Zwei Arten des Diskurses
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Zwei Arten des Diskurses
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Bild: International Institute of Social History, Amsterdam<br />
Karl Marx (1818 – 1883): „Kritik ist<br />
eine Waff e!“<br />
umkehrt: er wird vielmehr per nefas<br />
verfahren, also muß ich‘s auch“ (Schopenhauer<br />
1989, S. 12).<br />
Die Argumentation von Schopenhauer<br />
ist in eigenartiger Weise von<br />
Misstrauen gegenüber den anderen<br />
gekennzeichnet: Da jeder vermutet, der<br />
andere würde unfair argumentieren,<br />
die Wahrheit auf den Kopf stellen und<br />
sich seinen Anspruch, Recht zu haben,<br />
auf unfaire Weise erkämpfen, empfi ehlt<br />
Schopenhauer es diesem auch.<br />
Schopenhauers Empfehlungen umfassen<br />
37 + 1 „Kunstgriff e“. Das gipfelt<br />
in der Empfehlung (1989, S. 76ff .):<br />
„Wenn man merkt, daß der Gegner<br />
überlegen ist und man Unrecht behalten<br />
wird; so werde man persönlich,<br />
beleidigend, grob. Das Persönlichwerden<br />
besteht darin, daß man von dem<br />
Gegenstand <strong>des</strong> Streites (weil man da<br />
verlornes Spiel hat) abgeht auf den<br />
Streitenden und seine Person irgend<br />
wie angreift: man könnte es nennen<br />
argumentum ad personam, zum Unterschied<br />
vom argumentum ad hominem:<br />
dieses geht vom rein objektiven Gegenstand<br />
ab, um sich an das zu halten, was<br />
der Gegner darüber gesagt oder zugegeben<br />
hat. Beim Persönlichwerden aber<br />
verläßt man den Gegenstand ganz, und<br />
richtet seinen Angriff auf die Person<br />
<strong>des</strong> Gegners: man wird also kränkend,<br />
hämisch, beleidigend, grob.“<br />
Marx: Kritik als Waff e<br />
Das erinnert auch an Karl Marx (1818<br />
– 1883). Er schrieb in seinem Aufsatz<br />
„Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“:<br />
„Krieg den deutschen Zuständen!<br />
(…) Mit ihnen im Kampf ist die Kritik<br />
keine Leidenschaft <strong>des</strong> Kopfs, sie ist<br />
der Kopf der Leidenschaft. Sie ist kein<br />
anatomisches Messer, sie ist eine Waff e.<br />
Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie<br />
nicht widerlegen, sondern vernichten<br />
will. (…) Die Kritik, die sich mit diesem<br />
Inhalt befasst, ist die Kritik im Handgemenge,<br />
und im Handgemenge handelt<br />
es sich nicht darum, ob der Gegner ein<br />
edler, ebenbürtiger, ein interessanter<br />
Gegner ist, es handelt sich darum, ihn<br />
zu treff en.“ (Marx 1964, auch: Hinske<br />
1980, S. 59f., auch: Müller-Merbach<br />
1989, S. 53f., und 1995, S. 191).<br />
Die Entscheidung<br />
Jeder, der in Streitgespräche eingebunden<br />
sein wird (und das wird vermutlich<br />
für jeden zu erwarten sein), sollte sich<br />
Literatur<br />
[1] Hinske, N.: Kant als Herausforderung<br />
an die Gegenwart. Freiburg/München:<br />
Alber 1980, insbesondere Kapitel<br />
II: Kant und die Aufklärung – Kants<br />
Theorie von der Unmöglichkeit <strong>des</strong><br />
totalen Irrtums, S. 31 – 66.<br />
[2] Hinske, N.: Erinnerungen an Gesprächskultur,<br />
in: technologie &<br />
management, 38. Jg., 1989, H. 4,<br />
S. 9 – 10.<br />
[3] Kungfutse (Konfuzius): Gespräche –<br />
Lun Yü. München: Diederichs 1955<br />
(Dieses ist eine von vielen deutschen<br />
Ausgaben <strong>des</strong> Lun Yü.).<br />
[4] Marx, K.: Zur Kritik der Hegelschen<br />
Rechtsphilosophie, in: Marx, Karl, und<br />
Friedrich Engels: Werke, hrsg. von<br />
Institut für Marxismus-Leninismus<br />
beim ZK der SED, Bd. 1, Berlin 1964,<br />
S. 380f.<br />
[5] Müller-Merbach, H.: Immanuel Kant:<br />
Die Wahrheit im Irrtum, in: technologie<br />
& management, 38. Jg., 1989, H.<br />
3, S. 51 – 54.<br />
auf beide möglichen <strong>Arten</strong> <strong>des</strong> <strong>Diskurses</strong><br />
vorbereiten und sich in beiden<br />
Künsten <strong>des</strong> Argumentierens üben.<br />
Es ist u. a. eine Frage <strong>des</strong> Charakters,<br />
ob man den Anleitungen von Kant,<br />
Popper, Hinske, Schweitzer, Konfuzius<br />
usw. folgt und nach Erkenntnis strebt,<br />
Karl Marx: „Kritik ist kein<br />
anatomisches Messer, sie<br />
ist eine Waff e.“<br />
den moralisch besten Weg sucht und<br />
nach der Wahrheit forscht, oder ob man<br />
Machiavelli, Schopenhauer und Marx<br />
usw. folgt und den für den eigenen<br />
Nutzen aussichtsreichsten Weg wählt.<br />
Vorteilhaft ist es jedenfalls, beide Wege<br />
zu kennen, um in jedem Einzelfall wählen<br />
zu können.<br />
Anregungen mag die kleine Sammlung<br />
„Zitate zu Ethik und Wirtschaft“<br />
(Müller-Merbach 1990) geben.<br />
[6] Müller-Merbach, H.: Zitate zu Ethik<br />
und Wirtschaft, in: technologie &<br />
management, 39. Jg., 1990, H. 4, S.<br />
11 – 12.<br />
[7] Müller-Merbach, H.: Mitmenschen<br />
verstehen, um von ihnen zu lernen<br />
– zwölf Regeln von Sir Karl Popper,<br />
in: technologie & management,<br />
44. Jg., 1995, H. 4, S. 188 – 193.<br />
[8] Müller-Merbach, H.: Das eigene<br />
Leben auf das Leben aller anderen<br />
beziehen – In Erinnerung an Albert<br />
Schweitzer: Bewußt Mensch sein, in:<br />
technologie & management, 45. Jg.,<br />
1996, H. 4, S. 184 – 188.<br />
[9] Popper, K.: Rechte und Pfl ichten<br />
derer, die von ihren Mitmenschen<br />
lernen wollen, in: Aufklärung und<br />
Kritik, 1. Jg., 1994, H. 1, S. 119.<br />
[10] Schopenhauer, A.: Eristische Dialektik<br />
oder Die Kunst, Recht zu behalten,<br />
Zürich: Haff mans 1989.<br />
[11] Schweitzer, A.: Worte über das<br />
Leben (Sammelband). Freiburg/Br.:<br />
Herder 1990.<br />
MANAGEMENT<br />
technologie & management 01/2013 35