19.06.2013 Aufrufe

Die verändernde Kraft des Evangeliums - Worshipworld.de

Die verändernde Kraft des Evangeliums - Worshipworld.de

Die verändernde Kraft des Evangeliums - Worshipworld.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

100 101<br />

sen <strong>de</strong>r Pharisäer und Schriftgelehrten von Generation zu Generation<br />

weitergegeben wur<strong>de</strong>n. Der Begriff tikkun olam zum Beispiel scheint<br />

auf Rabbi Gamaliel <strong>de</strong>n Älteren zurückzugehen, einen Zeitgenossen<br />

Jesu, bei <strong>de</strong>m auch Paulus studierte (vgl. Apg 22,3 und Apg 5,34-42).<br />

Wir wissen nur wenig über diesen Lehrer, aber die wenigen Überlieferungen,<br />

die von ihm erhalten sind, <strong>de</strong>uten darauf hin, dass er darum<br />

bemüht war, Gesetzestreue und Weltoffenheit miteinan<strong>de</strong>r zu<br />

verbin<strong>de</strong>n. So überwand er etwa die traditionellen Animositäten zwischen<br />

Pharisäern und Schriftgelehrten, in<strong>de</strong>m er, selbst ein Pharisäer,<br />

seiner Tochter die Hochzeit mit einem Sadduzäer erlaubte. Auch sein<br />

weiser Rat, von <strong>de</strong>m die Apostelgeschichte berichtet, zeugt von <strong>de</strong>m<br />

Bemühen, Gottes Willen treu zu bleiben und <strong>de</strong>nnoch auch offen zu<br />

sein für An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>. Und schließlich verrät auch die Theologie<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Paulus, die von Treue zur Schrift und gleichzeitiger Öffnung für<br />

die Völkerwelt geprägt ist, vermutlich eine Prägung durch Gamaliel.<br />

Ein wichtiger Wahlspruch Gamaliels lautete: „Schön ist es, wenn das<br />

Studium <strong>de</strong>r Tora mit <strong>de</strong>m Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Welt verbun<strong>de</strong>n wird (also<br />

mit <strong>de</strong>r weltlichen Alltagsrealität)“ (Sprüche <strong>de</strong>r Väter 2,2).<br />

Genau diese Verbindung von Gesetzestreue und Alltagswelt zeigt<br />

sich nun auch in <strong>de</strong>m Rechtsprinzip tikkun olam, das von Gamaliel<br />

eingeführt wur<strong>de</strong>, um schwierige Rechtsfragen zu klären, die sich aus<br />

<strong>de</strong>m Alltagsleben <strong><strong>de</strong>s</strong> jüdischen Volkes im Kontext von nichtjüdischen<br />

Gesellschaften ergaben. Gamaliel argumentiert, dass sich Ju<strong>de</strong>n<br />

in solchen Fällen nicht allein an <strong>de</strong>n rechtlichen Vorschriften <strong>de</strong>r<br />

Bibel orientieren sollten, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r Frage, was <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>r<br />

Allgemeinheit und <strong>de</strong>r Gesellschaft dient, also <strong>de</strong>r „Besserung <strong>de</strong>r<br />

Welt“. <strong>Die</strong>ses neue Rechtsprinzip wird etwa bei schwierigen Scheidungsfällen<br />

angewen<strong>de</strong>t, um die Rechte <strong>de</strong>r Frauen zu stärken. Aber<br />

auch beim Verkauf von Sklaven, um <strong>de</strong>ren Rechte zu stärken, und<br />

ebenso auch bei <strong>de</strong>r Auslösung von Kriegsgefangenen zu einem fairen<br />

Preis (Mischna Gittin 4,2-7). <strong>Die</strong>se ethischen Richtlinien hatten<br />

zwar keine eigentliche Begründung in biblischen Geboten, sie wer<strong>de</strong>n<br />

aber begrün<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>m allgemeinen Auftrag <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen bzw. <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

jüdischen Volkes, zur Verbesserung und Heilung <strong>de</strong>r Welt beizutragen.<br />

<strong>Die</strong>se rechtliche Neuerung <strong><strong>de</strong>s</strong> Gamaliel, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r<br />

Grundhoffung <strong><strong>de</strong>s</strong> Aleinu-Gebetes, bil<strong>de</strong>te dann im weiteren Verlauf<br />

<strong>de</strong>r Geschichte die Grundlage für das jüdische Verhältnis zur Gesellschaft<br />

und zur nichtjüdischen Welt als Ganzes. Denn es ist genau<br />

diese Spannung zwischen einer erkennbaren jüdischen I<strong>de</strong>ntität und<br />

einer gleichzeitigen Weltzugewandtheit (vgl. Gamaliels Prinzip „Tora<br />

mit weltlichem Wan<strong>de</strong>l“), die die jüdische Sozialethik charakterisiert.<br />

Spannungsfeld Gesellschaft: Heimisch in frem<strong>de</strong>r Umgebung<br />

<strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n eingangs erwähnten jüdischen Stimmen, die <strong><strong>de</strong>s</strong> orthodoxen<br />

britischen Oberrabbiners wie <strong><strong>de</strong>s</strong> liberalen <strong>de</strong>utschen Professors,<br />

bringen bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Begriff tikkun olam in Zusammenhang mit eben<br />

diesem Spannungsverhältnis zwischen jüdischem Volk und nichtjüdischer<br />

Welt, zwischen Gemein<strong>de</strong> und Gesellschaft, zwischen Bindung<br />

an die Tora und Einmischung in <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Welt. <strong>Die</strong>ses<br />

Spannungsverhältnis prägte die Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> jüdischen Volkes angefangen<br />

von Abraham, <strong>de</strong>r als Gast ein frem<strong><strong>de</strong>s</strong> Land durchwan<strong>de</strong>rte,<br />

über Moses, <strong>de</strong>r als Sklave und als Prinz unter Ägyptern lebte,<br />

über die Erfahrungen <strong><strong>de</strong>s</strong> babylonischen Exils und <strong>de</strong>r Zerstreuung<br />

im römischen Reich bis hin zur weltweiten Diaspora <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne:<br />

Immer war man Teil einer frem<strong>de</strong>n Gesellschaft und gehörte dieser<br />

doch nicht völlig an. Immer war man aufgerufen, mitzugestalten,<br />

aber doch nicht alles mitzumachen. <strong>Die</strong>se Grundspannung fand ihren<br />

Nie<strong>de</strong>rschlag auch im christlichen Selbstverständnis, „in <strong>de</strong>r<br />

Welt, aber nicht von <strong>de</strong>r Welt“ zu sein, auch wenn Jesus selbst das so<br />

nie formuliert hat. Aber auch die Ansicht <strong><strong>de</strong>s</strong> Pharisäers Paulus steht<br />

dieser jüdischen Haltung sehr nahe: „Fügt euch nicht ins Schema<br />

dieser Welt, son<strong>de</strong>rn verwan<strong>de</strong>lt euch durch die Erneuerung eures<br />

Sinnes.“ (Röm 12,2: Zürcher Übersetzung).<br />

<strong>Die</strong> jüdische Tradition sucht diese bei<strong>de</strong>n Pole zusammenzuhalten:<br />

Einerseits versteht sich das Volk Israel als ein erwähltes, herausgerufenes<br />

und zu Gott gehöriges Volk, das sich unterschei<strong>de</strong>t von<br />

seiner Umgebung. Und <strong>de</strong>nnoch hat es überall dort, wo es ist, <strong>de</strong>n<br />

Auftrag zur Mitgestaltung, ja sogar entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Umgestaltung

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!