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Die verändernde Kraft des Evangeliums - Worshipworld.de

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Tikkun Olam: Heilung <strong>de</strong>r Welt<br />

Jüdische Ansätze zur Gesellschaftsverän<strong>de</strong>rung<br />

Guido Baltes<br />

Es gehört zu <strong>de</strong>n spannen<strong>de</strong>n Erfahrungen je<strong><strong>de</strong>s</strong> Dialogs, dass man<br />

im an<strong>de</strong>ren oft gera<strong>de</strong> das ent<strong>de</strong>ckt, was man bei sich selbst vermisst.<br />

Auch im jüdisch-christlichen Gespräch ist diese Erfahrung nicht selten:<br />

Wenn Christen anfangen, die jüdische Welt <strong><strong>de</strong>s</strong> Neuen Testaments<br />

besser zu verstehen, ent<strong>de</strong>cken sie darin nicht selten Aspekte,<br />

die <strong>de</strong>m Christentum im Lauf <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte verloren gingen, weil<br />

es sich mehr und mehr von seinen jüdischen Ursprüngen entfernte.<br />

Und viele Christen sind überrascht, wenn sie dann bei <strong>de</strong>n jüdischen<br />

Zeitgenossen Jesu (o<strong>de</strong>r auch bei ihren eigenen jüdischen Zeitgenossen)<br />

genau die Werte und Überzeugungen ent<strong>de</strong>cken, die sie selbst<br />

immer für genuin christlich hielten – o<strong>de</strong>r die sie in ihrer eigenen<br />

christlichen Tradition seit langem schmerzlich vermisst haben.<br />

Ihren Grund hat diese Überraschung oft in einer weitgehen<strong>de</strong>n<br />

Unkenntnis <strong><strong>de</strong>s</strong> jüdischen Glaubens und Lebens. Wir sind groß gewor<strong>de</strong>n<br />

mit <strong>de</strong>n vertrauten Klischees über Pharisäer und Schriftgelehrte,<br />

die wir in Predigten und Kin<strong>de</strong>rstun<strong>de</strong>n gehört haben. <strong>Die</strong>se<br />

haben aber oft wenig mit <strong>de</strong>m tatsächlichen Ju<strong>de</strong>ntum zu tun. In <strong>de</strong>r<br />

Schule haben wir dann vielleicht das jüdische Brauchtum und die<br />

jüdischen Feste kennengelernt, aber kaum je jüdische Denker und<br />

Philosophen <strong>de</strong>r Gegenwart o<strong>de</strong>r die Welt <strong><strong>de</strong>s</strong> Ju<strong>de</strong>ntums in neutestamentlicher<br />

Zeit. So entwickeln wir oft unsere eigenen, christlichen<br />

Standpunkte im Kontrast zu einem selbst entworfenen Zerrbild <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ju<strong>de</strong>ntums, ohne dabei wissen, dass unsere oft als neuartig und revolutionär<br />

empfun<strong>de</strong>nen Grundwerte o<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en ihre Wurzeln und<br />

Vorläufer bei eben jenen jüdischen Pharisäern und Schriftgelehrten<br />

haben, von <strong>de</strong>nen wir uns so gerne distanzieren.<br />

tikkun olam als Grundbegriff jüdischer Spiritualität<br />

Ein Beispiel für solche jüdischen Grundwerte und I<strong>de</strong>en ist etwa das<br />

Konzept einer Transformation <strong>de</strong>r Gesellschaft durch das Reich Gottes,<br />

das ja auch für die Botschaft Jesu charakteristisch war. In <strong>de</strong>r<br />

jüdischen Tradition ist dieses Konzept mit <strong>de</strong>m hebräischen Begriff<br />

tikkun olam verbun<strong>de</strong>n. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um einen schillern<strong>de</strong>n<br />

Begriff, <strong>de</strong>r sich auf ganz verschie<strong>de</strong>ne Weise übersetzen lässt: „Heilung<br />

<strong>de</strong>r Welt, Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r Welt, Zurechtbringung <strong>de</strong>r<br />

Welt, Verbesserung <strong>de</strong>r Welt.“ Der Begriff fin<strong>de</strong>t sich schon in <strong>de</strong>n<br />

alten Schriften <strong><strong>de</strong>s</strong> rabbinischen Ju<strong>de</strong>ntums, die in <strong>de</strong>n ersten Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />

n.Chr. gesammelt und aufgeschrieben wur<strong>de</strong>n. Aber er ist<br />

auch für viele aktuelle sozialethische Entwürfe <strong><strong>de</strong>s</strong> mo<strong>de</strong>rnen und<br />

postmo<strong>de</strong>rnen Ju<strong>de</strong>ntums zentral. Dass <strong>de</strong>r Begriff tikkun olam<br />

durch viele Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch diese zentrale Be<strong>de</strong>utung entwickelt<br />

und behalten hat, liegt dabei sicher daran, dass er in Worten <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

täglichen Aleinu-Gebets erscheint, das nach jüdischer Tradition dreimal<br />

am Tag gebetet wer<strong>de</strong>n soll. Es stammt in seinen Grundzügen<br />

aus <strong>de</strong>r Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Neuen Testaments und kommt im jüdischen Gebetsleben<br />

an Be<strong>de</strong>utung in etwa <strong>de</strong>m christlichen Vaterunser gleich. In<br />

diesem Gebet heißt es unter an<strong>de</strong>rem:<br />

Im Himmel wie auf Er<strong>de</strong>n ist keiner wie du!<br />

Darum hoffen wir auf dich, Herr, unser Gott,<br />

dass wir bald sehen wer<strong>de</strong>n, wie du die Götzen entfernst von <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>,<br />

wie du die Wahngebil<strong>de</strong> vernichtest,<br />

um die Welt wie<strong>de</strong>r herzustellen<br />

durch die Königsherrschaft <strong><strong>de</strong>s</strong> Allmächtigen,<br />

damit die ganze Menschheit <strong>de</strong>inen Namen anruft,<br />

alle Übeltäter sich hinwen<strong>de</strong>n zu dir, alle Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> dich<br />

erkennen,<br />

je<strong><strong>de</strong>s</strong> Knie sich beugt vor dir und je<strong>de</strong> Zunge dich bekennt.<br />

<strong>Die</strong> hier im täglichen Gebet formulierte Grundhoffung <strong><strong>de</strong>s</strong> Ju<strong>de</strong>ntums<br />

auf eine Wie<strong>de</strong>rherstellung o<strong>de</strong>r Heilung <strong>de</strong>r Welt (tikkun

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