Patient<br />

ist „in Not“. Atmung bedeutet Leben; eine<br />

Störung <strong>wir</strong>d daher von Patienten und Angehörigen<br />

als lebensbedrohlich empfunden und<br />

setzt ängstliche Reaktionen bis hin <strong>zu</strong> Ohnmachtsgefühlen<br />

in Gang. Dies führt oft da<strong>zu</strong>,<br />

dass sich die Atemnot durch erhöhte Atemanstrengungen<br />

und Anspannung noch steigert.<br />

Anhaltende Dyspnoe beeinflusst stark den<br />

I. Antiemetika mit zentraler Wirkung [23]<br />

Wirkort Wirkstoffgruppe Wirkstoff (Beispiele) Dosis p.o.<br />

Chemorezeptor- Dopaminantagonisten Haloperidol 1 x 2 mg abends<br />

triggerzone Levomepromazin 3 x 3 mg<br />

Metoclopramid 3 x 10–20 mg<br />

5-HT3-Antagonisten Ondansetron 2 x 4–8 mg<br />

Brechzentrum Anticholinergika Scopolamin TTS 1 mg/72 Std.<br />

Antihistaminika Dimenhydrinat 3 x 50 mg<br />

Levomepromazin 3 x 3 mg<br />

5-HT2-Antagonisten Levomepromazin<br />

Zerebraler Cortex Benzodiazepine Lorazepam 2 x 0,5 mg<br />

Steroide Dexamethason 1 x 2–8 mg<br />

Cannabinoide Dronabinol 2–4 x 2,5 mg<br />

II. Antiemetika mit Wirkung im Gastrointestinaltrakt<br />

Prokinetisch 5-HT4-Agonist Metoclopramid 3 x 10–20 mg<br />

Dopaminantagonist Metoclopramid<br />

5-HT3-Rezeptor-<br />

Blockade<br />

5-HT3-Blocker Ondansetron s.o.<br />

Antisekretorisch Anticholinergika N-Butylscopolamin<br />

(keine antiemetische Wirkung)<br />

s. Text<br />

Somatostatinanaloga Octreotid<br />

(keine antiemetische Wirkung)<br />

s. Text<br />

Antiödematös Steroide Dexamethason s. Text<br />

Bildarchiv Junker<br />

Zertifizierte Fortbildung<br />

Erreichen bestmöglicher Lebensqualität ist<br />

in der Palliativmedizin oberstes Gebot.<br />

Lebenswillen der Schwerkranken, die in fortgeschrittenem<br />

Stadium mit einer Häufigkeit<br />

bis <strong>zu</strong> 60% an Luftnot leiden [12].<br />

Gerade in dieser Situation ist es umso<br />

wichtiger, dass der Therapeut die Ruhe bewahrt<br />

und sehr genau darüber nachdenkt,<br />

was <strong>zu</strong> tun ist [13]. Zunächst sammelt man in<br />

der Anamnese wichtige Hinweise: Beginn der<br />

Luftnot langsam oder akut, Ursache Schmerz<br />

oder Angst, bestimmte Auslöser (z. B. Angehörigenbesuch),<br />

Ruhedyspnoe oder Atemnotattacke.<br />

Hin<strong>zu</strong> kommen die Befunde der körperlichen<br />

Untersuchung, bei der die meisten<br />

Ursachen für Dyspnoe bereits festgestellt<br />

werden können: z.B. Pneumonie, Bronchospastik,<br />

Lungenödem, Pleuraerguss (ab 500<br />

ml), Zwerchfellhochstand durch Aszites oder<br />

Ileus, generalisierte Ödemneigung, Angst<br />

und Hyperventilation. Weitere diagnostische<br />

Schritte sollten nur unternommen werden,<br />

wenn daraus auch Konsequenzen resultieren.<br />

Ist eine ursächliche Therapie der Luftnot<br />

möglich, muss sie mit dem Patienten diskutiert<br />

werden. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium<br />

lehnen viele Patienten medizinische<br />

Eingriffe ab und bitten nur noch um Linderung<br />

ihrer Leiden.<br />

Ein stufenweises Vorgehen könnte so aussehen<br />

[nach 14]:<br />

1. Allgemeine Maßnahmen:<br />

Lagerung<br />

Frischluft<strong>zu</strong>fuhr [Fenster öffnen, Ventilator)<br />

Entspannungsverfahren (Patienten nicht<br />

allein lassen!)<br />

Selten O 2­Gabe<br />

2. Abnahme von Tachypnoe und Atemarbeit<br />

und Beeinflussung der Wahrnehmung der<br />

Dyspnoe durch Opioide:<br />

Morphin 2,5 mg p.o./4 h beim opioidnaiven<br />

Patienten, Erhöhung der Tagesdosis um bis<br />

13


<strong>zu</strong> 50% beim opioidgewohnten Patien­<br />

ten.<br />

3. Anxiolyse:<br />

Lorazepam 1–2,5 mg s.l.<br />

4. Bei Panik sedierende Maßnahmen:<br />

Levomepromazin und/oder Benzodiazepine<br />

(z. B. Midazolam 1–2,5 mg i.v.)<br />

Die Gründe für eine gute Wirkung der Opioide<br />

bei Dyspnoe sind folgende:<br />

■ Emotionale Reaktionen werden gedämpft<br />

(limbisches System).<br />

■ Atemzentrum <strong>wir</strong>d gedämpft, rasche oberflächliche<br />

Atmung <strong>wir</strong>d ruhiger, tiefer und<br />

langsamer = Ökonomisierung der Atmung.<br />

■ Wirkung auf Hustenrezeptoren in der Lunge.<br />

■ Reduktion des Widerstandes im kleinen<br />

Kreislauf = Entlastung des Herzens [13].<br />

Bei vorsichtiger Titration ist keine Atemdepression<br />

<strong>zu</strong> erwarten.<br />

Morphin <strong>wir</strong>d am häufigsten <strong>zu</strong>r Therapie<br />

einer Dyspnoe verwendet; möglich ist<br />

jedoch auch der Gebrauch anderer Opiate,<br />

die den µ­Rezeptor ansprechen, z. B. von<br />

Hydromorphon. Versuche, Morphin inhalativ<br />

14<br />

Zertifizierte Fortbildung<br />

Tabelle 3: Laxanzien [nach 23]<br />

<strong>zu</strong> verabreichen, konnten nicht überzeugen,<br />

was sicher auch am bitteren Geschmack der<br />

Substanz liegt. Ein Versuch mit hoch dosiertem<br />

Kortison kann sinnvoll sein, wenn der<br />

Verdacht besteht, dass eine Schwellung die<br />

Luftwege einengt.<br />

Die Gabe von parenteraler Flüssigkeit sollte<br />

bei Luftnot auf ein Minimum reduziert werden<br />

(500 ml/Tag), eventuell kann auch mit Diuretika<br />

ein Flüssigkeitsent<strong>zu</strong>g be<strong>wir</strong>kt werden.<br />

Sauerstoffgabe bei Luftnot in palliativer Situation<br />

<strong>wir</strong>d möglichst vermieden. Der apparative<br />

Aufwand lenkt erheblich vom Patienten ab,<br />

der gerade in dieser Situation viel Zuwendung<br />

braucht. Zudem be<strong>wir</strong>kt die Luftinsufflation ein<br />

Austrocknen der Schleimhäute in Mund und<br />

Nase – ein Problem, dass die opioidtherapierten<br />

Patienten ohnehin sehr quält.<br />

Untersuchungen haben ergeben, dass die<br />

Sauerstoffgabe im Vergleich <strong>zu</strong> Luft und <strong>zu</strong><br />

Opioiden keine Verbesserung der Dyspnoe<br />

be<strong>wir</strong>kt [6, 15]. Bei hoch dosierter O 2­Gabe<br />

besteht <strong>zu</strong>sätzlich das Risiko von Resorptionsatelektasen<br />

[17].<br />

Wirkstoff Handelsname Dosis Wirkungs- Bemerkungen/<br />

(Beispiele) eintritt Neben<strong>wir</strong>kungen<br />

Macrogol Movicol 1–3 Btl. 1–2 d Bei Koprostase bis 8 Btl.<br />

Osmotische Laxanzien<br />

Lactulose Bifiteral 1–30 ml 8–10 h Blähungen, Völlegefühl<br />

Mannitol Mannit-Lsg. 20–50 g als<br />

5–20% Lsg.<br />

Salinische Laxanzien<br />

Mg-Sulfat Bittersalz 10–20 g 2–4 h Cave Niereninsuffizienz<br />

Na-Sulfat Glaubersalz 2–4 h Cave Herzinsuffizienz<br />

Stimulierende Laxanzien<br />

Senna Pursennid 2–4 Drg. 8–12 h<br />

Liquidepur 5–20 ml 8–12 h<br />

Rizinusöl Laxopol 1–2 EL 2–4 h Aspiration löst<br />

Lipidpneumonie aus<br />

Kapseln 4–6 g<br />

Bisacodyl Dulcolax 10 mg 8–12 h<br />

Na-picosulfat Laxoberal 10–40 Trpf. 6–12 h<br />

Phenol- Obstinol 10–20ml 12–48 h Rotfärbung von Urin, Stuhl<br />

phthalein Cave Allergien<br />

Gleitmittel<br />

Docusat- Potsilo 25–50 mg Std. bis Tage Nur als Kombinations-<br />

Natrium präparat<br />

Paraffin Agarol 10–30 ml 8–12 h Resorptionshemmung von<br />

Fett und fettlösl. Vitaminen,<br />

Malabsorption, Gefahr von<br />

Fremdkörpergranulomen<br />

Patienten und Angehörige empfinden es<br />

beim Symptom Luftnot als sehr hilfreich, wenn<br />

sie gut beraten werden und Entspannungs­<br />

und Atemübungen erlernen [18]. Dies ist ein<br />

Einsatzbereich für Physiotherapeuten, die die<br />

Patienten noch mit Thoraxvibrationsmassage<br />

und Mobilisierungsübungen (frühzeitiger Einsatz<br />

des Gehwagens) unterstützen können [20].<br />

Übelkeit und Erbrechen<br />

Diese Symptome quälen gerade Tumorpa­<br />

tienten häufig und ziehen leicht Komplikationen<br />

nach sich wie unsichere Resorption von<br />

Medikamenten, Flüssigkeits­, Elekrolytverlust<br />

und Schwäche. Das ständige Unwohlsein<br />

führt bei Patienten und Angehörigen <strong>zu</strong> gesteigerter<br />

„Angst vor dem Verhungern“ mit<br />

sinkender Compliance und Ablehnung von<br />

Therapien. Abgesehen von somatischen Ursachen<br />

kann Übelkeit ein Ausdruck psychosozialer<br />

Probleme sein, wie <strong>zu</strong>m Beispiel in<br />

Redewendungen wie diesen deutlich <strong>wir</strong>d:<br />

„Seinen Ärger ausspucken“ oder „Etwas liegt<br />

schwer im Magen“ [21].<br />

Die genaue Anamnese (Beginn, Dauer, Ablauf,<br />

Aussehen und Geruch des Erbrochenen)<br />

liefert viele Hinweise für die Diagnose. Gründe<br />

von Übelkeit und Erbrechen sind [22]:<br />

■ Gastrointestinale Funktionsbeeinträchtigungen<br />

■ Pharyngeale Erkrankungen<br />

■ Arzneimittel, toxische Ursachen<br />

■ Metabolische Unstimmigkeiten<br />

■ Gestörte Funktion der neuronalen Steuerung<br />

■ Hirnmetastasen<br />

■ Schmerzen und psychische Störungen.<br />

Allgemeine Regeln beim Umgang mit Patienten,<br />

die an Übelkeit leiden:<br />

■ Frische Luft im Raum, Vermeidung starker<br />

Gerüche<br />

■ Bequeme, aufrechte Lagerung <strong>zu</strong>m Essen<br />

■ Essen in ruhiger Atmosphäre, in kleinen<br />

Portionen, Wunschkost (!), keine Diäten<br />

■ „Fütternde“ Angehörige aufklären und einbeziehen.<br />

Die anatomischen Strukturen, die bei Übelkeit<br />

und Erbrechen <strong>zu</strong>sammen<strong>wir</strong>ken, können<br />

medikamentös beeinflusst werden (Tab. 2).<br />

Ist die Ursache unklar oder mehrfaktoriell,<br />

empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen<br />

unter Beachtung der möglichen Neben<strong>wir</strong>kungen<br />

und Kontraindikationen. Liegt keine<br />

Obstruktion vor, so ist für uns Metoclopramid<br />

das Medikament der ersten Wahl. Damit bei<br />

Erfolglosigkeit rasch eine Besserung eintritt,<br />

folgen <strong>wir</strong> im nächsten Schritt den englischen<br />

Kollegen, die gern Levomepromazin einsetzen,<br />

weil es ein so breites Wirkspektrum besitzt<br />

(Antagonismus <strong>zu</strong> Dopamin­, Histamin­,<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Nach Freynhagen et al., <strong>Schmerztherapie</strong> Nr. 2/2007, S. 12–17 Abbildung 1: Stufenschema der Laxanzientherapie<br />

1<br />

2<br />

Acetylcholin­ und 5­HT2­Rezeptoren). In niedriger<br />

Dosis (3 x 3 mg = 3 x 3 Trpf. p.o. oder<br />

12,5 mg/24 h s.c.) verwendet, treten kaum<br />

Neben<strong>wir</strong>kungen auf [23].<br />

Rasche Erfolge erzielt man mit der Gabe<br />

von Dexamethason, was besonders in der<br />

Terminalphase der Patienten wichtig ist, in<br />

der es nur noch um Linderung und nicht um<br />

Beachtung von Kontraindikationen geht.<br />

Bei unsicherer Medikamentenresorption<br />

sollte der rektale oder subkutane Applikationsweg<br />

genutzt werden, damit es dem<br />

Patienten rasch besser geht. Ohne permanentes<br />

Unwohlsein tolerieren die meisten<br />

Patienten Erbrechen zwei­ bis dreimal/Tag,<br />

sodass eine Magensonde nur die Ausnahme<br />

sein muss.<br />

Vorgehen bei intestinaler<br />

Obstruktion:<br />

1. Therapie der Übelkeit<br />

2. Spasmolyse: Metamizol, N­Butylscopolamin<br />

3. Reduktion der intestinalen Sekrete: N­Butylscopolamin<br />

60 bis max. 300 mg/Tag s.c.;<br />

wenn nach zwei Tagen keine Besserung,<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

3<br />

Macrogol<br />

4<br />

5<br />

Rizinusöl<br />

Manuelle Ausräumung<br />

Senna & Paraffin & Amidotrizoesäure<br />

Macrogol & Senna & Paraffin<br />

& Suppositorien & Einlauf<br />

Macrogol & Senna & Paraffin<br />

Macrogol & Senna<br />

Macrogol & Natriumpicosulfat<br />

Tabelle 4: Ursachen für Obstipation in der Palliativmedizin (mod. nach [24])<br />

■ Tumorbedingt (gastrointestinale Obstruktion, Infiltration nervaler Strukturen)<br />

■ Durch reduzierten Allgemein<strong>zu</strong>stand bedingt (Immobilität, Schwäche, veränderte Ess-<br />

und Trinkgewohnheiten, Ver<strong>wir</strong>rtheit, Depression, Übelkeit und Erbrechen)<br />

■ Durch Medikamente bedingt (Opioide, Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva,<br />

Phenothiazine, Scopolamin, N-Butylscopolamin, Sedativa, Ondansetron, Diuretika,<br />

aluminiumhaltige Antazida, Antihistaminika, Zytostatika)<br />

■ Metabolisch bedingt (Hyperkalziämie, Hypokaliämie, Urämie)<br />

6<br />

7<br />

Nach: Klaschik E et al., Support Care Cancer 2003;11:679–685<br />

■ Andere Erkrankungen (Hypothyreose, Diabetes mellitus, Divertikulose, Hämorrhoiden,<br />

Analfissuren, Verlust des analen Dehnungsreflexes)<br />

8<br />

Umsetzen auf Octreotid 250 bis 750 µg/Tag<br />

s.c., ggf. Protonenpumpenblocker.<br />

Obstipation<br />

Die Hälfte aller Schwerkranken leidet an Obstipation,<br />

bei Behandlung mit Opioiden steigt<br />

die Rate sogar auf über 90% [20]. Eine genaue<br />

Definition der Obstipation <strong>wir</strong>d durch die<br />

große Varianz der Stuhlgewohnheiten erschwert.<br />

Den Stellenwert des Symptoms<br />

muss man durch eine genaue Anamnese und<br />

abdominelle sowie rektale Untersuchung herausfinden.<br />

Klagt der Patient über eine niedrige<br />

Stuhlfrequenz, nicht ausreichende Mengen<br />

evtl. mit dem Gefühl der unvollständigen<br />

Entleerung, <strong>zu</strong> harte Konsistenz oder Schmerzen<br />

beim Stuhlgang, dann sollte therapeutisch<br />

eingegriffen werden. Die Ursachen der<br />

Obstipation sind vielfältig (Tab. 4). Wenn möglich<br />

beginnt man mit einer kausalen Therapie,<br />

um dem Patienten weitere Medikamenteneinnahmen<br />

<strong>zu</strong> ersparen.<br />

Ist eine laxative Therapie indiziert, gilt es,<br />

unter den verschiedenen Medikamenten die<br />

Kombination <strong>zu</strong> finden, die der Patient toleriert.<br />

Für Patienten, die keine Probleme bei<br />

Zertifizierte Fortbildung<br />

der Flüssigkeitsaufnahme haben, ist das Stufenschema<br />

nach Klaschik et al. [25] empfehlenswert<br />

(Abb. 1).<br />

Basistherapeutikum ist Macrogol, welches<br />

nicht aus dem Darmlumen resorbiert <strong>wir</strong>d,<br />

wegen seines definierten Wasserbindungsvermögens<br />

dem Körper keine Flüssigkeit oder<br />

Elektrolyte entzieht und selten Blähungen<br />

verursacht (Tab. 3).<br />

Wenn aber die Aufnahme von drei gro­<br />

ßen Gläsern Macrogol/Tag <strong>zu</strong>m Problem <strong>wir</strong>d,<br />

sollte die Therapie verändert werden. Dann<br />

kann die Kombination von Paraffin 30 ml als<br />

Gleitmittel und Natriumpicosulfat 40 Tropfen/<br />

Tag p.o. eine gute Alternative sein.<br />

Bettlägerige Patienten, denen Stuhlgang<br />

und Mobilisation Schmerzen bereiten, sind<br />

gern mit „Abführtagen“ einverstanden, weil<br />

dann alle nötigen Manöver (z.B. Gabe von<br />

Analgetika vor Lagerung und Reinigung) ruhig<br />

und geplant ablaufen. Abends könnte ein<br />

Suppositorium Glycerin <strong>zu</strong>r Stuhlerweichung<br />

verabreicht werden, um dann morgens den<br />

Darm mit Bisacodyl rektal <strong>zu</strong> stimulieren.<br />

In Hospizen gibt es <strong>zu</strong>sätzlich viele Hausrezepte<br />

für sanfte Einläufe und darmanregende<br />

Wickel.<br />

Die fixe Kombination eines Opioidanalgetikums<br />

mit einem µ­Rezeptorantagonisten wie<br />

bei Tilidin/Naloxon oder Oxycodon/Naloxon<br />

kann das Risiko der Obstipation vermindern.<br />

Eine neue Therapieoption steht mit Methylnaltrexon<br />

<strong>zu</strong>r Verfügung, einem Antagonisten<br />

der µ­Opioidrezeptoren, der keine eigene intrinsische<br />

Aktivität besitzt. Die Anwendung erfolgt<br />

parenteral (i.v. oder s.c.) und be<strong>wir</strong>kt bei<br />

rund 60% der Patienten eine Stuhlentleerung<br />

innerhalb von Stunden, ohne die Analgesie<br />

durch Opioide auf<strong>zu</strong>heben [25].<br />

Schlussbemerkung:<br />

„Wie Menschen sterben, verbleibt im Gedächtnis<br />

derer, die weiterleben, und für sie<br />

(sowie für die Patienten selbst) sind <strong>wir</strong> verpflichtet,<br />

über den Verlauf und die Behandlung<br />

terminaler Schmerzen und Leiden informiert<br />

<strong>zu</strong> sein.<br />

Das, was in den letzten Stunden geschieht,<br />

kann frühere Erinnerungen heilen oder es<br />

bleibt als zerstörendes Andenken, das die<br />

Bewältigung der Trauer verhindert“ (Dame<br />

Cicely Saunders). ❏<br />

Literatur bei den Verfassern und im Internet<br />

unter www.cme-punkt.de, wo Sie auch<br />

die CME­Übersicht und die Fragen <strong>zu</strong>r Zertifizierung<br />

finden (siehe nächste Seite).<br />

Hanna Ludwig, Uwe Junker, Remscheid<br />

15


16<br />

Zertifizierte Fortbildung<br />

CME-Herausgeber- und Review-Board:<br />

Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen; Dr. Thomas Nolte,<br />

Wiesbaden; Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg<br />

In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer<br />

und der Deutschen Gesellschaft für <strong>Schmerztherapie</strong> e.V. – DGS<br />

CME-Fragen Symptomkontrolle in der<br />

Palliativmedizin<br />

Hier können Sie CME-Punkte sammeln a) für die Pflichtfortbildung aller<br />

Vertragsärzte und b) für freiwillige Fortbildungszertifikate, die viele Landesärztekammern<br />

anbieten. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen<br />

Fortbildungsbeitrag (S. 12–15). Die Antworten ergeben sich aus dem Text.<br />

Wenn Sie 70% der Fragen richtig beantworten, erhalten Sie 2, bei 100% 3 CME-<br />

Punkte. Es <strong>wir</strong>d jeweils nur eine richtige Antwort gesucht. Teilnehmen können Sie<br />

nur via Internet über www.cme-punkt.de (Einzelheiten siehe nächste Seite).<br />

Einsendeschluss ist der 21.11.<strong>2008</strong>.<br />

1. Das Hauptziel der Palliativmedizin für die<br />

Patienten ist<br />

A. die Verbesserung der Mobilität.<br />

B. die Verlängerung der Lebensdauer.<br />

C. die Verbesserung der Lebensqualität.<br />

D. die Versorgung im Hospiz.<br />

E. Linderung von körperlichen Symptomen.<br />

2. Was ist unter dem Begriff „Total Pain“<br />

nach Cicely Saunders <strong>zu</strong> verstehen?<br />

Der Schmerz …<br />

A. beherrscht vollkommen die sozialen Beziehungen.<br />

B. dominiert das Befinden des Patienten.<br />

C. besitzt eine physische und psychische Komponente.<br />

D. besitzt eine physische, psychische, soziale<br />

und spirituelle Dimension.<br />

E. Der Patient kann sich nur noch auf den<br />

Schmerz konzentrieren.<br />

3. Fatigue ist …<br />

A. eine länger als 6 Monate anhaltende unerklärliche<br />

Müdigkeit.<br />

B. meist durch eine medikamentöse Therapie<br />

nicht <strong>zu</strong> behandeln.<br />

C. durch Ruhe und Schlaf <strong>zu</strong> bessern.<br />

D. immer eine Folge der Chemotherapie.<br />

E. ein seltenes, aber schwerwiegendes Symptom<br />

bei Tumorleiden.<br />

4. Welche Aussage <strong>zu</strong>r palliativen <strong>Schmerztherapie</strong><br />

trifft <strong>zu</strong>?<br />

A. Die Dosierung richtet sich in der palliativen<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> nach der Schmerzinten­<br />

SCHMERZTHERAPIE<br />

sität und nicht nach dem Körpergewicht.<br />

B. Geschmacksstörungen können die Compliance<br />

bei oralen Analgetika beeinträchtigen.<br />

C. Der Wechsel von oralen auf transdermale<br />

Systeme führt innerhalb von 4 Stunden <strong>zu</strong><br />

stabilen Medikamentenspiegeln.<br />

D. Die subkutane Gabe von Medikamenten ist<br />

in der Palliativmedizin obsolet.<br />

E. Eine subkutane Infusionsnadel muss spätestens<br />

nach 24 Stunden gewechselt<br />

werden.<br />

5. Wenn die orale Morphindosis eines Patienten<br />

120 mg betrug, sollte er subkutan<br />

mindestens wie viel Milligramm erhalten?<br />

A. 10 mg<br />

B. 20 mg<br />

C. 30 mg<br />

D. 40 mg<br />

E. 100 mg<br />

6. Welche Aussage ist falsch? Opioide<br />

sind das Medikament der Wahl bei<br />

Dyspnoe, weil ...<br />

A. sie durch eine Reduktion der Atemfrequenz<br />

die Atemarbeit ökonomisieren.<br />

B. sie durch die Dämpfung des limbischen<br />

Systems eine psychische Distanzierung<br />

be<strong>wir</strong>ken.<br />

C. Hustenreiz reduzieren.<br />

D. sie über eine Widerstandsreduktion des<br />

kleinen Kreislaufs die kardiale Arbeit ent­<br />

lasten.<br />

E. sie eine tiefe Sedierung herbeiführen.<br />

Unter www.cme-punkt.de finden Sie<br />

alle zertifizierten Fortbildungsangebote<br />

des Verlags Urban & Vogel. Bei<br />

Anklicken des Zeitschriftentitels<br />

„<strong>Schmerztherapie</strong>“ finden Sie die<br />

derzeit aktive zertifizierte Fortbildung<br />

und die entsprechenden Fragen.<br />

Unmittelbar nach Ausfüllen des<br />

Fragebogens sehen Sie, ob Sie bestanden<br />

haben.<br />

7. Welche Aussage <strong>zu</strong> Übelkeit und Erbrechen<br />

in der Palliativmedizin trifft <strong>zu</strong>:<br />

A. Psychische Ursachen von Übelkeit und Erbrechen<br />

sind in der Palliativmedizin <strong>zu</strong> vernachlässigen.<br />

B. Jeder Patient mit Erbrechen sollte eine Magensonde<br />

erhalten.<br />

C. Bei Übelkeit und Erbrechen sollten<br />

Medikamente bevor<strong>zu</strong>gt subkutan oder rektal<br />

verabreicht werden.<br />

D. Abendliches Erbrechen ist typisch für Patienten<br />

mit gesteigertem Hirndruck.<br />

E. Dexamethason <strong>wir</strong>d wegen <strong>zu</strong> hoher Risiken<br />

hier prinzipiell nicht eingesetzt.<br />

8. Bei inoperabler intestinaler Obstruktion<br />

ist neben den Analgetika eine Kombination<br />

von Medikamenten sinnvoll, um eine Antiemese,<br />

Spasmolyse und Reduktion intestinaler<br />

Sekrete <strong>zu</strong> be<strong>wir</strong>ken. Welches Medikament<br />

gehört nicht in diese Reihe?<br />

A. Levomepromazin<br />

B. N­Butylscopolamin<br />

C. Methylnaltrexon<br />

D. Octreotid<br />

E. Omeprazol<br />

9. Welche Aussage über die Obstipation bei<br />

Schwerkranken trifft <strong>zu</strong>?<br />

A. Jeder fünfte Schwerkranke leidet an Obstipation.<br />

B. Bei Behandlung mit Opioiden steigt der Anteil<br />

mit Obstipation auf rund 50%.<br />

C. Die Diagnose der Obstipation stützt sich auf<br />

Anamnese, abdominelle und rektale Untersuchung.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


D. Basistherapie der Obstipation ist<br />

Paraffin.<br />

E. Einläufe sind in der Palliativmedizin<br />

obsolet.<br />

10. Welche Aussage über Laxanzien<br />

trifft <strong>zu</strong>:<br />

A. Macrogol <strong>wir</strong>d aus dem Darm resorbiert.<br />

B. Zu den Gleitmitteln gehört auch Rhizinusöl.<br />

C. Glaubersalz (Natriumsulfat) be<strong>wir</strong>kt Blähungen<br />

und Völlegefühl.<br />

D. Die Kombination eines Gleitmittels mit einem<br />

darmstimulierenden Laxans kann sinnvoll<br />

sein.<br />

E. Die Wirkung von Macrogol tritt innerhalb<br />

von 3–4 Stunden ein.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

So kommen Sie <strong>zu</strong> Ihren Punkten:<br />

Die Teilnahme ist nur möglich via Internet unter www.cme-punkt.de.<br />

Dort melden Sie sich als Arzt an und finden unter dem Kopf der Zeitschrift<br />

SCHMERZTHERAPIE die derzeit aktive zertifizierte Fortbildung.<br />

Damit der Fragebogen für die Zertifizierung ausgewertet werden kann, benötigen <strong>wir</strong><br />

von Ihnen die Einheitliche Fortbildungsnummer EFN.<br />

Sie erhalten via Internet unmittelbar Rückmeldung darüber, ob Sie die Fragen richtig<br />

beantwortet haben oder nicht, und können die Bescheinigung sofort ausdrucken. Wir<br />

empfehlen, die Bescheinigungen gesammelt bei Ihrer Landesärztekammer ein<strong>zu</strong>reichen.<br />

Wir führen auf dieser Seite auch ein elektronisches Punktekonto für Sie. Bei erfolgreicher<br />

Teilnahme werden Ihre Daten an den Einheitlichen Informationsverteiler (EIV) der Ärztekammern<br />

weitergegeben.<br />

Nähere Hinweise hier<strong>zu</strong> unter: www.cme-punkt.de/faq.html<br />

Teilnahmeschluss ist der 21.11.<strong>2008</strong><br />

Viel Glück beim Punktesammeln!<br />

Vertebroplastik: Bei Therapieversagern lohnt zweiter Versuch<br />

Eine perkutane Vertebroplastik lindert oft sehr<br />

effektiv die Schmerzen bei osteoporotischen<br />

Wirbelkompressionsfrakturen. Dennoch sind<br />

nach den Erfahrungen von S. C. He et al.<br />

5–22% der Patienten Therapieversager. Bei<br />

den Therapieversagern lohnt sich aber mitunter<br />

auch ein erneuter Versuch auf der gleichen<br />

Wirbelebene, zeigen die Erfahrungen<br />

der chinesischen Experten, die einen Zweiteingriff<br />

bei 15 Patienten durchführten. Insgesamt<br />

wurden in den Jahren 2000 bis 2006<br />

an der chinesischen Klinik 334 Vertebroplastiken<br />

an 242 Patienten durchgeführt. Beim<br />

Zweiteingriff wurden im Durchschnitt 4 ml<br />

Polymethylmethacrylat in den Wirbelkörper<br />

injiziert (1,5–9 ml). Die Schmerzen auf der<br />

auf 1,67 Punkte ab, im Durchschnitt sanken<br />

sie um 6,93 Punkte.<br />

Somit war der Zweiteingriff bei zwölf Patienten<br />

ein voller (73%) und bei vier Patienten<br />

(27%) ein partieller Erfolg. Auch die wiederholte<br />

perkutane Vertebroplastik wurde ohne<br />

ernste Komplikationen vertragen, sodass<br />

die Autoren einen Zweiteingriff bei Therapieversagern<br />

als aussichtsreiche Therapie einschätzen.<br />

Vermutlich war eine un<strong>zu</strong>reichende<br />

Zementfüllung beim Ersteingriff der Grund für<br />

das Therapieversagen.<br />

VAS nahmen postoperativ von Werten von 8,6<br />

He S.C. et al.: Repeat vertebroplasty for unrelieved<br />

pain at previously treated levels with osteoporotic<br />

vertebral compression fractures.<br />

Spine <strong>2008</strong>;15:640–647.<br />

Schwerste Osteoporose.<br />

Infotelegramm<br />

Depressive Symptome ernst nehmen<br />

Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzsyndromen<br />

und begleitenden depressiven Symptomen<br />

sollten möglichst früh antidepressiv behandelt<br />

werden, da das Ansprechen auf eine<br />

Therapie nach einem halben Jahr bereits deutlich<br />

schlechter <strong>wir</strong>d, ergab eine Studie von M.<br />

J. Sullivan et al. an 80 Patienten (Pain<br />

<strong>2008</strong>;135:151–159).<br />

Mit Radiotherapie gegen Gelenkschmerz<br />

Bei einer Patientin mit akuter myeloischer Leukämie<br />

konnte die palliative Radiotherapie, die<br />

vorher therapieresistenten Gelenkschmerzen<br />

bis <strong>zu</strong>m Tod wenige Wochen später deutlich<br />

lindern, berichten A. Chabratborty et al. aus<br />

Toronto (J Pain Symptom Manage <strong>2008</strong>, Epub<br />

ahead of print).<br />

Dr. Thomas Nolte ausgezeichnet<br />

Preisträger des Ideenpark Gesundheits<strong>wir</strong>tschaft<br />

<strong>2008</strong> der Financial Times wurde<br />

Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident<br />

und Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums<br />

Wiesbaden mit dem Projekt „Inte-<br />

grierte Versorgung bei akuten und chronischen<br />

Rückenschmerzen“, das <strong>wir</strong> in <strong>unsere</strong>r<br />

Zeitschrift <strong>Schmerztherapie</strong> 1/2007,<br />

S.7–8 ausführlich vorgestellt haben. Bis Ende<br />

April <strong>2008</strong> wurden inzwischen über 1000<br />

Rückenschmerzpatienten nach diesem wegweisendenRückenschmerz-Behandlungskonzept<br />

behandelt. Über 92% der Behandelten<br />

konnten nach vier oder acht Wochen deutlich<br />

gebessert wieder arbeiten gehen, bei 83%<br />

hielt das positive Behandlungsergebnis auch<br />

über sechs Monate an, sodass keine Krank-<br />

Thomas Nolte, Wiesbaden<br />

Internationale Presse<br />

schreibungen wegen Rückenschmerzen mehr<br />

anfielen.<br />

„Mit dem ,Ideenpark Gesundheits<strong>wir</strong>tschaft’<br />

will die Financial Times Deutschland da<strong>zu</strong> beitragen,<br />

innovative Ideen in die Öffentlichkeit<br />

<strong>zu</strong> tragen und damit die Debatte über ein<br />

hochwertiges, effizientes und transparentes<br />

Gesundheitssystem <strong>zu</strong> beleben.“ Wir gratulieren<br />

dem Preisträger. StK<br />

17<br />

Archiv U & V


Serie Rückenschmerzen<br />

Grundzüge der manuellen Diagnostik<br />

und Therapie von Rückenschmerzen<br />

Chronische Rückenschmerzen sind eines der häufigsten, am wenigsten<br />

verstandenen und am vielfältigsten therapierten Krankheitsbilder moderner<br />

Industriegesellschaften. Eine teure High-Tech-Apparatediagnostik ist nur<br />

in seltenen Fällen angezeigt, diagnostisch weichenstellend sind meist die<br />

Anamnese und eine manualsegmentale Untersuchung. Bei der Therapie<br />

gilt es vorrangig von den vier faulen F hin <strong>zu</strong> den vier F des Turnvaters<br />

Jahn <strong>zu</strong> kommen, betont Dr. med. Wolfgang Bartel, Schmerzpreisträger<br />

2001 und früherer DSG-Leiter Halberstadt, im zweiten Teil der Serie<br />

Rückenschmerzen.<br />

Epidemie der Neuzeit<br />

Aufgrund ihrer Häufigkeit stellen Rückenschmerzen<br />

sowohl eine große sozialmedizinische<br />

als auch individualtherapeutische He-<br />

18<br />

rausforderung dar. 65–80% der Gesamtbevölkerung<br />

und jeder Vierte der 30- bis 40-Jährigen<br />

klagen oder klagten schon einmal über<br />

Rückenschmerzen. Sie sind somit die häu-<br />

Dr. Wolfgang Bartel – hier auf dem deutschen Schmerz- und Palliativtag – demonstriert vor<br />

wissbegierigem Publikum die manuelle Diagnostik bei Rückenbeschwerden.<br />

Haltungsschule<br />

Wolfgang Bartel,<br />

Halberstadt<br />

falsch richtig falsch richtig<br />

Sitzende Tätigkeit:<br />

Bei überwiegend sitzender Tätigkeit sollten Sie Folgendes beachten:<br />

1. Lehne so einstellen, dass der Rücken ca. 15–20 cm über der Sitzfläche<br />

gestützt <strong>wir</strong>d.<br />

2. Nicht längere Zeit ununterbrochen in der gleichen Sitzhaltung verweilen,<br />

zwischendurch aufstehen, Streckübungen durchführen (die Bandscheiben<br />

leben von der Bewegung)<br />

Bildarchiv DGS/Bostelmann<br />

figste Erkrankung der unter 45-jährigen Patienten.<br />

Bei 87% der Rückenschmerzpatienten<br />

summieren sich die Ausfallszeiten im Arbeitsprozess<br />

wegen Rückenproblemen auf über<br />

drei Monate. Zirka 27% aller Krankmeldungen<br />

betreffen das Bewegungssystem. Jeder zweite<br />

vorzeitige Berentungsantrag erfolgt wegen<br />

Wirbelsäulenleiden.<br />

Häufiger an muskuläre Ursachen<br />

denken<br />

Bei Rückenschmerzen bestimmen arthrogene<br />

und muskuläre Komponenten das Beschwerdebild.<br />

Zu den häufigsten Ursachen von Rückenschmerzen<br />

zählen:<br />

• Einseitige körperliche Belastung<br />

• Falsche Bewegungsmuster<br />

• Psychische Belastungen, Zeitdruck, Stress<br />

• Angeborene organische Schäden<br />

• Falsche Ernährung<br />

• Zwangshaltung des Rumpfes<br />

• Körperliche Schwerarbeit<br />

• Übergewicht<br />

• Kompensation ungünstiger Arbeitsplatzgestaltung<br />

durch Fehlhaltungen<br />

• Persönliches Umfeld.<br />

Primäre Ursachen sind vielfältig, sie münden<br />

alle in Muskeldysbalancen. Ca. 60% aller<br />

Rückenschmerzen sind muskulär bedingt, die<br />

Bandscheiben spielen bei 2–4% eine Rolle,<br />

degenerative Veränderungen bei etwa 10%.<br />

Aufgrund dieser Häufigkeit ist <strong>zu</strong> fordern: Bei<br />

Stehende Tätigkeit:<br />

1. Höhe der Arbeitsfläche so wählen, dass man bequem aufrecht stehen<br />

kann.<br />

2. Wenn möglich abwechselnd ein Bein hochstellen (z.B. auf einen Schemel<br />

oder eine Kiste)<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Beschwerden im Bewegungssystem wie z.B.<br />

Rückenschmerzen sollte man häufiger an<br />

eine muskuläre Ursache denken.<br />

Gesellschaftliches Problem ersten<br />

Ranges: Bewegungsmangel<br />

Die Bewegungsarmut ist heute – <strong>zu</strong>mal angesichts<br />

der Umkehr der Alterspyramide – ein<br />

gewichtiges gesundheitliches Problem <strong>unsere</strong>r<br />

Gesellschaft. Mehr Sport ist für die Gesundheit<br />

eine zentrale Forderung. Die vier F des Turnvaters<br />

Jahn „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ sind<br />

schließlich sehr viel besser bekömmlich als die<br />

modernen vier F „Filzpantoffeln, Fernseher,<br />

Flaschenbier, Feierabend“.<br />

Die Ursachen vieler Rückenschmerzen<br />

sind nichts anderes als die Folgen falschen<br />

Alltagsverhaltens:<br />

• Bewegungsmangel<br />

• Zu langes oder schlicht falsches Sitzen,<br />

falsches Liegen, Heben und Tragen, Gehen<br />

oder Stehen<br />

• Ergonomisch schlechte Arbeitsplätze<br />

• Der Kreuzschmerz ist die gesunde Antwort<br />

mündiger Bürger auf die pathologische Leistungsgesellschaft<br />

Diagnostische Prinzipien<br />

Nur die genaue Diagnose ermöglicht eine gezielte<br />

Therapie, deren Ergebnisse dann keine<br />

Zufallserfolge sind. Die Untersuchung der Patienten<br />

ist heute in einem solchen Maße von<br />

Tabelle 1: Die vier „A“ der manualmedizinischen<br />

Untersuchung<br />

■ Anamnese,<br />

■ Ausziehen,<br />

■ Anschauen<br />

■ Anfassen<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Tabelle 2: Diagnostikschema<br />

■ Anamnese<br />

■ Zeigetest (wo tut es weh?)<br />

■ Inspektion<br />

■ Palpation Kinesiologischer Status<br />

■ Funktionsuntersuchung<br />

Neuroorthopädische Untersuchung<br />

■ Umgebungsuntersuchung<br />

■ Zusat<strong>zu</strong>ntersuchung<br />

Heben und Tragen von Lasten: Meist packen <strong>wir</strong> die Dinge falsch an!<br />

1. Beim Anheben von Lasten beugen <strong>wir</strong> uns mit rundem Rücken und<br />

gestreckten Beinen nach unten. In dieser Stellung <strong>wir</strong>d der Druck in den<br />

Bandscheiben der Lenden<strong>wir</strong>belsäule stark erhöht, die Bandscheiben damit<br />

allmählich geschädigt. Machen <strong>wir</strong> es wie die Gewichtheber: in die<br />

Knie gehen, den Gegenstand anheben und mit geradem Rücken hochgehen.<br />

2. Beim Tragen von Lasten das Gewicht verteilen. Lieber zwei kleine Taschen<br />

als eine große und schwere.<br />

Apparaten und Ausrüstungen abhängig, dass<br />

die Anwendung von Berührung, Palpation und<br />

manueller Untersuchung der Gelenke, Muskeln<br />

und Ligamente eine verloren gegangene<br />

Kunst <strong>zu</strong> sein scheint (Tab. 1).<br />

Die größte Herausforderung in der Diagnostik<br />

von Funktionsstörungen ist aber die<br />

sichere Differenzierung in Blockierung oder<br />

muskuläre Fixierung. Funktion kann man nicht<br />

mit einer einzigen Struktur oder Lokalisation<br />

verbinden, sie ist das Ergebnis einer Interaktion<br />

verschiedener, häufig weit auseinander<br />

liegender Strukturen. Um diese komplexen<br />

Veränderungen diagnostisch richtig ein<strong>zu</strong>ordnen,<br />

muss sich der Blick weg von der strukturbezogenen,<br />

pathogenetischen Denkweise<br />

und hin <strong>zu</strong> einer funktionspathologisch-orientierten<br />

Aktualitätsdiagnose verlagern!<br />

Vor Beginn der Therapie muss eindeutig<br />

zwischen geschädigter bzw. zerstörter Struktur<br />

mit typischer Pathomorphologie im Unterschied<br />

<strong>zu</strong> der reinen Funktionseinschränkung<br />

bzw. -störung (pathogenetische Aktualitäts-<br />

diagnose) unterschieden werden.<br />

Eine funktionelle Diagnostik mit guter<br />

Anamnese reicht bei den meisten Rücken-<br />

Periphere Gelenke Segmentale<br />

(Kapselmuster) Untersuchung<br />

Serie Rückenschmerzen<br />

schmerzpatienten aus, um eine probatorische<br />

Therapie ein<strong>zu</strong>leiten (Tab. 2 und 3).<br />

• Anamnese<br />

• Untersuchung von Funktionen und deren<br />

Störungen<br />

Tabelle 3: Mindestprogramm der<br />

Untersuchung<br />

falsch richtig falsch richtig<br />

■ Die Hals<strong>wir</strong>belsäule und Kopfgelenke<br />

sollten im Sitzen orientierend untersucht<br />

werden<br />

■ die Atemwelle in Bauchlage <strong>zu</strong>r Prüfung<br />

der BWS<br />

■ Die LWS mit Vor-Rück-Seitbewegung<br />

■ Beckenpunktpalpation (ein Muss bei<br />

Kindern mit Kopfschmerz)<br />

■ Test für den M. piriformis ist die Außenrotation<br />

des Oberschenkels<br />

■ Patrick-Test für Hüfte und Ileo-<br />

sacralgelenk<br />

■ Gebeugte Adduktion<br />

■ Fussrotation nach Gaymanns<br />

■ Muskulatur<br />

Liegen – das Bett: Vermeiden Sie eine durchgelegene Matratze.<br />

1. Zu empfehlen sind eine feste Unterlage (harter Bettrost) und darauf<br />

eine weiche Matratze, sodass der Körper überall gleichmäßig aufliegt.<br />

2. Keine <strong>zu</strong> großen oder dicken Kissen verwenden, die den Oberkörper<br />

in halbe Sitzlage bringen. Günstig ist ein kleines und flaches Kissen <strong>zu</strong>r<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ng von Kopf und Nacken.<br />

19


20<br />

Serie Rückenschmerzen<br />

Tabelle 4: Techniken der Manualtherapie<br />

■ Weichteiltechniken<br />

■ Traktion<br />

■ Mobilisation<br />

■ Manipulation<br />

■ Selbstmobilisation<br />

■ Prophylaxe (Tabelle 6)<br />

Tabelle 5: Schwierigkeiten bei der<br />

Behandlung von Patienten mit<br />

Kreuzschmerzen<br />

1. Problem der Diagnose<br />

2. Problem der Therapie<br />

■ Monokausaler Behandlungsansatz<br />

■ Zu viele Injektionen (häufige Ursache<br />

von Kunstfehlerprozessen)<br />

■ Passive balneophysikalische Maßnahmen<br />

■ Aktivierende Therapie<br />

3. Problem der Prävention und Rehabilitation<br />

4. Probleme beim Umgang mit<br />

Kreuzschmerzpatienten<br />

Zu fördern Zu vermeiden<br />

• Ganzheitliches Herangehen im Rahmen<br />

der medizinisch-diagnostischen Methoden.<br />

• Untersuchungsgang <strong>wir</strong>d von der orientierenden<br />

<strong>zu</strong>r lokal gezielten, speziell manualmedizinischen<br />

Untersuchung geführt.<br />

• Funktionsstörungen werden struktur- und<br />

beschwerdebezogen ermittelt.<br />

Therapie<br />

Gute Therapie ist nicht nur der Wunsch der<br />

Patienten, sondern auch eine wahre Herausforderung<br />

für den Arzt! Erkrankungen des<br />

Bewegungssystems sind multifaktoriell bedingt<br />

– besonders Rückenschmerzen – und<br />

bergen eine hohe Chronifizierungsgefahr. Die<br />

beste Antichronifizierungstherapie ist eine<br />

effiziente Primärtherapie: Wie behandle ich<br />

am richtigen Ort <strong>zu</strong>r richtigen Zeit mit welcher<br />

Methode? Der Behandlungserfolg ist die Messlatte<br />

für eine <strong>zu</strong>grunde gelegte Konzeption.<br />

Es gibt keine vorgefertigten Therapieprogramme<br />

– Aktualitätsdiagnose!<br />

Ein rein syndrom- oder gar symptomorientiertes<br />

Therapievorgehen führt zwangsläufig<br />

in eine Sackgasse, sowohl für den Patienten<br />

als auch für den Therapeuten.<br />

Nicht die schmerzhafte Struktur, sondern<br />

die auslösende Fehlfunktion ist <strong>zu</strong> behandeln.<br />

Das spiegelt sich auch in den Therapieansätzen<br />

(Tab. 3 und 4). Die Behandlung orientiert<br />

sich nicht allein am ursprünglich auslösenden<br />

Tabelle 6: Wichtige Allgemeinmaßnahmen <strong>zu</strong>r Sekundärprophylaxe<br />

von Rückenschmerzen<br />

Regelmäßige körperliche Bewegung Zu langes Stehen und Sitzen<br />

Fahrradfahren, Rückenschwimmen, Tennis, Squash, Reiten, Kegeln, Skiabfahrts-<br />

Skilanglauf, Wandern, Walking lauf<br />

Rückenschule: Halte den Rücken gerade, Wirbelsäulenbelastung durch extreme<br />

gehe beim Bücken in die Hocke, hebe keine Drehbewegungen<br />

schweren Gegenstände, verteile Lasten und<br />

halte sie dicht am Körper<br />

Ergonomische Anpassung am Arbeitsplatz Übergewicht<br />

(richtige Tischhöhe, keilförmiges Sitzkissen)<br />

Erlernen von Entspannungstechniken Nikotinabusus (Bandscheibenprolaps bei<br />

(progressive Muskelrelaxation nach Jakobson, Rauchern dreimal häufiger!)<br />

autogenes Training)<br />

Insbesondere bei chronifizierten Schmerzen: Geringe körperliche Kondition<br />

Erlernen von Schmerzbewältigung (z.B. Verhaltenstherapie,<br />

Ablenkungsstrategien,<br />

Analyse persönlicher Problembereiche mit<br />

sekundärem Krankheitsgewinn)<br />

Monotone, unangenehme Arbeit<br />

Vibrationsexposition (z. B. Baumaschinen)<br />

Schaden, sondern an den Funktions- und Verhaltensdefiziten<br />

des Betroffenen: Schonverhalten<br />

nach dem Angst-Vermeidungsmodell<br />

ist grundverkehrt: „Wir schonen uns krank.“<br />

Patienten mit Rückenschmerzen stellen für<br />

den behandelnden Arzt oft eine besondere<br />

Herausforderung dar (Tab. 5).<br />

Therapieschritte<br />

1. Normalisierung der peripheren Strukturen<br />

(sonst kann eine Bewegung nicht ökonomisch<br />

programmiert werden), z.B. Triggerpunktquelle<br />

einer gestörten Information<br />

2. Verbesserung der muskulären Dysbalance<br />

3. Automatisierung der Bewegungen über<br />

das zentrale Nervensystem<br />

4. Die therapeutischen Techniken richten<br />

sich streng nach den erhobenen Befunden,<br />

der Aktualitätsdiagnose.<br />

5. Die manualtherapeutische Therapie ist multimodal<br />

und integriert verschiedene Techniken<br />

und sollte nicht in einem Austausch<br />

von Behandlungstechiken bestehen.<br />

Als Basis der Therapie und <strong>zu</strong>r Sekundärprävention<br />

kommt den Allgemeinmaßnahmen eine<br />

große Bedeutung <strong>zu</strong>. Zu ihnen gehören eine<br />

Haltungsschule (vgl. Bildleiste) und die Beachtung<br />

wichtiger Grundregeln im Alltag, die dem<br />

Patienten vom Arzt nahegelegt werden sollten<br />

(Tab. 6).<br />

Fazit<br />

Gäbe es eine Pille, welche folgende Eigenschaften<br />

vereinigen würde – Vorbeugung vielfältiger<br />

Beschwerden und Schmerzen des<br />

Bewegungsapparats sowie <strong>zu</strong>sätzlich Senkung<br />

des Sauerstoffbedarfs des Herzmuskels,<br />

Vergrößerung des Sauerstoffangebots des<br />

Herzmuskels, Hemmung der Verkalkung der<br />

Gefäßwände, Verbesserung der Fließeigenschaften<br />

des Blutes, verbunden mit einem<br />

Effekt, der die Verklumpung des Blutes vermeidet,<br />

Abnahme des Körpergewichtes, Vermeidung<br />

von Schmerzen und Fehlfunktionen<br />

des Bewegungsapparates, Begünstigung einer<br />

optimalen Entwicklung von Körper und<br />

Geist, Vermeidung von körperlichen und altersbedingten<br />

Leistungseinbußen – mit welch<br />

großartiger Dramaturgie würde wohl ein solches<br />

Medikament weltweit gefeiert werden!<br />

Dabei ist dieses Medikament vorhanden.<br />

Es heißt: geeignetes, individuell angepasstes<br />

körperliches Training vom Kindes- bis <strong>zu</strong>m<br />

Greisenalter. Seiner Anwendung steht leider<br />

das physikalische Gesetz der Trägheit entgegen,<br />

und damit müssen <strong>wir</strong> nun einmal leben.<br />

❏<br />

Wolfgang Bartel, Halberstadt<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Biofeedback als IGeL-Leistung<br />

Von den nicht medikamentösen Verfahren <strong>zu</strong>r <strong>Schmerztherapie</strong> gibt es<br />

wenige, die für Laien so gut nachvollziehbar sind wie das Biofeedback.<br />

Wie sich dieses Verfahren sinnvoll als IGeL-Leistung in eine Schmerzpraxis<br />

integrieren lässt, schildert Herr Dipl.-Psych. Gideon Franck, Institut für<br />

Gesundheit, Fulda.<br />

D ie<br />

Darstellung von Körperfunktionen an<br />

einem Computerbildschirm ist heute<br />

jedem Patienten bekannt. Ein EKG z. B. kennen<br />

die meisten. Allerdings werden beim Biofeedback<br />

andere Parameter gemessen (z.B.<br />

Muskelspannung, Hauttemperatur, Durchblutung).<br />

Entgegen den oft ungläubigen Gesichtern<br />

der Patienten kann über die Darstellung<br />

und bei guter therapeutischer Begleitung<br />

relativ schnell gelernt werden, wie diese Parameter<br />

willentlich <strong>zu</strong> beeinflussen sind. Innerhalb<br />

der <strong>Schmerztherapie</strong> gilt Biofeedback<br />

inzwischen als etabliertes Verfahren.<br />

Erfreulicherweise nahm die Deutsche Migräne-<br />

und Kopfschmerzgesellschaft Biofeedback<br />

in ihre Empfehlungen <strong>zu</strong>r Migränetherapie (Prophylaxe)<br />

auf. Mit etwas Mühe findet man kleine<br />

Artikel hier<strong>zu</strong> auf den Internetseiten einiger<br />

Krankenkassen – interessant vor allem, da das<br />

Verfahren dort angepriesen <strong>wir</strong>d, die Kosten<br />

aber nicht übernommen werden. Biofeedback<br />

ist eine IGeL-Leistung. Da es sich aber um ein<br />

originär verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

handelt und auf dem operanten Konditionieren<br />

fußt, <strong>wir</strong>d es innerhalb einer Verhaltenstherapie<br />

bezahlt und nicht beanstandet.<br />

Biofeedback als IGeL-Leistung<br />

IGeLn hat für viele einen negativen Beigeschmack.<br />

Das ist beim Biofeedback jedoch<br />

absolut unbegründet. Es handelt sich um ein<br />

Biofeedback – überraschend gut erlernbar.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Bildarchiv Rüdiger Schellenberg<br />

wissenschaftlich evaluiertes Verfahren, dass in<br />

so manchem, vor allem multimodalen Behandlungsplan<br />

Erfolg versprechend sein kann. Insofern<br />

ist es eher negativ <strong>zu</strong> bewerten, diese<br />

Möglichkeit den Patienten nicht an<strong>zu</strong>bieten, als<br />

dafür Geld <strong>zu</strong> nehmen.<br />

Da hier nichts geregelt ist, was die Kosten<br />

oder auch die Dauer einer Sit<strong>zu</strong>ng angeht,<br />

bleibt es im Grunde jedem selbst überlassen,<br />

dies <strong>zu</strong> gestalten. Sicherlich gibt es Empfehlungen<br />

von den Fachgesellschaften, aber verbindlich<br />

sind sie leider nicht. Die Dauer einer<br />

üblichen Biofeedbacksit<strong>zu</strong>ng beläuft sich mit<br />

Begrüßung, Besprechung der Übungen <strong>zu</strong><br />

Hause seit dem letzten Termin, der eigentlichen<br />

Biofeedbacksit<strong>zu</strong>ng und der Nachbesprechung<br />

auf 30 bis 50 Minuten, je nachdem wie gründlich<br />

die einzelnen Teile bearbeitet werden.<br />

Mit Ausbildungsgrad und Länge der Sit<strong>zu</strong>ng<br />

schwanken dann auch die Kosten für den Patienten.<br />

Üblicherweise liegen sie im Bereich<br />

von 30,00 € bis 100,55 € pro Sit<strong>zu</strong>ng, wobei<br />

Letzteres dem 2,3-fachen Satz für Verhaltenstherapie<br />

nach der GOÄ entspricht und auch<br />

nur bei entsprechender Leistung und Ausbildungsstand<br />

des Therapeuten abgerechnet<br />

werden sollte. Erfahrungsgemäß findet man<br />

eine gute Annahme durch die Patienten im<br />

Bereich um 50,00 € pro Sit<strong>zu</strong>ng, ohne dass<br />

man als Anbieter starke zeitliche Beschränkungen<br />

der Therapie vornehmen müsste.<br />

Wichtig ist es, den Einstieg für die Patienten<br />

<strong>zu</strong> erleichtern. Schulen Sie Ihr Praxispersonal<br />

darin, was Biofeedback ist und wie es angeboten<br />

<strong>wir</strong>d. Das Personal kennt die Patienten<br />

und ist oftmals länger mit ihnen <strong>zu</strong>sammen<br />

als die behandelnden Ärzte. Evtl. können die<br />

Angestellten so auch in Absprache mit Ihnen<br />

das Angebot unterbreiten.<br />

Probesit<strong>zu</strong>ng als Bestandteil<br />

des Therapieplans<br />

Als sehr hilfreich hat sich eine unentgeltliche<br />

Informationssit<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> Anfang erwiesen. Diese<br />

sollte als klarer Bestandteil eines vernünftigen<br />

Therapieplans ausgewiesen werden und<br />

nicht als ein „nettes Extra am Rande“. So<br />

kann der Patient direkt erfahren, um was es<br />

sich hierbei handelt und den möglichen Nutzen<br />

für sich abschätzen.<br />

Gideon Franck,<br />

Fulda<br />

Praxismanagement<br />

Therapieplan, Besprechung<br />

mit dem Patienten<br />

Nach dieser Probesit<strong>zu</strong>ng sollte das weitere<br />

Prozedere besprochen werden. Es gibt grundsätzlich<br />

zwei Wege, wie man weiter verfahren<br />

kann. Zum einen kann von Stunde <strong>zu</strong> Stunde<br />

abgerechnet werden. Oft zerfasert hier die<br />

Therapie allerdings, da die Patienten nicht immer<br />

regelmäßige Termine ausmachen. Da Biofeedback<br />

<strong>zu</strong> einem großen Teil aus Training<br />

besteht, ist das für die Therapie ungünstig.<br />

Zum anderen können Sit<strong>zu</strong>ngen als Block<br />

angeboten werden (z.B. 5 Sit<strong>zu</strong>ngen für 250 €).<br />

Hier ist zwar die Schwelle für die Patienten<br />

höher, doch stellt diese Regelung sicher,<br />

dass die Therapie regelmäßig durchgeführt<br />

<strong>wir</strong>d und somit auch eher <strong>zu</strong>m Erfolg führt.<br />

Eine richtige Biofeedbacktherapie macht selten<br />

Sinn unter 10 Sit<strong>zu</strong>ngen. Die Sit<strong>zu</strong>ngen<br />

sollten wöchentlich erfolgen und der Patient<br />

Übungen für <strong>zu</strong> Hause mitbekommen, auch<br />

wenn er da kein Biofeedbackgerät hat. In den<br />

meisten Forschungsberichten sind um die 20<br />

Sit<strong>zu</strong>ngen erwähnt, doch sollte die Hürde für<br />

die Patienten nicht <strong>zu</strong> hoch gesetzt werden.<br />

Zusammenfassend gibt es einige Punkte,<br />

die beim Angebot von Biofeedback wichtig<br />

sind:<br />

1. Welche Qualität kann ich anbieten? (Ausbildung<br />

der Therapeuten, Sit<strong>zu</strong>ngsumfang,<br />

Preisgestaltung)<br />

2. Überlegen: Welche Patienten kommen für<br />

das Angebot infrage? (Es sind mehr, als<br />

man <strong>zu</strong>erst denken mag!)<br />

3. Wie kann ich den Patienten den Einstieg<br />

erleichtern? (Einbindung von Biofeedback<br />

in den Therapieplan, Probesit<strong>zu</strong>ng o.Ä.)<br />

4. In welcher Form biete ich die Sit<strong>zu</strong>ngen an:<br />

als Block mit Vorkasse oder einzeln?<br />

Es ist sinnvoll, ein für Ihre Praxis passendes<br />

Konzept <strong>zu</strong> entwickeln und dieses<br />

stringent an<strong>zu</strong>bieten. Alles andere schafft<br />

Ver<strong>wir</strong>rung bei der Planung, Abrechnung<br />

und im Angebot durch das Praxispersonal.<br />

Biofeedback ist eine sinnvolle Ergän<strong>zu</strong>ng für<br />

die meisten Schmerzpraxen, erfordert jedoch<br />

ein wenig an Überlegung, um es sinnvoll und<br />

<strong>wir</strong>tschaftlich nutzen <strong>zu</strong> können. ❏<br />

Gideon Franck, Fulda<br />

21


Medizin und Recht<br />

Fragen aus der schmerztherapeutischen<br />

Vertragsarztpraxis<br />

Was tun bei Regressen? Wer darf an der Abrechnung der speziellen<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> teilnehmen? Kann ich einen hälftigen Vertragsarztsitz<br />

veräußern? Antworten auf diese juristischen Probleme, die von DGS-<br />

Mitgliedern beim Deutschen Schmerztag <strong>2008</strong> gestellt wurden, gibt<br />

Dr. Ralf Clement, Rechtsanwälte Ratajczak & Partner, Sindelfingen.<br />

M it<br />

Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes<br />

(GKV-WSG) <strong>zu</strong>m<br />

1.4.2007 hat der Gesetzgeber für Richtgrößenprüfungen<br />

nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V<br />

eine zweijährige Verjährungsfrist eingeführt.<br />

Vor dem Hintergrund der daraufhin drohenden<br />

Verjährung wurden von den Prüfgremien<br />

Ende 2007 <strong>zu</strong>meist kurzfristig und ohne eingehende<br />

Prüfung der speziellen Verordnungssituation<br />

der jeweiligen Praxen Prüfbescheide<br />

erlassen und <strong>zu</strong>m Teil erhebliche Regressforderungen<br />

festgesetzt.<br />

Für Schmerztherapeuten besteht das Problem<br />

meist darin, dass sie unmittelbar mit der<br />

Verordnungsweise der übrigen Kollegen ihrer<br />

Fachgruppe verglichen werden, ohne dass<br />

den sich aus der schmerztherapeutischen<br />

Behandlung ergebenden Praxisbesonderheiten<br />

ausreichend Rechnung getragen <strong>wir</strong>d.<br />

Die durchschnittlichen Verordnungskosten<br />

eines <strong>Schmerzpatienten</strong> sind in der<br />

Regel um ein Vielfaches höher als<br />

z. B. die eines durchschnittlichen<br />

hausärztlichen oder orthopädischen<br />

Patienten; ein besonders deutliches<br />

Missverhältnis besteht auch<br />

zwischen den durchschnittlichen<br />

Verordnungskosten vorwiegend<br />

operativ tätiger Anästhesisten auf<br />

der einen und vorwiegend oder ausschließlich<br />

schmerztherapeutisch<br />

tätiger Anästhesisten auf der anderen<br />

Seite, weshalb es gerade in<br />

der Fachgruppe der Anästhesisten<br />

<strong>zu</strong> besonders hohen Regressforderungen<br />

kommt.<br />

Richtgrößenprüfungen<br />

Die Regressforderungen sind <strong>zu</strong>meist<br />

nicht gerechtfertigt und sollten<br />

daher nicht widerspruchslos hingenommen<br />

werden. Soweit die Richtgrößen<br />

erst nach dem 1.1. des betreffenden<br />

Jahres vereinbart und<br />

veröffentlicht wurden und für die<br />

Zeit davor auch nicht auf vorjährige<br />

Richtgrößen <strong>zu</strong>rückgegriffen wer-<br />

22<br />

den kann (z. B. weil solche nicht – oder jedenfalls<br />

nicht <strong>wir</strong>ksam – vereinbart wurden), sprechen<br />

gewichtige Argumente dafür, dass eine<br />

Richtgrößenprüfung nach der bis Ende 2007<br />

geltenden Rechtslage ausscheidet. Die weitere<br />

rechtliche Argumentation sollte <strong>zu</strong>nächst<br />

bei der Richtgrößenfestset<strong>zu</strong>ng unter dem<br />

Aspekt der Vergleichsgruppenbildung ansetzen,<br />

da es sich bei der Richtgrößenprüfung<br />

letztlich um eine „verschärfte“ Durchschnittsprüfung<br />

handelt.<br />

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass<br />

in Fällen, in denen das Tätigkeitsspektrum des<br />

betroffenen Arztes sich so sehr von denen der<br />

übrigen Ärzte der Arztgruppe unterscheidet,<br />

dass ein Vergleich nicht mehr tragfähig ist,<br />

die Bildung einer engeren, verfeinerten Vergleichsgruppe<br />

in Betracht <strong>zu</strong> ziehen ist; allerdings<br />

haben die Prüfgremien insoweit einen<br />

Beurteilungsspielraum. Hier ist es vorteilhaft,<br />

Ralf Clement,<br />

Sindelfingen<br />

wenn sich mehrere Betroffene <strong>zu</strong>sammenfinden<br />

und austauschen, da dies die Möglichkeit<br />

eröffnet, unter Be<strong>zu</strong>gnahme auf die individuell<br />

<strong>zu</strong> ermittelnden durchschnittlichen Verordnungskosten<br />

der einzelnen Praxen statistisch<br />

<strong>zu</strong> argumentieren.<br />

Praxisbesonderheit betonen<br />

Jedenfalls aber handelt es sich bei der<br />

schmerztherapeutischen Tätigkeit um eine<br />

Praxisbesonderheit, die bei der Prüfung <strong>zu</strong><br />

berücksichtigen ist. Die sich aus der schmerztherapeutischen<br />

Behandlung der Patienten<br />

ergebenden Mehrkosten im Vergleich <strong>zu</strong>m<br />

„Durchschnittspatienten“ der Fachgruppe, die<br />

von den Prüfgremien als Praxisbesonderheiten<br />

an<strong>zu</strong>erkennen sind, sollten anhand der<br />

individuellen Verordnungsstatistik ermittelt,<br />

möglichst konkret beziffert und medizinisch<br />

begründet werden. Hier ist eine intensive Zusammenarbeit<br />

zwischen Arzt und rechtlichem<br />

Berater erforderlich.<br />

Nicht <strong>zu</strong>letzt sollte die Möglichkeit nicht<br />

außer Acht gelassen werden, dass die von<br />

den Prüfgremien dem jeweiligen Arzt <strong>zu</strong>geordneten<br />

Verordnungen erhebliche Fehler<br />

aufweisen können. Bei ersten stichprobenartigen<br />

Überprüfungen im Rahmen der<br />

Richtgrößenprüfungen für 2005 in Baden-<br />

Württemberg mussten <strong>wir</strong> feststellen, dass<br />

die Abweichungen zwischen den von den<br />

Prüfgremien <strong>zu</strong>grunde gelegten und den<br />

mittels der praxiseigenen EDV ermittelten<br />

Verordnungskosten im Mittel deutlich über<br />

5% lagen. Nach der Rechtsprechung des<br />

BSG müssen in diesem Fall die Verordnungen<br />

anhand der Verordnungsblätter<br />

oder Printimages individuell, d. h. „manuell“<br />

von den Prüfgremien ausgewertet<br />

werden; sie sind also bei<strong>zu</strong>ziehen.<br />

Allerdings muss der Einwand fehlerhafter<br />

Zuordnung unbedingt noch im<br />

Verwaltungs-, d. h. spätestens im Widerspruchsverfahren<br />

erhoben werden, da er<br />

sonst nach der Rechtsprechung des BSG<br />

verspätet ist und von den Sozialgerichten<br />

nicht mehr berücksichtigt werden muss.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Angesichts der zahlreichen rechtlichen<br />

Fragen, Fallstricke und rechtlich nur <strong>zu</strong>m Teil<br />

geklärten Probleme, die im Rahmen einer<br />

Richtgrößenprüfung aufgeworfen werden,<br />

sollte spätestens im Widerspruchsverfahren<br />

dringend anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen<br />

werden.<br />

Wer kann an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

teilnehmen?<br />

Mit Inkrafttreten des EBM <strong>2008</strong> hat die spezielle<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> in Kap. 30.7 des EBM<br />

eine eigenständige und umfassende Normierung<br />

erfahren. Vorausset<strong>zu</strong>ng für die Abrechnung<br />

der Gebührenordnungspositionen der<br />

Nrn. 30700 ff. ist eine Genehmigung der <strong>zu</strong>ständigen<br />

Kassenärztlichen Vereinigung gem.<br />

Qualitätssicherungsvereinbarung <strong>zu</strong>r<br />

schmerztherapeutischen Versorgung chronisch<br />

schmerzkranker Patienten gem. § 135<br />

Abs. 2 SGB V (Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong>).<br />

Mit Einführung des EBM <strong>2008</strong> fielen einige,<br />

bislang im Rahmen einer schmerztherapeutischen<br />

Behandlung auch ohne die Teilnahme<br />

an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> gesondert berechenbare<br />

Leistungen weg, sodass für einige Kollegen,<br />

die bereits bislang schmerztherapeutisch tätig<br />

waren, aber keine Genehmigung <strong>zu</strong>r Teilnahme<br />

an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> beantragt hatten, nun aus<br />

<strong>wir</strong>tschaftlichen Gesichtspunkten<br />

die Notwendigkeit entsteht,<br />

eine solche <strong>zu</strong> beantragen.<br />

Eine besondere Hürde stellt<br />

hierbei offensichtlich § 4 Abs. 3<br />

Nr. 1 der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

dar, nach der der Arzt eine ganztägige<br />

zwölfmonatige Tätigkeit in<br />

einer gemäß den Anforderungen<br />

in Anlage 1 der Vereinbarung<br />

entsprechend qualifizierten<br />

Schmerzpraxis, Schmerzambulanz<br />

oder einem Schmerzkrankenhaus<br />

nachweisen muss.<br />

Als schmerztherapeutische<br />

Einrichtung im Sinne des § 4<br />

Abs. 3 Nr. 1 gelten danach nur<br />

Einrichtungen, die ausschließlich<br />

bzw. weit überwiegend<br />

regelmäßig mindestens 150<br />

<strong>Schmerzpatienten</strong> im Quartal<br />

behandeln. Die Regelung stellt<br />

im Vergleich <strong>zu</strong>r „Vereinbarung<br />

über die ambulante Behandlung<br />

chronisch schmerzkranker<br />

Patienten“ (<strong>Schmerztherapie</strong>-<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

Vereinbarung; Anlage 12 des Arzt-Ersatzkassenvertrages<br />

vom 1.7.1997) bzw. anderer bis<br />

<strong>zu</strong>m Inkrafttreten der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> geltenden<br />

<strong>Schmerztherapie</strong>vereinbarungen aufgrund<br />

der vorgeschriebenen Patientenzahl eine<br />

deutliche Verschärfung dar.<br />

Die seit 2005 gültige Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> sieht lediglich<br />

Übergangsregelungen für Ärzte vor, die bereits<br />

vor ihrem Inkrafttreten an der <strong>Schmerztherapie</strong>-Vereinbarung<br />

1997 oder an anderen<br />

gleichwertigen <strong>Schmerztherapie</strong>vereinbarungen<br />

im Rahmen der vertragsärztlichen<br />

Versorgung teilgenommen haben. Unter Bestandsschutzgesichtspunkten<br />

und vor dem<br />

Hintergrund der jüngsten Veränderungen<br />

durch den EBM <strong>2008</strong> sollte daher im Einzelfall<br />

geprüft werden, ob und in wieweit im Rahmen<br />

eines Antrags auf Genehmigung <strong>zu</strong>r Teilnahme<br />

an der Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

<strong>Schmerztherapie</strong> auch ältere Aus-, Fortbildungs-<br />

und Tätigkeitszeiten Berücksichtigung<br />

finden können. Rechtliche Argumente gibt es<br />

dafür allemal.<br />

Kann ich einen hälftigen Vertragsarztsitz<br />

verkaufen?<br />

Mit Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes<br />

(VÄndG) <strong>zu</strong>m 1.1.2007 hat der<br />

Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen,<br />

durch schriftliche Erklärung gegenüber dem<br />

Zulassungsausschuss den Versorgungsauf-<br />

Medizin und Recht<br />

trag auf die Hälfte <strong>zu</strong> beschränken. Dies hat<br />

die Frage aufgeworfen, ob bei einer hälftigen<br />

Reduzierung des Versorgungsauftrages die<br />

andere Hälfte einer Ausschreibung und Nachbeset<strong>zu</strong>ng<br />

gem. § 103 Abs. 4 SGB V und damit<br />

einer <strong>wir</strong>tschaftlichen Verwertung <strong>zu</strong>gänglich<br />

ist. Damit ließe sich z. B. eine gestaffelte<br />

Praxisübergabe gestalten, ohne den Beschränkungen<br />

des Job-Sharing unterworfen<br />

<strong>zu</strong> sein.<br />

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />

und die Zulassungsausschüsse haben bislang<br />

jedoch einhellig die Auffassung vertreten,<br />

dass dies un<strong>zu</strong>lässig ist. Das SG<br />

München ist dem nun in einem Beschluss<br />

vom 15.1.<strong>2008</strong> (S 38 KA 17/08 ER), der im<br />

Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens<br />

ergangen ist, entgegengetreten.<br />

Es verweist insoweit auf den Sinn und Zweck<br />

des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V, der die Ausschreibung<br />

und Nachbeset<strong>zu</strong>ng eines vakant<br />

werdenden Vertragsarztsitzes ermöglicht, um<br />

die <strong>wir</strong>tschaftliche Verwertung einer Praxis in<br />

für Neu<strong>zu</strong>lassungen gesperrten Planungsbereichen<br />

sicher<strong>zu</strong>stellen.<br />

Das SG München führt aus, dass zwar<br />

der Wortlaut des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V<br />

gegen die Ausschreibungsfähigkeit einer Teil<strong>zu</strong>lassung<br />

spreche, § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB<br />

V jedoch im Lichte der Eigentumsgarantie und<br />

aufgrund des Rechts am eingerichteten und<br />

ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 GG<br />

verfassungskonform aus<strong>zu</strong>legen und auch<br />

auf den Fall einer Beschränkung<br />

auf den hälftigen Versorgungsauftrag<br />

<strong>zu</strong> erstrecken sei. Wie bei<br />

den in § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB<br />

V ausdrücklich aufgeführten Tatbeständen<br />

bestehe auch im Falle<br />

der Beschränkung auf den halben<br />

Versorgungsauftrag nach § 19a<br />

Abs. 2 Ärzte-ZV ein Recht des<br />

Arztes, einen Teil seines Vertragsarztsitzes<br />

<strong>wir</strong>tschaftlich <strong>zu</strong> verwerten.<br />

Im Grunde genommen sei die<br />

Beschränkung auf den hälftigen<br />

Versorgungsauftrag nichts anderes<br />

als ein Verzicht auf die halbe Zulassung<br />

<strong>zu</strong>r vertragsärztlichen Tätigkeit.<br />

Ob sich die Auffassung des<br />

SG München, die insbesondere in<br />

der vertragsarztrechtlichen Literatur<br />

eine Stütze findet, durchsetzt,<br />

bleibt allerdings ab<strong>zu</strong>warten. ❏<br />

Ralf Clement, Sindelfingen<br />

23


Juni <strong>2008</strong><br />

TCM in der Palliativmedizin<br />

04.06.<strong>2008</strong> in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />

Leer<br />

Basiskurs Palliativmedizin Teil 3<br />

06.06.–07.06.<strong>2008</strong> in Bad Bergzabern; Regionales<br />

Schmerzzentrum DGS-Bad Bergzabern<br />

Der Schmerz- und Palliativkongress NRW<br />

06./07.06 <strong>2008</strong> in Köln; Geschäftsstelle der DGS<br />

TCM und <strong>Schmerztherapie</strong><br />

07.06.<strong>2008</strong> in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />

Leer<br />

Quintessenz der mentalen Schmerzkontrolle<br />

07.06.<strong>2008</strong> in Steinheim; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Schieder Bad Pyrmont<br />

Curriculum Palliativmedizin – Modul 3<br />

11.06.–15.06.<strong>2008</strong> in Wiesbaden; Regionales<br />

Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden<br />

Schulterschmerz – Diagnostik, konservative und<br />

operative Therapie<br />

11.06.<strong>2008</strong> in Chemnitz; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Chemnitz<br />

Multiprofessioneller Gesprächskreis „Qualitätszirkel<br />

Palliativmedizin Siegen“<br />

11.06.<strong>2008</strong> in Siegen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Siegen<br />

Curriculum Chirotherapie / Manuelle Medizin DGS/<br />

DAfNA – Kurs 4 (60 Stunden)<br />

13.–15.06.<strong>2008</strong> und 20.–22.06.<strong>2008</strong> in Speyer; Regionales<br />

Schmerzzentrum DGS-Ludwigshafen<br />

Curriculum Neuraltherapie – diagnostisch/therapeutische<br />

Lokalanästhesie, Regionalblockaden/<br />

Regionalanästhesie und TENS – Kurs A – Grundkurs<br />

14.06.–15.06.<strong>2008</strong> in Mainz; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Ludwigshafen<br />

9. Wiesbadener Schmerztag – Patientenforum<br />

14.06.<strong>2008</strong> in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Wiesbaden<br />

Curriculum Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>, Teil 1<br />

15.–16.06.<strong>2008</strong> und 21.–22.06.<strong>2008</strong> in Kassel;<br />

Geschäftsstelle DGS<br />

Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen (ISS)<br />

17.06.<strong>2008</strong> in Siegen;Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Siegen<br />

Arthritis – Arthrose<br />

18.06.<strong>2008</strong> in Gießen-Kleinlinden; Regionales<br />

Schmerzzentrum DGS-Gießen<br />

24<br />

DGS-Veranstaltungen<br />

Weitere Informationen <strong>zu</strong> den Seminaren erhalten Sie über die<br />

Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/286060,<br />

Fax: 06171/286069, E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />

Die aktuellsten Informationen <strong>zu</strong> den Veranstaltungen und den<br />

Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de<br />

mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />

Praxissemniar – Arzt und Recht – Aktuelles <strong>zu</strong> Vertragsgestaltung,<br />

Mietrecht, Kooperationsverträgen<br />

18.06.<strong>2008</strong> in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Leipzig<br />

Neues vom Kopfschmerz – Untersuchung, IHS-Kriterien,<br />

Therapieoptionen<br />

18.06.<strong>2008</strong> in Stade; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Stade<br />

Psychosomatik I<br />

19.06.<strong>2008</strong> in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Bad Säckingen<br />

Patientenvorstellung <strong>zu</strong>m Thema WS-Erkrankungen<br />

25.06.<strong>2008</strong> in Halle; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Halle Saale<br />

Balintgruppe für Schmerztherapeuten und Palliativmediziner<br />

25.06.<strong>2008</strong> in Wangen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Wangen<br />

TENS in der <strong>Schmerztherapie</strong> – Theorie & praktischer<br />

Kurs mit Übungen<br />

28.06.<strong>2008</strong> in Tegernsee; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-München<br />

Juli <strong>2008</strong><br />

Neues in der psychologischen <strong>Schmerztherapie</strong><br />

16.07.<strong>2008</strong> in Künzelsau; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Künzelsau/Hohenlohe<br />

Myelographie<br />

17.07.<strong>2008</strong> in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Bad Säckingen<br />

August <strong>2008</strong><br />

Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 1<br />

– Fallseminare und Supervision<br />

06.08.–10.08.<strong>2008</strong> in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Lünen<br />

Workshop: Chronische Patienten<br />

06.08.<strong>2008</strong> in Marburg; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Marburg<br />

Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 2<br />

– Fallseminare und Supervision<br />

11.08.–15.08.<strong>2008</strong> in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum<br />

DGS-Lünen<br />

Qualifikationen<br />

Schwerpunkt Palliativmedizin<br />

Dr. med. Erich Mützel, Goldbach<br />

Schwerpunkt Algesiologe DGS/DgfA<br />

Dr. med Anke Boden, Großröhrsdorf<br />

Dr. med Vassilios Rachaniotis, Augsburg<br />

Dr. med Hendrikus Seyer, Erlangen<br />

Dr. med. Heike Sievert, Osnabrück<br />

Dr. med. Susan Frischkorn, Oberursel<br />

Schwerpunkt <strong>Schmerztherapie</strong><br />

Dr. med. Ingo Messer, Bad Schwartau<br />

DGS-Zentrum Dresden<br />

Das regionale Schmerzzentrum Dresden hat<br />

Dipl.-Med. Torsten Kupke übernommen. Herr<br />

Kupke ist als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

in Dresden niedergelassen. Darüber<br />

hinaus ist er als Kursleiter der Deutschen Gesellschaft<br />

für Akupunktur und Neuraltherapie<br />

tätig. Schwerpunkte sind spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>,<br />

Neuraltherapie, Chirotherapie, Akupunktur<br />

und Naturheilverfahren.<br />

Torsten Kupke, Dresden<br />

DGS-Zentrum Münster<br />

Wir begrüßen Dr. med. Klaus Wrenger und<br />

Dr. med. Roswitha Eusterbrock als neue Leiter<br />

des regionalen DGS-Münster. Beide sind niedergelassene<br />

Fachärzte für Anästhesie mit den<br />

Zusatzbezeichnungen Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong><br />

und Algesiologen DGS.<br />

Klaus Wrenger, Münster<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Mit sublingualem Fentanyl gegen<br />

Durchbruchschmerzen?<br />

Nach wie vor stellt die Therapie der Durchbruchschmerzen, die bei etwa<br />

zwei von drei Patienten mit Tumorschmerzen auftreten und mit deutlichen<br />

physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Alltag verbunden sind,<br />

eine klinische Herausforderung dar. Eine neue vielversprechende Behandlungsmöglichkeit<br />

eröffnet sich durch die kurz vor der Markteinführung<br />

stehende Fentanyl-Sublingualtablette (F.A.S.T.), die Dr. rer. nat. Christoph<br />

Eisen, Senior Medical Manager der Fa. Arzneimittel ProStrakan GmbH,<br />

Starnberg, in Frankfurt/Main vorstellte.<br />

D ie<br />

Dauer der Schmerzattacken bei<br />

Durchbruchschmerzen variiert zwischen<br />

wenigen Sekunden und mehreren<br />

Stunden. Auch die Häufigkeit von Durchbruchschmerzen<br />

schwankt stark. Bei 50–70% der<br />

Patienten gibt es auslösende Faktoren, bei ca.<br />

40% der Patienten treten sie spontan auf.<br />

Diagnose und Therapie von Durchbruchschmerzen<br />

Unterschiedliche Schmerzarten (neuropathisch,<br />

viszeral bzw. somatisch) sind auch mit<br />

Unterschieden in der medianen Dauer und<br />

Häufigkeit der Schmerzattacken verbunden.<br />

Vor einer Behandlung ist daher eine adäquate<br />

Schmerzdiagnose notwendig. Je nach Diagnose<br />

ergeben sich <strong>zu</strong>m Teil spezifische Therapieansätze,<br />

z. B. der Einsatz von Antikonvulsiva<br />

und Antidpressiva bei neuropathischen<br />

Schmerzen, und von Bisphosphonaten bei<br />

Knochenschmerzen. Der derzeitige Therapiestandard<br />

in der ambulanten Therapie von<br />

Durchbruchschmerzen, kurz <strong>wir</strong>ksames orales<br />

Morphinsulfat, <strong>wir</strong>d gastrointestinal absorbiert<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

und ist daher erst nach frühestens 30 Minuten<br />

im Blut nachweisbar. Die maximalen Wirkspiegel<br />

werden erst nach ca. 60 Minuten erreicht,<br />

also <strong>zu</strong> einem Zeitpunkt, <strong>zu</strong> dem die Durchbruchschmerzen<br />

meist schon wieder spontan<br />

abgeklungen sind.<br />

Neue Entwicklungen<br />

Derzeit sind neben einer Sublingualtablette<br />

und einer Bukkaltablette auch nasale und inhalative<br />

Applikationsformen mit dem Wirkstoff<br />

Fentanyl in Entwicklung. Fentanyl ist gegenüber<br />

Morphin 50–100-mal stärker <strong>wir</strong>ksam und<br />

entspricht aufgrund seiner schnellen Anflutung<br />

und kurzen Wirkdauer den Anforderungen<br />

an ein Therapeutikum <strong>zu</strong>r Behandlung<br />

von Durchbruchschmerzen.<br />

Die lipophilen Eigenschaften von Fentanyl<br />

bedingen, dass der Wirkstoff schnell und direkt<br />

über die orale oder nasale Mukosa aufgenommen<br />

<strong>wir</strong>d und die Blut-Hirn-Schranke<br />

leicht überwindet. Einen günstigen Applikationsort<br />

für Fentanyl bietet aufgrund ihrer großen,<br />

gut durchbluteten und leicht permeablen<br />

Abbildung 1: F.A.S.T.- PK-Profil bei mit Opioiden vorbehandelten Krebspatienten<br />

Fentanyl-Plasmakonzentration [ng/ml]<br />

1,10<br />

1,00<br />

0,90<br />

0,80<br />

0,70<br />

0,60<br />

0,50<br />

0,40<br />

0,30<br />

0,20<br />

0,10<br />

0<br />

n = 8 Patienten<br />

Einzeldosis Crossover-Design<br />

FAST-Fentanyl<br />

100 µg<br />

200 µg<br />

400 µg<br />

0 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600<br />

Zeit [min]<br />

Fentanylplasmakonzentrationen bei mit Opioiden vorbehandelten Krebspatienten nach Einnahme einer<br />

F.A.S.T.-Sublingualtablette mit 100, 200 oder 400 µg Fentanyl.<br />

Der Deutsche Schmerzkongress<br />

Oberfläche die sublinguale Mukosa. Die Nähe<br />

<strong>zu</strong> den Speicheldrüsen und die konstanten<br />

Temperaturbedingungen ermöglichen eine<br />

optimale Auflösung von Sublingualtabletten<br />

auch bei Xerostomie. Besonders vielversprechend<br />

ist hierfür die neu entwickelte sog.<br />

F.A.S.T.-Technologie (Fa. ProStrakan), die<br />

eine schnelle und gut steuerbare Absorption<br />

des Wirkstoffs ermöglicht.<br />

F.A.S.T<br />

F.A.S.T. steht für „Fast Acting Sublingual Technology“<br />

und bezeichnet eine neuartige Sublingualtablette,<br />

die bei Kontakt mit Speichel in<br />

wenigen Sekunden (10–15 Sekunden) mukoadhäsive<br />

Partikel mit mikronisiertem Fentanyl<br />

freisetzt (feinste Partikelgröße für besonders<br />

rasche Auflösung).<br />

Diese mukoadhäsiven Partikel ermöglichen<br />

eine rasche Verteilung des Wirkstoffes<br />

über die gesamte Mukosa und verhindern das<br />

Verschlucken des Wirkstoffs. Im Gegensatz<br />

<strong>zu</strong> derzeit verfügbarem transmukosalem Fentanyl,<br />

bei dem 75% der Wirkstoffmenge nach<br />

Verschlucken gastrointestinal absorbiert <strong>wir</strong>d<br />

und einem ausgeprägten „First-Pass“-Effekt<br />

unterliegt, <strong>wir</strong>d der Wirkstoff bei der F.A.S.T.-<br />

Sublingualtablette durch die mukoadhäsiven<br />

Partikel praktisch vollständig über die Mukosa<br />

aufgenommen.<br />

Vergleichbare Fentanyl-Plasmawerte werden<br />

dadurch mit 50% geringeren Wirkstoffmengen<br />

erreicht. Bereits nach 5–10 Minuten<br />

sind Fentanyl-Plasmaspiegel nachweisbar<br />

und eine gegenüber Placebo signifikante<br />

schmerzlindernde Wirkung <strong>wir</strong>d innerhalb<br />

von 10–15 Minuten erreicht (Abb. 1). Im Gegensatz<br />

<strong>zu</strong> dem Fentanyl-Lutscher entsteht<br />

keine mechanische Belastung der Mukosa<br />

(Anwendbarkeit auch bei Patienten mit oraler<br />

Mukositis). Da kein sicherer Zusammenhang<br />

<strong>zu</strong>r Dosis der Dauermedikation besteht, muss<br />

die Dosierung individuell erfolgen.<br />

Fazit<br />

Durchbruchschmerzen sind eine große Belastung<br />

für die betroffenen Patienten und werden<br />

bislang in der Schmerzbehandlung noch <strong>zu</strong><br />

wenig berücksichtigt. Eine adäquate Diagnosestellung<br />

ist die Vorausset<strong>zu</strong>ng für eine erfolgreiche<br />

Behandlung. Dabei eröffnet sich<br />

vor allem durch die Fentanyl-Sublingualtablette<br />

(F.A.S.T.) eine vielversprechende Behandlungsmöglichkeit.<br />

❏<br />

25


26<br />

Bücherecke<br />

Biofeedback in der Praxis<br />

Biofeedback zeigt dem Patienten, wie sein Körper auf verschiedene<br />

Situationen wie Angst, Stress, Freude reagiert, indem es die Herzrate,<br />

Atmung, Muskelspannung, Fingertemperatur plastisch vor Augen führt.<br />

Praxisnah erläutert die österreichische Expertin alle Indikationen des<br />

Biofeedbacks bei Erwachsenen: Neben der arteriellen Hypertonie sind<br />

psychosomatische Leiden, psychische Erkrankungen wie Tics und<br />

Angststörungen sowie Depressionen, aber auch Krebs und Tinnitus<br />

lohnende Indikationen. Neurofeedback erleichtert Patienten mit Epilepsie<br />

die Selbstkontrolle. Speziell Frauen erlaubt diese Technik eine Rehabilitation<br />

bei Stress- und Mischinkontinenz. Lohnend ist der Einsatz<br />

des Alpha-Theta-Trainings, einer Hypnoseschulung für Suchtkranke.<br />

Somit ergibt sich eine Fülle von Anwendungsgebieten.<br />

Mit diesem Buch können sich Schmerztherapeuten, die das Biofeedback in ihrer Schmerzpraxis<br />

einsetzen, über das breite Spektrum der Indikationen fortbilden. StK<br />

Ingrid Pirker-Binder: Biofeedback in der Praxis. Band 2 Erwachsene. 211 S., 50 Abb.; Softcover, 29,95 €;<br />

ISBN 978-3-211-29191-7. Springer Verlag, Wien, New York.<br />

Akupunktur in der Praxis<br />

Mit einem kasuistisch aufgebauten praxisnahen Quiz stellt die Autorin<br />

Dr. Vera Breuer, überzeugte Anhängerin der Traditionellen Chinesischen<br />

Medizin, die Indikationen und Therapiemöglichkeiten der modernen<br />

Akupunktur dar. Systematisch geht die Autorin anhand von<br />

Praxisfällen die Indikationen von den Erkrankungen am Bewegungsapparat<br />

über neurologische, psychische, bronchopulmonale, kardiovaskuläre,<br />

bis <strong>zu</strong> urogenitalen Erkrankungen durch und erläutert anhand<br />

von Fällen Fragen <strong>zu</strong>r Akupunkturtechnik von Ohrakupunktur bis<br />

Mundakupunktur. Im dritten Teil folgen ausführlichst die Antworten auf<br />

die bei den Fällen gestellten 733 Fragen. Dieses praxisnahe Buch ist<br />

nichts für Anfänger, da bereits ein profundes Wissen vorausgesetzt <strong>wir</strong>d.<br />

Wertvoll ist es für Akupunkteure, die ihr Wissen weiter trainieren wollen.<br />

Stk<br />

Vera Breuer: Akupunkturwissen in Fällen und Fragen; Ausbildung, Praxis, Training; Auflage 2006, IX, 121 S.<br />

mit 4 Abb., kartoniert, € 29,95, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.<br />

Nichtmedikamentöse<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

Chronischer Schmerz erfordert im Sinne einer ganzheitlichen Therapie<br />

stets eine interdisziplinäre <strong>Schmerztherapie</strong>. Vor allem Patienten<br />

mit chronischen Schmerzen möchten <strong>zu</strong>nehmend über alternative<br />

Methoden informiert werden. Dieses Buch liefert da<strong>zu</strong> einen profunden<br />

Überblick. Nach allgemeinen Informationen <strong>zu</strong>r Schmerzentstehung<br />

stellen die Autoren ausführlich gängige Naturheilverfahren wie Traditionelle<br />

Chinesische Medizin, psychotherapeutische Verfahren, physikalische<br />

und andere häufig verwendete Methoden vor. Einzelne Kapitel<br />

widmen sich der Musiktherapie, Akupressur, medizinischen Trainingstherapie,<br />

dem Schamanismus, Ayurveda und der Phytotherapie. Neben<br />

Indikationen werden auch mögliche (Kontra)indikationen und Grenzen der Verfahren dargelegt.<br />

Soweit möglich ist die Wirkung im Sinne der evidenzbasierten Medizin beschrieben. Ein gelungenes<br />

Werk für alle Schmerztherapeuten, die ihre Patienten nicht nur pharmakologisch gut<br />

versorgen wollen. Stk<br />

Bernatzky, G.; Likar, R.; Wendtner, F.; Wenzel, G.; Ausserwinkler, M.; Sittl, R. (Hrsg.): Komplementäre<br />

Methoden in der Praxis. 2007, XIX, 525 S., 61 illus., geb., 68,00 €, ISBN: 978-3-211-33547-5, Springer<br />

Verlag, Wien, New York.<br />

Impressum<br />

Organ der Deutschen Gesellschaft für<br />

<strong>Schmerztherapie</strong><br />

Herausgeber<br />

Gerhard H. H. Müller-Schwefe,<br />

Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen<br />

Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477<br />

E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />

Schriftleitung<br />

Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg;<br />

Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid;<br />

Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.:<br />

08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden; Michael<br />

Überall, Nürnberg<br />

Beirat<br />

Joachim Barthels, Bad Sal<strong>zu</strong>ngen; Christoph Baerwald,<br />

Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler,<br />

Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert,<br />

Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune,<br />

Erlangen; Thomas Cegla, Wuppertal; Mathias Dunkel,<br />

Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Gerd Geisslinger,<br />

Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld;<br />

Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Winfried Hoerster,<br />

Gießen; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt;<br />

Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg;<br />

Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen;<br />

Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing;<br />

Bernd Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe;<br />

Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin;<br />

Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;<br />

Günter Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, Heidelberg;<br />

Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg;<br />

Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn;<br />

Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger,<br />

München; Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />

In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für<br />

Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung<br />

und <strong>Schmerztherapie</strong>; Deutsche Akademie<br />

für Algesiologie – Institut für schmerztherapeutische<br />

Fort- und Weiterbildung; Deutsche Gesellschaft für<br />

interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche<br />

Gesellschaft <strong>zu</strong>m Studium des Schmerzes e.V. (DGSS);<br />

Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische<br />

Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche<br />

Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V. (GGMM);<br />

Institut für Qualitätssicherung in <strong>Schmerztherapie</strong> und<br />

Palliativmedizin (IQUISP); Verband Deutscher Ärzte für<br />

Algesiologie – Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten<br />

e.V.<br />

Mit der Annahme eines Beitrags <strong>zu</strong>r Veröffentlichung<br />

er<strong>wir</strong>bt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere<br />

das Recht der weiteren Vervielfältigung <strong>zu</strong> gewerblichen<br />

Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer<br />

Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen<br />

einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich<br />

geschützt.<br />

Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen<br />

– vor allem von Neu<strong>zu</strong>lassungen – sollten<br />

in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten<br />

Medikamente verglichen werden.<br />

Be<strong>zu</strong>gspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für<br />

4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl.<br />

MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den<br />

Be<strong>zu</strong>gspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint<br />

im 24. Jahrgang.<br />

Verlag: © URBAN & VOGEL GmbH, München,<br />

Mai <strong>2008</strong><br />

Leitung Medical Communication:<br />

Ulrich Huber (verantw.)<br />

Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn<br />

Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />

Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co.<br />

KG, Höchberg<br />

Titelbild: Getty Images, Photo Library, Howard Rice<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)


Oberbauchschmerzen<br />

Oberbauchbeschwerden bereiten häufig diagnostische und therapeutische<br />

Probleme und die betroffenen Patienten landen schnell in der „Psychoecke“.<br />

Neben entzündlichen Veränderungen des Pankreas kommen vor<br />

allem Kapselspannungen der Leber wie auch Gallengangobstruktionen und<br />

Spasmen in Frage. Aufgrund der spasmogenen Wirkung ist Morphin für<br />

diese Patienten völlig ungeeignet. Angesichts der fehlenden Organtoxizität<br />

von Oxycodon/Naloxon und der hervorragenden Langzeitverträglichkeit ist<br />

diese Kombination Mittel der Wahl, illustriert Dr. med. Gerhard H. H.<br />

Müller-Schwefe, Göppingen, anhand einer Patientin mit Morbus Osler.<br />

Der Praxisfall<br />

Die 46-jährige Lehrerin erkrankte im Juni<br />

2006 an einer gastrointestinalen Infektion, die<br />

mit massiven Durchfällen und Oberbauchschmerzen<br />

einherging. Nachdem die Infektion<br />

antibiotisch behandelt war und die Durchfälle<br />

sistierten, blieben anhaltende Oberbauchschmerzen,<br />

anfangs intermittierend, später<br />

<strong>zu</strong>nehmend als Dauerschmerzen.<br />

Der Schmerzcharakter war brennend, ziehend<br />

und drückend, die Schmerzintensität auf<br />

der VAS 100 betrug 80. Als Erträglichkeits-<br />

niveau wurde 20 angegeben. Die Instrumente<br />

des Deutschen Schmerzfragebogens wiesen<br />

zahlreiche Auffälligkeiten auf: Modifizierter<br />

Pain Disability Index mit einem Score von 35<br />

deutlich auffällig; die Lebensqualität war mit<br />

einem Score von 11 aus 40 (QLIP) ebenfalls<br />

massiv beeinträchtigt.<br />

Schmerz auslösend und verstärkend<br />

<strong>wir</strong>kte vor allem Essen. Anfangs traten nach<br />

1,5–2 Stunden, dann <strong>zu</strong>nehmend auch sofort<br />

danach massive krampfartige Schmerzen und<br />

Dauerschmerzen im Oberbauch auf.<br />

In der Folgezeit bei gedämpftem Appetit<br />

massiver Gewichtsverlust von mehr als 10 kg.<br />

Unter dem Verdacht einer Nahrungsmittelallergie<br />

wurde eine Rotationsdiät durchgeführt.<br />

Hierunter zeigte sich keinerlei Besserung.<br />

Eine umfangreiche Diagnostik (mehrfache<br />

Sonographien, Gastroskopien, Koloskopien,<br />

MRT von Herz und Leber, Kontrastdarstellung<br />

des gesamten Darms, ERCP) ergab keinen<br />

pathologischen Befund.<br />

Befund<br />

Bei der Erstuntersuchung findet sich bei der<br />

168 cm großen, 56 kg schweren Patientin ein<br />

weiches Abdomen mit Spontan- und Druckschmerzhaftigkeit<br />

im gesamten Oberbauch<br />

mit Ausstrahlung in den Rücken. Unter der<br />

Verdachtsdiagnose einer chronischen Pankreatitis<br />

wurden nochmals bildgebende und<br />

laborchemische Diagnostik veranlasst.<br />

Wiederum waren alle Entzündungsparameter<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2008</strong> (24. Jg.)<br />

negativ, die Pankreasenzyme im Normbereich.<br />

Es fiel lediglich eine erhöhte Gamma-GT auf<br />

(weniger als das 1,5-Fache des Normwerts)<br />

bei normalem Bilirubin und alkalischer Phosphatase.<br />

Zudem bestand eine mikrozytäre hypochrome<br />

Anämie mit Hb-Werten um 9 g/dl.<br />

Unter der Annahme einer somatoformen<br />

Störung wurde die Patientin schließlich stationär<br />

in ein psychiatrisches Krankenhaus aufgenommen<br />

und 6 Wochen behandelt, ohne<br />

dass eine Besserung <strong>zu</strong> verzeichnen war.<br />

Therapie und Verlauf<br />

Unter der Annahme funktioneller Störungen<br />

waren bei der Patientin verschiedene Prokinetika,<br />

Spasmolytika und entzündungshemmene<br />

Analgetika erfolglos versucht worden.<br />

Bei ihrer Vorstellung im Schmerzzentrum<br />

war sie verzweifelt, da sie ihrem Beruf<br />

an vielen Tagen schmerzbedingt nicht mehr<br />

nachgehen konnte und sich mit der Diagnose<br />

„psychogene Oberbauchschmerzen“ alleingelassen<br />

und abgestempelt vorkam. Mit der Arbeitshypothese<br />

einer chronischen, laborchemisch<br />

nicht mehr nachweisbaren Pankreatitis<br />

wurde im Schmerzzentrum mit 2 x 5 mg Oxycodon<br />

eine systemische analgetische Therapie<br />

eingeleitet. Hierunter mäßige Schmerzlinderung,<br />

jedoch deutliche Obstipation, deshalb<br />

Aufdosierung auf 10 mg Oxycodon/Naloxon<br />

Manchmal macht sich der Morbus Osler bereits<br />

an der Haut durch Teleangiektasien bemerkbar.<br />

Bildarchiv Urban & Vogel<br />

Der Fall aus der Schmerzpraxis<br />

(Targin ® ) zweimal täglich. Innerhalb weniger<br />

Tage berichtete die Patientin eine massive<br />

Schmerzreduktion auf VAS 10–12 bei gleichzeitig<br />

normaler Darmaktivität (VAS-Skala von<br />

0–100: 0 = keine Schmerzen; 100 = stärkste<br />

vorstellbare Schmerzen).<br />

In den folgenden drei Monaten unter gleichbleibender<br />

Therapie mit Targin ® 2 x 10 mg<br />

Gewichts<strong>zu</strong>nahme um 8 kg und weitgehende<br />

Schmerzfreiheit, sodass die Patientin ihrem<br />

Beruf wieder vollständig nachgehen konnte.<br />

Morbus Osler als späte Diagnose<br />

Beim Versuch, die Opioiddosis <strong>zu</strong> reduzieren,<br />

kam es allerdings erneut sofort <strong>zu</strong> massiven<br />

Oberbauchbeschwerden. Deshalb nochmalige<br />

intensive Diagnostik in einem Leberzentrum.<br />

Hier wurde schließlich überraschend die<br />

Diagnose eines Morbus Osler gestellt. Es<br />

handelt sich dabei um hereditäre hämorrhagische<br />

Teleangiektasien, die bei <strong>unsere</strong>r Patientin<br />

nun erstmalig in der Leber nachweisbar<br />

waren und offensichtlich <strong>zu</strong> schmerzhaften<br />

Kapselspannungen geführt hatten.<br />

Auch die anamnestisch bekannte Anämie<br />

wurde durch die nun gestellte Diagnose begründet.<br />

Erneut erfolgte die Einstellung auf<br />

Targin ® 2 x 10 mg, worunter die Patientin wiederum<br />

sehr schnell beschwerdefrei wurde.<br />

Angesichts der fehlenden Organtoxizität von<br />

Oxycodon/Naloxon und der hervorragenden<br />

Verträglichkeit ist bei <strong>unsere</strong>r Patientin von<br />

einer lebenslangen Therapienotwendigkeit<br />

aus<strong>zu</strong>gehen. Hier<strong>zu</strong> eignet sich die Kombination<br />

Oxycodon/Naloxon besonders gut.<br />

Diskussion<br />

Oberbauchbeschwerden stellen häufig eine<br />

diagnostische und therapeutische Herausforderung<br />

dar. Neben entzündlichen Veränderungen<br />

des Pankreas kommen vor allem Kapselspannungen<br />

der Leber wie auch Gallengangsobstruktionen<br />

und Spasmen in Frage.<br />

Ohne Zweifel ist aufgrund der spasmogenen<br />

Wirkung Morphin für diese Patienten völlig ungeeignet.<br />

Eine Langzeittherapie sollte auf der<br />

anderen Seite neben<strong>wir</strong>kungsarm und ohne<br />

Organtoxizität möglich sein. Hier bietet sich Oxycodon<br />

an, dass nicht nur an µ- sondern auch an<br />

κ-Rezeptoren <strong>wir</strong>ksam ist und damit im Gastrointestinalbereich<br />

gegenüber Morphin nicht nur<br />

weniger Neben<strong>wir</strong>kungen, sondern auch eine<br />

deutlich bessere Analgesie aufweist.<br />

Auch bei nichtmalignombedingten Schmerzen<br />

wie bei hereditären hämorrhagischen Teleangiektasien<br />

stellt hier Oxycodon/Naloxon<br />

eine hervorragende Therapieoption dar, da<br />

es eine Langzeittherapie ohne Organtoxizität<br />

und Obstipation ermögicht. ❏<br />

Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen<br />

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