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STUDIENSTÄTTE f ü r P o l i t i k<br />

und Zeitgeschehen München e.V. September 2011<br />

<strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 15 (bis April 2004)<br />

12 Staaten, die zum 01.05.2004 bzw. 01.01.2007 beigetreten sind<br />

Staaten, die mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> <strong>de</strong>n Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bil<strong>de</strong>n<br />

3 mögliche Beitrittskandidaten<br />

Manuskript und Zusammenstellung: Kilian Häuser<br />

Mitarbeit und Aktualisierung: Rudolf Eppinger<br />

Layout: Maria Gutwasser


Die Zukunft Europas – Ein <strong>Planspiel</strong> –<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Hinweise und Erläuterungen ................................................................................................. 3<br />

Vorschlag zum Ablauf <strong>de</strong>s <strong>Planspiel</strong>s (Tagesordnung) ..................................................... 5<br />

Kroatien Verhandlungsstrategie ........................................................................................... 6<br />

Türkei Verhandlungsstrategie .............................................................................................. 13<br />

Ukraine Verhandlungsstrategie ............................................................................................. 20<br />

Die Europäische Kommission Rollenbeschreibung ........................................................... 27<br />

Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission ........................................................................ 28<br />

Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Hohen Beauftragten für die<br />

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ........................................................... 29<br />

Frankreich, Belgien und Spanien Verhandlungsstrategie .................................................. 30<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Luxemburg Verhandlungsstrategie ..... 36<br />

Italien, Griechenland, Slowenien, Zypern und Malta Verhandlungsstrategie ................... 42<br />

Großbritannien, Dänemark und Portugal Verhandlungsstrategie ..................................... 48<br />

Irland, Finnland, Schwe<strong>de</strong>n und Österreich Verhandlungsstrategie ................................ 53<br />

Polen, Estland, Lettland und Litauen Verhandlungsstrategie ........................................... 58<br />

Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien Verhandlungsstrategie ......... 63<br />

Anlagen<br />

A. 1 Aufnahme neuer Mitglie<strong>de</strong>r .................................................................................. 70<br />

A. 2 Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> ............................ 70<br />

A. 3 Stufen <strong>de</strong>r Integration in die <strong>EU</strong> ........................................................................... 70<br />

B. 1 Grün<strong>de</strong> für eine Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ................................................................... 71<br />

B. 2 Die Europäische Schnelle Eingreiftruppe ........................................................... 71<br />

C Basisdaten zu <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten und zu <strong>de</strong>n Beitrittskandidaten (2006)............... 72<br />

D. 1 Informationen für die Spielergruppen im <strong>EU</strong>-Ministerrat...................................... 73<br />

D. 2 Informationen für die Spielergruppen <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r............................... 73<br />

D. 3 Welche Informationen besitzen die Spielergruppen<br />

<strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r in ihren Rollenprofilen?..................................................... 73<br />

Quellen ................................................................................................................................... 74


Hinweise und Erläuterungen<br />

Dieses <strong>Planspiel</strong> *) wur<strong>de</strong> für solche Seminargruppen bzw. Schulklassen ab <strong>de</strong>r<br />

10. Jahrgangsstufe konzipiert, die bereits über Grundwissen zur Europäischen Union verfügen (Aspekte<br />

wären z.B.: Geschichte <strong>de</strong>s europäischen Einigungsprozesses / Institutionen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und ihre Aufgaben/<br />

EG-Binnenmarkt mit <strong>de</strong>n vier Freiheiten).<br />

Im Zentrum <strong>de</strong>s <strong>Planspiel</strong>s stehen dabei zwei wichtige Fragenkomplexe, die die <strong>EU</strong> in nächster Zeit<br />

behan<strong>de</strong>ln muss:<br />

1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik<br />

Wie gelingt es <strong>de</strong>r Union bei außenpolitischen Themen mit einer Stimme zu sprechen? Wie können bei<br />

internationalen Konflikten gemeinsame Standpunkte entwickelt und für alle Mitgliedslän<strong>de</strong>r bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> (!)<br />

gemeinsame Aktionen beschlossen wer<strong>de</strong>n?<br />

2. Die zukünftigen Grenzen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

Welche weiteren südost- und osteuropäischen Län<strong>de</strong>r können in die <strong>EU</strong> aufgenommen wer<strong>de</strong>n? Wann<br />

kann das frühestens passieren, welche Bedingungen sind dabei zu erfüllen und welche Folgen (z.B.<br />

politischer o<strong>de</strong>r finanzieller Art) sind damit verbun<strong>de</strong>n?<br />

Die reale politische Situation wur<strong>de</strong> für das Spiel vereinfacht, um sowohl einen überschaubaren<br />

Spielablauf zu ermöglichen als auch <strong>de</strong>n zeitlichen Rahmen auf einen Tag beschränken zu können. Im<br />

Spiel sind elf Rollen vorgesehen, die mit min<strong>de</strong>stens zwei o<strong>de</strong>r drei Personen besetzt wer<strong>de</strong>n sollten,<br />

damit auch innerhalb <strong>de</strong>r einzelnen Rollen Teamarbeit möglich ist. Eine Seminargruppe bzw.<br />

Schulklasse sollte <strong>de</strong>shalb i<strong>de</strong>alerweise aus mehr als 20 Personen bestehen.<br />

Vor allem Jugendliche bekommen leichteren Zugang zu Form und Charakter <strong>de</strong>r Verhandlungen, wenn sie<br />

sich während <strong>de</strong>r Spielphasen mit <strong>de</strong>r offiziellen Anre<strong>de</strong>, also „Herr/Frau Botschafter/in“, „Herr/Frau<br />

Minister/in“, „Herr/Frau Präsi<strong>de</strong>nt/in“ ansprechen.<br />

Die Rollen im einzelnen:<br />

<strong>EU</strong>-Kommission<br />

<strong>EU</strong>-Ministerrat<br />

Die 27 Län<strong>de</strong>r im <strong>EU</strong>-Ministerrat wur<strong>de</strong>n zu Untergruppen zusammengefasst, die neuen Mitgliedsstaaten<br />

Rumänien und Bulgarien sind noch nicht vertreten.<br />

Diese Einteilung berücksichtigt sowohl sprachlich-kulturelle und historische Gemeinsamkeiten als auch<br />

ähnliche (europa-) politische Interessen:<br />

• Frankreich, Belgien, Spanien<br />

• Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Luxemburg<br />

• Italien, Griechenland, Slowenien, Zypern, Malta<br />

• Großbritannien, Dänemark, Portugal<br />

• Irland, Finnland, Schwe<strong>de</strong>n, Österreich (neutrale Staaten)<br />

• Polen, Estland, Lettland, Litauen<br />

• Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien<br />

Beitrittskandidaten -<br />

• Kroatien<br />

• Türkei<br />

• Ukraine<br />

Das Europäische Parlament wur<strong>de</strong> bei dieser Spielkonzeption nicht berücksichtigt. Ausschlaggebend<br />

dabei war ausschließlich <strong>de</strong>r Gedanke, das Spiel nicht zu kompliziert wer<strong>de</strong>n zu lassen.<br />

_______________________________<br />

*) Zur Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>Planspiel</strong>s siehe u.a.<br />

Lothar Scholz:<br />

Spielerisch Politik lernen, Schwalbach, 2. Auflage 2004<br />

(dort auch weitere Literaturhinweise)<br />

- 3 -


Die Spielphasen<br />

Nach einer kurzen Einführung beginnt das Spiel mit <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission mit Präsi<strong>de</strong>nt/in und<br />

Vizepräsi<strong>de</strong>nt/in. Die Seminar-Gruppe soll dabei geeignete Kandidaten vorschlagen und in geheimer<br />

Abstimmung wählen, damit diese Spieler auch das ihnen zukommen<strong>de</strong> Maß an Autorität bei <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>r<br />

Verhandlungen erfahren.<br />

Im Anschluss an die Wahl wer<strong>de</strong>n die Rollen <strong>de</strong>r Beitrittskandidaten und <strong>de</strong>s Ministerrats vergeben bzw.<br />

ziehen die Seminarteilnehmer/innen vorbereitete Rollenkärtchen.<br />

Den Spielergruppen wird anschließend das jeweilige Informationsmaterial ausgehändigt, die Anlagen A bis D<br />

erhalten dabei alle Gruppen..<br />

Es schließt sich eine Phase <strong>de</strong>s ‚Rollenstudiums‘ an, in <strong>de</strong>m z.B. die Beitrittskandidaten auch ihre<br />

Präsentation erarbeiten sollen. Die Spielergruppen sollten bereits in dieser Phase informelle Gespräche mit<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Gruppen führen: Z.B. „Koalitionsgespräche“ zwischen <strong>de</strong>n Befürwortern im <strong>EU</strong>-Ministerrat<br />

untereinan<strong>de</strong>r und mit <strong>de</strong>n jeweiligen „Favoriten“ unter <strong>de</strong>n Beitrittskandidaten.<br />

Im ersten Teil <strong>de</strong>s Spiels sollen die Ministerratsgruppen zunächst in knappen Statements ihre Vorstellungen<br />

einer künftigen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> referieren. In <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n<br />

Diskussion soll versucht wer<strong>de</strong>n, eine gemeinsame Position zu fin<strong>de</strong>n, diese in einem Schlusskommuniqué<br />

als politisches Ziel zu formulieren und zu beschließen. Anträge zur Außen- und Sicherheitspolitik müssen<br />

einstimmig verabschie<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, damit sie offizielle Beschlüsse <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> sind.<br />

In <strong>de</strong>r zweiten Spielphase stellen sich in alphabetischer Reihenfolge die Beitrittskandidaten <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-<br />

Ministern sowie <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission in Kurzporträts vor. Anschließend an je<strong>de</strong> Präsentation können/sollen<br />

die Vertreter <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r noch weiter befragt wer<strong>de</strong>n. Unter Berücksichtigung dieser<br />

Vorstellungsrun<strong>de</strong> und auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r offiziellen politischen und wirtschaftlichen Auswahlkriterien – diese<br />

liegen allen Spielergruppen mit <strong>de</strong>r Anlage A.1 und A.2 vor – wählt die <strong>EU</strong>-Kommission diejenigen Län<strong>de</strong>r<br />

aus, mit <strong>de</strong>nen weitere Verhandlungen geführt wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

Danach verhan<strong>de</strong>ln die sieben Län<strong>de</strong>rvertreter im <strong>EU</strong>-Ministerrat mit <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Kommission<br />

vorgeschlagenen Beitrittskandidaten. Die Verhandlungen kreisen dabei einerseits um die z.T.<br />

unterschiedlichen Interessen bzw. sich wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten sowie an<strong>de</strong>rerseits<br />

um die konkreten Erwartungen ("Wunschliste") <strong>de</strong>r Aufnahmekandidaten an die <strong>EU</strong>. Die einzelnen<br />

Verhandlungsrun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n von einem Vertreter <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission (in <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-<br />

Kommissionspräsi<strong>de</strong>nten) geleitet.<br />

Dieser Spielteil wird ebenfalls mit einer Abstimmung unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rvertretern abgeschlossen - je<strong>de</strong><br />

Län<strong>de</strong>rgruppe hat dabei nur eine Stimme, die <strong>EU</strong>-Kommission darf nicht mitstimmen! Auch bei dieser<br />

Abstimmung gilt das Einstimmigkeitsprinzip, d.h. nur solche Län<strong>de</strong>r sind aufgenommen, die von allen<br />

Gruppen eine Ja-Stimme erhalten haben.<br />

In <strong>de</strong>r Abschlussre<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kommissionspräsi<strong>de</strong>nten wird das Verhandlungsergebnis verkün<strong>de</strong>t und die<br />

Konferenz formell been<strong>de</strong>t.<br />

Für Rückmeldungen, Anregungen und Kritik sind wir dankbar.<br />

Das Copyright liegt bei <strong>de</strong>r Studienstätte für Politik und Zeitgeschehen München e.V.<br />

Vervielfältigung – außer zur Verwendung im Unterricht bzw. im Seminarbetrieb – ist nicht gestattet.<br />

- 4 -


Konferenz <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrats<br />

zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

und zur Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong><br />

Tagesordnung<br />

11.15 Uhr: Eröffnung <strong>de</strong>r Konferenz<br />

Begrüßung und Vorstellung <strong>de</strong>r anwesen<strong>de</strong>n Minister und Exzellenzen<br />

Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten/<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

11.20 Uhr: Verhandlungsrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Außenminister über die zukünftige Außen-<br />

und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

12.00 Uhr: Mittagspause<br />

Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Außen- und<br />

Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

Positionen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r (kurze Statements <strong>de</strong>r Minister)<br />

Diskussion<br />

Mo<strong>de</strong>ration: Präsi<strong>de</strong>nt/in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

Beschluss <strong>de</strong>r Minister über die Außen- und Sicherheitspolitik<br />

(Offizielle Beschlüsse <strong>de</strong>s Ministerrats zur Außen- und<br />

Sicherheitspolitik müssen einstimmig gefasst wer<strong>de</strong>n.)<br />

13.30 Uhr: Vorstellung <strong>de</strong>r beitrittswilligen Staaten in alphabetischer Reihenfolge<br />

durch die Botschafter (ca. 10 – 15 Minuten)<br />

Jeweils im Anschluss an eine Präsentation:<br />

Befragung <strong>de</strong>r Botschafter durch die Minister und <strong>EU</strong>-Kommissare<br />

Mo<strong>de</strong>ration: Präsi<strong>de</strong>nt/in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

14.30 Uhr: Kaffeepause<br />

15.00 Uhr: Fortsetzung <strong>de</strong>r Präsentation <strong>de</strong>r Botschafter und<br />

<strong>de</strong>r Fragerun<strong>de</strong> mit Ministern und Kommissaren<br />

15.30 Uhr: Interne Beratung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission über die Stellungnahme<br />

zu <strong>de</strong>n Beitrittsgesuchen <strong>de</strong>r drei Län<strong>de</strong>r<br />

Mehrheitsbeschluss über eine Empfehlung an <strong>de</strong>n Ministerrat,<br />

mit welchen Län<strong>de</strong>rn Aufnahmeverhandlungen geführt wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

15.45 Uhr: Verhandlungsrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrats mit <strong>de</strong>n Botschaftern<br />

<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Beitritt vorgeschlagenen Län<strong>de</strong>r<br />

Abschlussberatung <strong>de</strong>s Ministerrats über die Annahme <strong>de</strong>r<br />

Beitrittsgesuche, die Aufnahmebedingungen und die Fristen<br />

für die Gewährung <strong>de</strong>r vollen Mitgliedsrechte<br />

Abstimmung über <strong>de</strong>n Vorschlag <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

(Offizielle Beschlüsse zur Aufnahme neuer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong><br />

müssen einstimmig gefasst wer<strong>de</strong>n.)<br />

16.25 Uhr Abschlussre<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten/<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

mit Bekanntgabe <strong>de</strong>r Beschlüsse <strong>de</strong>s Ministerrats<br />

16.30 Uhr: En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Konferenz<br />

- 5 -


Kroatien Verhandlungsstrategie<br />

Sie sind <strong>de</strong>r Vertreter Kroatiens. Das Land grenzt im Nor<strong>de</strong>n an Slowenien, im Osten an Ungarn - bei<strong>de</strong>s<br />

<strong>EU</strong>-Mitglie<strong>de</strong>r seit Mai 2004; im Südosten wird Kroatien durch die Donau von Serbien getrennt, während es<br />

das geographische Dreieck Bosnien und Herzegowina sichelförmig umschließt.<br />

Porträt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s:<br />

Kroatien kennen viele als Urlaubsparadies, das im Sommer Ziel von Millionen Touristen aus ganz<br />

Europa ist. Die oft schroffe, felsige Küstenlandschaft bietet immer wie<strong>de</strong>r romantische Ausblicke<br />

auf vorgelagerte Inseln. Die Küste ist auch i<strong>de</strong>al für Segler, die hier ein abwechslungsreiches<br />

Segelrevier vorfin<strong>de</strong>n, das vor zu starkem Wellengang geschützt ist. Ebenso attraktiv sind die<br />

Meeresbuchten für Schnorchler und Taucher, <strong>de</strong>nn das kristallklare Wasser bietet ausgezeichnete<br />

Sichtverhältnisse, optimal für die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r reichhaltigen Unterwasserwelt. Daneben ist das<br />

Land mit architektonischen und kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten reich gesegnet: Die Altstadt<br />

Dubrovniks, im Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r dalmatinischen Küste, ist im wesentlichen seit 1667 unverän<strong>de</strong>rt<br />

geblieben und wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Zadar, die ehemalige Hauptstadt<br />

Dalmatiens weiter im Nor<strong>de</strong>n, ist geprägt durch wehrhafte Stadtmauern und schlanke Kirchtürme.<br />

Aus römischer Zeit sind z.B. <strong>de</strong>r Diokletian-Palast in Split o<strong>de</strong>r das Amphitheater in Pula erhalten.<br />

Viele an<strong>de</strong>re Küstenstädte können mit barocken Klöstern, Kirchen und Palästen aufwarten.<br />

Die Halbinsel Istrien und die lange dalmatinische Küste mit ihren über 1200 Inseln sind sozusagen<br />

das touristische Antlitz Kroatiens, das aber im Osten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ein gänzlich an<strong>de</strong>res Gesicht<br />

zeigt: Hinter <strong>de</strong>n bewal<strong>de</strong>ten Bergzügen <strong>de</strong>r Dinarischen Alpen erstrecken sich die weiten,<br />

fruchtbaren Ebenen Slawoniens, durchsetzt mit Eichen- und Kieferwäl<strong>de</strong>rn. Hier wird intensiv<br />

Landwirtschaft betrieben, wobei vor allem Mais- und Weinanbau vorherrschen. Auch diese Region<br />

hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten, befin<strong>de</strong>t sich jedoch quasi in einem touristischen<br />

Dornröschenschlaf.<br />

Zagreb ist Hauptstadt und mit fast 700.000 Einwohnern zugleich größte Stadt Kroatiens. Seit <strong>de</strong>m<br />

Mittelalter kulturelles Zentrum <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s präsentiert sie sich heute als pulsieren<strong>de</strong> Metropole mit<br />

einer sehr aktiven Kulturszene, die <strong>de</strong>nnoch einen ehrwürdigen k.u.k. Charme ausstrahlt.<br />

An Bo<strong>de</strong>nschätzen besitzt Kroatien vor allem Ölschiefer, Kohle, Phosphor und Mineralien.<br />

Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind neben <strong>de</strong>m Tourismus die Lebensmittelverarbeitung,<br />

die Chemie-, die Textilindustrie, die Transportmittelherstellung und <strong>de</strong>r Maschinenbau.<br />

Das im neobarocken Stil errichtete Kroatische Nationaltheater in Zagreb<br />

Bereits 1990 hatte es in Kroatien, wie auch in Slowenien, damals bei<strong>de</strong> noch Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien, die ersten freien und geheimen Wahlen gegeben. Sie brachten <strong>de</strong>n<br />

Befürwortern einer Eigenstaatlichkeit eine Mehrheit. Im Frühjahr 1991 stimmten bei einer Volksbefragung<br />

93,2 % <strong>de</strong>r Bevölkerung für <strong>de</strong>n Austritt Kroatiens aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien und für die<br />

Unabhängigkeit, die das kroatische Parlament, <strong>de</strong>r Sabor, dann am 25. Juni 1991 formell beschloss. Dies<br />

war wie zuvor im Falle Sloweniens und später Bosniens Auslöser kriegerischer Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m<br />

nun serbisch dominierten Rest-Jugoslawien, die mit <strong>de</strong>r Besetzung <strong>de</strong>r Krajina, <strong>de</strong>m Hinterland <strong>de</strong>r Adria,<br />

durch das jugoslawische Bun<strong>de</strong>sheer bzw. serbische Milizen ihren vorläufigen Höhepunkt fan<strong>de</strong>n (s.a. S.8).<br />

Untrennbar ist Kroatiens Kampf um staatliche Selbständigkeit mit <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>s ersten Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

Republik, Franjo Tudjman, verbun<strong>de</strong>n. Dessen unbeirrtem Einsatz ist es zu verdanken, dass das Land nicht<br />

nur die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft fand (die <strong>EU</strong> hat Kroatien im Januar<br />

1992 als souveränen Staat anerkannt), son<strong>de</strong>rn auch im Frie<strong>de</strong>nsabkommen von Dayton (21.11.1995) die<br />

ursprüngliche territoriale Form von 1991 garantiert bekam. Bei seinen militärischen Feldzügen um die<br />

Rückeroberung <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Serben eroberten Gebiete im Mai bzw. August 1995 hatte Kroatien allerdings<br />

keine Unterstützung durch die westliche Staatengemeinschaft, sei es USA o<strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, erhalten.<br />

Während diese Verdienste Tudjmans unbestritten sind, stand sein Name aber auch für eine autoritäre<br />

Politik nach innen: Tudjman respektierte die <strong>de</strong>mokratischen Spielregeln nur unzureichend und gängelte<br />

ihm kritisch eingestellte Presseorgane. Maßgeblich ist er auch schuld für <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Stillstand<br />

Mitte <strong>de</strong>r 90er Jahre, <strong>de</strong>r das Land z.B. im Vergleich mit seinem kleineren westlichen Nachbarn Slowenien<br />

weit zurückfallen ließ. So ist das Pro-Kopf-Einkommen in Kroatien <strong>de</strong>utlich niedriger wie dort; und während<br />

- 6 -


Slowenien seit Mai 2004 Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union ist, hat die <strong>EU</strong> mit Kroatien erst im Februar 2005<br />

ein Assoziierungsabkommen (Partnerschaft und Zusammenarbeit) abgeschlossen.<br />

Unverantwortlich, unnötig und in <strong>de</strong>r Konsequenz für Tausen<strong>de</strong> von Menschen mit unendlichem Leid<br />

verbun<strong>de</strong>n, war <strong>de</strong>r Angriff kroatischer Milizen 1993 auf muslimische Gemein<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n überwiegend von<br />

Kroaten besie<strong>de</strong>lten Gebieten Bosniens. Dies war ebenso ein völkerrechtswidriger Akt einer ethnischen<br />

Säuberung auf frem<strong>de</strong>m Territorium wie zwei Jahre zuvor die serbischen Angriffe auf kroatische Siedlungen<br />

in <strong>de</strong>r Krajina. Der Befehl für diese militärischen Operationen kam sicherlich von Präsi<strong>de</strong>nt Tudjman selbst.<br />

Mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> Tudjmans im Dezember 1999 und <strong>de</strong>n unmittelbar darauf angesetzten Parlaments- und<br />

Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahlen kam es in Kroatien zu einer Wen<strong>de</strong>. Die Sozial<strong>de</strong>mokraten, die nun die Regierung<br />

stellten, setzten Reformen durch, die Demokratie und freie Marktwirtschaft stärken und das Land<br />

schrittweise an die Europäische Union heranführen sollten; <strong>de</strong>n Aufnahmeantrag für die <strong>EU</strong> reichte die<br />

kroatische Regierung offiziell am 21. Februar 2003 in Brüssel ein. Auch auf <strong>de</strong>n außenpolitischen<br />

Konfliktfel<strong>de</strong>rn, z.B. <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Bevölkerung umstrittenen Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Internationalen<br />

Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, entsprach die Regierung <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r internationalen<br />

Staatengemeinschaft und <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und überstellte noch im Jahr 2000 mehrere als Kriegsverbrecher<br />

i<strong>de</strong>ntifizierte Militärs <strong>de</strong>m Haager Gericht. (Unter Tudjman hatte sich Kroatien meist geweigert, solche<br />

Personen auszuliefern.) Im Februar 2000 wur<strong>de</strong> Stipe Mesić zum Staatspräsi<strong>de</strong>nt gewählt.Nicht zuletzt<br />

wegen seiner <strong>de</strong>mokratischen Gesinnung und seiner Europaorientierung wur<strong>de</strong> er 2005 mit großer Mehrheit<br />

wie<strong>de</strong>rgewählt. Der im Januar 2010 neu gewählte Präsi<strong>de</strong>nt Ivo Josipovic steht ebenfalls für einen<br />

europafreundlichen Kurs.<br />

Bei <strong>de</strong>n Parlamentswahlen im November 2003 kam es zu einem Regierungswechsel. Diesmal konnten die<br />

Konservativen wie<strong>de</strong>r die Mehrheit erreichen. Ministerpräsi<strong>de</strong>nt wur<strong>de</strong> Ivo Sana<strong>de</strong>r (2008 wie<strong>de</strong>rgewählt,<br />

2009 zurückgetreten); er setzte <strong>de</strong>n außenpolitischen Kurs <strong>de</strong>r Vorgängerregierung fort.<br />

Wichtigste Ziele <strong>de</strong>r kroatischen Regierung:<br />

• Sana<strong>de</strong>r verkün<strong>de</strong>te schon kurz nach seinem ersten Wahlsieg, dass sich Kroatien <strong>de</strong>r NATO<br />

(nordatlantisches Verteidigungsbündnis) und <strong>de</strong>r Europäischen Union anschließen wolle. Die Aufnahme<br />

in die NATO ist inzwischen erfolgt (zum 1. April 2009 zusammen mit Albanien).<br />

• Weitere Normalisierung <strong>de</strong>r Beziehungen zu Serbien und Montenegro bzw. Bosnien und Herzegowina<br />

und verstärkte Zusammenarbeit auf allen politischen und wirtschaftlichen Fel<strong>de</strong>rn.<br />

• Verbesserte Integration <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten, vor allem in <strong>de</strong>n Gebieten mit serbischer Bevölkerung, in <strong>de</strong>r<br />

Krajina und in Ostslawonien. Neu- bzw. Wie<strong>de</strong>raufbau zerstörter Wohnhäuser serbischer Flüchtlinge in<br />

<strong>de</strong>n Kriegsregionen und weitere Maßnahmen, um <strong>de</strong>n rückkehrwilligen Serben <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>ranfang in<br />

ihren Heimatgebieten zu erleichtern, z.B. Berücksichtigung bei <strong>de</strong>r Arbeitsvermittlung, Zugang zu<br />

Sozialleistungen etc.<br />

• Steuersenkungen, um die Kaufkraft <strong>de</strong>r Bürger und somit auch ihren Konsum zu stärken.<br />

• Schaffung neuer Arbeitsplätze und Stabilisierung <strong>de</strong>r sozialen Lage <strong>de</strong>r Bevölkerung.<br />

• Fortsetzung <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>s Bildungswesens:<br />

Die Schulbildung im früheren Jugoslawien galt aufgrund <strong>de</strong>s hohen Anteils allgemeinbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />

Unterrichtsfächer und umfangreicher Stun<strong>de</strong>ntafeln traditionell als sehr gut. Im heutigen Kroatien<br />

– ist <strong>de</strong>r Besuch <strong>de</strong>r achtjährigen einheitlichen "Grundschule" für alle Kin<strong>de</strong>r verbindlich;<br />

– danach schließt sich in <strong>de</strong>r Regel die vierjährige "Technische Mittelschule" an; sie vermittelt neben<br />

weiterer Allgemeinbildung vor allem in <strong>de</strong>n ersten bei<strong>de</strong>n Jahren theoretische und praktische<br />

Kenntnisse, die zur Ausübung eines speziellen Berufes erfor<strong>de</strong>rlich sind. Erfolgreiche Absolventen<br />

können anschließend ein fachgebun<strong>de</strong>nes Hochschulstudium aufnehmen.<br />

Seit <strong>de</strong>r Unabhängigkeit wur<strong>de</strong> das Schulsystem in Kroatien laufend umgebaut, um eine Angleichung an<br />

die europäischen Systeme zu erreichen. So wur<strong>de</strong> z.B.<br />

– das Gymnasium wie<strong>de</strong>reingeführt (nach <strong>de</strong>r "Grundschule", Dauer vier Jahre) und<br />

– seit 1995 gibt es als Alternative zur Mittelschule ein "Duales System für die Berufsausbildung" nach<br />

<strong>de</strong>utschem Vorbild (praktische Ausbildung im Lehrbetrieb, theoretische Ausbildung in <strong>de</strong>r<br />

Berufsschule).<br />

– Statt großer Schulzentren, die viele Fachrichtungen und Abschlüsse anbieten, versucht man nun<br />

kleinere, spezialisierte Schulen mit einem einheitlichen Bildungsprogramm einzurichten.<br />

Allerdings verschlechterte sich in <strong>de</strong>n Jahren nach <strong>de</strong>r Unabhängigkeit zunächst das Bildungsniveau vor<br />

allem aufgrund drastischer Mittelkürzungen; z.B. musste die Lehrmittelfreiheit eingeschränkt wer<strong>de</strong>n und<br />

viele Schulen konnten das an sich vorbildliche Angebot an Wahlfächern, freien Aktivitäten und Neigungsgruppen<br />

nur in geringerem Umfang aufrecht erhalten. Seit 2000 kann man aber in <strong>de</strong>r Bildungspolitik von<br />

einem echten Neubeginn sowie einer tatsächlichen Annäherung an europäische Standards sprechen.<br />

Das Bildungswesen kann <strong>de</strong>n Bedarf <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes nach hoch qualifizierten Fachkräften nicht ganz<br />

erfüllen. Dies hat auch die Regierung erkannt, die ab 2007 per Verfassungsän<strong>de</strong>rung die Schulpflicht von<br />

acht auf zwölf Jahre verlängert hat. Alle jungen Kroaten kommen damit in <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>r 4-jährigen<br />

Sekundarstufe und einer damit verbun<strong>de</strong>nen beruflichen Grundausbildung. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> bereits 2005<br />

ein Bildungsplan verabschie<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r Maßnahmen zur Anhebung <strong>de</strong>s Unterrichts-Niveaus an <strong>de</strong>n Schulen<br />

vorsieht. Dazu gehören z.B. Fortbildungen für Lehrkräfte, mehr Finanzmittel für die Schulen und <strong>de</strong>r<br />

Wegfall patriotischer Inhalte aus <strong>de</strong>n Lehrplänen.<br />

- 7 -


Der Kroatische Unabhängigkeitskrieg von 1991 bis 1995<br />

Noch bevor die damalige jugoslawische Teilrepublik Kroatien ihre staatliche Unabhängigkeit von <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien erklärt hatte, versuchte die serbische Mehrheit in ihren Siedlungsgebieten in<br />

<strong>de</strong>r Krajina und in Slawonien (s. Karte) vollen<strong>de</strong>te Tatsachen zu schaffen: Im August 1990 blockierten<br />

serbische Milizionäre unter Duldung <strong>de</strong>s jugoslawischen Bun<strong>de</strong>sheeres die direkten Straßenverbindungen<br />

zwischen Nordkroatien und Dalmatien und unterbrachen die einzige Eisenbahnverbindung. Ziel dieser<br />

sogenannten „Baumstamm-Revolution" war die Bildung einer autonomen "Republik Serbische Krajina" mit<br />

enger Anbindung an Serbien und Montenegro und die Vertreibung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Volksgruppen aus diesen<br />

Gebieten. Nach <strong>de</strong>r Unabhängigkeitserklärung Kroatiens im Juni 1991 verfolgten die serbischen Milizen das<br />

Ziel einer "ethnischen Säuberung" <strong>de</strong>r Krajina mit immer brutaleren Angriffen gegen die dortige kroatische<br />

o<strong>de</strong>r muslimische Bevölkerung. Mit Unterstützung <strong>de</strong>s jugoslawischen Bun<strong>de</strong>sheeres, das nun offen auf<br />

ihrer Seite stand, gelang es <strong>de</strong>n serbischen Einheiten bis zum Frühjahr 1992 ca. 33% <strong>de</strong>s kroatischen<br />

Territoriums unter ihre Kontrolle zu bringen und die meisten serbischen Siedlungsgebiete aus Kroatien<br />

herauszulösen. Die Altstadt von Dubrovnik, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, wur<strong>de</strong> durch serbischen<br />

Artilleriebeschuss stark in Mitlei<strong>de</strong>nschaft gezogen, während das barocke Vukovar im Osten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s bei<br />

<strong>de</strong>r Einnahme durch die Serben fast gänzlich zerstört wur<strong>de</strong>. 245.000 Kroaten und Muslime waren aus ihren<br />

Häusern geflohen o<strong>de</strong>r gewaltsam vertrieben wor<strong>de</strong>n; dabei wur<strong>de</strong>n viele von serbischen Milizionären<br />

misshan<strong>de</strong>lt, vergewaltigt o<strong>de</strong>r ermor<strong>de</strong>t. Es<br />

gab Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> von Flüchtlingen im<br />

Land, die untergebracht und versorgt<br />

wer<strong>de</strong>n mussten. Kroatien war außer<strong>de</strong>m<br />

durch <strong>de</strong>n serbischen Eroberungskrieg<br />

zerschnitten wor<strong>de</strong>n und die dalmatinische<br />

Küste praktisch vom Rest <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

abgeschnitten. Der Tourismus, Kroatiens<br />

wichtigste Einnahmequelle, war zusammengebrochen<br />

und als Folge davon die<br />

Arbeitslosigkeit stark angestiegen.<br />

Erst dreieinhalb Jahre später, in <strong>de</strong>n<br />

erfolgreichen Militäroperationen von Mai und<br />

August 1995, gelang es <strong>de</strong>r kroatischen<br />

Armee, diese Gebiete wie<strong>de</strong>r zurück zu<br />

erobern; jetzt verließen die Serben in<br />

Massenfluchten ihre Wohnsitze in <strong>de</strong>r<br />

Krajina, obwohl <strong>de</strong>r kroatische Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Tudjman sie zum Bleiben aufgefor<strong>de</strong>rt hatte<br />

- die Angst davor, dass die Kroaten Rache<br />

für die gewaltsame Vertreibung von 1991<br />

und 1992 üben und ihrerseits die Serben<br />

ähnlich behan<strong>de</strong>ln könnten, war größer.<br />

Tatsächlich sind von kroatischer Seite in einer ganzen Reihe von Fällen Kriegsverbrechen begangen<br />

wor<strong>de</strong>n, wenn es auch keine systematischen gewalttätigen Vertreibungen wie zuvor auf serbischer Seite<br />

gab. Allerdings musste sich die kroatische Regierung lange vorwerfen lassen, in manchen Fällen nicht in<br />

vollem Umfang mit <strong>de</strong>m für die Aufklärung und Verfolgung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien<br />

zuständigen UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammengearbeitet zu haben. Die Chefanklägerin<br />

<strong>de</strong>s internationalen Gerichts, Carla <strong>de</strong>l Ponte, verlangte von <strong>de</strong>r Regierung in Zagreb z.B. wie<strong>de</strong>rholt die<br />

Auslieferung <strong>de</strong>s bereits im Juni 2001 wegen Kriegsverbrechen angeklagten Ex-Generals Ante Gotovina.<br />

Der Fall lan<strong>de</strong>te im August 2003 vor <strong>de</strong>m UN-Sicherheitsrat, <strong>de</strong>r Kroatien auffor<strong>de</strong>rte, Gotovina ausfindig zu<br />

machen und zu überstellen. Auch die <strong>EU</strong>, die zur Überzeugung gelangt war, dass sich Gotovina "sehr wohl<br />

in Reichweite <strong>de</strong>r kroatischen Regierung befin<strong>de</strong>t", schloss sich <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Gerichts an.<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Ivo Sana<strong>de</strong>r hatte bei seinem Regierungsantritt im Dezember 2003 volle Zusammenarbeit<br />

mit <strong>de</strong>m UN-Kriegsverbrechertribunal versprochen. Ein erster "Beweis" <strong>de</strong>s Kooperationswillens <strong>de</strong>r<br />

Regierung war darin zu sehen, dass im März 2004 zwei ehemalige Generäle nach Den Haag überstellt<br />

wur<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong>n für die Vertreibung von Zehntausen<strong>de</strong>n Krajina-Serben sowie für die Ermordung von<br />

min<strong>de</strong>stens 150 Serben mitverantwortlich gemacht. Zwar verwahrte sich Sana<strong>de</strong>r dagegen, dass <strong>de</strong>r<br />

"vaterländische Krieg" und die Eroberung überwiegend von Serben bewohnter Gebiete als ethnische<br />

Säuberung hingestellt wür<strong>de</strong>n, stellte jedoch auch klar, dass "diese Anklagen nur vor <strong>de</strong>m UN-<br />

Kriegsverbrechertribunal wi<strong>de</strong>rlegt wer<strong>de</strong>n" könnten. Am 8.12.2005 konnte schließlich Ante Gotovina in<br />

seinem Fluchtdomizil auf Teneriffa gefasst und an das Haager Gericht überstellt wer<strong>de</strong>n. Er wur<strong>de</strong> im April<br />

2011 zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Der ebenfalls angeklagte Ex-General Mla<strong>de</strong>n Markac erhielt eine<br />

Gefängnisstrafe von 18 Jahren.<br />

Auf folgen<strong>de</strong> Basisdaten können Sie zurückgreifen:<br />

- 8 -


Fläche: 56.594 qkm<br />

Einwohner: 4.442.000 (2007)<br />

Ethnische Gruppen: Kroaten 92,5 % Bosniaken 0,5 %<br />

Serben 4,5 % Italiener 0,5 %<br />

Ungarn 0,5 % Sonstige 1,5 %<br />

Staatsform: Parlamentarische Demokratie<br />

Einkammerparlament "Sabor" mit 153 Sitzen, davon 8 Sitze für die nationalen<br />

Min<strong>de</strong>rheiten; 5 Sitze für Auslandskroaten; Verhältniswahl alle 4 J.<br />

Staatspräsi<strong>de</strong>nt mit politischen Zuständigkeiten vor allem in <strong>de</strong>r Außenpolitik,<br />

direkte Volkswahl alle 5 Jahre<br />

Hauptstadt: Zagreb<br />

Wirtschaftssektoren: Landwirtschaft Industrie und Bau Dienstleistung<br />

Anteil am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP - jeweils 2005)<br />

Anteil an <strong>de</strong>r Beschäftigung (2005):<br />

6,7 %<br />

17 %<br />

29,5 %<br />

29 %<br />

63,8 %<br />

Wichtigste Importgüter: Maschinen und Fahrzeuge, industrielle Vorprodukte, Baumaterialien<br />

Wichtigste Exportgüter:<br />

Ausländische Investitionen (1993 - 2008):<br />

54 %<br />

Schiffe, Maschinenbauerzeugnisse, Fertigwaren, Chemikalien, Textilien<br />

21,1 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

BIP pro Kopf: 16.000 Euro (2008)<br />

gemessen nach kroatischem Preisniveau; <strong>EU</strong>-Durchschnitt: ca. 25.100 Euro<br />

BIP pro Kopf im Verhältnis zum <strong>EU</strong>-Durchschnitt: 64 %<br />

2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />

Wachstumsrate BIP: 4,3 % 4,5 % 5,6 % 3,5 % - 5,8 % - 1,8 %<br />

Inflationsrate: 3,3 % 3,6 % 5,8 % 6,0 % 1,2 % 1,2<br />

Staatliche Neuverschuldung:<br />

(in Prozent <strong>de</strong>s BIP)<br />

Arbeitslosigkeit:<br />

(jeweils am Jahresen<strong>de</strong> gemessen):<br />

Nach <strong>EU</strong>-Berechnung:<br />

3,7 %<br />

18,0% *)<br />

12,4 %<br />

keine Zahlen<br />

vorhan<strong>de</strong>n<br />

17,0 % *<br />

11,8 %<br />

keine Zahlen<br />

vorhan<strong>de</strong>n<br />

--<br />

9,6 %<br />

keine Zahlen<br />

vorhan<strong>de</strong>n – --<br />

--<br />

8,4 %<br />

--<br />

9,5 %<br />

--<br />

ca. 9,0 %<br />

*) Offizielle Zahlen<br />

Licht und Schatten bietet die Bestandsaufnahme <strong>de</strong>r wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kroatien:<br />

• Seit <strong>de</strong>r Unabhängigkeit Kroatiens im Jahr 1991 gab es aufgrund kriegsbedingter Schä<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>s Wegfalls<br />

<strong>de</strong>r früheren Absatzmärkte in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren jugoslawischen Teilrepubliken einen Produktionseinbruch<br />

in <strong>de</strong>r Industrie, <strong>de</strong>r verantwortlich für <strong>de</strong>n starken Rückgang <strong>de</strong>s Bruttosozialprodukts und die zunehmen<strong>de</strong><br />

Verarmung breiter Schichten <strong>de</strong>r Bevölkerung in <strong>de</strong>n 90er Jahren war. Verglichen mit an<strong>de</strong>ren Staaten<br />

Süd-Ost-Europas ist das Lohnniveau in Kroatien zwar hoch, doch lebt immer noch ein Teil <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung unterhalb <strong>de</strong>r Armutsgrenze.<br />

• In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat es aber in Kroatien bis zum Krisenjahr 2009 ein stabiles Wachstum gegeben,<br />

wie die Tabelle zeigt. Zur Zeit wer<strong>de</strong>n zwei ehrgeizige Verkehrsprojekte (<strong>de</strong>r Bau <strong>de</strong>s Donau-Save Kanals<br />

und die Schnellbahntrasse von Rijeka über Zagreb an die ungarische Grenze) vorangetrieben, mit <strong>de</strong>nen<br />

wirtschaftlich rückständige Gebiete, z.B. die Region um Vukovar (Slawonien) näher an das Zentrum angebun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

• Die Privatisierung von staatlichen Unternehmen betreibt die Regierung zumin<strong>de</strong>st in einigen Sektoren<br />

mit Nachdruck; so sind z.B. im Bankenbereich bereits 95 % aller Banken in privater Hand. Nur im Stahl-<br />

und Schiffsbau hält <strong>de</strong>r Staat noch nennenswerte Anteile an Unternehmen. Die Neugründungen von<br />

Firmen nahmen allein 2005 um über 15 % zu, wobei hierzu auch die verbesserten Rahmenbedingungen<br />

für Unternehmen beitrugen: z.B. können Handwerker, die sich selbständig machen wollen, ihre Betriebe<br />

auch online anmel<strong>de</strong>n und die Registrierung von Unternehmen erfor<strong>de</strong>rt im Schnitt nur noch fünf Tage.<br />

Insgesamt trägt <strong>de</strong>r Privatsektor mehr als 60 % zum BIP bei und stellt 68 % aller Beschäftigten, was eine<br />

<strong>de</strong>utliche Verbesserung <strong>de</strong>r Wirtschaftsstruktur <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s darstellt.<br />

• Der Tourismus entwickelt sich zur stärksten Stütze <strong>de</strong>r Wirtschaft und erwirtschaftet allein rund 20 % <strong>de</strong>s<br />

BIP. Kroatien gilt im internationalen Vergleich als ebenso sicheres wie attraktives Urlaubsland. Mit über<br />

11 Millionen Touristen 2008 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vorkriegsstand um etwa 3 Mill. Besucher übertroffen.<br />

• Das soziale Sicherungssystem Kroatiens beruht auf <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r Pflichtversicherung und umfasst<br />

alle traditionellen Zweige <strong>de</strong>r sozialen Sicherung. Die <strong>EU</strong>-Kommission urteilte in ihrem Län<strong>de</strong>rbericht von<br />

2004, dass "Kroatien gemessen an seiner Wirtschaftskraft über ein relativ großzügiges Sozialschutzsystem<br />

verfügt." Im Zuge <strong>de</strong>r Reformen <strong>de</strong>r vergangenen Jahren wur<strong>de</strong> u.a. ein auf drei Säulen basieren<strong>de</strong>s<br />

Rentensystem eingeführt und 2003 hat die Regierung eine Gesundheitsreform eingeleitet, die vor allem<br />

durch eine Ausweitung <strong>de</strong>r Gesundheitsför<strong>de</strong>rung und durch präventive Programme <strong>de</strong>n Gesundheitszustand<br />

<strong>de</strong>r Bevölkerung verbessert.<br />

- 9 -


Trotz wichtiger politischer Reformen, die in Kroatien während <strong>de</strong>r letzten Jahre auf <strong>de</strong>n Weg gebracht wur<strong>de</strong>n,<br />

und trotz <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Erholung hat das Land noch viele Herausfor<strong>de</strong>rungen anzunehmen, bevor es<br />

Mitglied <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wer<strong>de</strong>n kann. Dies war auch <strong>de</strong>m früheren Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Ivo Sana<strong>de</strong>r bewusst, <strong>de</strong>r 2004<br />

gegenüber <strong>de</strong>m damaligen Kommissionspräsi<strong>de</strong>nt Prodi versicherte, er wolle Kroatien mit umfangreichen<br />

Reformen für <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Beitritt rüsten.<br />

1. Die wichtigste außen- wie innenpolitische Herausfor<strong>de</strong>rung stellt die völlige Aussöhnung mit <strong>de</strong>m<br />

ehemaligen Kriegsgegner Serbien und Montenegro dar: Der Besuch von Staatspräsi<strong>de</strong>nt Stipe Mesic bei<br />

seinem serbischen Amtskollegen Kostunica Anfang September 2003 in Belgrad markiert hier einen<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wen<strong>de</strong>punkt: Zum ersten Mal drückten bei<strong>de</strong> Staatspräsi<strong>de</strong>nten ihr Bedauern über die<br />

Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung durch illegitime Vertreibungen o<strong>de</strong>r Pogrome (gewaltsame Ausschreitungen)<br />

<strong>de</strong>r jeweils an<strong>de</strong>ren Volksgruppe aus. Schwerer als auf Regierungsebene ist die Normalisierung <strong>de</strong>s<br />

Verhältnisses <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Ethnien zu erreichen: Zwar kehrten in <strong>de</strong>n letzten Jahren etwa 130.000<br />

serbischstämmige Flüchtlinge nach Kroatien zurück, doch halten sich immer noch Flüchtlinge aus Kroatien<br />

in Serbien und Montenegro auf; die meisten von ihnen <strong>de</strong>swegen, weil ihre angestammten Häuser und<br />

Wohnungen jetzt von Kroaten bewohnt wer<strong>de</strong>n. Inzwischen hat aber das kroatische Parlament <strong>de</strong>n<br />

gesetzlichen Rahmen für die Rückgabe <strong>de</strong>s Eigentums an die rechtmäßigen Besitzer geschaffen. Zusätzlich<br />

legte die Regierung ein Wie<strong>de</strong>raufbauprogramm für die zerstörten Häuser und Wohnungen <strong>de</strong>r<br />

serbischstämmigen Flüchtlinge auf. Bislang sind rund 150.000 von 200.000 Häusern und Wohnungen, die<br />

im Krieg zerstört wor<strong>de</strong>n waren, für rückkehrwillige serbische Familien wie<strong>de</strong>raufgebaut wor<strong>de</strong>n,<br />

2. Dass es die kroatische Regierung ernst meint mit <strong>de</strong>m Aussöhnungsgedanken, beweist die von Erfolg<br />

gekrönte Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien in Den Haag. Der<br />

UN-Sicherheitsrat und die Europäische Union haben die Regierung wie<strong>de</strong>rholt aufgefor<strong>de</strong>rt, alle<br />

Verantwortlichen für Verbrechen an <strong>de</strong>r serbischen bzw. muslimischen Zivilbevölkerung bei <strong>de</strong>n kroatischen<br />

Militäroperationen von 1995 „Gewittersturm” und „Blitz” an das Haager Gericht zu überstellen. Am 8.12.2005<br />

konnte <strong>de</strong>r letzte flüchtige Hauptbeschuldigte, <strong>de</strong>r frühere General Ante Gotovina, auf Teneriffa verhaftet<br />

und nach Den Haag ausgeliefert wer<strong>de</strong>n. Er musste sich mit zwei weiteren Generälen für die Mor<strong>de</strong> an 150<br />

Serben verantworten, die bei <strong>de</strong>r Rückeroberung <strong>de</strong>r Krajina durch kroatische Einheiten begangen wur<strong>de</strong>n.<br />

3. Im Justizbereich, im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität sowie bei <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Polizei zu einer ebenso schlagkräftigen wie bürgernahen Einrichtung hat das Land mit immensen<br />

Schwierigkeiten zu kämpfen. So warten über 1,2 Millionen Strafsachen auf ihre Bearbeitung. Es fehlen<br />

erfahrene Richter, die auch komplizierte Rechtsfälle zu En<strong>de</strong> bringen könnten. Die Korruption hat praktisch<br />

alle Bereiche <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung erfasst. Auch die Korruption im Kleinen, z.B. Bestechung von<br />

Verkehrspolizisten, scheint allgemein toleriert zu wer<strong>de</strong>n. Aufklärungskampagnen von USKOK über die<br />

negativen Auswirkungen <strong>de</strong>r Korruption nicht zuletzt auf das Investitionsklima wer<strong>de</strong>n aber nur dann das<br />

Problembewusstsein <strong>de</strong>r breiten Bevölkerung schärfen, wenn die Justiz gleichermaßen gegen das übliche<br />

Schmieren von Beamten wie gegen die Korruption in <strong>de</strong>n Chefetagen vorgeht. Das organisierte Verbrechen,<br />

das Schmuggelgeschäfte aller Art betreibt, kann von <strong>de</strong>r personell und technisch unterlegenen Polizei noch<br />

nicht wirklich erfolgreich bekämpft wer<strong>de</strong>n.<br />

4. Die Kriegsfolgen sind auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine schwere Bür<strong>de</strong> für das Land. Bereits vor <strong>de</strong>m<br />

Krieg wirtschaftlich schwach entwickelte Gebiete, z.B. das dalmatinische Hinterland o<strong>de</strong>r die Bergregion zu<br />

Bosnien, wur<strong>de</strong>n durch Krieg und Vertreibung zusätzlich zerstört und entvölkert. Außer<strong>de</strong>m sind Tausen<strong>de</strong><br />

von Minen noch nicht geräumt. (Man schätzt die gesamte Fläche, die wegen Landminen nicht betreten bzw.<br />

bewirtschaftet wer<strong>de</strong>n kann, auf immer noch 3% <strong>de</strong>s Territoriums.) Für Wie<strong>de</strong>raufbau und Minenräumung<br />

muss <strong>de</strong>r Staat jährlich einen großen Anteil seines Haushalts zur Verfügung stellen.<br />

5. In <strong>de</strong>r Landwirtschaft dominieren kleine Familienbetriebe mit einer Betriebsgröße von weniger als einem<br />

Hektar; sie betreiben eine meist wenig rentable Subsistenzwirtschaft und könnten bei Aufnahme <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

in die <strong>EU</strong> wohl kaum mit <strong>de</strong>r Konkurrenz auf <strong>de</strong>m EG-Agrarmarkt mithalten.<br />

6. Zwar konnte Kroatien seit 1990 die Luftverschmutzung infolge eines Rückgangs <strong>de</strong>r Produktion <strong>de</strong>r<br />

Schwerindustrie vermin<strong>de</strong>rn und ist z.B. auch die Wassergüte <strong>de</strong>r Adria - an<strong>de</strong>rs als in Italien - im<br />

Allgemeinen gut bis sehr gut. Allerdings ist das Land im Bereich Abfallentsorgung und<br />

-wie<strong>de</strong>raufbereitung weit davon entfernt die <strong>EU</strong>-Standards zu erreichen: "Die Abfallwirtschaft stellt das<br />

einzige gravieren<strong>de</strong> Problem Kroatiens im Umweltbereich dar;" stellt die <strong>EU</strong>-Kommission in ihrem Bericht<br />

von 2004 fest. So gibt es etwa acht mal soviel illegale Deponien wie genehmigte, von <strong>de</strong>nen aber auch viele<br />

nicht <strong>de</strong>m Abfallgesetz entsprechen.<br />

Kroatien verfügt über kein eigenes Atomkraftwerk; das Land nutzt aber die in Slowenien als Joint-venture<br />

gebaute Anlage.<br />

7. Ein innenpolitisches Problem aber bleibt nach wie vor die Arbeitslosigkeit (2010: ca. 9 %) - unter jungen<br />

Leuten (15-24 Jahre) ist sie sogar noch <strong>de</strong>utlich höher. Sie kann nur langfristig durch Schaffung neuer<br />

Arbeitsplätze vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen gesenkt wer<strong>de</strong>n.<br />

- 10 -


Argumente für einen <strong>EU</strong>-Beitritt Kroatiens<br />

1. Kroatien versteht sich als zutiefst europäisches Land und hat nach <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Vertrages Anspruch auf<br />

Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r Europäischen Union (siehe auch Anlage A.1).<br />

2. Ihr Land erfüllt bereits viele wesentliche Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für <strong>de</strong>n Beitritt (A.2):<br />

• Demokratischer Rechtsstaat:<br />

Mit <strong>de</strong>r Verfassungsreform von 2001 ist Kroatien auf <strong>de</strong>m Weg zur völligen Demokratisierung ein gutes Stück vorangekommen.<br />

Noch vor <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit war in <strong>de</strong>r damals sozialistischen Teilrepublik eine Verfassung ausge -<br />

arbeitet wor<strong>de</strong>n, die bereits die Grundlage für einen <strong>de</strong>mokratischen Rechtsstaat geschaffen hatte. Mit <strong>de</strong>n Än<strong>de</strong>rungen von<br />

2001 wur<strong>de</strong> vor allem die Machtfülle <strong>de</strong>s Staatspräsi<strong>de</strong>nten beschränkt und Befugnisse dieses Amtes an die Regierung<br />

bzw. das Parlament übertragen.<br />

Im Dezember 2002 wur<strong>de</strong> ein Verfassungsgesetz über die Rechte <strong>de</strong>r nationalen Min<strong>de</strong>rheiten verabschie<strong>de</strong>t. Es<br />

garantiert u.a. das Anrecht auf muttersprachlichen Unterricht in <strong>de</strong>n Gebieten, wo 1/3 <strong>de</strong>r Bevölkerung Min<strong>de</strong>rheiten sind,<br />

und die Besetzung <strong>de</strong>r Stellen bei Polizei und Justiz durch die Volksgruppen proportional zum jeweiligen<br />

Bevölkerungsanteil.<br />

Das neue Polizeigesetz von Januar 2001 hat bereits Verbesserungen erbracht: Der Polizeiapparat wur<strong>de</strong> umgebaut und<br />

<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gelten<strong>de</strong>n Standards angepasst.<br />

Zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität wur<strong>de</strong> ein eigenes Amt eingerichtet (USKOK), das<br />

mittlerweile in enger Kooperation mit <strong>de</strong>r Polizei, <strong>de</strong>m Finanzministerium und <strong>de</strong>r Steuerbehör<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Auf<strong>de</strong>ckung von<br />

Korruptions- und Betrugsfällen im öffentlichen Bereich arbeitet. Das USKOK, <strong>de</strong>ssen Mitarbeiterzahl seit 2005 verdoppelt<br />

wur<strong>de</strong>, versucht nicht nur das Problembewusstsein <strong>de</strong>r Bevölkerung mit gezielten Aufklärungskampagnen zu schärfen,<br />

son<strong>de</strong>rn hat inzwischen auch einige spektakuläre Korruptionsfälle aufge<strong>de</strong>ckt, wenngleich die Ermittlungen bisher noch zu<br />

keinen Verurteilungen führten.<br />

Um <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> Genüge zu leisten und <strong>de</strong>n Schmuggel effektiver zu unterbin<strong>de</strong>n, hat das Land seine Grenzsicherung<br />

mo<strong>de</strong>rnisiert und ausgebaut. Das UN-Abkommen zur Bekämpfung grenzüberschreiten<strong>de</strong>r organisierter<br />

Kriminalität war vom kroatischen Parlament bereits im Jahr 2000 gebilligt wor<strong>de</strong>n. Dass Kroatien mit seinen Nachbarlän<strong>de</strong>rn<br />

im Kampf gegen <strong>de</strong>n organisierten Schmuggel (Drogen, Waffen, Menschen) gut zusammenarbeitet, beweist auch die<br />

erfolgreiche Aktion „Trigger“ von USKOK gegen Waffenschmugglerringe im Jahr 2006, bei <strong>de</strong>r zahlreiche Feuerwaffen<br />

beschlagnahmt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

• Wettbewerbsfähige Marktwirtschaft:<br />

Die kroatische Wirtschaft hat gute Chancen nach einem vollzogenen Beitritt mit <strong>de</strong>r Konkurrenz aus <strong>de</strong>n übrigen <strong>EU</strong>-<br />

Staaten mitzuhalten. Zwar ist die Privatisierung noch nicht abgeschlossen, doch mischt sich <strong>de</strong>r Staat nicht in die<br />

wirtschaftlichen Abläufe ein und Unternehmen sowie Firmenneugrün<strong>de</strong>r können in einem sicheren rechtlichen Rahmen tätig<br />

wer<strong>de</strong>n. Der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig (er trägt 18 % zum gesamten BIP bei) boomt wie<strong>de</strong>r und<br />

Investitionen in die Mo<strong>de</strong>rnisierung von Produktionsanlagen in <strong>de</strong>r Industrie zeitigen erste Erfolge: Nach Jahren <strong>de</strong>s<br />

Rückgangs nahm auch die industrielle Produktion im Jahr 2002 wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich zu (+ 5,2% gegenüber 2001); insgesamt<br />

brauchen die Wachstumszahlen <strong>de</strong>s kroatischen Bruttoinlandsprodukts speziell <strong>de</strong>r letzten Jahre keinen Vergleich zu<br />

scheuen: Die jährliche Zunahme lag von 2004 - 2008 bei Ø ca. 4,3 %!<br />

• Heranführung an die <strong>EU</strong> und Anpassung <strong>de</strong>s nationalen Rechts an das <strong>EU</strong>-Recht:<br />

Das Land hat bereits <strong>de</strong>n Großteil <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Gesetze und Richtlinien übernommen.<br />

3. Die zunehmen<strong>de</strong> Bindung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s an die <strong>EU</strong> spiegelt sich zu<strong>de</strong>m im Han<strong>de</strong>l wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r bereits zu mehr als<br />

zwei Drittel mit <strong>EU</strong>-Staaten (v.a. Italien, Deutschland, Slowenien und Österreich) abgewickelt wird.<br />

4. Das kroatische Bildungssystem gilt als vielfältig und leistungsfähig und das Bildungsniveau <strong>de</strong>r Bevölkerung ist im europäischen<br />

Vergleich recht gut: 18% <strong>de</strong>r Beschäftigten besitzen einen Universitäts- o<strong>de</strong>r Fachhochschulabschluss, die Zahl <strong>de</strong>r<br />

Schüler an <strong>de</strong>n Höheren Schulen steigt (allein von 2001 bis 2003 um 11%) und die Absolventen <strong>de</strong>r Mittelschulen bringen<br />

gute fachliche Kenntnisse mit. Die auf 12 Jahre verlängerte Schulpflicht ist seit 2007 in <strong>de</strong>r Verfassung verankert. Durch<br />

Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>n letzten Jahren, z.B. reformierte Lehrpläne, hatte das Bildungswesen schon eine <strong>de</strong>utliche Annäherung<br />

an europäische Systeme erfahren<br />

5. Kroatien ist bestrebt, mit Investitionen in <strong>de</strong>n Umweltschutz seine Landschaften und die über 1200 Inseln besser als bisher<br />

vor Verschmutzung zu schützen und damit auch Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu erfüllen. Ein nach internationalen Standards arbeiten<strong>de</strong>s<br />

Naturschutzamt wur<strong>de</strong> eingerichtet, das für Erhalt und Pflege <strong>de</strong>r Naturschutzgebiete – immerhin 10% <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfläche! –<br />

zuständig ist. Mit verschärften Umweltauflagen und einer Abkehr vom Massentourismus an <strong>de</strong>r dalmatinischen Küste versucht<br />

die Regierung diese reizvolle und in weiten Teilen ursprünglich erhaltene Landschaft vor Zersie<strong>de</strong>lung und Übernutzung zu<br />

bewahren. Durch zinsgünstige Kredite für diejenigen Investoren, die Restaurants und Hotels in traditioneller Bauweise<br />

errichten, sollen Bettenburgen aus Beton die Ausnahme bleiben und so die typisch mediterrane Atmosphäre <strong>de</strong>r Küstenorte<br />

und <strong>de</strong>r Inseln erhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

6. Der Krieg mit Serbien von 1991 bis 1995 war Kroatien von <strong>de</strong>m damaligen serbischen Präsi<strong>de</strong>nten Slobodan Milosevic aufgezwungen<br />

wor<strong>de</strong>n und hatte das Land in seiner Entwicklung um Jahre zurückgeworfen. Nun beflügelt die europäische Perspek -<br />

tive die Bereitschaft zur Aussöhnung mit <strong>de</strong>m ehemaligen Kriegsgegner. Beleg dafür ist die Wie<strong>de</strong>ransiedlung <strong>de</strong>r<br />

serbischen Flüchtlinge in ihren angestammten Siedlungsgebieten. Die Aussöhnung mit <strong>de</strong>n Nachbarn ist eine<br />

Hauptbedingung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.<br />

7. Gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Balkan, nach <strong>de</strong>n Kriegen und Verbrechen beim Zerfall Jugoslawiens, hat die <strong>EU</strong> immer noch jene Frie<strong>de</strong>nsaufgabe,<br />

die letztlich bei ihrer eigenen Gründung Pate stand. Kroatien die europäische Perspektive zu verweigern, wäre auch<br />

ein Signal <strong>de</strong>r Zurückweisung an die Völker <strong>de</strong>r westlichen Balkanstaaten.<br />

- 11 -


Wichtige Ergebnisse <strong>de</strong>s Fortschrittsberichts <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission über Kroatien<br />

vom 09.11.2010<br />

„Vor <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>s Berichts erklärte <strong>EU</strong>-Kommissar Füle: 'Für Kroatien ist <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Beitritt in Sicht,<br />

doch die letzten hun<strong>de</strong>rt Meter in einem Marathon sind immer die schwierigsten. Das Land muss<br />

schließlich in <strong>de</strong>r Lage sein, die mit einer <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft verbun<strong>de</strong>nen Rechte und Pflichten ab <strong>de</strong>m<br />

Beitritt umfassend wahrzunehmen. Wir sind davon überzeugt, dass die kroatischen Politiker und die<br />

kroatische Gesellschaft ihre Anstrengungen bün<strong>de</strong>ln wer<strong>de</strong>n, um die restlichen Reformen, die für die<br />

baldige Erreichung dieses Ziels erfor<strong>de</strong>rlich sind, durchzuführen.'<br />

Politische Kriterien<br />

Kroatien erfüllt weiterhin die politischen Kriterien. Das Land hat Fortschritte bei <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r<br />

Zielvorgaben für Kapitel 23 erzielt, da es beispielsweise Maßnahmen traf, um die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Justiz durch die Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften zu stärken und <strong>de</strong>n Rückstau anhängiger<br />

Gerichtsverfahren zu verringern. Das Amt für die Bekämpfung von Korruption und organisierter<br />

Kriminalität (USKOK) ist weiterhin aktiv und die ersten Fälle, in die hochrangige Politiker verwickelt sind,<br />

wur<strong>de</strong>n nun vor Gericht gebracht. Zu<strong>de</strong>m hat Kroatien einen Beitrag zur Verbesserung <strong>de</strong>r bilateralen<br />

Beziehungen in <strong>de</strong>r Region geleistet.<br />

Kroatien muss insbeson<strong>de</strong>re im Hinblick auf Justiz- und Verwaltungsreformen,<br />

Min<strong>de</strong>rheitenrechte, die Flüchtlingsrückkehr und Kriegsverbrechen weitere Anstrengungen<br />

unternehmen. Im Einklang mit <strong>de</strong>m Verhandlungsrahmen ist die umfassen<strong>de</strong> Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m<br />

Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) nach wie vor eine<br />

Voraussetzung für Fortschritte <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>m Weg zum <strong>EU</strong>-Beitritt. Die Justizreform wur<strong>de</strong><br />

fortgesetzt, doch schwierige Aufgaben wie die Anwendung objektiver und transparenter Kriterien für die<br />

Ernennung von Richtern und Staatsanwälten, die weitere Verringerung <strong>de</strong>s Verfahrensrückstaus und <strong>de</strong>r<br />

Dauer <strong>de</strong>r Verfahren wie auch die bessere Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen sind noch nicht<br />

gelöst. Die Korruption ist in vielen Bereichen immer noch weit verbreitet. Die neuen Strukturen und<br />

Instrumente müssen sich erst noch in <strong>de</strong>r Praxis bewähren, was insbeson<strong>de</strong>re für die Fähigkeit <strong>de</strong>r<br />

Gerichte zur Behandlung <strong>de</strong>r steigen<strong>de</strong>n Zahl und zunehmen<strong>de</strong>n Komplexität <strong>de</strong>r Rechtssachen gilt. Es<br />

bedarf eines stärkeren politischen Engagements und einer besseren Koordinierung zwischen <strong>de</strong>n<br />

wichtigsten Akteuren, um konkrete Ergebnisse bei <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung zu erzielen.<br />

Die Kommission wird die Fortschritte Kroatiens im Bereich <strong>de</strong>r Justiz und <strong>de</strong>r Grundrechte genau<br />

beobachten und im ersten Quartal 2011 Bilanz ziehen.<br />

Wirtschaftliche Kriterien<br />

Kroatien verfügt über eine funktionieren<strong>de</strong> Marktwirtschaft. Die kroatische Wirtschaft dürfte in <strong>de</strong>r<br />

Lage sein, <strong>de</strong>m Wettbewerbsdruck und <strong>de</strong>n Marktkräften innerhalb <strong>de</strong>r Union standzuhalten, sofern die<br />

Regierung ihr umfassen<strong>de</strong>s Reformprogramm mit Entschlossenheit weiter umsetzt, um strukturelle<br />

Schwächen <strong>de</strong>r Wirtschaft zu verringern.<br />

Die kroatische Wirtschaft wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hart getroffen.<br />

Wie viele an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r geriet Kroatischen im ersten Quartal 2009 in eine Rezession und bis Mitte 2010<br />

waren keine <strong>de</strong>utlichen Anzeichen für eine Erholung <strong>de</strong>r Wirtschaft zu erkennen. Die Arbeitslosigkeit,<br />

das Haushalts<strong>de</strong>fizit und die Staatsverschuldung sind erheblich gestiegen. Die Außenverschuldung stieg<br />

weiter an und ist nach wie vor eine Schwachstelle <strong>de</strong>r Wirtschaft. Die Zentralbank konnte durch<br />

entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen für die Währungsstabilität sorgen und <strong>de</strong>r Finanzsektor überstand die Krise<br />

relativ unbescha<strong>de</strong>t. Das Konjunkturprogramm enthält mittelfristige Zielsetzungen für die<br />

Wirtschaftspolitik, doch die entsprechen<strong>de</strong>n Maßnahmen müssen wirksam umgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor starr. Das Investitionsklima wird weiterhin durch Bürokratie und<br />

parafiskalische Abgaben beeinträchtigt. Das Land muss weitere Maßnahmen treffen, um <strong>de</strong>m<br />

wachsen<strong>de</strong>n Defizit entgegenzuwirken und die öffentlichen Ausgaben effizienter zu gestalten. Die<br />

Verbesserung <strong>de</strong>s Haushaltsverfahrens und <strong>de</strong>r Haushaltsdisziplin zählen auch künftig zu <strong>de</strong>n<br />

wichtigsten Aufgaben <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>nn nur so kann mittelfristig finanzpolitische Stabilität erzielt wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>EU</strong>-Recht<br />

Die Vorbereitungen Kroatiens auf die Erfüllung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Anfor<strong>de</strong>rungen sind gut vorangekommen.<br />

In allen wichtigen Bereichen einschließlich <strong>de</strong>r Kapitel, bei <strong>de</strong>nen bereits ein hohes Maß an<br />

Rechtsangleichung erreicht wor<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong>n weitere Fortschritte erzielt. Das Land muss aber<br />

zusätzliche Anstrengungen unternehmen und insbeson<strong>de</strong>re Maßnahmen treffen, um die für die<br />

ordnungsgemäße Anwendung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Rechtsvorschriften und -Standards und die Verwendung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Mittel erfor<strong>de</strong>rlichen Verwaltungskapazitäten weiter auszubauen."<br />

- 12 -


Türkei Verhandlungsstrategie<br />

Sie sind <strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r Republik Türkei, die am 29.10.1923 von Mustafa Kemal Atatürk gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />

Seit <strong>de</strong>m Abschluss eines Assoziierungsvertrages (Abkommens zur Annäherung und verstärkten<br />

Zusammenarbeit) 1964 arbeitet die Türkei mit <strong>de</strong>r Europäischen Union zusammen und stellte einen ersten<br />

Beitrittsantrag bereits 1987. Seit Dezember 1999 ist die Türkei offiziell Bewerberland für die Mitgliedschaft in<br />

<strong>de</strong>r Europäischen Union.<br />

Porträt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s:<br />

Die Geschichte und die geografische Lage <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s erklären seine religiöse, kulturelle und<br />

ethnische Vielfalt. Kur<strong>de</strong>n, Albaner, Pomaken, Tscherkessen, Lasen und Araber sind nur einige<br />

Volksgruppen, die die türkische Bevölkerung ausmachen. In Istanbul sowie auch in vielen<br />

anatolischen Städten fin<strong>de</strong>t man sowohl Moscheen als auch Kirchen und Synagogen. Der heilige<br />

Paulus zog von Antiochia (Antakya) nach Anatolien, um das Christentum in Kleinasien zu<br />

verbreiten.<br />

Die Türkei erstreckt sich über 800.000 km² von Westthrakien bis zu <strong>de</strong>n Grenzen Georgiens und<br />

reicht bis in das antike Mesopotamien. Geographisch gesehen gehören ca. 3 % <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s zu<br />

Europa („Thrakien“) und 97 % zu Kleinasien („Anatolien“). Die Türkei weist eine Vielfalt von<br />

Landschaften auf - von Bergen, Wäl<strong>de</strong>rn (sie be<strong>de</strong>cken ca. ¼ <strong>de</strong>s Territoriums!), Strän<strong>de</strong>n,<br />

Weizenfel<strong>de</strong>rn und Weinbergen bis zu Obstgärten mit Aprikosen, Feigen, Bananen, Pistazien und<br />

vielem mehr. Das karge, weite Hochland ist im Nor<strong>de</strong>n durch das Pontische Gebirge, im Sü<strong>de</strong>n<br />

durch <strong>de</strong>n Taurus begrenzt. Im äußersten Osten erhebt sich <strong>de</strong>r Ararat, mit 5165 m höchster Berg<br />

<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sintflut soll auf ihm, so die Legen<strong>de</strong>, die Arche Noah gestran<strong>de</strong>t sein.<br />

Charakteristisch sind die zerklüftete, felsige Westküste mit <strong>de</strong>n vorgelagerten griechischen Inseln<br />

und die lange Küste zum Schwarzen Meer.<br />

Aufgrund ihrer abwechslungsreichen Landschaften mit verschie<strong>de</strong>nen Klimazonen verfügt die<br />

Türkei über eine Artenvielfalt, wie man sie sonst in kaum einem an<strong>de</strong>ren Land außerhalb <strong>de</strong>r<br />

Tropen vorfin<strong>de</strong>t - z.B. gibt es 9.000 Pflanzenarten (für <strong>de</strong>n europäischen Kontinent geht man von<br />

insgesamt ca. 12.000 aus). Dem Erhalt dieses biologischen Erbes dienen nicht zuletzt auch die 19<br />

großen Nationalparks, die ca. 0,45% <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfläche be<strong>de</strong>cken und eine Vielzahl kleinerer<br />

Naturschutzgebiete mit strengen Artenschutzbestimmungen einschließen.<br />

Was das kulturelle Erbe betrifft, so kamen nach <strong>de</strong>n frühen vorchristlichen Zivilisationen die Römer<br />

und Byzantiner, die die Hagia Sophia errichteten, ein Wahrzeichen <strong>de</strong>r Weltarchitektur.<br />

Die Hagia Sophia ist das wohl berühmteste Denkmal Istanbuls. 552 wur<strong>de</strong> die Basilika in <strong>de</strong>r<br />

heutigen Form aufgebaut. 1204 wur<strong>de</strong> dieses be<strong>de</strong>utendste Werk Byzantinischer Kunst von <strong>de</strong>n<br />

Kreuzfahrern geplün<strong>de</strong>rt. Die Kirche wur<strong>de</strong> renoviert und in eine Moschee umgewan<strong>de</strong>lt. Seit 1934<br />

ist die Hagia Sophia ein byzantinisch-islamisches Museum.<br />

Was die Beiträge <strong>de</strong>r Türkei zur heutigen Kultur betrifft, so sei auf die Filme von Yilmaz Güney, die<br />

Bücher von Yasar Kemal, <strong>de</strong>m Autor <strong>de</strong>s Romans „Memed, mein Falke“, sowie <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

Romanschriftstellers Orhan Pamuk („Schnee“, „Das neue Leben“) verwiesen, <strong>de</strong>ssen Bücher in<br />

über 20 Sprachen übersetzt wur<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r 2006 <strong>de</strong>n Nobelpreis für Literatur bekam.<br />

- 13 -


Auf folgen<strong>de</strong> Basisdaten können Sie zurückgreifen:<br />

Fläche: 779.452 qkm (einschließlich Binnengewässer)<br />

Einwohner: 73,5 Millionen (2007)<br />

Ethnische Gruppen: Türken ca. 77 % Araber ca. 2 %<br />

Kur<strong>de</strong>n ca. 19 % Sonstige ca. 2 %<br />

Staatsform: Parlamentarische Demokratie mit <strong>de</strong>r „Türkischen Großen Nationalversammlung“<br />

als Einkammerparlament. Der Staatspräsi<strong>de</strong>nt wird auf 7 Jahre<br />

durch das Parlament gewählt und hat eine starke politische Stellung.<br />

Hauptstadt: Ankara<br />

Wirtschaftssektoren:<br />

Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP):<br />

Landwirtschaft<br />

11,1 %<br />

Industrie und Bau<br />

27,2 %<br />

Dienstleistung<br />

61,7 %<br />

(jeweils 2005)<br />

Anteil an <strong>de</strong>r Beschäftigung:<br />

(jeweils 2005)<br />

29,5 %<br />

24,7 %<br />

45,8 %<br />

Wichtigste Importgüter: Investitionsgüter (z.B. Maschinen, PCs), Metallrohwaren, Chemikalien, Erdöl<br />

Wichtigste Exportgüter:<br />

Ausländische Investitionen (2005):<br />

Halbfertigwaren, Textilwaren, Maschinen, Agrarprodukte<br />

Ca. 7,8 Mrd. € (2,8 % <strong>de</strong>s BIP) ~ 108 € pro Kopf <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

BIP pro Kopf: 11.400 Euro (2008)<br />

gemessen nach türkischem Preisniveau; <strong>EU</strong>-Durchschnitt: ca. 25.100 Euro<br />

BIP pro Kopf im Verhältnis zum <strong>EU</strong>-Durchschnitt: 45 %<br />

2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />

Wachstumsrate BIP: 7,4 % 6,1 % 4,5 % 3,4 % - 4,5 7,5 %<br />

Inflationsrate: 7,7 % 9,3 % 8,8 % 10,4 % 6,5 % ca. 7 %<br />

Staatliche Neuverschuldung<br />

(in % <strong>de</strong>s BIP):<br />

1,2 % 1,2 % --- --- --- ---<br />

Arbeitslosigkeit (nach <strong>EU</strong>-Berechnung): 8,8 % 8,4 % 8,5 % 10,6 % 13 % ca. 10,5 %<br />

Die Ausrufung <strong>de</strong>r Republik am 13.10.1923 ist untrennbar mit <strong>de</strong>m Namen Mustafa Kemal Atatürk<br />

verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r als General die Gegner <strong>de</strong>r Türkei, darunter Griechenland, Frankreich und Großbritannien,<br />

im türkischen Unabhängigkeitskrieg (1919-1923) schlagen konnte. Atatürk wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r erste Staatspräsi<strong>de</strong>nt<br />

<strong>de</strong>r Türkei und übte dieses Amt bis zu seinem Tod 1938 aus. Bis heute gilt er in <strong>de</strong>r Türkei als nationaler<br />

Übervater, <strong>de</strong>r seinen „Kin<strong>de</strong>rn“ <strong>de</strong>n Weg in eine mo<strong>de</strong>rne Zukunft wies. Mit seinen Reformen zielte Atatürk<br />

auf die Überwindung <strong>de</strong>r traditionell islamischen und patriarchalischen Gesellschaft und auf die Schaffung<br />

<strong>de</strong>r Grundlagen eines mo<strong>de</strong>rnen Industriestaats mit einer pluralistischen Gesellschaft.<br />

• Die Türkei als Nachfolgestaat <strong>de</strong>s Osmanischen Reiches mit seiner Herrschaft durch Sultane und<br />

Kalifen erhielt unter Atatürk eine Verfassung nach europäischem Vorbild, die vor allem auf eine strikte<br />

Trennung von Staat und Religion (sogenannter Laizismus) abzielte; geistliche Wür<strong>de</strong>nträger wur<strong>de</strong>n<br />

von politischen Ämtern ausgeschlossen und Glaubensangelegenheiten zur Privatsache erklärt. Atatürk<br />

verordnete für die Männer mo<strong>de</strong>rne Hüte im öffentlichen Raum statt <strong>de</strong>r traditionellen Fese (Filzkappen)<br />

und die Frauen sollten <strong>de</strong>n Schleier ablegen.<br />

• Gleichzeitig erhielten die Frauen 1934 das Wahlrecht und wur<strong>de</strong>n sozial gleichgestellt.<br />

• Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n die lateinische Schrift, <strong>de</strong>r Gregorianische Kalen<strong>de</strong>r und das metrische Maß<br />

eingeführt.<br />

Seit <strong>de</strong>n Reformen <strong>de</strong>s Mustafa Kemal Atatürk ist die Westorientierung <strong>de</strong>r Türkei Grundpfeiler <strong>de</strong>s<br />

politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses <strong>de</strong>r Türkei. Die Türkei ist außer<strong>de</strong>m NATO-Mitglied<br />

<strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong> (1952) gewesen.<br />

Formal ist die Türkei also schon lange ein <strong>de</strong>mokratisches Land, doch hatte das türkische Militär in <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit drei mal geputscht (zuletzt 1980). Als die Militärs 1983 die Regierungsgewalt wie<strong>de</strong>r an die<br />

Parteien übergaben, installierten sie mit <strong>de</strong>m „Nationalen Sicherheitsrat“ eine Art Nebenregierung, mit <strong>de</strong>m<br />

sie die Kontrolle über alle innen- wie außenpolitischen Vorhaben <strong>de</strong>r Regierung ausübten. Zwar hatte im Juli<br />

2003 das türkische Parlament <strong>de</strong>ssen Befugnisse auf seine eigentlichen Aufgaben <strong>de</strong>r inneren wie äußeren<br />

Sicherheit beschränkt, <strong>de</strong>nnoch mischte sich das Militär noch im Frühjahr 2007 massiv in die Politik ein und<br />

drohte mit einem Putsch, falls die Regierungspartei von Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Tayyip Erdogan ihren Kandidaten,<br />

Außenminister Gül - nach Meinung <strong>de</strong>r Generäle islamistischer Neigungen verdächtig - zum neuen<br />

Staatspräsi<strong>de</strong>nten wählen wür<strong>de</strong>. Die dadurch ausgelöste Staatskrise löste Erdogan mit <strong>de</strong>r Ausrufung von<br />

Neuwahlen, bei <strong>de</strong>r seine Partei, die AKP, um mehr als 12 % auf 47 % <strong>de</strong>r Stimmen zulegen und damit<br />

erneut die absolute Mehrheit im Parlament gewinnen konnte. Viele Beobachter hoffen nun darauf, dass die<br />

in einer Demokratie übliche Nichteinmischung <strong>de</strong>r Streitkräfte in die Politik endlich auch in <strong>de</strong>r Türkei zur<br />

selbstverständlichen Praxis wird.<br />

- 14 -


Die heimliche Hauptstadt <strong>de</strong>r Türkei ist Istanbul. Die Stadt, die Europa mit Asien verbin<strong>de</strong>t, ist über 2500<br />

Jahre alt und war erst als Byzanz, später als Konstantinopel Zentrum dreier Weltreiche: Des Römischen,<br />

Byzantinischen und Osmanischen Imperiums. Ihre i<strong>de</strong>ale geografische Lage machte Konstantinopel unter<br />

osmanischer Herrschaft zum pulsieren<strong>de</strong>n Welthan<strong>de</strong>lszentrum (ihr Han<strong>de</strong>lsvolumen übertraf lange Zeit das<br />

von ganz Europa!). Aufgrund ihrer Größe und Weiträumigkeit und wegen ihrer wirtschaftlichen<br />

Anziehungskraft wur<strong>de</strong> sie zur be<strong>de</strong>utendsten Metropole <strong>de</strong>r westlichen und <strong>de</strong>r angrenzen<strong>de</strong>n östlichen<br />

Hemisphäre.<br />

Istanbul ist die europäischste Stadt <strong>de</strong>r Türkei und auch heute noch das wirtschaftliche Zentrum <strong>de</strong>r Türkei.<br />

Die Stadt war und ist geprägt von Toleranz und Respekt gegenüber an<strong>de</strong>ren Religionen und vermochte mit<br />

ihren Universitäten und ihrem reichen kulturellen Leben immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r politischen und gesellschaftlichen<br />

Entwicklung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s fruchtbare Impulse zu geben. Obwohl sie mit ca. 14 Millionen Menschen aus allen<br />

Nähten platzt, ist sie Ziel für fast ½ Million Zuwan<strong>de</strong>rer jährlich, vor allem aus Anatolien. Auch immer mehr<br />

Betriebe ziehen nach Istanbul, einerseits weil sie hier leicht Arbeitskräfte fin<strong>de</strong>n und an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>n<br />

europäischen Märkten nahe sind. Trotz allen Chaos', wie es bei einer stürmisch wachsen<strong>de</strong>n Mega-City<br />

nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten ist, gibt es in Istanbul keine himmelschreien<strong>de</strong> Armut wie in Bangkog o<strong>de</strong>r Sao<br />

Paulo, dafür eine pünktliche Müllabfuhr und eine relativ niedrige Kriminalitätsrate.<br />

Die Religion spielt im Leben <strong>de</strong>r Menschen eine zunehmend be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle - eine Entwicklung, die auch<br />

in vielen an<strong>de</strong>ren muslimischen Län<strong>de</strong>rn beobachtet wer<strong>de</strong>n kann. Die Zahl <strong>de</strong>r Moscheen hat sich seit<br />

Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre in <strong>de</strong>r Türkei verdoppelt, über 100.000 Bürger jährlich absolvieren eine<br />

Religionsschule und die Zahl <strong>de</strong>r Mekka-Pilger steigt kontinuierlich. Trotz<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r<br />

moslemischen Geistlichkeit auf die Politik nach wie vor gering, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Grundsatz <strong>de</strong>r Trennung von Staat<br />

und Religion ist in <strong>de</strong>r Verfassung festgeschrieben.<br />

Obwohl die Türkei seit <strong>de</strong>r Regierungszeit Atatürks die wirtschaftliche Entwicklung <strong>de</strong>s überwiegend<br />

agrarisch geprägten Lan<strong>de</strong>s vorantreibt, ist dieser Prozess - vor allem auch im Osten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s - noch<br />

lange nicht abgeschlossen:<br />

• Um die Entwicklung <strong>de</strong>r trockenen ländlichen Regionen Anatoliens voranzutreiben, plant und realisiert die<br />

türkische Regierung seit über 20 Jahren das Südostanatolienprojekt, das mit <strong>de</strong>m Bau von insgesamt<br />

22 Staudämmen und 19 Kraftwerken sowie <strong>de</strong>r Erstellung von Bewässerungsanlagen Aufschwung in die<br />

kargen und rückständigen Gebiete an Euphrat und Tigris bringen soll. Auch <strong>de</strong>utsche Unternehmen sind<br />

dabei mit Großaufträgen (z.B. Siemens, Hochtief) vertreten. Das Projekt erstreckt sich in <strong>de</strong>r nördlichen<br />

Ebene Mesopotamiens auf einer Fläche von 75.000 qkm, was <strong>de</strong>r Fläche <strong>de</strong>r Benelux-Staaten entspricht.<br />

Der türkische Staat investiert insgesamt 32 Mrd. $ in dieses Entwicklungsprojekt und erhofft sich die<br />

Schaffung von 1,3 Mio. neuer Arbeitsplätze in <strong>de</strong>r Landwirtschaft sowie in <strong>de</strong>r Textil- und<br />

Nahrungsmittelindustrie. Damit wür<strong>de</strong> sich die Zahl <strong>de</strong>r Stellen in Südostanatolien gegenüber 1985<br />

verdoppeln. Nach<strong>de</strong>m die Projekte am Euphrat abgeschlossen sind, soll nun <strong>de</strong>r Tigris zur<br />

Energiegewinnung mit mehreren Dämmen gigantischen Ausmaßes aufgestaut wer<strong>de</strong>n. Die tatsächlichen<br />

negativen Auswirkungen sowohl in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht für die meist kurdische<br />

Bevölkerung sowie die ökologischen Folgen (s.u.: Umwelt) bei <strong>de</strong>n Staudammprojekten am Oberlauf <strong>de</strong>s<br />

Euphrat überwiegen allerdings gegenüber <strong>de</strong>n positiven Auswirkungen z.B. für <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt..<br />

• Die Verkehrsinfrastruktur <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Jahren durch ehrgeizige Projekte ausgebaut,<br />

z.B. <strong>de</strong>n Neubau einer Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Istanbul und Ankara. In <strong>de</strong>r<br />

gesamten Türkei verkehren Überlandbusse im Stun<strong>de</strong>ntakt, die ihre Zielorte meist pünktlich erreichen.<br />

• Eine große Chance stellt <strong>de</strong>r Tourismus dar, <strong>de</strong>rjenige Wirtschaftszweig, <strong>de</strong>r die Wirtschaftskrisen von<br />

1999 und 2001 unbescha<strong>de</strong>t überstan<strong>de</strong>n hat und auch in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren weiter zunahm (+12%).<br />

Bereits heute fin<strong>de</strong>n etwa 2,5 Mio. Menschen im Frem<strong>de</strong>nverkehrsgeschäft ihr Auskommen, die meisten<br />

davon an <strong>de</strong>r türkischen Mittelmeerküste. Während 2001 ca. 12 Mio. Gäste ins Land kamen, die <strong>de</strong>m<br />

Land Einnahmen von 9 Mrd. € verschafften, sollen die Kapazitäten bis zum Jahr 2015 für bis zu 60 Mio.<br />

Touristen/Jahr ausgebaut wer<strong>de</strong>n, die 150 Mrd. € im Land lassen sollen. Damit wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tourismus zur<br />

wichtigsten nationalen Einkommensquelle wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Umweltpolitik steht das Land erst am Anfang: Die Türkei ist zwar von ihrer Fläche her ein großes<br />

Land, das immer noch - mit Ausnahme <strong>de</strong>s Großraums Istanbul - kaum zersie<strong>de</strong>lt und von industrieller<br />

Umweltverschmutzung vergleichsweise wenig betroffen ist; <strong>de</strong>nnoch bereiten <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong><br />

Massentourismus, die Luftverschmutzung in <strong>de</strong>n Städten und <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong> Bevölkerungsdruck in <strong>de</strong>n<br />

Ballungsgebieten große Probleme. Eine bisher unterschätzte Gefahr für die Umwelt stellt auch die<br />

Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r Landwirtschaft dar, <strong>de</strong>nn Pestizi<strong>de</strong> und Düngemittel belasten nicht nur Bö<strong>de</strong>n und<br />

Gewässer son<strong>de</strong>rn stellen auch für <strong>de</strong>n Artenreichtum <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s eine Bedrohung dar. Durch die<br />

gigantischen Staudämme <strong>de</strong>r letzten Jahre sind ökologisch wertvolle Rückzugsflächen für Tiere und<br />

Pflanzen verloren gegangen und neue Probleme entstan<strong>de</strong>n, z.B. die Verdunstung riesiger Wassermengen<br />

und die zunehmen<strong>de</strong> Versalzung <strong>de</strong>r Bö<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Bewässerung über Kanalsysteme.<br />

Immerhin hat die Türkei in <strong>de</strong>n letzten 15 Jahren durch Gesetze und Umweltschutzkampagnen, vor allem<br />

aber durch Kooperationsprojekte mit <strong>EU</strong>-Staaten einige Fortschritte gemacht. Allein Deutschland hat bisher<br />

mehr als 4 Mrd. € an Zuschüssen für Umweltschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt, hauptsächlich im<br />

Bereich Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Abwasseraufbereitung. Der türkische Umweltminister<br />

veranschlagt jedoch weitere 15 bis 20 Jahre und Kosten von ca. 35 Mrd. € bis die Türkei die <strong>EU</strong>-Standards<br />

im Umweltschutz erfüllen kann.<br />

- 15 -


Die Menschenrechte in <strong>de</strong>r Türkei<br />

Zwischen 2001 und 2004 hat das türkische Parlament zwei große Verfassungsreformen verabschie<strong>de</strong>t, die im Kern auf<br />

die Schaffung eines mo<strong>de</strong>rnen, europäischen Standards entsprechen<strong>de</strong>n Rechtsstaats zielen; mit <strong>de</strong>n geän<strong>de</strong>rten<br />

Verfassungsbestimmungen (1/3 aller Artikel sind betroffen) hofft die Regierung auch die politischen Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für<br />

die Aufnahme neuer Mitglie<strong>de</strong>r (s. Anlage A.2) erfüllen zu können. Neu ist unter an<strong>de</strong>rem:<br />

• Das Völkerrecht und die in <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtscharta aufgeführten Rechtsgrundsätze haben Vorrang<br />

vor türkischen Gesetzesparagrafen (Mai 2004).<br />

• Die To<strong>de</strong>sstrafe ist ohne Ausnahme abgeschafft (Januar 2004).<br />

• Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowie die Verpflichtung für <strong>de</strong>n Staat, diese im Alltag <strong>de</strong>r Türkinnen und<br />

Türken auch umzusetzen. (Mai 2004).<br />

Erfolge bei <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r neuen bzw. geän<strong>de</strong>rten Verfassung gibt es bereits:<br />

• In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat <strong>de</strong>r Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wie<strong>de</strong>rholt Urteile türkischer<br />

Gerichte beanstan<strong>de</strong>t und Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nachgewiesen (allein 196<br />

Fälle von Januar bis August 2006). Türkische Gerichte hoben daraufhin ihre Urteile auf und sprachen in <strong>de</strong>n meisten<br />

Fällen die Angeklagten wie<strong>de</strong>r frei.<br />

• Mit <strong>de</strong>m neuen Strafgesetzbuch von September 2004 wer<strong>de</strong>n weitaus stärker als bisher die Rechte <strong>de</strong>r Frauen<br />

geschützt. V.a. die skandalösen „Ehrenmor<strong>de</strong>“ – meist von Verwandten an Frauen und Mädchen verübte Mor<strong>de</strong> bzw.<br />

Mordversuche – wer<strong>de</strong>n mit lebenslangen Freiheitsstrafen geahn<strong>de</strong>t. Seit 2004 gibt es diverse Kampagnen gegen<br />

häusliche Gewalt, so z.B. von „Hürriyet“, <strong>de</strong>r größten Tageszeitung. Die <strong>EU</strong>-Kommission würdigte in ihrem Bericht von<br />

November 2006, dass „die Rechte <strong>de</strong>r Frau in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zunehmend Beachtung fin<strong>de</strong>n.“<br />

• Das neue Gemein<strong>de</strong>gesetz vom Juli 2004 verpflichtet alle Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern, für<br />

hilfesuchen<strong>de</strong> Frauen und Mädchen Frauenhäuser einzurichten.<br />

In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong> von Menschenrechtsorganisationen, z.B. Amnesty International, immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vorwurf<br />

<strong>de</strong>r systematischen Folter erhoben. Folter und gewalttätige Übergriffe von Polizisten und Justizvollzugsbeamten gab es<br />

vor allem im Kampf gegen kurdische Separatisten im Südosten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Die Regierung Erdogan hat seit ihrem<br />

Amtsantritt En<strong>de</strong> 2002 eine Politik <strong>de</strong>r Null-Toleranz gegenüber allen Arten von Folter und Misshandlungen verkün<strong>de</strong>t<br />

und versucht, diese neue Politik mit Gesetzen bzw. durch eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Haftbedingungen in <strong>de</strong>n Gefängnissen<br />

umzusetzen:<br />

• Im neuen Strafgesetzbuch wur<strong>de</strong>n für Folter und Misshandlung an Gefangenen harte Strafrahmen festgeschrieben.<br />

Dies betrifft auch die sogenannte „leichte" Folter also z.B. Schlafentzug, langes Stehen o<strong>de</strong>r Verbin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Augen, um<br />

Untersuchungsgefangene gefügig zu machen.<br />

• 2003 mussten sich 2.454 Vollzugsbeamte wegen Foltervorwürfen bzw. gewalttätiger Übergriffe vor Gericht<br />

verantworten; 1.357 wur<strong>de</strong>n freigesprochen und 854 verurteilt, davon 138 zu Haftstrafen. Strafen gegen Folterer<br />

können nicht mehr ausgesetzt o<strong>de</strong>r in Geldstrafen umgewan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, wie in <strong>de</strong>r Vergangenheit häufig geschehen.<br />

Hohe Gerichte haben zu mil<strong>de</strong> Urteile <strong>de</strong>r Erstinstanz aufgehoben und härtere Strafen verhängt.<br />

• Auch die <strong>EU</strong>-Kommission stellte in einer "Bestandsaufnahmemission" zur Menschenrechtslage in <strong>de</strong>r Türkei vom<br />

September 2004 fest, "dass die Regierung ihre Null-Toleranz-Politik gegen Folter ernsthaft verfolgt".<br />

Nach <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>s Menschenrechtsausschusses <strong>de</strong>s Europarates vom März 2004 hat sich die Situation in <strong>de</strong>n<br />

türkischen Gefängnissen entspannt und die Behandlung <strong>de</strong>r Insassen verbessert.<br />

• Durch Erlass <strong>de</strong>s Justizministers (Januar 2006) sind die Staatsanwälte verpflichtet, sich durch regelmäßige<br />

Kontrollbesuche in <strong>de</strong>n Gefängnissen über die Haftbedingungen zu informieren und ihre Erkenntnisse in Berichten an<br />

die Provinzgouverneure weiterzugeben. Auch die überall im Land tätigen Menschenrechtsbüros führen solche<br />

„Besuche“ in <strong>de</strong>n Haftanstalten sowie Polizeistationen durch (in <strong>de</strong>n 12 Monaten seit Oktober 2005 insgesamt 992<br />

mal). Die <strong>EU</strong>-Kommission kam in ihrem Bericht von 2006 <strong>de</strong>nnoch zu einem eher gemischten Ergebnis (s.S. 19).<br />

Was die Bekämpfung <strong>de</strong>r Korruption angeht, ist die Türkei dabei, die europäischen Standards zu übernehmen: Sie<br />

hat internationale Anti-Korruptions-Abkommen unterzeichnet und ist seit Anfang 2004 Mitglied in <strong>de</strong>r Staatengruppe<br />

gegen Korruption <strong>de</strong>s Europarates. Ein Hauptgrund für die Bestechlichkeit vieler Beamter war zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit ihre schlechte Bezahlung, eine über Jahrzehnte eingeschliffene Praxis <strong>de</strong>r "Bakschisch-Mentalität"<br />

und die mangeln<strong>de</strong> Kontrolle durch Vorgesetzte o<strong>de</strong>r Prüfer. Seit einiger Zeit wird von Parlament und Regierung ein<br />

erheblich stärkerer Druck auf die Justiz ausgeübt, gegen Korruption in Verwaltung, bei <strong>de</strong>r Polizei und in <strong>de</strong>n<br />

eigenen Reihen wirksam vorzugehen:<br />

• Die Justiz hat in <strong>de</strong>n letzten Jahren eine Vielzahl von Strafverfahren gegen Beamte wegen Korruption, Betrugs<br />

und ähnlich gelagerter Fälle eingeleitet; allein 2003 kam es zur Anklageerhebung in 20.675 Fällen und von <strong>de</strong>n<br />

18.500 abgeschlossenen Verfahren en<strong>de</strong>ten 12.500 mit einer Verurteilung.<br />

• Ein Untersuchungsausschuss <strong>de</strong>s Parlaments durchleuchtete akribisch alle anfälligen Bereiche in Staat und<br />

Gesellschaft; dabei wur<strong>de</strong>n auch die Amtsgeschäfte von 25 ehemaligen Regierungsmitglie<strong>de</strong>rn untersucht und in<br />

einigen Fällen wur<strong>de</strong> die Aufhebung <strong>de</strong>r parlamentarischen Immunität beschlossen.<br />

• 2006 wur<strong>de</strong>n die Gehälter von Richtern und Staatsanwälten um ca. 40 % angehoben.<br />

Die Debatte über Korruption, die das Parlament angestoßen hat, und die Konsequenzen, die es daraus gezogen<br />

hat, können min<strong>de</strong>stens auf lange Frist eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Einstellung zur Korruption bewirken.<br />

- 16 -


In <strong>de</strong>r Bildungspolitik setzt das Land nach wie vor die bereits 1987 beschlossene Erziehungsreform um:<br />

• Die lan<strong>de</strong>sweite Verbreitung (d.h. auch in ländlichen Gebieten!) <strong>de</strong>r auf acht Jahre verlängerten "Grundschule",<br />

<strong>de</strong>ren Abschluss in etwa <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Hauptschulabschluss entspricht.<br />

• Die lan<strong>de</strong>sweite Einführung einer min<strong>de</strong>stens dreijährigen Pflicht-Sekundarschule ("General High School"), die<br />

eine allgemeine Bildung mit einer Pflichtfremdsprache und eine Min<strong>de</strong>stausbildung in einem beruflichen<br />

Schwerpunkt (z.B. Bauwesen o<strong>de</strong>r Landwirtschaft) vermittelt.<br />

Bei aller Kritik am türkischen Bildungssystem - fehlen<strong>de</strong> Lehrer und Unterrichtsräume, schlechte<br />

Lehrmittelausstattung, große Klassenstärken und insbeson<strong>de</strong>re ein starkes West-Ost-Gefälle bei <strong>de</strong>r schulischen<br />

Versorgung - dürfen die Vorzüge nicht übersehen wer<strong>de</strong>n:<br />

• Gemäß einem Ausspruch Atatürks, "<strong>de</strong>r sicherste Führer im Leben ist das Wissen", ist das türkische<br />

Bildungssystem seit <strong>de</strong>r Staatsgründung <strong>de</strong>r Vermittlung nicht von religiösen son<strong>de</strong>rn vielmehr von<br />

allgemeinbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n und wissenschaftlichen Bildungsinhalten verpflichtet.<br />

• An <strong>de</strong>n High Schools erhalten die Schüler aufgrund <strong>de</strong>r verpflichten<strong>de</strong>n Schwerpunktwahl nach <strong>de</strong>r achten<br />

Klasse ein größeres Fach- und Spezialwissen als es in Deutschland im allgemeinen <strong>de</strong>r Fall ist; an <strong>de</strong>n<br />

weiterführen<strong>de</strong>n "Anatolian High Schools" (vierjährig, vergleichbar mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Gymnasium) wird <strong>de</strong>r<br />

Unterricht in einigen Fächern zu<strong>de</strong>m in Englisch o<strong>de</strong>r Deutsch gehalten.<br />

• Auch die Vorlesungen an fast je<strong>de</strong>r dritten Universität <strong>de</strong>r insgesamt 77 Universitäten erfolgen ausschließlich in<br />

Englisch. 17 <strong>de</strong>r insgesamt 77 Universitäten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s sind Privat- o<strong>de</strong>r Stiftungshochschulen, die mit<br />

Universitäten vornehmlich in <strong>de</strong>n USA o<strong>de</strong>r Großbritannien Partnerschaftsverträge geschlossen und ihre<br />

Studieninhalte und Lehrmetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Partnerhochschulen angeglichen haben. Demzufolge sind an vielen<br />

Universitäten die Voraussetzungen für ein mo<strong>de</strong>rnes, international vergleichbares Studium gegeben.<br />

Die Regierung hob die Bildungsausgaben von 8,8 % <strong>de</strong>r Gesamtausgaben von 2004 auf 12,4 % im Jahr 2006 an.<br />

Damit konnten unter an<strong>de</strong>rem<br />

• die Pflicht-Sekundarstufe von drei auf vier Jahre verlängert wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel nach wie vor niedrigen<br />

Wissenstand <strong>de</strong>r Schüler in <strong>de</strong>r Sekundarstufe zu verbessern;<br />

• <strong>de</strong>r durch die wachsen<strong>de</strong> Bevölkerung und durch die verstärkte Einschulung von Mädchen in <strong>de</strong>n ländlichen<br />

Gebieten gestiegene Bildungsbedarf abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n;<br />

• eine Verbesserung <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>r Bildung eingeleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Trotz wichtiger politischer Reformen, die die türkischen Regierungen in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren auf <strong>de</strong>n Weg - und<br />

damit Ihr Land <strong>de</strong>r Aufnahme in die <strong>EU</strong> eine wichtige Etappe näher - gebracht haben und trotz <strong>de</strong>r fühlbaren<br />

wirtschaftlichen Erholung in <strong>de</strong>n letzten Jahren, sieht sich die Türkei gravieren<strong>de</strong>n Problemen gegenüber:<br />

• In <strong>de</strong>n Kur<strong>de</strong>ngebieten im Südosten hat sich die Lage <strong>de</strong>utlich verschlechtert, seit<strong>de</strong>m die auch von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> als<br />

terroristische Vereinigung geführte "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) - sie beansprucht, die Interessen von Millio -<br />

nen Kur<strong>de</strong>n gegenüber <strong>de</strong>m türkischen Nationalstaat zu vertreten – wie<strong>de</strong>r zum Mittel <strong>de</strong>s Terrors greift: Allein<br />

von November 2005 bis Juni 2006 wur<strong>de</strong>n 774 Anschläge verübt, <strong>de</strong>nen 62 Menschen – Soldaten, Polizisten<br />

und Zivilisten – zum Opfer fielen. Beobachter führen das Wie<strong>de</strong>raufflammen <strong>de</strong>r Gewalt auf die anhalten<strong>de</strong> wirtschaftliche<br />

und soziale Benachteiligung <strong>de</strong>r Kur<strong>de</strong>n zurück. Die PKK operiert offenbar zunehmend mehr von<br />

Basen im kurdischen Nordirak aus. Zwar hatte Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Tayyip Erdogan 2005 versprochen, die<br />

Probleme <strong>de</strong>r kurdischen Min<strong>de</strong>rheit „mit <strong>de</strong>mokratischen Mitteln zu lösen“, doch fand ein Dialog zwischen<br />

Regierung und lokalen Politikern, wie ihn z.B. die <strong>EU</strong>-Kommission angemahnt hatte, noch nicht ausreichend<br />

statt. Seit <strong>de</strong>r Staatsgründung im Jahr 1923 kämpfen die Kur<strong>de</strong>n um größere Autonomie bis hin zum eigenen<br />

Kur<strong>de</strong>nstaat. Im Kampf gegen die PKK-Guerilla wur<strong>de</strong>n seit 1990 viele kurdische Dörfer als angebliche<br />

Rückzugsorte <strong>de</strong>r PKK zerstört o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Armee zwangsevakuiert.<br />

• 1960 wur<strong>de</strong> die ehemalige britische Kolonie Zypern unabhängig. Die Türkei intervenierte 1974 militärisch in<br />

Zypern um <strong>de</strong>n - aus türkischer Sicht geplanten - Anschluss <strong>de</strong>r Insel an Griechenland zu verhin<strong>de</strong>rn. Seither ist<br />

Zypern faktisch geteilt. Die im Nordteil 1983 ausgerufene "Türkische Republik Nordzypern" wird international<br />

nicht anerkannt, die (südliche) Republik Zypern ist seit 2004 Mitglied <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>.<br />

• Die ca 70.000 Armenier im Land haben ebenfalls einen schweren Stand. Sie wer<strong>de</strong>n nicht als ethnische son<strong>de</strong>rn<br />

nur als religiöse Min<strong>de</strong>rheit anerkannt. 1914/15 wur<strong>de</strong>n bei einer kollektiven Strafaktion Millionen Armenier<br />

von Anatolien in die syrische Wüste umgesie<strong>de</strong>lt. Zwischen 600.000 und 1,5 Millionen kamen dabei ums Leben,<br />

in vielen Fällen wegen Hunger, durch Krankheit und Epi<strong>de</strong>mien. Der türkische Staat hat die historische Schuld<br />

<strong>de</strong>s Völkermor<strong>de</strong>s an <strong>de</strong>n Armeniern offiziell bis heute nicht eingestan<strong>de</strong>n, es gibt aber inzwischen erste<br />

Bemühungen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Staaten, ihre Beziehungen zu normalisieren.<br />

• Die Kluft zwischen Arm und Reich sowie zwischen West und Ost ist in <strong>de</strong>r Türkei nach wie vor sehr tief: Während<br />

knapp ein Fünftel <strong>de</strong>r Bevölkerung 2/3 <strong>de</strong>s Volkseinkommens bezieht, die Mittelschicht aber sehr schmal ist,<br />

leben Millionen unterhalb <strong>de</strong>r Armutsgrenze (insgesamt ca.25 %, in <strong>de</strong>n ländlichen Gebieten sogar fast 40 %!).<br />

• Die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Zahlen bei ca. 10%, dürfte aber tatsächlich höher sein.<br />

• Ein großes Problem <strong>de</strong>r Türkei stellt die veraltete Landwirtschaft dar, die 2006 zwar 26 % aller Erwerbstätigen<br />

beschäftigte, aber nur ca. 10,7 % <strong>de</strong>s Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftete. Im anatolischen Hochland, das trotz<br />

seiner Trockenheit die Kornkammer <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ist, glauben immer weniger Menschen eine vernünftige<br />

wirtschaftliche Perspektive zu haben; jährlich wan<strong>de</strong>rn Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> vom Land in die großen Städte aus.<br />

• Zwar hat die Türkei eine sehr junge, dynamische Bevölkerung – fast je<strong>de</strong>r vierte Türke ist unter 14 Jahre alt -,<br />

doch die Jahr für Jahr um etwa 1 Mio. zunehmen<strong>de</strong> Bevölkerung droht alle wirtschaftlichen Erfolge und<br />

Zuwächse "aufzufressen".<br />

- 17 -


Argumente für <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Beitritt Türkei<br />

1. Die Türkei versteht sich als europäisches Land, <strong>de</strong>ssen Lebensart und weltliche Gesinnung <strong>de</strong>m Alten<br />

Kontinent näher stehen als <strong>de</strong>n muslimischen Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Mittleren Ostens.<br />

2. Ihr Land verfügt über eine gut funktionieren<strong>de</strong> parlamentarische Demokratie und ist dabei, einen mo<strong>de</strong>rnen,<br />

<strong>de</strong>m europäischen Wertekanon entsprechen<strong>de</strong>n Rechtsstaat aufzubauen.<br />

3. Mit <strong>de</strong>n Verfassungsreformen von 2001 und 2004 hat die Türkei bereits wichtige Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> erfüllt:<br />

• Die To<strong>de</strong>sstrafe ist vollständig abgeschafft.<br />

• Kurdisch ist als Schul-, Rundfunk- und Fernsehsprache erlaubt.<br />

• Die Rechte von Untersuchungsgefangenen und Häftlingen sind ausgeweitet wor<strong>de</strong>n.<br />

• Die Meinungs- und Presseparagraphen sind spürbar liberalisiert wor<strong>de</strong>n, z.B. auch das bis dato<br />

eingeschränkte Demonstrationsrecht.<br />

Die seit En<strong>de</strong> 2002 regieren<strong>de</strong> gemäßigt islamische Reformpartei, geführt von Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Tayyip<br />

Erdogan, plant, <strong>de</strong>m Land mit einer verfassunggeben<strong>de</strong>n Versammlung ein gänzlich neues Grundgesetz zu<br />

geben.<br />

4. Mit <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>s Ausnahmezustands in <strong>de</strong>n vier Provinzen mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit (2002)<br />

bewies die türkische Regierung, dass sie es ernst damit meint, im Inneren Frie<strong>de</strong>n zu schaffen und die<br />

Aussöhnung mit <strong>de</strong>r größten Min<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s voranzutreiben. In politischer wie kultureller Hinsicht<br />

begann damit für die Kur<strong>de</strong>n eine bessere Zeit: Ihre Sprache und Traditionen erfahren seit<strong>de</strong>m eine<br />

Renaissance und seit <strong>de</strong>n Wahlen von Juli 2007 gibt es erstmals wie<strong>de</strong>r eine kurdische Fraktion im türkischen<br />

Parlament. Außer<strong>de</strong>m machte sich die Regierung daran, Rückkehrmöglichkeiten für Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> Kur<strong>de</strong>n<br />

aus <strong>de</strong>n Slums <strong>de</strong>r Großstädte in ihren angestammten Heimatregionen im Südosten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s zu schaffen.<br />

5. Mit einem Wachstum <strong>de</strong>r Wirtschaft von Ø 7,2 % seit 2002 – <strong>de</strong>m Jahr <strong>de</strong>s Amtsantritts <strong>de</strong>r gemäßigt<br />

islamischen Regierung unter Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Erdogan – liegt die Türkei im Spitzenfeld <strong>de</strong>r europäischen<br />

Län<strong>de</strong>r. Zu verdanken ist dies <strong>de</strong>r Tatsache, dass „die Regierung einen stetigen [Wirtschafts-]Reformkurs<br />

verfolgte“ und „<strong>de</strong>r Fortsetzung von Privatisierungen in großem Umfang. (...) Auf staatliche Unternehmen<br />

entfallen [nur mehr] rund 5 % <strong>de</strong>s BIP (...).“ (Fortschrittsbericht <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission von 2006) Türkische<br />

Unternehmen haben in <strong>de</strong>n letzten Jahren verstärkt in die Mo<strong>de</strong>rnisierung bzw. Ausweitung ihrer Anlagen<br />

investiert und damit die heimischen Güter und Dienstleistungen international wettbewerbsfähiger gemacht.<br />

Darüber hinaus wur<strong>de</strong>n allein 2005 fast 100.000 neue Unternehmen gegrün<strong>de</strong>t. Auch ausländische<br />

Unternehmen haben zunehmend die Türkei mit ihren guten Standortbedingungen, wie günstige rechtliche<br />

Rahmenbedingungen, eine gute Infrastruktur, gut ausgebil<strong>de</strong>te Fachkräfte und ein dynamisch wachsen<strong>de</strong>r<br />

Markt, für sich ent<strong>de</strong>ckt. Viele Unternehmen aus <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn (wie z.B. Siemens-Bosch-Hausgeräte) lassen in<br />

<strong>de</strong>r Türkei produzieren und beliefern von dort <strong>de</strong>n europäischen Markt. 2005 beliefen sich die ausländischen<br />

Direktinvestitionen auf fast 8 Mrd. €, fast drei mal soviel wie im Vorjahr.<br />

6. Bereits seit 1996 gibt es zwischen <strong>de</strong>r Europäischen Union und <strong>de</strong>r Türkei eine Zollunion, wobei es sich um<br />

ein rein wirtschaftliches Abkommen han<strong>de</strong>lt (z.B. Wegfall <strong>de</strong>r Zollschranken). Bei <strong>de</strong>n türkischen Exporten in<br />

die <strong>EU</strong> hatten seit<strong>de</strong>m vor allem Textilwaren einen Schub erfahren. In <strong>de</strong>n zehn Jahren von 1996 bis 2006<br />

verdreifachte sich das Han<strong>de</strong>lsvolumen zwischen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und <strong>de</strong>r Türkei von 25 auf 75 Mrd. €.<br />

7. Unter allen muslimischen Län<strong>de</strong>rn ist die Türkei (99% <strong>de</strong>r Bevölkerung sind Muslime) <strong>de</strong>r einzige säkulare<br />

und <strong>de</strong>mokratische Staat, <strong>de</strong>r sich bereits früh westlichen Errungenschaften und Wertevorstellungen geöffnet<br />

und diese in <strong>de</strong>r Verfassung festgeschrieben hat. Der strikten Trennung von Staat und Religion sind alle<br />

öffentliche Bereiche unterworfen, auch die Schulen und Universitäten, mit Ausnahme religiöser<br />

Bildungseinrichtungen; eine "Kopftuch-Debatte", wie sie z.B. in Deutschland und Frankreich geführt wird, ist in<br />

<strong>de</strong>r Türkei un<strong>de</strong>nkbar, wo seit Kemal Atatürks Zeiten das sichtbare Tragen religiöser Symbole in öffentlichen<br />

Gebäu<strong>de</strong>n untersagt ist.<br />

8. Die Europäische Union ist kein Club von christlich ausgerichteten Staaten, son<strong>de</strong>rn eine Wertegemeinschaft,<br />

die z.B. auch Län<strong>de</strong>rn mit überwiegend muslimischer Bevölkerung offen steht. Im Übrigen ist Kleinasien seit<br />

<strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Apostel Paulus’, <strong>de</strong>r durch diese Gegend wan<strong>de</strong>rte, predigte und Gemein<strong>de</strong>n grün<strong>de</strong>te (z.B. in<br />

Ephesus), christliches Stammland gewesen. So wur<strong>de</strong>n in Antiochia, <strong>de</strong>m heutigen Antakya, die Anhänger<br />

Jesu das erste Mal Christen genannt und hier steht auch mit <strong>de</strong>r Paulus-Kapelle die älteste Kirche überhaupt.<br />

Obwohl die Islamisierung erst ca. 1000 Jahre später begann, haben Christentum und Islam gemeinsame<br />

Wurzeln in Abraham und Moses. Die Religionen taugen auch nicht für die politische Grenzziehung in Europa,<br />

<strong>de</strong>nn sowohl Christentum wie Islam sind Teil <strong>de</strong>r europäischen Geschichte.<br />

9. Die Türken unterstützen in ihrer breiten Mehrheit <strong>de</strong>n Antrag ihrer Regierung auf Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und<br />

erhoffen sich davon nicht zuletzt die Durchsetzung weiterer <strong>de</strong>mokratischer Reformen. Spanien mit seiner<br />

Geschichte <strong>de</strong>s blutigen Bürgerkriegs und <strong>de</strong>r jahrzehntelangen faschistischen Diktatur im letzten Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

ist ein Para<strong>de</strong>beispiel dafür, wie die europäische Integration <strong>de</strong>n Demokratisierungsprozess beschleunigen<br />

und verstärken kann.<br />

- 18 -


Wichtigste Ergebnisse <strong>de</strong>s Fortschrittsberichts <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission über die Türkei<br />

vom 09.11.2010<br />

"Vor <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>s Berichts erklärte Kommissar Füle: 'Trotz <strong>de</strong>r 2009 erzielten Fortschritte sind wir<br />

besorgt, dass <strong>de</strong>r Beitrittsprozess <strong>de</strong>r Türkei seine Dynamik verlieren könnte. Dies zu verhin<strong>de</strong>rn ist vor<br />

allem Sache <strong>de</strong>r Türkei. Wir erwarten von ihr, dass sie ihre gegenwärtigen vertraglichen Verpflichtungen im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Zollunion mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vollständig erfüllt, bevor sie zu einer Vollmitgliedschaft in <strong>de</strong>r Union<br />

durchstarten kann.'<br />

Politische Kriterien<br />

Die Türkei erfüllt die politischen Kriterien nach wie vor in ausreichen<strong>de</strong>m Maße. Mit <strong>de</strong>m am<br />

12. September per Referendum gebilligten Verfassungspaket wur<strong>de</strong>n die Voraussetzungen für Fortschritte in<br />

Bereichen wie Justiz, Grundrechte o<strong>de</strong>r öffentliche Verwaltung geschaffen. Die Reformen führten zu<br />

folgen<strong>de</strong>n Än<strong>de</strong>rungen: Einschränkung <strong>de</strong>r Zuständigkeit <strong>de</strong>r Militärgerichte, Umstrukturierung <strong>de</strong>s<br />

Verfassungsgerichts, Erweiterung <strong>de</strong>r Zusammensetzung <strong>de</strong>s Hohen Rates <strong>de</strong>r Richter und Staatsanwälte,<br />

<strong>de</strong>r nun die Justiz insgesamt besser repräsentiert, Ausweitung <strong>de</strong>r Gewerkschaftsrechte im öffentlichen<br />

Sektor, Schaffung <strong>de</strong>r Grundlage für die Annahme beson<strong>de</strong>rer Maßnahmen zum Schutz <strong>de</strong>r Rechte von<br />

Frauen und Kin<strong>de</strong>rn, Gewährleistung <strong>de</strong>s Schutzes personenbezogener Daten und Einführung <strong>de</strong>s Rechts<br />

auf Beschwer<strong>de</strong> bei einem Ombudsmann.<br />

Nun kommt es auf eine transparente Umsetzung <strong>de</strong>r Verfassungsän<strong>de</strong>rungen unter Einbeziehung<br />

aller Akteure an. Darüber hinaus sind im Bereich <strong>de</strong>r Grundrechte noch erhebliche Anstrengungen<br />

erfor<strong>de</strong>rlich. Journalisten wer<strong>de</strong>n häufig strafrechtlich verfolgt und verurteilt und <strong>de</strong>r Druck auf die Medien<br />

untergräbt die Pressefreiheit. Nicht-muslimische Religionsgemeinschaften und die Aleviten wer<strong>de</strong>n weiterhin<br />

unangemessenen Beschränkungen unterworfen. Die '<strong>de</strong>mokratische Öffnung', mit <strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re die<br />

Kur<strong>de</strong>nfrage angegangen wer<strong>de</strong>n soll, hat nur zu begrenzten Ergebnissen geführt.<br />

Was <strong>de</strong>n Bereich regionale Fragen und internationale Verpflichtungen anbelangt, so hat die Türkei ihre<br />

Unterstützung für die Verhandlungen zwischen <strong>de</strong>n Führern <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Gemeinschaften bekun<strong>de</strong>t, die unter<br />

Vermittlung <strong>de</strong>s UN-Generalsekretärs eine umfassen<strong>de</strong> Lösung <strong>de</strong>r Zypernfrage anstreben. Die Türkei ist<br />

immer noch nicht ihrer Verpflichtung nachgekommen, das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen<br />

uneingeschränkt und ohne Diskriminierung umzusetzen. Auch sind bei <strong>de</strong>r Normalisierung <strong>de</strong>r bilateralen<br />

Beziehungen zur Republik Zypern keine Fortschritte zu verzeichnen. Was die Beziehungen zu Griechenland<br />

betrifft, so wird mit neuem Elan auf eine Verbesserung <strong>de</strong>r bilateralen Beziehungen hingewirkt.<br />

Wirtschaftliche Kriterien<br />

Die Türkei ist eine funktionieren<strong>de</strong> Marktwirtschaft. Das Land dürfte mittelfristig in <strong>de</strong>r Lage sein, <strong>de</strong>m<br />

Wettbewerbsdruck und <strong>de</strong>n Marktkräften in <strong>de</strong>r Union standzuhalten, sofern es sei umfassen<strong>de</strong>s<br />

Reformprogramm verwirklicht, um strukturelle Defizite zu beseitigen.<br />

Das Wirtschaftswachstum zog 2009 wie<strong>de</strong>r an und beschleunigte sich 2010, so dass die<br />

krisenbedingten Verluste zum Großteil wie<strong>de</strong>r wettgemacht wur<strong>de</strong>n. Die Tragfähigkeit <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Finanzen wur<strong>de</strong> aufrechterhalten und <strong>de</strong>r Zugang zu externem Kapital war für <strong>de</strong>n öffentlichen und <strong>de</strong>n<br />

privaten Sektor weiterhin unproblematisch. Die Han<strong>de</strong>ls- und Wirtschaftsintegration mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> blieb auf<br />

einem hohen Stand und die Türkei verstärkte ihre Präsenz auf neuen Märkten.<br />

Die Privatisierung und die Wirtschaftsreformen kamen voran, wenn auch in einem langsameren<br />

Tempo. Die Arbeitslosigkeit liegt über <strong>de</strong>m Vorkrisenniveau und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte<br />

und <strong>de</strong>r Finanzierungsbedarf haben sich erhöht. KMU haben weiterhin nur schwer Zugang zu Kapital.<br />

<strong>EU</strong>-Recht<br />

Die Türkei verbesserte ihre Fähigkeit zur Erfüllung <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft erwachsen<strong>de</strong>n<br />

Verpflichtungen, in<strong>de</strong>m sie ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften weiter an diejenigen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> anglich.<br />

Die Verabschiedung <strong>de</strong>s Gesetzes über staatliche Beihilfen durch die Große Nationalversammlung <strong>de</strong>r<br />

Türkei im Oktober ist ein wichtiger Schritt für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im<br />

Wettbewerbsbereich. Es besteht jedoch noch großer Angleichungsbedarf, insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Bereichen<br />

Fischerei, Sozialpolitik sowie Justiz und Inneres. Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Zollunion sind eine Reihe seit<br />

langem bestehen<strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsstreitigkeiten noch nicht beigelegt. In <strong>de</strong>n meisten Bereichen muss nun noch<br />

die Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r türkischen Verwaltung gestärkt wer<strong>de</strong>n, um eine ordnungsgemäße Anwendung<br />

und Durchsetzung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-relevanten Rechtsvorschriften zu gewährleisten.<br />

Auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Energieversorgungssicherheit ist die Türkei nach wie vor ein wichtiger Partner für die<br />

<strong>EU</strong>. Die Türkei hat das Regierungsabkommen über die Nabucco-Pipeline unterzeichnet. Die Paraphierung<br />

<strong>de</strong>s horizontalen Luftverkehrsabkommens im März 2010 ebnet <strong>de</strong>n Weg für eine engere Zusammenarbeit<br />

zwischen <strong>de</strong>r Türkei und <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> im Luftverkehr. Erhebliche Fortschritte wur<strong>de</strong>n im Hinblick auf <strong>de</strong>n<br />

Abschluss <strong>de</strong>r Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen zwischen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und <strong>de</strong>r Türkei erzielt.<br />

- 19 -


Ukraine Verhandlungsstrategie<br />

Sie sind <strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r Ukraine, die am 24.8.1991 die volle Unabhängigkeit von <strong>de</strong>r früheren<br />

Sowjetunion erlangt und seit 1998 die volle Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> anstrebt.<br />

Porträt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s:<br />

Die Ukraine grenzt im Nor<strong>de</strong>n und Osten an Weißrussland und Russland, im Westen an Polen, die<br />

Slowakei und Ungarn sowie im Sü<strong>de</strong>n an Rumänien und Moldawien. Ein großer Teil <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

besteht aus einer Tiefebene mit fruchtbaren Schwarzer<strong>de</strong>bö<strong>de</strong>n. Der Dnjepr durchfließt das Land<br />

von Nord nach Süd und mün<strong>de</strong>t ins Schwarze Meer. Dieser wasserreiche und wirtschaftlich<br />

wichtige Fluss bil<strong>de</strong>te in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Ukraine lange Zeit eine Grenzlinie, die das Land in<br />

Regionen mit unterschiedlicher historischer Entwicklung und Tradition teilte. Östlich <strong>de</strong>s Flusses<br />

erstreckte sich Russland, die Lan<strong>de</strong>steile westlich davon gehörten abwechselnd zu Litauen, Polen<br />

und Österreich-Ungarn. Von 1922 bis 1991 war die Ukraine Teil <strong>de</strong>r Sowjetunion.<br />

Die Ukraine besitzt reiche Bo<strong>de</strong>nschätze wie z.B. Kohle, Eisenerze, Uran, Blei und Zink. Die<br />

Stahlindustrie, die metallverarbeiten<strong>de</strong> Industrie, <strong>de</strong>r Maschinenbau, die Lebensmittelverarbeitung<br />

sowie die Chemieindustrie sind die wichtigsten Wirtschaftszweige<br />

Zwar ist die ukrainische Kultur eng mit <strong>de</strong>r russischen verbun<strong>de</strong>n, doch gab es bereits im 17. und<br />

18. Jahrhun<strong>de</strong>rt eigene Ausprägungen in Architektur, Malerei und Musik, die als "ukrainischer<br />

Barock" in die Kunstgeschichte eingingen. Das Bildungs- und Schulwesen war das am besten<br />

entwickelte im Zarenreich, wovon auch eine reiche Literatur zeugt. Im 19. und 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

haben Schriftsteller wie Taras Ševčenko, Ivan Franko o<strong>de</strong>r Michail Bulgakow ihren Beitrag zur<br />

Weltkultur geleistet.<br />

Kiew, O<strong>de</strong>ssa und Lemberg können mit unzähligen Kultur- bzw. Architektur<strong>de</strong>nkmälern und gut<br />

erhaltenen Altstadt-Ensembles aufwarten. Z.B. gehören die Sophienkathedrale und das<br />

Höhlenkloster Lawra Petschersk in Kiew sowie die Altstadt von Lemberg zum Weltkulturerbe.<br />

In <strong>de</strong>n Karpaten pflegen ukrainische Stämme ihre beson<strong>de</strong>ren Traditionen, z.B. alte Dialekte,<br />

Lie<strong>de</strong>r, Trachten und die herkömmliche Holzbauweise - hölzerne Dorfkirchen, stufenförmig<br />

mehrere Stockwerke hoch erbaut, sind Zeugnisse dieser großen Baukunst.<br />

Die Halbinsel Krim lockt mit ihrem angenehmen Klima, einer üppigen Vegetation, reichhaltigen<br />

Kultur<strong>de</strong>nkmälern und vielen Seebä<strong>de</strong>rn auch heute wie<strong>de</strong>r viele Touristen an. Der berühmteste<br />

Ba<strong>de</strong>ort ist Jalta, wo sich im Februar 1945 die "Großen Drei", Stalin, Roosevelt und Churchill<br />

trafen, um über die europäische Nachkriegsordnung zu beraten.<br />

St. Michail, Kiew<br />

Die Ukrainer, die sich selbst als "Selbständigkeitsfanatiker" ansehen, stimmten bei <strong>de</strong>r am 1. Dezember<br />

1991 durchgeführten Volksabstimmung bei hoher Wahlbeteiligung mit gut 90% <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s<br />

neuen Staates "Ukrajina" zu, darunter auch etwa 80% <strong>de</strong>r russischstämmigen Min<strong>de</strong>rheit. Die Wurzeln für<br />

das Streben nach Unabhängigkeit von <strong>de</strong>r ehemaligen Sowjetunion bzw. Russland als ihrem Nachfolgestaat<br />

- 20 -


liegen in <strong>de</strong>r Erfahrung von Unterdrückung <strong>de</strong>r ukrainischen Sprache und Kultur unter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Zaren <strong>de</strong>s russischen Reiches, in <strong>de</strong>r Nationalbewegung <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt und vor allem in <strong>de</strong>r bis heute<br />

nachwirken<strong>de</strong>n Erinnerung an <strong>de</strong>n Kampf <strong>de</strong>r russischen Bolschewiken (Kommunisten) sowie <strong>de</strong>r<br />

zaristischen Weißgardisten gegen die erste selbständige ukrainische Republik von 1918 bis 1920. Der<br />

Hungertod von geschätzten 6 bis 7 Millionen Ukrainern 1932-1934, ausgelöst durch die sowjetische<br />

Zwangskollektivierung in <strong>de</strong>r Landwirtschaft, sowie die Verfolgung und Ermordung ukrainischer Intellektueller<br />

unter Stalin in <strong>de</strong>n 30er Jahren, wird als nationales Trauma angesehen. Auch in <strong>de</strong>r Überzeugung <strong>de</strong>r<br />

nachfolgen<strong>de</strong>n Generationen kann dies nur durch die Unabhängigkeit vom großen Bru<strong>de</strong>r endgültig<br />

überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Umgekehrt haben viele Russen mit <strong>de</strong>m Staat Ukraine ein psychologisches Problem, weil die Wurzeln <strong>de</strong>s<br />

alten Zarenreichs Russland in Kiew liegen. In ihrer Perspektive ist die Ukraine russisches Kernland.<br />

Auch für viele Bewohner im Osten bzw. Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Ukraine ist es eine offene Frage, ob sich das Land eher<br />

nach Westen o<strong>de</strong>r nach Russland hin orientieren soll.<br />

Zwar streben Präsi<strong>de</strong>nt Juščenko und die Regierung stabile und gut nachbarschaftliche Beziehungen mit<br />

Russland an, doch gab es immer wie<strong>de</strong>r massive Beeinträchtigungen <strong>de</strong>s Verhältnisses:<br />

• Die Ukraine ist wichtiges Transitland für russische Öl- und Gasexporte nach Westen. 2006 setzte<br />

<strong>de</strong>r russische Gaskonzern Gasprom einseitig neue Gaspreise für die Ukraine fest: fast eine Woche<br />

war die Gasversorgung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s unterbrochen. Auch 2009 kam es wie<strong>de</strong>r zu heftigen<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen Russland und Ukraine um die Preise für Gaslieferungen und<br />

-transit.<br />

• Ein weiteres strittiges Thema ist die Stationierung <strong>de</strong>r russischen Schwarzmeerflotte auf <strong>de</strong>r<br />

Halbinsel Krim.<br />

Viele Ukrainer beobachten mit Sorge das misstrauische und for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Verhalten Russlands gegenüber<br />

ihrem Land. Auch aus diesem Grund sucht die Regierung die größtmögliche Annäherung an <strong>de</strong>n Westen<br />

und strebt die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r NATO (Nordatlantisches Verteidigungsbündnis) und <strong>EU</strong> an. Die Ukraine<br />

hat folgerichtig das NATO-Programm "Partnerschaft für <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n" unterzeichnet. Die Kooperation mit <strong>de</strong>r<br />

NATO fin<strong>de</strong>t ihren praktischen Nie<strong>de</strong>rschlag z.B. in gemeinsamen Flottenmanövern im Schwarzen Meer. Die<br />

ukrainische Regierung will <strong>de</strong>r NATO beitreten, wird in diesem Ziel aber nach Umfragen von <strong>de</strong>r großen<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung nicht unterstützt. Als wichtigstes außenpolitisches Ziel jedoch verfolgt die Ukraine<br />

mittelfristig die Aufnahme in die <strong>EU</strong> (laut einer Umfrage von Mai 2006 sprechen sich knapp zwei Drittel <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung für einen Beitritt zur <strong>EU</strong> aus). Schon heute ist die <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r wichtigste Han<strong>de</strong>lspartner <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s: Auf sie entfallen 32 % <strong>de</strong>r Exporte.<br />

Ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gibt es bereits, über ein<br />

Assoziierungsabkommen (Vertrag über enge Zusammenarbeit) wird schon verhan<strong>de</strong>lt.<br />

Die Min<strong>de</strong>rheiten in <strong>de</strong>r Ukraine<br />

• Die Rechte <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten sind durch die Verfassung ausdrücklich geschützt. So ist zwar Ukrainisch<br />

offizielle Amtssprache seit 1990, doch haben z.B. die Russen in <strong>de</strong>n Gebieten, wo sie eine kompakte<br />

Min<strong>de</strong>rheitengruppe bil<strong>de</strong>n, Anspruch auf amtlichen Gebrauch <strong>de</strong>s Russischen sowie auf eigene Schulen<br />

(auch die Abschlussprüfung an solchen Schulen kann in <strong>de</strong>r jeweiligen Min<strong>de</strong>rheitssprache abgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n, für Ukrainisch gibt es eine geson<strong>de</strong>rte Prüfung). Nicht zuletzt diesem fortschrittlichen<br />

Verfassungsrecht ist es zu verdanken, dass das gesellschaftliche Klima gegenüber <strong>de</strong>n Min<strong>de</strong>rheiten in<br />

<strong>de</strong>r Ukraine als tolerant und liberal eingeschätzt wer<strong>de</strong>n kann. Im Verhältnis zu <strong>de</strong>n nichtrussischen<br />

Min<strong>de</strong>rheiten gibt es kaum Probleme; die ca. 475.000 Ju<strong>de</strong>n im Land sind zwar mit sporadischem,<br />

individuellem Antisemitismus konfrontiert, sehen sich aber keinen staatlichen Repressalien o<strong>de</strong>r<br />

Ausgrenzungsversuchen ausgesetzt, wie auch die amerikanische Menschenrechtsorganisation "Human<br />

Rights Watch" in ihrem Bericht von 2000 hervorhebt.<br />

• Die meisten <strong>de</strong>r über 11 Millionen Russen sind mit <strong>de</strong>m Status ihrer kulturellen Eigenständigkeit<br />

zufrie<strong>de</strong>n und streben keineswegs einen Wie<strong>de</strong>ranschluss <strong>de</strong>r Ukraine an Russland an. Viele Russen, die<br />

z.B. als Industriearbeiter o<strong>de</strong>r Offiziere zu Sowjetzeiten in die Ukraine kamen und ukrainische Frauen<br />

heirateten, <strong>de</strong>finieren sich selbst als - russischsprachige - Ukrainer. Weil auch rund die Hälfte <strong>de</strong>r<br />

Ukrainer russischsprachig ist, hat Russisch und die russische Kultur insgesamt eine starke Stellung.<br />

• Die Halbinsel Krim hat von allen Regionen mit 68 % <strong>de</strong>n höchsten russischen Bevölkerungsanteil. Mit<br />

einer nahezu selbständigen Wirtschafts- und Kulturpolitik, die <strong>de</strong>r Regionalregierung <strong>de</strong>r Krim in <strong>de</strong>r<br />

ukrainischen Verfassung von 1996 zugestan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, ist die Autonomie für die Krim gera<strong>de</strong>zu<br />

mo<strong>de</strong>llhaft verwirklicht wor<strong>de</strong>n und wird auch von <strong>de</strong>n Russen angenommen.<br />

*) Ca. 80 % <strong>de</strong>s russischen Gasexports in die <strong>EU</strong>-Staaten laufen über die Ukraine, die somit auch in Zukunft und trotz<br />

<strong>de</strong>s Baus <strong>de</strong>r Ostseepipeline Monopolist beim Gastransport bleiben wird.<br />

- 21 -


Auf folgen<strong>de</strong> Basisdaten können Sie zurückgreifen:<br />

Fläche: 603.700 qkm<br />

Einwohner: 45,9 Millionen (2010)<br />

Ethnische Gruppen: Ukraine 73 % Sonstige ca. 5%<br />

Russen 22 %<br />

Staatsform: Präsidial<strong>de</strong>mokratie mit Gewaltenteilung<br />

Hauptstadt: Kiew<br />

Wirtschaftssektoren: Landwirtschaft Industrie und Bau Dienstleistung<br />

Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP):<br />

(jeweils 2006)<br />

Anteil an <strong>de</strong>r Beschäftigung<br />

(jeweils 2005)<br />

9 %<br />

19 %<br />

Wichtigste Importgüter: Erdöl, Erdgas, Maschinen und elektrotechnische Erzeugnisse,<br />

Wichtigste Exportgüter:<br />

Ausländische Investitionen (2009):<br />

Chemieerzeugnisse, Fahrzeuge<br />

35 %<br />

24 %<br />

56 %<br />

56 %<br />

Metalle/Eisenwaren, Mineralische Produkte, Chemieerzeugnisse, Textilien/Bekleidung,<br />

sowie Dienstleistungen z.B. Softwareanwendungen<br />

4,4 Mrd. US $<br />

BIP pro Kopf: ca. 2.230 € (2007); <strong>EU</strong>-Durchschnitt: ca. 25.100 € (2008)<br />

2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />

Wachstumsrate BIP: 2,6 % 7,0 % 7,3 % 2,1 % - 15 % 4,0 %<br />

Inflationsrate: 10,3 % 11,6 % 16,6 % 22,3 % 15,0 % 9,2 %<br />

Staatliche Neuverschuldung:<br />

(in % <strong>de</strong>s BIP)<br />

1,8 % 0,7 % 2,5 % 4,7 % 10,0 % 6,0 %<br />

Arbeitslosigkeit:<br />

(jeweils am Jahresen<strong>de</strong> gemessen): 8,8 % 6,7 % 6,4 % 7,0 % 8,8 % 7,2 %<br />

Die Voraussetzungen für die Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft waren in <strong>de</strong>r Ukraine<br />

ungünstiger als in <strong>de</strong>n ehemaligen Satellitenstaaten <strong>de</strong>r Sowjetunion, z.B. Polen und Ungarn. We<strong>de</strong>r gab es<br />

wie in Polen mit <strong>de</strong>r Gewerkschaft 'Solidarität' eine starke und breit verankerte Oppositionsbewegung im<br />

Land noch konnten frühzeitig mit an<strong>de</strong>ren Wirtschaftsformen, wie z.B. <strong>de</strong>m in Ungarn in <strong>de</strong>n 60er Jahren<br />

bereits umgesetzten Genossenschaftssystem, Erfahrungen mit marktwirtschaftlichen Mo<strong>de</strong>llen erworben<br />

wer<strong>de</strong>n. Hinzu kam die Spezialisierung auf bestimmte Wirtschaftsbereiche in <strong>de</strong>n ehemaligen sowjetischen<br />

Teilrepubliken, was sich für die Ukraine bereits im ersten Moment ihrer Unabhängigkeit als verhängnisvoll<br />

erweisen sollte: Plötzlich wur<strong>de</strong> das Fehlen eines geschlossenen Wirtschaftskreislaufes zum Handicap,<br />

mussten neue Abnehmer für die Erzeugnisse <strong>de</strong>r Schwer- und Rüstungsindustrie gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Bis<br />

heute besteht außer<strong>de</strong>m eine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen.<br />

Trotz<strong>de</strong>m konnte die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit auch unbestreitbare Erfolge verzeichnen:<br />

• Bereits in <strong>de</strong>r Amtszeit <strong>de</strong>s ersten Präsi<strong>de</strong>nten Leonid Kravčuk wur<strong>de</strong> die sogenannte kleine<br />

Privatisierung in die Wege geleitet: Kleinere Betriebe wur<strong>de</strong>n versteigert und einige größere staatliche<br />

Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewan<strong>de</strong>lt. Der Erwerb von Wohneigentum wur<strong>de</strong> durch<br />

staatliche Kredite zu günstigen Konditionen geför<strong>de</strong>rt. Gera<strong>de</strong> dieser Maßnahme ist es zu verdanken,<br />

dass in <strong>de</strong>r Ukraine in <strong>de</strong>n 90er Jahren eine starke private Bautätigkeit einsetzte und die große<br />

Wohnungsnot in <strong>de</strong>n Städten zumin<strong>de</strong>st gelin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n konnte. Heute befin<strong>de</strong>n sich bereits über 60%<br />

aller Wohnungen in privater Hand.<br />

• Sein Nachfolger Leonid Kučma, kündigte gleich zu Beginn seiner Amtszeit schmerzhafte radikale<br />

Reformen an, die in <strong>de</strong>n nächsten Jahren schrittweise umgesetzt wur<strong>de</strong>n:<br />

• Abgestufte Preiserhöhungen im Energie- und Verkehrssektor (Busbillets z.B. waren über Jahre auf<br />

einem lächerlich niedrigen Niveau eingefroren gewesen) sowie maßvolle Steuererleichterungen für die<br />

Unternehmen - so verbesserten sich einerseits die Einnahmen <strong>de</strong>s Staates (<strong>de</strong>r infolge<strong>de</strong>ssen auch<br />

weniger auf die Notenpresse angewiesen war, um seine Ausgaben zu <strong>de</strong>cken), an<strong>de</strong>rseits erhielten die<br />

Unternehmen Anreize zur Produktionssteigerung.<br />

- 22 -


• Auch viele große staatliche Produktionsbetriebe, z.B. die Traktoren- und Flugzeugwerke in Charkiv,<br />

<strong>de</strong>m ukrainischen Industriezentrum, o<strong>de</strong>r die Fluggesellschaft "Air Ukraine" wur<strong>de</strong>n nunmehr privatisiert.<br />

• 1996 löste sich die Ukraine aus <strong>de</strong>r Rubelzone und die neue Währung Hryvnja wur<strong>de</strong> eingeführt; mit ihr<br />

gelang es bis 1998 die Inflation auf nur 20% abzusenken und somit auch <strong>de</strong>m Tauschhan<strong>de</strong>l die Basis<br />

zu entziehen.<br />

• 1997 waren die KMU (kleinere und mittlere Unternehmen) vollständig privatisiert, darunter z.B. Lä<strong>de</strong>n und<br />

Tankstellen, so dass endlich die Versorgungsengpässe und das lästige Schlangestehen passé waren.<br />

Im Juni 1996 wur<strong>de</strong> die neue Verfassung vom Parlament angenommen, die die Prinzipien <strong>de</strong>r individuellen<br />

Menschen- und Bürgerrechte (u.a. auch das Eigentumsrecht) gewährleistet und die Demokratie in <strong>de</strong>r<br />

Ukraine auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Gewaltenteilung und Volkssouveränität festschreibt.<br />

Bis April 2000 wur<strong>de</strong> die Landreform umgesetzt, mit <strong>de</strong>r die Kolchosen aufgelöst und die freien<br />

Agrarflächen an übernahmewillige Bauern verteilt wur<strong>de</strong>n; noch im selben Jahr und auch 2001 nahm die<br />

Agrarproduktion um jeweils 10% zu! Spitzenzuwächse waren beim Getrei<strong>de</strong>anbau zu verzeichnen, <strong>de</strong>r z.B.<br />

2001 um 62% höhere Erträge als im Vorjahr abwarf. Die seit<strong>de</strong>m erzielten beachtlichen Überschüsse<br />

exportiert die Ukraine vornehmlich in die Mittelmeeranrainerstaaten. Das Land ist weltweit <strong>de</strong>r fünftgrößte<br />

Weizenexporteur, seine Agrarprodukte sind mit rund 15% am Außenhan<strong>de</strong>l beteiligt.<br />

Mit einer strengen Haushaltsdisziplin gelang es <strong>de</strong>r Regierung unter Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Victor Juščenko<br />

(Dezember 1999 bis April 2001) die staatliche Neuverschuldung zu begrenzen, die Rentenschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Staates zu begleichen und auch die internationalen Gläubiger zufrie<strong>de</strong>n zu stellen, so dass die<br />

Investitionen ausländischer Kapitalanleger wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich zunahmen.<br />

Das Bildungswesen wird seit einigen Jahren an europäische Standards angeglichen; z.B. wur<strong>de</strong> die<br />

(maximale) Gesamtschulzeit auf 12 Jahre verlängert, wobei die dreijährige Höhere Schule <strong>de</strong>n Abschluss<br />

bil<strong>de</strong>t. Es wur<strong>de</strong>n vielerorts wie<strong>de</strong>r Gymnasien eingerichtet, die neben Ukrainisch bis zu vier<br />

Fremdsprachen anbieten: Russisch, Englisch, Deutsch o<strong>de</strong>r Französisch und sogar Latein! Zusätzlich<br />

entstan<strong>de</strong>n neue musische Gymnasien und beson<strong>de</strong>re höhere Schulen für außergewöhnlich begabte<br />

Jugendliche. Für ukrainische Schüler ist <strong>de</strong>r Nachmittagsunterricht die Regel und entsprechend hoch ist die<br />

Belastung für Schüler wie Lehrer (lei<strong>de</strong>r hat die Ausweitung <strong>de</strong>s Bildungsangebots nicht zu einer<br />

Aufstockung <strong>de</strong>r erbärmlich niedrigen Lehrergehälter geführt). Die Reformen betrafen auch die Hochschulen<br />

und Universitäten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s: Viele Lehrinhalte wur<strong>de</strong>n vom i<strong>de</strong>ologischen Ballast <strong>de</strong>r Sowjetära befreit<br />

und neue Inhalte nach <strong>de</strong>m Vorbild westlicher Gesellschaften integriert (Ökologie z.B. ist heute Bestandteil<br />

mehrerer Studiengänge).<br />

Die Umweltsituation in <strong>de</strong>r Ukraine ist in vielen Teilen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s aufgrund <strong>de</strong>r relativ geringen<br />

Bevölkerungsdichte und durch die Stilllegung von großen umweltbelasten<strong>de</strong>n Industriebetrieben im Zuge <strong>de</strong>r<br />

Privatisierung eher unkritisch. Allerdings haben in einigen Regionen, wie z.B. im Donezk-Dnjepr-<br />

Industriegebiet, Luftverschmutzung und Gewässerverunreinigung ein kritisches Niveau erreicht.<br />

Hauptverursacher sind überalterte Anlagen <strong>de</strong>r Chemieindustrie und <strong>de</strong>r Metallverarbeitung, die ihre<br />

Abwässer ungeklärt in Flüsse leiten, bzw. Strom- und Heizkraftwerke, <strong>de</strong>ren Abgase meist unzureichend<br />

o<strong>de</strong>r gar nicht gefiltert wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus bereitet die Abfallbeseitigung zunehmend große Probleme.<br />

Dass das Umweltbewusstsein <strong>de</strong>r Bevölkerung noch nicht <strong>de</strong>n Grad wie in <strong>de</strong>n westeuropäischen Län<strong>de</strong>rn<br />

erreicht hat, zeigt sich auch am verschwen<strong>de</strong>rischen Umgang mit Heizenergie und Wasser. Das Kyoto-<br />

Protokoll zur Vermin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Treibhausgase hat das ukrainische Parlament am 2.2.2004 ratifiziert.<br />

Die Folgen <strong>de</strong>r Tschernobyl-Katastrophe von 1986 sind heute noch zu spüren. Rund 3 Mio. Menschen und<br />

ca. 9% <strong>de</strong>s ukrainischen Territoriums sind betroffen. 3.800 Arbeiter und Ingenieure sind auch heute noch in<br />

<strong>de</strong>r Sperrzone um das Atomkraftwerk tätig. Ihre Hauptaufgabe ist die Entsorgung <strong>de</strong>s radioaktiven Mülls. Zur<br />

Zeit wird <strong>de</strong>r Bau eines zweiten mehr als hun<strong>de</strong>rt Meter hohen Sarkophags geplant, <strong>de</strong>r das nach wie vor<br />

extrem strahlenverseuchte Reaktorgehäuse sowie <strong>de</strong>n ersten Sarkophag für min<strong>de</strong>stens 100 Jahre fest<br />

einschließen soll. Die Sanierung <strong>de</strong>s Unglücksreaktors und die medizinische und soziale Versorgung <strong>de</strong>r<br />

Strahlenopfer stellen das Land trotz <strong>de</strong>r Unterstützung <strong>de</strong>s Westens vor große finanzielle Probleme.<br />

Wirtschaftlich gesehen war die Situation in <strong>de</strong>r Ukraine 2003 und 2004 durch eine fortgesetzte<br />

Stabilisierung bei weiter wachsen<strong>de</strong>m Bruttosozialprodukt (BIP) gekennzeichnet (2004 nahm das BIP um<br />

mehr als 12% zu!). Dass die Erholung <strong>de</strong>r ukrainischen Wirtschaft wirklich nachhaltig ist, wird an <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung dreier wirtschaftlicher Kenngrößen <strong>de</strong>utlich:<br />

Die Exporte haben sich wertmäßig von 1999 bis 2004 mit 33 Mrd. $ fast verdreifacht!<br />

Die Firmenneugründungen nahmen in <strong>de</strong>n letzten Jahren stark zu.<br />

2003 nahmen erstmals auch die Investitionen ausländischer Firmen bzw. Kapitalanleger zu, ein<br />

sicheres Zeichen dafür, dass das Ausland die Talsohle <strong>de</strong>r schweren Wirtschaftskrise überwun<strong>de</strong>n<br />

sieht.<br />

Das hohe Wachstum hat erstmals seit <strong>de</strong>r Unabhängigkeit zu einer Steigerung <strong>de</strong>r Löhne und Gehälter<br />

geführt (2002 und 2003 ∅ ca. 15%, 2005 sogar knapp 23% reale Einkommensverbesserung, d.h. nach<br />

Herausrechnung <strong>de</strong>r Inflation). Dies führt zu einer allmählichen Verbesserung <strong>de</strong>s Lebensstandards und<br />

damit auch <strong>de</strong>r sozialen Situation <strong>de</strong>r Bevölkerung.<br />

- 23 -


Auf <strong>de</strong>r politischen Ebene dagegen rutschte das Land immer tiefer in eine dramatische Krise ab, ausgelöst<br />

durch Korruption und Mafia-Strukturen im Umfeld von Politik, Geheimdiensten und <strong>de</strong>n verbliebenen<br />

staatlichen Großunternehmen. Insbeson<strong>de</strong>re die Direktoren <strong>de</strong>r großen Energieunternehmen in <strong>de</strong>r Ukraine,<br />

die sogenannten Oligarchen, stehen seit Jahren im Ruf durch Einflussnahme auf Politik, Medien und<br />

Behör<strong>de</strong>n die marktbeherrschen<strong>de</strong> Stellung ihrer Unternehmen noch ausbauen zu wollen und vor allem sich<br />

persönlich zu bereichern. Journalisten, die über die Einflussnahme bestimmter Wirtschaftsunternehmen auf<br />

die Politik Recherchen anstellten und Bestechung, Geldwäsche und an<strong>de</strong>re kriminelle Praktiken in ihren<br />

Berichten anprangerten sowie oppositionelle Politiker, die die Aufklärung dieser Skandale und die<br />

Bestrafung <strong>de</strong>r Verantwortlichen for<strong>de</strong>rten, wur<strong>de</strong>n häufig eingeschüchtert o<strong>de</strong>r bedroht und sahen sich<br />

darüber hinaus oftmals tätlichen Angriffen ausgesetzt. Damit nicht genug, gab es in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />

außer<strong>de</strong>m viele Fälle von "verschwun<strong>de</strong>nen" o<strong>de</strong>r bei mysteriösen Verkehrsunfällen tödlich verunglückten<br />

Journalisten und Politikern.<br />

Allen offiziellen <strong>de</strong>mokratischen Bekenntnissen zum Trotz verharrte Präsi<strong>de</strong>nt Kučma bei seinem autoritären<br />

und un<strong>de</strong>mokratischen Kurs. Immer wie<strong>de</strong>r versuchte er auch am Parlament vorbei zu regieren,<br />

Abgeordnete <strong>de</strong>r Opposition wur<strong>de</strong>n schikaniert und es gab Fälle von Zensur. Im März 2003 organisierte,<br />

wie schon in <strong>de</strong>n Jahren zuvor, die Opposition im ganzen Land Demonstrationen. Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong><br />

protestierten gegen die Willkürherrschaft Kučmas und die Politik seiner Regierung und for<strong>de</strong>rten Neuwahlen.<br />

Ein vorläufiges En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Machtkampfes zwischen <strong>de</strong>r Regierung sowie <strong>de</strong>n sie unterstützen<strong>de</strong>n Oligarchen<br />

und <strong>de</strong>r zunehmend stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Opposition sollten erst die Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahlen 2004 bringen.<br />

Den Umfragen zufolge hatte <strong>de</strong>r beim Volk sehr beliebte frühere Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Victor Juščenko bei <strong>de</strong>r<br />

Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahl im Oktober die besten Chancen. Wenige Wochen vor <strong>de</strong>r Wahl wur<strong>de</strong> er aber Opfer<br />

eines wahrscheinlich von Geheimdienstagenten ausgeführten Giftanschlags. Juščenko, <strong>de</strong>r dank sofortiger<br />

ärztlicher Behandlung die heimtückische Attacke überlebte, hielt an seiner Kandidatur fest. Somit war das<br />

Kalkül <strong>de</strong>r Giftmischer - vermutlich aus Kreisen, die Ex-Präsi<strong>de</strong>nt Kučma nahestehen - nicht aufgegangen. In<br />

<strong>de</strong>r ersten Wahlrun<strong>de</strong> lag Juščenko dann knapp hinter <strong>de</strong>m Kandidaten <strong>de</strong>r ostukrainischen<br />

Industrieoligarchen, Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Janukowitsch. Bereits bei diesem Durchgang wur<strong>de</strong>n von<br />

Wahlbeobachtern <strong>de</strong>r OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) massive<br />

Manipulationen berichtet. Nach <strong>de</strong>r Stichwahl vom 21. November erklärte die von Präsi<strong>de</strong>nt Kučma<br />

eingesetzte Wahlkommission Janukowitsch zum Sieger; wie<strong>de</strong>rum war es vor allem im russisch geprägten<br />

Ostteil <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s zu Fälschungen gekommen. Doch nun gingen im ganzen Land Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> auf die<br />

Straße; es begann die "Revolution in Orange", benannt nach <strong>de</strong>r Kampagnenfarbe Juščenkos. Er klagte<br />

gegen das offizielle Wahlergebnis vor <strong>de</strong>m Obersten Gericht und es gelang ihm, die Wahlfälschungen mit<br />

vielen Zeugenaussagen im Detail nachzuweisen. Aufgrund dieser Beweislage und nicht zuletzt angesichts<br />

<strong>de</strong>r Massenproteste sowie <strong>de</strong>s Drucks von <strong>EU</strong> und USA erklärte das Oberste Gericht am 3.12.2004 die<br />

Stichwahl wegen Wahlbetrugs für ungültig und ordnete eine Wie<strong>de</strong>rholung für <strong>de</strong>n 26. Dezember an. Unter<br />

Vermittlung <strong>de</strong>s außenpolitischen Beauftragten <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, Javier Solana, sowie <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nten Polens und<br />

Litauens einigten sich Regierung und Opposition auf eine grundlegen<strong>de</strong> Reform <strong>de</strong>s Wahlgesetzes, mit <strong>de</strong>r<br />

Manipulationen bei Stimmabgabe bzw. -auszählung unmöglich gemacht wer<strong>de</strong>n sollten. Die Neuauflage <strong>de</strong>r<br />

Stichwahl um das ukrainische Präsi<strong>de</strong>ntenamt wur<strong>de</strong> von mehr als 12.000 internationalen Beobachtern<br />

überwacht, die dieses Mal im Großen und Ganzen einen fairen Verlauf feststellten. Die freie Welt atmete<br />

erleichtert auf und Millionen Ukrainer feierten begeistert das Ergebnis <strong>de</strong>r Wahl: Juščenko hatte mit einem<br />

Vorsprung von acht Prozentpunkten gewonnen. Er versprach, dass "Missachtung <strong>de</strong>s Volkswillens, Zensur,<br />

Lügen und Gewalt <strong>de</strong>r Vergangenheit angehören sollen." Im 14. Jahr seiner Unabhängigkeit wer<strong>de</strong> das Land<br />

nun endlich frei. Die Demonstranten, die über einen Monat lang gegen die Manipulationen <strong>de</strong>r Stichwahl<br />

protestiert und die "orangene Revolution" ausgelöst hätten, könnten "stolz darauf sein, <strong>de</strong>m wohl zynischsten<br />

Regime in ganz Osteuropa wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n zu haben."<br />

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt löste Präsi<strong>de</strong>nt Juščenko die Präsidialadministration auf, eine Behör<strong>de</strong><br />

die im Ruf stand, durch und durch korrupt zu sein. Im ganzen Land wur<strong>de</strong>n an die 18.000 Staatsdiener<br />

entlassen - zumeist wegen <strong>de</strong>s Verdachts von Bestechlichkeit; viele junge Leute übernahmen ihre<br />

Positionen, häufig allerdings ohne dafür entsprechen<strong>de</strong> Erfahrung mitzubringen. Um die Korruption im<br />

Staatsapparat mit mehr Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen, wur<strong>de</strong>n die Gehälter <strong>de</strong>r Staatsbediensteten 2005<br />

im Durchschnitt um mehr als 50 % angehoben. Zur Eindämmung <strong>de</strong>s Schwarzmarktes und Auf<strong>de</strong>ckung von<br />

Zollvergehen wer<strong>de</strong>n seither mobile Einsatzgruppen eingesetzt, die aus Vertretern verschie<strong>de</strong>ner Behör<strong>de</strong>n<br />

gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />

Tatsächlich steht die ukrainische Demokratie nach <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahlen vom Dezember 2004 sowie<br />

<strong>de</strong>n Parlamentswahlen vom März 2006 und <strong>de</strong>n vorgezogenen Wahlen vom September 2007 auf wesentlich<br />

festeren Füßen als noch vor <strong>de</strong>r Revolution. Die Wahlen entsprachen nach Einschätzung <strong>de</strong>r<br />

Wahlbeobachter <strong>de</strong>r OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Wesentlichen<br />

<strong>de</strong>mokratischen Standards und internationalen Verpflichtungen <strong>de</strong>r Ukraine. Diese Einschätzung trifft auch<br />

auf die Anfang 2010 durchgeführte Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahl zu, bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r bisherige Oppositionsführer Viktor<br />

Janukowitsch als Sieger hervorging.<br />

- 24 -


Auch bei <strong>de</strong>n Medien vollzog sich nach <strong>de</strong>r " Revolution in Orange" ein wichtiger Umbruch. Die Medien<br />

können heute freier berichten und sie informieren viel ausgewogener. Auch im Fernsehen gibt es keine<br />

politischen Tabus mehr - wie noch zu Zeiten von Präsi<strong>de</strong>nt Kučma - we<strong>de</strong>r was die Themen noch was<br />

bestimmte Persönlichkeiten betrifft.<br />

Dennoch muss das Land noch durch tief greifen<strong>de</strong> Reformen umgestaltet wer<strong>de</strong>n, bevor z.B. eine<br />

Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> in greifbare Nähe rückt.<br />

Die wichtigste anstehen<strong>de</strong> Reform ist die Justizreform, wozu auch <strong>de</strong>r Europarat die Ukraine drängt. Die<br />

Ukraine ist seit <strong>de</strong>m 8.11.1995 Mitglied dieser übernationalen Einrichtung, die sich <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r<br />

Grundrechte verschrieben hat. In <strong>de</strong>r Vergangenheit hatte beson<strong>de</strong>rs die Parlamentarische Versammlung<br />

<strong>de</strong>s Europarats wie<strong>de</strong>rholt <strong>de</strong>utliche Kritik an Defiziten <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen und rechtsstaatlichen<br />

Entwicklung sowie an <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Medien in <strong>de</strong>r Ukraine geäußert. Mit seinem Besuch beim Europarat<br />

in Straßburg (25.1.2005) nur zwei Tage nach seiner Vereidigung hat <strong>de</strong>r damalige Präsi<strong>de</strong>nt Victor Juščenko<br />

ein Zeichen gesetzt, dass die Ukraine unter seiner Führung <strong>de</strong>n Verpflichtungen gegenüber <strong>de</strong>m Europarat<br />

einen höheren Stellenwert einräumen will als bisher. Die Ukraine wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Empfehlungen <strong>de</strong>s Europarats<br />

zur Achtung <strong>de</strong>r Menschenrechte und Grundfreiheiten, zur Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Justiz, zur Freiheit <strong>de</strong>r<br />

Medien sowie zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Korruption Rechnung tragen. Zwar wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Jahren schon ein<br />

neues Strafgesetzbuch verabschie<strong>de</strong>t und die Prozessordnung im Sinne einer größeren Unabhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Richter geän<strong>de</strong>rt. Die Reform <strong>de</strong>s Gerichtswesens, die Rechtssicherheit auch in <strong>de</strong>r tiefsten ukrainischen<br />

Provinz herstellen soll, ist aber, obwohl von <strong>de</strong>r Regierung schon lange angekündigt, bisher noch nicht im<br />

Parlament eingebracht wor<strong>de</strong>n. Nach heutiger Gesetzeslage wer<strong>de</strong>n Richter und Staatsanwälte vom<br />

Generalstaatsanwalt, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum direkt <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten unterstellt ist, berufen, versetzt und gekündigt.<br />

Sie müssten aber, wie in westeuropäischen Demokratien üblich, wirklich unabhängig von Einflussnahme von<br />

außen arbeiten können.<br />

Wichtig ist für ausländische Investoren in <strong>de</strong>r Ukraine, dass die Steuergesetzgebung fairer und einfacher<br />

gestaltet wird, so dass sie die gleichen Chancen wie die inländischen Investoren haben. Gesetzesän<strong>de</strong>rungen<br />

zur Erleichterung <strong>de</strong>r bisher langwierigen Genehmigungsverfahren für Investoren sind von <strong>de</strong>r Regierung<br />

bereits auf <strong>de</strong>n Weg gebracht wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Chancen <strong>de</strong>r Ukraine auf Aufnahme in die <strong>EU</strong><br />

Perspektiven und Argumente<br />

• Die Ukraine ist geographisch gesehen nicht nur Teil Europas (als solcher hat es Anspruch auf Mitgliedschaft<br />

in <strong>de</strong>r Europäischen Union, s.a. Anlage A.1). Außer<strong>de</strong>m fühlen sich die meisten Ukrainer mit<br />

<strong>de</strong>r mitteleuropäischen Kultur sehr verbun<strong>de</strong>n.<br />

• Ihr Land erfüllt bereits wesentliche Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für <strong>de</strong>n Beitritt (s. Anlage A.2): Es hat sich eine<br />

<strong>de</strong>mokratische Verfassung gegeben, die zur Grundlage eines Rechtsstaats gewor<strong>de</strong>n ist.<br />

• Mit <strong>de</strong>r Vollendung <strong>de</strong>r "Revolution in Orange" hat das ukrainische Volk einen Sieg <strong>de</strong>r Freiheit errungen<br />

und außer<strong>de</strong>m "mit seinen friedlichen und mutigen Protesten ein hohes Maß an Verantwortung,<br />

Bürgersinn und zivilgesellschaftlicher Reife bewiesen" (<strong>de</strong>r ehemalige <strong>de</strong>utsche Außenminister Joschka<br />

Fischer). Mit <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>r Wahlgesetze und <strong>de</strong>r am 26.12.2004 weitgehend fair und sauber<br />

durchgeführten Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nten-Stichwahl sowie <strong>de</strong>m Verlauf <strong>de</strong>r Parlamentswahl im März<br />

2006 hat die Ukraine gezeigt, dass sie zu einer Demokratie westlichen Standards gereift ist. Heute gibt es<br />

in <strong>de</strong>r Ukraine volle Meinungs- und Medienfreiheit und politische Organisationen und Parteien können<br />

sich frei entfalten und arbeiten, wie sonst auch in Europa.<br />

• Mit <strong>de</strong>r vom Parlament am 8.12.2004 verabschie<strong>de</strong>ten Verfassungsreform hat sich für die Ukraine die<br />

Chance zu einem effektiven parlamentarischen Regierungssystem mit ausgeprägten "checks and<br />

balances" eröffnet. Während z.B. bisher <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt einen dominieren<strong>de</strong>n Einfluss auf die Regierungsbildung<br />

hatte, kann nunmehr das Parlament eigene Vorschläge präsentieren. Damit ähnelt das<br />

neue System weniger <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s östlichen Nachbar Russland (übermächtige Stellung <strong>de</strong>s Staatspräsi<strong>de</strong>nten)<br />

als <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s westlichen Nachbar Polen.<br />

• Die Justiz in <strong>de</strong>r Ukraine hat beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s Obersten Gerichts vom 3.12.2004, mit<br />

<strong>de</strong>r die Stichwahl bei <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahl für ungültig erklärt und eine Wahlwie<strong>de</strong>rholung<br />

angeordnet wur<strong>de</strong>, ihre in <strong>de</strong>r Verfassung garantierte Unabhängigkeit bewiesen und an Ansehen<br />

gewonnen. Immer mehr Staatsanwälte sehen sich als Teil <strong>de</strong>r Judikative (rechtsprechen<strong>de</strong> Gewalt) und<br />

nicht als Teil <strong>de</strong>r Exekutive an und gehen nicht länger auf politische Vorgaben ein.<br />

• Die Ukraine unternimmt viele Anstrengungen um ihre Min<strong>de</strong>rheiten zu integrieren: Zweisprachiger<br />

Unterricht (Ukrainisch und Russisch) in Gebieten mit hohem russischen Bevölkerungsanteil wird bis zur<br />

9. Jahrgangsstufe erteilt.<br />

- 25 -


• Bis 2008 verzeichnete die ukrainische Wirtschaft hohe Wachstumsraten. So war z.B. die Zuwachsrate <strong>de</strong>s<br />

Bruttoinlandsprodukts (Summe aller im Land her- bzw. zur Verfügung gestellten Güter und Dienstleistungen)<br />

2004 mit über 12% am höchsten unter allen europäischen Län<strong>de</strong>rn! Auch 2010 ist das Wirtschaftswachstum<br />

mit 4% höher als in <strong>de</strong>n meisten <strong>EU</strong>-Mitgliedslän<strong>de</strong>rn.<br />

• Die Wirtschaft in <strong>de</strong>r Ukraine ist heute in einem besseren Zustand als vor <strong>de</strong>r "Orangen Revolution". Zwar hat<br />

das Wachstum nicht mehr so hohe Zuwachsraten, aber <strong>de</strong>r Wettbewerb in <strong>de</strong>r Wirtschaft ist fairer gewor<strong>de</strong>n;<br />

z.B. wur<strong>de</strong>n 2005 die zoll- und mehrwertsteuerfreien Zonen abgeschafft, die vor allem <strong>de</strong>n Oligarchen mit ihren<br />

illegalen Machenschaften zu Gute kamen. Darüber hinaus hat die Regierung die Rahmenbedingungen für<br />

kleine und mittlere Unternehmen in jüngster Zeit verbessert. Wegen <strong>de</strong>r erfolgten Liberalisierung <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

und weiteren Fortschritten bei <strong>de</strong>r Privatisierung hat die <strong>EU</strong> die Ukraine als Marktwirtschaft anerkannt – eine<br />

Grundvoraussetzung für die engere Anbindung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s an die Europäische Union.<br />

• Bei allen Fortschritten darf nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, dass die momentane wirtschaftliche „Aufholjagd“ <strong>de</strong>r<br />

Ukraine vor <strong>de</strong>m Hintergrund einer nach wie vor niedrigen volkswirtschaftlichen Gesamtleistung erfolgt - das<br />

BIP/Kopf beträgt in <strong>de</strong>r Ukraine nach wie vor gera<strong>de</strong> einmal ca. 20 % <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Durchschnitts.<br />

• Die Ukraine ist ein großer und interessanter Markt. Aber auch die Nähe zur <strong>EU</strong>, gut ausgebil<strong>de</strong>te Arbeitskräfte<br />

und sehr niedrige Löhne machen das Land für ausländische Investoren attraktiv. Ein Beispiel für viele<br />

ausländischen Unternehmen, die sich in <strong>de</strong>n letzten Jahren in <strong>de</strong>r Ukraine angesie<strong>de</strong>lt haben, ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Automobilzulieferer Leoni. In seinem Werk für Kabelsysteme in Stryj mit 2.500 Arbeitern wird nach wie vor<br />

arbeitsintensive Fertigung betrieben bei sehr niedrigen Lohnkosten (ca. 80 - 100 € im Monat; selbst in Polen<br />

müsste die Firma fast drei Mal soviel zahlen).<br />

• Im Bildungsbereich ist es <strong>de</strong>m ukrainischen Staat bereits gut gelungen, die Angleichung an das europäische<br />

Bildungssystem zu erreichen. In jüngster Zeit z.B. wur<strong>de</strong>n die Rahmenlehrpläne <strong>de</strong>r allgemeinbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Schulen sowie die Studienabschlüsse an <strong>EU</strong>-Standards angeglichen. Die Vielfalt <strong>de</strong>r Bildungsangebote ist seit<br />

<strong>de</strong>r Unabhängigkeit erheblich gewachsen und Eltern bzw. Kin<strong>de</strong>r können <strong>de</strong>n Bildungsweg entsprechend <strong>de</strong>n<br />

eigenen Wünschen und Fähigkeiten auswählen. Ganztagsbetreuung bzw. -unterricht an Kin<strong>de</strong>rgärten und<br />

Schulen ist die Regel. Je<strong>de</strong>r Schüler hat nach wie vor das Recht auf kostenlosen Schulbesuch bis zum<br />

mittleren Abschluss; dies schließt Nachmittags- und Samstagsunterricht sowie vielfältige<br />

Arbeitsgemeinschaften (z.B. Schauspielunterricht, verschie<strong>de</strong>ne Sportarten und Musik-Wahlunterricht) mit ein.<br />

Die Fremdsprachen nehmen im Unterricht bereits einen <strong>de</strong>utlich höheren Stellenwert als noch vor 1991 ein.<br />

Deutsch rangiert nach Englisch auf <strong>de</strong>m zweiten Platz. Das Unterrichtsniveau ist erstaunlich hoch (was für die<br />

Qualifizierung <strong>de</strong>r Lehrer spricht) und die sprachlichen Fähigkeiten <strong>de</strong>r Schüler können sich im internationalen<br />

Vergleich durchaus sehen lassen. Die Universitäten und Hochschulen in <strong>de</strong>r Ukraine haben ihr hohes Niveau<br />

aus <strong>de</strong>r Zeit vor <strong>de</strong>r Unabhängigkeit halten und teilweise sogar ausbauen können.<br />

• Im Forschungsbereich verfügt die Ukraine über eine riesige Anzahl von Einrichtungen (ca. 1.500) noch aus<br />

Sowjetzeiten; zwei Drittel von ihnen forschen im Bereich Ingenieurwissenschaften. In <strong>de</strong>r Luft- und<br />

Raumfahrttechnik besitzt das Land immer noch ein hoch entwickeltes Potential und ist z.B. bei <strong>de</strong>r Konstruktion<br />

und Herstellung von Raketen ein weltweit gefragter Kooperationspartner.<br />

• In einem Bewerberland ist es die Perspektive auf <strong>de</strong>n Beitritt, womit <strong>de</strong>r Reformprozess von außen unterstützt<br />

und somit Fortschritt und Wohlstand beschleunigt wer<strong>de</strong>n kann. Daran ist die Ukraine interessiert - die <strong>EU</strong><br />

sollte es auch sein. Um <strong>de</strong>n Ukrainern zu versichern, dass sie nicht von Europa abgeschnitten wer<strong>de</strong>n, kann<br />

die <strong>EU</strong> zunächst praktische Schritte unternehmen - dazu gehören eine großzügige Visumregelung und die<br />

finanzielle För<strong>de</strong>rung zur Entwicklung <strong>de</strong>r verarmten ländlichen Regionen.<br />

• "Die Ukraine wird einen Platz in <strong>de</strong>r Europäischen Union anstreben", so <strong>de</strong>finierte <strong>de</strong>r ehemalige Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Juščenko das vorrangige Ziel ukrainischer Außenpolitik. Nach seiner Überzeugung ist "die 'Orange Revolution'<br />

möglich gewor<strong>de</strong>n, weil europäische Werte, vor allem Freiheit und Demokratie sich im Bewusstsein <strong>de</strong>s Volkes<br />

fest verankert haben." Das Gelingen <strong>de</strong>r Demokratie in <strong>de</strong>r Ukraine liegt auch im Interesse <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, <strong>de</strong>nn dies<br />

wür<strong>de</strong> auf die autoritären Nachbarn Weißrussland und vor allem Russland ausstrahlen. Auch <strong>de</strong>swegen sollte<br />

die <strong>EU</strong> nun <strong>de</strong>r Ukraine, einem Land mit europäischer Tradition und Geschichte, die Tür zum europäischen<br />

Haus öffnen.<br />

• Auch <strong>de</strong>r 2010 neu gewählte Präsi<strong>de</strong>nt Viktor Janukowitsch versicherte, dass die "Integration seines Lan<strong>de</strong>s in<br />

die Europäische Union" zu seinen Prioritäten gehört.<br />

In <strong>de</strong>r Fragerun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrats müssen Sie beson<strong>de</strong>rs auf folgen<strong>de</strong> Punkte vorbereitet sein:<br />

– Der Fortgang <strong>de</strong>r Demokratisierung in <strong>de</strong>r Ukraine.<br />

– Die Lage <strong>de</strong>r russischen Min<strong>de</strong>rheit in Ihrem Land.<br />

– Der Stand <strong>de</strong>r marktwirtschaftlichen Reformen (Privatisierung).<br />

– Die Situation <strong>de</strong>r Umwelt in ihrem Land.<br />

- 26 -


Die Europäische Kommission<br />

Die Kommission ist eine Art "Regierung" <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. Sie besitzt auch das Initiativrecht, d.h. sie erarbeitet<br />

Vorschläge für die „Unionsgesetze“ und legt sie <strong>de</strong>m Rat vor. Sie führt die Entscheidungen von Rat und<br />

Parlament aus (Exekutive); in vielen Fällen wer<strong>de</strong>n die <strong>EU</strong>-Beschlüsse erst in nationales Recht umgesetzt<br />

und dann ausgeführt. Die Kommission kontrolliert die Einhaltung und richtige Anwendung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Verträge,<br />

Gesetze und Verordnungen durch die Mitgliedsstaaten, wobei sie sich von <strong>de</strong>m aus ihrer Sicht gegebenen<br />

Allgemeininteresse <strong>de</strong>r Europäischen Union und ihrer Bürger leiten lassen soll. Außer<strong>de</strong>m ist sie für die<br />

Durchführung <strong>de</strong>r Gemeinschaftsvorschriften zuständig und verwaltet <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Haushalt. Die Kommission<br />

besteht aus 27 Mitglie<strong>de</strong>rn - pro <strong>EU</strong>-Land eines - und wird vom Präsi<strong>de</strong>nt/von <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntin geleitet.<br />

„Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kommission üben ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen<br />

Wohl <strong>de</strong>r Gemeinschaft aus. Sie dürfen bei <strong>de</strong>r Erfüllung ihrer Pflichten Anweisungen von einer<br />

Regierung o<strong>de</strong>r einer an<strong>de</strong>ren Stelle we<strong>de</strong>r anfor<strong>de</strong>rn noch entgegennehmen.“<br />

(Artikel 157 EG-Vertrag)<br />

Rollenbeschreibung<br />

Sie als Vertreter <strong>de</strong>r Europäischen Kommission haben im Verlauf <strong>de</strong>s <strong>Planspiel</strong>s folgen<strong>de</strong> Aufgaben:<br />

1. Begrüßung und Vorstellung <strong>de</strong>r einzelnen Län<strong>de</strong>rvertreter aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>s Ministerrats sowie<br />

<strong>de</strong>r Aufnahmekandidaten.<br />

2. Eröffnung <strong>de</strong>r Konferenz mit einer kurzen vorbereiteten Re<strong>de</strong>.<br />

3. Bekanntgabe <strong>de</strong>r Geschäfts- und Tagesordnung <strong>de</strong>r Verhandlung mit <strong>de</strong>n Aufnahmekandidaten.<br />

4. Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>.<br />

5. In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die künftige Gestaltung <strong>de</strong>r europäischen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik suchen Sie nach Möglichkeit zwischen <strong>de</strong>n unterschiedlichen Positionen zu<br />

vermitteln und die Beratungen zu einem gemeinsamen Ergebnis zu bringen.<br />

6. Mo<strong>de</strong>ration <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n Befragung <strong>de</strong>r<br />

Botschafter. (Die Fragen sollen sich nur auf diejenigen Themenbereiche beziehen, zu <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>n<br />

Rollentexten dafür die Spielergruppen <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r Informationen enthalten sind – siehe<br />

Anlage D.3!)<br />

7. Verfassen einer Stellungnahme zu <strong>de</strong>n Aufnahmeanträgen <strong>de</strong>r drei Län<strong>de</strong>r. Diese muss von <strong>de</strong>r<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Kommissare/Kommissarinnen getragen sein und folgen<strong>de</strong> Punkte enthalten:<br />

• Bewertung <strong>de</strong>r politischen und wirtschaftlichen Situation <strong>de</strong>r Aufnahmekandidaten:<br />

Welche Vorgaben nach A.2 haben die Beitrittskandidaten bereits ganz bzw. teilweise erreicht?<br />

• Gegenüberstellung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r einerseits und <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Mitgliedslän<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>rseits an einer Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>.<br />

• Empfehlung an <strong>de</strong>n Ministerrat, mit welchen Län<strong>de</strong>rn Beitrittsverhandlungen aufgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

8. Ihr Vorschlag zur Aufnahme von bestimmten Län<strong>de</strong>rn in die <strong>EU</strong> ist Grundlage <strong>de</strong>r Verhandlungen<br />

zwischen <strong>de</strong>m Ministerrat und <strong>de</strong>n Beitrittskandidaten. Während dieser Beratungen haben Sie die<br />

Diskussionsleitung inne und versuchen zwischen <strong>de</strong>n unterschiedlichen Positionen <strong>de</strong>r<br />

Aufnahmebefürworter und Aufnahmegegner zu vermitteln.<br />

9. Sie geben nach Abschluss <strong>de</strong>r Beratungen und erfolgter Abstimmung in einer kleinen<br />

Abschlussre<strong>de</strong> das Ergebnis vor <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>r Beitrittskandidaten und <strong>de</strong>m Ministerrat<br />

bekannt.<br />

- 27 -


Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten/ <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntin<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission<br />

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister, sehr geehrte Exzellenzen,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich freue mich, Sie heute hier am Sitz <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission begrüßen zu können!<br />

Die Europäische Union ist ein Erfolg! Seit mehr als einem halben Jahrhun<strong>de</strong>rt leben die Menschen<br />

in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> in Frie<strong>de</strong>n und Wohlstand. Die Europäische Union garantiert friedliche Zusammenarbeit,<br />

<strong>de</strong>mokratische und wirtschaftliche Stabilität, soziale Gerechtigkeit in ihren Mitgliedsstaaten und<br />

<strong>de</strong>n solidarischen Ausgleich zwischen reichen und armen Län<strong>de</strong>rn und Regionen.<br />

Wenn auch das „Mo<strong>de</strong>ll <strong>EU</strong>“ eine beispiellose Erfolgsgeschichte ist, so steht die Europäische<br />

Union in <strong>de</strong>n nächsten Jahren <strong>de</strong>nnoch vor großen Herausfor<strong>de</strong>rungen:<br />

Sie muss<br />

1. die Erweiterung erfolgreich weiterführen:<br />

Die <strong>EU</strong> ist im Mai 2004 bzw. im Januar 2007 um 12 Län<strong>de</strong>r aus Mittel- und Osteuropa bzw.<br />

aus <strong>de</strong>m Mittelmeerraum gewachsen. Damit ist zwar <strong>de</strong>r zwischenstaatliche Akt <strong>de</strong>s Beitritts<br />

vollzogen, die Integration <strong>de</strong>r neuen Bürger in die europäische Union steht aber noch am<br />

Anfang. Es braucht Zeit und Fingerspitzengefühl, die Köpfe und Herzen <strong>de</strong>r Bürger in <strong>de</strong>n<br />

neuen Län<strong>de</strong>rn wirklich für Europa zu gewinnen:<br />

2. Die Rolle <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> in <strong>de</strong>r Weltpolitik muss ausgebaut und gestärkt wer<strong>de</strong>n:<br />

Die <strong>EU</strong> muss ihre Fähigkeit zu weltweitem Han<strong>de</strong>ln ausbauen! Lei<strong>de</strong>r spricht Europa noch<br />

nicht mit einer Stimme und wird <strong>de</strong>swegen auch nicht als wirklich ernst zu nehmen<strong>de</strong>r Akteur<br />

wahrgenommen. Wir Europäer können aber nicht von <strong>de</strong>r Theaterloge aus zusehen, wie die<br />

Welt im Zeitalter von Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und an<strong>de</strong>ren Bedrohungen<br />

zunehmend chaotischer und gefährlicher wird. Europa muss endlich nach außen geeint<br />

auftreten und auch über wirksame Mittel zur Durchsetzung eigener Sicherheits- und<br />

Verteidigungsinteressen verfügen. Nach<strong>de</strong>m in wirtschaftlicher Hinsicht die <strong>EU</strong> bereits auf<br />

einer Augenhöhe mit Amerika steht, ist es nun an <strong>de</strong>r Zeit, das Gewicht <strong>de</strong>r europäischen<br />

Stimme in <strong>de</strong>r atlantischen Partnerschaft mit <strong>de</strong>n USA zu verstärken, ohne damit eine unnötige<br />

militärische Konkurrenz zu Amerika zu eröffnen.<br />

Es liegt außer<strong>de</strong>m im nationalen Interesse <strong>de</strong>r Mitgliedslän<strong>de</strong>r, die Selbstbehauptung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

auch im weltpolitischen Zusammenhang zu erreichen, <strong>de</strong>nn die einzelnen Staaten sind zu<br />

schwach, alleine <strong>de</strong>n welt- und sicherheitspolitischen Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

standzuhalten!<br />

'Quo vadis Europa?' (Wohin gehst du, Europa?) fragt uns daher ein weiteres Mal die<br />

Geschichte unseres Kontinents. Und die Antwort <strong>de</strong>r Europäer kann aus vielerlei Grün<strong>de</strong>n,<br />

wenn sie es gut mit sich und ihren Kin<strong>de</strong>rn meinen, nur lauten: Lasst uns vorwärts schreiten<br />

auf <strong>de</strong>m eingeschlagenen Weg eines zunehmend geeinten Europas! Lasst uns <strong>de</strong>n<br />

Zusammenhalt <strong>de</strong>r Europäischen Union festigen, die Fähigkeit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zum Han<strong>de</strong>ln nach<br />

innen wie nach außen stärken und Europas Rolle in <strong>de</strong>r Welt neu <strong>de</strong>finieren!<br />

An <strong>de</strong>m europäischen Haus <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> haben mittlerweile mehrere Generationen politisch<br />

erfolgreich gebaut. Es wird die Aufgabe unserer Generation sein, dieses Haus Europas zu<br />

vollen<strong>de</strong>n und so umzubauen, dass es auch zukünftigen Generationen ein sicheres Dach<br />

bieten kann. Auch wir, meine sehr verehrten Damen und Herren Minister und meine<br />

Kolleginnen und Kollegen Kommissare sind heute dazu aufgerufen.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

- 28 -


Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Hohen Beauftragten für die<br />

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

Ein sicheres Europa in einer besseren Welt:<br />

Sehr geehrte(r) Herr Präsi<strong>de</strong>nt/Frau Präsi<strong>de</strong>ntin, sehr geehrte Ministerinnen und Minister,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich freue mich, heute hier zu Ihnen sprechen zu dürfen!<br />

Nie zuvor ist Europa so wohlhabend, so sicher und so frei gewesen. Einer Phase gewalttätiger<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen unter <strong>de</strong>n europäischen Nationalstaaten in <strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 20.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts folgte eine in <strong>de</strong>r europäischen Geschichte beispiellose Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns und<br />

<strong>de</strong>r Stabilität.<br />

Die Schaffung <strong>de</strong>r Europäischen Union steht im Mittelpunkt dieser Entwicklung: Am Anfang sechs<br />

und mittlerweile 27 europäische Staaten haben sich verpflichtet, in gemeinsamen Institutionen<br />

zusammenzuarbeiten und Streitigkeiten auf friedlichem Wege beizulegen. Die aufeinan<strong>de</strong>r<br />

folgen<strong>de</strong>n Erweiterungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> lassen die Vision eines geeinten und friedlichen Kontinents<br />

Realität wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Vision kann allerdings nur dann Wirklichkeit wer<strong>de</strong>n, wenn die <strong>EU</strong> sich von einer<br />

Wirtschaftsmacht zu einer außen- und sicherheitspolitischen Größe weiterentwickelt. Wir<br />

können uns vor allem durch ein neu zu schaffen<strong>de</strong>s Amt <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers in Zukunft ein<br />

geschlosseneres Auftreten <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor allem bei internationalen Problemen und regionalen<br />

Konflikten erhoffen, z.B. im Nahost-Konflikt. Der <strong>EU</strong>-Außenminister hätte dann die Aufgabe,<br />

Interessensgegensätze unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten auszugleichen, die <strong>EU</strong> nach außen zu vertreten und<br />

die Politik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu Nationalstaaten zu gestalten. Wie wichtig eine einheitliche Stimme Europas<br />

ist, hat <strong>de</strong>r letzte Irak-Konflikt gezeigt: Weil Europa in Kriegsgegner und -befürworter gespalten<br />

war, musste es die Entscheidung über Krieg und Frie<strong>de</strong>n im Irak letztlich <strong>de</strong>n Amerikanern<br />

überlassen.<br />

Die <strong>EU</strong> sieht sich heute neuen Bedrohungen gegenüber, die entwe<strong>de</strong>r in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft entstan<strong>de</strong>n sind o<strong>de</strong>r als globale Bedrohungen ihre Auswirkungen auf die <strong>EU</strong> als<br />

Ganzes haben. Auf eine dieser Bedrohungen möchte ich gerne näher eingehen:<br />

In vielen Teilen <strong>de</strong>r Welt gibt es Bürgerkriege bzw. bewaffnete Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen<br />

verfein<strong>de</strong>ten Volksgruppen. Wir müssen nur an <strong>de</strong>n Ausbruch <strong>de</strong>s Konflikts auf <strong>de</strong>m Balkan in <strong>de</strong>n<br />

1990er Jahren <strong>de</strong>nken. Außerhalb Europas sind einige Regionen Afrikas zu nennen, wo es<br />

massive innerstaatliche Konflikte gibt, die Blutvergießen und humanitäre Katastrophen nach sich<br />

ziehen; hier muss sich die Europäische Union ihrem Teil <strong>de</strong>r Verantwortung stellen und hat z.B. im<br />

Kongo bzw. bei <strong>de</strong>n Wahlen 2006 auch bewiesen, dass sie dazu in <strong>de</strong>r Lage ist.<br />

Wie könnte und sollte nun die Europäische Union gegen diese neuen Bedrohungen vorgehen?<br />

In Län<strong>de</strong>rn mit Bürgerkriegen bzw. ethnischen Konflikten können militärische Mittel zur<br />

Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r Ordnung und humanitäre Mittel zur Bewältigung <strong>de</strong>r unmittelbaren Krise<br />

erfor<strong>de</strong>rlich sein. Die <strong>EU</strong> sollte im Ernstfall je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r Lage sein, frühzeitig und schnell auf<br />

solche Krisen reagieren zu können, wenn nötig auch mit militärischen Operationen. Dafür<br />

brauchen wir eine schnell verlegbare Eingreiftruppe von ca. 60.000 Soldatinnen und Soldaten, die<br />

beson<strong>de</strong>rs ausgebil<strong>de</strong>t und bestens ausgerüstet sind. Für diese Europäische Schnelle<br />

Eingreiftruppe sprechen auch die Erfahrungen auf <strong>de</strong>m Balkan im letzten Jahrzehnt, als wir<br />

Europäer das Heft <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns <strong>de</strong>n Amerikanern überlassen mussten, da wir über keine<br />

gemeinsame schlagkräftige Truppe verfügten, die wir in Bosnien o<strong>de</strong>r im Kosovo hätten einsetzen<br />

können.<br />

Meine Damen und Herren, als Zusammenschluss von 27 Staaten mit annähernd 500 Millionen<br />

Einwohnern ist die Europäische Union - ob es einem gefällt o<strong>de</strong>r nicht - zu einer einflussreichen<br />

Größe auf <strong>de</strong>r weltpolitischen Bühne gewor<strong>de</strong>n. Deshalb sollte sie auch bereit sein, einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Verantwortung für die globale Sicherheit zu tragen! Damit wür<strong>de</strong> die <strong>EU</strong> einen wichtigen Beitrag<br />

für eine gerechtere und sicherere Welt leisten.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

- 29 -


Frankreich, Belgien und Spanien<br />

Sie sind Vertreter Frankreichs und Belgiens, die 1957 Gründungsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) - <strong>de</strong>r Vorläuferin <strong>de</strong>r heutigen <strong>EU</strong> – waren, sowie Spanien, das 1986 <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

beitrat. Ihre Län<strong>de</strong>r sehen sich in einer langen Tradition <strong>de</strong>s europäischen Einigungsgedankens, <strong>de</strong>ssen<br />

Verwirklichung mit <strong>de</strong>n Erweiterungsrun<strong>de</strong>n von 2004 bzw. 2007 ein gutes Stück nähergerückt ist.<br />

Die Nachkriegspolitik Frankreichs war von Beginn an auf eine möglichst rasche europäische Integration<br />

ausgerichtet, wofür an erster Stelle Politiker wie Robert Schuman und Jean Monnet stehen. Die Stun<strong>de</strong> Null<br />

<strong>de</strong>r Europäischen Vereinigung schlug in Paris, als <strong>de</strong>r damalige französische Außenminister Schuman am 9.<br />

Mai 1950 seinen Plan verkün<strong>de</strong>te, Europa friedlich zu einigen.<br />

Frankreich war auch von Beginn an Mitglied in <strong>de</strong>r UNO (ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat!) sowie in <strong>de</strong>r<br />

NATO (Nordatlantisches Verteidigungsbündnis), hat sich dort allerdings von <strong>de</strong>r militärischen<br />

Zusammenarbeit schon zu Zeiten <strong>de</strong> Gaulles verabschie<strong>de</strong>t. Von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung ist immer schon die<br />

Zusammenarbeit mit Deutschland gewesen. Bereits 1948 leitete Außenminister Schuman die neue Politik<br />

Frankreichs ein, die er wie folgt begrün<strong>de</strong>te: "Wir wollen uns aber nicht einer Politik anschließen, die die<br />

Fehler, die nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg gemacht wur<strong>de</strong>n, wie<strong>de</strong>rholen wür<strong>de</strong>. (...) Das erneuerte Deutschland<br />

muss sich in das <strong>de</strong>mokratische Europa einfügen." Das <strong>de</strong>utsch-französische Verhältnis ist in seiner<br />

Intensität in <strong>de</strong>n internationalen Beziehungen ohne Vergleich und damit ein gutes Beispiel für eine<br />

gelungene politisch-gesellschaftliche Aussöhnung nach Jahrhun<strong>de</strong>rte langer Feindschaft. Der 1963<br />

geschlossene Elysee-Vertrag begrün<strong>de</strong>t bis heute dieses System von regelmäßigen Konsultationen und<br />

enger Kooperation. Das drückt sich z.B. in <strong>de</strong>n halbjährlich stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Regierungstreffen aus.<br />

Trotz traditionell guter Beziehungen zu <strong>de</strong>n USA sieht Frankreich die Vormachtansprüche <strong>de</strong>r USA mit<br />

Sorge und Kritik. Diese Einstellung wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n Irakkrieg 2003 noch verstärkt. Damals hatte sich<br />

Frankreich ähnlich wie Deutschland für die Einhaltung <strong>de</strong>s Völkerrechts und für eine stärkere Rolle <strong>de</strong>r UNO<br />

eingesetzt. Im Weltsicherheitsrat hatte Frankreich sein Veto gegen einen Resolutionsentwurf eingelegt, mit<br />

<strong>de</strong>m die USA und Großbritannien ein Mandat für ihren Krieg gegen <strong>de</strong>n Irak erhalten wollten.<br />

Der frühere Staatspräsi<strong>de</strong>nt Chirac äußerte sich wie<strong>de</strong>rholt zur hegemonialen Rolle (Hegemonie =<br />

Vorherrschaft) <strong>de</strong>r USA in <strong>de</strong>r Weltpolitik, in <strong>de</strong>r er eine große Gefahr sieht. In einem Interview mit <strong>de</strong>m<br />

Magazin „Time“ im Februar 2003 sagte er: "Eine Gesellschaft, in <strong>de</strong>r es nur einen einzigen Mächtigen gibt,<br />

ist immer eine gefährliche Gesellschaft und provoziert Gegenreaktionen. Daher bin ich für eine multipolare<br />

Welt, in <strong>de</strong>r Europa ganz offensichtlich einen Platz innehat." Und <strong>de</strong>r damalige Außenminister <strong>de</strong> Villepin<br />

begrün<strong>de</strong>te diese Sicht <strong>de</strong>r Weltpolitik so: "Um stabil zu sein, muss sich die Welt auf verschie<strong>de</strong>ne Pole<br />

stützen, um <strong>de</strong>n gegenwärtigen Bedrohungen begegnen zu können. Diese Pole dürfen keine Rivalen sein,<br />

son<strong>de</strong>rn müssen sich ergänzen." Dazu müssten die europäischen Län<strong>de</strong>r aber "eine gemeinsame Außen-<br />

und Sicherheitspolitik schaffen, die auch Ausdruck einer echten europäischen I<strong>de</strong>ntität ist. (..) Ein starkes<br />

Europa wird <strong>de</strong>n Interessen aller dienen. Es wird die Sicherheit <strong>de</strong>r Welt verbessern..."<br />

Nicht zuletzt aus dieser Weltsicht heraus ist die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Europäischen Union für<br />

Frankreich ein wichtiges Anliegen und das in mehrfacher Hinsicht. Ganz oben auf <strong>de</strong>r Tagesordnung steht<br />

für Paris nach <strong>de</strong>m Abschluss <strong>de</strong>r Osterweiterung die Reform <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Institutionen. Wenn Europa gegenüber<br />

an<strong>de</strong>ren Machtzentren in <strong>de</strong>r Welt ein starker Akteur sein will, muss es seine Politik nach außen einheitlich<br />

vertreten. Deswegen plädiert Frankreich auch für ein neu zu schaffen<strong>de</strong>s Amt <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers mit<br />

weitreichen<strong>de</strong>n Vollmachten. Die Vertiefung <strong>de</strong>r politischen Zusammenarbeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Außen-<br />

und Sicherheitspolitik schließt aber nach Überzeugung <strong>de</strong>r französischen Regierung nicht die Wahrung <strong>de</strong>r<br />

politischen und kulturellen Vielfalt Europas aus. Vielmehr soll die eigene Sprache und Kultur und darüber<br />

hinaus auch ein jeweils eigenständiges Gesellschafts- und Sozialmo<strong>de</strong>ll bei <strong>de</strong>n in vieler Hinsicht sehr<br />

unterschiedlichen „Bewohnern <strong>de</strong>s europäischen Hauses“ gepflegt wer<strong>de</strong>n<br />

Schließlich setzt sich Frankreich auch für die Entwicklung einer echten gemeinsamen europäischen<br />

Verteidigungspolitik ein. Bereits 2003 kündigten Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland im<br />

belgischen Tervuren an, eine eigene militärische Kommandostruktur aufzubauen. Kurze Zeit später for<strong>de</strong>rte<br />

<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s verteidigungspolitischen Ausschusses in <strong>de</strong>r französischen Nationalversammlung: "Die<br />

europäische Außenpolitik braucht einen bewaffneten Arm, <strong>de</strong>r nur durch <strong>de</strong>n starken politischen Willen <strong>de</strong>r<br />

Beteiligten entstehen kann." Gera<strong>de</strong> die vier oben genannten Staaten müssten nach seiner Überzeugung<br />

<strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Verteidigungs- und Rüstungspolitik eng zusammenarbeiten, dabei aber für an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r<br />

offen bleiben, die sich an dieser „verstärkten Zusammenarbeit“ beteiligen wollten.<br />

Was <strong>de</strong>n Beitritt weiterer Län<strong>de</strong>r zur <strong>EU</strong> angeht, so nimmt Paris vor allem gegenüber <strong>de</strong>r Türkei eine<br />

kritische Haltung ein. Schon im Januar 2006 for<strong>de</strong>rte die Regierung in Paris, „mit <strong>de</strong>r Türkei wirklich<br />

ergebnisoffene Verhandlungen zu führen". In Frankreich tut man sich schwer mit diesem Kandidaten - vor<br />

allem aus zwei Grün<strong>de</strong>n: Auf <strong>de</strong>r einen Seite fühlt man sich eher <strong>de</strong>n nordafrikanischen Län<strong>de</strong>rn, wie<br />

Algerien und Marokko, verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren in die Millionen gehen<strong>de</strong> Einwan<strong>de</strong>rer man zwar nicht gera<strong>de</strong> liebt,<br />

sie aber <strong>de</strong>nnoch respektiert. An<strong>de</strong>rerseits leben in Frankreich ca. 500.000 armenisch stämmige Bürger,<br />

<strong>de</strong>ren Vorfahren nach <strong>de</strong>n Pogromen von 1915-17 aus <strong>de</strong>m Osmanischen Reich geflohen waren (bei <strong>de</strong>n<br />

zwangsweisen "Umsiedlungen" <strong>de</strong>r Armenier waren mehr als eine Million Menschen umgekommen). Hier<br />

können sie in ihren Stadtvierteln, Kirchen und Vereinen ihre I<strong>de</strong>ntität leben, während die verbliebenen<br />

50.000 Armenier in <strong>de</strong>r Türkei bis heute einen schweren Stand haben. Der türkische Staat hat <strong>de</strong>n<br />

Völkermord an <strong>de</strong>n Armeniern offiziell bis heute nicht eingestan<strong>de</strong>n.<br />

- 30 -


Belgien, seit 1830 ein unabhängiger Staat, hat eine jahrhun<strong>de</strong>rtealte Han<strong>de</strong>lstradition. Brügge<br />

beispielsweise ist bereits im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt ein wichtiger Ausgangspunkt für <strong>de</strong>n internationalen Han<strong>de</strong>l. Ab<br />

<strong>de</strong>m 15. Jahrhun<strong>de</strong>rt ist Antwerpen dann be<strong>de</strong>utendste Han<strong>de</strong>lsstadt und wird im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt zur<br />

Drehscheibe für <strong>de</strong>n europäischen und asiatischen Han<strong>de</strong>l. Die geografische Lage und seine 'kleine Größe'<br />

sind die Grün<strong>de</strong> dafür, dass sich das Land <strong>de</strong>r Welt frühzeitig öffnete und heute steht Belgien weltweit mit an<br />

<strong>de</strong>r Spitze, wenn man die Ex- und Importe pro Einwohner betrachtet.<br />

Obwohl Belgien seit <strong>de</strong>r Unabhängigkeit einer Neutralitätspolitik verpflichtet gewesen war, blieb das Land<br />

we<strong>de</strong>r im ersten noch im Zweiten Weltkrieg verschont. Bei<strong>de</strong> Male wur<strong>de</strong> es von <strong>de</strong>utschen Truppen besetzt.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r Missachtung seiner Neutralität und <strong>de</strong>r leidvollen Erfahrungen in diesen Kriegen setzte das<br />

Land nach 1945 auf kollektive Verteidigung und zählte zu <strong>de</strong>n Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r NATO. Gleichzeitig<br />

stand Belgien mit an <strong>de</strong>r Wiege <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), <strong>de</strong>m direkten Vorläufer<br />

<strong>de</strong>r heutigen <strong>EU</strong>. Wie bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren fünf Grün<strong>de</strong>rstaaten <strong>de</strong>s europäischen Projektes war auch im Falle<br />

Belgiens das Hauptmotiv dabei <strong>de</strong>r Wunsch, in Regionen, die innerhalb von zwei Generationen<br />

verheeren<strong>de</strong>n Kriegen ausgesetzt waren, <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rherzustellen und zu garantieren. Neben<br />

Deutschland dürfte Belgien am meisten von <strong>de</strong>r europäischen Integration profitiert haben, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Wegfall<br />

<strong>de</strong>r Zölle bescherte <strong>de</strong>m Land in <strong>de</strong>n 60er Jahren, <strong>de</strong>n 'Gol<strong>de</strong>n Sixties', einen gewaltigen Exportboom.<br />

In Brüssel, <strong>de</strong>r Hauptstadt Belgiens, haben das NATO-Hauptquartier sowie die <strong>EU</strong>-Kommission ihren Sitz.<br />

Damit ist Brüssel so etwas wie die heimliche Hauptstadt Europas. Darüber hinaus sind in Brüssel mehr als<br />

1.100 weitere internationale Organisationen nie<strong>de</strong>rgelassen o<strong>de</strong>r vertreten. Hier tummelt sich das nach<br />

Washington größte Pressecorps, die Zahl <strong>de</strong>r Lobbyisten aus aller Welt geht in die Tausen<strong>de</strong>.<br />

Die Europapolitik hat für Belgien nach wie vor höchsten Stellenwert. In <strong>de</strong>n vielen Verhandlungen <strong>de</strong>r<br />

letzten Jahre hat Belgien mit oft großem Erfolg versucht, Brücken über entgegengesetzte Positionen hinweg<br />

zu schlagen. Das europäische Projekt hat sich allmählich zu einem viel ehrgeizigeren Integrationsprozess<br />

entwickelt, <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ermöglichen soll, ihre Stimme im Chor <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Großen dieser Welt geltend zu<br />

machen und ihre Wettbewerbsfähigkeit und soziale Verfasstheit zu erhalten. Belgien hat dabei stets eine<br />

Vorreiterrolle gespielt. Der Verfassungskonvent zur Reform <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> z.B. kam nicht zuletzt durch Initiative<br />

Belgiens zustan<strong>de</strong> (Ratsgipfel in Laeken im Dezember 2001). Im Zentrum <strong>de</strong>r Verfassung, die zur Zeit<br />

wegen <strong>de</strong>s Neins von Frankreich und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> auf Eis liegt, steht dabei die Verbesserung <strong>de</strong>r<br />

Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach ihrer Erweiterung auf nunmehr 27 Län<strong>de</strong>r. Für die Zukunft <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wird es<br />

von großer Be<strong>de</strong>utung sein, auf welchen politischen Fel<strong>de</strong>rn die Union ihre Zusammenarbeit verstärken<br />

kann und wie Entscheidungen über strittige Fragen getroffen wer<strong>de</strong>n. Der frühere Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Guy<br />

Verhofstadt (bis Juni 2007), gilt neben <strong>de</strong>m luxemburgischen Premier Jean-Clau<strong>de</strong> Juncker als <strong>de</strong>r<br />

profilierteste Verfechter <strong>de</strong>r 'Vereinigten Staaten von Europa'. In seinem gleichnamigen Buch stellte er die<br />

Frage, ob "wir es zulassen sollen, dass Europa zu einer freien Han<strong>de</strong>lszone wird und nichts an<strong>de</strong>res, o<strong>de</strong>r<br />

ob wir <strong>de</strong>n europäischen Fa<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r aufnehmen und ein soli<strong>de</strong>s politisches Europa schaffen, das in <strong>de</strong>r<br />

Welt eine Rolle spielen kann?" Für Verhofstadt und eine Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung ist die <strong>EU</strong> die geeignetste<br />

Antwort auf die Globalisierung und die damit verbun<strong>de</strong>nen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen.<br />

Die meisten Belgier fürchten auch nicht, dass ihr Nationalstaat in <strong>de</strong>m Maße an Macht und Be<strong>de</strong>utung<br />

verlieren könnte, in <strong>de</strong>m die <strong>EU</strong> an Kompetenzen dazu gewönne; <strong>de</strong>nn als zwar selbstbewusstes aber<br />

kleines Land hat man erfahren, dass die Übertragung von Befugnissen auf die <strong>EU</strong> häufig mit einer <strong>de</strong>utlichen<br />

Zunahme von Einflussmöglichkeiten verbun<strong>de</strong>n ist. Belgien sieht vor allem eine engere Zusammenarbeit <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union in <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik als vordringlich an und wünscht die Berufung<br />

eines <strong>EU</strong>-Außenministers, <strong>de</strong>r mit weitreichen<strong>de</strong>n Kompetenzen ausgestattet ist, die <strong>EU</strong> nach außen vertritt<br />

(z.B. in <strong>de</strong>n Gremien <strong>de</strong>r Vereinten Nationen) und zu Verhandlungen mit Nationalstaaten befugt ist. Auch<br />

bisher schon gab es in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> Ansätze einer „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP), wo die<br />

<strong>EU</strong> aber durch <strong>de</strong>n Zwang zu einstimmigen Entscheidungen im Rat <strong>de</strong>r Außenminister <strong>de</strong>r jetzt 27 <strong>EU</strong>-<br />

Staaten häufig nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum besitzt. 2003 z.B. machte <strong>de</strong>r Streit über <strong>de</strong>n<br />

Irak-Krieg vielen europäischen Politikern und Bürgern schmerzlich bewusst, wie ohnmächtig <strong>de</strong>r alte<br />

Kontinent auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Außenpolitik noch ist, weil einige <strong>EU</strong>-Staaten ihre nationalen Ansprüche<br />

fortwährend über <strong>de</strong>n europäischen Integrationsgedanken setzen. Deshalb setzt sich die belgische<br />

Regierung mit Nachdruck dafür ein, dass endlich auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r GASP bei Abstimmungen im<br />

Ministerrat das Mehrheitsprinzip statt <strong>de</strong>r bisher erfor<strong>de</strong>rlichen Einstimmigkeit gilt.<br />

In <strong>de</strong>r Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterstützt Belgien vorbehaltlos <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Schnellen Eingreiftruppe vor allem für präventive (vorbeugen<strong>de</strong>) Einsätze in Krisenher<strong>de</strong>n<br />

in Europa o<strong>de</strong>r für militärische Frie<strong>de</strong>nsmissionen im Auftrag <strong>de</strong>r UNO (Blauhelmeinsätze). Die Regierung ist<br />

dafür, dass diese Eingreiftruppe ein <strong>EU</strong>-Oberkommando erhält und damit unabhängig von <strong>de</strong>r NATO ist.<br />

- 31 -


Das Königreich Spanien hat mit <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Beitritt 1986 die Isolierung überwun<strong>de</strong>n, die für die Jahrzehnte <strong>de</strong>r<br />

Diktatur unter General Franco charakteristisch war. Das Land hat seit<strong>de</strong>m enorm von <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zur<br />

Europäischen Union profitiert:<br />

• In politischer Hinsicht - die Demokratie konnte sich durch <strong>de</strong>n geschützten Rahmen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> festigen;<br />

• in gesellschaftlicher Hinsicht – die Öffnung nach Europa brachte Liberalität und <strong>de</strong>n Wegfall alter<br />

überkommener Traditionen mit sich;<br />

• in wirtschaftlicher Hinsicht - mit <strong>EU</strong>-För<strong>de</strong>rmitteln wur<strong>de</strong>n in Spanien seit 1986 jährlich 300.000 neue<br />

Arbeitsplätze geschaffen; ebenso wur<strong>de</strong>n z.B. vier von zehn Autobahnkilometern o<strong>de</strong>r das<br />

Großprojekt <strong>de</strong>s Baus <strong>de</strong>r U-Bahn in Sevilla aus Gemeinschaftsgel<strong>de</strong>rn finanziert.<br />

Mit Wirtschaftsreformen - Privatisierung von Staatsunternehmen, Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r Industrie,<br />

Liberalisierung <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Abläufe und Öffnung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s für <strong>de</strong>n internationalen Wettbewerb -<br />

konnte das Land beachtliche Erfolge erreichen:<br />

• Unter <strong>de</strong>n Industrienationen nimmt Spanien gegenwärtig mit seinem Bruttoinlandsprodukt <strong>de</strong>n<br />

10. Rang ein. Das relativ hohe Wachstum das Spanien bis 2008 erzielte, belegt die Stärke <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

• Das Pro-Kopf-Einkommen lag 1986 bei gera<strong>de</strong> mal 68 % <strong>de</strong>s EG-Durchschnitts und betrug 2009<br />

101 % in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27.<br />

• Die einstmals hohe Arbeitslosigkeit lag 2007 mit ca. 8,3 % nur knapp über <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Durchschnitt, ist<br />

inzwischen aber durch die Wirtschaftskrise wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich gestiegen..<br />

• Für viele Investoren v.a. aus Südamerika ist Spanien unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten zum begehrtesten<br />

Standort gewor<strong>de</strong>n und umgekehrt tätigen viele spanische Unternehmen im internationalen<br />

Vergleich große Investitionen im Ausland.<br />

Die Spanier wissen, dass sie <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Aufschwung ihres Lan<strong>de</strong>s zu einem guten Teil <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union zu verdanken haben. Und obwohl sie auch wissen, dass es nach je<strong>de</strong>r<br />

Erweiterungsrun<strong>de</strong> schwerer wird, die eigenen Interessen zu vertreten (Spanien ist auch heute noch einer<br />

<strong>de</strong>r größten Nettoempfänger in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>), begegnen sie nach <strong>de</strong>r Osterweiterung <strong>de</strong>r Jahre 2004 und 2007<br />

<strong>de</strong>n neuen Mitglie<strong>de</strong>rn sowie auch eventuell weiteren <strong>EU</strong>-Kandidaten mit offenen Armen; <strong>de</strong>nn die Bürger<br />

sind in <strong>de</strong>n Jahren seit ihrem eigenen Beitritt zu "Super-Europäern" gewor<strong>de</strong>n - nach wie vor erfährt die I<strong>de</strong>e<br />

<strong>de</strong>s vereinigten Europas große Zustimmung in Spanien.<br />

Bei <strong>de</strong>n Parlamentswahlen 2004 wur<strong>de</strong>n die Sozialisten unter Rodriguez Zapatero stärkste Partei und stellen<br />

seit<strong>de</strong>m die Regierung (bei <strong>de</strong>n Wahlen 2008 wie<strong>de</strong>r bestätigt). Sein wichtigstes Wahlkampfversprechen war<br />

damals <strong>de</strong>r baldige Abzug <strong>de</strong>r spanischen Truppen aus <strong>de</strong>m Irak gewesen: „Wir hätten nie in <strong>de</strong>n Irak gehen<br />

sollen und <strong>de</strong>shalb kehren wir so schnell wie möglich zurück.“ Bis zum Frühsommer 2004 waren alle 1.300<br />

Soldaten abgezogen. Zapatero hatte im Wahlkampf auch versprochen, die beson<strong>de</strong>re Freundschaft mit<br />

Deutschland und Frankreich sowie zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren <strong>EU</strong>-Staaten wie<strong>de</strong>r zu beleben; gera<strong>de</strong> Deutschland<br />

habe eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle bei <strong>de</strong>r Einrichtung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Strukturfonds (Unterstützungstöpfe für<br />

wirtschaftlich rückständige Regionen) gespielt, von <strong>de</strong>nen Spanien in einem starken Maße profitiert. In<br />

wichtigen Fragen wie z.B. <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik gebe es mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n großen <strong>EU</strong>-Staaten<br />

breite Übereinstimmung. Bereits ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt konnte Zapatero bei einem<br />

Dreiergipfel von Deutschland, Frankreich und Spanien feststellen, dass „mein Land wie<strong>de</strong>r im Kern <strong>de</strong>r<br />

europäischen Entscheidungen ist“. Die drei Län<strong>de</strong>r sind in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> diejenigen, die am lautesten for<strong>de</strong>rn, dass<br />

die <strong>EU</strong> ihre Fähigkeit zur Planung und Führung von Krisenmanagement-Operationen unbedingt verstärken<br />

müsse (konkret ist damit die Bildung einer Europäischen Schnellen Eingreiftruppe für <strong>de</strong>n Einsatz in<br />

Krisengebieten gemeint). Die spanische Regierung lässt aber keinen Zweifel darüber, dass ihre Absichten<br />

weiterreichen. Sie will, laut <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sverteidigungsrichtlinie von 2004, eine „echte europäische Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik“, die letztlich auf eine „gemeinsame europäische Verteidigung“ abzielt. Die<br />

Schaffung einer Europäischen Schnellen Eingreiftruppe ist da nur <strong>de</strong>r erste Schritt zur Erreichung dieses<br />

Zieles.<br />

Zapateros Versprechen unmittelbar nach <strong>de</strong>r Wahl, dass „Spanien europäischer sein wird als je zuvor“,<br />

folgten bald Taten: So war Spanien das erste Land in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, in <strong>de</strong>m die Bürger über die (2005 gescheiterte)<br />

<strong>EU</strong>-Verfassung abstimmen konnten. Konsequenterweise war das Land anschließend eines <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Unterstützer für <strong>de</strong>n Vertrag von Lissabon und hat diesen im Juli 2008 ratifiziert.<br />

Doch auch in an<strong>de</strong>ren Bereichen als <strong>de</strong>r Europapolitik macht das Land stark von sich re<strong>de</strong>n. So urteilte <strong>de</strong>r<br />

'Spiegel' vor einigen Jahren: „Filmemacher, Maler, Musiker und Mo<strong>de</strong><strong>de</strong>signer befin<strong>de</strong>n sich auf <strong>de</strong>m<br />

Siegeszug durch Europa und in Übersee ... und weltweit wetteifern Städte um die Ehre, ein Gebäu<strong>de</strong> durch<br />

einen <strong>de</strong>r jungen spanischen Architekten entwerfen zu lassen. Die Spanier gehören plötzlich zu <strong>de</strong>n<br />

Trendsettern Europas. (...) Auch die blutigen März-Anschläge von 2004 haben die Spanier nicht in<br />

Depression versinken lassen. Sie haben die Wahl, drei Tage danach, zum Neuanfang gemacht.“<br />

Spanien gehört bis heute zu <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichen Befürwortern einer weiteren Integration und Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>.<br />

- 32 -


Aus <strong>de</strong>r Sicht Frankreichs, Belgiens und Spaniens sprechen vor allem folgen<strong>de</strong> Argumente für die<br />

Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong>:<br />

• Der Vertrag über die Europäische Union stellt je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Staat <strong>de</strong>n Beitritt in Aussicht<br />

(siehe auch Anlage A.1).<br />

• Mehr als 60 Jahre nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkriegs und <strong>de</strong>r Teilung Europas wür<strong>de</strong> damit die<br />

tatsächliche Vereinigung aller europäischen Staaten <strong>de</strong>r Verwirklichung näher rücken.<br />

• Der Han<strong>de</strong>l mit diesen Län<strong>de</strong>rn wird nach <strong>de</strong>ren Beitritt zur <strong>EU</strong> weiter zunehmen.<br />

• Alle drei Län<strong>de</strong>r versprechen sich Vorteile im Kampf gegen die illegale Einwan<strong>de</strong>rung und die<br />

grenzüberschreiten<strong>de</strong> organisierte Kriminalität, falls die Kandidatenlän<strong>de</strong>r aus Ost- und Südosteuropa<br />

in die <strong>EU</strong> aufgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Ihre Regierungen und mit ihnen viele Franzosen, Belgier und Spanier hegen jedoch auch handfeste<br />

Sorgen, was die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- und Südosteuropa in die <strong>EU</strong> angeht:<br />

• Die Regierungen fürchten von billigen Agrarprodukten aus <strong>de</strong>n Aufnahmelän<strong>de</strong>rn, vor allem aus <strong>de</strong>r<br />

Türkei und <strong>de</strong>r Ukraine, "überschwemmt" zu wer<strong>de</strong>n und glauben <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>r heimischen<br />

Landwirtschaft Schutzmaßnahmen einräumen zu müssen.<br />

• Ihre Regierungen gehen davon aus, in Zukunft mehr Geld in die <strong>EU</strong>-Kasse einzahlen zu müssen, da die<br />

<strong>EU</strong> noch auf viele Jahre hinaus Zuschüsse zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Beitrittslän<strong>de</strong>r leisten muss.<br />

• Viele Bürgerinnen und Bürger fürchten die Zuwan<strong>de</strong>rung von Arbeit suchen<strong>de</strong>n Migranten,<br />

insbeson<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>n bevölkerungsreichen Län<strong>de</strong>rn Türkei und Ukraine. Soziale Spannungen in <strong>de</strong>n<br />

wohlhaben<strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Mitgliedslän<strong>de</strong>rn könnten die Folge sein. Schon durch die Osterweiterung von 2004<br />

bzw. 2007 hat sich die Akzeptanz <strong>de</strong>s Erweiterungsprozesses unter Ihren Bürgern stark verringert.<br />

Sie sind zwar prinzipiell für die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- bzw. Südosteuropa in die <strong>EU</strong>, können<br />

aber in <strong>de</strong>n Verhandlungen mit <strong>de</strong>n Kandidatenlän<strong>de</strong>rn keine großen Zugeständnisse machen. Im Gegenteil,<br />

Sie müssen auf die Abschottung Ihrer Arbeitsmärkte (Ausnahme Belgien, wo es in vielen Sektoren sogar<br />

Arbeitskräftebedarf gibt) und einiger Bereiche im Warenhan<strong>de</strong>l pochen; hier wären in erster Linie <strong>de</strong>r<br />

Agrarmarkt, <strong>de</strong>r Stahl- und Textilhan<strong>de</strong>l betroffen - Bereiche, in <strong>de</strong>nen sich die neuen Mitgliedslän<strong>de</strong>rn<br />

freiwillig mehrjährigen Exportbeschränkungen unterwerfen müssten. An<strong>de</strong>rnfalls sehen Sie sich nicht in <strong>de</strong>r<br />

Lage, in Ihren Län<strong>de</strong>rn für die Aufnahme neuer Kandidaten zu werben und könnten bei <strong>de</strong>r Abstimmung am<br />

Schluss <strong>de</strong>r Konferenz nicht für <strong>de</strong>ren Beitritt stimmen.<br />

In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> und über die künftige europäische<br />

Außen- und Sicherheitspolitik stellen Sie folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

- 33 -


For<strong>de</strong>rungen von Frankreich, Belgien und Spanien<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

Für Ihre Regierungen hat eine vertiefte Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor allem in <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung: Die drei Län<strong>de</strong>r wünschen, dass<br />

es in Zukunft einen europäischen Außenminister gibt, <strong>de</strong>r die <strong>EU</strong> nach außen vertritt. Außer<strong>de</strong>m<br />

soll es starke <strong>EU</strong>-Streitkräfte für Kriseneinsätze in Europa sowie weltweite Frie<strong>de</strong>nseinsätze unter<br />

<strong>de</strong>r UNO-Flagge geben.<br />

1. Der <strong>EU</strong>-Außenminister soll dabei u.a. folgen<strong>de</strong> Aufgaben erfüllen:<br />

• Entwurf von Richtlinien einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik gegenüber Staaten<br />

in und außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B.<br />

Internationaler Terrorismus) und Abstimmung mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>EU</strong>-<br />

Staaten<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und bei<br />

Verhandlungen<br />

• Formulierung einer gemeinsamen europäischen Position in Krisen- und Konfliktfällen (z.B.<br />

Atomkonflikt mit <strong>de</strong>m Iran) und Vertretung dieses Standpunkts gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Konfliktparteien<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister<br />

Das Einstimmigkeitsprinzip wird in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

abgeschafft. Bei Entscheidungen im Ministerrat muss künftig nur noch eine Mehrheit von<br />

60% <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten einen Vorschlag unterstützen.<br />

2. Damit das Gewicht europäischer Außenpolitik gestärkt wird, baut die <strong>EU</strong> eine Schnelle<br />

Eingreiftruppe auf, die folgen<strong>de</strong> Bedingungen erfüllt:<br />

• Sie ist innerhalb kurzer Zeit mobilisierbar und an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einsetzbar.<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung,<br />

für die ein Mandat (Auftrag) <strong>de</strong>s UN-Sicherheitsrats erteilt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

• Geplant und geführt wer<strong>de</strong>n ihre Einsätze von einem <strong>EU</strong>-Oberkommando, das aus<br />

beson<strong>de</strong>rs geeigneten Offizieren aller beteiligter <strong>EU</strong>-Staaten besteht, in <strong>de</strong>m die NATO<br />

aber nicht vertreten ist. Die <strong>EU</strong> schafft für ihre eigenständigen Frie<strong>de</strong>nsmissionen auch ein<br />

eigenes militärisches Hauptquartier.<br />

• An dieser Eingreiftruppe können sich auch die neutralen Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> beteiligen (z.B.<br />

Finnland und Österreich ).<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

• Alle beitrittswilligen Staaten müssen die Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (s. Anlage A.2) erfüllen und können<br />

erst dann aufgenommen wer<strong>de</strong>n, wenn sie stabile Demokratien sind, eine wettbewerbsfähige<br />

Marktwirtschaft sowie eine unabhängige und wirkungsvolle Justiz besitzen.<br />

• Beim Binnenmarkt ("Vier Freiheiten") soll<br />

• im Bereich "Freizügigkeit für Personen" (= die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit für Arbeitnehmer) eine<br />

lange Übergangsfrist z. B. von fünf bis sechs Jahren für die Öffnung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Arbeitsmärkte<br />

für neu hinzukommen<strong>de</strong> Arbeitnehmer vorgesehen wer<strong>de</strong>n, um mögliche<br />

Massenwan<strong>de</strong>rungen Arbeit suchen<strong>de</strong>r Bürger aus <strong>de</strong>n Kandidatenlän<strong>de</strong>rn in die reicheren<br />

alten <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r zu verhin<strong>de</strong>rn und<br />

• im Bereich "freier Verkehr von Waren" sollen Ausnahmeregelungen für Wirtschaftsbereiche<br />

erlassen wer<strong>de</strong>n, die in Ihren Län<strong>de</strong>rn ohnehin schon mit massiver Konkurrenz zu tun haben<br />

(Agrarprodukte, Stahl, Textilien).<br />

• Sie wer<strong>de</strong>n keiner Erhöhung <strong>de</strong>r Beitragszahlungen zustimmen, da Ihre Regierungen <strong>de</strong>n<br />

wirtschaftlichen Gewinn aus einem Beitritt <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r geringer als im Fall z.B. von<br />

Deutschland einschätzen.<br />

- 34 -


Basisdaten <br />

Frankreich Belgien Spanien<br />

Fläche: 547.026 km² 30.528 km² 505.990 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 64,7 Mill. 10,8 Mill. 46,0 Mill.<br />

Bevölkerung: 92,6 % Franzosen<br />

7,4 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Staatsform:<br />

Parlamentarische<br />

Präsidial<strong>de</strong>mokratie<br />

91 % Belgier<br />

9 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Parlamentarische<br />

Monarchie<br />

Bun<strong>de</strong>sstaat<br />

98,2 % Spanier<br />

1,8 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Marokkaner, Briten, Deutsche)<br />

Parlamentarische<br />

Monarchie<br />

Hauptstadt: Paris Brüssel Madrid<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: ca. 1.928 Milliar<strong>de</strong>n € ca. 300 Milliar<strong>de</strong>n € 1.045 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 26.100 € 28.900 € 24.700 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

107 % 118 % 101 %<br />

Wachstumsrate 2010: -1,6 % -2,0 % -0,2 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 1,8 % 3,0 % 2,2 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 9,5 % 7,3 % 20,9 %<br />

- 35 -


Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Luxemburg<br />

Sie sind Vertreter Deutschlands, <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Luxemburgs, die 1957 Gründungsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – <strong>de</strong>r Vorläuferin <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> - waren.<br />

In <strong>de</strong>n über 60 Jahren ihres Bestehens hat sich die Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland zu einer lebendigen und<br />

krisenfesten Demokratie entwickelt. Nach <strong>de</strong>m Wie<strong>de</strong>raufbau gelang es Deutschland durch ein beispielloses<br />

Wachstum in <strong>de</strong>n 50er und 60er Jahren zu alter wirtschaftlicher Stärke zurück zu fin<strong>de</strong>n, in Europa führen<strong>de</strong><br />

Exportnation zu wer<strong>de</strong>n und so eine wirtschaftliche Vormachtstellung zu erreichen. Allerdings ist je<strong>de</strong>r dritte<br />

Arbeitsplatz - mehr als an<strong>de</strong>rswo in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> - vom europäischen Binnenmarkt abhängig und <strong>de</strong>utsche Firmen<br />

sind am stärksten über Filialen, Tochterunternehmen o<strong>de</strong>r sogenannte „Joint Ventures“ (Projektpartnerschaften)<br />

mit <strong>de</strong>r Wirtschaft an<strong>de</strong>rer <strong>EU</strong>-Staaten verschränkt. Wie kaum ein an<strong>de</strong>res <strong>EU</strong>-Land profitiert Deutschland also<br />

von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und hat somit ein vitales Interesse an <strong>de</strong>r Ausweitung und Vertiefung <strong>de</strong>r Zusammenarbeit im<br />

europäischen Staatenverbund sowie an <strong>de</strong>r Integration neuer Mitglie<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong>. Seit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung<br />

ist Deutschland als bevölkerungsreichstes Land in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu einer europäischen Mittelmacht gewor<strong>de</strong>n, jedoch<br />

führte dies nicht zu einer politischen Dominanz gegenüber <strong>de</strong>n europäischen Partnern.<br />

In <strong>de</strong>r Europapolitik setzt man nach wie vor auf die <strong>de</strong>utsch-französische Zusammenarbeit als <strong>de</strong>n Motor <strong>de</strong>r<br />

europäischen Integration und Vollendung <strong>de</strong>r politischen Union. Vor allem auf außen- und sicherheitspolitischem<br />

Feld sieht die Regierung in Berlin die Zeit alleiniger nationaler Verantwortlichkeit und Han<strong>de</strong>lns längst<br />

abgelaufen. Man will mit <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s ehemaligen Bun<strong>de</strong>skanzlers Schrö<strong>de</strong>r eine "wirklich einige Außen- und<br />

Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> als eine gemeinsame europäische Antwort auf die Globalisierung und um in einer sich<br />

rasant wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Welt mit Gewicht aufzutreten." Wie wichtig eine einheitliche Stimme Europas ist, hat vor<br />

Jahren <strong>de</strong>r Irak-Konflikt gezeigt: Weil Europa in Kriegsgegner und -befürworter gespalten war, musste es die<br />

Entscheidung über Krieg und Frie<strong>de</strong>n im Irak letztlich <strong>de</strong>n Amerikanern überlassen.<br />

Die Vollendung <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (GASP), <strong>de</strong>r zweiten Säule <strong>de</strong>s<br />

Gebäu<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, wäre nach Überzeugung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Regierung unvollständig, verzichtete Europa darauf,<br />

sich eigene Streitkräfte zu zulegen. Denn die Übernahme größerer Verantwortung <strong>de</strong>r Europäischen Union für<br />

Krisenprävention und Frie<strong>de</strong>nssicherung weltweit, wie sie von <strong>de</strong>n Vereinten Nationen und ihren Mitglie<strong>de</strong>rn -<br />

gera<strong>de</strong> auch von <strong>de</strong>n USA! - und schließlich von <strong>de</strong>n Europäern selbst gefor<strong>de</strong>rt wird, ist an die<br />

Weiterentwicklung ihrer militärischen Fähigkeiten gekoppelt. Beispielsweise kann <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r zerfallen<strong>de</strong>n<br />

Staaten in vielen Teilen <strong>de</strong>r Welt nicht länger nur mit zivilen Mitteln begegnet wer<strong>de</strong>n, dafür muss man auch<br />

über mobile, reaktionsschnelle und schlagkräftige Einheiten verfügen können; recht erfolgreich hat dies <strong>de</strong>r erste<br />

<strong>EU</strong>-Frie<strong>de</strong>nseinsatz solcher Art, die <strong>EU</strong>-Mission "Artemis" im Kongo im August und September 2003 bewiesen,<br />

wo allerdings ausschließlich französische Elitesoldaten zum Einsatz kamen. Konkret for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>shalb<br />

Deutschland zusammen mit Frankreich und an<strong>de</strong>ren <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn die Einrichtung einer Europäischen<br />

Schnellen Eingreiftruppe unter <strong>de</strong>m Oberkommando <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (nicht unter NATO-Kommando!), die<br />

hauptsächlich für Blauhelmeinsätze <strong>de</strong>r UNO zur Verfügung steht und innerhalb kurzer Zeit an je<strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r<br />

Welt verlegt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Von <strong>de</strong>n alten <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn profitiert Deutschland nach Österreich am stärksten von <strong>de</strong>r Osterweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

<strong>de</strong>r Jahre 2004 und 2007. Die <strong>de</strong>utsche Wirtschaft verspricht sich eine zusätzliche Ausweitung <strong>de</strong>s<br />

Exportgeschäfts durch <strong>de</strong>n Beitritt weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- bzw. Südosteuropa. Z.B. verbin<strong>de</strong>n Deutschland<br />

und die Türkei vielfältige und intensive Beziehungen, die viele Jahrhun<strong>de</strong>rte zurückreichen; darüber hinaus ist<br />

Deutschland aber auch wichtigster Han<strong>de</strong>lspartner <strong>de</strong>r Türkei und Unternehmen aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik sind<br />

dort an über tausend <strong>de</strong>utsch-türkischen Joint Ventures beteiligt. Auch die <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>sregierung unter<br />

Angela Merkel tritt dafür ein, dass die Verhandlungen mit <strong>de</strong>r Türkei über eine Aufnahme in die <strong>EU</strong> fortgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n, gleichzeitig muss sie aber auf Empfindsamkeiten in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung Rücksicht nehmen. Der<br />

"Kopftuchstreit" einer muslimischen Lehrerin mit <strong>de</strong>m Land Ba<strong>de</strong>n Württemberg, <strong>de</strong>r bis vor das<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht getragen wur<strong>de</strong>, ist symptomatisch für die Ängste vieler Deutscher vor einem zu<br />

großen Einfluss <strong>de</strong>r islamischen Kultur auf die <strong>de</strong>utsche Gesellschaft. Um solche Ängste abzubauen, beharrt die<br />

Bun<strong>de</strong>sregierung auf <strong>de</strong>r Fortsetzung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Reformen in <strong>de</strong>r Türkei.<br />

In <strong>de</strong>utscher Perspektive ist <strong>de</strong>r Beitritt <strong>de</strong>r Balkanstaaten weniger unstrittig, aber auch hier hat sich die<br />

Einhaltung <strong>de</strong>r Menschen- und Min<strong>de</strong>rheitenrechte als ein nur langfristig zu lösen<strong>de</strong>s Problem erwiesen, das<br />

nach Meinung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung konsequent beobachtet wer<strong>de</strong>n muss.<br />

- 36 -


Die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> gehören zu <strong>de</strong>n Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r UNO, <strong>de</strong>r NATO und <strong>de</strong>r EWG. Sie haben schon<br />

aufgrund ihrer international ausgerichteten Wirtschaft ein vornehmliches Interesse an Stabilität und Sicherheit in<br />

Europa und weltweit. Dies ist schon seit vielen Jahrhun<strong>de</strong>rten so; z.B. war es ein Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r, nämlich Hugo <strong>de</strong><br />

Groot (Hugo Grotius), <strong>de</strong>r im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt u.a. mit seiner Schrift „De jure bellis ac pacis“ (Vom Recht <strong>de</strong>s<br />

Krieges und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns) die Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Völkerrechts einläutete. Die Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r sehen<br />

die Durchsetzung <strong>de</strong>r Menschenrechte und die Frie<strong>de</strong>nserhaltung weltweit als vorrangige Aufgabe an, wobei die<br />

Vereinten Nationen hierfür <strong>de</strong>r richtige Rahmen seien. Ihr sehr erfolgreiches Engagement in <strong>de</strong>r<br />

Weltgemeinschaft brachte <strong>de</strong>m Land <strong>de</strong>n Sitz verschie<strong>de</strong>ner internationaler Gerichte ein: Den Haag ist u.a. Sitz<br />

<strong>de</strong>s Internationalen Gerichtshofs, <strong>de</strong>s Jugoslawien Tribunals sowie <strong>de</strong>s 2001 gegrün<strong>de</strong>ten Internationalen<br />

Strafgerichtshofs. In einer globalisierten Welt ist die internationale Zusammenarbeit nach Meinung <strong>de</strong>r meisten<br />

Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r sie vertreten<strong>de</strong>n Parteien wie <strong>de</strong>r Regierung unerlässlich. Deswegen gehören die<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> auch zuvor<strong>de</strong>rst zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, die global auftreten<strong>de</strong> Probleme (z.B. die Klimaerwärmung) in<br />

einem globalen Ansatz angehen wollen.<br />

In Europa sieht das Land Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme vor allem im Verbund <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. Mit<br />

an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, allen voran Frankreich, Deutschland und Belgien, sehen die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> die Zeit<br />

gekommen, in <strong>de</strong>r sich die <strong>EU</strong> von einer Wirtschaftsmacht zu einer außen- und sicherheitspolitischen Größe<br />

weiterentwickeln muss, ohne gleich eine Vormachtstellung in Europa anzustreben. Man erhofft sich durch ein<br />

neu zu schaffen<strong>de</strong>s Amt <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers in Zukunft ein geschlosseneres Auftreten <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor allem<br />

bei <strong>de</strong>njenigen internationalen Problemen und regionalen Konflikten, bei <strong>de</strong>nen sich die europäischen Interessen<br />

mit <strong>de</strong>nen Amerikas berühren (Z.B. bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s Internationalen Strafgerichtshofs, im Nahost-Konflikt o<strong>de</strong>r<br />

in Afrika). Der <strong>EU</strong>-Außenminister hätte nach <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen Regierung die Aufgabe,<br />

Interessensgegensätze unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten auszugleichen, die <strong>EU</strong> nach außen zu vertreten und die Politik <strong>de</strong>r<br />

<strong>EU</strong> zu Nationalstaaten zu gestalten.<br />

Die Nato sieht man nach wie vor als <strong>de</strong>n Eckpfeiler <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen Verteidigungspolitik an, doch will man<br />

gleichwohl <strong>de</strong>n sicherheitspolitischen Arm <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> so weit stärken, dass die <strong>EU</strong> in Zukunft in <strong>de</strong>r Lage ist, bei<br />

europäischen und an<strong>de</strong>ren regionalen Konflikten (also z.B. auf <strong>de</strong>m Balkan o<strong>de</strong>r im Nahen Osten),<br />

gegebenenfalls auch militärische Kriseneinsätze zur Befriedung akuter gewaltsamer Konflikte selbständig, d.h.<br />

ohne Unterstützung durch die Amerikaner, durchzuführen. Bisher schon waren die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> bei<br />

internationalen Frie<strong>de</strong>nsmissionen sehr engagiert und umso mehr ist die Regierung nun an <strong>de</strong>r Einrichtung einer<br />

europäischen Eingreiftruppe interessiert, die innerhalb kurzer Zeit mobilisiert und an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Welt<br />

eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann. Man erwartet sich von dieser Truppe nicht nur die Möglichkeit zu militärischem Han<strong>de</strong>ln<br />

son<strong>de</strong>rn damit verbun<strong>de</strong>n auch eine Stärkung <strong>de</strong>s Gewichtes europäischer Außenpolitik in <strong>de</strong>r Welt.<br />

Was die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> angeht, so haben die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> vor allem an <strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>r<br />

Balkanlän<strong>de</strong>r ein großes Interesse. Von Beginn an haben die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Befriedung in Ex-Jugoslawien<br />

großes Engagement gezeigt, z.B. waren nie<strong>de</strong>rländische Blauhelmsoldaten an <strong>de</strong>r UN-Schutztruppe in Bosnien<br />

beteiligt. Man ist nun sehr daran interessiert, diejenigen Balkanstaaten, die bereits sehr weit bei <strong>de</strong>n inneren<br />

Reformen fortgeschrittenen sind, in die <strong>EU</strong> zu integrieren und somit die ganze Region weiter zu stabilisieren.<br />

Im Falle <strong>de</strong>r Türkei war man bemüht, das Versprechen <strong>de</strong>s Europäischen Rates vom Dezember 2002<br />

einzulösen, mit <strong>de</strong>r Türkei in konkrete Beitrittsverhandlungen zu treten, sobald die Demokratisierung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

auch in <strong>de</strong>r Praxis weitere Fortschritte gemacht hat. Die Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r sind seit Jahrhun<strong>de</strong>rten religiösen wie<br />

ethnischen Min<strong>de</strong>rheiten gegenüber offen und tolerant eingestellt, weltweit sind sie ein geachteter Beobachter<br />

<strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>r Menschenrechte. Für die nie<strong>de</strong>rländische Regierung stellt die Respektierung <strong>de</strong>r<br />

Menschen- und Min<strong>de</strong>rheitenrechte in <strong>de</strong>n Kandidatenlän<strong>de</strong>rn die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Messlatte bei <strong>de</strong>r<br />

Beurteilung <strong>de</strong>r Beitrittsfähigkeit <strong>de</strong>r Kandidaten dar. Die Frage <strong>de</strong>r Zugehörigkeit <strong>de</strong>r meisten Türken zum<br />

Islam darf nach Überzeugung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Beantwortung dieser Frage keine Rolle spielen. Dem<br />

politischen Anspruch <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, die europäische Integration voranzutreiben und zu vertiefen, entspricht<br />

auch die wirtschaftliche Rolle <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s als „Gateway to Europe“, v.a. über <strong>de</strong>n Tiefseehafen Rotterdam und<br />

<strong>de</strong>n Flughafen Schiphol. Als klassische Han<strong>de</strong>lsnation sieht man in <strong>de</strong>n neuen <strong>EU</strong>-Mitglie<strong>de</strong>r bzw. <strong>EU</strong>-<br />

Kandidaten die Chance, bereits bestehen<strong>de</strong> Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Län<strong>de</strong>rn auszuweiten und <strong>de</strong>n<br />

Han<strong>de</strong>lsaustausch voranzutreiben, nicht zuletzt im eigenen Interesse. Ähnlich wie Deutschland hat man sich<br />

von <strong>de</strong>r Osterweiterung dringend notwendige Wachstumsimpulse für die heimische Wirtschaft erwartet und setzt<br />

auch bei zukünftigen Aufnahmerun<strong>de</strong>n darauf, dass diese Rechnung aufgehen wird.<br />

Die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> unterhalten zu allen Nachbarn sehr gute Beziehungen. Deutschland ist politisch wie<br />

wirtschaftlich ein sehr wichtiger Partner, auf <strong>de</strong>ssen Rat man vertraut und <strong>de</strong>m man bei <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen und Problemen, vor <strong>de</strong>nen die <strong>EU</strong> steht, also z.B. die Gestaltung <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

zum Osten Europas o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gestaltung einer wirklich gemeinsamen europäischen Außenpolitik, eine Leitrolle<br />

zumisst. Deutschland ist nach wie vor <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendste Han<strong>de</strong>lspartner <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, knapp 25% <strong>de</strong>r<br />

Exporte gehen nach und knapp 20% aller Importe stammen aus Deutschland.<br />

Die auf Ausgleich bedachte nie<strong>de</strong>rländische Diplomatie, verbun<strong>de</strong>n mit einem generell sehr sachlichen Ton in<br />

<strong>de</strong>r politischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, kommt bei <strong>de</strong>n Partnerlän<strong>de</strong>rn wie auch in <strong>de</strong>r Brüsseler Zentrale <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

sehr gut an, wo man die Nie<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r als Vermittler von ausgewogenen Kompromissen schätzt. Auch bei <strong>de</strong>n<br />

bevorstehen<strong>de</strong>n Verhandlungen mit <strong>de</strong>n Kandidaten aus Ost- bzw. Südosteuropa und über die Gestaltung <strong>de</strong>r<br />

Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wird diese Stimme <strong>de</strong>s Ausgleichs gebraucht.<br />

- 37 -


Luxemburg - seit 1839 selbständig - verstand sich lange Zeit als neutraler Staat, wur<strong>de</strong> aber trotz<strong>de</strong>m in bei<strong>de</strong>n<br />

Weltkriegen von <strong>de</strong>utschen Truppen besetzt. 1948 gab das Land seine Neutralität auf und wur<strong>de</strong> Mitglied in <strong>de</strong>r<br />

NATO. Die luxemburgischen Streitkräfte sind an Frie<strong>de</strong>nsmissionen beteiligt, wie etwa beim NATO-Einsatz im<br />

Kosovo o<strong>de</strong>r beim <strong>EU</strong>-Einsatz in Mazedonien. Ziele <strong>de</strong>r Politik Luxemburgs waren und sind sowohl Sicherheit<br />

als auch Einbindung in einen größeren Wirtschaftsverband. So war es nur konsequent, dass sich das Land nach<br />

<strong>de</strong>m zweiten Weltkrieg aktiv um die europäische Integration bemühte und zu <strong>de</strong>n Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Montanunion und dann <strong>de</strong>r EWG gehörte. Die Luxemburger gelten laut Meinungsumfragen als die<br />

"europäischsten" unter <strong>de</strong>n Europäern. In <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gilt <strong>de</strong>r Staat als ein starker Vertreter <strong>de</strong>r kleineren <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>ren Interessen er recht erfolgreich gegen übertriebene Ansprüche <strong>de</strong>r „Großen“ in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> verteidigt.<br />

In <strong>de</strong>r Außenpolitik Luxemburgs ist bis heute die enge Zusammenarbeit vor allem mit <strong>de</strong>n Nachbarlän<strong>de</strong>rn ein<br />

wichtiges Ziel. Das hat beispielsweise im Karlsruher Abkommen von 1996 seinen Nie<strong>de</strong>rschlag gefun<strong>de</strong>n, in<br />

<strong>de</strong>m sich Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Luxemburg zu verstärkter regionaler Zusammenarbeit<br />

verpflichtet haben. Wie Deutschland, die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> sowie Frankreich und eine Reihe weiterer <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r ist<br />

auch Luxemburg für einen <strong>EU</strong>-Außenminister und für die Einführung <strong>de</strong>s Mehrheitsprinzips in <strong>de</strong>r<br />

Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (GASP) sowie für <strong>de</strong>n Aufbau einer Europäischen<br />

Schnellen Eingreiftruppe unter einem <strong>EU</strong>-Oberkommando.<br />

Die Wirtschaft Luxemburgs ist immer noch auf Wachstumskurs und das Pro-Kopf-Einkommen ist das höchste in<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (2008: 67.600 €!). Luxemburg ist ein wichtiger Finanzplatz Europas sowie Sitz <strong>de</strong>s Europäischen<br />

Gerichtshofes und von Europol (europäische Polizeibehör<strong>de</strong>).<br />

Der Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> stand Luxemburg von Anfang an sehr positiv gegenüber und pflegte die Kontakte zu<br />

<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn Mittel- und Osteuropas, die die Mitgliedschaft anstrebten. Beson<strong>de</strong>res Augenmerk wur<strong>de</strong> dabei bis<br />

zur letzten Erweiterungsrun<strong>de</strong> auf Rumänien gerichtet, da dort noch heute Nachkommen von Luxemburgern<br />

leben, die im 12. sowie im 18.Jahrhun<strong>de</strong>rt ausgewan<strong>de</strong>rt sind.<br />

Einer <strong>de</strong>r wenigen Visionäre unter <strong>de</strong>n Staats- und Regierungschefs <strong>de</strong>r 27 <strong>EU</strong>-Staaten ist <strong>de</strong>r luxemburgische<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Jean-Clau<strong>de</strong> Juncker. Er hat sich als Mann <strong>de</strong>s Ausgleichs und als geschickter Kompromisse-<br />

Schmied in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> großes Ansehen verschafft. In einem Interview vom Mai 2006 sagte er: "Wir brauchen mehr<br />

Europa, weil in <strong>de</strong>r Globalisierung kein Nationalstaat mehr ausreichend starke Muskeln hat. (...) Die mo<strong>de</strong>rnen<br />

Bedrohungen wie internationales Verbrechen, Terrorismus o<strong>de</strong>r Umweltzerstörung sind von Nationalstaaten gar<br />

nicht mehr zu bewältigen."<br />

Sie als Vertreter dreier Gründungsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) haben sich<br />

immer als engagierte Befürworter <strong>de</strong>s europäischen Integrationsgedankens sowie <strong>de</strong>r Ausweitung und<br />

Vertiefung <strong>de</strong>r Zusammenarbeit in <strong>de</strong>m europäischen Staatenverbund gesehen. In <strong>de</strong>r Bevölkerung Ihrer Län<strong>de</strong>r<br />

herrscht mittlerweile eine <strong>de</strong>utliche Skepsis gegenüber weiteren Aufnahmerun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor, wie<br />

Meinungsumfragen belegen. Nach <strong>de</strong>m Eurobarometer (= repräsentative Meinungsumfrage) können sich 2009<br />

z.B. in Deutschland nur 31 % eine Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vorstellen (europaweit sind es 46 %).<br />

- 38 -


Aus Ihrer Sicht sprechen vor allem folgen<strong>de</strong> Argumente für die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- und<br />

Südosteuropa in die <strong>EU</strong>:<br />

• Der Vertrag über die Europäische Union (<strong>EU</strong>) stellt je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Staat <strong>de</strong>n Beitritt in Aussicht<br />

(siehe auch Anlage A.1).<br />

• Mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Weltkriegs und <strong>de</strong>r Teilung Europas rückt<br />

die tatsächliche Vereinigung aller europäischen Staaten <strong>de</strong>r Verwirklichung näher.<br />

• Die Wirtschaftskraft und die Sicherheit in Europa vor allem auch in Südosteuropa nehmen zu.<br />

• Die <strong>EU</strong> könnte ihren sicherheitspolitischen Einfluss im Nahen- und Mittleren Osten durch die Aufnahme<br />

<strong>de</strong>r Türkei wesentlich verstärken. Damit verbun<strong>de</strong>n wäre auch eine Zunahme <strong>de</strong>s weltpolitischen<br />

Gewichtes <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>.<br />

• Vor allem in Bezug auf die Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ehemaligen Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien sehen Ihre Regierungen<br />

für <strong>de</strong>n Fall massive Probleme auf sich zukommen, dass man diesen Län<strong>de</strong>rn die Aufnahme in die <strong>EU</strong><br />

verweigern sollte, beispielsweise eine Ausweitung <strong>de</strong>r Aktivität krimineller osteuropäischer Ban<strong>de</strong>n auf<br />

Deutschland und eine Zunahme <strong>de</strong>r illegalen Einwan<strong>de</strong>rung aus Armutsgrün<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> die organisierte<br />

Kriminalität, die in diesen Län<strong>de</strong>rn massiv um sich gegriffen hat, lässt sich aber im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

wesentlich effektiver bekämpfen. Und wenn sich die wirtschaftliche Situation in <strong>de</strong>n südosteuropäischen<br />

Län<strong>de</strong>rn nach einem Beitritt zur <strong>EU</strong> verbessert hat, wer<strong>de</strong>n ihre Bürger weniger versucht sein, nach<br />

Westeuropa auszuwan<strong>de</strong>rn.<br />

• Der Han<strong>de</strong>l mit <strong>de</strong>n Aufnahmekandidaten wird nach <strong>de</strong>ren Beitritt zur <strong>EU</strong> weiter zunehmen.<br />

• Für die Wirtschaft sehen Sie große Wachstumschancen, weil damit zu rechnen ist, dass gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche<br />

und nie<strong>de</strong>rländische Unternehmen auf <strong>de</strong>m Balkan und beson<strong>de</strong>rs auch in <strong>de</strong>r Türkei neue Absatzmärkte<br />

dazu gewinnen wer<strong>de</strong>n und damit in diesen <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn neue Arbeitsplätze geschaffen wer<strong>de</strong>n können.<br />

Gleichzeitig erwarten Sie, dass Unternehmen aus Ihren Län<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>n Balkanstaaten sowie <strong>de</strong>r<br />

Türkei erhebliche Investitionen vornehmen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn die niedrigen Löhne dort senken die<br />

Produktionskosten für die Unternehmen insgesamt, ein Faktor, <strong>de</strong>r im weltweiten Wettbewerb immer<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r wird. Mit <strong>de</strong>r Schaffung von vergleichsweise "billigen" Arbeitsplätzen in <strong>de</strong>r Türkei und<br />

an<strong>de</strong>rswo können die hochspezialisierten, "teuren" Arbeitsplätze zu hause gesichert wer<strong>de</strong>n, weil auf<br />

diese Weise die Produkte im immer härteren internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben.<br />

Allerdings gibt es in <strong>de</strong>r Bevölkerung und in <strong>de</strong>n Parteien Ihrer Län<strong>de</strong>r auch handfeste Sorgen und<br />

Befürchtungen, was die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> angeht:<br />

• Landwirte und Bauernverbän<strong>de</strong> haben die Besorgnis, vor allem was die Türkei und die Ukraine angeht,<br />

dass die heimischen Märkte von billigen Agrarimporten aus diesen Län<strong>de</strong>rn "überschwemmt" wer<strong>de</strong>n und<br />

<strong>de</strong>utsche wie nie<strong>de</strong>rländische Bauern <strong>de</strong>swegen Einkommensverluste hinnehmen müssen.<br />

• Viele Bürger hegen die Befürchtung einer massiven Zuwan<strong>de</strong>rung von Arbeit suchen<strong>de</strong>n Immigranten vor<br />

allem aus <strong>de</strong>r bevölkerungsreichen Türkei und <strong>de</strong>r Ukraine in ihre wohlhaben<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>r; dies könnte<br />

zusätzliche soziale Spannungen auslösen und wür<strong>de</strong> die Akzeptanz <strong>de</strong>r Europäischen Union in <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung insgesamt min<strong>de</strong>rn.<br />

• Beson<strong>de</strong>rs im katholischen Sü<strong>de</strong>n Deutschlands bestreiten viele die Zugehörigkeit <strong>de</strong>r Türkei mit ihrer<br />

überwiegen<strong>de</strong>n muslimischen Bevölkerung zur Europa-Familie, als <strong>de</strong>ren Wurzel man das christliche<br />

europäische Abendland ansieht. Die Geschichte <strong>de</strong>r Türkei als Nachfolgestaat <strong>de</strong>s Osmanischen<br />

Reiches, ihre Kultur und die als sehr unterschiedlich empfun<strong>de</strong>nen Wertvorstellungen <strong>de</strong>s Islam stehen<br />

nach Überzeugung vieler Menschen <strong>de</strong>r Aufnahme in die <strong>EU</strong> entgegen.<br />

• Sie befürchten in Zukunft erheblich mehr Geld in die <strong>EU</strong>-Kasse einzahlen zu müssen, da die <strong>EU</strong> noch auf<br />

viele Jahre Zuschüsse zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung <strong>de</strong>r neuen Beitrittslän<strong>de</strong>r leisten<br />

muss.<br />

In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> und über die Gestaltung <strong>de</strong>r künftigen<br />

europäischen Außen- und Sicherheitspolitik stellen Sie folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

- 39 -


For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und<br />

Luxemburgs<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

25. Sie for<strong>de</strong>rn die Schaffung eines Amtes <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers mit folgen<strong>de</strong>n Aufgaben:<br />

• Entwurf von Leitlinien gemeinsamer europäischer Außenpolitik gegenüber Staaten in und<br />

außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B. internationaler<br />

Terrorismus) und Abstimmung mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>EU</strong>-Staaten<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und bei Verhandlungen<br />

• Formulierung einer gemeinsamen europäischen Position in Krisen- und Konfliktfällen (z.B. Irak)<br />

und Vertretung dieses Standpunkts gegenüber <strong>de</strong>n Konfliktparteien<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister<br />

Das Einstimmigkeitsprinzip wird in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik abgeschafft. Bei<br />

Entscheidungen im Ministerrat muss künftig nur noch eine Mehrheit von 60% <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten einen<br />

Vorschlag unterstützen.<br />

26. Damit das Gewicht europäischer Außenpolitik gestärkt wird, baut die <strong>EU</strong> eine Schnelle<br />

Eingreiftruppe auf, die folgen<strong>de</strong>n Bedingungen genügt:<br />

• Sie ist innerhalb kurzer Zeit mobilisierbar und an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einsetzbar.<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung, für die<br />

ein Mandat (Auftrag) <strong>de</strong>s UN-Sicherheitsrats erteilt wor<strong>de</strong>n ist und für die die NATO eine<br />

Beteiligung abgelehnt hat (somit ist eine Konkurrenz zur NATO ausgeschlossen).<br />

• Geplant und geführt wer<strong>de</strong>n ihre Einsätze von einem <strong>EU</strong>-Oberkommando, das aus beson<strong>de</strong>rs<br />

geeigneten Offizieren <strong>de</strong>r beteiligten <strong>EU</strong>-Staaten besteht, in <strong>de</strong>m die NATO aber nicht vertreten<br />

ist. Die <strong>EU</strong> schafft für ihre eigenständigen Frie<strong>de</strong>nsmissionen auch ein eigenes militärisches<br />

Hauptquartier.<br />

• Die Teilnahme an dieser Eingreiftruppe steht auch neutralen Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (z.B. Finnland<br />

und Österreich) offen.<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

1. Alle beitrittswilligen Län<strong>de</strong>r müssen die Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (s. Anlage A.1 und A.2) erfüllen und<br />

politisch, wirtschaftlich und im Bereich von Justiz und Strafverfolgung ausreichend stabilisiert sein.<br />

2. Im Bereich <strong>de</strong>r „Freizügigkeit für Personen" <strong>de</strong>s EG Binnenmarktes (= die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit für<br />

Arbeitnehmer) sprechen Sie sich für eine Übergangsfrist von sieben Jahren für die Öffnung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Arbeitsmärkte für Bürger aus <strong>de</strong>n Beitrittslän<strong>de</strong>rn aus, um mögliche Massenauswan<strong>de</strong>rungen Arbeit<br />

suchen<strong>de</strong>r Bürger aus diesen Staaten in die reicheren <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />

3. Die Grenzkontrollen zu <strong>de</strong>n neuen Beitrittslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n ebenfalls noch sieben Jahre<br />

beibehalten, um illegale Einwan<strong>de</strong>rungen aus diesen Staaten zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

4. Aus politischen und wirtschaftlichen Grün<strong>de</strong>n unterstützen Sie <strong>de</strong>n Beitritt <strong>de</strong>r Türkei, wenn die<br />

Regierung nachweisen kann, dass sie in <strong>de</strong>r Lage ist, die Menschen- und Min<strong>de</strong>rheitenrechte in<br />

allen Teilen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wirksam zu schützen.<br />

5. Im Falle <strong>de</strong>r Ukraine setzen Sie sich stark für die engere Anbindung dieses osteuropäischen Lan<strong>de</strong>s<br />

an die <strong>EU</strong> ein, um die Demokratisierung in diesem für ein vereinigtes Europa wichtigem Land<br />

voranzutreiben und die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Ukraine gegenüber Russland zu stärken.<br />

Sie treten für die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- und Südosteuropa ein. Sie wissen aber auch, dass die<br />

meisten an<strong>de</strong>ren Regierungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r vor ihren Wählern kaum die Aufnahme <strong>de</strong>r gesamten Gruppe<br />

dieser Staaten vertreten können. Aus starkem wirtschaftlichem Eigeninteresse heraus (für Deutschland wird z.B.<br />

eine <strong>de</strong>utliche Zunahme <strong>de</strong>s Bruttosozialprodukts im Fall <strong>de</strong>s Beitritts <strong>de</strong>r Türkei vorhergesagt) sind Sie auch<br />

bereit, zusätzliche finanzielle Belastungen für Ihre Län<strong>de</strong>r zu akzeptieren, wenn im Gegenzug die an<strong>de</strong>ren <strong>EU</strong>-<br />

Staaten einen baldigen Beitritt <strong>de</strong>rjenigen Kandidatenlän<strong>de</strong>r mit unterstützen, die mit <strong>de</strong>n politischen und<br />

wirtschaftlichen Reformen schon sehr gut vorangekommen sind.<br />

- 40 -


Basisdaten <br />

Deutschland Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> Luxemburg<br />

Fläche: 357.022 km² 41.526 km² 2.586 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 81,8 Mill. 16,6 Mill. 0,5 Mill.<br />

Bevölkerung:<br />

Staatsform:<br />

91,1 % Deutsche<br />

8,9 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Parlamentarische<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

96 % Hollän<strong>de</strong>r<br />

4 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Parlamentarische<br />

Monarchie<br />

63 % Luxemburger<br />

37 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Parlamentarische Monarchie<br />

Hauptstadt: Berlin Amsterdam Luxemburg<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 2.450 Milliar<strong>de</strong>n € 582 Milliar<strong>de</strong>n € 39 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 29.000 € 32.800 € 69.100 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

118 % 134 % 283 %<br />

Wachstumsrate 2010: 3,7 % 1,7 % 3,2 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 1,6 % 1,4 % 2,5 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 6,0 % 4,2 % 4,5 %<br />

- 41 -


Italien, Griechenland, Slowenien, Zypern und Malta<br />

Sie sind die Vertreter dieser fünf sü<strong>de</strong>uropäischen Län<strong>de</strong>r.<br />

In keinem an<strong>de</strong>ren europäischen Land ist die Begeisterung für die Einigungsi<strong>de</strong>e seit <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), <strong>de</strong>m Vorläufer <strong>de</strong>r heutigen Europäischen Union, so groß<br />

wie in Italien. Noch heute erfüllt es viele Italiener mit Stolz, dass als Schauplatz <strong>de</strong>r feierlichen<br />

Unterzeichnung <strong>de</strong>r Gründungsverträge <strong>de</strong>r EWG am 25. März 1957 ihre Hauptstadt ausgewählt wur<strong>de</strong>. Die<br />

Europa-Euphorie <strong>de</strong>r meisten Italiener lässt sich auch mit Zahlen belegen: Z.B. stimmten bei einer<br />

Volksbefragung 1989 80% <strong>de</strong>r Bürger für die Ausweitung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Parlaments (und damit<br />

gleichzeitig für die Beschneidung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n nationalen Kammern) und erklärten sich darüber<br />

hinaus auch mit <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>s europäischen Staatenbun<strong>de</strong>s zu einem Bun<strong>de</strong>sstaat einverstan<strong>de</strong>n. Eine<br />

Erklärung für diese hohe Akzeptanz Europas bei <strong>de</strong>n Italienern liegt möglicherweise darin, dass sich viele<br />

Bürger mit <strong>de</strong>m politischen Regierungssystem auf <strong>de</strong>r Apenninenhalbinsel (nicht mit <strong>de</strong>r Demokratie an<br />

sich!) kaum i<strong>de</strong>ntifizieren können, das sie für ineffizient und korrupt halten (seit <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg gab es<br />

bisher 58 Regierungen in Italien!) und in Europa eine Art Ersatzi<strong>de</strong>ntität suchen. Seit Gründung <strong>de</strong>s<br />

europäischen Staatenverbun<strong>de</strong>s verfolgt Italien eine innereuropäische Machtbalance-Politik, die auf <strong>de</strong>n<br />

Kompromiss als Mittel <strong>de</strong>r politischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung setzt – was <strong>de</strong>m Land Sympathien aber auch<br />

politischen Einfluss bei <strong>de</strong>n Partnerlän<strong>de</strong>rn verschafft.<br />

Nach fünf Jahren einer vom Medienunternehmer Silvio Berlusconi geführten Mitte-Rechts-Regierung, die in<br />

<strong>de</strong>r Außenpolitik vor allem mit <strong>de</strong>n USA einen engen Schulterschluss suchte, hatte die im Frühjahr 2006<br />

gewählte Regierung Italien wie<strong>de</strong>r näher an Europa herangeführt. Der inzwischen wie<strong>de</strong>r abgewählte<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Romano Prodi sprach sich damals in seiner Regierungserklärung für die Fortsetzung <strong>de</strong>r<br />

europäischen Einigung aus und sagte unter <strong>de</strong>m Beifall vieler Senatoren: "Europa braucht uns." Italien hält<br />

auch unter <strong>de</strong>r jetzigen Berlusconi-Regierung seine grundsätzliche europapolitische Leitlinie bei und wird<br />

einen Führungsanspruch an<strong>de</strong>rer <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r nicht hinnehmen.<br />

Italien verdankt Europa sehr viel, <strong>de</strong>nn ohne Einbindung in <strong>de</strong>n gemeinsamen Markt <strong>de</strong>r damaligen EWG<br />

und ohne die Strukturhilfen aus Brüssel wäre <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s einstigen Agrarlan<strong>de</strong>s zu einer mo<strong>de</strong>rnen und<br />

leistungsfähigen Volkswirtschaft sehr viel schwieriger vonstatten gegangen; die mit europäischen<br />

För<strong>de</strong>rgel<strong>de</strong>rn mo<strong>de</strong>rnisierte Infrastruktur schuf auch die Grundlagen für <strong>de</strong>n Aufschwung in <strong>de</strong>n 60er und<br />

70er Jahren, <strong>de</strong>r Italien <strong>de</strong>n Anschluss an die an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>r ermöglichte und schließlich<br />

<strong>de</strong>m Land einen Platz im exklusiven Club <strong>de</strong>r G 8 einbrachte. Heute sind es vor allem die vier nördlichen<br />

Regionen Lombar<strong>de</strong>i, Piemont, Venetien und Latium mit überwiegend mittelständischen und stark<br />

spezialisierten Industrieunternehmen, die das wirtschaftliche Rückgrat <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s bil<strong>de</strong>n und zu <strong>de</strong>n<br />

reichsten Wirtschaftsregionen in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gehören. Während die Industrie im Nor<strong>de</strong>n mit einer ganzen Palette<br />

erfolgreicher Exportprodukte Arbeitsplätze und Wohlstand schuf, ist <strong>de</strong>r Sü<strong>de</strong>n Italiens nach wie vor<br />

industriell unterentwickelt, trotz <strong>de</strong>r Subventionen in Milliar<strong>de</strong>nhöhe aus Rom bzw. Brüssel, und liegt somit<br />

weiterhin am unteren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Einkommensskala in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. Allen Unkenrufen aus <strong>de</strong>n Partnerlän<strong>de</strong>rn in<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zum Trotz hat Italien relativ glatt die Hür<strong>de</strong>n für die Einführung <strong>de</strong>s Euro (Maastricht-Kriterien)<br />

genommen. Dank einer konsequenten Sparpolitik unter <strong>de</strong>m damaligen Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Prodi, gelang es,<br />

das staatliche Haushalts<strong>de</strong>fizit unter die kritische Marke von 3% zu drücken. Auch die immens hohe<br />

staatliche Gesamtverschuldung konnte von 1997 bis zur Euro-Einführung 2002 von 120% auf unter 107%<br />

reduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Italiener sind stolz auf das Erreichte, wollen aber auch bei <strong>de</strong>n weiteren Integrationsschritten mit dabei<br />

sein. Wie viele an<strong>de</strong>re <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r plädiert Italien dafür, das Amt eines <strong>EU</strong>-Außenministers mit<br />

weitreichen<strong>de</strong>n Vollmachten zu schaffen.<br />

Die Einrichtung <strong>de</strong>r geplanten Europäischen Schnellen Eingreiftruppe, die hauptsächlich für<br />

Blauhelmeinsätze im Auftrag <strong>de</strong>r UNO zur Verfügung stehen soll, unterstützt Italien voll und ganz. Italien ist<br />

in beson<strong>de</strong>rem Maße bei internationalen Frie<strong>de</strong>nsmissionen engagiert. Weltweit sind mehr als 11.000<br />

italienische Soldaten bei solchen Missionen eingesetzt, u.a. auf <strong>de</strong>m Balkan, in Palästina und in Afghanistan.<br />

Die Regierung ist dafür, dass Einsätze <strong>de</strong>r Eingreiftruppe unter einem reinen <strong>EU</strong>-Oberkommando erfolgen<br />

sollen.<br />

Der Prozess <strong>de</strong>r Erweiterung um neue Mitgliedslän<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t die ausdrückliche Unterstützung Italiens. Unter<br />

<strong>de</strong>n Balkanlän<strong>de</strong>rn, traditioneller Schwerpunkt italienischer Außenpolitik, ist Kroatien Favorit, <strong>de</strong>ssen<br />

wichtigster Han<strong>de</strong>lspartner Italien ist. In Rom spricht man sich im Prinzip auch für <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Beitritt <strong>de</strong>r Türkei<br />

aus. Das Land ist nach Überzeugung <strong>de</strong>r italienischen Regierung wegen seiner sicherheitspolitischen<br />

Be<strong>de</strong>utung im Mittelmeerraum sowie aufgrund seiner Brückenfunktion zu an<strong>de</strong>ren muslimischen Staaten für<br />

die <strong>EU</strong> unverzichtbar.<br />

- 42 -


Griechenland trat <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft 1981 als zehntes Mitglied bei. Das Land an <strong>de</strong>r<br />

Peripherie Europas ist längst fest in die <strong>EU</strong> integriert und die Union erfreut sich in Griechenland ähnlich wie<br />

in Italien und Spanien großer Beliebtheit. Antieuropäische Politik bzw. Wahlaussagen fin<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Bürgern<br />

keine Resonanz. Die Griechen wissen, was sie an <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> haben: Zum einen politisch – das „Geburtsland“<br />

<strong>de</strong>r Demokratie fühlt sich in <strong>de</strong>r freiheitlichen Europa-Familie am richtigen Platz und weiß sich beson<strong>de</strong>rs in<br />

<strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m großen Nachbarn Türkei (Zypern-Konflikt, Streit um Hoheitsrechte in <strong>de</strong>r<br />

Ägäis) als <strong>EU</strong>-Mitglied in einer besseren Position als <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kandidat Türkei. Zum an<strong>de</strong>ren wirtschaftlich -<br />

die bewilligten Finanzbeihilfen aus Brüssel beliefen sich z.B. von 2000 bis 2006 auf 25 Mrd. €.<br />

Dank vieler Jahre kräftigen Wachstums (1999 bis 2006 nahm das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um ∅<br />

4,3 % zu (<strong>EU</strong>-15: ∅ 2,2 %), hat das Land in wirtschaftlicher Hinsicht <strong>de</strong>n Abstand an die 'alten' <strong>EU</strong>-<br />

Staaten fast halbiert. Das BIP pro Kopf <strong>de</strong>r Bevölkerung betrug in Griechenland 2009 23.200 €, was 95 %<br />

<strong>de</strong>s Durchschnitts <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-27 entsprach. Das Land ist auch heute noch sehr agrarisch geprägt, fast 17% aller<br />

Erwerbstätigen (<strong>EU</strong> ∅: 2%) sind in <strong>de</strong>r Landwirtschaft beschäftigt, die aber lediglich 7% <strong>de</strong>s BIP (<strong>EU</strong> ∅:<br />

4,5%) erwirtschaften. Griechenland verfügt zwar über einige wichtige Rohstoffe, die aber für einen Abbau im<br />

großen Stil zu wenig ergiebig sind, und muss v.a. die Hauptenergieträger Erdöl, Erdgas und Kohle<br />

weitgehend importieren. Die Unternehmen stellen zumeist wenig technologieintensive Produkte her und es<br />

fehlt <strong>de</strong>n überwiegend kleinen und mittleren Familienbetrieben an Kapital, z.B. um veraltete<br />

Produktionsanlagen zu mo<strong>de</strong>rnisieren o<strong>de</strong>r neue konkurrenzfähige Hightech-Produkte zu entwickeln und<br />

herzustellen. Deswegen erreichen die Ausfuhren bei weitem nicht das Niveau <strong>de</strong>r Einfuhren, und die <strong>de</strong>m<br />

Land entgangenen Deviseneinnahmen können nur durch die Einnahmen aus <strong>de</strong>m Tourismus ausgeglichen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Olympischen Spiele in Athen 2004 waren für das Land eine Herausfor<strong>de</strong>rung und eine Chance, seine<br />

Infrastruktur zu mo<strong>de</strong>rnisieren und auszubauen. Augenfälligstes Beispiel dafür ist <strong>de</strong>r Airport in Spata, mit<br />

<strong>de</strong>m Athen einen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnsten und kun<strong>de</strong>nfreundlichsten Flughäfen in Europa besitzt. Den Schwung <strong>de</strong>s<br />

olympischen Jahres hat das Land beibehalten und versucht in <strong>de</strong>n Bereichen Bildung, Zukunftstechnologien<br />

(z.B. Solartechnik), erneuerbare Energien und Qualitätstourismus verstärkt zu investieren und damit weitere<br />

wirtschaftliche Erfolge zu begrün<strong>de</strong>n. Der wirtschaftliche Aufschwung wur<strong>de</strong> allerdings 2010 durch die hohe<br />

Staatsverschuldung mehr als gefähr<strong>de</strong>t. Der Finanzkrise wur<strong>de</strong> vorerst durch ein für drei Jahre<br />

beschlossenes Finanzhilfepaket <strong>de</strong>r Euro-Län<strong>de</strong>r über 110 Mrd. € begegnet.<br />

Griechenland hat sehr weitgehen<strong>de</strong> Vorstellungen für eine zukünftige Europäische Union, die "eine<br />

erfolgreiche wirtschaftliche und politische Union sein soll, ausgerüstet mit einer starken gemeinsamen<br />

außen- und verteidigungspolitischen Komponente" (Website <strong>de</strong>r griechischen Botschaft in Berlin).<br />

Griechenland ist mit an<strong>de</strong>ren <strong>EU</strong>-Staaten dafür, einen mit weitreichen<strong>de</strong>n Kompetenzen ausgestatteten <strong>EU</strong>-<br />

Außenminister zu berufen, damit die Union in Zukunft mit einer einheitlichen Stimme auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auftritt. Die <strong>EU</strong> muss nach Überzeugung <strong>de</strong>r Regierung in<br />

Athen auch in <strong>de</strong>r Lage sein, auf Bedrohungen von außen wehrhaft zu reagieren; <strong>de</strong>shalb ist man als ersten<br />

Schritt für <strong>de</strong>n Aufbau einer "Europäischen Schnellen Eingreiftruppe". Den Aufbau dieser eigenständigen<br />

<strong>EU</strong>-Truppe versteht man dabei nicht als Gegenpol zur NATO son<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>ren Ergänzung. Sie soll<br />

hauptsächlich für Kriseneinsätze und Frie<strong>de</strong>nsmissionen im Auftrag <strong>de</strong>r UNO zur Verfügung stehen und von<br />

einem Oberkommando ausschließlich aus <strong>EU</strong>-Offizieren geführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die griechische Furcht vor <strong>de</strong>r starken Regionalmacht Türkei ist noch nicht gänzlich <strong>de</strong>m Vertrauen in die<br />

neuen Herren am Bosporus gewichen. Es sind insbeson<strong>de</strong>re die ungelösten Streitfragen um Hoheitsrechte<br />

in <strong>de</strong>r Ägäis und die seit 1974 andauern<strong>de</strong> völkerrechtswidrige Besetzung <strong>de</strong>s Nordteils <strong>de</strong>r Insel Zypern<br />

durch türkische Truppen, die das Verhältnis <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Staaten nach wie vor belasten. Griechenland verfolgt<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Türkei eine Doppelstrategie: Einerseits sucht man die bilateralen Beziehungen zur Türkei zu<br />

verbessern und sprach sich darüber hinaus in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>EU</strong> aus. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite stellt man an eine zukünftige <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft <strong>de</strong>r Türkei die klare<br />

Bedingung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung Zyperns und die einvernehmliche Beilegung <strong>de</strong>s Streits um Hoheitsrechte<br />

in <strong>de</strong>r Ägäis. Für Griechenland wäre eine Aufnahme <strong>de</strong>r Türkei in die <strong>EU</strong> dann ein strategischer Gewinn,<br />

wenn es <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> im Zuge erfolgreicher Beitrittsverhandlungen gelänge, die Regierung in Ankara in ein<br />

Korsett von festen Regeln und Auflagen einzubin<strong>de</strong>n.<br />

Einen Gewinn an Stabilität für die gesamte Balkanregion, <strong>de</strong>r auch Griechenland angehört, wür<strong>de</strong> auch die<br />

Anbindung und spätere Integration <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s früheren Jugoslawien in die <strong>EU</strong> mit sich bringen. Als<br />

Griechenland von Januar bis Juni 2003 die Ratspräsi<strong>de</strong>ntschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> innehatte, machte sich das Land<br />

erfolgreich zum Fürsprecher dieser Län<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nen auf <strong>de</strong>m Gipfel in Thessaloniki die europäische<br />

Perspektive eröffnet wur<strong>de</strong>, sobald sie sich ausreichend politisch und wirtschaftlich sowie in ihrem<br />

Justizwesen stabilisiert haben wür<strong>de</strong>n. Nicht zuletzt ist es Ziel griechischer Diplomatie, für die Assoziierung<br />

(= Heranführung durch Partnerschaftsabkommen) weiterer osteuropäischer Staaten mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu werben.<br />

Der Ukraine und ihrer Bevölkerung, die beharrlich für die Vollendung <strong>de</strong>r Demokratisierung kämpft, fühlt sich<br />

Griechenland als das "Geburtsland <strong>de</strong>r Demokratie" beson<strong>de</strong>rs verpflichtet.<br />

- 43 -


Slowenien ist das am stärksten mitteleuropäisch geprägte Land unter <strong>de</strong>n Teilrepubliken <strong>de</strong>r früheren<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien. Nach <strong>de</strong>m Tod von Josip Tito 1980 begann <strong>de</strong>r Zerfall <strong>de</strong>r Jugoslawischen<br />

Fö<strong>de</strong>ration und Slowenien übernahm im Streben nach Unabhängigkeit eine Vorreiterrolle. Das lag u.a.<br />

daran, dass bereits zu Titos Zeiten das Land die wohlhabendste Region Jugoslawiens war und es außer<strong>de</strong>m<br />

die ethnisch geschlossenste Republik im Vielvölkerstaat bil<strong>de</strong>te. Als nach einer Volksbefragung zur<br />

Unabhängigkeit <strong>de</strong>r slowenischen Republik im Dezember 1990 fast 90% <strong>de</strong>r Slowenen dafür stimmten,<br />

erklärte das Parlament in Ljubljana im Februar 1991 <strong>de</strong>n Austritt aus <strong>de</strong>r jugoslawischen Fö<strong>de</strong>ration und rief<br />

im Juni die Unabhängigkeit aus. Daraufhin besetzten Einheiten <strong>de</strong>r jugoslawischen Volksarmee die<br />

Grenzübergänge zu Slowenien; in <strong>de</strong>n Scharmützeln zwischen slowenischen und serbischen Truppenteilen<br />

starben 67 Menschen, <strong>de</strong>r Krieg dauerte allerdings nur zehn Tage.<br />

Unter <strong>de</strong>njenigen neuen <strong>EU</strong>-Mitglie<strong>de</strong>rn, die vor <strong>de</strong>m Beitritt zunächst <strong>de</strong>n Übergang von sozialistischer<br />

Planwirtschaft zu freier Marktwirtschaft meistern mussten, war Slowenien Klassenbester. Die wirtschaftliche<br />

Aufholjagd war so erfolgreich, dass das Land bereits zu Altmitglie<strong>de</strong>rn wie Griechenland und Portugal<br />

aufgeschlossen hat. Das BIP/Kopf lag in Slowenien 2008 bei 23.100 €. Auch <strong>de</strong>r erste Schritt zur Einführung<br />

<strong>de</strong>s Euro war mit <strong>de</strong>m Beitritt zum europäischen Wechselkursmechanismus bereits getan, so dass<br />

Slowenien am 1. Januar 2007 die neue Währung erhielt. Begünstigt wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anpassungsprozess an die<br />

<strong>EU</strong>-Kriterien nicht zuletzt durch die bemerkenswerte politische Stabilität, die das Land seit <strong>de</strong>r<br />

Unabhängigkeit bewiesen hatte: Im Gegensatz zu Polen und Tschechien z.B. konnte sich in Slowenien ein<br />

sehr stabiles Parteiensystem entwickeln und schafften es die Liberal<strong>de</strong>mokraten trotz mancher<br />

wirtschaftlicher Probleme, 12 Jahre lang die Regierung zu stellen. Dass Slowenien trotz unbestreitbarer<br />

Erfolge auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Wirtschaft weit davon entfernt ist, eine Insel <strong>de</strong>r Seligen zu wer<strong>de</strong>n, zeigten die<br />

Parlamentswahlen im Oktober 2004: Es kam erstmals seit 1992 zu einem Machtwechsel, weil die Opposition<br />

von <strong>de</strong>r sozialen Unzufrie<strong>de</strong>nheit unter <strong>de</strong>n Bürgern, vor allem wegen <strong>de</strong>s wachsen<strong>de</strong>n Einkommensgefälles<br />

zwischen <strong>de</strong>r Hauptstadt Ljubljana und <strong>de</strong>r Provinz, profitieren konnte. Der damals gewählte Regierungschef<br />

Janso hatte im Wahlkampf einen "neuen Weg" versprochen und verheißen: "Wir wollen nicht nur<br />

europäische Preise, son<strong>de</strong>rn auch europäische Löhne." Die "gute Politik" gegenüber <strong>de</strong>r NATO, in die<br />

Slowenien im April 2004 aufgenommen wur<strong>de</strong>, sowie gegenüber <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wur<strong>de</strong> beibehalten.<br />

In <strong>de</strong>r Europapolitik möchte Slowenien vor allem eine Verbesserung <strong>de</strong>r Beziehungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu <strong>de</strong>n<br />

Staaten <strong>de</strong>s westlichen Balkans und hier beson<strong>de</strong>rs zu <strong>de</strong>n Nachfolgestaaten <strong>de</strong>r ehemaligen Republik<br />

Jugoslawien erreichen. Die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Nachbarland Kroatien steht dabei im Vor<strong>de</strong>rgrund; so<br />

wird etwa das als Joint-venture auf slowenischem Territorium gebaute Atomkraftwerk in Krsko (USamerikanischer<br />

Reaktortyp) gemeinsam genutzt und verwaltet. Zur Zeit ist das Verhältnis jedoch belastet<br />

durch einen Streit um die Seegrenze zwischen bei<strong>de</strong>n Staaten. Zusammen mit Bosnien und Herzegowina<br />

wird ein Projekt zur Minenräumung und zur Hilfe für Minenopfer geför<strong>de</strong>rt.<br />

Die Slowenen gelten als besonnene und vorsichtige Zeitgenossen und so verwun<strong>de</strong>rt es nicht, dass das<br />

Land in <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen <strong>de</strong>n USA und verschie<strong>de</strong>nen europäischen Staaten im Vorfeld<br />

<strong>de</strong>s Irakkriegs einen Mittelkurs steuerte: Zunächst unterzeichnete <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt wie die übrigen Staatschefs<br />

aus <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r mitteleuropäischen Beitrittslän<strong>de</strong>r zur NATO <strong>de</strong>n Brief an US-Präsi<strong>de</strong>nt Bush, mit <strong>de</strong>m<br />

sie <strong>de</strong>n USA ihre Unterstützung für ein militärisches Eingreifen erklärten. Kurze Zeit später jedoch, nach<strong>de</strong>m<br />

sich in Meinungsumfragen eine <strong>de</strong>utliche Mehrheit <strong>de</strong>r Slowenen gegen einen Irakkrieg ergeben hatte, ging<br />

die Regierung zunehmend auf Distanz zu <strong>de</strong>n USA. Sie wollte nicht länger <strong>de</strong>r "Koalition <strong>de</strong>r Willigen"<br />

zugerechnet wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn stellte sich nunmehr auf die Seite <strong>de</strong>r europäischen Staaten um Frankreich<br />

und Deutschland, die gefor<strong>de</strong>rt hatten, <strong>de</strong>n Konflikt mit Hilfe <strong>de</strong>r UNO zu lösen. Als <strong>de</strong>r Krieg ausbrach,<br />

verweigerte Slowenien - ähnlich wie das neutrale Österreich - sogar <strong>de</strong>n Überflug von<br />

Militärtransportmaschinen. In <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik ist das Land für die Einrichtung <strong>de</strong>s Amtes<br />

eines <strong>EU</strong>-Außenministers mit weitreichen<strong>de</strong>n Kompetenzen und für <strong>de</strong>n Aufbau einer Europäischen<br />

Schnellen Eingreiftruppe zum Einsatz in <strong>de</strong>n Krisengebieten Europas und weltweit.<br />

Auch die Mittelmeerinseln Malta und Zypern gehören seit <strong>de</strong>m 1. Mai 2004 <strong>de</strong>r Europäischen Union an. Die<br />

bei<strong>de</strong>n ehemaligen britischen Kolonien konnten die politischen und wirtschaftlichen Aufnahmebedingungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong> weitgehend problemlos erfüllen.<br />

Zypern, die drittgrößte Mittelmeerinsel, ist seit 1974 ein geteilter Staat. Der Zypernkonflikt hat seine Wurzeln<br />

in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts, als Großbritannien seine Kolonialstellung in Zypern aufgab<br />

und die Insel am 16. August 1960 in die Unabhängigkeit entließ. Nach einer kurzen Phase <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />

zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Bevölkerungsgruppen <strong>de</strong>r Insel, griechischen und türkischen Zyprern, entbrannte ein<br />

Machtkampf, weil in <strong>de</strong>r Verfassung die türkisch-zyprische Bevölkerung rechtlich schlechter gestellt wur<strong>de</strong>.<br />

In <strong>de</strong>r Folge for<strong>de</strong>rten die türkischen Zyprer eine Teilung <strong>de</strong>r Insel in zwei selbstständige Staaten. Die<br />

griechischen Zyprer hielten dagegen an einem Staat fest. Der Konflikt schaukelte sich kontinuierlich hoch,<br />

bis infolge lan<strong>de</strong>sweiter blutiger Unruhen 1963 Griechenland und die Türkei mit einem Eingriff ihrerseits in<br />

<strong>de</strong>n Konflikt drohten. Die Entsendung von UN-Frie<strong>de</strong>nstruppen im Jahr 1964 bewirkte einen Waffenstillstand,<br />

führte jedoch nicht zu einer Lösung <strong>de</strong>s Konflikts. 1974 besetzte die türkische Armee schließlich <strong>de</strong>n<br />

nördlichen Inselteil. Seither bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r griechische Südteil die - von <strong>de</strong>r UNO anerkannte - "Republik Zypern",<br />

<strong>de</strong>r türkische Nordteil die nur von <strong>de</strong>r Türkei anerkannte, 1983 ausgerufene "Türkische Republik<br />

Nordzypern".<br />

- 44 -


Bis heute müssen 900 UNO-Soldaten auf Zypern <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n sichern. Der Konflikt besteht innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Grenzen Europas und zusätzlich zwischen zwei NATO-Partnern. Die bei<strong>de</strong>n Teilstaaten sind nach wie vor<br />

politisch völlig voneinan<strong>de</strong>r abgegrenzt. Der Verständigungsprozess wird zusätzlich dadurch behin<strong>de</strong>rt, dass<br />

bei<strong>de</strong> Konfliktparteien unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedlichen Religionen angehören. Die<br />

politischen Gegensätze wer<strong>de</strong>n durch wirtschaftliche Interessenkonflikte verschärft.<br />

Zahlreiche Vermittlungsversuche <strong>de</strong>r UNO zur Lösung <strong>de</strong>s Konflikts schlugen bisher fehl. Zuletzt hatte sich<br />

<strong>de</strong>r frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan persönlich eingeschaltet und einen Vereinigungsplan<br />

vorgelegt. Um <strong>de</strong>m Land die Möglichkeit zu geben, wie<strong>de</strong>rvereinigt <strong>de</strong>r Europäischen Union beizutreten,<br />

wur<strong>de</strong> beschlossen, im Vorfeld in bei<strong>de</strong>n Teilen <strong>de</strong>r Insel dazu eine Volksbefragung durchzuführen. In <strong>de</strong>n<br />

dann En<strong>de</strong> April 2004 abgehaltenen Volksbefragungen wur<strong>de</strong> jedoch nur für <strong>de</strong>n türkischen Nordteil <strong>de</strong>r<br />

Insel ein positives Ergebnis erzielt. Daher trat nun am 01.05.2004 nicht ein wie<strong>de</strong>rvereinigtes Zypern <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union bei, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>r griechische Teil <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

Die Regierung <strong>de</strong>r Republik Zypern lehnt sich in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik traditionell an<br />

Griechenland an und verfolgt auch in <strong>de</strong>r Europapolitik ähnliche Ziele.<br />

Die Republik Malta, eine Inselgruppe ca. 100 km südlich von Sizilien gelegen, ist mit 316 qkm und ca.<br />

385.000 Einwohnern nach Fläche und Bevölkerung <strong>de</strong>r kleinste <strong>EU</strong>-Staat. Ihr wichtigstes außenpolitisches<br />

Ziel hat die Regierung mit <strong>de</strong>m Beitritt zur <strong>EU</strong> erreicht. Malta ist durch seine Verfassung auf Neutralität<br />

festgelegt. Diese wird durch einen Garantievertrag mit Italien von 1980 gesichert. Beson<strong>de</strong>rs intensive<br />

Beziehungen pflegt die Insel mit <strong>de</strong>r früheren Kolonialmacht Großbritannien, <strong>de</strong>m Nachbarland Italien, aber<br />

auch mit <strong>de</strong>n USA. In <strong>de</strong>r Außen- und Europapolitik verfolgt Malta ähnliche Ziele wie Italien, will aber die<br />

geographische Nähe und seine guten Beziehungen zu <strong>de</strong>n nordafrikanischen Län<strong>de</strong>rn nutzen, um eine<br />

beson<strong>de</strong>re Brückenfunktion in <strong>de</strong>n Beziehungen zwischen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und <strong>de</strong>n südlichen<br />

Mittelmeeranrainerstaaten zu spielen.<br />

Aus <strong>de</strong>r Sicht Italiens, Griechenlands, Sloweniens, Zyperns und Maltas sprechen vor allem folgen<strong>de</strong><br />

Argumente für die Aufnahme weiterer ost- bzw. südosteuropäischen Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong>:<br />

• Der <strong>EU</strong>-Vertrag stellt je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Staat <strong>de</strong>n Beitritt in Aussicht (s. auch Anlage A.1).<br />

• Auch die Balkanlän<strong>de</strong>r und die Republiken <strong>de</strong>r früheren Sowjetunion sind seit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s 2. Weltkriegs Bestandteil <strong>de</strong>s europäischen Einigungsgedankens gewesen, <strong>de</strong>nen jetzt, mehr als<br />

15 Jahre nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ost-West-Konflikts, Teilhabe am wirtschaftlichen Wohlstand und an <strong>de</strong>r<br />

politischen Stabilität <strong>de</strong>r Europäischen Union ermöglicht wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

• Beson<strong>de</strong>rs Griechenland hat immer schon enge wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen<br />

mit <strong>de</strong>n Balkanlän<strong>de</strong>rn unterhalten, von <strong>de</strong>ren Beitritt es sich <strong>de</strong>swegen auch eine Stärkung <strong>de</strong>r<br />

eigenen Position in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> verspricht.<br />

• Griechenland erhofft sich durch ein vergrößertes europäisches Haus und eine Zunahme <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls<br />

mit <strong>de</strong>n neuen <strong>EU</strong>-Mitglie<strong>de</strong>rn nicht zuletzt eine Verbesserung <strong>de</strong>r eigenen wirtschaftlichen Situation.<br />

• Ihre Län<strong>de</strong>r befürchten für <strong>de</strong>n Fall, dass man nach <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Run<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Ost-Erweiterung <strong>de</strong>r Jahre<br />

2004 und 2007 <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ost- bzw. südosteuropäischen Staaten die Aufnahme in die <strong>EU</strong><br />

verweigern sollte, negative Folgen, z.B. eine starke Zunahme von illegalen Einwan<strong>de</strong>rern sowie ein<br />

starkes Anwachsen <strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n organisierten Kriminalität.<br />

Die Regierungen und viele Bürger <strong>de</strong>r Südstaaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> hegen jedoch auch handfeste Sorgen und<br />

Befürchtungen, was die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- und Südosteuropa angeht:<br />

• Viele Landwirte und ihre Lobby, die Bauernverbän<strong>de</strong>, fürchten, dass die Märkte in Ihren Län<strong>de</strong>rn von<br />

billigen Agrarprodukten beson<strong>de</strong>rs aus <strong>de</strong>r Türkei und <strong>de</strong>r Ukraine "überschwemmt" wer<strong>de</strong>n könnten<br />

und drängen <strong>de</strong>shalb auf Schutzmaßnahmen für die heimische Landwirtschaft.<br />

• Ihre Län<strong>de</strong>r müssen damit rechnen, dass die neuen, entwicklungsbedürftigen Mitglie<strong>de</strong>r nach ihrer<br />

Aufnahme die meisten Subventionen (För<strong>de</strong>rgel<strong>de</strong>r) aus <strong>de</strong>n Struktur- bzw. Regionalhilfefonds<br />

(Brüsseler För<strong>de</strong>rtöpfe für Gebiete, <strong>de</strong>ren Wirtschaftskraft unter <strong>de</strong>m <strong>EU</strong> ∅ liegt) erhalten und<br />

wirtschaftlich schwache Regionen in Ihren Län<strong>de</strong>rn, z.B. <strong>de</strong>r Mezzogiorno Italiens, aus <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung<br />

herausfallen wer<strong>de</strong>n.<br />

• Vor allem Griechenland mit seiner überwiegend noch staatlichen und damit schwerfälligen Industrie<br />

muss die neue Konkurrenz qualitativ gleichwertiger, aber billigerer Industrieprodukte aus <strong>de</strong>n<br />

Beitrittsstaaten fürchten.<br />

- 45 -


In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> und über die Gestaltung <strong>de</strong>r<br />

künftigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik stellen Sie folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

For<strong>de</strong>rungen von Italien, Griechenland, Slowenien, Zypern und Malta<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

1. Sie setzen sich für <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Außen- und<br />

Sicherheitspolitik ein und for<strong>de</strong>rn die Schaffung eines Amtes <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers mit<br />

folgen<strong>de</strong>n Aufgaben:<br />

• Entwurf von Leitlinien gemeinsamer europäischer Außenpolitik gegenüber Staaten in und<br />

außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B.<br />

internationaler Terrorismus) und Abstimmung darüber mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>EU</strong>-<br />

Staaten.<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und bei Verhandlungen.<br />

• Formulierung einer gemeinsamen europäischen Position in Krisen- und Konfliktfällen (z.B. Irak)<br />

und Vertretung dieses Standpunkts gegenüber <strong>de</strong>n Konfliktparteien.<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister.<br />

Sie sind für die Abschaffung <strong>de</strong>s Einstimmigkeitsprinzips auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik. Bei Abstimmungen im Ministerrat soll künftig eine Mehrheit von<br />

60% <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten ausreichend sein.<br />

2. Als ersten Schritt zur Bildung gemeinsamer europäischer Streitkräfte for<strong>de</strong>rn Sie die Einrichtung<br />

einer schnellen Eingreiftruppe, die folgen<strong>de</strong>n Bedingungen genügt:<br />

• Sie muss innerhalb kurzer Zeit mobilisierbar und weltweit einsetzbar sein.<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung, für die<br />

ein Mandat (Auftrag) <strong>de</strong>s UN-Sicherheitsrats erteilt wor<strong>de</strong>n ist und für die die NATO eine<br />

Beteiligung abgelehnt hat (somit ist eine Konkurrenz zur NATO ausgeschlossen).<br />

• Geplant und geführt wer<strong>de</strong>n ihre Einsätze von einem <strong>EU</strong>-Oberkommando, das aus beson<strong>de</strong>rs<br />

geeigneten Offizieren <strong>de</strong>r beteiligten <strong>EU</strong>-Staaten besteht, in <strong>de</strong>m die NATO aber nicht vertreten<br />

ist. Die <strong>EU</strong> schafft für ihre eigenständigen Frie<strong>de</strong>nsmissionen auch ein eigenes militärisches<br />

Hauptquartier.<br />

• Die Teilnahme an dieser Eingreiftruppe steht auch neutralen Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (z.B. Finnland<br />

und Österreich) offen.<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

1. Alle beitrittswilligen Län<strong>de</strong>r müssen die Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (s. Anlage A.1 und A.2 !) erfüllen und<br />

politisch, wirtschaftlich und im Bereich von Justiz und Strafverfolgung ausreichend stabilisiert<br />

sein.<br />

2. Im Gegensatz zu Deutschland, <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Luxemburg, die im Bereich "freier Verkehr<br />

von Personen" ( = die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit für Arbeitnehmer) siebenjährige Übergangsfristen<br />

für die Öffnung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Arbeitsmärkte für Arbeitnehmer aus Ost- und Südosteuropa for<strong>de</strong>rn,<br />

lehnen Sie solche Fristen ab, wenn es keine Zusicherung gibt, dass die <strong>EU</strong>-För<strong>de</strong>rgel<strong>de</strong>r für<br />

wirtschaftlich schwache Regionen in Ihren Län<strong>de</strong>rn auch nach <strong>de</strong>m Beitritt weiterer Län<strong>de</strong>r<br />

fließen wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Die Grenzkontrollen zu <strong>de</strong>n Beitrittslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n sieben Jahre beibehalten, um illegale<br />

Einwan<strong>de</strong>rungen aus diesen Staaten zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

4. Um einer For<strong>de</strong>rung Griechenlands und Zyperns nachzukommen, for<strong>de</strong>rn Ihre Län<strong>de</strong>r die Türkei<br />

auf, das Völkerrecht und die Resolutionen <strong>de</strong>s Weltsicherheitsrates <strong>de</strong>r UNO bezüglich Zypern<br />

zu respektieren. Einer Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit <strong>de</strong>r Türkei stimmen Sie nur<br />

dann zu, wenn die Türkei zuvor <strong>de</strong>n Rückzug ihrer Truppen aus <strong>de</strong>m besetzten Nordteil Zyperns<br />

eingeleitet sowie <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung <strong>de</strong>r geteilten Insel und Errichtung eines Bun<strong>de</strong>sstaates<br />

Zypern zugestimmt hat.<br />

- 46 -


Basisdaten <br />

Italien Griechenland Slowenien Zypern Malta<br />

Fläche: 301.277 km² 132.000 km² 20.273 km² 9.251 km² 316 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 60,3 Mill. 11,3 Mill. 2 Mill. 0,8 Mill. 0,40 Mill.<br />

Bevölkerung:<br />

97,8 % Italiener<br />

2,2 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Staatsform: Parlamentarische<br />

Republik<br />

98 % Griechen<br />

2 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

(Mazedonier, Türken,<br />

Bulgaren)<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

88 % Slowenen<br />

12 % Kroaten, Serben,<br />

Bosniaken u.a.<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

Präsidiale<br />

Republik<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

Hauptstadt: Rom Athen Ljubljana Nikosia Valletta<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010: 1.504 Milliar<strong>de</strong>n € 221 Milliar<strong>de</strong>n € 35 Milliar<strong>de</strong>n € 18 Milliar<strong>de</strong>n € 6 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 24.300 € 21.700 € 21.200 € 24.000 € 20.400 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

100 % 89 % 87 % 98 % 83 %<br />

Wachstumsrate 2010: 1,1 % -4,2 % 1,1 % 0,5 % 3,1 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 1,9 % 4,8 % 1,6 % 1,7 % 3,4 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 8,1 % 15,0 % 8,3 % 7,4 % 6,2 %<br />

- 47 -


Großbritannien, Dänemark und Portugal<br />

Sie sind die Vertreter Großbritanniens, Dänemarks und Portugals, die in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> stärker als an<strong>de</strong>re eine<br />

„atlantische“ Ausrichtung in ihrer Außen- und Europapolitik einnehmen; z.B. lehnen sich die drei Län<strong>de</strong>r innerhalb<br />

<strong>de</strong>r NATO stark an die USA an und unterstützten die Intervention <strong>de</strong>r USA im Irak.<br />

Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien hatte schmerzhaft lernen müssen, <strong>de</strong>n Verlust ihrer Weltmachtrolle<br />

nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 2. Weltkriegs zu akzeptieren, und erst allmählich ein Interesse an <strong>de</strong>m Vereinigungsprojekt<br />

auf <strong>de</strong>m Festland entwickelt. Der Beitritt 1973 fiel mit einer wirtschaftlichen Schwächeperio<strong>de</strong> zusammen, so dass<br />

die Erwartungen von Politik und Wirtschaft in Großbritannien zunächst in erster Linie auf Zunahme <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls<br />

mit Kontinentaleuropa und daraus resultierend stärkeres Wirtschaftswachstum gerichtet waren. Das politische<br />

Ziel, die europäische Integration auch unter Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte zu beför<strong>de</strong>rn, war und ist in<br />

Großbritannien kaum populär. Denn auch ohne <strong>de</strong>n europäischen Rahmen war es <strong>de</strong>m Vereinigten Königreich<br />

nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg gelungen, Stabilität zu erreichen (im Gegensatz z.B. zu Deutschland) und das Land zu<br />

mo<strong>de</strong>rnisieren (im Gegensatz z.B. zu Irland).<br />

Seinen ursprünglichen Europa-Skeptizismus hat das Vereinigte Königreich bis heute nicht überwun<strong>de</strong>n. So ist<br />

die britische Regierung bei vielen grundsätzlichen Entscheidungen innerhalb <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> als Bremser einer<br />

einheitlichen <strong>EU</strong>-Politik aufgetreten, weil Großbritannien die <strong>EU</strong> nach wie vor eher als Wirtschaftsgemeinschaft<br />

sieht, weniger als eine zusammenwachsen<strong>de</strong> politische Union – die I<strong>de</strong>e eines europäischen Bun<strong>de</strong>sstaates ist in<br />

Großbritannien gelin<strong>de</strong> gesagt ziemlich unpopulär. Steht das Land bestimmten Errungenschaften <strong>de</strong>r politischen<br />

Union abwartend bis ablehnend gegenüber, z.B. <strong>de</strong>m Schengen-Abkommen (Abschaffung <strong>de</strong>r Grenzkontrollen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>) und <strong>de</strong>m Euro, so hat es in an<strong>de</strong>ren Bereichen gera<strong>de</strong>zu eine Vorreiterrolle übernommen;<br />

hierzu gehören <strong>de</strong>r Abbau von Han<strong>de</strong>lsbarrieren gegenüber an<strong>de</strong>ren Wirtschaftsregionen und im Binnenmarkt die<br />

Deregulierung ( = Abbau bzw. Liberalisierung <strong>de</strong>r Regeln im gemeinsamen Markt). Auch die Osterweiterung in<br />

<strong>de</strong>n Jahren 2004 und 2007 wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r britischen Regierung vorangetrieben und fand mehrheitlich bei <strong>de</strong>n<br />

Bürgern Zustimmung. Das übergeordnete Ziel, <strong>de</strong>m sich die britische Regierung aus nationalen Erwägungen<br />

verpflichtet fühlt, stellt aber die Verhin<strong>de</strong>rung einer zu weitgehen<strong>de</strong>n gemeinsamen <strong>EU</strong>-Politik in <strong>de</strong>n Bereichen<br />

"Außen- und Sicherheitspolitik" sowie "Innen- und Rechtspolitik" dar.<br />

In <strong>de</strong>r Wirtschaftspolitik vertraut das Land stärker auf marktwirtschaftliche Rezepte als die an<strong>de</strong>ren<br />

europäischen Län<strong>de</strong>r; das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Sozialen Marktwirtschaft mit einer weitgehen<strong>de</strong>n sozialen Absicherung <strong>de</strong>r<br />

Arbeitnehmer, wie es in Deutschland praktiziert wird, wäre in Großbritannien kaum <strong>de</strong>nkbar. Nach <strong>de</strong>m<br />

Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>r traditionellen Industrien in <strong>de</strong>n 60er und 70er Jahren (Bergbau, Stahl-, Automobil- und<br />

Textilindustrie) betrieben beson<strong>de</strong>rs die konservativen Regierungen in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n zwei Jahrzehnten eine<br />

unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik, die durch Steuersenkungen <strong>de</strong>n Konsum ankurbelte und <strong>de</strong>n<br />

Handlungsspielraum <strong>de</strong>r Gewerkschaften stark beschnitt, die unternehmerischen Freiheiten dagegen stärkte.<br />

Großbritannien gelang es außer<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Informationstechnologie, in <strong>de</strong>r pharmazeutischen Forschung, in <strong>de</strong>r<br />

Bio- und in <strong>de</strong>r Gentechnologie seinen Spitzenplatz unter <strong>de</strong>n Wissenschaftsnationen zu halten. Insgesamt nimmt<br />

das Land heute unter <strong>de</strong>n europäischen Volkswirtschaften einen besseren Platz ein als noch zu Beginn <strong>de</strong>r 80er<br />

Jahre und von 2001 bis 2005 wuchs die britische Wirtschaft im Schnitt um fast ein Prozent stärker als die<br />

Wirtschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> insgesamt. Allerdings hatten 2009 die weltweiten finanzpolitischen Turbulenzen auch<br />

beträchtliche Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s (siehe Basisdaten). London ist aber nach wie<br />

vor <strong>de</strong>r wichtigste Finanzplatz in Europa und weist die größte Dichte an Dienstleistungsunternehmen in Europa<br />

auf. Alle wichtigen Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften sind hier mit Nie<strong>de</strong>rlassungen<br />

vertreten.<br />

In <strong>de</strong>r Außenpolitik ist Großbritannien seit jeher stark atlantisch ausgerichtet; die „special relationship“ mit <strong>de</strong>n<br />

USA ist für die meisten Briten keine Floskel einer Sonntagsre<strong>de</strong> son<strong>de</strong>rn ehrliche Überzeugung, aus <strong>de</strong>r heraus<br />

sie sich zu beson<strong>de</strong>rer Bündnistreue zur amerikanischen Supermacht verpflichtet fühlen, wie auch in jüngster Zeit<br />

<strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r Irakkrise zeigte. Während im globalen Rahmen die USA <strong>de</strong>r wichtigste Partner sind, ist es in <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union Deutschland, in britischer Perspektive nicht nur <strong>de</strong>r eigentliche Architekt <strong>de</strong>s „Europäischen<br />

Hauses“ son<strong>de</strong>rn kraft seiner großen Wirtschaftsleistung auch das wahre Zentrum <strong>de</strong>s sich vereinigen<strong>de</strong>n<br />

Europas. An diesem europäischen Projekt <strong>de</strong>r Vertiefung <strong>de</strong>r Zusammenarbeit mitzuarbeiten, und beson<strong>de</strong>rs in<br />

<strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (GASP), fällt <strong>de</strong>n Briten schwer. Auf diesem<br />

Politikfeld sträubt sich London hartnäckig gegen die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte und ist gegen die<br />

Schaffung eines Amtes <strong>de</strong>s Europäischen Außenministers.<br />

Zwar machte die Großbritannien zusammen mit Frankreich bereits 1998 einen Vorschlag zur längerfristigen<br />

Entwicklung einer europäischen Verteidigungspolitik, die es <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ermöglichen wür<strong>de</strong>, auf Krisen in Europa bzw.<br />

in <strong>de</strong>n benachbarten Regionen zu reagieren, doch wur<strong>de</strong>n die Pläne zum Aufbau einer „Europäischen<br />

Schnellen Eingreiftruppe“ in letzter Zeit wie<strong>de</strong>r in Frage gestellt. Man schloss sich <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r US-<br />

Regierung an, die auf keinen Fall eine selbständig operieren<strong>de</strong> Truppe neben <strong>de</strong>r NATO akzeptieren will, son<strong>de</strong>rn<br />

nur als Eingreiftruppe unter NATO-Oberkommando und auch nur für Krisenpräventionseinsätze bzw.<br />

Frie<strong>de</strong>nsmissionen im Auftrag <strong>de</strong>r UNO (Blauhelmeinsätze). Zusammen mit an<strong>de</strong>ren Partnern in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (z.B.<br />

- 48 -


Dänemark) verfolgt man das Ziel, <strong>de</strong>r NATO in ihrem wichtigsten Aufgabenbereich keine Konkurrenz zu schaffen<br />

und auch langfristig nicht <strong>de</strong>n Einfluss Amerikas in Europa zurückzudrängen.<br />

Das Königreich Dänemark ist stolz auf seine über 100 Jahre alte Demokratie. Das Land hat sich beim Einsatz<br />

für die Wahrung <strong>de</strong>r Menschenrechte und <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten weltweit einen guten Ruf erworben; nicht<br />

zuletzt <strong>de</strong>shalb ist Kopenhagen Sitz <strong>de</strong>s Sekretariats <strong>de</strong>r OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />

in Europa) gewor<strong>de</strong>n, die sich in <strong>de</strong>n europäischen Krisenher<strong>de</strong>n (z.B. auf <strong>de</strong>m Balkan) für die friedliche<br />

Konfliktlösung zwischen <strong>de</strong>n Staaten, aber auch innerhalb <strong>de</strong>r Staaten, für die Einhaltung <strong>de</strong>r Menschenrechte<br />

sowie <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten einsetzt. Die Errungenschaften <strong>de</strong>s dänischen Wohlfahrtsstaats sind in<br />

Europa fast unerreicht, allerdings auch mit <strong>de</strong>n höchsten Lohn- bzw. Einkommenssteuersätzen in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> erkauft.<br />

Das wirtschaftliche Interesse war 1973 das Hauptmotiv für <strong>de</strong>n Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft<br />

gewesen. Seit<strong>de</strong>m hat sich in <strong>de</strong>r Bevölkerung eine zwiespältige Einstellung zum vereinigten Europa entwickelt.<br />

Zwar wird die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> von <strong>de</strong>r großen Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung grundsätzlich unterstützt, doch<br />

ganz allgemein sind die Dänen misstrauisch bezüglich <strong>de</strong>r Übertragung von Souveränitätsrechten (nationale<br />

Machtbefugnisse) an die <strong>EU</strong>, z.B. empfin<strong>de</strong>n viele Dänen die offenen Grenzen gegenüber ihren europäischen<br />

Nachbarn als schwer erträgliche Aufgabe nationaler Selbstbestimmung. Dieses Misstrauen gegenüber einem<br />

wirtschaftlich und politisch noch stärker vereinten Europa spiegelte sich in <strong>de</strong>n bisherigen sechs Volksentschei<strong>de</strong>n<br />

über verschie<strong>de</strong>ne Europäische Verträge wi<strong>de</strong>r, die zweimal Mehrheiten gegen <strong>EU</strong>-Projekte ergaben: 1992 wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Maastrichter Vertrag über <strong>de</strong>n EG-Binnenmarkt abgelehnt, womit seine Inkraftsetzung auch in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

<strong>EU</strong>-Staaten ein Jahr lang blockiert wur<strong>de</strong>. Ebenso stimmte die Mehrheit <strong>de</strong>r Bürger 2000 gegen die Einführung<br />

<strong>de</strong>s Euro. Wie die Regierung in Großbritannien, wo momentan ebenfalls noch eine Mehrheit <strong>de</strong>n Euro ablehnt,<br />

erhofft sich auch die dänische Regierung einen Stimmungsumschwung zugunsten <strong>de</strong>s Euro in <strong>de</strong>n nächsten<br />

Jahren, wozu auch die gegenwärtige Stärke <strong>de</strong>r europäischen Währung im Vergleich zum Dollar beitragen<br />

könnte. Ausdruck <strong>de</strong>s Balanceaktes, <strong>de</strong>n die verschie<strong>de</strong>nen dänischen Regierungen seit <strong>de</strong>n 80er Jahren<br />

zwischen <strong>de</strong>n Interessen einer mehrheitlich europaskeptischen Bevölkerung und <strong>de</strong>n Erwartungen <strong>de</strong>r Partner in<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, die gemeinschaftlichen Projekte voranzutreiben, vollführen mussten, sind die Son<strong>de</strong>rregelungen, die das<br />

Land in verschie<strong>de</strong>nen Schlüsselbereichen <strong>de</strong>r Europapolitik beansprucht, z.B. was die Währungsunion und die<br />

gemeinsame Verteidigungspolitik betrifft. Während sich das Land im Rahmen <strong>de</strong>r UNO sehr stark bei <strong>de</strong>r<br />

Frie<strong>de</strong>nssicherung und im Krisenmanagement engagiert – z.B. ist es zusammen mit Deutschland aktiv in<br />

Afghanistan bei <strong>de</strong>r militärischen Peace Keeping Mission – zeigt es sich reserviert gegenüber einer Beteiligung an<br />

<strong>de</strong>r geplanten „Europäischen Schnellen Eingreiftruppe“ für <strong>de</strong>n Einsatz in Krisengebieten und zur<br />

Frie<strong>de</strong>nssicherung. Man befürchtet, dass das Land sozusagen durch die Hintertür einen wichtigen Teil seiner<br />

nationalen Selbstbestimmung verlieren könnte und am En<strong>de</strong> weitere Verpflichtungen im Rahmen einer <strong>EU</strong>-weiten<br />

Verteidigung auferlegt bekäme, wogegen sich die dänischen Bürger bei einer Volksabstimmung klar<br />

ausgesprochen haben. Deswegen wäre die Entsendung von dänischen Truppen, Schiffen und Flugzeugen für die<br />

Eingreiftruppe nur dann akzeptabel, wenn die Führung <strong>de</strong>r Operationen dieser <strong>EU</strong>-Truppe <strong>de</strong>r NATO obliegt. (Das<br />

liefe im Kern auf einen Zwitter einer <strong>EU</strong>-NATO-Truppe hinaus.)<br />

Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite spielte das Land zu Beginn dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts in <strong>de</strong>r Europa-Politik eine führen<strong>de</strong> Rolle,<br />

die es z.B. in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Ratspräsi<strong>de</strong>ntschaft in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte 2002 unter Beweis stellte: <strong>de</strong>r damalige<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Rasmussen (seit Frühjahr 2009 NATO-Generalsekretär) managte sehr geschickt die<br />

Verhandlungen mit <strong>de</strong>n Beitrittskandidaten und konnte auf <strong>de</strong>m Gipfeltreffen <strong>de</strong>r Staats- und Regierungschefs <strong>de</strong>r<br />

15 <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r Mitte Dezember die Erweiterung <strong>de</strong>r Union um 10 Staaten vor allem aus Mittel- und Osteuropa<br />

glanzvoll besiegeln. Im Wissen um die eher beschei<strong>de</strong>ne Rolle <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>r weltpolitischen Bühne ist die<br />

dänische Regierung für die Einführung <strong>de</strong>s Amtes eines <strong>EU</strong>-Außenministers, <strong>de</strong>r die <strong>EU</strong> nach außen vertreten<br />

und Verhandlungen mit Nationalstaaten wie internationalen Organisationen führen soll. Doch aus Rücksicht auf<br />

die zögerliche Einstellung einer Mehrheit <strong>de</strong>r Dänen in dieser Frage, scheut man sich das Kind beim Namen zu<br />

nennen und unterstützt <strong>de</strong>n zurückhalten<strong>de</strong>ren britischen Vorschlag <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Amtes eines<br />

außenpolitischen Beauftragten. (Man hofft in Kopenhagen, dass die Zuständigkeiten dieses Beauftragten bald<br />

<strong>de</strong>nen eines „echten“ Außenministers entsprechen wer<strong>de</strong>n). Seit langem ist es eine For<strong>de</strong>rung Dänemarks, dass<br />

wichtige Entscheidungen in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach <strong>de</strong>m Mehrheitsprinzip getroffen wer<strong>de</strong>n – dies wünscht man sich auch<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r europäischen Außenpolitik. Dänemark kann bei <strong>de</strong>r Gestaltung dieser Politik z.B. gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Dritten Welt für sich eine wichtige Rolle beanspruchen, liegt es doch weltweit in <strong>de</strong>r Spitzengruppe <strong>de</strong>r<br />

Geberlän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Entwicklungshilfe. Die Vorgaben <strong>de</strong>r Vereinten Nationen für Industriestaaten, jährlich min<strong>de</strong>stens<br />

0,7% <strong>de</strong>s Bruttoinlandsprodukts dafür auszugeben, übertrifft Dänemark noch mit einem Wert von 0,8 % <strong>de</strong>s BIP.<br />

- 49 -


Portugal, mit die älteste Nation Europas, ist seit 1986 Mitglied in <strong>de</strong>r Europäischen Union. Das Land konnte dank<br />

kräftiger Investitionen ausländischer Unternehmen, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>utlichen Verbesserungen bei <strong>de</strong>n<br />

Verkehrswegen, <strong>de</strong>n Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, seit 1989 ein kräftiges Wirtschaftswachstum<br />

erzielen (es schwächte sich allerdings nach 2000 <strong>de</strong>utlich ab). So gelang es Portugal 1993 die "rote Laterne" im<br />

Vergleich <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an Griechenland abzugeben. Ausschlaggebend für die verstärkte<br />

Ansiedlung arbeitsintensiver Branchen, wie z.B. <strong>de</strong>r Textil- und <strong>de</strong>r Schuhindustrie, waren die niedrigen<br />

Lohnkosten. Sahen sich die Portugiesen bis in die 90er Jahre hinein in erster Linie in Konkurrenz mit <strong>de</strong>m Fernen<br />

Osten (noch 1991 lag das Lohnniveau auf einer Höhe mit Hongkong, Singapur o<strong>de</strong>r Südkorea), müssen sie sich<br />

nun nach <strong>de</strong>r Osterweiterung mit neuen Wettbewerbern auseinan<strong>de</strong>r setzen, die <strong>de</strong>n Faktor Arbeit ebenfalls<br />

günstig anbieten können. Infolge <strong>de</strong>r Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Regierung bestrebt, sowohl die<br />

Konsolidierung <strong>de</strong>r Staatsfinanzen zu erreichen als auch die heimische Wirtschaft und sozial bedürftige<br />

Bevölkerungsschichten zu unterstützen.<br />

In <strong>de</strong>r Europapolitik verfährt Portugal nach <strong>de</strong>r Devise „was gut ist für Europa, ist gut für das Land.“ Damit<br />

meinte <strong>de</strong>r Erfin<strong>de</strong>r dieser I<strong>de</strong>e, <strong>de</strong>r ehemalige Regierungschef António Guterres, dass es die beste Art sei,<br />

portugiesische Interessen in Europa zu vertreten, sie in die gemeinsamen europäischen Interessen zu integrieren.<br />

Am Beispiel <strong>de</strong>r Osterweiterung lässt sich dieses Konzept ganz gut ver<strong>de</strong>utlichen: Obwohl das westlichste Land<br />

auf <strong>de</strong>m europäischen Kontinent – und damit von allen <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn am weitesten vom Geschehen <strong>de</strong>r<br />

Osterweiterung entfernt – war Portugal ein starker Befürworter <strong>de</strong>r Erweiterung. Dies hat viel damit zu tun, dass<br />

sich die Interessen <strong>de</strong>s kleinen und wirtschaftlich noch nicht ausreichend entwickelten Lan<strong>de</strong>s häufig nicht mit<br />

<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r großen und reicheren Län<strong>de</strong>r wie z.B. Deutschland, Frankreich und Großbritannien <strong>de</strong>ckt. Die<br />

Erwartung Lissabons ist nun, dass die neuen eher kleineren und wirtschaftlich schwächeren Län<strong>de</strong>r mit ihrem<br />

Beitritt das nötige Gegengewicht zur bisherigen Mehrheit <strong>de</strong>r großen Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> schaffen wer<strong>de</strong>n und<br />

Portugal seine Interessen in Zukunft im Verein mit diesen Län<strong>de</strong>rn besser vertreten kann.<br />

Das Land versteht sich auch als Europas Brücke nach Brasilien und Afrika und setzt sich für eine rasche<br />

Umsetzung <strong>de</strong>s Reform-Vertrages von Lissabon ein.<br />

Seit 2000 engagiert sich Portugal verstärkt für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, die<br />

diesen Namen verdient. Sie ist für die größten Parteien <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s natürlicher Bestandteil <strong>de</strong>s neuen<br />

Europaverständnisses, das António Guterres entschei<strong>de</strong>nd prägte. Für die geplante Europäische Schnelle<br />

Eingreiftruppe will man anfangs ein Kontingent von 950 Mann zur Verfügung stellen, die mit mo<strong>de</strong>rnster<br />

Ausrüstung ausgestattet sein sollen. Allerdings besteht die Regierung darauf, dass die Operationen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Eingreiftruppe in <strong>de</strong>r Anfangsphase vom Brüsseler NATO-Hauptquartier aus geführt wer<strong>de</strong>n, damit <strong>de</strong>r große<br />

atlantische Verbün<strong>de</strong>te – die USA - sich allmählich an das Vorhan<strong>de</strong>nsein <strong>de</strong>r als Konkurrenz zur NATO<br />

empfun<strong>de</strong>nen europäischen Truppe gewöhnen kann. Zwar nehmen Teile <strong>de</strong>r Bevölkerung Portugals, das<br />

militärisch vom 2.Weltkrieg nicht betroffen war, noch eine reservierte Einstellung zur Teilnahme an Einsätzen bei<br />

europäischen Konflikten ein, doch genießt diese I<strong>de</strong>e zunehmend mehr Sympathie unter <strong>de</strong>n Portugiesen, die in<br />

ihrer großen Mehrheit das Ziel eines vereinten Europas befürwortet.<br />

Aus <strong>de</strong>r Sicht Großbritanniens, Dänemarks und Portugals sprechen vor allem folgen<strong>de</strong> Argumente für die<br />

Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Ost- bzw. Südosteuropa in die <strong>EU</strong>:<br />

• Der Vertrag über die Europäische Union (<strong>EU</strong>) stellt je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Staat <strong>de</strong>n Beitritt in Aussicht<br />

(siehe auch Anlage A.1).<br />

• Mehr als 60 Jahre nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Weltkriegs und <strong>de</strong>r Teilung Europas rückt die<br />

tatsächliche Vereinigung aller europäischen Staaten <strong>de</strong>r Verwirklichung näher.<br />

• Die ost- bzw. südosteuropäischen Län<strong>de</strong>r müssen mit <strong>de</strong>n übrigen europäischen Län<strong>de</strong>rn gleichgestellt<br />

wer<strong>de</strong>n und am EG-Binnenmarkt mit <strong>de</strong>n gleichen Rechten teilnehmen können.<br />

Ihre Län<strong>de</strong>r sind zwar nicht generell gegen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, aber es wird<br />

nach <strong>de</strong>r Überzeugung Ihrer Regierungen immer Themen geben, bei <strong>de</strong>nen die jeweiligen nationalen Interessen<br />

von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Partner nicht geteilt wer<strong>de</strong>n, was sich z.B. in <strong>de</strong>r Haltung zum Irak-Krieg zeigte.<br />

Außer<strong>de</strong>m hegen Sie die Befürchtung, dass einige Län<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Kontinent, angeführt von Frankreich und<br />

Deutschland, langfristig die Abkopplung Europas von <strong>de</strong>n USA anstreben. Ihre Län<strong>de</strong>r legen aber Wert auf<br />

beson<strong>de</strong>rs enge Beziehungen zu <strong>de</strong>n USA und messen <strong>de</strong>r NATO auch in <strong>de</strong>r Zukunft die zentrale Rolle in <strong>de</strong>r<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu. Deswegen stellen Sie in <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ministerrats über<br />

die Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong> und über die zukünftige Gestaltung <strong>de</strong>r europäischen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

- 50 -


For<strong>de</strong>rungen Großbritanniens, Dänemarks und Portugals<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

1. Sie lehnen die Schaffung eines Amtes <strong>de</strong>s Europäischen Außenministers ab. Dafür wird ein Amt <strong>de</strong>s<br />

außenpolitischen Beauftragten geschaffen, <strong>de</strong>ssen Hauptaufgabe darin besteht, unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten eine<br />

einheitliche Haltung zu internationalen Konflikten und Streitfragen zustan<strong>de</strong> zu bringen. Dies soll z.B. in<br />

regelmäßigen Treffen mit <strong>de</strong>n nationalen Außenministern <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten erreicht wer<strong>de</strong>n. Damit die einzelnen<br />

Staaten im wichtigen Bereich <strong>de</strong>r Außenpolitik nicht zu viele Zuständigkeiten verlieren, muss nach Überzeugung <strong>de</strong>r<br />

britischen Regierung die Einrichtung dieses Amtes mit folgen<strong>de</strong>n Einschränkungen verbun<strong>de</strong>n sein:<br />

• Er soll <strong>de</strong>m Rat <strong>de</strong>r Außenminister <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten unterstellt sein und seine Aufträge ausschließlich von diesem<br />

Ministerrat erhalten, <strong>de</strong>r darüber einstimmig beschließen muss.<br />

• Er soll auch nur in <strong>de</strong>n Fällen die Interessen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen vertreten dürfen, wo tatsächlich eine<br />

Gemeinsamkeit besteht (z.B. auf <strong>de</strong>m Balkan o<strong>de</strong>r im Palästinakonflikt).<br />

• Weil Großbritannien außer<strong>de</strong>m seinen Sitz im Weltsicherheitsrat beibehält, ist <strong>de</strong>r außenpolitische Beauftragte<br />

nicht befugt für alle <strong>EU</strong>-Staaten bei <strong>de</strong>n Vereinten Nationen (UNO) zu sprechen.<br />

• Großbritannien besteht darauf, dass <strong>de</strong>r außenpolitische Beauftragte Verhandlungen mit an<strong>de</strong>ren Nationalstaaten<br />

o<strong>de</strong>r internationalen Organisationen (z.B. <strong>de</strong>m nordatlantischen Verteidigungsbündnis NATO) nur mit<br />

Zustimmung aller <strong>EU</strong>-Staaten führen darf.<br />

2. Sie sind für <strong>de</strong>n Aufbau von speziellen <strong>EU</strong>-Streitkräften, die rasch mobilisierbar sind und stark genug, um bei Krisen<br />

in Europa, aber auch in an<strong>de</strong>ren Weltregionen, eingesetzt wer<strong>de</strong>n zu können. Diese "Schnelle Eingreiftruppe“<br />

wird aus Truppenteilen aller <strong>EU</strong>-Staaten zusammengestellt und genügt folgen<strong>de</strong>n Bedingungen:<br />

• Sie steht ausschließlich für Kriseneinsätze bzw. Frie<strong>de</strong>nsmissionen im Auftrag <strong>de</strong>r UNO („Blauhelmeinsätze“) zur<br />

Verfügung, wenn die NATO die Übernahme eines solchen Einsatzes nicht übernehmen kann.<br />

• Das Oberkommando <strong>de</strong>r Eingreiftruppe besteht aus geeigneten Offizieren <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und ist im NATO-<br />

Hauptquartier angesie<strong>de</strong>lt, damit die Einsätze in enger Abstimmung mit <strong>de</strong>r NATO erfolgen können. Gleichzeitig<br />

muss bei <strong>de</strong>r Planung und Durchführung <strong>de</strong>r militärischen Operationen <strong>de</strong>r Eingreiftruppe stets ein NATO-<br />

General hinzugezogen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r bei allen Entscheidungen ein Vetorecht besitzt. So wird auch vermie<strong>de</strong>n,<br />

dass das Verhältnis zur NATO getrübt und das atlantische Bündnis ausgehöhlt wird sowie langfristig sogar die<br />

Freundschaft zu <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten von Amerika gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

• Die Teilnahme an dieser Eingreiftruppe steht auch neutralen Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (z.B. Irland) offen.<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

Sie als Vertreter Großbritanniens, Dänemarks und Portugals gehören zu <strong>de</strong>n konsequenten Befürwortern <strong>de</strong>r<br />

Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die Europäische Union. Weil aber Ihre Län<strong>de</strong>r nicht in erster Linie davon profitieren<br />

wür<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn eher Staaten wie Deutschland, Polen, Italien und Griechenland als Nachbarn bzw.<br />

Haupthan<strong>de</strong>lspartner <strong>de</strong>r Kandidaten, wer<strong>de</strong>n Sie nur dann eine Zustimmung dazu geben, wenn auf Ihre folgen<strong>de</strong>n<br />

For<strong>de</strong>rungen eingegangen wird:<br />

1. Alle beitrittswilligen Län<strong>de</strong>r müssen die Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (s. Anlage A.1 und A.2) erfüllen und können erst dann<br />

mit ihrer Aufnahme rechnen, wenn sie politisch, wirtschaftlich und im Bereich von Justiz und Strafverfolgung<br />

ausreichend stabilisiert sind.<br />

2. Im Gegensatz zu Deutschland und <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, die im Bereich "freier Verkehr von Personen" (= die<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit für Arbeitnehmer) siebenjährige Übergangsfristen für die Öffnung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Arbeitsmärkte für<br />

Arbeitnehmer aus Ost- und Südosteuropa for<strong>de</strong>rn, lehnen Sie solche Fristen ab.<br />

3. Großbritannien, das Mutterland <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Demokratie, war immer schon ein bevorzugtes Ziel für politische<br />

Flüchtlinge aus allen Teilen <strong>de</strong>r Welt. Deshalb machen Sie sich zum Anwalt <strong>de</strong>r ethnischen Min<strong>de</strong>rheiten und<br />

for<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Kandidatenlän<strong>de</strong>rn, die Rechte <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten besser zu schützen:<br />

• Die rechtliche und soziale Lage <strong>de</strong>r serbischen Min<strong>de</strong>rheit in Kroatien gibt Ihnen Anlass zu Fragen an <strong>de</strong>n<br />

kroatischen Botschafter; <strong>de</strong>nn die Serben haben nach <strong>de</strong>r Rückkehr in die angestammten Siedlungsgebiete<br />

häufig Probleme, als rechtmäßige Besitzer ihrer Häuser anerkannt zu wer<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />

oftmals ausgegrenzt.<br />

• Sie verlangen von <strong>de</strong>n Botschaftern <strong>de</strong>r Türkei eine genaue Aufklärung über die Situation <strong>de</strong>r Kur<strong>de</strong>n in ihrem<br />

Land.<br />

- 51 -


Basisdaten <br />

Großbritannien Dänemark Portugal<br />

Fläche: 243.000 km² 43.094 km²<br />

(ohne Grönland)<br />

91.985 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 62,0 Mill. 5,5 Mill. 10,6 Mill.<br />

Bevölkerung:<br />

93,2 % Weiße<br />

2,1 % Schwarze<br />

1,7 % In<strong>de</strong>r<br />

1,2 % Pakistaner u.a.<br />

Staatsform: Parlamentarische<br />

Monarchie<br />

93,7 % Dänen<br />

6,3 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Parlamentarische<br />

Monarchie<br />

98,2 % Portugiesen<br />

1,8 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

(Kapverdier, Brasilianer,<br />

Angolaner)<br />

Parlamentarische Republik<br />

Hauptstadt: London Kopenhagen Lissabon<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010: 1.481 Milliar<strong>de</strong>n € 227 Milliar<strong>de</strong>n € 169 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 27.800 € 30.400 € 19.800 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

114,0 % 125,0 % 81,0 %<br />

Wachstumsrate 2010: 1,8 % 2,3 % 1,3 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 3,3 % 2,5 % 2,2 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 7,6 % 7,4 % 12,4 %<br />

- 52 -


Irland, Finnland, Schwe<strong>de</strong>n und Österreich<br />

Sie sind Vertreter <strong>de</strong>r neutralen Län<strong>de</strong>r, die seit 1973 (Irland) bzw. 1995 (Schwe<strong>de</strong>n, Finnland und<br />

Österreich) Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> sind. Vor allem ihrer erfolgreichen, reformfreudigen Wirtschaftspolitik haben<br />

es diese Län<strong>de</strong>r zu verdanken, dass ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf verglichen mit <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Durchschnitt<br />

auch in <strong>de</strong>n letzten Jahren noch <strong>de</strong>utlich anstieg und dies im übrigen ohne aus <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Haushalt viel an<br />

För<strong>de</strong>rgel<strong>de</strong>rn bezogen zu haben.<br />

In Irland überwiegt die Zurückhaltung, was die Aufnahme zusätzlicher Län<strong>de</strong>r aus Ost- und Südosteuropa in<br />

die <strong>EU</strong> betrifft. Als kleines Land muss Irland befürchten, in Zukunft allzu sehr an <strong>de</strong>n Rand gedrängt zu<br />

wer<strong>de</strong>n und viele Errungenschaften im Außenhan<strong>de</strong>l mit <strong>de</strong>n übrigen <strong>EU</strong>-Staaten und - dank niedriger Lohnkosten<br />

und Steuern - bei <strong>de</strong>r Ansiedlung ausländischer Firmen wie<strong>de</strong>r zu verlieren. Dabei könnte gera<strong>de</strong><br />

Irland als Mo<strong>de</strong>ll für einen gelungenen Beitritt gelten: Aus <strong>de</strong>m früheren Armenhaus Europas ist ein Boom-<br />

Land gewor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m das statistische Durchschnittseinkommen mittlerweile höher liegt als in allen<br />

an<strong>de</strong>ren <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn mit Ausnahme <strong>de</strong>s Großherzogtums Luxemburg! Die Iren haben sich seit <strong>de</strong>n 90er<br />

Jahren <strong>de</strong>n Ruf eines "keltischen Tigers" erarbeitet, mit jährlichen Wachstumsraten <strong>de</strong>s<br />

Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 9% - die höchsten Raten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. So schnellte <strong>de</strong>nn auch das BIP pro<br />

Kopf von 72% <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Durchschnitts 1990 auf 144 % im Jahr 2008 hoch. Diese Steigerung <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit haben die irischen Regierungen mit einer klugen Vergabe von <strong>EU</strong>-<br />

För<strong>de</strong>rmitteln in Gang gebracht, die sie in die Verbesserung <strong>de</strong>r Verkehrsinfrastruktur sowie in die<br />

Ausbildung <strong>de</strong>r Menschen investierten. Die Arbeitskräfte gelten weltweit als beson<strong>de</strong>rs qualifiziert, ein Anreiz<br />

für ausländische Investoren wie Intel, Kodak, Hewlett-Packard o<strong>de</strong>r Microsoft, die in <strong>de</strong>n letzten 10 Jahren<br />

die grüne Insel als Standort wählten. Seit En<strong>de</strong> 2008 hat das Land allerdings stark unter <strong>de</strong>r Finanz- und<br />

Wirtschaftskrise zu lei<strong>de</strong>n. Die Staatsverschuldung und die Arbeitslosigkeit stiegen und das<br />

Wirtschaftswachstum ging <strong>de</strong>utlich zurück (siehe Basisdaten).<br />

Irland gehört in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zu <strong>de</strong>njenigen Staaten, die am Aufbau von starken europäischen Institutionen mit<br />

<strong>de</strong>mokratischen Entscheidungsprozessen ein großes Interesse haben. Denn aus irischer Sicht ermöglicht<br />

am besten eine starke Europäische Union auch <strong>de</strong>n kleineren Staaten, ihre Interessen in <strong>de</strong>r internationalen<br />

Staatengemeinschaft <strong>de</strong>utlich zu artikulieren. Deswegen ist das vorrangige Ziel <strong>de</strong>r irischen Regierung in <strong>de</strong>r<br />

Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> die Schaffung <strong>de</strong>s Amtes eines<br />

<strong>EU</strong>-Außenministers mit weitreichen<strong>de</strong>n Vollmachten. Außer<strong>de</strong>m drängt die Regierung darauf, dass bei<br />

Entscheidungen im Rat <strong>de</strong>r Außenminister <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zukünftig Mehrheitsabstimmungen eingeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Man hält dabei eine Mehrheit von 60 % für völlig ausreichend. Die Regierung unterstützt auch <strong>de</strong>n Aufbau<br />

einer Europäischen Schnellen Eingreiftruppe und ist bereit, eigene Truppenkontingente dafür zur<br />

Verfügung zu stellen. Aufgrund <strong>de</strong>r Neutralität einiger <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>r muss diese Truppe allerdings eine rein<br />

europäische Angelegenheit sein, also in je<strong>de</strong>m Fall unabhängig von <strong>de</strong>r NATO han<strong>de</strong>ln können. Die<br />

Eingreiftruppe steht auch nur für Einsätze in Krisengebieten (mit einem UN-Mandat) zur Verfügung. Ein<br />

weitergehen<strong>de</strong>s verteidigungspolitisches Engagement <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> lehnt die Regierung in Dublin strikt ab.<br />

Die Ostsee-Region mit <strong>de</strong>n skandinavischen Län<strong>de</strong>rn, Polen und <strong>de</strong>m Baltikum profitiert neben Deutschland<br />

und Österreich am meisten von <strong>de</strong>r Beendigung <strong>de</strong>s Ost-West-Konflikts und vom Fall <strong>de</strong>s Eisernen<br />

Vorhangs sowie von <strong>de</strong>r Osterweiterung <strong>de</strong>r Europäischen Union. Zum einen weil sich die Sicherheit in <strong>de</strong>r<br />

Region <strong>de</strong>utlich stabilisiert hat (Finnland z.B. sieht sich aus <strong>de</strong>r Umklammerung durch die frühere<br />

Sowjetunion befreit), zum an<strong>de</strong>ren weil <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten und <strong>de</strong>n nunmehr unabhängigen<br />

baltischen Staaten und Polen seit 1990 stark aufgeblüht ist.<br />

In Finnland bün<strong>de</strong>ln sich die Han<strong>de</strong>lsströme <strong>de</strong>r westlich gelegenen <strong>EU</strong>-Staaten mit <strong>de</strong>n baltischen Län<strong>de</strong>rn<br />

und Russland. Durch die Ausweitung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls sowie die innovationsfreudige Wirtschafts- und<br />

Sozialpolitik erhöhte sich seit 1994 in Finnland <strong>de</strong>r Wohlstand - verglichen mit <strong>de</strong>n übrigen <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn -<br />

am zweitstärksten. Die Grundlagen für <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l Finnlands zu Beginn <strong>de</strong>r 90er Jahre von einer auf Forst-<br />

und Landwirtschaft begrün<strong>de</strong>ten Volkswirtschaft in ein High-Tech-„Nokialand“ waren im Land selbst gelegt<br />

wor<strong>de</strong>n: Zum einen investierte die finnische Wirtschaft, traditionell Exporteur von Papier, Zellstoff und Holz,<br />

die Han<strong>de</strong>lserlöse in die Entwicklung von Produkten hochwertiger Technologie. Bestes Beispiel dafür ist <strong>de</strong>r<br />

Mobilfunkhersteller Nokia, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r gleichnamigen kleinen Stadt im Sü<strong>de</strong>n Finnlands als holzverarbeiten<strong>de</strong>r<br />

Betrieb begonnen hatte und sich mit <strong>de</strong>r Elektronikabteilung eigentlich nur einen zusätzlichen<br />

Produktionszweig schaffen wollte. Doch mit dieser „Kernzelle“ <strong>de</strong>r Konsumelektronik, auf die man sich mehr<br />

und mehr konzentrierte, begann <strong>de</strong>r Siegeszug <strong>de</strong>r Mobilfunk-Technologie und <strong>de</strong>r Handy-Boom bescherte<br />

<strong>de</strong>r finnischen Wirtschaft einen ungeahnten Aufschwung. Erstmals im Jahr 2002 wur<strong>de</strong>n die traditionellen<br />

Ausfuhrgüter <strong>de</strong>r Forstwirtschaft und holzverarbeiten<strong>de</strong>n Industrie von <strong>de</strong>n Ausfuhren elektronischer<br />

Erzeugnissen übertroffen, von <strong>de</strong>nen auf Nokia-Produkte allein ein Viertel entfielen. Die finnische Wirtschaft<br />

hat überdurchschnittlich von <strong>de</strong>r Globalisierung profitiert und ist <strong>de</strong>mnach von <strong>de</strong>r weltweiten Krise 2008/09<br />

auch stärker betroffen als an<strong>de</strong>re Industrielän<strong>de</strong>r (siehe Basisdaten).<br />

Möglich wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Strukturwan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r finnischen Wirtschaft erst durch das Bildungssystem, das zu <strong>de</strong>n<br />

besten in <strong>de</strong>r Welt zählt und in <strong>de</strong>r Lage war, die nötigen hochqualifizierten Fachkräfte für die aufstreben<strong>de</strong><br />

High-Tech-Industrie auszubil<strong>de</strong>n. Nicht zufällig hat das Land bei <strong>de</strong>r Pisa-Studie Spitzenwerte im Lesen<br />

sowie in Mathematik und in <strong>de</strong>n Naturwissenschaften erzielt. Die finnischen Schüler lernen zwei<br />

- 53 -


Fremdsprachen - Schwedisch und eine weitere Sprache nach Wahl – und 95% von ihnen legen das Abitur<br />

ab. Von <strong>de</strong>n Abiturienten entschei<strong>de</strong>t sich anschließend die Hälfte für ein Hochschulstudium.<br />

Der Zusammenbruch <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>s mächtigen Nachbarn im Osten, eröffnete <strong>de</strong>m Land die Chance,<br />

seine strikte Neutralitätspolitik allmählich durch eine aktive Westpolitik zu ersetzen, <strong>de</strong>ren Fokus von Anfang<br />

an auf Europa gerichtet war. Die Einflüsse <strong>de</strong>r Globalisierung, die seit <strong>de</strong>n 1990er Jahren zunehmend auch<br />

Finnland erreichten, machten das Land offener und för<strong>de</strong>rten die Bereitschaft zur Integration in die Europa-<br />

Familie. Alle finnischen Regierungen haben seit <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Beitritt 1995 stets eine aktive Europa-Politik<br />

betrieben, <strong>de</strong>ren Ziele die Ausweitung und Vertiefung <strong>de</strong>r politischen Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r Union und die<br />

Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa in die <strong>EU</strong> sind. In Finnland besteht quer durch<br />

alle politischen Lager überwiegend Einverständnis mit einer wirklich gemeinsamen europäischen Außen-<br />

und Sicherheitspolitik (GASP); um sie zu ermöglichen soll die <strong>EU</strong> das Amt eines europäischen<br />

Außenministers mit weitreichen<strong>de</strong>n Vollmachten schaffen. Dieser soll die <strong>EU</strong> bei internationalen<br />

Organisationen (z.B. UNO) und gegenüber Nationalstaaten vertreten und auch befugt sein, Verhandlungen<br />

zu führen. Der Grundsatz <strong>de</strong>r Einstimmigkeit bei <strong>de</strong>n Entscheidungen im Rat <strong>de</strong>r Außenminister <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

sollte aber beibehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Zurückhalten<strong>de</strong>r ist man in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r Verteidigungspolitik. Zwar lehnt man <strong>de</strong>n<br />

Aufbau einer „Europäischen Schnellen Eingreiftruppe“ für <strong>de</strong>n Einsatz in Krisengebieten in Europa und<br />

für Frie<strong>de</strong>nsmissionen weltweit im Auftrag <strong>de</strong>r UNO („Blauhelmeinsätze“) nicht grundsätzlich ab, zumal Finnland<br />

in <strong>de</strong>r Vergangenheit bereits Soldaten für solche Operationen zur Verfügung gestellt hat und z.B. im<br />

Kosovo an <strong>de</strong>r KFOR-Truppe beteiligt ist. Doch im Bewusstsein <strong>de</strong>r meisten Finnen ist die jahrzehntelange<br />

Neutralität noch sehr stark verankert, die bis zur Auflösung <strong>de</strong>r Blockgrenzen zwischen Ost und West als <strong>de</strong>r<br />

eigentliche Garant <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s bevölkerungsarmen, am Ran<strong>de</strong> Europas gelegenen Lan<strong>de</strong>s<br />

angesehen wur<strong>de</strong>. Deswegen lehnen viele Finnen es ab, sich von <strong>de</strong>r Neutralität zu verabschie<strong>de</strong>n und sich<br />

bei einer gemeinsamen europäischen Verteidigung zu beteiligen o<strong>de</strong>r gar, wie von einigen Staaten gefor<strong>de</strong>rt,<br />

Bündnisverpflichtungen für <strong>de</strong>n Fall eines bewaffneten Angriffs von außen auf ein <strong>EU</strong>-Mitgliedsland<br />

einzugehen. Viele Finnen vertrauen lieber <strong>de</strong>r glaubwürdigen Abschreckung durch die eigenen mit<br />

mo<strong>de</strong>rnsten Waffen ausgerüsteten Streitkräfte.<br />

Auch die Wirtschaft Schwe<strong>de</strong>ns ist in hohem Maße vom Han<strong>de</strong>l abhängig. Fast 50 % <strong>de</strong>r schwedischen<br />

Industrieproduktion gehen ins Ausland; die Produktpalette reicht dabei von Handys über Autos und LKWs bis<br />

zu Umweltschutztechnologien, Möbel und Kampfflugzeugen. In seiner Europa-Politik verfolgt die<br />

schwedische Regierung ähnliche Ziele wie Finnland, sah sich allerdings einer zunehmen<strong>de</strong>n Opposition von<br />

Europagegnern ausgesetzt; 2003 entschied sich eine Mehrheit gegen die Einführung <strong>de</strong>s Euro.<br />

Für die Schwe<strong>de</strong>n ist es ein schwerer Schritt, die nationalstaatliche Souveränität aufzubrechen und die Kompetenzen<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong> auszuweiten. Die Regierung bemüht sich aber weiterhin um eine positive Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. Eine Folge war 2009 eine höhere Beteiligung bei <strong>de</strong>r Wahl zum Europaparlament und ein gutes<br />

Abschnei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r europafreundlichen Parteien sowie Verluste <strong>de</strong>r Europaskeptiker. Diese Einstellung kommt<br />

auch in <strong>de</strong>r schwedischen Haltung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zum<br />

Vorschein. Man ist zwar für die Einrichtung <strong>de</strong>s Amtes eines <strong>EU</strong>-Außenministers, <strong>de</strong>r eine gemeinsame<br />

europäische Position in <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen formulieren und auch <strong>de</strong>n Vorsitz bei <strong>de</strong>n Sitzungen<br />

<strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r nationalen Außenminister innehaben soll. Doch ist Schwe<strong>de</strong>n gegen die Einführung von<br />

Mehrheitsbeschlüssen in <strong>de</strong>r GASP. Es liefe dabei Gefahr, in einer Abstimmung zu unterliegen.<br />

Schlimmstenfalls könnte dies dann zur Folge haben, dass an<strong>de</strong>re Staaten in ihrer Mehrheit Beschlüsse<br />

fassen, die die Neutralitätspolitik Schwe<strong>de</strong>ns aufheben. Das möchte man aber auf je<strong>de</strong>n Fall vermei<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn immerhin bescherte <strong>de</strong>r außenpolitische Grundsatz <strong>de</strong>r Neutralität <strong>de</strong>m Land eine knapp 200-jährige<br />

Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns.<br />

Auch wenn sich Schwe<strong>de</strong>n auf diese Weise vorbehält, in Einzelfragen selbständig über seine Neutralität zu<br />

entschei<strong>de</strong>n, hat es sich trotz<strong>de</strong>m für die Beteiligung an <strong>de</strong>r geplanten „Europäischen Schnellen<br />

Eingreiftruppe“ für <strong>de</strong>n Einsatz in Krisengebieten in Europa bzw. für UN-Frie<strong>de</strong>nsmissionen weltweit entschie<strong>de</strong>n.<br />

Dabei lehnt Schwe<strong>de</strong>n aber jegliche Zusammenarbeit dieser <strong>EU</strong>-Truppe mit <strong>de</strong>r NATO ab.<br />

Neben <strong>de</strong>m finnischen gilt das schwedische Bildungssystem als eines <strong>de</strong>r besten weltweit. Was <strong>de</strong>n Anteil<br />

<strong>de</strong>r Ausgaben für Bildung und Forschung angeht, steht das Land (ca. 6,5 % <strong>de</strong>s BIP) zusammen mit Finnland<br />

an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Industrielän<strong>de</strong>r. Bereits im Vorschulalter gibt es eine umfassen<strong>de</strong> pädagogische Betreuung,<br />

was insbeson<strong>de</strong>re Kin<strong>de</strong>rn aus sozial schwachen o<strong>de</strong>r Migrantenfamilien zugute kommt. Das Schulsystem<br />

ist zweistufig, wobei über 90 % aller Schüler direkt ins Gymnasium überwechseln, das in Schwe<strong>de</strong>n<br />

auch berufsausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Funktion hat. Im ersten PISA-Vergleich schnitt das Land sehr gut ab, weil auch<br />

leistungsschwächere Schüler gut mithalten konnten und die Lese- sowie Englischkenntnisse unter <strong>de</strong>n<br />

jungen Schwe<strong>de</strong>n gut waren. Auch die Universitäten und Hochschulen genießen einen guten Ruf, sind<br />

mo<strong>de</strong>rn ausgestattet und für alle Stu<strong>de</strong>nten kostenfrei.<br />

Weit fortgeschritten ist in Schwe<strong>de</strong>n die Gleichstellung von Mann und Frau. Berufliche Gleichstellung wird<br />

als elementares Grundrecht angesehen und ist ein Kernpunkt in allen Regierungsprogrammen seit <strong>de</strong>n<br />

1960er Jahren. Mit einem Anteil von 69 % berufstätiger Frauen (Männer: 72 %) hält das Land einen Spitzenplatz<br />

unter <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn. Und im schwedischen Reichstag sind 43 % <strong>de</strong>r Abgeordneten weiblich.<br />

- 54 -


Schwe<strong>de</strong>n gibt mit seiner Umweltpolitik seit Jahrzehnten ein gutes Beispiel. Seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren hatte<br />

man stark zunehmen<strong>de</strong> Schä<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn und Seen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s beobachtet. Z.B. waren von <strong>de</strong>n ca.<br />

100.000 Seen Schwe<strong>de</strong>ns fast 20% stark übersäuert. Hauptverursacher dafür waren vor allem schwefelhaltige<br />

Emissionen von Kohlekraftwerken - zu 85 % aus <strong>de</strong>m Ausland nach Schwe<strong>de</strong>n importiert. Die<br />

Regierung in Stockholm machte als eine <strong>de</strong>r ersten in Europa <strong>de</strong>n Kraftwerksbetreibern <strong>de</strong>n Einbau von<br />

mo<strong>de</strong>rner Filtertechnik zur Auflage. Darüber hinaus unterstützte Schwe<strong>de</strong>n auch finanziell <strong>de</strong>n Bau mo<strong>de</strong>rner<br />

Kraftwerke bei seinen Nachbarn in <strong>de</strong>r Ostsee-Region - Polen und <strong>de</strong>n baltischen Län<strong>de</strong>rn.<br />

Der für 2010 geplante Ausstieg aus <strong>de</strong>r Kernenergie wur<strong>de</strong> inzwischen aufgehoben. Der nun gefun<strong>de</strong>ne<br />

Kompromiss sieht vor, dass erneuerbare Energien geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, aber altersbedingt vor <strong>de</strong>r Abschaltung<br />

stehen<strong>de</strong> Reaktoren durch neue ersetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Schwe<strong>de</strong>n könnte also Mo<strong>de</strong>ll einer wirtschaftlich erfolgreichen wie umweltbewussten Politik gera<strong>de</strong> für die<br />

Nachbarlän<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Region sein, die entwe<strong>de</strong>r bereits <strong>EU</strong>-Mitglied sind o<strong>de</strong>r dies wer<strong>de</strong>n wollen.<br />

Die Politikfel<strong>de</strong>r, auf <strong>de</strong>nen Schwe<strong>de</strong>n im internationalen Vergleich mit seinen Stärken glänzt, also <strong>de</strong>r gute<br />

Zustand <strong>de</strong>s Bildungssystems, die auch im beruflichen Bereich praktizierte Gleichberechtigung und die<br />

ehrgeizige Umweltpolitik, sind auch die Themengebiete, mit <strong>de</strong>nen sich das Land auf <strong>de</strong>r europäischen<br />

Bühne beson<strong>de</strong>rs engagiert. Schwe<strong>de</strong>n hofft z.B. <strong>EU</strong>-weite Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Vorbeugung<br />

von grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Umweltproblemen in Gang setzen zu können.<br />

Die Republik Österreich ist das Kernland <strong>de</strong>r früheren Donaumonarchie Österreich-Ungarn, die sich bis<br />

1918 über weite Teile Mittel- und Südosteuropas erstreckte. Nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg verfolgte Österreich im<br />

Gegensatz zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Staaten einen Neutralitätskurs. Das Land hielt sich aus <strong>de</strong>m<br />

beginnen<strong>de</strong>n Kalten Krieg heraus und ging zu <strong>de</strong>n Militärblöcken in Ost und West gleichermaßen auf<br />

Abstand. Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Amtszeit von Bun<strong>de</strong>skanzler Kreisky (1970-1983) hatte die Regierung in Wien<br />

ihre Neutralität für eine aktive Frie<strong>de</strong>nspolitik genutzt und damit international Einfluss und Ansehen<br />

gewonnen. Österreich stellte von 1971 bis 1981 <strong>de</strong>n Generalsekretär <strong>de</strong>r Vereinten Nationen und 1979<br />

wur<strong>de</strong> Wien einer ihrer vier Amtssitze.<br />

Bis 1989 war <strong>de</strong>r Außenhan<strong>de</strong>l Österreichs ein<strong>de</strong>utig westorientiert gewesen, während die Wirtschaftsbeziehungen<br />

zu <strong>de</strong>n sozialistischen Län<strong>de</strong>rn immer mehr an Be<strong>de</strong>utung verloren. Mit <strong>de</strong>r Überwindung <strong>de</strong>s<br />

„Eisernen Vorhangs“ begann das Land wie<strong>de</strong>r die wirtschaftliche Brückenfunktion zwischen Ost- und<br />

Mitteleuropa zurückzugewinnen, die ihm aufgrund seiner Lage zukommt.<br />

Während Österreich <strong>de</strong>m Europarat bereits 1956 beigetreten war, tat sich das Land mit einer Mitgliedschaft<br />

in <strong>de</strong>r EWG bzw. später EG wesentlich schwerer. Erst im Juli 1989 stellte die österreichische Regierung <strong>de</strong>n<br />

Beitrittsantrag. Nach<strong>de</strong>m bei <strong>de</strong>r Volksabstimmung über <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Beitritt genau zwei Drittel <strong>de</strong>r Bürger dafür<br />

votiert hatten, wur<strong>de</strong> Österreich am 1.Januar 1995 Vollmitglied. Das Land verfolgt seit<strong>de</strong>m eine sehr aktive<br />

Europapolitik. Beispiel dafür ist die Einführung <strong>de</strong>s Euro. Im Vor<strong>de</strong>rgrund seiner Interessen in <strong>de</strong>r<br />

Europapolitik stehen Verkehr (z.B. Brenner-Transit), Umwelt (v.a. strengere Sicherheitsstandards für<br />

Atomkraftwerke, z.B. im tschechischen Temelin – in Österreich selbst sind keine Kernkraftwerke zulässig!)<br />

sowie die Gestaltung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Osterweiterung.<br />

Österreich ist sich bewusst, dass es durch das Privileg, zahlreiche UNO-Einrichtungen in <strong>de</strong>r Hauptstadt<br />

Wien beherbergen zu dürfen, in <strong>de</strong>r Weltpolitik zwar keine unwichtige Rolle spielt, wegen seiner geringen<br />

Größe und Wirtschaftskraft aber <strong>de</strong>nnoch ein eher beschei<strong>de</strong>nes außenpolitisches Gewicht besitzt. Deshalb<br />

stehen Regierung und Opposition <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e eines gemeinsamen Außenministers <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> sehr positiv<br />

gegenüber. An<strong>de</strong>rs als die übrigen neutralen Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ist Österreich grundsätzlich auch bereit, sich<br />

an einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik zu beteiligen – nicht zuletzt aus Kostengrün<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn eine ausschließlich national betriebene Verteidigung ist teurer als eine gemeinschaftlich geführte. Dafür<br />

ist man auch bereit, sich allmählich von <strong>de</strong>r „immerwähren<strong>de</strong>n Neutralität“ zu verabschie<strong>de</strong>n, eine Politik, die<br />

Österreich fast vier Jahrzehnte Unabhängigkeit und <strong>de</strong>n nötigen Spielraum zu seinen Nachbarn in Ost und<br />

West ermöglichte; heute aber gibt es für ein Land, das im Herzen Europas liegt, keine Notwendigkeit mehr<br />

für eine solche Politik. Die Beteiligung an <strong>de</strong>r geplanten Europäischen Schnellen Eingreiftruppe ist für die<br />

österreichische Regierung <strong>de</strong>shalb eine durchaus mögliche Vorstellung.<br />

In <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> laufen die Interessen und Ziele <strong>de</strong>r vier<br />

neutralen Län<strong>de</strong>r also auf die Schaffung <strong>de</strong>s Amtes eines europäischen Außenministers hinaus.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r geplanten militärischen Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> zeigen sich allerdings Unterschie<strong>de</strong>.<br />

Unterschie<strong>de</strong> gibt es auch, was das Einstimmigkeitsprinzip in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik angeht: Ihre Regierungen müssten sich in dieser Frage auf einen Kompromiss einigen.<br />

Aus Ihrer Sicht sprechen vor allem folgen<strong>de</strong> Argumente für die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong>:<br />

• Der <strong>EU</strong>-Vertrag stellt je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Staat <strong>de</strong>n Beitritt in Aussicht (siehe Anlage A.1).<br />

• Mehr als 60 Jahre nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Weltkriegs und <strong>de</strong>r Teilung Europas rückt die tatsächliche<br />

Vereinigung aller europäischen Staaten <strong>de</strong>r Verwirklichung näher.<br />

• Die Wirtschaftskraft und die Sicherheit in Europa, vor allem aber auf <strong>de</strong>m Balkan nehmen zu.<br />

• Für die Wirtschaft in Ihren Län<strong>de</strong>rn sehen Sie die große Chance, neue Absatzmärkte zu erschließen und<br />

damit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Gleichzeitig erwarten Sie, dass die europäische Wirtschaft auch in<br />

<strong>de</strong>n Beitrittslän<strong>de</strong>rn erhebliche Investitionen vornehmen wird.<br />

- 55 -


For<strong>de</strong>rungen von Irland, Schwe<strong>de</strong>n, Finnland und Österreich<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

1. Ihre Regierungen sind bereit, in <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik Kompetenzen (Zuständigkeiten) an<br />

ein neu zu schaffen<strong>de</strong>s Amt <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers zu übertragen. Der <strong>EU</strong>-Außenminister stün<strong>de</strong><br />

hauptsächlich für folgen<strong>de</strong> Aufgaben zur Verfügung:<br />

• Entwurf von Richtlinien für eine gemeinsame europäische Außenpolitik gegenüber Staaten in und<br />

außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B. internationaler<br />

Terrorismus) sowie Abstimmung mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>EU</strong>-Staaten<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und bei Verhandlungen<br />

• Formulierung einer gemeinsamen europäischen Position in Krisen- und Konfliktfällen und Vertretung<br />

dieses Standpunkts gegenüber <strong>de</strong>n Konfliktparteien<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister<br />

Ihre Regierungen sind grundsätzlich bereit, das Einstimmigkeitsprinzip in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen-<br />

und Sicherheitspolitik abzuschaffen. Bei Entscheidungen im Ministerrat muss künftig nur noch eine<br />

Mehrheit von 66 % <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten einen Vorschlag unterstützen. Allen neutralen <strong>EU</strong>-Staaten muss<br />

es allerdings freigestellt sein, in <strong>de</strong>n Fällen gemeinsamer Entscheidungen, wo die Regierungen ihre<br />

Neutralität gefähr<strong>de</strong>t sehen (siehe z.B. die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um <strong>de</strong>n Irakkrieg im Frühjahr 2003),<br />

einen eigenen Kurs zu steuern.<br />

2. Trotz <strong>de</strong>r Neutralität Ihrer Staaten begrüßen Sie die Einrichtung einer Europäischen Schnellen<br />

Eingreiftruppe, wie sie von mehreren <strong>EU</strong>-Staaten gefor<strong>de</strong>rt wird, weil diese Truppe keine Bildung<br />

eines Verteidigungsbündnis be<strong>de</strong>uten wür<strong>de</strong>. An ihr wollen Sie sich beteiligen, wenn ihre folgen<strong>de</strong>n<br />

For<strong>de</strong>rungen berücksichtigt wer<strong>de</strong>n:<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung, für die ein<br />

UN-Mandat (Auftrag <strong>de</strong>s Weltsicherheitsrates) vorliegt.<br />

• Die Operationen dieser Eingreifgruppe müssen unter <strong>EU</strong>-Flagge erfolgen, d.h. von Offizieren aus<br />

<strong>EU</strong>-Staaten befehligt wer<strong>de</strong>n, die keine Funktion innerhalb <strong>de</strong>r NATO ausüben. Die <strong>EU</strong> schafft<br />

<strong>de</strong>shalb auch für ihre Frie<strong>de</strong>nsmissionen ein eigenes militärisches Hauptquartier außerhalb <strong>de</strong>r<br />

NATO. Eine Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r NATO lehnen sie aus Neutralitätsgrün<strong>de</strong>n strikt ab.<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

1. Alle beitrittswilligen Län<strong>de</strong>r müssen die Vorgaben <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> (s. Anlage A.1 und A.2) erfüllen und können<br />

erst dann mit ihrer Aufnahme rechnen, wenn sie politisch, wirtschaftlich und im Bereich von Justiz und<br />

Strafverfolgung ausreichend stabilisiert sind.<br />

2. Sie sind im Interesse <strong>de</strong>r Aufnahme <strong>de</strong>r Kandidaten auch bereit, einen größeren Anteil an <strong>de</strong>n<br />

Beitrittskosten zu übernehmen, als Ihren Län<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r finanziellen Leistungsfähigkeit her an sich<br />

zukommen wür<strong>de</strong>. Sie bestehen im Gegenzug für diese Zugeständnisse darauf, dass die <strong>EU</strong> ihre<br />

Arbeitsweise reformiert und v.a. die Entscheidungsfindung unter <strong>de</strong>n nunmehr 27 Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

beschleunigt. Sie for<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>shalb vor allem die Anwendung <strong>de</strong>s Mehrheitsprinzips im Ministerrat bei<br />

allen Entscheidungen, damit die <strong>EU</strong> in Zukunft Streitfragen in kürzerer Zeit entschei<strong>de</strong>n kann.<br />

3. Ihre Län<strong>de</strong>r verstehen sich als liberale Demokratien, <strong>de</strong>ren erklärtes Ziel <strong>de</strong>r Kampf gegen <strong>de</strong>n<br />

Rassismus und <strong>de</strong>r Schutz von Min<strong>de</strong>rheiten ist. Daher verlangen Sie von <strong>de</strong>n beitrittswilligen Län<strong>de</strong>rn,<br />

die Rechte <strong>de</strong>r ethnischen Min<strong>de</strong>rheiten besser zu schützen, ihre soziale Lage durch gezielte<br />

Maßnahmen zu verbessern sowie Diskriminierungen konsequent zu ahn<strong>de</strong>n. Zu nennen sind hier vor<br />

allem die Serben (Kroatien) und die Kur<strong>de</strong>n (Türkei).<br />

4. Ihre Län<strong>de</strong>r sind beson<strong>de</strong>rs an <strong>de</strong>r Durchsetzung hoher Umweltschutzstandards in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong><br />

interessiert. Deswegen for<strong>de</strong>rn Sie von <strong>de</strong>n beitrittswilligen Staaten die Übernahme und Umsetzung<br />

<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Bestimmungen für <strong>de</strong>n Umweltschutz innerhalb von 10 Jahren.<br />

5. Die Bildung nimmt in Ihren Län<strong>de</strong>rn einen beson<strong>de</strong>rs hohen Stellenwert ein (Finnland ist Spitzenreiter<br />

bei <strong>de</strong>r internationalen PISA-Studie!). Deswegen befragen Sie die Botschafter <strong>de</strong>r beitrittswilligen<br />

Staaten kritisch nach <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Bildung bzw. <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>r Bildungsreformen in <strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn.<br />

- 56 -


Basisdaten <br />

Irland Schwe<strong>de</strong>n Finnland Österreich<br />

Fläche: 70.282 km² 449.964 km² 338.145 km² 83.858 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 4,5 Mill. 9,3 Mill. 5,4 Mill. 8,4 Mill.<br />

Bevölkerung:<br />

kaum Auslän<strong>de</strong>r<br />

(USA, GB, D)<br />

94,4 % Schwe<strong>de</strong>n bzw. Lappen<br />

5,6 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

(Finnen, Bosniaken, Norweger)<br />

94 % Finnen<br />

6 % Schwe<strong>de</strong>n<br />

90,7 % Österreicher<br />

9,3 % Auslän<strong>de</strong>r<br />

Staatsform: Parlamentarische Republik Parlamentarische Monarchie Parlamentarische Republik Parlamentarische Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

Hauptstadt: Dublin Stockholm Helsinki Wien<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010: 166 Milliar<strong>de</strong>n € 299 Milliar<strong>de</strong>n € 175 Milliar<strong>de</strong>n € 278 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 30.700 € 30.100 € 28.300 € 30.700 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

125 % 123 % 116 % 125 %<br />

Wachstumsrate 2010: - 0,2 % 4,80% 2,90% 2,00%<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: - 0,8 % 1,7 % 2,4 % 1,8 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 14,0 % 7,7 % 7,8 % 4,3 %<br />

- 57 -


Polen, Estland, Lettland und Litauen<br />

Sie sind Vertreter Polens sowie <strong>de</strong>r baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.<br />

Polen ist seit <strong>de</strong>m 1. Mai 2004 Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union. Die meisten Polen stimmten bei <strong>de</strong>r<br />

Volksbefragung vom 7./8.6.2003 für <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Beitritt (77,5% <strong>de</strong>r Bevölkerung) und damit für die endgültige<br />

Rückkehr in die <strong>de</strong>mokratische Europa-Familie. Zunächst hatte <strong>de</strong>r Überfall <strong>de</strong>utscher Truppen (1.9.1939),<br />

später die Herrschaft <strong>de</strong>r kommunistischen Partei Polen aus <strong>de</strong>m freien Europa herausgerissen. Doch die<br />

Polen hatten sich während all dieser Jahre immer als Teil <strong>de</strong>s ‚alten Kontinents’ verstan<strong>de</strong>n und auch in <strong>de</strong>r<br />

Zeit <strong>de</strong>r größten Unterdrückung niemals <strong>de</strong>n Glauben an die Wie<strong>de</strong>rerlangung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und<br />

Auferstehung <strong>de</strong>r polnischen Nation verloren. In Polen begann die Demokratisierung bereits 1980 mit <strong>de</strong>r<br />

Gründung <strong>de</strong>r ersten freien Gewerkschaft in einem sozialistischen Staat. Die Gewerkschaft „Solidarität“ hat<br />

einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beitrag zur Überwindung <strong>de</strong>s Eisernen Vorhangs geleistet und das sowjetische<br />

Imperium mit zum Einsturz gebracht.<br />

Bereits 1988, noch vor <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong>, hatte Polen Wirtschaftsbeziehungen zur Europäischen<br />

Gemeinschaft (EG), <strong>de</strong>r Vorgängerin <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, aufgenommen. Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> unterstützte die <strong>EU</strong> die<br />

ehrgeizigen Wirtschaftsreformen <strong>de</strong>r ersten frei gewählten Regierung. 1994 schlossen die <strong>EU</strong> und Polen ein<br />

Partnerschaftsabkommen. Ebenfalls 1994 stellte Polen <strong>de</strong>n Antrag auf <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft. Im April 1998<br />

wur<strong>de</strong>n die Verhandlungen aufgenommen. Nach fünf Jahren und <strong>de</strong>r Lösung einiger schwieriger Streitfragen<br />

(Landwirtschaft, Umweltschutz) konnten die Verhandlungen am 16. April 2003 mit <strong>de</strong>r Unterzeichnung <strong>de</strong>s<br />

<strong>EU</strong>-Beitrittsvertrags in Athen abgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Dazu beigetragen hatten vor allem die Erfolge und<br />

Vorleistungen, die Polen selbst erreicht hatte, beson<strong>de</strong>rs die bereits zu Beginn <strong>de</strong>r 90er Jahre mutig<br />

angepackten Wirtschaftsreformen und Privatisierungen. Aufgrund <strong>de</strong>s für die Unternehmen freundlichen<br />

Klimas hatte Polen von 1991-2001 das höchste Wirtschaftswachstum aller Staaten <strong>de</strong>s ehemaligen<br />

Ostblocks: durchschnittlich 4,5% jährlich! Als <strong>EU</strong>-Mitglied will Polen diese wirtschaftlichen Erfolge noch<br />

weiter ausbauen und seine politische Stabilität als Nachbar zu Russland (ehemaliges Ostpreußen und<br />

Kaliningrad, früher Königsberg) sowie Weißrussland und <strong>de</strong>r Ukraine langfristig sichern. Die meisten Bürger<br />

erwarten sich von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft vor allem bessere materielle Lebensbedingungen; <strong>de</strong>nn noch hat<br />

das Land nach wie vor große wirtschaftliche und soziale Probleme zu bewältigen, z.B. sind fast 10 % <strong>de</strong>r<br />

Polen arbeitslos und es gibt ein starkes Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land. Viele Bürger sehen<br />

die <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft aber nach wie vor kritisch, <strong>de</strong>nn sie fürchten, dass zu viele wichtige Entscheidungen<br />

von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission in Brüssel über die Köpfe <strong>de</strong>r Polen hinweg getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Bereits im Oktober 1991, nur ein halbes Jahr nach Auflösung <strong>de</strong>s Warschauer Paktes (Verteidigungsbündnis<br />

<strong>de</strong>r ehemals sozialistischen Län<strong>de</strong>r Europas) hatte Polen Interesse an einer Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r NATO<br />

angemel<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r es dann am 12. März 1999 beitrat.<br />

Im Irak-Krieg beteiligte sich Polen, an <strong>de</strong>r „Koalition <strong>de</strong>r Willigen“ und entsandte Soldaten an <strong>de</strong>n Golf.<br />

Wegen <strong>de</strong>r Unterstützung für die USA kam es zu Spannungen im Verhältnis zu Frankreich und Deutschland.<br />

Neben Großbritannien gilt Polen als <strong>de</strong>r engste europäische Verbün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r USA.<br />

Obwohl das Land in <strong>de</strong>r Europapolitik bisher häufig die Richtung Frankreichs und Deutschlands verfolgte,<br />

glauben viele Polen, dass ihr Land als größtes und bevölkerungsreichstes Land unter <strong>de</strong>n neuen <strong>EU</strong>-Staaten<br />

stark genug sei, um auch im Verbund <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> eine eigenständige Außenpolitik zu führen. In <strong>de</strong>r Diskussion<br />

über eine zukünftige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten sind <strong>de</strong>shalb<br />

auch kritische Stimmen zu hören:<br />

- Polen habe nicht jahrelang um Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft, nur um jetzt wie<strong>de</strong>r unter das<br />

Joch einer größeren Macht, diesmal die Europäische Union, zu geraten.<br />

- Viele Polen sehen vor allem die NATO und die USA als die wahren Garanten <strong>de</strong>s freien und<br />

<strong>de</strong>mokratischen Polen an; gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten fühlen sich die meisten Polen seit <strong>de</strong>r<br />

offenen Parteinahme <strong>de</strong>s damaligen US-Präsi<strong>de</strong>nten Ronald Reagan für die Sache <strong>de</strong>r Gewerkschaft<br />

„Solidarität“ und seiner Unterstützung für das Streben <strong>de</strong>r Polen nach Freiheit und Demokratie sehr<br />

verbun<strong>de</strong>n. Die USA genießen fast nirgends in Europa ein <strong>de</strong>rart gutes Ansehen als in Polen und die<br />

polnische Regierung achtet insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Außen- und Sicherheitspolitik sehr darauf, dass sich<br />

Europa nicht von <strong>de</strong>n USA abnabelt.<br />

Dennoch ist Polen im Grundsatz dafür, ein Amt <strong>de</strong>s europäischen Außenministers zu schaffen und auch<br />

<strong>de</strong>m Aufbau <strong>de</strong>r Europäischen Schnellen Eingreiftruppe will man sich nicht verschließen.<br />

Estland, das nördlichste <strong>de</strong>r drei baltischen Staaten ist das kleinste dieser Län<strong>de</strong>r, die ihre Unabhängigkeit<br />

am 20. bzw. 21. August 1991 erklärt hatten und bald darauf wie<strong>de</strong>r ihre volle staatliche Selbständigkeit von<br />

<strong>de</strong>r früheren Sowjetunion zurück erhielten. Das Land genießt zu Recht <strong>de</strong>n Ruf eines "baltischen Tigers"<br />

nach<strong>de</strong>m es in <strong>de</strong>n Jahren nach <strong>de</strong>r Erlangung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit mit mutigen Wirtschaftsreformen <strong>de</strong>n<br />

Umbau <strong>de</strong>r Wirtschaft von <strong>de</strong>r staatlichen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft mit Bravour gemeistert<br />

hatte: Auf <strong>de</strong>m "Economic Freedom In<strong>de</strong>x" (= Freiheitsgrad <strong>de</strong>r Marktwirtschaft), <strong>de</strong>r regelmäßig vom Wall<br />

Street Journal errechnet wird, belegt Estland seit Jahren einen Spitzenplatz (2007 <strong>de</strong>n 12.Rang von<br />

157 Staaten). Ähnlich wie in Polen verlangten Privatisierung und Einführung marktwirtschaftlicher<br />

Spielregeln <strong>de</strong>r Bevölkerung einen hohen Preis ab - viele Bürger verloren ihre früher staatlich garantierten<br />

- 58 -


Arbeitsplätze o<strong>de</strong>r mussten infolge wachsen<strong>de</strong>r Inflation bzw. Lohnkürzungen einen drastischen Rückgang<br />

<strong>de</strong>s Lebensstandards hinnehmen. Doch die Esten waren bereit, für die neu gewonnene Unabhängigkeit -<br />

das Land war bereits von 1918 bis 1940 souverän gewesen - auch persönlich Opfer zu bringen. Estland ist<br />

heute mit <strong>de</strong>r ehemaligen estnischen Sowjetrepublik kaum noch zu vergleichen. Nicht in politischer Hinsicht -<br />

<strong>de</strong>nn die junge Republik ist heute eine vorzeigbare Demokratie mit einer jungen, dynamischen<br />

Regierungsmannschaft, die ein Maximum an Offenheit und Transparenz ermöglichen will und z.B. ihre<br />

Kabinettssitzungen im Internet übertragen lässt; nicht in wirtschaftlicher Hinsicht - die zumeist privatisierten<br />

estnischen Unternehmen sind durchaus in <strong>de</strong>r Lage mit westeuropäischen Firmen zu konkurrieren und im<br />

Bereich Informations- und Biotechnologie fin<strong>de</strong>t Estland gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Anschluss an die Weltelite; auch nicht in<br />

gesellschaftlicher Hinsicht - die Esten verstehen sich als Vielvölkerstaat, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Min<strong>de</strong>rheiten an<strong>de</strong>rer<br />

Ethnien (darunter vor allem 28% Russen) volle Rechte zugesteht und am wirtschaftlichen Aufschwung<br />

teilhaben lässt.<br />

Estlands Motiv für <strong>de</strong>n Beitrittswunsch zur <strong>EU</strong> wie zur NATO entsprang <strong>de</strong>m Sicherheitsbedürfnis <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s, das sich bis auf eine kurze Perio<strong>de</strong> im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt stets unter frem<strong>de</strong>r Herrschaft befand.<br />

Zuerst besiegten die Dänen 1219 bei <strong>de</strong>r heutigen Hauptstadt Tallinn ("Dänenstadt") die Esten, verkauften<br />

aber rund ein Jahrhun<strong>de</strong>rt später das Land an <strong>de</strong>n Deutschen Or<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r das Land besie<strong>de</strong>lte und regierte,<br />

bis er im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt vom russischen Zar Ivan IV. „<strong>de</strong>n Schrecklichen" vernichtend geschlagen wur<strong>de</strong>.<br />

Danach verleibten die Schwe<strong>de</strong>n Estland ihrem Reich ein, bis ab 1710 das Land wie<strong>de</strong>r Teil <strong>de</strong>s russischen<br />

Zarentums wur<strong>de</strong>. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts sollte das baltische Land gänzlich russifiziert wer<strong>de</strong>n, doch<br />

das "Erwachen" <strong>de</strong>r estnischen Nation ließ sich durch Zwangsmaßnahmen wie <strong>de</strong>r Einführung von Russisch<br />

als Behör<strong>de</strong>n- und Unterrichtssprache nicht mehr verhin<strong>de</strong>rn. Am 24.2.1918 konnte sich Estland endlich für<br />

unabhängig erklären. Dennoch musste sich die junge estnische Republik von Beginn an sowohl gegen<br />

russische wie <strong>de</strong>utsche Angriffe erwehren. Als <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Erweiterungskommissar Günter Verheugen im April<br />

2001 Estland besuchte, versprach er <strong>de</strong>swegen auch <strong>de</strong>n Esten, dass "die <strong>EU</strong> für Estland eine gute<br />

Sicherheitsgarantie" sein wer<strong>de</strong>. Während die Bevölkerung in Meinungsumfragen <strong>de</strong>n geplanten NATO-<br />

Beitritt immer schon mit einer großen Mehrheit unterstützt hatte (Beitritt 29. März 2004), wur<strong>de</strong> schließlich<br />

auch <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Beitritt beim Referendum vom 14.9.2003 mit 67% gebilligt und am 1. Mai 2004 vollzogen.<br />

Der bis 2008 erreichte wirtschaftliche Erfolg basiert auf einer stabilen Währung (die Estnische Krone ist an<br />

<strong>de</strong>n Euro gekoppelt). Die Folgen <strong>de</strong>r weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise sind auch in Estland nicht<br />

spurlos vorüber gegangen (siehe Basisdaten), eine Erholung <strong>de</strong>r Konjunktur ist aber erkennbar. Die positive<br />

Entwicklung wur<strong>de</strong> gestärkt durch die Einführung <strong>de</strong>s Euro zum 1.1.2011.<br />

Zwar lehnt das Land eine vollständige Bestimmung seiner Außenpolitik durch die <strong>EU</strong> ab, <strong>de</strong>nnoch ist das<br />

Bewusstsein für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) schon<br />

weiter gediehen als z.B. in Polen. Den meisten Esten ist längst klar gewor<strong>de</strong>n, dass ihr Land in <strong>de</strong>r<br />

Weltpolitik aber auch in <strong>de</strong>r europäischen Politik nur eine beschei<strong>de</strong>ne Rolle spielen kann. Deswegen sind<br />

Regierung, Parteien und die meisten Bürger <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s bereit, in <strong>de</strong>r Außenpolitik einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Zuständigkeiten und Rechte an einen <strong>EU</strong>-Außenminister zu übertragen. Auch an <strong>de</strong>r geplanten<br />

Europäischen Schnellen Eingreiftruppe zum Einsatz in Krisengebieten bzw. zur Frie<strong>de</strong>nssicherung ist<br />

Estland bereit, sich zu beteiligen; allerdings knüpft die Regierung ihre Zustimmung daran, dass das<br />

Oberkommando dieser anfangs auf 60.000 Soldaten begrenzten <strong>EU</strong>-Truppe im NATO-Hauptquartier in<br />

Brüssel untergebracht und die Einsätze <strong>de</strong>r Truppe eng mit <strong>de</strong>r NATO abgestimmt wer<strong>de</strong>n. Damit will die<br />

estnische Regierung erreichen, dass die USA, bestimmen<strong>de</strong> Macht in <strong>de</strong>r NATO und gleichzeitig <strong>de</strong>r<br />

wichtigste Verbün<strong>de</strong>te Estlands, nicht verprellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Republik Lettland ist das mittlere <strong>de</strong>r baltischen Län<strong>de</strong>r. Um 1180 ent<strong>de</strong>ckten <strong>de</strong>utsche Kaufleute die<br />

von Liven besie<strong>de</strong>lte Düna-Mündung und ließen sich dort nie<strong>de</strong>r. Als "Deutschbalten" bil<strong>de</strong>ten sie fortan die<br />

<strong>de</strong>utsche Ober- und Bürgerschicht von "Livland", so <strong>de</strong>r bis ins 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt gebräuchliche Name <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s, und herrschten über die einheimische Bauernbevölkerung. Sie führten die <strong>de</strong>utsche (Verkehrs- und<br />

Amts-)Sprache, <strong>de</strong>utsche Verwaltung und <strong>de</strong>utsches Recht ein, was auch von <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

polnischen, schwedischen und russischen Oberherren akzeptiert wur<strong>de</strong>. Die <strong>de</strong>utschbaltische Herrschaft im<br />

Inneren währte fast sieben Jahrhun<strong>de</strong>rte lang. Erst En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, als sich in einer Phase <strong>de</strong>s<br />

"Nationalen Erwachens" die lettische Bildungsschicht vom <strong>de</strong>utschen Leitbild emanzipierte und<br />

muttersprachliche Zeitungen und Kulturvereine gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, kam es zu einer "Entfremdung" <strong>de</strong>r<br />

Deutschbalten von ihrer Heimat Lettland; in <strong>de</strong>r Folge gab es die ersten Abwan<strong>de</strong>rungswellen nach<br />

Deutschland. Die lettische Nationalbewegung war schließlich mit <strong>de</strong>r Ausrufung einer unabhängigen,<br />

<strong>de</strong>mokratischen "Republik Lettland" am 18. November 1918 erfolgreich. Nach <strong>de</strong>r Enteignung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Großgrundbesitzer sie<strong>de</strong>lten Tausen<strong>de</strong> Angehörige <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Min<strong>de</strong>rheit nach Deutschland um. Von<br />

<strong>de</strong>n zurückgebliebenen wur<strong>de</strong>n die meisten nach <strong>de</strong>m erzwungenen Anschluss Lettlands an die Sowjetunion<br />

im Juli 1940 in die von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wehrmacht besetzten polnischen Gebiete bzw. ins <strong>de</strong>utsche<br />

Reichsgebiet umgesie<strong>de</strong>lt. Spuren <strong>de</strong>utscher Kultur sind bis heute vor allem in Riga zu sehen, wo auch<br />

bekannte <strong>de</strong>utsche Schriftsteller und Intellektuelle viele Jahre ihres Lebens verbrachten, z.B. von 1764-69<br />

Johann Gottfried Her<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r prominenteste Dichter <strong>de</strong>r Aufklärung. Aufgrund <strong>de</strong>s dominieren<strong>de</strong>n Einflusses<br />

<strong>de</strong>r mitteleuropäischen Kultur in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Deutschbalten fühlen sich die meisten Letten mit Europa bis<br />

heute sehr stark verbun<strong>de</strong>n; nicht zuletzt <strong>de</strong>swegen unterstützten die meisten Letten nach erneuter<br />

Erringung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit (6.9.1991) auch das politische Ziel <strong>de</strong>s Beitritts ihres Lan<strong>de</strong>s zur <strong>EU</strong>.<br />

- 59 -


In <strong>de</strong>r Europapolitik lehnt sich das Land an Deutschland, das <strong>de</strong>r wichtigste Han<strong>de</strong>lspartner Lettlands ist,<br />

und die skandinavischen Nachbarn Schwe<strong>de</strong>n und Finnland an. Mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Mitgliedschaft (seit 1. Mai<br />

2004) hofft man <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erholungsprozess <strong>de</strong>r letzten Jahre erfolgreich zu konsolidieren und<br />

<strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Verarmung beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n ländlichen Gebieten umzukehren sowie die in <strong>de</strong>n<br />

vergangenen Jahren ungemein gewachsenen Einkommensunterschie<strong>de</strong> allmählich abzubauen. Die <strong>EU</strong><br />

för<strong>de</strong>rt diese Politik, in<strong>de</strong>m sie in <strong>de</strong>n wirtschaftlich schwachen Regionen außerhalb Rigas <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r<br />

Infrastruktur finanziell unterstützt sowie Unternehmensgründungen und Neueinstellungen von Arbeitskräften<br />

aktiv för<strong>de</strong>rt. Die lettische Wirtschaft zeigt nach <strong>de</strong>r globalen Krise Anzeichen <strong>de</strong>r Stabilisierung. Der<br />

eingeschlagene Spar- und Reformkurs hat das Ziel, das Haushalts<strong>de</strong>fizit zu reduzieren und die<br />

Arbeitslosigkeit zu senken.<br />

In <strong>de</strong>r NATO-Mitgliedschaft (2. April 2004) sieht man vor allem eine langfristige Garantie für die Unabhängigkeit<br />

von Russland. Die Beziehungen zu Russland sind kompliziert und nicht frei von Spannungen: Die<br />

Regierung in Moskau sieht die große russische Gemeinschaft trotz geän<strong>de</strong>rter Min<strong>de</strong>rheitengesetze<br />

diskriminiert und hat als Strafmaßnahme <strong>de</strong>n Export russischen Öls über <strong>de</strong>n lettischen Hafen Ventspils<br />

eingestellt. Bei <strong>de</strong>n Letten hat sich dadurch das über Jahrzehnte gewachsene Misstrauen gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Russen noch verstärkt. Die Erfahrung <strong>de</strong>r zwangsweisen Sowjetisierung aller staatlichen und gesellschaftlichen<br />

Bereiche nach <strong>de</strong>r Rückeroberung Lettlands durch die Rote Armee im Jahr 1944 hat die Letten tief<br />

traumatisiert; 120.000 Letten waren in <strong>de</strong>n Jahren 1945 bis 1953 ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r nach willkürlicher<br />

Verhaftung und Deportation in Lager nach Sibirien dort ums Leben gekommen. Auch ist unvergessen, dass<br />

Moskau 1991 die Unabhängigkeit Lettlands noch in letzter Minute mit <strong>de</strong>m Angriff sowjetischer Truppen auf<br />

das lettische Innenministerium verhin<strong>de</strong>rn wollte, wobei es Tote und Verwun<strong>de</strong>te gab.<br />

In <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers vertritt Lettland eine ganz ähnliche Position wie die meisten kleineren<br />

Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>. Man weiß um das relativ geringe Gewicht <strong>de</strong>r lettischen Stimme im Chor <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>, <strong>de</strong>r von<br />

<strong>de</strong>n Großen Drei - Deutschland, Frankreich und Großbritannien. - dominiert wird. Ein <strong>EU</strong>-Außenminister, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Interessen aller <strong>EU</strong>-Staaten verpflichtet ist, könnte nach Überzeugung <strong>de</strong>r Regierung in Riga lettische<br />

Positionen in <strong>de</strong>r Weltpolitik besser vertreten als <strong>de</strong>r auf sich allein gestellte nationale Außenminister.<br />

Die Regierung sieht vor allem in <strong>de</strong>n USA - mehr noch als in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> - eine potentielle Schutzmacht in<br />

Konflikten mit Russland. Daher verwun<strong>de</strong>rt es auch nicht, dass Lettland zusammen mit an<strong>de</strong>ren mittel- und<br />

osteuropäischen Län<strong>de</strong>rn im Februar 2003 in einer Erklärung seine Solidarität mit <strong>de</strong>n USA in <strong>de</strong>r Irak-Krise<br />

bekun<strong>de</strong>te. Den Aufbau <strong>de</strong>r gemeinsamen Europäischen Schnellen Eingreiftruppe unterstützt man zwar,<br />

will diese aber nicht als Konkurrenz und schon gar nicht als Gegengewicht zur NATO verstan<strong>de</strong>n wissen.<br />

Riga setzt sich <strong>de</strong>shalb ähnlich wie die polnische o<strong>de</strong>r britische Regierung dafür ein, dass die Einsätze <strong>de</strong>r<br />

<strong>EU</strong>-Eingreiftruppe in enger Abstimmung mit <strong>de</strong>r NATO erfolgen müssen und dazu am besten auch ihr<br />

Oberkommando im NATO-Hauptquartier in Brüssel anzusie<strong>de</strong>ln sei. Damit will man erreichen, dass die USA,<br />

bestimmen<strong>de</strong> Macht in <strong>de</strong>r NATO und gleichzeitig wichtigster Verbün<strong>de</strong>ter Lettlands, nicht verprellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Litauen ist in Größe (65.200 qkm) und Einwohnerzahl (3,4 Millionen) unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten mit Irland<br />

vergleichbar. Wie in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren baltischen Staaten ist die einseitig erfolgte Erklärung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit<br />

von <strong>de</strong>r früheren Sowjetunion – in Litauen am 11. März 1990 durch das Parlament – <strong>de</strong>r zweite Anlauf zur<br />

Gründung einer <strong>de</strong>mokratischen Republik gewesen. Mit Estland und Lettland teilt Litauen die Geschichte<br />

einer Phase <strong>de</strong>r „ersten Republik“ von 1918 bis 1940, in <strong>de</strong>r die baltischen Völker erste Gehversuche mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>mokratischen Selbstbestimmung unternahmen. Im Hitler-Stalin-Pakt von 1939 wur<strong>de</strong>n die baltischen<br />

Län<strong>de</strong>r und Polen als Beute zwischen Deutschland und <strong>de</strong>r Sowjetunion aufgeteilt und Litauen geriet 1940<br />

unter sowjetische Zwangsherrschaft. Ein Jahr später marschierte die <strong>de</strong>utsche Wehrmacht in Litauen ein<br />

und besetzte das Land, bis 1944 erneut die Rote Armee das Land ‚befreite’. Trotz traumatisch<br />

nachwirken<strong>de</strong>r Erfahrungen aus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Besatzungszeit (alle Ju<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>n Städten einen großen<br />

Anteil an <strong>de</strong>r Bevölkerung stellten, wur<strong>de</strong>n in einem grausamen Blutbad getötet) wie aus <strong>de</strong>n ersten Jahren<br />

<strong>de</strong>r erneuten Sowjetherrschaft (etwa 100.000 Litauer - in stalinistischer Sprachregelung "unzuverlässige<br />

Elemente" - wur<strong>de</strong>n nach Sibirien <strong>de</strong>portiert), orientiert sich die Außenpolitik Litauens gera<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

damaligen Aggressoren Deutschland und Russland.<br />

Auf Deutschland richten sich in beson<strong>de</strong>rer Weise die Erwartungen <strong>de</strong>r jungen Republik: Deutschland ist das<br />

nächst gelegene große <strong>EU</strong>-Land <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>m Litauen schon heute sehr intensive<br />

Han<strong>de</strong>lsbeziehungen unterhält, die es in Zukunft noch ausweiten will. Deutsche Unternehmen sind bereits in<br />

großer Zahl in Litauen mit Nie<strong>de</strong>rlassungen vertreten und Deutschlands Hilfe etwa beim Abbau <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Atomreaktoren <strong>de</strong>s Tschernobyl-Typs ist unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten die größte. Die Litauer sind bereit, bei<br />

wichtigen Entscheidungen in <strong>de</strong>r Europapolitik Deutschland als Leitfigur unter <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten<br />

anzuerkennen. Der an<strong>de</strong>re wichtige außenpolitische Partner ist Russland, mit <strong>de</strong>m das Land auch heute als<br />

<strong>EU</strong>-Mitglied <strong>de</strong>n größten Han<strong>de</strong>lsaustausch betreibt. Litauen weiß um die Be<strong>de</strong>utung guter Beziehungen zu<br />

seinem östlichen Nachbarn und ist bereit, seine Erfahrungen mit diesem für die europäischen Geschicke<br />

wichtigen Land in die Europäische Union einzubringen.<br />

- 60 -


In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> und über die Gestaltung <strong>de</strong>r<br />

künftigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik stellen Sie folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

For<strong>de</strong>rungen von Polen, Estland, Lettland und Litauen<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

1. Für Ihre Regierungen hat eine engere Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor allem bei <strong>de</strong>r<br />

gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) große Be<strong>de</strong>utung: Ihre Län<strong>de</strong>r wünschen,<br />

dass es in Zukunft einen europäischen Außenminister gibt, <strong>de</strong>r die <strong>EU</strong>-Staaten nach außen vertritt.<br />

Außer<strong>de</strong>m soll es starke <strong>EU</strong>-Streitkräfte bei Kriseneinsätzen in Europa sowie bei Frie<strong>de</strong>nseinsätzen<br />

in <strong>de</strong>r ganzen Welt unter <strong>de</strong>r Flagge <strong>de</strong>r UNO geben.<br />

Der <strong>EU</strong>-Außenminister soll dabei u.a. folgen<strong>de</strong> Aufgaben erfüllen:<br />

• Entwickeln einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik gegenüber Staaten in und<br />

außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B.<br />

Internationaler Terrorismus) und Abstimmung dieser Politik mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen<br />

<strong>EU</strong>-Staaten<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und bei Verhandlungen<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister<br />

Das Einstimmigkeitsprinzip wird in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik abgeschafft.<br />

Bei Entscheidungen im Ministerrat muss künftig nur noch eine Mehrheit von 75% <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Staaten<br />

einen Vorschlag unterstützen.<br />

Polen for<strong>de</strong>rt allerdings bei wichtigen nationalen Fragen das Veto-Recht gegen Entscheidungen<br />

<strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrats!<br />

2. Damit das Gewicht <strong>de</strong>r europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gestärkt wird, baut die <strong>EU</strong> eine<br />

Schnelle Eingreiftruppe auf, die<br />

• innerhalb kurzer Zeit mobilisierbar und an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einsetzbar ist.<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung, für die<br />

es ein UNO-Mandat (Auftrag) gibt.<br />

Ihre Län<strong>de</strong>r sind allerdings dagegen, dass sich die <strong>EU</strong> in <strong>de</strong>r Sicherheitspolitik zu sehr von <strong>de</strong>n<br />

USA abkoppeln. Deswegen stellen Sie folgen<strong>de</strong> weitere For<strong>de</strong>rungen an die Einrichtung <strong>de</strong>r<br />

Schnellen Eingreiftruppe:<br />

• Geplant und geführt wer<strong>de</strong>n ihre Einsätze von einem Oberkommando, das aus beson<strong>de</strong>rs<br />

geeigneten Offizieren aller beteiligter <strong>EU</strong>-Staaten zusammen mit NATO-Offizieren besteht. Das<br />

Oberkommando <strong>de</strong>r Eingreiftruppe wird schon aus Grün<strong>de</strong>n kurzer Wege im NATO-<br />

Hauptquartier in Brüssel untergebracht.<br />

• An dieser Eingreiftruppe können sich auch neutrale Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> beteiligen (z.B.<br />

Österreich und Schwe<strong>de</strong>n).<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

1. Alle beitrittswilligen Staaten müssen die Bedingungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für einen Beitritt (s. Anlage A.1<br />

und A.2) erfüllen; außer<strong>de</strong>m müssen sie politisch, wirtschaftlich und im Bereich <strong>de</strong>r Justiz stabil<br />

genug sein.<br />

2. Die Grenzkontrollen zu <strong>de</strong>n neuen Beitrittslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n noch sieben Jahre beibehalten, um<br />

illegale Einwan<strong>de</strong>rungen aus diesen Staaten zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

3. Mit seinem Nachbar Ukraine unterhält Polen aber auch Litauen intensive politische, kulturelle und<br />

wirtschaftliche Beziehungen (Han<strong>de</strong>l!). Sie setzen sich stark für die engere Anbindung dieses<br />

osteuropäischen Lan<strong>de</strong>s an die <strong>EU</strong> ein, um die Demokratisierung in diesem für ein vereinigtes<br />

Europa wichtigem Land voranzutreiben und die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Ukraine gegenüber Russland<br />

zu stärken.<br />

- 61 -


Basisdaten <br />

Polen Estland Lettland Litauen<br />

Fläche: 312.678 km² 42.227 km² 64.597 km² 65.301 km²<br />

Einwohnerzahl (2010) 38,2 Mill. 1,3 Mill. 2,2 Mill. 3,3 Mill.<br />

Bevölkerung: 98 % Polen<br />

2 % Deutsche,<br />

Weißrussen,<br />

Ukrainer<br />

Staatsform: Parlamentarische<br />

Präsidial<strong>de</strong>mokratie<br />

65 % Esten<br />

28 % Russen<br />

7 % Ukrainer,<br />

Weißrussen<br />

Finnen u.a.<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

59 % Letten<br />

32 % Russen<br />

9 % Weißrussen,<br />

Ukrainer u.a.<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

84 % Litauer<br />

6 % Russen<br />

6 % Polen<br />

4 % an<strong>de</strong>re<br />

Parlamentarische Republik<br />

Hauptstadt: Warschau Tallinn (Reval) Riga Vilnius (Wilna)<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010: 310 Milliar<strong>de</strong>n € 14 Milliar<strong>de</strong>n € 19 Milliar<strong>de</strong>n € 28 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 15.200 € 15.900 € 12.600 € 14.200 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

62 % 65 % 52 % 58 %<br />

Wachstumsrate 2010: 3,5 % 2,4 % - 0,4 % 0,4 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 2,6 % 5,0 % 1,7 % 2,5 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 9,2 % 13,8 % 16,2 % 16,3 %<br />

- 62 -


Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien<br />

Sie sind Vertreter dieser mittel- bzw. südosteuropäischen Län<strong>de</strong>r. Tschechien, die Slowakei und Ungarn sind<br />

seit <strong>de</strong>m 1. Mai 2004, Rumänien und Bulgarien seit <strong>de</strong>m 1. Januar 2007 Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union.<br />

Die Tschechische Republik ist zusammen mit <strong>de</strong>r Slowakischen Republik am 1. Januar 1993 aus <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Fö<strong>de</strong>ration hervorgegangen. Von allen neuen <strong>EU</strong>-Staaten sind die Bürger<br />

Tschechiens vielleicht die <strong>EU</strong>-skeptischsten. Vom früheren <strong>EU</strong>-Erweiterungskommissar Verheugen stammt<br />

<strong>de</strong>r Ausspruch: "Wenn es einen Nobelpreis für Skeptizismus gäbe, wür<strong>de</strong>n ihn die Tschechen je<strong>de</strong>s Jahr<br />

erhalten.“ In Tschechien stand man <strong>de</strong>r Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> eher reserviert gegenüber: Man erkannte<br />

<strong>de</strong>ren Notwendigkeit zwar an, begrüßte sie aber <strong>de</strong>nnoch nicht überschwänglich. Der heutige<br />

Staatspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav Klaus gab vielleicht das beste Beispiel für diese Haltung, als er sich vor <strong>de</strong>r<br />

Volksabstimmung zum geplanten <strong>EU</strong>-Beitritt weigerte, eine Empfehlung für <strong>de</strong>n Beitritt auszusprechen, <strong>de</strong>n<br />

die Tschechen dann wie beiläufig billigten: Zwar stimmten über drei Viertel dafür, dies allerdings bei einer<br />

Wahlbeteiligung von lediglich 55%. Wesentlich motivierter ging das Land an <strong>de</strong>n Beitritt zur NATO heran, <strong>de</strong>r<br />

bereits am 12.3.1999 vollzogen wur<strong>de</strong> (Slowakei 29.3.2004) und in <strong>de</strong>n Augen vieler Tschechen schon allein<br />

<strong>de</strong>swegen nötig war, um das Staatsschiff endgültig im Hafen <strong>de</strong>s Westens festzumachen. Viele Politiker und<br />

Bürger sehen in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> im wesentlichen einen Bund souveräner Nationalstaaten, mit <strong>de</strong>r die wirtschaftliche<br />

Aufholjagd nach 40 Jahren sozialistischer Planwirtschaft leichter betrieben wer<strong>de</strong>n kann, o<strong>de</strong>r um noch<br />

einmal Vaclav Klaus zu zitieren: „Der <strong>EU</strong>-Beitritt be<strong>de</strong>utet einen wesentlichen Souveränitätsverlust, <strong>de</strong>r<br />

durch etwas aufgewogen wer<strong>de</strong>n muss.“ Dieses „etwas“ sind die Teilnahme am <strong>EU</strong>-Binnenmarkt mit all<br />

seinen Han<strong>de</strong>lsvorteilen und die Zuschüsse für die notwendige Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Während<br />

Deutschland und Frankreich (sowohl Regierung wie Opposition) die <strong>EU</strong> min<strong>de</strong>stens perspektivisch als<br />

Bun<strong>de</strong>sstaat sehen, <strong>de</strong>r dann auch in <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik mehr und mehr Zuständigkeiten<br />

von <strong>de</strong>n Nationalstaaten übertragen bekäme, ist dies für Staatspräsi<strong>de</strong>nt Klaus unvorstellbar: „Die<br />

gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ist unnötig. Der Versuch einer Gleichschaltung (<strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Staaten) kann nicht erwünscht sein.“ erklärte er in einem Interview vom Mai 2003 Für Klaus gibt es keine<br />

ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>finierten „europäischen Interessen in <strong>de</strong>r Außenpolitik“ und damit auch keine Notwendigkeit für<br />

die <strong>EU</strong>, sich einen europäischen Außenminister zuzulegen. Erst recht gilt dies für das Gebiet <strong>de</strong>r<br />

Sicherheitspolitik, wo er im Streben nach Vertiefung <strong>de</strong>r militärischen Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-<br />

Staaten, wie sie beson<strong>de</strong>rs von Deutschland und Frankreich gefor<strong>de</strong>rt wird, einen gewissen Versuch sieht,<br />

„die NATO und die transatlantischen Bindungen zu schwächen und aus <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> eine Art Gegengewicht zu<br />

<strong>de</strong>n USA zu machen.“ Auch dies sei seiner Meinung nach „unnötig“. Zwar hat <strong>de</strong>r Staatspräsi<strong>de</strong>nt nach <strong>de</strong>r<br />

tschechischen Verfassung überwiegend repräsentative Aufgaben und kann <strong>de</strong>r Regierung keine Vorgaben<br />

machen, doch steht Klaus mit dieser Meinung keineswegs isoliert da. Wenn man die Geschichte <strong>de</strong>r im<br />

europäischen Vergleich jungen Republik genauer ansieht, versteht man, warum die Tschechen insgesamt<br />

sehr viel reservierter als z.B. die westeuropäischen Nachbarn Deutschland und Österreich <strong>de</strong>r europäischen<br />

Einigungsi<strong>de</strong>e gegenüberstehen.<br />

• Bereits 20 Jahre nach ihrer Gründung 1918 - ermöglicht durch die Auflösung <strong>de</strong>r Donau-Monarchie<br />

Österreich-Ungarn - musste die erste tschechoslowakische Republik im Zuge <strong>de</strong>s Münchner<br />

Abkommens von 1938 zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland das Su<strong>de</strong>tenland<br />

an das Deutsche Reich abtreten; damit verlor die Tschechoslowakei nicht nur wirtschaftlich wichtige<br />

Gebiete, son<strong>de</strong>rn war, im Stich gelassen von ihren westeuropäischen Verbün<strong>de</strong>ten Frankreich und<br />

Großbritannien, weiteren Gebietsgelüsten Hitlers schutzlos ausgeliefert. Als Hitler im Frühjahr 1939 sich<br />

daran machte, die „Rest-Tschechei“ ebenfalls in sein „Tausendjähriges Reich“ einzuglie<strong>de</strong>rn, war an eine<br />

militärische Gegenwehr überhaupt nicht mehr zu <strong>de</strong>nken. Mit <strong>de</strong>r Drohung, Prag durch die Luftwaffe <strong>de</strong>m<br />

Erdbo<strong>de</strong>n gleichzumachen, erpresste Hitler vom tschechoslowakischen Staatspräsi<strong>de</strong>nten die<br />

Zustimmung zum Einmarsch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wehrmacht in Böhmen und Mähren.<br />

• 1948, nur wenige Jahre nach <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerlangung <strong>de</strong>r Souveränität 1945, kam es zur Machtübernahme<br />

<strong>de</strong>r Moskau-treuen Kommunistischen Partei. 40 Jahre lang existierte das Land, von Westeuropa durch<br />

<strong>de</strong>n „Eisernen Vorhang“ getrennt, nur pro forma unabhängig.<br />

• 1968 leisteten Millionen Bürger in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei zivilen Wi<strong>de</strong>rstand gegen die „sozialistische<br />

Bru<strong>de</strong>rhilfe“, <strong>de</strong>r Invasion <strong>de</strong>r Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Pakts, mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Versuch, <strong>de</strong>m "Sozialismus ein<br />

menschliches Antlitz" zu geben, gewaltsam been<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Im Bewusstsein <strong>de</strong>r Menschen hatte <strong>de</strong>r<br />

Westen das Land beim Versuch, einen selbständigen Weg zu gehen, erneut im Stich gelassen, auch<br />

wenn es objektiv keine realistische Möglichkeit <strong>de</strong>s Eingreifens von Seiten <strong>de</strong>r USA und Westeuropa<br />

gegeben hatte, ohne einen dritten Weltkrieg zu riskieren.<br />

Erst nach <strong>de</strong>r „samtenen Revolution" von 1989 kam eine <strong>de</strong>mokratische Bewegung an die Regierung. Seit<br />

<strong>de</strong>m 1.1.1993 bil<strong>de</strong>n Tschechen und Slowaken zwei unabhängige Republiken, die selbstbewusst auftreten<br />

und <strong>de</strong>n "Großen" in <strong>de</strong>r europäischen Familie auf gleicher Augenhöhe begegnen wollen; die I<strong>de</strong>e einer<br />

teilweisen Aufgabe nationaler Zuständigkeiten in <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik zugunsten Brüssels<br />

kommt vielen politisch Verantwortlichen und Bürgern wie ein erneuter Versuch eines Diktats von außen vor.<br />

- 63 -


Als eigenständiger und unabhängiger Staat ist die Slowakei erst am 1. Januar 1993 auf die Weltbühne<br />

getreten, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r slowakischen Republik von 1939 bis 1945 galt das Land zwar formal als<br />

unabhängig, <strong>de</strong> facto aber nahm es die Rolle eines Vasallenstaates Hitlers ein. Fast tausend Jahre lang bis<br />

zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ersten Weltkriegs war das Land <strong>de</strong>r Slowaken als Provinz "Ober-Ungarn" Teil <strong>de</strong>s<br />

Königreichs Ungarn gewesen. Die Jahre 1918 bis 1938 und dann wie<strong>de</strong>r von 1945 bis 1992 bil<strong>de</strong>ten<br />

Slowaken und Tschechen zusammen das Staatsgebil<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. War <strong>de</strong>r Schritt zur<br />

Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Slowakei 1993 in erster Linie das Werk nationalistisch eingestellter Politiker bei<strong>de</strong>r<br />

Seiten (die jeweilige Bevölkerung in ihrer Mehrheit war gegen <strong>de</strong>n Trennungsbeschluss), so sehen sich<br />

bei<strong>de</strong> Völker heute durch die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gleichsam wie<strong>de</strong>rvereinigt.<br />

In <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> hat sich die Slowakei als Pionier bei Steuer- und Sozialreformen hervorgetan: Als einziges <strong>EU</strong>-<br />

Land gilt in <strong>de</strong>r Slowakei seit <strong>de</strong>m 1.1.2004 ein einheitlicher Steuersatz von 19% auf private Einkommen, für<br />

Unternehmen und für <strong>de</strong>n Konsum (Mehrwertsteuer). In Verbindung mit niedrigen Löhnen, selbst im<br />

Vergleich mit tschechischen o<strong>de</strong>r ungarischen, hat diese Maßnahme zu einer starken Zunahme von<br />

Investitionen ausländischer Unternehmen geführt. Das beste Beispiel stellt die Automobilindustrie dar:<br />

Während VW in Bratislava und Peugeot/Citroën in Nitra bereits Produktionsstätten besaßen, beschloss nun<br />

auch <strong>de</strong>r südkoreanische Mischkonzern Hyundai ein PKW-Werk für die Marke Kia in Zilina zu bauen; ab<br />

2007 wur<strong>de</strong> das Land damit zum drittgrößten PKW-Produktionsstandort in Europa. Die Steuerreform mit <strong>de</strong>r<br />

Vereinfachung <strong>de</strong>s Steuerrechts und <strong>de</strong>r Absenkung <strong>de</strong>r Steuersätze begünstigt allerdings einseitig Bezieher<br />

höherer Einkommen, während kleine Leute, Rentner und Arbeitslose unverhältnismäßig stark belastet<br />

wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n die Sozialhilfeleistungen stark gekürzt, was viele Arme in noch größere Not trieb.<br />

Die Regierung hofft, das Wachstum <strong>de</strong>r Wirtschaft durch weitere Neuansiedlung ausländischer<br />

Unternehmen so stark zu steigern, dass am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kuchen für alle größer wird. Das Land hat zum<br />

1.1.2009 <strong>de</strong>n Euro eingeführt, für die Regierung ein wirkungsvolles Argument bei <strong>de</strong>r Werbung um<br />

ausländische Investoren.<br />

In <strong>de</strong>r Außenpolitik beschreitet die Slowakei einen zurückhalten<strong>de</strong>ren Kurs als <strong>de</strong>r Nachbar Tschechien.<br />

Die Regierung in Bratislava visiert eine Rolle als zwar kleines aber feines Mitgliedsland <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> an, wie sie<br />

z.B. Österreich verkörpert. Die Regierung steht nicht zurück, eigene I<strong>de</strong>en in die <strong>EU</strong>-Außenpolitik<br />

einzubringen, und erkennt <strong>de</strong>nnoch an, dass eine von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> losgelöste Politik auf <strong>de</strong>n großen<br />

außenpolitischen Themenfel<strong>de</strong>rn nutzlos wäre. Man weiß um das relative Gewicht seiner Bevölkerung, die ja<br />

auch starke Min<strong>de</strong>rheiten aufweist. Die ca. 500.000 Ungarn z.B. sind sehr selbstbewusst und wür<strong>de</strong>n<br />

erneute nationalistische Höhenflüge, wie sie in <strong>de</strong>n ersten Jahren <strong>de</strong>r Unabhängigkeit versucht wur<strong>de</strong>n, nicht<br />

akzeptieren. Die Verankerung <strong>de</strong>r Slowakei in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wird von <strong>de</strong>r Regierung und <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung nach wie vor als großer Vorteil gesehen. Die Slowakei unterstützt auch das Projekt einer<br />

gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Deswegen tritt sie für die Schaffung <strong>de</strong>s Amtes<br />

eines Europäischen Außenministers sowie für die Einrichtung einer Europäischen Schnellen<br />

Eingreiftruppe zum Einsatz in <strong>de</strong>n Krisenher<strong>de</strong>n Europas und weltweit ein. Als stolzes Neumitglied <strong>de</strong>r<br />

NATO will man die Eingreiftruppe allerdings nicht ganz unabhängig von <strong>de</strong>r NATO operieren lassen.<br />

Deshalb spricht sich die slowakische Regierung dafür aus, das Oberkommando <strong>de</strong>r europäischen<br />

Eingreiftruppe im NATO-Hauptquartier in Brüssel anzusie<strong>de</strong>ln und darüber hinaus auch NATO-Offiziere mit<br />

Aufgaben bei <strong>de</strong>n Einsatzplanungen zu betrauen.<br />

15 Jahre vor <strong>de</strong>r offiziellen Osterweiterung <strong>de</strong>r Europäischen Union wur<strong>de</strong>n in Ungarn dafür die Grundlagen<br />

geschaffen: Beim "Paneuropa-Picknick" am 19. August 1989 in Sopron schnitten <strong>de</strong>r damalige ungarische<br />

Außenminister Gyula Horn und sein österreichischer Kollege Alois Mock die ersten Löcher in <strong>de</strong>n Drahtzaun<br />

zwischen Ungarn und Österreich und öffneten damit symbolisch <strong>de</strong>n "Eisernen Vorhang". Dieses erste<br />

offene Tor in <strong>de</strong>n Westen nutzten in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Wochen Tausen<strong>de</strong> DDR-Bürger, die ihren Urlaub in<br />

Ungarn verbrachten, zur Flucht. Nur drei Wochen später kündigte Horn im ungarischen Fernsehen an, dass<br />

nunmehr für sämtliche ausreisewilligen DDR-Bürger <strong>de</strong>r legale Grenzübertritt in <strong>de</strong>n Westen möglich sei.<br />

Diese Öffnung <strong>de</strong>r Grenze beschleunigte <strong>de</strong>n Verfall <strong>de</strong>s kommunistischen Systems und kann in <strong>de</strong>r<br />

Rückschau durchaus als Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s neuen Europas betrachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Ungarn verstehen ihr Land als kulturelles Solitär, nicht nur weil das Ungarische we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />

indogermanischen noch <strong>de</strong>m slawischen Sprachkreis angehört, son<strong>de</strong>rn auch weil ihr Land tatsächlich einen<br />

politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Treffpunkt zwischen Orient und Okzi<strong>de</strong>nt darstellt. Budapest, das<br />

lange <strong>de</strong>n Beinamen "Paris <strong>de</strong>s Ostens" trug, war z.B. als Han<strong>de</strong>lsmetropole Brücke zwischen West- und<br />

Osteuropa. Im Laufe seiner Geschichte wur<strong>de</strong> Ungarn überdies vom Osten wie Westen immer wie<strong>de</strong>r<br />

besetzt, z.B. war es ab 1541 als "Üngürü" 150 Jahre lang Provinz <strong>de</strong>s Osmanischen Reiches. Angst vor <strong>de</strong>m<br />

Untergang <strong>de</strong>r Nation gab es in Ungarn seit <strong>de</strong>r Reichsgründung vor 1000 Jahren. Der Zug nach Westen ist<br />

<strong>de</strong>r zentrale nationale Mythos <strong>de</strong>r Magyaren und dieser Traum scheint 2004 mit <strong>de</strong>m Beitritt zur <strong>EU</strong> in<br />

Erfüllung gegangen zu sein. Heute bekennt sich das "Pufferland" Ungarn zum Westen und nimmt selbst viel<br />

stärker als früher seine eigene Beson<strong>de</strong>rheit wahr, also das, was es innerhalb Europas an wirklich<br />

Unvergleichlichem besitzt. Dies ist sowohl eine Bereicherung wie eine Chance für das vergrößerte Europa,<br />

im Spiegel <strong>de</strong>r ungarischen Kultur auch ein neues Gesicht seiner selbst zu sehen.<br />

- 64 -


Die wirtschaftliche Lage in Ungarn hat sich bis 2006 stark gebessert. Es konnten zehn Jahre starken<br />

Wirtschaftswachstums verzeichnet wer<strong>de</strong>n und auch die Arbeitslosigkeit wur<strong>de</strong> auf einem für <strong>EU</strong>-<br />

Verhältnisse akzeptablen Niveau gehalten (z.Z. ca. 10 %). In <strong>de</strong>n 90er Jahren ging es vor allem darum, die<br />

Industrie mithilfe ausländischer Investitionen zu mo<strong>de</strong>rnisieren, hier sind z.B. die <strong>de</strong>utschen Unternehmen<br />

Audi, Telekom und E-ON zu nennen. Seit einigen Jahren entwickelt sich Ungarn nun aber zunehmend weg<br />

von einer "verlängerten Werkbank Westeuropas", wo ausschließlich die niedrigen Lohnkosten ausländische<br />

Unternehmen ins Land (z.B. <strong>de</strong>r Automobilzulieferer Leoni) lockten, hin zu einem regionalen Zentrum für<br />

Logistik, Vertrieb, Forschung und Entwicklung. Beispiele hierfür sind IBM, das noch 2002 ein<br />

Festplattenwerk in Szekesfehervar schloss und 3.700 Arbeitnehmer entließ, aber bereits ein Jahr später mit<br />

einem Forschungs- und Entwicklungszentrum zurückkehrte.<br />

Die ungarische Wirtschaft versucht nach <strong>de</strong>r Wirtschafts- und Finanzkrise wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Wachstumskurs<br />

zurückzukehren. Die Einführung <strong>de</strong>s Euros wird ebenso angestrebt wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze.<br />

Die ungarische Europapolitik nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> war von großer Umsicht und Klugheit geprägt. In kaum<br />

einem an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r neuen Mitgliedslän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> ging <strong>de</strong>r wirtschaftliche Umbauprozess so scheinbar<br />

mühelos vonstatten und auch die Verhandlungen mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission liefen zügig und ohne größere<br />

Probleme ab. Was die Beitrittskriterien <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> angeht, hätte Ungarn je<strong>de</strong>nfalls schon zu einem früheren<br />

Zeitpunkt aufgenommen wer<strong>de</strong>n können. Umsicht bewies die Regierung aber auch, als sie nach 1989 im<br />

Zuge <strong>de</strong>r neu gewonnenen Unabhängigkeit daran ging, sich um die Rechte <strong>de</strong>r ca. dreieinhalb Millionen<br />

Ungarn zu kümmern, die in <strong>de</strong>n Nachbarlän<strong>de</strong>rn (v.a. Slowakei, Rumänien, Serbien und Kroatien) leben. Mit<br />

seiner bedächtigen Außenpolitik sowie mit Unterstützung durch die <strong>EU</strong> erreichte die Regierung in Budapest<br />

nicht nur, dass <strong>de</strong>r rechtliche Status <strong>de</strong>r ungarnstämmigen Bürger in diesen Län<strong>de</strong>rn verbessert wur<strong>de</strong>,<br />

son<strong>de</strong>rn auch, dass die Nachbarvölker neues Vertrauen in ihre ungarischen Min<strong>de</strong>rheiten fassten. Das<br />

Vertrauen <strong>de</strong>r Nachbarvölker hat auch <strong>de</strong>swegen zugenommen, weil in Ungarn nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> ein<br />

vorbildliches Min<strong>de</strong>rheitenrecht für die anerkannten 13 Minoritäten geschaffen wur<strong>de</strong> (z.B. kulturelle<br />

Autonomierechte sowie Recht auf muttersprachlichen Unterricht). In <strong>de</strong>r Außenpolitik ist aber Vertrauen das<br />

wichtigste Kapital. Es ist durchaus eine Konstellation vorstellbar, in <strong>de</strong>r Ungarn als Mittler zwischen "alten"<br />

und "neuen" wie zwischen großen und kleinen o<strong>de</strong>r zwischen stärker transatlantisch ausgerichteten und<br />

USA-kritischen <strong>EU</strong>-Län<strong>de</strong>rn auftreten könnte, <strong>de</strong>nn Ungarn nimmt in vielen Streitfragen eine Position <strong>de</strong>r<br />

Mitte ein:<br />

• Es ist für ein starkes Europa und akzeptiert, dass die <strong>EU</strong> einen Motor hat (Deutschland und Frankreich<br />

sowie Belgien und Luxemburg) aber dagegen, dass einige große Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> eine dominieren<strong>de</strong><br />

Rolle übernehmen wollen.<br />

• Wie <strong>de</strong>r frühere ungarische Ministerpräsi<strong>de</strong>nt Medgessey bereits 2003 for<strong>de</strong>rte, "müssen gewisse<br />

Kompetenzen auf die <strong>EU</strong> übertragen wer<strong>de</strong>n, wenn wir ein starkes Europa wollen." Damit spielte er in<br />

erster Linie auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Außenpolitik an, wo sich Ungarn für die Schaffung <strong>de</strong>s Amtes eines<br />

Europäischen Außenministers und für die Einführung von Mehrheitsabstimmungen bei<br />

außenpolitischen Beschlüssen im <strong>EU</strong>-Ministerrat einsetzt.<br />

• Es ist für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und für <strong>de</strong>n Aufbau gemeinsamer<br />

europäischer Streitkräfte, aber dagegen, dass damit ein Gegengewicht zu <strong>de</strong>n USA aufgebaut wird;<br />

folgerichtig ist die ungarische Regierung für <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r Europäischen Schnellen Eingreiftruppe,<br />

for<strong>de</strong>rt aber, dass <strong>de</strong>ren Einsätze gut mit <strong>de</strong>r NATO koordiniert wer<strong>de</strong>n müssen, <strong>de</strong>ren Mitglied Ungarn<br />

seit 1999 ist.<br />

• Es ist für die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong>, wenn diese die strengen Beitrittskriterien erfüllen.<br />

Man <strong>de</strong>nkt dabei an die Nachbarn Kroatien, Serbien und die Ukraine, aber auch an die Türkei, die nach<br />

Überzeugung <strong>de</strong>r Regierung in Budapest ebenfalls eine faire Chance erhalten muss.<br />

Die Ungarn haben aus <strong>de</strong>r Geschichte gelernt und sind bereit, ihre Erfahrungen und Kenntnisse im<br />

Brückenbauen zwischen Ost und West, Orient und Okzi<strong>de</strong>nt einzubringen. Auch heute noch tun sich in<br />

Europa Gräben auf, nicht mehr so tiefe wie bis vor 20 Jahren in Form <strong>de</strong>s Eisernen Vorhangs, <strong>de</strong>nnoch<br />

fühlbare Risse, <strong>de</strong>ren Überwindung zähen Willen, unermüdlichen Eifer und diplomatisches Geschick benötigt<br />

- von allem haben die Ungarn viel mitzubringen.<br />

- 65 -


Rumänien ist seit <strong>de</strong>m 1. Januar 2007 Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union. Das Land war bis 1989 Mitglied im<br />

sogenannten Warschauer Pakt, <strong>de</strong>m Bündnis <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten unter Führung <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Sowjetunion. Rumänien steuerte im Gegensatz zu <strong>de</strong>n übrigen Ostblock-Staaten, einen offeneren Kurs<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Westen. Z.B. nahm das Land 1974 offiziell Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft<br />

auf. Im Inneren aber errichtete <strong>de</strong>r kommunistische Parteichef Ceausescu seit seiner Machtübernahme 1965<br />

eine Diktatur, die auch unter <strong>de</strong>n übrigen sozialistischen Staaten ihres Gleichen suchte: Die Geheimpolizei<br />

unterdrückte je<strong>de</strong>s Aufbegehren in <strong>de</strong>r Bevölkerung, während Ceausescu sich und seine Familie durch<br />

Vetternwirtschaft bereicherte und mit einem ans Groteske grenzen<strong>de</strong>n Personenkult umgab. Ceausescu<br />

wur<strong>de</strong> im Dezember 1989 durch einen Volksaufstand gestürzt, später zusammen mit seiner Frau von <strong>de</strong>n<br />

Revolutionären in einem 'Volksgerichtsprozess' zum To<strong>de</strong> verurteilt und anschließend hingerichtet.<br />

Die Reformpolitik <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Regierungen seit <strong>de</strong>n ersten freien Wahlen 1990 war unklar und<br />

halbherzig, so dass das Land weit hinter diejenigen Staaten in Mittel- und Osteuropa, die sich ernsthaft um<br />

Verän<strong>de</strong>rungen in Staat und Wirtschaft bemüht haben, zurückfiel.<br />

Obwohl das Land bereits seit 1998 offizieller Kandidat für die Aufnahme in die <strong>EU</strong> war, steuerte es erst mit<br />

<strong>de</strong>r Wahl von Traian Basescu, <strong>de</strong>m damaligen Oberbürgermeister von Bukarest, zum neuen Präsi<strong>de</strong>nten<br />

(Dezember 2004) einen konsequenten Reformkurs in <strong>de</strong>n Politikbereichen, in <strong>de</strong>nen es die größten<br />

Hin<strong>de</strong>rnisse auf <strong>de</strong>m Weg zur Mitgliedschaft gab, <strong>de</strong>r Wirtschafts- und Justizpolitik. Vor allem die seit<strong>de</strong>m<br />

erzielten Fortschritte bei <strong>de</strong>r Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft und die Verbesserungen im Justizapparat<br />

bewogen die <strong>EU</strong>-Kommission dazu, Rumänien zum 1. Januar 2007 beitreten zu lassen.<br />

Die Wirtschaft Rumäniens zeigte in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren ein dynamisches Wachstum. Eine beson<strong>de</strong>rs<br />

rege Tätigkeit entfaltete sich in <strong>de</strong>r verarbeiten<strong>de</strong>n Industrie (vor allem Textil- und Möbelunternehmen sowie<br />

Elektrogerätehersteller) und im Bausektor. Aufgrund <strong>de</strong>s hohen Wachstums – es betrug in <strong>de</strong>n Jahren seit<br />

2000 Ø 6 % jährlich - konnten viele Stellen neu geschaffen und die Arbeitslosigkeit auf einem gleichbleibend<br />

niedrigem Niveau gehalten wer<strong>de</strong>n. Erfreulich für <strong>de</strong>n Standort Rumänien ist dabei vor allem die Tatsache,<br />

dass viele Unternehmen nicht nur ihre Produktion ausweiten son<strong>de</strong>rn auch - nach entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Investitionen in die Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r Fertigungsanlagen - die Qualität ihrer Produkte <strong>de</strong>utlich steigern<br />

konnten. Die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit rumänischer Unternehmen fand <strong>de</strong>nn auch in <strong>de</strong>n<br />

gestiegenen Exportzahlen ihren Nie<strong>de</strong>rschlag. Generell fällt an <strong>de</strong>r Exportpalette <strong>de</strong>r rumänischen Wirtschaft<br />

auf, dass zunehmend mehr Produkte ausgeführt wer<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>ren Herstellung ein hoher Einsatz von Kapital<br />

und Wissen nötig ist, z.B. bei Maschinen und Elektrogeräten. Auch <strong>de</strong>r Textilbereich nahm an Be<strong>de</strong>utung zu<br />

und beschäftigt inzwischen über 20% <strong>de</strong>r Arbeitskräfte. Rumänien ist längst zum "Schnei<strong>de</strong>r Europas"<br />

gewor<strong>de</strong>n. Stark an Be<strong>de</strong>utung gewonnen hat das Land auch als Standort für Kfz-Zulieferer. Mehr als<br />

40.000 Rumänen sind inzwischen bei <strong>de</strong>utschen Autozulieferern beschäftigt. Investitionen aus <strong>de</strong>m Ausland<br />

sorgen mit dafür, dass die Rumänen langfristig im eigenen Land bleiben und das z.T. illegale Heer <strong>de</strong>r<br />

Gastarbeiter in an<strong>de</strong>ren Staaten Europas nicht noch mehr anwächst (schätzungsweise leben ca. zwei<br />

Millionen Rumänen zeitweise, z.B. als Erntehelfer, o<strong>de</strong>r dauerhaft im europäischen Ausland). Timisoara<br />

(Herrmannstadt) ist dafür ein Beispiel: In <strong>de</strong>r zweitgrößten Stadt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, haben sich viele ausländische<br />

Unternehmen mit Filialen und Fabriken nie<strong>de</strong>rgelassen, die für Vollbeschäftigung sorgen. Aus Deutschland<br />

kamen z.B. die Firmen Continental, die hier die mo<strong>de</strong>rnste Reifenfabrik Europas baute, und Nokia. Trotz <strong>de</strong>s<br />

Booms <strong>de</strong>r rumänischen Wirtschaft bis 2008 erreichte das Pro-Kopf-Einkommen gera<strong>de</strong> einmal 43 % <strong>de</strong>s<br />

<strong>EU</strong>-Durchschnitts. Die Folgen <strong>de</strong>r globalen Wirtschaftskrise (z.B. Rückgang <strong>de</strong>s Wirtschaftswachstums) sind<br />

auch in Rumänien immer noch spürbar.<br />

Rumänien hat mehrfach seine Bereitschaft unter Beweis gestellt, Verantwortung bei <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nssicherung<br />

in <strong>de</strong>n Krisenher<strong>de</strong>n innerhalb und außerhalb Europas zu übernehmen: Z.B. sind rumänische Truppen in<br />

Bosnien und Herzegowina an <strong>de</strong>r SFOR (Stability Force) und an <strong>de</strong>r Kosovo-Frie<strong>de</strong>nsmission KFOR<br />

beteiligt. Schon vor seinem Beitritt zur <strong>EU</strong> beteiligte sich das Land bereits an <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Teil <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik (GASP) und nahm an <strong>de</strong>n diesbezüglichen Beratungen mit <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> aktiv teil. Rumänien<br />

hat auch seine Bereitschaft bekräftigt, seinen Beitrag zu <strong>de</strong>n Einsätzen <strong>de</strong>r geplanten Europäischen<br />

Schnellen Eingreiftruppe zu leisten.<br />

Mit <strong>de</strong>r Mitgliedschaft Rumäniens ist die <strong>EU</strong> im Balkanraum präsenter und kann beson<strong>de</strong>rs auf Serbien, mit<br />

<strong>de</strong>m Rumänien eine 350 km lange Grenze teilt, unmittelbarer Einfluss nehmen. Die <strong>EU</strong>-Kommission hob<br />

bereits in ihrem Bericht von Oktober 2004 die "wichtige Führungsrolle" Rumäniens hervor, die das Land bei<br />

<strong>de</strong>n Bemühungen um Stärkung von Stabilität und Sicherheit im Balkanraum übernommen hat. Nun, nach<br />

<strong>de</strong>m Beitritt Rumäniens sowie Bulgariens, besteht die Möglichkeit die Stabilität an <strong>de</strong>r Süd-Ost-Flanke<br />

Europas langfristig zu sichern.<br />

- 66 -


Bulgarien ist seit <strong>de</strong>m 1. Januar 2007 Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union. Mit <strong>de</strong>m Sturz <strong>de</strong>s langjährigen<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Staatsrats, Todor Schiwkow, begann 1989 <strong>de</strong>r Demokratisierungsprozess <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

Seit Anfang <strong>de</strong>r 1990er Jahre hatte <strong>de</strong>r Beitritt zur <strong>EU</strong> oberste Priorität für die politische Führung Bulgariens.<br />

Am 14. Dezember 1995 stellte Bulgarien auf Beschluss von Regierung und Parlament einen Beitrittsantrag.<br />

Die Europäische Kommission hatte <strong>de</strong>m Land 1997 in ihrer „Stellungnahme zum Antrag Bulgariens zur<br />

Europäischen Union“ zwar bescheinigt, über <strong>de</strong>mokratische Institutionen zu verfügen, verwies jedoch auf<br />

ernsthafte Mängel <strong>de</strong>r bulgarischen Marktwirtschaft, die es <strong>de</strong>m Land unmöglich mache, sowohl <strong>de</strong>m<br />

Wettbewerbsdruck innerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft standzuhalten als auch <strong>de</strong>n Gemeinschaftlichen Besitzstand<br />

(<strong>EU</strong>-Gesetze und - Normen) zu übernehmen. Allerdings erkannte die Europäische Union auch, dass sowohl<br />

Bulgarien wie auch Rumänien in beson<strong>de</strong>rem Maße unter <strong>de</strong>n Kriegen auf <strong>de</strong>m Balkan und <strong>de</strong>n westlichen<br />

Boykotten gegenüber Ex-Jugoslawien, wichtiger Han<strong>de</strong>lspartner bei<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, gelitten hatten. Durch <strong>de</strong>n<br />

harten Reformkurs <strong>de</strong>s damaligen bulgarischen Präsi<strong>de</strong>nten Petar Stojanow gelang es schließlich die<br />

politische und ökonomische Lage soweit zu konsolidieren, dass die <strong>EU</strong>-Kommission sich erstmals 1999 für<br />

die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aussprach. Die Beitrittsverhandlungen begannen dann im Februar<br />

2000. Die Aufnahme Bulgariens in die <strong>EU</strong>, welche in politischer Hinsicht nicht umstritten war, soll nach <strong>de</strong>n<br />

Vorstellungen <strong>de</strong>r Europäischen Union eine positive Signalwirkung auf <strong>de</strong>n gesamten Balkan ausüben.<br />

Bulgarien gehört zum europäischen Kontinent, hat eine lange europäische Geschichte und ist politisch,<br />

wirtschaftlich und kulturell fest mit Europa verbun<strong>de</strong>n. Allerdings gehörte das Land, wie auch Rumänien,<br />

wegen <strong>de</strong>s schleppen<strong>de</strong>n Abschlusses einzelner Verhandlungskapitel nicht zu jenen Län<strong>de</strong>rn, welche 2004<br />

in die <strong>EU</strong> aufgenommen wur<strong>de</strong>n. Als neuer Beitrittstermin wur<strong>de</strong> sowohl von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> als auch <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Beitrittskandidaten das Jahr 2007 angestrebt. Die Europäische Kommission kritisierte vor allem die<br />

anhalten<strong>de</strong>n Mängel im Justizsystem und beson<strong>de</strong>rs die grassieren<strong>de</strong> Korruption. Die Kommission empfahl<br />

<strong>de</strong>nnoch, das Land zum 1. Januar 2007 aufzunehmen, achtet aber seither darauf, dass <strong>EU</strong>-Mittel nicht durch<br />

Korruption und Betrug versickern.<br />

Das größte Defizit <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s liegt im ökonomischen Bereich. Ähnlich wie die an<strong>de</strong>ren Staaten Mittel- und<br />

Osteuropas nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>r kommunistischen Regime litt auch Bulgarien unter einem<br />

sinken<strong>de</strong>n Bruttosozialprodukt, verbun<strong>de</strong>n mit zurückgehen<strong>de</strong>r Industrieproduktion und schrumpfen<strong>de</strong>r<br />

Volkswirtschaft. Allerdings traten in Bulgarien diese wirtschaftlichen Probleme stärker zu Tage als in <strong>de</strong>n<br />

vergleichbaren an<strong>de</strong>ren Beitrittsstaaten <strong>de</strong>r Region. Das lag vor allem am mangeln<strong>de</strong>n politischen Willen<br />

durchgreifen<strong>de</strong> Umstrukturierungen einzuleiten. Erst unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wur<strong>de</strong>n Reformen in Angriff<br />

genommen, die einen Aufschwung mit Wachstumsraten <strong>de</strong>s Bruttoinlandsprodukts um rund sechs Prozent<br />

brachten. Die größten ökonomischen Probleme im vergangenen Jahrzehnt waren die hohe Inflationsrate und<br />

<strong>de</strong>r neben Rumänien niedrigste Kaufkraftstandard <strong>de</strong>r Bevölkerung von allen Staaten Mittel- und Osteuropas<br />

(BIP pro Kopf im Vergleich zum <strong>EU</strong>-Durchschnitt = 38 %). Die zehn Regionen mit <strong>de</strong>m niedrigsten<br />

Bruttoinlandsprodukt liegen alle in Bulgarien und Rumänien. Ein Grund für <strong>de</strong>n niedrigen Kaufkraftstandard<br />

sind die extrem niedrigen Löhne. Darüber hinaus hat Bulgarien neben Rumänien die geringste<br />

Arbeitsproduktivität aller mittel- und osteuropäischen Län<strong>de</strong>r. Ein weiteres Dauerproblem stellt die<br />

Landwirtschaft dar. Sie ist ineffizient und erwirtschaftet auch wegen <strong>de</strong>r Überbeschäftigung zu wenig Ertrag.<br />

Der Fortschritt scheint über <strong>de</strong>n Agrarsektor hinweg zugehen. Insgesamt lei<strong>de</strong>t das bulgarische<br />

Wirtschaftsleben unter einer Gemengelage aus verschleppten Reformen, Bürokratismus, Zentralismus und<br />

Korruption, die die Mo<strong>de</strong>rnisierung nachhaltig hemmen. Die von Bulgarien zugesagten Anstrengungen<br />

wer<strong>de</strong>n überwacht. Die <strong>EU</strong> will sicherstellen, dass bei <strong>de</strong>r Verteilung <strong>de</strong>r Milliar<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m <strong>EU</strong>-Haushalt<br />

organisatorisch und personell gewährleistet ist, dass die Mittel nicht in falschen Hän<strong>de</strong> geraten.<br />

- 67 -


In <strong>de</strong>r Verhandlungsrun<strong>de</strong> über die Gestaltung <strong>de</strong>r künftigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

sowie über die Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> stellen Sie folgen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf:<br />

For<strong>de</strong>rungen von Tschechien, <strong>de</strong>r Slowakei, Ungarn, Rumänien und<br />

Bulgarien<br />

a) zur zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

Für Ihre Regierungen hat eine engere Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> vor allem bei <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik große Be<strong>de</strong>utung: Ihre Län<strong>de</strong>r wünschen, dass es in Zukunft einen<br />

europäischen Außenminister gibt, <strong>de</strong>r die <strong>EU</strong>-Staaten nach außen vertritt. Außer<strong>de</strong>m soll es starke<br />

<strong>EU</strong>-Streitkräfte bei Kriseneinsätzen in Europa sowie bei Frie<strong>de</strong>nseinsätzen in <strong>de</strong>r ganzen Welt unter<br />

<strong>de</strong>r Flagge <strong>de</strong>r UNO geben.<br />

1. Sie for<strong>de</strong>rn die Schaffung eines Amtes <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Außenministers mit folgen<strong>de</strong>n Aufgaben:<br />

• Entwickeln einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik gegenüber Staaten in und<br />

außerhalb Europas und zu wichtigen weltpolitischen Fragen und Problemen (z.B.<br />

internationaler Terrorismus) und Abstimmung mit <strong>de</strong>n Regierungen <strong>de</strong>r einzelnen <strong>EU</strong>-<br />

Staaten<br />

• Vertretung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> nach außen, z.B. bei internationalen Konferenzen und Verhandlungen<br />

• Leitung <strong>de</strong>r Sitzungen <strong>de</strong>s Rats <strong>de</strong>r nationalen Außenminister<br />

Das Einstimmigkeitsprinzip wird in <strong>de</strong>r Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik abgeschafft.<br />

Bei Entscheidungen im Ministerrat muss künftig nur noch eine Mehrheit von 75% <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Staaten einen Vorschlag unterstützen.<br />

Tschechien for<strong>de</strong>rt allerdings bei wichtigen nationalen Fragen das Veto-Recht gegen<br />

Entscheidungen <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrats!<br />

2. Damit das Gewicht europäischer Außenpolitik gestärkt wird, baut die <strong>EU</strong> eine Schnelle<br />

Eingreiftruppe auf, die folgen<strong>de</strong> Bedingungen erfüllt:<br />

• Sie ist innerhalb kurzer Zeit mobilisierbar und an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einsetzbar.<br />

• Die Eingreiftruppe steht nur für diejenigen Krisen- bzw. Frie<strong>de</strong>nseinsätze zur Verfügung, für<br />

die es ein UNO-Mandat (Auftrag) gibt und für die die NATO eine Beteiligung abgelehnt hat<br />

(somit ist eine Konkurrenz zur NATO ausgeschlossen).<br />

• An dieser Eingreiftruppe sollen sich auch neutrale Staaten in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> beteiligen können<br />

(z.B. Österreich und Schwe<strong>de</strong>n).<br />

• Geplant und geführt wer<strong>de</strong>n ihre Einsätze von einem Oberkommando, das aus beson<strong>de</strong>rs<br />

geeigneten Offizieren aller beteiligter <strong>EU</strong>-Staaten zusammen mit NATO-Offizieren besteht.<br />

b) zur Aufnahme weiterer Staaten in die <strong>EU</strong><br />

1. Alle beitrittswilligen Staaten müssen die Bedingungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> für einen Beitritt (s. Anlage A.1<br />

und<br />

A.2) erfüllen; außer<strong>de</strong>m müssen sie politisch, wirtschaftlich und im Justizbereich stabil genug<br />

sein.<br />

2. Die Grenzkontrollen zu <strong>de</strong>n neuen Beitrittslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n noch sieben Jahre beibehalten, um<br />

illegale Einwan<strong>de</strong>rungen aus diesen Staaten zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

3. Mit ihrem Nachbarn Ukraine unterhalten die Slowakei, Ungarn und Rumänien intensive<br />

politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen (Han<strong>de</strong>l!). Sie setzen sich stark für die<br />

engere Anbindung dieses osteuropäischen Lan<strong>de</strong>s an die <strong>EU</strong> an, um die Demokratisierung in<br />

diesem für ein vereinigtes Europa wichtigem Land voranzutreiben und die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Ukraine gegenüber Russland zu stärken.<br />

- 68 -


Basisdaten <br />

Tschechische<br />

Republik Slowakei Ungarn Rumänien Bulgarien<br />

Fläche: 78.866 km² 49.030 km² 93.030 km² 237.500 km² 110.099 km²<br />

Einwohnerzahl (2010): 10,5 Mill. 5,4 Mill. 10,0 Mill. 21,5 Mill. 7,6 Mill.<br />

Bevölkerung: 90,1 % Tschechen<br />

3,7 % Mährer<br />

1,8 % Slowaken<br />

4,4 % an<strong>de</strong>re<br />

(darunter~ 3 % Roma)<br />

Staatsform: Parlamentarische<br />

Republik<br />

75 % Slowaken<br />

10 % Ungarn<br />

9 % Roma<br />

1 % Tschechen<br />

5 % Sonstige<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

90 % Ungarn<br />

4 % Roma<br />

3 % Deutsche<br />

2 % Serben<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

89,5 % Rumänen<br />

6,6 % Magyaren<br />

2,5 % Roma<br />

1,4 % Sonstige<br />

Parlamentarische<br />

Republik<br />

83,9 % Bulgaren<br />

9,4 % Türken<br />

4,7 % Roma<br />

2 % Sonstige<br />

Hauptstadt: Prag Bratislava Budapest Bukarest Sofia<br />

Parlamentarische Republik<br />

Bruttoinlandsprodukt 2010: 137 Milliar<strong>de</strong>n € 66 Milliar<strong>de</strong>n € 90 Milliar<strong>de</strong>n € 110 Milliar<strong>de</strong>n € 34 Milliar<strong>de</strong>n €<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />

pro Kopf 2010<br />

in jeweiliger Kaufkraft: 19.500 € 18.100 € 15.700 € 11.000 € 10.600 €<br />

Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung<br />

2010:<br />

Durchschnitt <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27 = 100<br />

80 % 74 % 64 % 45 % 43 %<br />

Wachstumsrate 2010: 2,40% 4,10% 1,10% - 1,9 - 0,1 %<br />

Inflationsrate En<strong>de</strong> 2010: 1,9 % 1,0 % 4,0 % 7,7 % 4,0 %<br />

Arbeitslosigkeit Mai 2011: 6,5 % 13,3 % 10,0 % 7,0 % 11,2 %<br />

- 69 -


A. 1 - Aufnahme neuer Mitglie<strong>de</strong>r<br />

In Artikel 49 <strong>de</strong>s Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 heißt es dazu:<br />

„Je<strong>de</strong>r europäische Staat, <strong>de</strong>r die in Artikel 6, Absatz 1 genannten Grundsätze achtet<br />

(Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit) kann<br />

beantragen, Mitglied <strong>de</strong>r Union zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Er richtet seinen Antrag an <strong>de</strong>n Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung <strong>de</strong>r Kommission und nach<br />

Zustimmung <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments, das mit <strong>de</strong>r absoluten Mehrheit seiner Mitglie<strong>de</strong>r beschließt. (...)<br />

Die Aufnahmebedingungen ... und die Anpassungen <strong>de</strong>r Verträge, auf <strong>de</strong>nen die Union beruht, wer<strong>de</strong>n durch<br />

ein Abkommen zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten und <strong>de</strong>m antragstellen<strong>de</strong>n Staat geregelt.<br />

Das Abkommen bedarf <strong>de</strong>r Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen<br />

Vorschriften.“<br />

A. 2 - Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Län<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong><br />

Der Europäische Rat (die Staats- und Regierungschefs <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Mitgliedsstaaten) hat im Juni 1993 in<br />

Kopenhagen erklärt, dass die Län<strong>de</strong>r Mittel- und Osteuropas, die dies wünschen, Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wer<strong>de</strong>n<br />

können, wenn sie <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Bedingungen entsprechen (sogenannte Kopenhagener Kriterien):<br />

Der beitrittswillige Staat muss<br />

• <strong>de</strong>mokratisch verfasst sein, eine Gewaltenteilung besitzen, rechtsstaatliche Grundsätze einhalten und die<br />

Menschen- und Min<strong>de</strong>rheitenrechte gewährleisten;<br />

• eine funktionsfähige Marktwirtschaft besitzen, die <strong>de</strong>m Wettbewerbsdruck in <strong>de</strong>r Europäischen Union<br />

standhalten kann;<br />

• das Regel- und Rahmenwerk <strong>de</strong>r Europäischen Union übernehmen, also die <strong>EU</strong>-Verträge und <strong>EU</strong>-<br />

Verordnungen in seine innerstaatliche Rechtsordnung umsetzen;<br />

• die Ziele <strong>de</strong>r politischen Union und <strong>de</strong>r Wirtschafts- und Währungsunion sich zu eigen machen.<br />

Im Dezember 1998 hat <strong>de</strong>r Europäische Rat auf seiner Tagung in Köln außer<strong>de</strong>m an die Aufnahme von<br />

Beitrittskandidaten die Bedingung geknüpft,<br />

• dass bereits in Betrieb befindliche wie auch geplante Atomkraftwerke die hohen Sicherheitsstandards <strong>de</strong>r<br />

<strong>EU</strong> im Nuklearbereich erreichen.<br />

Als Reaktion auf die Entwicklung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und auf die Reform<strong>de</strong>batte hat die <strong>EU</strong> für sich ein weiteres<br />

Beitrittskriterium aufgestellt:<br />

• Die Gemeinschaft muss zur Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r fähig sein. Diese Beitrittsvoraussetzung, die sich<br />

insbeson<strong>de</strong>re auf Reformen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Institutionen bezieht (Stichwort: Einführung <strong>de</strong>s Mehrheitsprinzips bei<br />

Abstimmungen <strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Ministerrates bzw. <strong>de</strong>s Europäischen Rates <strong>de</strong>r Staats- und Regierungschefs), liegt<br />

also außerhalb <strong>de</strong>s Einflussbereiches beitrittswilliger Län<strong>de</strong>r.<br />

A. 3 - Stufen <strong>de</strong>r Integration in die <strong>EU</strong><br />

Der Europäische Rat <strong>de</strong>r 27 Staats- und Regierungschefs trifft die Grundsatzentscheidungen in <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union, z.B. über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit interessierten Län<strong>de</strong>rn und die<br />

Aufnahme <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r. Unterhalb <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Vollmitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gibt es folgen<strong>de</strong><br />

Möglichkeiten <strong>de</strong>r Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> und einzelnen Staaten:<br />

• Han<strong>de</strong>lspartnerschaft unter Wegfall <strong>de</strong>r Zölle, z.B. mit Marokko.<br />

• Weiterreichen<strong>de</strong>s Partnerschaftsabkommen ("Assoziierungsabkommen") mit bevorzugten<br />

Wirtschaftsbeziehungen, För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Rechtstaats in <strong>de</strong>n Partnerlän<strong>de</strong>rn und Vorbereitung<br />

auf eine eventuelle Mitgliedschaft, z.B. mit Serbien.<br />

• Zusammenarbeit auf bestimmten Fel<strong>de</strong>rn europäischer Politik, z.B. <strong>de</strong>r Einreise-, Einwan<strong>de</strong>rungs- und<br />

Asylpolitik; Unterzeichner <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Verträge ("Schengen-Abkommen") sind neben <strong>de</strong>n meisten<br />

<strong>EU</strong>-Staaten auch die Schweiz, Norwegen und Island.<br />

- 70 -


B. 1 - Grün<strong>de</strong> für eine Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>:<br />

Seit <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften (EWG) 1957 durch die Römischen Verträge mit<br />

damals sechs Staaten gab es von 1973 bis 2007 mehrere Erweiterungsrun<strong>de</strong>n. Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r europäischen<br />

Integration und ihre Umsetzung in <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r EWG hat zu einer Überwindung <strong>de</strong>s Hegemonialstrebens<br />

(Hegemonie = Vorherrschaft) einzelner Staaten geführt und eine völlig neue Ordnung in Europa entstehen<br />

lassen.<br />

Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r EWG bzw. <strong>EU</strong> war und ist, die vitalen wirtschaftlichen und politischen Interessen ihrer Mitglie<strong>de</strong>r so<br />

eng zu verflechten, dass alle gleichermaßen profitieren. Diese I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r "europäischen Integration" hat sich<br />

bisher in allen bisherigen Erweiterungsrun<strong>de</strong>n als erfolgreich erwiesen.<br />

• Nach <strong>de</strong>n zwei Phasen <strong>de</strong>r Osterweiterung von 2004 und 2007 und mit <strong>de</strong>r Aufnahme weiterer Län<strong>de</strong>r aus<br />

Ost- bzw. Südosteuropa wür<strong>de</strong> zum ersten Mal in <strong>de</strong>r Geschichte die tatsächliche Vereinigung aller<br />

europäischen Staaten ihrer Verwirklichung näher kommen.<br />

• Um uns herum wird <strong>de</strong>r "vertraute Raum" ausge<strong>de</strong>hnt, in <strong>de</strong>m wir uns wie in <strong>de</strong>n jetzigen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />

frei bewegen, nie<strong>de</strong>rlassen, han<strong>de</strong>ln und wirtschaften können.<br />

• Schließlich können Frie<strong>de</strong>n und Stabilität in Osteuropa und Südosteuropa langfristig gesichert wer<strong>de</strong>n und<br />

die jungen Demokratien in <strong>de</strong>n Reformstaaten sich ungefähr<strong>de</strong>t weiterentwickeln. Als Beispiel möge die<br />

Ukraine dienen, die mit einem Beitritt zur <strong>EU</strong> weitaus bessere Chancen hätte, ihre Demokratie nachhaltig zu<br />

festigen. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite eröffnet sich über die Aufnahme <strong>de</strong>s westlichen Balkanstaats Kroatien und<br />

an<strong>de</strong>rer ehemaliger jugoslawischer Republiken für die <strong>EU</strong> die Chance, mit ihrem dann gestärkten Einfluss die<br />

Balkanregion insgesamt zu stabilisieren<br />

B. 2 – Die Europäische Schnelle Eingreiftruppe<br />

Bislang verfügt die <strong>EU</strong> über keine eigene Militärorganisation. Eine Reihe von kriegerischen<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen nach <strong>de</strong>m Zerfall <strong>de</strong>r früheren Bun<strong>de</strong>srepublik Jugoslawien hatte aber gezeigt, dass<br />

sowohl die <strong>EU</strong> als Gemeinschaft als auch die größeren europäischen Län<strong>de</strong>r für sich nicht in <strong>de</strong>r Lage waren,<br />

ihren "Hinterhof zu bestellen", wie es <strong>de</strong>r damalige US-Präsi<strong>de</strong>nt George Bush senior zu Beginn <strong>de</strong>s<br />

Balkankonflikts von <strong>de</strong>n Europäern gefor<strong>de</strong>rt hatte. Dies lag erstens daran, dass die europäischen<br />

Regierungen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, ob und wie sie auf <strong>de</strong>m Balkan eingreifen<br />

sollten, zweitens an <strong>de</strong>n fehlen<strong>de</strong>n militärischen Möglichkeiten, <strong>de</strong>nn mobile Eingreifverbän<strong>de</strong> stan<strong>de</strong>n<br />

überhaupt nicht zur Verfügung.<br />

Seit <strong>de</strong>m Schock <strong>de</strong>r Balkankriege und angesichts <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n Bedrohung durch regionale Krisen v.a. in<br />

Afrika ist nunmehr in allen <strong>EU</strong>-Staaten die Überzeugung gewachsen, dass die <strong>EU</strong> als Ganzes willens und in <strong>de</strong>r<br />

Lage sein muss, frühzeitig und notfalls mit militärischen Mitteln in Krisen eingreifen zu können - in Europa und<br />

weltweit. Die <strong>EU</strong> beschloss, auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Außen- und Sicherheitspolitik tätig zu wer<strong>de</strong>n und schuf<br />

das Amt <strong>de</strong>s außen- und sicherheitspolitischen Beauftragten, <strong>de</strong>r diese Politik entwickeln und koordinieren<br />

sollte. Er stellte im Juni 2003 <strong>de</strong>n Entwurf einer "gemeinsamen Sicherheitsstrategie für Europa" vor, mit <strong>de</strong>r die<br />

Grundlage für die Aufstellung eigener, mobiler Kampfeinheiten geschaffen wur<strong>de</strong>.<br />

Diese "Europäische Schnelle Eingreiftruppe" soll vor allem für Einsätze <strong>de</strong>r Vereinten Nationen in<br />

Krisengebieten zur Verfügung stehen - Voraussetzung ist also ein Mandat (Auftrag) <strong>de</strong>s UN-Sicherheitsrats -<br />

und innerhalb von fünf bis zehn Tagen in eine Konfliktregion verlegt wer<strong>de</strong>n können. Ihre Hauptaufgabe<br />

bestün<strong>de</strong> darin, als erste in das Krisengebiet zu gehen und <strong>de</strong>n Weg für eine Frie<strong>de</strong>nsmission freizukämpfen.<br />

Sobald Frie<strong>de</strong>ns- bzw. Waffenstillstandsvereinbarungen getroffen sind, folgen <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Gefechtsverbän<strong>de</strong>n<br />

weitere Unterstützungstruppen sowie gemischte Gruppen aus Polizisten und zivilen Konflikthelfern nach. Die<br />

Eingreiftruppe soll von 2007 an binnen zehn Tagen in einem Radius von 6000 Kilometern eingesetzt und bis zu<br />

vier Monate in <strong>de</strong>n Einsatzgebieten stationiert wer<strong>de</strong>n können. Der Lufttransport <strong>de</strong>r Kampfeinheiten erfolgt mit<br />

Militärtransportern <strong>de</strong>s Typs Airbus A400M, <strong>de</strong>r ab 2010 zur Verfügung steht. (Bis dahin muss die <strong>EU</strong><br />

Großraumflugzeuge anmieten.) Die Landstreitkräfte sollen durch gemeinsame Luftkampfverbän<strong>de</strong> sowie<br />

Marineeinheiten unterstützt wer<strong>de</strong>n; die Eingreiftruppe soll insgesamt 60.000 Mann, 350 Flugzeuge und 80<br />

Schiffe umfassen. Neben militärischen Einsätzen soll sie auch für solche zur humanitären Hilfe bei<br />

Naturkatastrophen und zur Rettung von Europäern bei politischen Krisen in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Ungeklärt ist allerdings die Frage nach <strong>de</strong>m Verhältnis zur NATO und <strong>de</strong>n USA. Während die meisten<br />

europäischen Län<strong>de</strong>r, darunter Deutschland und Frankreich, dafür sind, die <strong>EU</strong>-Truppe unter ein<br />

Oberkommando ausschließlich aus Offizieren <strong>de</strong>r beteiligten Staaten zu stellen und auf die Zusammenarbeit mit<br />

<strong>de</strong>r NATO zu verzichten, sind an<strong>de</strong>re Staaten, darunter Großbritannien und Polen, gegen eine Abkoppelung von<br />

<strong>de</strong>r NATO; sie sprechen sich für eine Beteiligung von NATO-Offizieren im militärischen Führungsstab <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-<br />

Truppe aus.<br />

- 71 -


C - Basisdaten zu <strong>de</strong>n <strong>EU</strong>-Staaten und zu <strong>de</strong>n Beitrittskandidaten<br />

(Daten von 2010)<br />

Land Fläche in qkm<br />

Bevölkerung in Mio.<br />

zum 01.01.2010<br />

BIP pro Kopf in Euro<br />

gemessen nach<br />

jeweiligem<br />

Preisniveau *<br />

BIP pro Kopf in %<br />

<strong>de</strong>s <strong>EU</strong>-Durchschnitts *<br />

Belgien 30.528 10,8 28.900 118<br />

Bulgarien 111.099 7,6 10.600 43<br />

Dänemark 43.094 5,5 30.400 125<br />

Deutschland 357.022 81,8 29.000 118<br />

Estland 42.227 1,3 15.900 65<br />

Finnland 338.145 5,4 28.300 116<br />

Frankreich 547.026 64,7 26.100 107<br />

Griechenland 132.000 11,3 21.700 89<br />

Großbritannien 243.000 62,0 27.800 114<br />

Irland 70.282 4,5 30.700 125<br />

Italien 301.277 60,3 24.300 100<br />

Lettland 64.600 2,2 12.600 52<br />

Litauen 65.000 3,3 14.200 58<br />

Luxemburg 2.586 0,5 69.100 283<br />

Malta 316 0,4 20.400 83<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> 41.526 16,6 32.800 134<br />

Österreich 83.858 8,4 30.700 125<br />

Polen 312.678 38,2 15.200 62<br />

Portugal 91.985 10,6 19.800 81<br />

Rumänien 237.500 21,5 11.000 45<br />

Schwe<strong>de</strong>n 449.964 9,3 30.100 123<br />

Slowakei 49.030 5,4 18.100 74<br />

Slowenien 20.273 2,0 21.200 87<br />

Spanien 505.990 46,0 24.700 101<br />

Tschechien 78.866 10,5 19.500 80<br />

Ungarn 93.000 10,0 15.700 64<br />

Zypern 9.251 0,8 24.000 98<br />

<strong>EU</strong> - 27 4.325.806 500,9 24.500 100<br />

Kroatien 56.538 4,4 115.00 61<br />

Türkei 814.578 73,5 11.800 48<br />

Ukraine 603.700 45,9 4.500<br />

(Schätzung)<br />

Quelle: Eurostat, 2011; * Berechnung BIP pro Kopf noch auf <strong>de</strong>r Basis <strong>EU</strong> <strong>de</strong>r 27<br />

- 72 -<br />

20<br />

(Schätzung)


D. 1 – Informationen für die Spielergruppen im <strong>EU</strong>-Ministerrat<br />

• Diskutieren Sie, welche Positionen die einzelnen Län<strong>de</strong>r Ihrer Spielgruppe zur Frage eines<br />

<strong>EU</strong>-Außenministers und zur Frage einer Europäischen Schnellen Eingreiftruppe einnehmen.<br />

• Entwickeln Sie für Ihre Spielgruppe eine gemeinsame Position und stellen Sie diese dann mit Hilfe eines<br />

kleinen Plakates dar (siehe unten)! Hierzu können Sie auch auf die Seite mit <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen Ihrer Län<strong>de</strong>r<br />

am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rollentextes zurückgreifen.<br />

• Überlegen Sie, nach welchen Bedingungen Sie Kandidatenlän<strong>de</strong>r in die <strong>EU</strong> aufnehmen wollen. Welche<br />

Voraussetzungen müssen/sollen sie erfüllen? (siehe hierzu auch A. 2)<br />

• Überlegen Sie sich Fragen, die Sie <strong>de</strong>n Botschaftern <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r stellen wollen!<br />

• Notieren Sie sich während <strong>de</strong>r Konferenz, was diese bei <strong>de</strong>r Befragung geantwortet haben!<br />

Plakataufbau:<br />

• Dafür / dagegen?<br />

( Län<strong>de</strong>rnamen)<br />

<strong>EU</strong>-Außenminister Europäische Eingreiftruppe<br />

• Welche Aufgaben, Zuständigkeiten und Rechte?<br />

• Einführung von Mehrheitsabstimmungen im<br />

Ministerrat: Dafür / dagegen?<br />

- Wenn ja: Welche Mehrheit in Prozent<br />

• Dafür / dagegen?<br />

• Größe, Qualifikationen?<br />

• Für welche Einsätze? Unter welchen Voraussetzungen<br />

und Bedingungen?<br />

• Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r NATO: Dafür/dagegen?<br />

- Wenn ja: In welcher Form?<br />

D. 2 – Informationen für die Spielergruppen <strong>de</strong>r Kandidatenlän<strong>de</strong>r<br />

• Sie präsentieren ein Kandidatenland. Überlegen Sie in <strong>de</strong>r Gruppe, welche Vorzüge Ihres Lan<strong>de</strong>s Sie<br />

beson<strong>de</strong>rs hervorheben wollen!<br />

• Gehen Sie arbeitsteilig vor, d.h. je<strong>de</strong>/r versucht sich auf ein Gebiet zu spezialisieren (z.B. Politik und<br />

Geschichte; Menschenrechte und Min<strong>de</strong>rheiten; Wirtschaft; Kultur und Bildung; Natur und Umwelt).<br />

• Überlegen Sie bei <strong>de</strong>r Vorbereitung Ihrer Präsentation, welche Fragen Ihnen von <strong>de</strong>n Ministern gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n könnten!<br />

D. 3 – Welche Informationen besitzen die Spielergruppen <strong>de</strong>r<br />

Beitrittskandidaten in ihren Rollenprofilen?<br />

In <strong>de</strong>n Rollenprofilen <strong>de</strong>r Beitrittskandidaten sind unter an<strong>de</strong>rem folgen<strong>de</strong> Informationen enthalten:<br />

• Informationen zur politischen Entwicklung, z.B. <strong>de</strong>r Grad <strong>de</strong>r Stabilität und Verankerung <strong>de</strong>r Demokratie in<br />

Staat und Gesellschaft sowie die Achtung rechtsstaatlicher Grundsätze (z.B. bei <strong>de</strong>r Polizei); die Achtung <strong>de</strong>r<br />

Menschenrechte und die Lage <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten (Serben in Kroatien, Kur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Türkei; Russen in <strong>de</strong>r<br />

Ukraine) sowie Maßnahmen <strong>de</strong>r Regierungen zur Verbesserung <strong>de</strong>r Chancen <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheiten z.B. auf<br />

gesundheitliche Versorgung, in <strong>de</strong>n Schulen o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt; Anstrengungen <strong>de</strong>r Regierungen im<br />

Bildungsbereich;<br />

• Informationen über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Justiz; das Ausmaß von Bestechlichkeit in <strong>de</strong>r Beamtenschaft und die<br />

Aktivitäten <strong>de</strong>r organisierten Kriminalität; bisherige Erfolge und zukünftige Maßnahmen von Polizei und Justiz<br />

im Kampf gegen Korruption, Mafia und illegale Einwan<strong>de</strong>rung;<br />

• Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung <strong>de</strong>r letzten Jahre z.B. Wirtschaftswachstum, Inflation und<br />

Arbeitslosigkeit; Maßnahmen die Regierungen zur För<strong>de</strong>rung von Wachstum, Beschäftigung und<br />

Geldwertstabilität; <strong>de</strong>r Stand <strong>de</strong>r Privatisierung; die Landwirtschaft und die Lage <strong>de</strong>r Kleinbauern;<br />

• Informationen zum Umweltschutz und über die Sicherheit <strong>de</strong>r Kernkraftwerke;<br />

• Bewertungen <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>-Kommission über „die Fortschritte <strong>de</strong>r Kandidaten auf <strong>de</strong>m Weg zum Beitritt“ von<br />

2004 für die Türkei und 2006 für Kroatien.<br />

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Bei <strong>de</strong>r Ausarbeitung dieses <strong>Planspiel</strong>s haben wir uns u.a. auf folgen<strong>de</strong> Quellen gestützt:<br />

♦ Für die Rollenprofile:<br />

− Die "regelmäßigen Berichte 2003 d. Kommission über die Fortschritte <strong>de</strong>r Kandidaten...", 05.11.2003<br />

− Die "regelmäßigen Berichte 2004 d. Kommission über die Fortschritte <strong>de</strong>r Kandidaten...", 06.10.2004<br />

− Die "regelmäßigen Berichte 2005 d. Kommission über die Fortschritte <strong>de</strong>r Kandidaten...", 25.10.2005<br />

− Die "regelmäßigen Berichte 2006 d. Kommission über die Fortschritte <strong>de</strong>r Kandidaten...", 08.11.2006<br />

Internet: http://europa.eu.int/comm/enlargement/docs/in<strong>de</strong>x.htm<br />

− Auswärtiges Amt <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung: „Län<strong>de</strong>r- und Reiseinformationen“;<br />

Internet: http://www.auswaertiges-amt.<strong>de</strong><br />

− Eberhard Schnei<strong>de</strong>r: Nachbarn im Osten: Ukraine und Belarus, info aktuell, Bonn 2006<br />

− Ernst Lü<strong>de</strong>mann: Ukraine, München 2006, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Beck'sche Reihe<br />

Län<strong>de</strong>r, Bd. 860<br />

− Rudolf Hilf: Deutsche und Tschechen, Opla<strong>de</strong>n 1995<br />

− Brigitte Jäger-Dabek: Polen, Bonn 2003<br />

− Viktor Meier: Jugoslawiens Erben - Die neuen Staaten und die Politik <strong>de</strong>s Westens, München 2001<br />

− Ludwig Steindorff: Kroatien, 2. Aufl. Regensburg 2007<br />

− Klaus Kreiser/Christoph K. Neumann: Kleine Geschichte <strong>de</strong>r Türkei, Bonn 2005<br />

− Greenpeace Themenheft „Türkei“, Nr. 4/2006<br />

− Günter Seufert/Christopher Kubaseck: Die Türkei. Politik, Geschichte, Kultur, Bonn 2006<br />

− Susanne Güsten/Thomas Seibert: Was stimmt? Türkei. Die wichtigsten Antworten, Bonn 2008<br />

− Gerhard Brunn: Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart 2004<br />

− Werner Wei<strong>de</strong>nfeld (Hrsg.): Europa-Handbuch, Bonn 2002<br />

− Werner Wei<strong>de</strong>nfeld (Hrsg.): Die Staatenwelt Europas, Bonn 2004<br />

− Werner Wei<strong>de</strong>nfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2006<br />

− Werner Wei<strong>de</strong>nfeld (Hrsg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn 2008<br />

− dtv Jahrbuch 2005, Hamburg 2004<br />

− Fischer Weltalmanach 2009, Frankfurt a.M. 2008<br />

− Zeitschrift "Internationale Politik", 57. bis 63. Jahrgang, Bielefeld 2002 bis 2008<br />

− Hefte „Informationen zur politischen Bildung“, 2000-2008, Bun<strong>de</strong>szentrale für politische Bildung<br />

♦ Für statistische Daten:<br />

− Nationale Quellen (Statistische Ämter <strong>de</strong>r Regierungen)<br />

− Eurostat (Statistisches Amt <strong>de</strong>r <strong>EU</strong>);<br />

Internet: http://europa.eu.int/en/comm/eurostat/serv<strong>de</strong>/home.htm<br />

− OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)<br />

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