Skeide, O.: Nicht kompensierbare Faktoren, in - Maritz Research
Skeide, O.: Nicht kompensierbare Faktoren, in - Maritz Research
Skeide, O.: Nicht kompensierbare Faktoren, in - Maritz Research
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<strong>Research</strong><br />
Erfassung nicht <strong>kompensierbare</strong>r <strong>Faktoren</strong> <strong>in</strong> der<br />
Kundenzufriedenheitsforschung<br />
Wie nehmen Kunden e<strong>in</strong> Unternehmen wahr<br />
und welche <strong>Faktoren</strong> s<strong>in</strong>d für ihre Zufriedenheit<br />
besonders wichtig? Oliver <strong>Skeide</strong> stellt am<br />
Beispiel des Mobiltelefonmarktes e<strong>in</strong> Verfahren<br />
vor, das auf dem „Penalty-Reward“-Modell ba-<br />
siert und misst, wie viele „Strafpunkte“ (Penal-<br />
ties) Kunden für <strong>in</strong>akzeptable Leistungen und wie<br />
viele „Bonuspunkte“ (Rewards) sie für herausra-<br />
gende Leistungen vergeben würden.<br />
esearch & esults 3 · 2011<br />
Modelle, die die Kundenzufriedenheit und ihre E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />
abbilden, basieren üblicherweise auf l<strong>in</strong>earen kompensatorischen<br />
Ansätzen. Die E<strong>in</strong>flussfaktoren werden nach Bedeutsamkeit<br />
gewichtet und mit der für jeden Faktor erzielten Leistung multipliziert.<br />
Die Summe dieser Produkte ergibt dann die Zufriedenheit.<br />
Das heißt, wenn e<strong>in</strong> Unternehmen bei Attribut X schlecht abschneidet<br />
und bei Attribut Y hervorragende Werte erzielt, wird unter dem<br />
Strich die Gesamtzufriedenheit positiv ausfallen. Die schwache Leistung<br />
auf e<strong>in</strong>er Dimension kann durch die starke Leistung auf e<strong>in</strong>em<br />
anderen Gebiet ausgeglichen, also kompensiert werden. Doch entspricht<br />
diese Annahme der Realität?<br />
In Wirklichkeit erleben wir häufig, dass e<strong>in</strong>e besonders schlechte<br />
Leistung bereits ausreichen kann, um <strong>in</strong>sgesamt unzufrieden zu<br />
se<strong>in</strong>. Wie gut das Unternehmen auch auf anderen Dimensionen abschneidet<br />
– e<strong>in</strong> besonders negatives Ereignis verdirbt das gesamte<br />
wissen,<br />
was zählt<br />
Kundenerlebnis. Hier<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong>en<br />
„nicht <strong>kompensierbare</strong>n“<br />
Faktor, den<br />
selbst die Addition aller<br />
guten Leistungen nicht wieder<br />
wettmachen kann. Natürlich<br />
ist dies auch im positiven S<strong>in</strong>ne<br />
möglich. Die außergewöhnliche<br />
Leistung auf nur e<strong>in</strong>er Dimension<br />
wiegt sämtliche Unzulänglichkeiten<br />
auf, die ebenfalls festgestellt wurden.<br />
Bessere Prognose als bei<br />
traditionellen Verfahren<br />
In diesem Beitrag stellen wir e<strong>in</strong> Verfahren vor, das auch nicht<br />
<strong>kompensierbare</strong> <strong>Faktoren</strong> berücksichtigt und somit e<strong>in</strong> wesentlich<br />
besseres Verständnis davon liefert, wie Kunden e<strong>in</strong> Unternehmen<br />
Fotos: © Ray, Benjam<strong>in</strong> Thorn – Fotolia.com
wahrnehmen. Von <strong>Maritz</strong> <strong>Research</strong> durchgeführte<br />
Validierungsstudien haben belegt,<br />
dass der Ansatz e<strong>in</strong>e deutlich höhere Prognosegüte<br />
hat als traditionelle Verfahren.<br />
Unternehmen s<strong>in</strong>d dadurch <strong>in</strong> der Lage zu<br />
erkennen, worauf es dem Kunden wirklich<br />
ankommt. Weitere Vorteile unseres Ansatzes<br />
s<strong>in</strong>d:<br />
• Die Abfrage erfordert kaum zusätzliche<br />
Interviewzeit und ist für den Befragten<br />
e<strong>in</strong>fach und <strong>in</strong>tuitiv zu handhaben.<br />
• Die Modellierung erfolgt zunächst auf<br />
Individualbasis. Da nicht alle Kunden<br />
gleich s<strong>in</strong>d, ist nicht nur die Form der<br />
Analytik überlegen. Die gewonnene<br />
Datenbasis bildet zugleich auch e<strong>in</strong>e<br />
ideale Grundlage für darauf aufbauende<br />
Segmentierungen.<br />
Unser Ansatz beruht auf dem ursprünglich<br />
von Joffre Swait (1998) entwickelten „Penalty-Reward“-Modell.<br />
Zunächst bitten wir<br />
die Befragten um die Angabe ihrer Gesamtzufriedenheit.<br />
Dann fragen wir zufriedene<br />
oder begeisterte Personen, was ihnen besonders<br />
gefallen hat. Die unzufriedenen Kunden<br />
fragen wir, was so ärgerlich war, dass die<br />
Gesamterfahrung als negativ empfunden<br />
wurde. Für beides verwenden wir e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches<br />
Checklisten-Format, bei dem Befragte<br />
lediglich zustimmen müssen. Im Anschluss<br />
erfolgt die skalierte Beurteilung aller weiteren<br />
Leistungsattribute. Dabei werden nur<br />
Aspekte abgefragt, die im vorherigen Abschnitt<br />
nicht ausgewählt wurden. Somit ist<br />
gewährleistet, dass das Interview kompakt<br />
bleibt und e<strong>in</strong>en leicht zu folgenden Ab-<br />
lauf behält. In der Analyse stellen wir fest, welchen E<strong>in</strong>fluss<br />
die e<strong>in</strong>zelnen <strong>Faktoren</strong> auf die Zufriedenheit haben. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ermitteln wir, wie viele „Strafpunkte“ (Penalties)<br />
Kunden für <strong>in</strong>akzeptable Leistungen und wie viele „Bonuspunkte“<br />
(Rewards) sie für herausragende Leistungen vergeben<br />
würden.<br />
Wir erhalten somit:<br />
• Koeffizienten (Gewichtungen) für jedes Attribut,<br />
• e<strong>in</strong>e zusätzliche positive Gewichtung (Reward), wenn Be-<br />
fragte sagen, dass e<strong>in</strong> Attribut hervorragend war und zu e<strong>in</strong>em<br />
großartigen Erlebnis beigetragen hat,<br />
• e<strong>in</strong>e zusätzliche negative Gewichtung (Penalty), wenn Befragte<br />
Attribute anführen, die ihr Kundenerlebnis zerstört haben.<br />
Fallstudie aus dem<br />
Mobiltelefonmarkt<br />
E<strong>in</strong>e kürzlich von <strong>Maritz</strong> <strong>Research</strong> durchgeführte<br />
Studie im Mobiltelefonmarkt untersuchte<br />
die Kundenerfahrungen im E<strong>in</strong>zelhandelsumfeld<br />
der Anbieter. 300 Personen<br />
wurden direkt nach ihrem Besuch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Mobiltelefon-Shop befragt. Sie durchliefen<br />
e<strong>in</strong>en Fragebogen, anhand dessen wir<br />
im Rahmen unseres nicht kompensatorischen<br />
Modells die Gesamtzufriedenheit<br />
und Bewertungen für neun Attribute<br />
ermittelten. Mit e<strong>in</strong>er Kontrollgruppe<br />
von weiteren 300 Teilnehmern<br />
wurde e<strong>in</strong>e traditionelle<br />
Kundenzufriedenheitsuntersuchung<br />
durchgeführt, <strong>in</strong> der dieselben<br />
Attribute abgefragt wurden.<br />
Im Vergleich weisen die durch multiple<br />
Regression gewonnenen <strong>Faktoren</strong><br />
und jene unserer Penalty-Reward-Analyse<br />
<strong>Research</strong><br />
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Anzeige<br />
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<strong>Research</strong><br />
Attribut<br />
Verkäufer hatte die Infos, die<br />
ich brauchte<br />
deutliche Unterschiede auf. Im Penalty-Reward-Modell können wir<br />
drei E<strong>in</strong>flussfaktoren mit signifikanten Koeffizienten (blaue Zellen)<br />
feststellen (Abb. 1): Es s<strong>in</strong>d die Attribute „Verkäufer hatte die Infos,<br />
die ich brauchte“ (0,18), „Me<strong>in</strong> Telefon war vorrätig“ (0,07) und<br />
„Preis des Telefons“ (0,15). Die für die Kontrollgruppe (rote Zellen)<br />
im Rahmen der Standardmessung durchgeführte Regression ergibt<br />
ebenfalls drei signifikante Prädiktoren. Übere<strong>in</strong>stimmung besteht<br />
lediglich für das Attribut „Preis des Telefons“ (0,13). Die Regression<br />
weist die Attribute „Informationsmaterial“ (0,15) und „Freundlichkeit<br />
des Verkäufers“ (0,38) als signifikant aus, weicht also erheblich<br />
von der Penalty-Reward-Analyse ab.<br />
Doch welchen Ergebnissen ist nun zu vertrauen? E<strong>in</strong> Blick auf<br />
die Vorhersagewahrsche<strong>in</strong>lichkeit verrät es: Das Standardregressionsmodell<br />
der Kontrollgruppe weist bereits e<strong>in</strong> solides r 2 von 0,30<br />
auf, das Penalty-Reward-Modell besitzt jedoch e<strong>in</strong> überzeugendes<br />
r 2 von 0,65.<br />
Das Penalty-Reward-Modell liefert zudem auch Erkenntnisse darüber,<br />
welche Attribute das Erlebnis perfekt machen oder „ru<strong>in</strong>ieren“<br />
können. Wir erkennen, dass vier Aspekte erhebliches Potenzial<br />
besitzen, die Gesamterfahrung positiv zu gestalten, was von jeweils<br />
rund e<strong>in</strong>em Drittel so gesehen wurde. Die entsprechenden Bonuswerte<br />
rangieren im moderaten Bereich von 0,17 für „Professionalität<br />
des Verkäufers“ bis 0,26 für „Me<strong>in</strong> Telefon war vorrätig“.<br />
Auf der anderen Seite lassen sich fünf kritische <strong>Faktoren</strong> feststellen:<br />
„Verkäufer hatte die Infos, die ich brauchte“, „schnelle Bedienung“,<br />
„me<strong>in</strong> Telefon war vorrätig“, „Verb<strong>in</strong>dungstarife“ und „Informationsmaterial“.<br />
Das Attribut „Verkäufer hatte die Infos, die<br />
ich brauchte“ ist besonders relevant. Bei 33 Prozent der Befragten<br />
wurde hier die Kundenerfahrung nachhaltig bee<strong>in</strong>trächtigt, bei moderat<br />
hohen Strafpunkten. Bei den übrigen vier „heiklen“ Attributen<br />
ist der Anteil an Nennungen zwar ger<strong>in</strong>g, der Strafwert jedoch eher<br />
hoch. So wird beispielsweise das Attribut „schnelle Bedienung“ nur<br />
esearch & esults 3 · 2011<br />
Koeffizient<br />
nach<br />
Standard-<br />
regression<br />
Koeffizient<br />
nach nicht kompensatorischer<br />
Analyse<br />
Anteil der Befragten,<br />
denen das Attribut<br />
das Gesamterlebnis<br />
perfektionierte (<strong>in</strong> %)<br />
Reward<br />
(Bonuswert)<br />
Anteil der<br />
Befragten, denen<br />
das Attribut das<br />
Gesamterlebnis<br />
ru<strong>in</strong>erte (<strong>in</strong> %)<br />
von sechs Prozent der Befragten als besonders negativ wahrgenommen.<br />
Der Strafwert aber ist mit 0,96 der mit Abstand höchste der gesamten<br />
Befragung.<br />
Die wahren Treiber erkennen<br />
Das nicht kompensatorische Penalty-Reward-Modell von <strong>Maritz</strong> <strong>Research</strong><br />
bietet wertvolle Erkenntnisse darüber, was e<strong>in</strong> Kunde wahrnimmt<br />
und worauf es ihm wirklich ankommt. Dieses <strong>in</strong>novative<br />
Verfahren ermöglicht es uns, nicht nur die wahren Treiber der Zufriedenheit<br />
zu erkennen, sondern auch die Attribute zu identifizieren,<br />
die das Kundenerlebnis zum Top oder zum Flop werden lassen.<br />
Diese nicht <strong>kompensierbare</strong>n <strong>Faktoren</strong> zukünftig zu ignorieren,<br />
würde bedeuten, weniger zufriedene Kunden <strong>in</strong> Kauf zu nehmen<br />
und schlussendlich auf mögliche Gew<strong>in</strong>ne zu verzichten. ■<br />
Mehr Fachartikel zum Thema<br />
„Kundenzufriedenheit” unter<br />
www.research-results.de/fachartikel<br />
Oliver <strong>Skeide</strong><br />
verantwortet bei <strong>Maritz</strong> <strong>Research</strong> als <strong>Research</strong> Director<br />
branchenübergreifend die Ad-hoc-Forschung für Kunden<br />
des Institutes <strong>in</strong> Deutschland.<br />
www.maritzresearch.de<br />
Penalty<br />
(Strafwert)<br />
0,18 33 -0,40<br />
Me<strong>in</strong> Telefon war vorrätig 0,07 31 0,26 5 -0,68<br />
Preis des Telefons 0,13 0,15<br />
Verb<strong>in</strong>dungstarife 4 -0,48<br />
Informationsmaterial 0,15 30 0,25 1 -0,64<br />
Freundlichkeit des Verkäufers 0,38 39 0,22<br />
Professionalität des Verkäufers 34 0,17<br />
Schnelle Bedienung 6 -0,96<br />
Abb. 1 Quelle: <strong>Maritz</strong> <strong>Research</strong>