Etwas ist aus dem Lot geraten. Auch bei uns Erwachsenen. Wir sitzen in klimatisierten Büros ohne ausreichend Bewegung und starren den ganzen Tag auf Bildschirme. Je enger und unnatürlicher sich der Alltag am Arbeitsplatz gestaltet, desto mehr suchen wir nach Feierabend das Weite. Stadtmarathons melden Teilnehmerrekorde, Men- schen trainieren für ultraharte Triathlons. Fallschirm- springer stürzen sich aus Flugzeugen, Basejumper von Hochhäusern und Brücken und stellen anschließend die Videodokumente der verbotenen Heldentaten ins Inter- net. Unser Abenteuerbedarf treibt unappetitliche mediale Blüten: Im Fernseh-„Dschungelcamp“ essen ehemalige Prominente Würmer oder baden in Kakerlaken. Millionen schauen zu. Abenteuer im Alltag, allerdings aus zweiter Hand. Als Reinhold Messner alle Achttausender der Erde ohne Sauerstoff bezwang, hatte er keine Zuschauer. Es gibt ein paar Fotos, mehr nicht. Heute nehmen Berg-Abenteurer selbstverständlich die HD-Camera mit und vermarkten ihre Erfolge dann vor großem Publikum. Bei der „Euro- pean Outdoor Film Tour“ 2011 sah man den italienischen Bergsteiger Simone Moro mit seinem Film „Cold“ bei der ersten Winterbesteigung des Gasherbrum II. Trotz unvor- stellbarer Kälte bezwingt er den 8000er, man sieht ihn am Gipfel erschöpft zusammenbrechen und Blut husten. In dem Film „Kadoma“ von 2011 wird dokumentiert, wie der Abenteurer Hendrik Coetzee auf dem Kongo mit seinem Kanu von einem Krokodil angegriffen und getötet wird. Abenteuer führen den Menschen seit jeher in die Zonen zwischen Leben und Tod, also dorthin, wo man vernünfti- gerweise nie hin sollte. Unzählige Menschen haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, als sie neue Kontinente suchten, den Atlantik überquerten oder die Gipfel der Alpen er- oberten. In der Erinnerung bleiben nur die Sieger. Anderl Heckmair kennt man als Erstbesteiger der Eigernord- wand. Neun Bergsteiger hatten ihren Versuch vorher schon mit dem Leben bezahlt. Charles Lindbergh über- querte als erster den Atlantik mit einem Flugzeug. Die vielen, die es vor ihm versuchten und ertranken, bleiben namenlos. Aber was reizt Menschen am Abenteuer? „Warum schwe- ben Astronauten monatelang ungewaschen in Minizellen, die in jedem Gefängnis eine Revolte auslösen würden?“ fragt der Journalist Wolfram Siebeck. „Warum lässt Rein- hold Messner seine Zehen auf dem Himalaya erfrieren? Warum bleibt er nicht dort, wo es warm ist, wo es Doppel- betten gibt und frisches Gemüse?“ 16 – 02/12 DAS MAGAZIN DER CREATIVEN INNENEINRICHTER Reinhold Messner gab mir auf diese Frage in einem Inter- view einmal eine überraschende Antwort: „Meine stärks- ten Emotionen habe ich nicht am Gipfel, sondern bei der Rückkehr ins Lager“, sagte er. Lebend aus der Todeszone der 8000er in das Lager zurückzukehren, das sei die stärkste Erfahrung. Wieder ins Leben eintauchen, dorthin zurückkommen, wo etwas wächst, wo es grün ist, wo Gerüche sind. Er geht in die Todeszone, um bei der Rück- kehr das Leben wiederzufinden. Der Seiltänzer Philippe Petit spannte in 400 Meter Höhe illegal ein Seil zwischen die beiden Türme des World Trade Centers, die damals noch im Rohbau standen. Der Schritt auf das Seil ist sein Schritt in die Todeszone. „Auf dem Seil ist der Tod immer dabei. Das ist gut, denn so muss man die Sache ernst nehmen“, meinte Petit. Offenbar sind es diese starken Gefühle, die Menschen im Abenteuer suchen. Und nur, wer sich dem Ungewissen aussetzt, erlebt sie. An den Grenzen und dahinter können wir das Außergewöhnliche finden. Ich selbst habe seit 25 Jahren eine Privatpilotenlizenz. Für mich ist jeder Stre- ckenflug zumindest ein kleines Abenteuer. Natürlich habe ich alles getan, um das Risiko auszuschalten, habe das Wetter eingeholt, den Motor gecheckt. Aber dann hat der Alpenpass Richtung Mittelmeer doch ein Wolkenloch, viel kleiner als vorhergesagt, oder die schwarze Gewitter- wolke nötigt zu einem Umweg, und der Sprit wird knapp bis Korsika. Die Stunde über der endlosen Weite des Was- sers hinter Genua in der Abendsonne ist wunderbar. Aber: Waren das nicht gerade kleine Zündaussetzer im Motor? Was, wenn der Motor stehen bleibt, ich habe ja nur einen? Je dunkler die Wolken waren, je enger die Sicherheitsmar- gen, desto stärker ist das Glücksgefühl, im Dunst recht- zeitig die Landebahn der Insel auftauchen zu sehen und zu wissen: Du wirst es schaffen. Ein Gewitter im Gebirge mag beim Wanderer die gleichen Gefühle von Risiko, Angst und Aufatmen erzeugen. Frauen berichten davon, wenn sie an die Geburt ihrer Kinder denken. Trotz High- Tech-Medizin bleibt es ein existenzielles Abenteuer – zwi- schen Leben und Tod. Dass wir trotz Risiko immer wieder das Abenteuer su- chen, die Gefahr in Kauf nehmen, das gehört zum Menschsein. Wir haben zwei Seelen in unserer Brust: dort zu sein, wo es „Doppelbetten gibt und frisches Gemüse“, und immer wieder Wagnisse einzugehen, Mut zu zeigen. Wir sind das Kind am Rockzipfel der Mutter und zugleich das Kind, das gern wissen möchte, was eigentlich hinter dem Berg ist … Der Schriftsteller André Gide hat es so gesagt: „Man entdeckt keine neuen Weltteile, ohne den Mut zu haben, alle Küsten aus den Augen zu verlieren.“
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