Psychiatrische Notfälle [PDF]
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Postgraduale Weiterbildung Psychiatrie<br />
(PGW): Grundkurs<br />
<strong>Psychiatrische</strong> <strong>Notfälle</strong><br />
(Notfallpsychiatrie)<br />
Dr. med. Georg Löffelholz<br />
Oberarzt<br />
23.02.2012
Gliederung<br />
> Begriffsdefinition<br />
> Syndrome<br />
> Notfalluntersuchung & Diagnostik<br />
> Allg. Therapieprinzipien<br />
> Fallbeispiele
Begriffsdefinitionen<br />
> Was ist ein Notfall?
Begriffsdefinitionen<br />
> Was ist ein psychiatrischer Notfall?<br />
Zustand, der häufig durch eine psychiatrische<br />
Störung oder Krankheit bedingt ist und einen<br />
unmittelbaren Handlungszwang zur Abwendung von<br />
Lebensgefahr und/oder anderer schwerwiegender<br />
Folgen mit sich bringt.<br />
» Erfordert eine sofortige, an der akuten<br />
Symptomatik orientierte, gezielte Therapie,<br />
um Gefahr für die Gesundheit des Patienten<br />
und evtl. anderer Personen abzuwenden.<br />
Laux und Berzewski, aus Möller, Laux, Kapfhammer (2010); Psychiatrie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer
Begriffsdefinitionen<br />
> <strong>Psychiatrische</strong> Krise<br />
In geringerem Ausmaß durch direkte vitale Bedrohung<br />
gekennzeichnet. Im Vordergrund steht vielmehr das<br />
Fehlen oder das Zusammenbrechen individueller u./o.<br />
sozialer Bewältigungsstrategien im Rahmen belastender<br />
Krankheits- bzw. Umbebungsbedingungen.<br />
Aufgabe der psychiatrischen Krisenintervention ist es, in<br />
mehreren Schritten, innerhalb von Tagen oder Wochen,<br />
eine auch ursächliche Veränderung der zugrundeliegenden<br />
Bedingungen zu erreichen.<br />
Laux und Berzewski, aus Möller, Laux, Kapfhammer (2010); Psychiatrie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer
Notfall und Krise<br />
Notfallsituation<br />
Medizinischpsychiatrische<br />
Dimension<br />
Soziale Dimension<br />
Persönlichkeitsfaktoren<br />
Ärztliches<br />
Gespräch<br />
Notfalltherapie<br />
Pharmakotherapie<br />
Einwilligung Gefahr im Verzug:<br />
„Sicherungsmassnahme“<br />
Notfall<br />
Krise<br />
Massnahmen betreffend<br />
Umgebung<br />
Rechtliche Situation<br />
Ärztliche FFE Regierungsstatthalterliche<br />
FFE<br />
Weiterbehandlung<br />
Ohne spezifische Behandlung<br />
Ambulante nichtärztliche<br />
Massnahmen<br />
Ambulante ärztliche<br />
Massnahmen<br />
Hospitalisation freiwillig<br />
Hospitalisation unfreiwillig<br />
Laux und Berzewski, aus Möller, Laux, Kapfhammer (2010); Psychiatrie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer
Epidemiologie<br />
Häufigkeit von psychiatrischen Krisen und <strong>Notfälle</strong>n<br />
> Umfangreiche empirisch fundierte Erhebungen fehlen!<br />
> Grossteil psychiatrischer NF und Krisen ausserhalb<br />
klinischer Institutionen: Notärzte und Rettungsdienste<br />
> Zweit resp. dritthäufigste Einsatzursache: Anteil 12-16%<br />
> Häufigste psychiatrische NF im Notarzt-/Rettungsdienst:<br />
Alkoholintoxikationen (ca. 20-30%)<br />
Erregungszustände (ca. 15-25%)<br />
Suizidalität/Suizidversuche (ca. 15-25%)<br />
Pajonk et al., 2001 et 2004
Epidemiologie<br />
Gründe für die Konsultation eines psychiatrischen<br />
Notfall- und Krisendienstes<br />
> 57% Auswirkungen einer bestehenden<br />
psychiatrischen Erkrankung (v.a. Schizophrenie<br />
und Suchterkrankungen)<br />
> 25% zwischenmenschliche Konflikte<br />
> 23% Alkoholmißbrauch<br />
> 22% „seelische Krise“<br />
> 17% St.n. Suizidversuch<br />
> 13% Suizidalität<br />
(Häfner und Rössler 1987)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Syndromale Dimensionen<br />
Akute bis mittelbare Selbst- und/oder Fremdgefährdung<br />
Erregungszustände:<br />
Psychotische Störungen (z.B. akut-polymorph, Schizophrenien)<br />
Affektive Störungen und Angststörungen (z.B. Manie, aber auch<br />
agitierte Depression, Panikstörung etc.)<br />
Intoxikationen (z.B. C-2, Kokain, Amphetamine, Misch-Intoxikation)<br />
Organische Ursache (z.B. Demenzen, Delir, somatisch/neurologische<br />
Erkrankungen)<br />
Psychogene Reaktionen im Rahmen von akuten<br />
Belastungsreaktionen oder Persönlichkeitsstörungen<br />
Pajonk et al., 2001 et 2004
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Syndromale Dimensionen<br />
Akute bis mittelbare Selbst- und/oder Fremdgefährdung<br />
Suizidalität (z.B. Depressionen, Anpassungsstörung,<br />
psychosoziale Belastung, Persönlichkeitsstörungen)<br />
Bewusstseinsstörungen (z.B. Delir)<br />
Stupor und psychoreaktive Zustandsbilder (z.B.<br />
kakatoner Stupor, dissoziative Zustandsbilder)<br />
Pajonk et al., 2001 et 2004
Besonderheiten psychiatrischer<br />
<strong>Notfälle</strong><br />
Situative Aspekte des <strong>Psychiatrische</strong>n Notfalls:<br />
> Gespräch oder Behandlung (im Einverständnis mit Patienten)<br />
ist häufig deutlich erschwert oder wird verweigert<br />
> Zeitverhältnisse („Zeitdruck“)<br />
> Druck des sozialen Umfelds (z.B. Angehörige, Pflege etc.)
Besonderheiten psychiatrischer<br />
<strong>Notfälle</strong><br />
Allgemeine Vorgehens- und Verhaltensregeln bei<br />
<strong>Psychiatrische</strong>n <strong>Notfälle</strong>n:<br />
> Ruhiges und besonnenes Auftreten (kein „Heldentum“)<br />
> Informationen einholen (z.B. anwesende Angehörige, Personal,<br />
u.U. Patient selbst, z.B. via Verhaltensbeobachtung)<br />
> Ausreichend personelle Unterstützung organisieren<br />
> Sicherung der Situation: Im Zweifelsfall als Grundlage für<br />
weiteres Vorgehen die gefährlichste Variante annehmen!<br />
> Sofern Abwendung der Gefahrensituation nicht anders<br />
möglich:<br />
Sicherungsmassnahmen („Gefahr im Verzug“) oder<br />
Zwangsmassnahmen (ärztliche/ordentliche FFE)
Notfalluntersuchung<br />
> Erhebung der Notfallanamnese und des<br />
psychopathologischen Befunds:<br />
- abhängig von der Situation und den Möglichkeiten des<br />
Patienten, nötigenfalls auf das dominierende psychopathologische<br />
Befundbild fokussiert: Bewusstseinslage,<br />
Auffassung, formales/inhaltliches Denken, Affektivität<br />
Wahrnehmungsstörungen<br />
> Körperlich-neurologische Untersuchung:<br />
Äusseres Erscheinungsbild, vegetative Elementarfunktionen (Puls,<br />
Atmung, Temperatur, Tremor, Hyperhidrosis, Hautfarbe und -turgor,<br />
Pupillen), Verletzungen (z.B. Schnittverletzungen/Einstiche),<br />
Anhalt für<br />
- Drogen, Alkohol, Medikamente<br />
- Metabolische Ursachen (Hypoglykämie Aggressivität!)
Notfalluntersuchung<br />
> Apparative Untersuchungen (z.B. EKG, cCT, Labor etc.)<br />
> Fremdanamnese/Informationen einholen (z.B. Angehörige,<br />
Bezugspersonen, ambulanter Psychiater/Hausarzt etc.)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Symptomatik Erregungszustände<br />
Steigerung von Antrieb und Psychomotorik<br />
(z.B. ständiges Auf- und Abgehen, Ringen der Hände,<br />
„Herumfuchteln“ mit den Armen etc.)<br />
Affektive Erregung bis Enthemmung<br />
(z.B. aggressive/verzweifelte/distanzlose Äusserungen,<br />
psychomotorische Anspannung wie Ballen der Fäuste etc.)<br />
Kontrollverlust mit evtl. raptusartigen gewalttätigen<br />
Ausbrüchen<br />
(gerichtete bis ungerichtete vorwiegende Fremdaggressivität,<br />
aber auch Autoaggressivität)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Verhalten bei Erregungszuständen<br />
Ruhiges und besonnenes Auftreten beim Erstkontakt!<br />
Ausmaß und unmittelbare Bedrohung von Personen<br />
durch den Patienten (z.B. Angriff auf Bezugspersonen,<br />
Tragen von Waffen, Äußerungen über beabsichtigte<br />
Aggressionen etc.)<br />
Maßnahmen, um die Sicherheit von Personal und<br />
Bezugspersonen zu gewährleisten (z.B. Fixierung)<br />
Klärung der Bewußtseinslage, da bei Erregten mit<br />
Bewußtseinsstörungen mit überraschenden<br />
aggressiven Durchbrüchen zu rechnen ist<br />
Berzewski; 1996
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Verhalten bei Erregungszuständen<br />
Reizabschirmung (den Pat. in eine ruhige und ungestörte<br />
Atmosphäre bringen, gegebenenfalls von Bezugspersonen,<br />
Angehörigen trennen)<br />
Abklärung der Bereitschaft zu einem Gespräch und zu<br />
einer körperlichen Untersuchung<br />
Berzewski; 1996
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Verhalten bei Erregungszuständen<br />
Ruhe und Zeit für die Exploration einräumen sowie<br />
klare Vermittlung des geplanten therapeutischen<br />
Vorgehens.<br />
CAVE: Zu forsches Auftreten kann die Aggressivität<br />
steigern (sicheres und ruhiges Auftreten besser)<br />
Keine Selbstüberschätzung, stattdessen rechtzeitig<br />
Helfer (Pflegepersonal, Polizei) heranziehen<br />
Berzewski; 1996
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Erregungszuständen<br />
Bei indizierter Pharmakotherapie: Grundsätzlich<br />
Versuch einer oralen Gabe, falls nicht möglich,<br />
parenterale Gabe (i.v./i.m.)<br />
Psychotische Störungen:<br />
1. Sedation/Anxiolyse mittels Benzodiazepinen z.B.:<br />
Diazepam (p.o.): 10-20mg; (i.v.): 10-40mg<br />
Lorazepam (p.o.): 1-5mg; (i.m.): 2-4mg<br />
2. Antipsychotische Behandlung z.B.:<br />
(p.o.): Risperidon, Olanzapin, Amisulprid, Haloperidol etc.<br />
(i.m.): Olanzapin, Aripiprazol, Haloperidol, Zuclopenthixol etc.
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Erregungszuständen<br />
Psychotische Störungen:<br />
3. Affektsedation (v.a. paranoid-gespannte ZSB)<br />
Valproat (p.o./i.v.)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Erregungszuständen<br />
Affektive Störungen<br />
Manie ohne psychotische Symptome:<br />
mood-stabilizer: Valproat (p.o./i.v.), evtl. AAP<br />
Manie mit psychotischen Symptomen:<br />
mood-stabilizer (Valproat p.o./i.v.) plus AAP<br />
Agitierte Depression:<br />
Versuch z.B. mittels Benzodiazepine; v.a. aber<br />
suffiziente antidepressive Behandlung!!!
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Erregungszuständen<br />
Intoxikationen<br />
Weiteren Substanzkonsum/-zufuhr verhindern!!!<br />
Bei Aggressivität Gabe von<br />
NL/AAP z.B. Haloperidol (cave: bei C-2 keine Benzodiazepine)<br />
Organische Ursache (z.B. Demenzen, Delir, somatisch/<br />
neurologische Erkrankungen): Ursache behandeln!!!<br />
Abhängig von Symptomatik und Grunderkrankung:<br />
- Benzodiazepine (cave Delir; Demenzen, Clozapin-Behandlung)<br />
- AAP/NL (cave: Morbus Parkinson, Lewy-Körperchen Demenz,<br />
keine niederpotenten NL bei Demenzen)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Erregungszuständen<br />
Psychogene Reaktionen im Rahmen von akuten<br />
Belastungsreaktionen oder Persönlichkeitsstörungen<br />
Kommunikation (z.B. Klärung der Ursache, „talking down“,<br />
Gesten wie z.B. Zigarette rauchen lassen etc.)<br />
Fakultativ und abhängig von Ätiologie/Symptomatik<br />
- Benzodiazepine<br />
- AAP/NL<br />
- mood-stabilizer
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Suizidalität<br />
Suizid: absichtliche (erfolgreiche) Selbsttötung<br />
Suizidversuch: die Selbsttötung kann beabsichtigt sein,<br />
oder das suizidale Verhalten ist „nur“ Ausdruck des<br />
Wunsches nach Ruhe. Sie kann auch durch den<br />
Impuls, sich zu verletzen ohne Tötungsabsicht<br />
verursacht sein (Parasuizid).<br />
Suizidideen = Nachdenken über Tod, Todeswünsche bis<br />
Pläne.<br />
Erweiterter Suizid = Tötung fremder und der eigenen<br />
Personen.
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Suizidalität<br />
Cave: Suizide treten in einigen Fällen raptusartig auf (v.a.<br />
bei Schizophrenien, melancholische Depression), in<br />
der Regel aber findet sich eine suizidale Entwicklung<br />
nach Pöldinger unterscheidet man folgende Phasen:<br />
Phase der Erwägung von Suizid<br />
Phase der Möglichkeit des eigenen Suizids<br />
Phase der Ambivalenz<br />
Phase des Entschlusses
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Suizidalität<br />
Das präsuizidale Syndrom (nach Ringel) ist<br />
gekennzeichnet durch:<br />
zunehmende Einengung von Verhalten, Affekt,<br />
zwischenmenschliche Beziehungen<br />
Aggressionsstau und Wendung der Aggression<br />
gegen das eigene Ich<br />
Suizidphantasien und Suizidpläne und -impulse<br />
80% der Menschen, die einen Suizidversuch begehen,<br />
haben ihn vorher angekündigt, etwa 30-40% der<br />
Suizidopfer haben einen SV in der Vorgeschichte!
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Suizidalität<br />
Pathogenetische Erklärung von Suizidalität ist<br />
multifaktoriell:<br />
soziale Faktoren<br />
psychologische Faktoren<br />
biologische Faktoren<br />
Prädiktoren für suizidales Verhalten sind:<br />
Vorangegangener SV<br />
Vorangegangene psychiatrische Behandlung<br />
Suchterkrankung<br />
Persönlichkeitsstörung
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie bei Suizidalität<br />
Zentraler Aspekt ist die Herstellung einer hilfreichen,<br />
tragfähigen Beziehung!<br />
Suizidale Patienten neigen dazu, ihnen angebotene Hilfe<br />
nicht wahrzunehmen oder abzulehnen, und zwar um so<br />
häufiger, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem<br />
Suizidversuch und dem therapeutischen Angebot ist.<br />
Die Beziehung zum Pat. umfaßt:<br />
Fürsorge und Schutz<br />
Klärung von Konflikten<br />
Medizinische Versorgung/ Diagnose und Therapie<br />
einer zugrundeliegenden psychiatrischen Störung
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie bei Suizidalität<br />
Pharmakotherapie abhängig von zugrunde liegender<br />
psychischer Störung:<br />
Sedation/Anxiolyse<br />
- Benzodiazepine<br />
Je nach zugrunde liegender psychischer Störung Einsatz<br />
von:<br />
- AAP/NL<br />
- Antidepressiva<br />
- mood-stabilizer<br />
Bei nicht gegebener verbaler Erreichbarkeit und/oder<br />
Absprachefähigkeit: Sicherung (z.B. 1:1 Betreuung, 5-PF )
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Bewusstseinsstörungen<br />
Definition:<br />
Bewußtseinsstörungen sind ein Leitsymptom akuter<br />
symptomatischer oder organischen Psychosen.<br />
Sie schließen in der Regel das Vorliegen einer<br />
funktionellen Psychose oder einer psychoreaktiven<br />
Störung aus.<br />
Die Bewußtseinsstörung ist eine unspezifische<br />
Reaktionsweise des Gehirns auf zahlreiche mögliche<br />
körperliche Erkrankungen oder Noxen.
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Bewusstseinsstörungen<br />
Quantitative Bewußtseinsstörungen (Zustände<br />
verminderten Bewußtseins, der „Wachheit“):<br />
- Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma<br />
Qualitative Bewußtseinsstörungen (Zustände veränderten<br />
Bewußtseins): zeitlich begrenzte, Sekunden bis Wochen<br />
anhaltende Bewußtseinsstörungen, bei denen der Patient<br />
handlungsfähig bleibt:<br />
- Delir, Dämmer- und Verwirrtheitszustände z.B. Epilepsie
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Bewusstseinsstörungen<br />
Qualitative Bewußtseinsstörungen<br />
häufig in Zusammenhang mit Epilepsien (Status nonconvulsivus),<br />
Symptomatik: Pat. bewegt sich<br />
„traumwandlerisch“, verlangsamte, automatenhafte<br />
Bewegungen, versonnen träumerisches Verhalten,<br />
abrupte Erregungszustände.<br />
Verminderte Steuerungsfähigkeit (Gewalttaten,<br />
sexuelle Enthemmung). Amnesie.
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Bewusstseinsstörungen<br />
Quantitative Bewußtseinsstörungen:<br />
Diagnostische Abklärung steht im Vordergrund (cave:<br />
Psychopharmaka sind relativ kontraindiziert, Ausnahme Delir)<br />
Sicherstellung der regelmäßigen Überwachung der<br />
Vitalfunktionen bis Zustand abgeklungen ist.<br />
Bei persistierenden Vigilanzstörungen älterer Patienten<br />
evtl. Behandlungsversuch mit Antidementiva/Nootropika
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Therapie von Bewusstseinsstörungen<br />
Qualitative Bewußtseinsstörungen<br />
Diagnostik (EEG, evtl. cCT/MR)<br />
Antikonvulsiva und Benzodiazepine
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Delir (Lat. delirare für „verrückt sein“)<br />
Akutes organisches Psychosyndrom mit Fluktuation<br />
der Symptomatik (innerhalb von Stunden bis Tagen) in<br />
Zusammenhang mit einer körperlichen Erkrankung mit<br />
Störung in den Bereichen:<br />
- Bewusstsein<br />
- Aufmerksamkeit / Kognition / Mnestik<br />
- Psychomotorik<br />
- Schlaf- Wachrhythmus
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Delir<br />
Epidemiologie: Prävalenz deutlich altersabhängig (2/3<br />
der Fälle über 65 LJ):<br />
- Allgemeinbevölkerung ca. 1-2%<br />
- steigt mit dem Alter deutlich an und liegt bei den 85-<br />
Jährigen und Älteren bei ca. 14%<br />
Ätiologie: multifaktoriell, prädisponierende Faktoren sind<br />
vorbestehende kognitive Leistungsminderung/Demenz<br />
hohes Lebensalter aber auch u.a.<br />
Dehydratation, Mangelernährung, Alkoholmissbrauch,<br />
Polypragmasie, OP, Infektionen, Hypoxie, Schock, Fieber
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Delir Symptomatologie<br />
- Störung des Bewusstseins (wechselhafte Bewusstseinslage)<br />
- herabgesetzte Aufmerksamkeit<br />
- Störung der Kognition<br />
- Gedächtnisdefizite, Störung des Denkvermögens<br />
- Störung der Orientierung (Desorientierung)<br />
- Wahrnehmungsstörung (Illusionen, Halluzinationen)<br />
- Störung der Psychomotorik („Nesteln)<br />
- Störung des Schlaf-Wachrhythmus<br />
- Autonome Dysregulation (z.B. Hypertonie, Arrhythmie,<br />
Schwitzen, Blässe/Erröten, Übelkeit, Emesis, Hyperthermie etc.)
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Delir Therapie<br />
CAVE Potenziell lebensbedrohlich! Maßnahmen:<br />
A genaue Anamnese inkl. somatische Abklärung (u.a.<br />
somatische Grunderkrankungen, körperlicher Untersuchungsbefund,<br />
Labor- und Zusatzbefunde etc.)<br />
B Behandlung/Beseitigung der auslösenden Faktoren<br />
(z.B. HWI, Absetzen nicht notwendiger Medikamente etc.)<br />
C Monitoring der Vitalfunktionen (z.B. RR, Puls,Bioxx etc.)<br />
D Flüssigkeitsbilanzierung /-substitution
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Delir Therapie<br />
E symptomatische Behandlung z.B. von Unruhe,<br />
Agitation, Halluzinationen mit Antipsychotika:<br />
- Haloperidol (Evidenzgrad A), z.B. 0,5-1mg 2x/die (cave NW<br />
Qtc, Lewy-B. Demenz)<br />
- Risperidon z.B. 0,5mg 2x/die<br />
- Olanzapin z.B. 25-5mg/die<br />
- Quetiapin z.B. 25mg 2x/die (cave: off label use >65. Lj; z.B.<br />
bei Lewy-B./Parkinson Demenz)<br />
F substanzinduziertes Delir (v.a. Alkohol)<br />
Clomethiazol (4-8x/die 2 Kapseln Distraneurin®)<br />
bei notwendiger parenteraler Behandlung:<br />
Diazepam/Lorazepam plus Haloperidol, fakultativ Clonidin
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
> Stupor und psychoreaktive Zustandsbilder<br />
Stupor: Mutismus mit weitgehend fehlender<br />
Spontanmotorik (Mimik und Gestik)<br />
Vorkommen v.a. bei<br />
- Katatonien (cave perniziöse Katatonie)<br />
- Depressionen<br />
Behandlung des Stupors abhängig von Grunderkrankung:<br />
- Katatoner Stupor: Benzodiazepine (Lorazepam)/AAP<br />
bei perniziöser Katatonie: EKT<br />
- Stupor bei depressiven Syndromen: Benzodiazepine<br />
Dissoziative Störungen
<strong>Psychiatrische</strong>r Notfall<br />
Pharmakotherapie<br />
> Bei Wahl eines Psychopharmakons immer mögliche<br />
Interaktionen beachten!<br />
www.pharmavista.net<br />
www.psychiatrische-pharmakotherapie.de<br />
www.drugdigest.org
Fallbeispiele
Fallbeispiel I<br />
Aktuelle Anamnese:<br />
32-jähriger Patient wird via Notfallarzt zugewiesen, nachdem er unbekleidet,<br />
agitiert und desorientiert in einem Studentenwohnheim angetroffen wurde. Der<br />
Patient hatte einzig einen Plastik-Beutel mit Medikamenten bei sich (Seroquel<br />
und Orfiril Blister). Weitere Angaben waren nicht zu erheben.<br />
Somatische und <strong>Psychiatrische</strong> Vorgeschichte:<br />
Initial keine Angaben vorhanden<br />
Fremdanamnese<br />
Via Eltern in der Nähe von Basel lebend (polizeilich ermittelt):<br />
Ihr Sohn lebe seit zwei Jahren in Bern, sei studierter Wirtschaftsinformatiker und sei in<br />
gehobener Funktion eines internationalen Unternehmens tätig, die Eltern können sich die<br />
Ereignisse nicht erklären, ihr Sohn sei ihres Wissens vollkommen gesund –insbesondere<br />
keine psychische Erkrankung, habe nie Probleme gehabt, sei sehr leistungsbewusst und<br />
stets viel am Arbeiten. Insbesondere kein Konsum von Drogen oder Alkohol (sei strikter<br />
Gegner) Letzter Kontakt unauffällig vor drei Tagen via Telefonat.
Fallbeispiel I<br />
Untersuchungsbefunde:<br />
Körperlicher Untersuchungsbefund:<br />
Atemalkoholgehalt bei Eintritt 0,0 Promille. Kardiopulmonal kompensiert (RR 137/81, Puls 99,<br />
Bioxx 97%), keine abdominelle Pathologie feststellbar, Cutis und enoral unauffällig,<br />
neurologisch leicht gesteigertes jedoch symmetrisches Reflexniveau, restlicher Neurostatus<br />
soweit unauffällig.<br />
Psychopathologischer Befund bei Eintritt:<br />
32-jähriger Patient, Bewusstsein quantitativ und qualitativ deutlich herabgesetzt resp. beeinträchtigt, dies<br />
mit deutlicher Schwankung im zeitlichen Verlauf. Orientierung entsprechend herabgesetzt resp. aufgehoben.<br />
Aufmerksamkeit und Konzentration deutlich eingeschränkt bis annähernd aufgehoben. Mnestik und<br />
Intelligenz nicht prüfbar. Formaler Gedankengang inkohärent mit Danebenreden, phasisch vereinzelt adäquat<br />
wirkend. Inhaltliches Denken nicht detailliert prüfbar, jedoch keinen Anhalt für Wahn. Wahrnehmungs<br />
störungen in Form von Illusionen (z.B. Nachttisch sei Büroschrank) und Personenverkennungen (u.a.<br />
anwesender Pflegerin sei Freundin), ausgeprägte optische Halluzinationen (sieht phasisch u.a. Computer auf<br />
der Bettdecke, schreibt auf diesem, sieht Fernseher an Zimmerdecke, schaut dort Formel 1 etc.). Kein Anhalt<br />
für Ich-Störungen. Affektiver Rapport kaum herstellbar bei wechselhafter Stimmungslage von euthym bis<br />
leicht dysphorisch. Psychomotorisch stark wechselhaft, nestelnde Bewegungen der Hände, phasisch<br />
deutliche Agitation, dann wieder ruhig und in sich gekehrt. Selbst- und Fremdgefährdung im Rahmen des<br />
Zustandsbildes gegeben.
Fallbeispiel I<br />
Laborbefunde:<br />
Klinische Chemie, Hämatologie und restliche Laborparameter weitgehend im Normbereich.<br />
Urinstatus inkl. Drogenscreening (Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Cannabinoide, Kokain,<br />
Methadon, Opiate) bland<br />
EKG:<br />
Tachykarder SR mit Frequenz 105/min mit normaler Erregungsausbreitung und -rückbildung<br />
Medikation vor Eintritt<br />
Unklar<br />
Arbeitshypothese????<br />
GEIGNETES PROZEDERE????
Erregungszustände: wichtige<br />
Grunderkrankungen I<br />
> Organische psychische Störungen<br />
> Dementielle Syndrome<br />
> Akute organische Psychosyndrome: u.a. bei Epilepsie, Hypoglykämie und<br />
sonstigen internistischen oder neurologischen Grunderkrankungen<br />
> Organische Wesensänderungen bei diffuser oder fokaler zerebraler<br />
Schädigung<br />
> Medikamentös induzierte Zustandsbilder: u.a. unter Neuroleptika<br />
(Akathisie), Benzodiazepinen (paradoxe Reaktionen), Anticholinergika<br />
> Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope<br />
Substanzen<br />
> Intoxikationen, u.a. durch Alkohol, Cannabinoiden, Psychostimulanzien,<br />
Halluzinogene<br />
> Entzugssyndrome, z.B. bei Alkohol-, Opioid- Sedativa- oder<br />
Hypnotikaentzug<br />
> Substanzinduzierte psychotische Zustandsbilder<br />
> Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Substanzgebrauch
Erregungszustände: wichtige<br />
Grunderkrankungen II<br />
> Psychosen des schizophrenen Formenkreises, z.B. paranoidhalluzinatorische<br />
Zustandsbilder, katatone Erregungszustände<br />
> Affektive Störungen: manische Syndrome, agitierte Depressionen<br />
> Neurotische Störungen und Belastungsreaktionen: v.a.<br />
Angststörungen, akute und posttraumatische Belastungsreaktionen<br />
> Persönlichkeitsstörungen, v.a. vom paranoiden, dissoziativen,<br />
narzisstischen und emotional-instabilen Typus (mit<br />
Impulskontrollstörung)<br />
> Minderbegabung der unterschiedlichen Schweregrade