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Rede von Prof. Dr. Max Fuchs in PDF - Unesco

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<strong>Dr</strong>ittes Fachgespräch zur UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt<br />

Konsultation für die Bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt<br />

<strong>Rede</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Max</strong> <strong>Fuchs</strong><br />

Kulturelle Vielfalt, der Welthandel und der Staat<br />

E<strong>in</strong>ige Überlegungen zu Schwierigkeiten bei der Diskussion der Konvention zur kulturellen<br />

Vielfalt<br />

Vorbemerkung<br />

Die Bundesweite Koalition zur kulturellen Vielfalt hat sich u. a. die folgenden beiden<br />

Aufgaben gestellt: Zum e<strong>in</strong>en sollte der Entstehungsprozess der Konvention zur kulturellen<br />

Vielfalt <strong>in</strong>sofern begleitet werden, als <strong>in</strong>sbesondere die Interessen wichtiger Akteure und<br />

Organisationen <strong>in</strong> der Kulturpolitik – vor allem im außerstaatlichen Bereich der<br />

Zivilgesellschaft – gesammelt und <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Politikberatung an die zuständigen Stellen<br />

(Regierung, UNESCO) weitergegeben werden. Zum anderen sollte die Diskussion über die<br />

Notwendigkeit e<strong>in</strong>er solchen Konvention <strong>in</strong> der kulturpolitischen Landschaft Deutschlands<br />

verbreitert werden. Inzwischen haben wir über zwei Jahre Erfahrungen mit der Idee e<strong>in</strong>er<br />

solchen Konvention, so dass es <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong> könnte, e<strong>in</strong>e kurze Zwischenbilanz über<br />

Erfahrungen, Beobachtungen und <strong>in</strong>sbesondere über Schwierigkeiten <strong>in</strong> diesem<br />

Diskussionsprozess zu geben. Insbesondere hat sich im Deutschen Kulturrat, dem<br />

Spitzenverbands der Bundeskulturverbände, gezeigt, das ist doch sehr viel schwieriger ist,<br />

die beiden genannten Ziele der Bundesweiten Koalition mite<strong>in</strong>ander zu vere<strong>in</strong>baren, als man<br />

zunächst gedacht hatte. Ich habe daher me<strong>in</strong>e Beobachtungen und Erfahrungen <strong>in</strong> sechs<br />

Punkten zusammengefasst.<br />

1. Gerade wenn e<strong>in</strong>em die e<strong>in</strong>gangs genannten beiden Ziele, Begleitung der Genese der<br />

und Verbreiterung des kulturpolitischen Diskurses über die Konvention, e<strong>in</strong>sichtig und<br />

plausibel ersche<strong>in</strong>en, wird man sich vielleicht wundern, dass ich jetzt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Spannung<br />

zwischen diesen beiden Zielformulierungen spreche. Man kann dies sogar noch<br />

deutlicher so formulieren, dass sich nämlich zwischen beiden Zielen notwendig e<strong>in</strong>e<br />

Schere auftut. Dies f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e Begründung dar<strong>in</strong>, dass die fachlichen Diskussionen und<br />

Beratungen über den vorliegenden Textentwurf zunehmend präziser werden, und dies<br />

heißt <strong>in</strong>sbesondere: dass e<strong>in</strong> erhebliches Expertenwissen nicht nur über das Völkerrecht<br />

und das <strong>in</strong>ternationale Handelsrecht, sondern auch über die Prozeduren und Abläufe <strong>in</strong><br />

der Welthandelsorganisation WTO und der UNESCO notwendig ist, wenn die<br />

1


Kommentare zu dem Text e<strong>in</strong>e gewisse Relevanz haben sollen. Daraus folgt allerd<strong>in</strong>gs<br />

notwendigerweise, dass der Kreis derer, die dies aufgrund ihrer Ausbildung oder ihrer<br />

beruflichen Tätigkeit tun können, immer kle<strong>in</strong>er wird. In der Tat ist festzustellen, dass es<br />

<strong>in</strong> der deutschen kulturpolitischen Landschaft erhebliche Unklarheiten über Ziele,<br />

Begrifflichkeit, Methoden und <strong>in</strong>sbesondere auch Irritationen über die Sprache des<br />

Textentwurfes gibt.<br />

2. So entsteht e<strong>in</strong> erstes und gravierendes Erkenntnisproblem bereits <strong>in</strong> dem<br />

Zusammenhang, den ich wie selbstverständlich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en bisherigen Ausführungen<br />

hergestellt habe: dass nämlich kulturelle Vielfalt und das <strong>in</strong>ternationale Handelsrecht<br />

überhaupt etwas mite<strong>in</strong>ander zu tun haben, dass <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Welthandelsorganisation WTO und das <strong>in</strong>ternationale Dienstleistungsabkommen GATS<br />

für die Kultur und für die Kulturpolitik bedeutungsvoll s<strong>in</strong>d. Man kann vielmehr feststellen,<br />

dass e<strong>in</strong> großer Teil der Debatten über den Konventionsentwurf über solche Inhalte und<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Sprache geführt wird, die der größte Teil der deutschen kulturpolitischen<br />

Akteure überhaupt nicht als kulturpolitische Debatte werten würde. Man sollte e<strong>in</strong>mal<br />

den Versuch machen, e<strong>in</strong>en kulturell <strong>in</strong>formierten Menschen nach „kultureller Vielfalt“ und<br />

se<strong>in</strong>en Assoziationen und Überlegungen dazu zu fragen. Ich b<strong>in</strong> sicher, dass man dann<br />

sehr viel Kluges zur Relevanz <strong>von</strong> Vielfalt im Zusammenleben der Menschen hören<br />

könnte, ganz so, wie es der Aufruf der Deutschen UNESCO-Kommission nach Gründung<br />

der Bundesweiten Koalition auch erbracht hat. Wenn man diese Überlegungen<br />

anschließend mit dem Konventionstext vergleicht, wird man zwar Verb<strong>in</strong>dungen zur<br />

Präambel und den ersten Artikeln herstellen können: der überwiegende Teil des Textes<br />

mit se<strong>in</strong>en Regularien, den spezifischen Def<strong>in</strong>itionen und Abgrenzungen wird nur schwer<br />

mit dem Inhalt des Begriffs der kulturellen Vielfalt <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu br<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong><br />

erstes Vermittlungsproblem besteht daher dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e solche Verb<strong>in</strong>dung zwischen der<br />

(kulturtheoretischen) Diskussion und der eher technisch-juristischen<br />

Argumentationsweise der Konvention herzustellen. Um diesen Zusammenhang<br />

aufzuzeigen, lohnt es sich daher, e<strong>in</strong>ige historische Anmerkungen zur Genese der Idee<br />

zu e<strong>in</strong>er solchen Konvention anzufügen. Ich stütze mich dabei auf die Broschüre <strong>von</strong><br />

Joost Smiers: Artistic Expression <strong>in</strong> a Corporate World. Utrecht School of Arts 2004, die<br />

als Download auf der Homepage der Deutschen UNESCO-Kommission<br />

(www.unesco.de) zu f<strong>in</strong>den ist.<br />

In Deutschland wurde die Idee zu e<strong>in</strong>er Konvention zur kulturellen Vielfalt zum ersten Mal<br />

e<strong>in</strong>er größeren Öffentlichkeit bei der Tagung „Unbegrenzt Kultur“ im Dezember 2002<br />

vorgestellt. Die kanadische Kunstwissenschaftler<strong>in</strong> Joyce Zeman hat im Kontext e<strong>in</strong>es<br />

2


Vortrages zur kulturellen Identität und ihrer Gefährdung durch die <strong>in</strong>ternationale<br />

Kulturwirtschaft <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em völkerrechtlichen „Instrument" gesprochen, das e<strong>in</strong>ige<br />

nationale und <strong>in</strong>ternationale kulturpolitische Netzwerke <strong>in</strong> die Diskussion gebracht haben.<br />

In der Tat gab es zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Entwürfe e<strong>in</strong>er solchen Konvention<br />

zur kulturellen Vielfalt, e<strong>in</strong>mal <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss <strong>von</strong><br />

Kulturorganisationen (INCD) und e<strong>in</strong>em Zusammenschluss <strong>von</strong> Kulturm<strong>in</strong>istern (INCP).<br />

Hierbei ist es durchaus aufschlussreich, sich die Mitgliederzusammensetzung<br />

<strong>in</strong>sbesondere des zivil-gesellschaftlichen Bündnisses näher anzuschauen: Es handelte<br />

sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um Organisationen der nationalen, vor allem der kanadischen<br />

Kulturwirtschaft, die erhebliche Überlebens- und Existenzängste hatten angesichts der<br />

Übermacht <strong>von</strong> global playern im Film, im Kunsthandwerk, <strong>in</strong> der Literatur und <strong>in</strong> der<br />

Musik. Insbesondere empfand man <strong>in</strong> Kanada e<strong>in</strong>e große Bedrohung durch die<br />

entsprechende Kulturwirtschaft <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten. Denn immerh<strong>in</strong> gibt es<br />

zwischen Kanada und den USA 8000 Kilometer offene Grenzen.<br />

In dieser als bedrohlich empfundenen Situation konnte man an e<strong>in</strong>e Diskussion<br />

anschließen, die rund um die neue Welt<strong>in</strong>formations- und Kommunikationsordnung, also<br />

<strong>in</strong> der Medienpolitik, geführt worden ist. Diese hatte zum Ziel, ebenfalls vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er voranschreitenden Ökonomisierung, die Vielfalt der Medien zu<br />

erhalten. In diesem Kontext gab es auch e<strong>in</strong>e besondere Sensibilität und Wachsamkeit<br />

gegenüber der Welthandelsorganisation, der gegenüber man schon e<strong>in</strong>ige Jahre zuvor<br />

die Forderung erhoben hat, dass die audiovisuellen Medien aus den Handelsabkommen<br />

herausgehalten werden müssten. Diese eher ökonomische Diskussion wurde zudem<br />

überlagert durch die kulturpolitische Diskussion über den Schutz der französischen<br />

Sprache gegenüber e<strong>in</strong>er Übermacht des Englischen.<br />

Seither diskutiert man im wesentlichen zwei große Strategien, die den Erhalt e<strong>in</strong>er<br />

nationalen Kulturpolitik (e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>er nationalen Kulturförderung und<br />

Kulturwirtschaft) sicherstellen sollen: Zum e<strong>in</strong>en versucht man zu verh<strong>in</strong>dern, dass<br />

weitere Bereiche <strong>von</strong> Kultur und Medien <strong>in</strong> das <strong>in</strong>ternationale Dienstleistungsabkommen<br />

GATS aufgenommen werden. Parallel dazu ist die Idee entstanden, e<strong>in</strong> völkerrechtliches<br />

Schutz<strong>in</strong>strument, also e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Konvention zu entwickeln, die das<br />

ausdrückliche Ziel enthält, dass die Staaten auch weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nationale Kulturpolitik<br />

betreiben dürfen. Als geeigneter Begriff, der dieses Anliegen auch tragen könnte, lag der<br />

Begriff der „kulturellen Vielfalt“ nahe. Zum e<strong>in</strong>en konnte man sich bereits auf den Begriff<br />

der Medienvielfalt stützen, zum anderen machte der Erfolg mit der „Konvention zur<br />

biologischen Vielfalt“ Mut, wobei man mit dem (kulturwissenschaftlich überaus<br />

fragwürdigen) Argument e<strong>in</strong>er Parallelisierung zwischen biologischer und kultureller<br />

Entwicklung operierte. Zudem hat die UNESCO im Jahre 2001 die „Universelle Erklärung<br />

3


zur kulturellen Vielfalt“ verabschiedet, so dass der Begriff der kulturellen Vielfalt auf der<br />

Ebene des Völkerrechtes zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>geführt war.<br />

Trotz der e<strong>in</strong>gangs angesprochenen Diskursprobleme, dass nämlich die mit „kultureller<br />

Vielfalt“ verbundenen Assoziationen durchaus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Richtung gehen, als mit<br />

dieser Konvention beabsichtigt, muss man feststellen: Der Begriff hat bislang die<br />

Erwartung, Basisbegriff e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen Konvention zu se<strong>in</strong>, durchaus erfüllt. Ohne<br />

dies also <strong>in</strong> Frage stellen zu wollen, mag man <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Gedankenspiels sich e<strong>in</strong>mal<br />

überlegen, ob es nicht doch e<strong>in</strong>e Alternative zu dieser Begriffswahl gegeben hätte (ohne<br />

natürlich die Bedeutung des Sachverhaltes „kulturelle Vielfalt“ schmälern zu wollen).<br />

3. Bei Lichte besehen ist der Weg <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em eher kulturtheoretisch orientierten Diskurs<br />

über kulturelle Vielfalt zu den harten Fakten e<strong>in</strong>es vielleicht <strong>von</strong> global playern<br />

dom<strong>in</strong>ierten Kulturmarktes doch etwas weiter, als man es sich vorgestellt hat. Man muss<br />

sich verdeutlichen, dass das zentrale Ziel der im Entstehen begriffenen Konvention im<br />

wesentlichen dar<strong>in</strong> besteht, auch zukünftig e<strong>in</strong>e eigenständige nationale Kulturpolitik mit<br />

allen spezifischen Schutzrechten (wie etwa e<strong>in</strong>er Buchpreisb<strong>in</strong>dung), aber auch mit<br />

öffentlichen Fördertöpfen, sicher zu stellen. Die Frage ist daher, ob man dieses Ziel nicht<br />

auch durch e<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>en vielleicht schon etablierten völkerrechtlichen Begriff<br />

hätte erreichen können.<br />

Aus me<strong>in</strong>er Sicht (als juristischer Laie!) wäre es durchaus vorstellbar gewesen, etwa den<br />

Begriff der kulturellen Teilhabe als Trägerbegriff zu wählen. Für diesen Begriff hätte<br />

gesprochen, dass er e<strong>in</strong> sehr gut e<strong>in</strong>geführter völkerrechtlicher Begriff ist, der sich bereits<br />

<strong>in</strong> der Allgeme<strong>in</strong>en Erklärung der Menschenrechte <strong>in</strong> Art. 27 f<strong>in</strong>det. Dieser Artikel ist<br />

überschrieben mit „kulturelle Teilhabe“ und lautet: „Jeder Mensch hat das Recht, am<br />

kulturellen Leben der Geme<strong>in</strong>schaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und<br />

am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teil zu haben." Warum hat man<br />

also nicht überlegt, e<strong>in</strong>e „Konvention zur kulturellen Teilhabe“ zu entwickeln? Man kann<br />

sich dabei daran er<strong>in</strong>nern, dass es so etwas – zum<strong>in</strong>dest der Richtung nach – bereits<br />

gibt: den 1966 verabschiedeten und 1976 <strong>in</strong> Kraft gesetzten „Pakt für soziale,<br />

ökonomische und kulturelle Rechte“. Seither gibt es außerdem dem Wunsch nach e<strong>in</strong>er<br />

„Deklaration kultureller Rechte“, der allerd<strong>in</strong>gs kaum großer Energie verfolgt wird. Man<br />

muss sich klar machen, dass man sich hierbei nicht mehr auf der Ebene bloßer<br />

Schutzrechte des E<strong>in</strong>zelnen (etwa gegenüber dem Staat) bef<strong>in</strong>det, sondern auf der<br />

Ebene der Ansprüche des E<strong>in</strong>zelnen an den Staat auf Umverteilung (zweite Generation<br />

der Menschenrechte). Denn wer über Teilhabe redet, muss gleichzeitig über notwendige<br />

Ressourcen e<strong>in</strong>er Teilhabe, über rechtliche Voraussetzungen, über geografische<br />

4


Zugangsmöglichkeiten und über die <strong>in</strong>dividuelle Bildung als Voraussetzung e<strong>in</strong>er<br />

Teilhabe sprechen. Genau so wird etwa <strong>in</strong> der Sozialpolitikforschung der Begriff der<br />

„sozialen Teilhabe“ durchdekl<strong>in</strong>iert (F. X. Kaufmann: Herausforderungen des<br />

Sozialstaates. Frankfurt/M. 2001). Teilhabe wird dabei als Ermöglichung e<strong>in</strong>er aktiven<br />

Mitwirkung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelnen oder Gruppen verstanden, so dass man hieraus leicht andere<br />

kulturpolitische Ziele wie etwa das der Anerkennung <strong>von</strong> Teilgruppen der Gesellschaft<br />

oder eben auch die Artikulation e<strong>in</strong>er Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und<br />

Präferenzen ableiten kann. Kulturelle Vielfalt ergibt sich daher zwangsläufig aus dem<br />

Begriff der kulturellen Teilhabe, ist aber <strong>in</strong> der Theoriensystematik diesem nachgelagert<br />

(s. hierzu den neuen Weltentwicklungsbericht der UNDP: Cultural liberty <strong>in</strong> today’s<br />

diverse world. New York 2004, wo <strong>in</strong>sbesondere Armatya Sen den Zusammenhang <strong>von</strong><br />

kultureller Freiheit, Demokratie, Vielfalt und Teilhabe hervorhebt).<br />

E<strong>in</strong>e solche Überlegung mag nun angesichts des fortgeschrittenen Stadiums bei der<br />

Diskussion der Konvention überflüssig ersche<strong>in</strong>en (siehe jedoch die Schlussbemerkung).<br />

Sie könnte aber Relevanz haben im H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>e andere Problemstellung, nämlich<br />

erneut e<strong>in</strong>e Kohärenz zwischen unterschiedlichen Leit- und Zielbegriffen <strong>in</strong> der<br />

UNESCO-Programmatik herzustellen. Denn <strong>in</strong> den letzten Jahren s<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er<br />

gewissen Regelmäßigkeit zu den schon vorhandenen Leitbegriffen, so wie sie <strong>in</strong> den<br />

vorliegenden Konventionen und Deklarationen verwendet wurden und def<strong>in</strong>iert worden<br />

s<strong>in</strong>d, neue Begriffe dazugekommen. So hat man spätestens seit der Weltdekade für<br />

kulturelle Entwicklung am Ende des letzten Jahrtausends „Entwicklung“ auch als<br />

kulturpolitischen Begriff e<strong>in</strong>geführt. Als Nächstes hat man spätestens seit Johannesburg<br />

den Begriff der „Nachhaltigkeit“ <strong>in</strong> die Familie kulturpolitischer Leitbegriffe aufgenommen.<br />

Seit e<strong>in</strong>igen Jahren gehört auch der Begriff der „kulturellen Vielfalt“ zu diesem Kern. Nun<br />

muss man sich daran er<strong>in</strong>nern, dass Begriffe – quasi als „Knoten“ <strong>in</strong> dem Netzwerk e<strong>in</strong>er<br />

Theorie – nicht bloß jeweils für sich def<strong>in</strong>iert werden, sondern sich vielmehr auch <strong>in</strong><br />

wechselseitigem Bezug e<strong>in</strong>e Bedeutung geben. Kommt also e<strong>in</strong> neuer Begriff dazu, so<br />

verändern sich notwendig die Bedeutungsgehalte aller anderen Begriffe.<br />

Es lässt sich nun bei aller Akzeptanz der Wichtigkeit dieser neuen Begriffe und der mit<br />

ihnen erfassten Sachverhalte der E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er gewissen Beliebigkeit nicht vermeiden.<br />

Zu leisten wäre daher e<strong>in</strong> verstärktes Nachdenken darüber, wie e<strong>in</strong> kulturpolitisches<br />

Grundsatzprogramm aussehen könnte, das auch e<strong>in</strong>e Kohärenz <strong>in</strong> diese Grundbegriffe<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt. Bei dieser Debatte spielt es dann durchaus auch e<strong>in</strong>e Rolle, welchen Status<br />

diese Begrifflichkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zu entwickelnden Begriffhierarchie hat. Allerd<strong>in</strong>gs ist hier<br />

anzumerken, dass das Problem der Konsistenz der kulturpolitischen Konzeption der<br />

UNESCO ke<strong>in</strong> Problem des deutschen Diskurses war. Dieses liegt vielmehr auf e<strong>in</strong>er<br />

anderen Ebene.<br />

5


Speziell <strong>in</strong> Deutschland hat man trotz der <strong>in</strong> den Neunziger Jahren des letzten<br />

Jahrhunderts lebendigen Diskussion über die „Kultur als Wirtschaftsfaktor“ immer noch<br />

erhebliche Schwierigkeiten damit, dass im Rahmen der Europäischen Union der<br />

Handels- und der Wettbewerbskommissar e<strong>in</strong>e größere Rolle für die Kulturpolitik spielen<br />

als die Kultur-Kommissar<strong>in</strong>. In dieser ohneh<strong>in</strong> schon schwierigen Situation muss man<br />

sich jetzt auch noch damit ause<strong>in</strong>ander setzen, dass die bislang im kulturpolitischen<br />

Bereich eher unbekannte Welthandelsorganisation WTO nunmehr ebenfalls e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Relevanz für kulturpolitische Fragen beansprucht.<br />

4. H<strong>in</strong>ter den Erkenntnisschwierigkeiten im Umgang mit der Konvention steckt häufig e<strong>in</strong>e<br />

fast klassische Kernfrage des deutschen Kulturdiskurses: Wieviel Ökonomie verträgt die<br />

Kultur, oder besser: Wieviel ökonomische Sprache verträgt der kulturpolitische Diskurs?<br />

Die Haltung <strong>in</strong> der Kultur und <strong>in</strong> der Kulturpolitik ist dabei durchaus widersprüchlich: Zum<br />

e<strong>in</strong>en weiß man natürlich, dass man es mit e<strong>in</strong>em erheblichen Arbeitsmarkt zu tun hat,<br />

dass der Umsatz und auch der Anteil am Bruttosozialprodukt durchaus erwähnenswert<br />

s<strong>in</strong>d und dass die Kulturwirtschaft im kulturellen Leben Deutschlands e<strong>in</strong>e erhebliche<br />

Rolle spielt. Andererseits gibt es traditionell gerade <strong>in</strong> Deutschland im Kulturbereich<br />

immer noch e<strong>in</strong>e große Scheu vor der Ökonomie und der ökonomischen Dimension <strong>von</strong><br />

Kunst und Kultur, und dies selbst bei denen, durch deren Hände erhebliche Mittel gehen.<br />

Wir haben es hier mit e<strong>in</strong>er gewissen Erblast zu tun, für die es zum<strong>in</strong>dest zwei<br />

historische Ursachen gibt: Zum e<strong>in</strong>en ist diese Scheu vor dem Ökonomischen e<strong>in</strong>e Folge<br />

der idealistischen Autonomieästhetik im Anschluss an Kant, bei der die „Zweckmäßigkeit<br />

ohne Zweck“ sicherstellen sollte, dass der Umgang mit Kunst fern <strong>von</strong> allen<br />

Zwecksetzungen des Alltags zu geschehen habe. Daraus hat dann Schiller <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

„Briefen zur ästhetischen Erziehung“ e<strong>in</strong>e politische Reformkonzeption entwickelt, bei der<br />

die <strong>in</strong> der Kunst erlebte Freiheit geradezu Lust auch auf e<strong>in</strong>e politische Freiheit machen<br />

soll. Als zweiter Erblast ist <strong>in</strong> dem Geme<strong>in</strong>schaftswerk <strong>von</strong> Horkheimer und Adorno, der<br />

„Dialektik der Aufklärung“, e<strong>in</strong> großer Vorbehalt gegenüber der Kultur<strong>in</strong>dustrie formuliert<br />

worden. Denn <strong>in</strong> diesem Buch haben die beiden Autoren und hat <strong>in</strong>sbesondere der<br />

Musiker und Musiktheoretiker Adorno se<strong>in</strong>e Abscheu vor der Kultur<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> den USA<br />

formuliert, so wie er sie <strong>in</strong> der Zeit se<strong>in</strong>er Emigration <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten erlebt<br />

hat. Kunst und Wirtschaft s<strong>in</strong>d also mitnichten <strong>in</strong> der deutschen Tradition „derselbe<br />

Kampf“, so wie es e<strong>in</strong> früherer französischer Kulturm<strong>in</strong>ister (Jack Lang) e<strong>in</strong>mal formuliert<br />

hat, sondern sie werden immer noch als e<strong>in</strong>ander entgegengesetzt betrachtet. Joost<br />

Smiers spricht daher folgerichtig geradezu <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em „battlefield“.<br />

6


Eigentlich müsste vor diesem H<strong>in</strong>tergrund die Idee, mit e<strong>in</strong>er solchen Konvention e<strong>in</strong>e<br />

Waffe gegen e<strong>in</strong>e voranschreitende Ökonomie, gegen e<strong>in</strong>e ökonomische Globalisierung<br />

im Kulturbereich zu bekommen, bei den ökonomiekritischen Akteuren <strong>in</strong> der Kulturpolitik<br />

offene Türen e<strong>in</strong>rennen. Das Problem besteht jedoch dar<strong>in</strong>, dass auch die Konvention es<br />

nicht vermeiden kann ihr anti-ökonomisches Anliegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ökonomischen Sprache zu<br />

formulieren. So ist nicht nur ganz selbstverständlich <strong>von</strong> kulturellen „Gütern und<br />

Dienstleistungen“ die <strong>Rede</strong>, was deutschen KünstlerInnen oft schon erhebliche<br />

Akzeptanzprobleme bereitet, sondern es wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anhang e<strong>in</strong>e zwar als<br />

unvollständig charakterisierte, nichtsdestotrotz jedoch sehr umfassende Liste <strong>von</strong><br />

künstlerischen Ausdrucksformen und Angeboten präsentiert, die auf den ersten Blick<br />

ke<strong>in</strong>e Lücken hat. Zwar wird zudem ausdrücklich <strong>in</strong> der Konvention formuliert, dass<br />

Kulturwaren e<strong>in</strong>en Doppelcharakter hätten, nämlich nicht bloß als Waren e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten ökonomischen (Tausch-)Wert auszudrücken, sondern dass sie zusätzlich<br />

e<strong>in</strong>en kulturellen Wert hätten, nämlich Träger <strong>von</strong> Kultur-Werten und Identitäten zu se<strong>in</strong>.<br />

Doch ist auch diese Formulierung weniger orig<strong>in</strong>ell und schon gar ke<strong>in</strong> besonderer<br />

Schutz der „Kulturwaren“ vor der ökonomischen Denkweise. Denn spätestens seit Karl<br />

Marx weiß man, dass alle marktfähigen Waren e<strong>in</strong>en Doppelcharakter haben, nämlich<br />

neben e<strong>in</strong>em Tauschwert e<strong>in</strong>en spezifischen Gebrauchswert, der erst die Grundlage<br />

dafür ist, dass man mit ihnen erfolgreich Tauschprozesse durchführen kann. Also selbst<br />

<strong>in</strong> dieser Formulierung, <strong>in</strong> der man die besondere Spezifik der Kunst vermuten könnte,<br />

bewegt man sich auf der ganz banalen Ebene der Politischen Ökonomie.<br />

Man muss also feststellen, dass selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em völkerrechtlichen Instrument, das<br />

ausdrücklich e<strong>in</strong>e Sicherung <strong>von</strong> Kultur ermöglichen soll, dies nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kulturellen,<br />

sondern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ökonomischen und bestenfalls <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er juristischen Sprache geschieht,<br />

so dass man nachempf<strong>in</strong>den kann, wenn dies Kulturakteure – gerade <strong>in</strong> Deutschland –<br />

als Niederlage der Eigenwertigkeit <strong>von</strong> Kunst und Kultur empf<strong>in</strong>den.<br />

5. Wie wenig die grundsätzliche Gefahr für e<strong>in</strong>e nationale Kulturpolitik, die <strong>von</strong> der WTO<br />

und <strong>von</strong> GATS ausgehen, <strong>in</strong> Deutschland bekannt ist, kann man <strong>in</strong> der häufiger<br />

vorgetragenen Annahme erkennen, mit Hilfe der Konvention solle mehr Geld für die<br />

Kultur durch den Staat bereitgestellt werden. Diese Annahme ist verständlich vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund des erheblichen Engagements der öffentlichen Hand für die Kultur, so wie es<br />

<strong>in</strong> kaum e<strong>in</strong>em andern Staat auf der Welt zu f<strong>in</strong>den ist. Die Tatsache, dass sich die<br />

öffentliche Hand nicht nur aus der Kulturförderung zurückziehen, sondern dies auch noch<br />

7


<strong>von</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen ökonomischen Organisation erzwungen werden könnte, wird<br />

nicht gesehen und auch nicht verstanden.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist e<strong>in</strong>e ebenfalls im Anhang der Konvention (Annex II)<br />

angefügte Liste <strong>von</strong> spezifischen Kulturpolitiken hilfreich, die der Erhaltung kultureller<br />

Vielfalt dienlich seien. Wer diese Liste e<strong>in</strong>em deutschen kulturpolitischen Akteur<br />

präsentiert, wird recht häufig erleben, dass sie wenig E<strong>in</strong>druck h<strong>in</strong>terlässt. Die lakonische<br />

Antwort wird se<strong>in</strong>: Na und, all dies haben doch schon! Genau dies ist also das<br />

Vermittlungsproblem, aufzuzeigen, dass es weniger darum geht, neue Instrumente zu<br />

<strong>in</strong>stallieren oder sogar neue F<strong>in</strong>anzmittel zu akquirieren. Sondern speziell <strong>in</strong> Deutschland<br />

geht es darum, diese Liste unterschiedlichster Kulturpolitiken als mögliche Streichliste zu<br />

verstehen. Denn all dies, was hier aufgelistet ist und was es <strong>in</strong> Deutschland weitgehend<br />

bereits gibt, ist genau das, was wegfallen würde, wenn uns die Abwehr e<strong>in</strong>er<br />

handelsrechtlichen Vere<strong>in</strong>nahmung <strong>von</strong> Kultur nicht gel<strong>in</strong>gen wird.<br />

Wir haben übrigens <strong>in</strong> Deutschland dasselbe Problem bei der Diskussion über die so<br />

genannte „Dienstleistungsrichtl<strong>in</strong>ie“ der Europäischen Union: Auch dort mussten wir<br />

<strong>in</strong>nerhalb unseres Verbandes sehr viel Mühe aufwenden, um nachzuweisen, dass <strong>in</strong> der<br />

Tat die Europäische Union unter „Dienstleistungen" durchaus auch künstlerische und<br />

audiovisuelle Aktivitäten und Angebote subsumiert, sodass handelsrechtliche und<br />

ökonomische Regularien <strong>von</strong> der Kommission ohne Probleme auf die Kultur angewendet<br />

werden würden (falls uns ke<strong>in</strong>e geeigneten Gegenmaßnahmen e<strong>in</strong>fallen).<br />

6. Neben der Tatsache, dass man sich <strong>in</strong> Deutschland kaum vorstellen kann, dass der<br />

bisherige kulturpolitische Status Quo wegfallen könnte, gibt es noch e<strong>in</strong> weiteres<br />

Erkenntnisproblem, das damit zusammenhängt: Vieles an unserer kulturpolitischen<br />

Ausstattung ersche<strong>in</strong>t so selbstverständlich, dass es gar nicht mehr als etwas<br />

Besonderes (und damit als gefährdet) wahrgenommen wird. Wir hatten daher im<br />

Deutschen Kulturrat die Idee, nicht bloß aufzulisten, was es alles an kulturpolitischen<br />

Instrumentarien <strong>in</strong> Deutschland bereits gibt, sondern da<strong>von</strong> ausgehend auch zu<br />

formulieren, was an weiteren Instrumenten noch wünschenswert wäre. Hierfür war es<br />

notwendig, für die unterschiedlichsten Bereiche des Kulturellen zu präzisieren, was es<br />

gibt, und <strong>in</strong>sbesondere auch Begründungen dafür zu f<strong>in</strong>den, dass es dies auch weiterh<strong>in</strong><br />

geben müsse. Das war zwar e<strong>in</strong> letztlich erfolgreiches, aber während des Prozesses e<strong>in</strong><br />

ausgesprochen mühsames und kompliziertes Unternehmen. Ebenso wie ich es im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die Konvention dargestellt habe, dass man für e<strong>in</strong> solches Anliegen nämlich<br />

tragfähige und belastbare Begriffe braucht, galt dies für unsere Unternehmung. Wir<br />

haben bei unserem Versuch zwei Begriffe ausgewählt, die <strong>in</strong> der kulturpolitischen<br />

Diskussion e<strong>in</strong>e gewisse Relevanz hatten. Der erste Begriff ist „Dase<strong>in</strong>svorsorge“, den<br />

8


nicht bloß die Europäische Union se<strong>in</strong>erzeit bei ihrer Diskussion über „Dienstleistungen<br />

<strong>von</strong> allgeme<strong>in</strong>en Interesse“ verwendet hat, sondern mit dem auch <strong>in</strong>sbesondere die<br />

kommunale Ebene ihr (auch kulturelles, aber auch ihr soziales) Engagement beschreibt.<br />

Der zweite Begriff ist der erst <strong>in</strong> jüngster Zeit <strong>in</strong> die Diskussion gebrachte Begriff der<br />

„Grundversorgung“.<br />

Bei beiden Begriffen kann man nunmehr fragen, ob sie als zentrale Trägerbegriffe für<br />

dieses ambitionierte Anliegen dienen können, sowohl e<strong>in</strong>e Bestandsaufnahme, als auch<br />

e<strong>in</strong>en begründeten Forderungskatalog für e<strong>in</strong>e zukünftige Kulturpolitik zu formulieren. Bei<br />

dem Begriff der Dase<strong>in</strong>svorsorge führt e<strong>in</strong>e historische Analyse se<strong>in</strong>er Genese zu e<strong>in</strong>er<br />

Schrift des Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff aus dem Jahre 1938,<br />

bei dem die spezifischen historischen Bed<strong>in</strong>gungen des Ersche<strong>in</strong>ungsjahres deutlich<br />

spürbar s<strong>in</strong>d. Trotzdem hat man ihn <strong>in</strong> der Nachkriegszeit wieder aufgegriffen und<br />

verwendet, und dies sowohl <strong>in</strong> der politischen als auch <strong>in</strong> der wissenschaftlichen<br />

Fachsprache (vgl. me<strong>in</strong>en Artikel „Kultur als Dase<strong>in</strong>svorsorge?“ <strong>in</strong> „Politik und Kultur“,<br />

1/04)<br />

Sehr viel mehr Probleme machte das Konzept der „Grundversorgung“, das durchaus als<br />

Schutzbegriff <strong>in</strong> die Diskussion e<strong>in</strong>gebracht worden ist, das aber offenbar <strong>in</strong> weiten Teilen<br />

der kulturpolitischen Akteure falsche Assoziationen auslöste, die etwa <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er –<br />

dann auch noch paternalistisch verantworteten – M<strong>in</strong>imalversorgung auf niedrigem<br />

Niveau gehen. Trotz dieser sprachlichen Probleme hat sich herausgestellt, dass das<br />

Philologische oft nur vordergründig e<strong>in</strong>e Rolle spielte: Im Kern geht es um das <strong>in</strong>haltliche<br />

Problem e<strong>in</strong>er Begründung, warum und wie viel, für wen und zu welchem Preis e<strong>in</strong><br />

Kunst- und Kulturangebot gemacht werden soll.<br />

Wir haben dieses Papier unter dem Titel „Kultur als Dase<strong>in</strong>svorsorge“ <strong>in</strong>zwischen<br />

verabschiedet und veröffentlicht ( www.kulturrat.de)<br />

Schlussbemerkung<br />

Schwierig ist die Diskussion um die Konturkonvention zur kulturellen Vielfalt, weil es natürlich<br />

zwar auch um kulturelle Vielfalt geht, aber <strong>in</strong> diesem Zusammenhang e<strong>in</strong> wichtiges<br />

Grundproblem unsrer Gegenwart diskutiert wird: Das zukünftige Verhältnis zwischen Markt<br />

und Staat. Dies ist schon schwierig auf nationaler Ebene und liegt allen Reformdiskussionen<br />

der letzten zwanzig Jahren zu Grunde. Im Kern geht es dabei um die Zukunft unseres<br />

Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates, also um die Frage, <strong>in</strong> welcher Weise sich der Staat zukünftig<br />

um soziale Gerechtigkeit kümmern will. Auf der Ebene der UNESCO ist diese Diskussion<br />

noch schwieriger, weil sehr verschiedene Traditionen im Verständnis <strong>von</strong> Staat, Gesellschaft<br />

und Wirtschaft <strong>in</strong> dieser <strong>in</strong>ternationalen Staatengeme<strong>in</strong>schaft vorhanden s<strong>in</strong>d. Insbesondere<br />

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gibt es gravierende Unterschiede im H<strong>in</strong>blick darauf, welche öffentlichen Aufgaben durch<br />

den Staat überhaupt erfüllt werden müssen.<br />

Gehen wir nun e<strong>in</strong>mal da<strong>von</strong> aus, dass die Konvention verabschiedet und <strong>in</strong> Deutschland<br />

auch ratifiziert wird. In diesem Fall wird es nun nicht so se<strong>in</strong>, dass man sich dann mit Ruhe<br />

zurücklehnen kann: Es wird die Arbeit erst anfangen. Etwas grob formuliert kann man<br />

nämlich sagen, dass der Leitbegriff der kulturellen Vielfalt sich sehr viel stärker auf die<br />

Angebotsseite e<strong>in</strong>er kulturellen Praxis als auf die Nutzer-, Subjekt- oder Nachfrageseite<br />

bezieht. Die eigentliche Legitimität e<strong>in</strong>er jeglichen öffentlichen Kulturförderung ergibt sich<br />

jedoch nicht aus der Reichhaltigkeit e<strong>in</strong>es Angebotes, sondern durch die Breite der Nutzung.<br />

An dieser Stelle komme ich dann doch wieder zu dem Leitbegriff der kulturellen Teilhabe<br />

zurück, so wie ich ihn oben (Ziffer 3) <strong>in</strong> die Diskussion e<strong>in</strong>geführt habe. Denn nicht e<strong>in</strong>e bloß<br />

angebotene, sondern erst e<strong>in</strong>e gelebte kulturelle Vielfalt, also e<strong>in</strong>e kulturelle Vielfalt, die sich<br />

<strong>in</strong> der Praxis der unterschiedlichen Menschen bewährt und durch diese entsteht, kann die<br />

weitreichenden Ziele erreichen helfen, die man mit dieser Konvention anstrebt. Dies<br />

bedeutet allerd<strong>in</strong>gs auch, dass man sich über Zugangsmöglichkeiten und eventuelle -<br />

barrieren e<strong>in</strong>er solchen Teilhabe sehr viele Gedanken machen muss. Das bedeutet<br />

<strong>in</strong>sbesondere, f<strong>in</strong>anzielle, rechtliche, bildungsmäßige und auch geografische<br />

Zugangsbarrieren genauer zu reflektieren. Dies heißt dann aber auch, dass sich e<strong>in</strong>e der<br />

Vielfalt verpflichtete Kulturpolitik – und nur e<strong>in</strong>e solche kann es dann noch geben – sehr<br />

stark e<strong>in</strong>mischen muss <strong>in</strong> die Frage der Ressourcen und ihrer Verteilung, und dies nicht<br />

primär bei den Kulture<strong>in</strong>richtungen, sondern bei den Menschen, die man als Nutzer<br />

gew<strong>in</strong>nen muss. E<strong>in</strong>e solche Kulturpolitik der kulturellen Vielfalt ist also entschieden<br />

Gesellschaftspolitik.<br />

Das Fazit dieser Überlegungen besteht dar<strong>in</strong>, dass diese Konvention, wenn sie denn <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzt wird, notwendigerweise zu e<strong>in</strong>em bestimmten Konzept <strong>von</strong> Kulturpolitik führen muss,<br />

das neben der Frage der Ästhetik <strong>in</strong> der kulturellen Praxis <strong>in</strong>sbesondere auch die Frage der<br />

sozialen Gerechtigkeit e<strong>in</strong>schließt. Damit kann ich nur me<strong>in</strong>e These wiederholen: Die Arbeit<br />

<strong>in</strong> der Kulturpolitik und auch der Streit um die richtigen Konzeptionen und die Verteilung der<br />

Mittel fängt mit der Ratifizierung der Konvention erst an.<br />

Der Autor:<br />

<strong>Max</strong> <strong>Fuchs</strong>, <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>., Erziehungs- und Kulturwissenschaftler, Direktor der Akademie<br />

Remscheid, Vorsitzender der Bundesvere<strong>in</strong>igung Kulturelle Jugendbildung, des Deutschen<br />

Kulturrates und des Instituts für Bildung und Kultur, lehrt Kulturarbeit an der Universität<br />

Duisburg-Essen.<br />

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