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i n T e r n a T i o n a l<br />

Individueller<br />

Widerstand statt<br />

vereinte Aktion der<br />

Massen: Szene vom<br />

Dezember 2001<br />

46<br />

Zwei Tage, die die Welt erschütterten<br />

Zehn Jahre nach den revolutionären Tagen des 19.-20. Dezember 2001 in Argentinien<br />

von Chucho Kahl (RIO, Berlin)<br />

Zehn Jahre sind vergangen seit jenen großen Massenaufständen<br />

in Argentinien, die zum ersten Mal seit der Rückkehr<br />

zur Demokratie 1983 zum Sturz einer frei gewählten Regierung<br />

geführt und damit ein neues politisches Zeitalter im Land eingeleitet<br />

haben. Dieses Ereignis setzte die Möglichkeit auf die<br />

Tagesordnung, die historische Niederlage der ArbeiterInnenbewegung<br />

zu überwinden, die durch die letzte Militärdiktatur<br />

durchgesetzt wurde. Angesichts der aktuellen kapitalistischen<br />

Krise ist der Prozess von Argentinien 2001 heute ein Beispiel<br />

größter Aktualität, um die Massenrebellionen, die das „stabile<br />

Europa“ in den letzten Jahren erschüttert haben, zu verstehen.<br />

Die Lehren aus dem gesamten Prozess zu ziehen sowie die besten<br />

Erfahrungen von 2001 wieder aufzunehmen, ist heute eine<br />

zentrale Aufgabe, um ein Programm und eine Strategie zu entwickeln<br />

und eine Partei aufzubauen, die siegen will.<br />

Revolutionäre Tage<br />

Die ‘90er Jahre waren voll von reaktionärer Ideologie, die soziale<br />

Kämpfe verurteilte, über die Abwesenheit der ArbeiterInnenbewegung<br />

theoretisierte und die Zukunft einer kapitalistischen<br />

Wohlstandsgesellschaft versprach. Die Stimme der Herrschenden<br />

sprach vom Ende der Geschichte. Aber die Realität wendete<br />

sich und mit steigendem sozialen Widerstand verstärkten sich<br />

die immer aggressiveren Maßnahmen eines Neoliberalismus auf<br />

Konfrontationskurs. Dieser Widerstand in Argentinien begann ab<br />

1996 mit den Straßenblockaden der Arbeitslosen („Piqueteros”).<br />

Die Regierung des neuen Präsidenten De la Rúa weitete die<br />

antisozialen Maßnahmen noch aus, mit Kürzungen im Gesundheits-,<br />

Bildungs- und Sozialhilfebereich sowie Lohnkürzungen<br />

von 13 Prozent bei LehrerInnen und ArbeiterInnen im öffentlichen<br />

Dienst. Ihren Höhepunkt fand die neoliberale Politik im<br />

sogenannten „corralito“, bei dem die Ersparnisse der Mittel- und<br />

Unterschicht von den Banken beschlagnahmt wurden, um den<br />

„internationalen Verpflichtungen“ gerecht zu werden.<br />

Diese Vertiefung rezessiver Sparmaßnahmen eröffnete einen<br />

neuen Zyklus der Widerstandsbewegung der Massen, insbesondere<br />

der ArbeiterInnen, der sich in den Tagen des 19. und<br />

20. Dezember entladen sollte.<br />

Im Dezember 2001 zeichneten sich die verschiedenen AkteurInnen<br />

dieses historischen Dramas ab, jeweils mit unterschiedlichen<br />

Methoden des Kampfes und unterschiedlichen<br />

Programmen. Die ArbeiterInnen organisierten<br />

einen weiteren Generalstreik am 13. Dezember 2001.<br />

Diesmal legte der Streik die wichtigsten städtischen<br />

Zentren lahm und wurde von den breiten Massen<br />

der Mittel- und Unterschicht unterstützt.<br />

Kleinere UnternehmerInnen, Kaufleute und VertreterInnen<br />

der Mittelschicht, die die neoliberale Regierungen ursprünglich<br />

unterstützt hatten, beteiligen sich nun unter Johlen und Topfschlagen<br />

an den Aufständen mit ihrem Höhepunkt am 19. und<br />

20. Dezember. Auch die „Nationale Piquetero-Versammlung“,<br />

die die wichtigsten Organisationen der Arbeitslosenbewegung<br />

aus Buenos Aires zusammenschloss, organisierte während des<br />

ganzen Jahres Straßensperren. Am 15. Dezember begannen<br />

prekarisierte ArbeiterInnen und Arbeitslose mit den ersten<br />

Plünderungen der Supermärkte in Buenos Aires, die sich während<br />

der Tage vor dem 19. Dezember auf breitere Bevölkerungsschichten<br />

und das ganze Land ausweiten.<br />

In diesem Moment zeichnete sich eine neue Wendung der<br />

Ereignisse ab. Die meisten Provinzregierungen versuchten die<br />

Unruhen mit dem Einsatz von Polizei und Spezialeinheiten einzudämmen.<br />

Aber die Plünderungen weiteten sich auch am 19.<br />

Dezember weiter aus und De la Rúa erklärte den Ausnahmezustand.<br />

Diese Maßnahme provozierte die Mittelschicht und die<br />

Angestellten der Hauptstadt, ihren Unmut in einer Demonstration<br />

auf dem Plaza de Mayo vor dem Regierungssitz kundzutun.<br />

Es begannen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei,<br />

die in Barrikadenkämpfen und einer kompletten Sprerrung<br />

dieses öffentlichen Platzes gipfelten.<br />

38 Menschen wurden getötet, vor allem Jugendliche. Am 20.<br />

Dezember trat De la Rúa zurück und und floh in einem Hubschrauber<br />

aus seinem Palast, während sich die Straßenkämpfe<br />

fortsetzten. Die ArbeiterInnen und Erwerbslosen, die in der vorangegangenen<br />

Woche zu zahlreichen Streiks und Straßensperren<br />

aufgerufen hatten, beteiligten sich aufgrund bürokratischer<br />

Kontrolle der Gewerkschaften nicht als <strong>Klasse</strong> an den Demonstrationen<br />

vor dem Regierungssitz, sondern nur als Individuen.<br />

Die DemonstrantInnen, sich selbst überlassen, schafften es<br />

zwar, De la Rúa aus seinem Amt zu drängen, konnten jedoch<br />

die bürgerliche Staatsgewalt, die am Ende immer auf repressive<br />

Kräfte zurückgreift, ohne die breite Beteiligung des ArbeiterInnensektors<br />

nicht brechen. Das Fehlen einer revolutionären<br />

Partei verhinderte das Fortschreiten einer Bewegung mit klaren<br />

politischen Zielen.<br />

So verwandelte sich die Bewegung nicht zu einem<br />

Aufstand, einem „Argentinazo“, sondern zu einer Ansammlung<br />

unterschiedlicher Aktionen: Plünderungen,<br />

Demonstrationen, Straßenkämpfe auf dem Plaza de<br />

Mayo. „Sie müssen alle gehen!” lautete die Parole der<br />

Massen, doch die Beschränkungen dieses Prozesses<br />

ermöglichten es den Parteien der Bourgeousie, an der<br />

Macht zu bleiben.

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