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Oskar Schindlers Handlungsmotivation

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<strong>Oskar</strong> <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong><br />

<strong>Oskar</strong> Schindler dürfte Amon Göth vor dem im ersten Teil der Sequenz<br />

Dbeginnenden Gespräch seinen Entschluss mitgeteilt haben, nicht – wie<br />

er es in der Sequenz B gegenüber seiner Frau angekündigt hat – mit den<br />

Schrankkoffern voller Geld Krakau zu verlassen und damit seine jüdischen<br />

Arbeiter der Ermordung in Auschwitz zu überantworten, sondern<br />

seine Fabrik nach Brünnlitz, in der Nähe seiner Heimatstadt Zwittau zu<br />

verlagern und dort auf eigene Kosten ungefähr 1100 Personen unterzubringen,<br />

zu ernähren und die geforderten Abgaben an die SS zu zahlen.<br />

Göth kann diesen Entschluss <strong>Schindlers</strong> nicht verstehen und gibt dies<br />

auch in dem ungläubigen Tonfall seiner Frage zu erkennen: You want<br />

these people?<br />

Schindler nimmt Göths Formulierung these people auf, verändert<br />

sie, Göth eine Begründung für seinen Entschluss suggerierend, zu<br />

m y people und verknüpft das von Göth verwendete Verb want mit seiner<br />

eigenen Formulierung m y people zu I want m y people; dabei<br />

betont er jeweils deutlich das Possessivpronomen.<br />

Göth fragt, weiterhin verständnislos, Schindler: Who are you, Moses?<br />

– und verweist damit auf die biblische Gestalt des Moses, der in göttlichem<br />

Auftrag die Israeliten aus Ägypten in das gelobte Land Israel<br />

zurückführen sollte.<br />

Noch weitere achtmal erklärt Göth Schindler in immer neuen sprachlichen<br />

Varianten, dass er ihn nicht verstehe, dass er einen Trick vermute,<br />

dass dies alles keinen Sinn mache, dass er ihm etwas verberge, dass<br />

er, Schindler, es ihm, Göth, erklärt und doch nicht erklärt habe.<br />

Schließlich seufzt er: Ah ..Ja, all right, don’t tell me. Und verspricht seine<br />

Zustimmung zu <strong>Schindlers</strong> Plan, nicht ohne jedoch noch einmal beklagt<br />

zu haben: It’s just irritating I can’t work it out.<br />

Schindler sagt begütigend: Look, all you have to do is tell me what it’s<br />

(i.e. die gesamte Angelegenheit) worth to you? und verbessert sich, das<br />

Neutrum it personalisierend: What’s one person worth to y o u ?<br />

Göth fällt ihm, bei dieser „Angelegenheit“ ein gutes Geschäft witternd<br />

und emphatisch viermal no rufend, ins Wort und fragt: What’s one<br />

worth to you?<br />

<strong>Oskar</strong> <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong> 49


Why did Schindler<br />

do all this?<br />

Insgesamt zehnmal äußert Göth sein Unverständnis für <strong>Schindlers</strong><br />

Entschluss und bezeichnet ihn als sinnlos; genau so häufig versucht<br />

Schindler, Göth gegenüber seinen Entschluss zu begründen..<br />

Analog zu der in Sequenz A fünffach gestellten Frage nach der Identität<br />

des Protagonisten, die in einer ihrer Antworten auf Spielbergs Intention<br />

bei der Produktion des Films verwies, schließt sich auch in diesem<br />

Teil der Sequenz D ganz natürlich die Frage an, warum Spielberg<br />

Goeth zehnmal in vielfältiger Variation die Frage nach <strong>Schindlers</strong><br />

<strong>Handlungsmotivation</strong> stellen und Schindler ebenso häufig keine Göth<br />

überzeugende Antwort geben lässt.<br />

Es darf angenommen werden, dass Spielberg durch diese Form der<br />

Darstellung auf eine ihn ganz persönlich berührende Frage und<br />

gleichzeitig auf eine in der Öffentlichkeit immer wieder gestellte Frage<br />

verweisen wollte, auf die Frage nämlich nach <strong>Oskar</strong> <strong>Schindlers</strong><br />

<strong>Handlungsmotivation</strong>.<br />

In vielfacher Form und mit unterschiedlicher Intention ist die Frage<br />

nach den Beweggründen für <strong>Schindlers</strong> altruistisches Handeln gestellt<br />

worden: Warum hat er Juden vor den sogenannten Aktionen der SS in<br />

Krakau gewarnt? Warum hat er alte und kranke Menschen als „gelernte“<br />

Metallarbeiter in seiner DEF beschäftigt und für sie die entsprechenden<br />

„Überlassungsgebühren“ an die SS gezahlt? Warum schließlich<br />

hat er seinen gesamten Geschäftsgewinn in Höhe eines zweistelligen<br />

Millionenbetrages eingesetzt, um jüdische Arbeiter zu beschäftigen<br />

und gegen Ende des Krieges mehr als 1100 von ihnen vor der Ermordung<br />

in Auschwitz zu retten?<br />

Alle Versuche, ein einzelnes Ereignis oder eine lebensbedeutsame Erfahrung<br />

zu finden, die <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong> erklären<br />

könnten, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Keneally gelingt dies in<br />

seinem „Roman“ ebensowenig wie den zahlreichen Biografen, die<br />

<strong>Schindlers</strong> Leben vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und in<br />

der Zeit des Krieges untersucht haben. Spielberg kennzeichnet in seinem<br />

Film durch den roten Mantel des in zwei Szenen auftretenden<br />

Kindes nur Zeitpunkte, an denen Schindler sich zum Handeln entschließt;<br />

er versucht aber nicht eine Erklärung hierfür zu geben. Dass<br />

er dies gern getan hätte, geht aus einer Episode während der Dreharbeiten<br />

in Krakau hervor: Als Spielberg Mietek Pemper bei dessen Eintreffen<br />

am Drehort erkannte, rief er ihm schon von weitem zu: Why<br />

did Schindler do all this? Aber auch Pemper konnte ihm keine ihn zufriedenstellende<br />

Antwort geben. Mietek Pemper hat dem Verfasser<br />

wiederholt berichtet, <strong>Oskar</strong> Schindler habe sich ihm und anderen<br />

Schindler-Juden gegenüber auch nach dem Krieg nicht zu Gründen<br />

50


für sein Handeln geäußert und die durch <strong>Schindlers</strong> „Liste“ Geretteten<br />

sagten immer wieder nur, es sei für sie primär wichtig, dass sie gerettet<br />

worden seien und dass sie für <strong>Schindlers</strong> Handeln keine singuläre<br />

Erklärung hätten.<br />

Spielberg erfindet in seinem Film kein Ereignis und keine Erklärung<br />

für <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong>; er lässt eine Leerstelle in seinem<br />

Film und verweist den Betrachter der Sequenz D durch die überhäufig<br />

geäußerte Verständnislosigkeit Göths für <strong>Schindlers</strong> Entschluss auf<br />

die Bedeutung der Frage nach dessen <strong>Handlungsmotivation</strong> und auf<br />

seinen eigenen Verzicht auf eine fiktive Antwort.<br />

Diese Leerstelle des Films erweist sich jedoch für den Unterricht als<br />

Glücksfall; sie ist geradezu die Voraussetzung für eine tiefergehende<br />

Reflexion der Schüler über den in Schindler vorgehenden Prozess des<br />

wertenden Abwägens und des Entscheidens und über die Motivation<br />

für sein Handeln.<br />

Nach der filmanalytischen Behandlung des ersten Teils der Sequenz D<br />

kann die unterrichtliche Reflexion der <strong>Handlungsmotivation</strong> <strong>Oskar</strong><br />

<strong>Schindlers</strong> durch den Verweis auf zwei Äußerungen <strong>Schindlers</strong> und auf<br />

eine Erklärung Yehuda Bauers zu dieser Problematik angereichert<br />

werden.<br />

Zu der Motivation seines Handelns hat Schindler selbst nur eine einzige<br />

öffentliche Äußerung abgegeben, die in allen gedruckten und elektronischen<br />

Biografien über ihn zitiert wird. Als in Frankfurt der Auschwitz-Prozess<br />

stattfand, wurde im Jahre 1965 ein Fernseh-Team des<br />

Hessischen Rundfunks auf den in Frankfurt lebenden <strong>Oskar</strong> Schindler<br />

aufmerksam gemacht und interviewte ihn zu der Verfolgung und Ermordung<br />

der europäischen Juden. Auf die Frage, warum er geholfen<br />

und nicht einfach weggesehen habe, antwortete er:<br />

„Die Verfolgungen der jüdischen Menschen im Generalgouvernement,<br />

im polnischen Raum, haben in ihren Grausamkeiten eine allmähliche<br />

Steigerung genommen; im Jahre 39 und dann 40, mit dem Judenstern;<br />

und die Zusammenpferchung der Menschen im Ghetto haben<br />

(sic) natürlich den Sadismus in Reinkultur erst im Jahre 41 und 42<br />

geoffenbart, und ein denkender Mensch, der mit dem inneren<br />

Schweinehund siegreich fertig wurde, musste einfach helfen. Es war<br />

keine andere Möglichkeit.“ 63<br />

63 Aus: Die Juden nannten ihn Vater Courage, Protokoll über <strong>Oskar</strong> Schindler, vorgelegt von Reinhard<br />

Albrecht, Südwestfunk, 1994<br />

<strong>Oskar</strong> <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong> 51


Diese Erklärung <strong>Schindlers</strong> zu seiner <strong>Handlungsmotivation</strong> nimmt<br />

Yehuda Bauer in seiner Rede auf, die er anläßlich des Gedenktages für<br />

die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag am 27. Januar<br />

1998 gehalten hat. Zunächst beschreibt er, wohl kaum aus Gründen<br />

der rhetorischen Wirkung bewusst übertreibend, sondern in<br />

tatsächlicher Überzeugung von der Richtigkeit seiner Charakterisierung<br />

<strong>Oskar</strong> Schindler 64 in äußerst negativer Weise und rühmt ihn danach<br />

als Beispiel der Menschlichkeit:<br />

„<strong>Oskar</strong> Schindler ist durch den bekannten Film eine umstrittene Figur<br />

geworden, aber sehen Sie, wenn man den Mythos wegtut, bleibt die historische<br />

Figur. Schindler war nicht nur ein Parteimitglied, sondern<br />

auch ein Agent der Abwehr, ein Schürzenjäger, ein Alkoholiker, ein<br />

rücksichtloser Ausnützer, ein Lügner. Sie würden kaum einen Menschen<br />

finden, dem Sie niedrigere Charakteristiken anhängen könnten.<br />

Und dann rettete er über tausend Menschenleben, unter Gefährdung<br />

seiner Person. Er schleppte persönlich schwerkranke und sterbende<br />

jüdische Arbeitssklaven aus einem frierenden Zug um zu versuchen,<br />

ihr Leben zu retten . Er musste es nicht tun, aber er tat es. Er fuhr nach<br />

Budapest, um die Juden dort vor dem Holocaust zu warnen; er musste<br />

es nicht, aber tat es. Warum? Weil er ein Mensch war; und so schlimm<br />

er war, so gut war er.“ 65<br />

Es scheint für Schindler wichtig gewesen zu sein darauf hinzuweisen,<br />

dass er bei seinem Entschluss, seine Arbeiter vor dem Transport nach<br />

Auschwitz zu retten, nicht unter irgendeinem Zwang gestanden, sondern<br />

als freier Mann gehandelt habe. Dies bringt er zum Abschluss eines<br />

Berichts über „Rettungsarbeiten“ zum Ausdruck, den er zu „Beginn<br />

der fünfziger Jahre“ 66 geschrieben hat:<br />

„Bei der Beurteilung meiner Handlungen bitte ich Sie sich vor Augen<br />

zu halten, dass ich all diese Aktionen nicht als Vabanquespieler oder<br />

Werkzeug irgendeiner Zwangslage, sondern als freier, reicher Mensch,<br />

der alles, was das Leben wertvoll macht, besaß, durchführte.“ 67<br />

In welcher Reihenfolge die Kernpunkte der Schülerreflexion über<br />

<strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong> (<strong>Schindlers</strong> Haltung; die Beschrei-<br />

64 Bei einem Vortrag vor Lehrern aus Nordrhein-Westfalen – an dem der Verfasser teilnehmen konnte – in<br />

der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem am 16.Oktober 1998 ging Yehuda Bauer ebenfalls auf<br />

<strong>Oskar</strong> Schindler ein; er charakterisierte ihn auch hier zunächst mit sehr drastischen Worten („Der Schindler<br />

war ein Schwein.“) und stellte ihn anschließend als beispielgebenden altruistischen Lebensretter dar.<br />

65 Yehuda Bauer, Rede im Deutschen Bundestag am 27.01.1998, In:.Deutscher Bundestag, Presseveröffentlichung,<br />

S. 9<br />

66 Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand in Deutschland 1933 – 1945. Ein historisches Lesebuch,<br />

München 1994, S. 189 – 197, hier: S. 189<br />

67 Steinbach/Tuchel, a.a.O., S. 197<br />

52


Tafelbild<br />

bung der Kriegssituation in Polen im Jahr 1944 mit ihren Auswirkungen<br />

auf die „Endlösung der Judenfrage“; <strong>Schindlers</strong> „Werten“; <strong>Schindlers</strong><br />

Werturteil und seine Normentscheidung; der Sinn seines Handelns)<br />

sich in einem Unterrichtsgespräch ergeben können, ist von untergeordneter<br />

Bedeutung und braucht daher nicht in Alternativen fiktiver<br />

Unterrichtsgespräche dargestellt zu werden.<br />

Vielmehr sollten die sich im Unterrichtsgespräch ergebenden Kernbegriffe<br />

in entsprechend großen Rechtecken als Tafelbild festgehalten<br />

werden, ohne dass dabei sogleich eine systematische Ordnung eingehalten<br />

werden müsste.<br />

Danach sollten die Schüler aufgefordert werden, diese Rechtecke einander<br />

sachlogisch zuzuordnen und diese Zuordnung zu begründen.<br />

In der folgenden Abbildung 1 werden die Kernbegriffe des Unterrichtsgesprächs<br />

in einer solchen denkbaren Zuordnung dargestellt.<br />

Plaszow to be closed.<br />

Schindler’s workers<br />

to be taken to<br />

Auschwitz.<br />

Abbildung 1: Vom Denken zum Handeln<br />

Vom Denken zum Handeln<br />

‘What is one<br />

person worth to<br />

you?’<br />

‘My people.’<br />

Transferring<br />

the factory<br />

to Brünlitz<br />

Composing<br />

the list;<br />

Saving 1100 lives<br />

The most<br />

meaningful,<br />

valuable<br />

alternative<br />

<strong>Oskar</strong> <strong>Schindlers</strong> <strong>Handlungsmotivation</strong> 53<br />

Göth: ‘Moses?’<br />

Schindler: ‘A rational<br />

human being,<br />

a free man.’<br />

Bauer: ‘A man.’

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