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Die früheste römische Stellungnahme gegen den Bildersturm

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<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong><br />

(Eine These, die es zu beweisen gilt).*<br />

HANS GROTZ/ROM<br />

Im Jahre 1590 entdeckte Fronton du Duc in Reims zwei griechische Schriftstücke, die<br />

laut Überschrift Briefe des Papstes Gregor II. (715-731) an <strong>den</strong> Kaiser Leo III. (717-<br />

741) waren. Trotz einiger Ungereimtheiten darin, die schon Fronton du Duc festgestellt<br />

hatte, stießen sie in der Gelehrtenwelt auf lebhaftes Interesse und große Wertschätzung<br />

und fan<strong>den</strong>, zusammen mit einer lateinischen Übersetzung des Finders, Einlaß in die<br />

großen Standardwerke von Baronius, von Labbé, von J. Hefele; Migne druckte nur die<br />

genannte lateinische Übersetzung ab; Regesten der zwei Briefe sind bei Jaffé -Ewald zu<br />

fin<strong>den</strong>.<br />

Ihrem Inhalt nach waren die zwei Briefe an Leo III. eine scharfe Zurechtweisung des<br />

ersten Bilderstürmers auf dem Kaiserthron Ostroms und enthielten so gewichtige<br />

Passagen, daß man sie ohne Zögern schon unter die bedeutendsten Papstschreiben des<br />

ersten Jahrtausends einreihte; so H. Rahner in seiner "abendländischen<br />

Kirchenfreiheit". 1<br />

Der hier abgedruckte Vortrag ist im Herbst 1987 gehalten wor<strong>den</strong>; darum konnte darin<br />

natürlich noch nicht auf <strong>den</strong> jüngst erschienenen Artikel von Helmut Michels, Zur Echtheit der<br />

Briefe Gregors II. an Kaiser Leon III., Zs. f. Kircheng. 99 (1988) 376-391, eingegangen wer<strong>den</strong>.<br />

Doch, auch wenn ich ihn damals schon gekannt hätte, würde ich meine Ausführungen kaum<br />

abgeändert haben, da die von Michels vorgebrachten Einwände <strong>gegen</strong> eine mögliche Echtheit der<br />

zwei Briefe Gregors II. kaum Neues enthalten, mit einer Ausnahme: Der Verfasser verweist<br />

<strong>gegen</strong> Ende seiner Miszelle auf fünf in der Zeit zwischen Gregor I. und Hadrian I. in Griechisch<br />

verfaßte Papstbriefe - und liefert damit "Wasser auf meine Mühlen"; <strong>den</strong>n ein noch zuletzt<br />

vorgebrachter, ernsterer Einwand <strong>gegen</strong> die Authentizität der genannten Briefe war das angeblich<br />

gänzliche Fehlen sonstiger Briefe von Päpsten, die in Griechisch geschrieben wor<strong>den</strong> wären.<br />

1 H. RAHNER, Abendländische Kirchenfreiheit. Kirche und Staat im frühen Christentum,<br />

Einsiedeln - Köln 1943. Im Folgen<strong>den</strong> einfach mit RAHNER zitiert. Für sonstige Literatur sei<br />

verwiesen auf zwei früher veröffentlichte Artikel, von <strong>den</strong>en der <strong>gegen</strong>wärtige Beitrag eine<br />

Zusammenfassung bietet: H. GROTZ, Beobachtungen zu <strong>den</strong> zwei Briefen


<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 151<br />

Es gemahnt an das Lehrschreiben des Papstes Gelasius an <strong>den</strong> Kaiser Anastasius I.,<br />

wenn es etwa im ersten Brief - in deutscher Übersetzung -heißt. "Du siehst, o Kaiser:<br />

<strong>Die</strong> Dogmen der heiligen Kirche sind nicht Sache der Kaiser, sondern der Bischöfe,<br />

wenn sie ohne Irrtum als Glaubenssatz verkündet wer<strong>den</strong> sollen. Darum sind die<br />

Bischöfe ihren Kirchen als Haupt vorgesetzt und enthalten sich jeglicher Einmischung<br />

in politische Dinge; in gleicher Weise aber müssen sich die Kaiser von jeder<br />

Einmischung in kirchliche Fragen fernhalten und sich einzig mit dem befassen, was<br />

ihres Amtes ist. <strong>Die</strong> friedliche Übereinstimmung aber der christuslieben<strong>den</strong> Kaiser mit<br />

<strong>den</strong> hochwürdigsten Bischöfen ist eine große Kraft - wenn sie in Liebe und Frie<strong>den</strong><br />

miteinander die fälligen Fragen zur Lösung bringen". 2<br />

Und im zweiten Brief liest man, in Erwiderung auf <strong>den</strong> Ausspruch des Kaisers "Ich<br />

bin Kaiser und Priester zumal": 3 "Höre auf meine Niedrigkeit, o Kaiser, und laß ab von<br />

Deinem Tun! Folge wieder der heiligen Kirche, so wie Du es einst gelehrt wor<strong>den</strong> bist!<br />

<strong>Die</strong> Dogmen sind nicht Sache der Kaiser, sondern der Bischöfe. Denn wir haben <strong>den</strong><br />

Sinn Christi. Etwas anderes ist die Lehrautorität in kirchlichen Dogmen und etwas<br />

anderes die rein irdische Begabung für die politische Beherrschung der Welt. Den<br />

kriegerischen, grobkörnigen und massiven Sinn, <strong>den</strong> Du hast, kannst Du nicht auch auf<br />

die feingeistige Welt der Dogmen loslassen ... Genau so wie der Bischof sich nicht<br />

einzumischen hat in die Dinge des Kaiserpalastes und keine kaiserlichen Gna<strong>den</strong><br />

austeilen kann, hat auch der Kaiser sich nicht in die Dinge der Kirche zu mischen, hat<br />

kein Stimmrecht bei der Wahl der Geistlichen, hat keine Macht, die heiligen Mysterien<br />

zu vollziehen und auszuteilen, ja nicht einmal empfangen kann er sie ohne Vermittlung<br />

des Priesters. Nein, sondern 'ein jeder von uns verharre in der Berufung, zu der ihn Gott<br />

gerufen hat'". 4<br />

Wie Papst Gelasius einst dem seinerzeitigen Kaiser <strong>den</strong> Bannfluch angedroht hatte,<br />

so liest man im ersten Brief: "Wohl hatten auch wir im Sinn, Dich mit Strafe zu<br />

belegen, wie wir dazu Recht und Gewalt und Autorität haben vom heiligen<br />

Apostelfürsten Petrus. Aber Du hast Dir <strong>den</strong> Bannfluch selber<br />

Papst Gregors II. an Kaiser Leo III., in: ΑΗΡ 18 (1980) 9-40; H. GROTZ, Weitere Beobachtungen<br />

zu <strong>den</strong> zwei Briefen Papst Gregors II. an Kaiser Leo III., in: ΑΗΡ 24 (1986) 365-375.<br />

2<br />

RAHNER 350 f.; GOUILLARD ZZ. 290-293. Hier und im Folgen<strong>den</strong> wird der Text entsprechend<br />

der deutschen Übersetzung von H. RAHNER mit geringfügigen Abweichungen, zitiert, mit<br />

gleichzeitigem Verweis auf <strong>den</strong> Urtext in der kritischen Ausgabe von Jean GOUILLARD, Aux<br />

origines de l'iconoclasme: Le témoignage de Grégoire II? Travaux et Mémoires ( = Centre de<br />

recherche d'histoire et civilisation byzantines 3) Paris 1968, 243-307. Im Folgen<strong>den</strong> zitiert als<br />

GOUILLARD mit der dortigen Zeilenangabe.<br />

3<br />

RAHNER 354; GOUILLARD Z. 299.<br />

4<br />

Vgl. l Cor 7,20. RAHNER 355 f.; GOUILLARD Z. 301.


152 Hans Grotz<br />

gesprochen: so soll er <strong>den</strong>n auf Dir lasten bleiben, auf Dir und <strong>den</strong> Ratgebern, mit<br />

<strong>den</strong>en Du einig bist". 5<br />

Schon diese Kostproben allein lassen erkennen, wie ernst die Frage der<br />

Bilderverehrung in diesen Briefen genommen wurde und wie entschie<strong>den</strong> Verstöße<br />

da<strong>gegen</strong> verurteilt und zurückgewiesen wur<strong>den</strong>. <strong>Die</strong>s und der Umstand, daß man sie<br />

von Anfang an für authentische Verlautbarungen des <strong>römische</strong>n Pontifex hielt, deren<br />

Echtheit man nicht bezweifelte, erklären die frühe und große Verbreitung, die die<br />

Briefe vor allem im christlichen Osten gefun<strong>den</strong> haben. Wie wir heute wissen - diese<br />

Erkenntnis verdanken wir vor allem <strong>den</strong> Forschungen von M. Guérard 6 und zuletzt von<br />

J. Gouillard - wur<strong>den</strong> sie recht früh, zumindest in <strong>den</strong> östlichen Provinzen des<br />

byzantinischen Reiches, unter die Lesungen aufgenommen, die für <strong>den</strong> liturgischen Gebrauch<br />

in <strong>den</strong> Kirchen oder doch als Lektüre der Mönche am Fest der Orthodoxie<br />

vorgesehen waren. 7 Unter diesen Umstän<strong>den</strong> ist es verwunderlich, daß die bei<strong>den</strong><br />

Schriftstücke im Abendland so in Vergessenheit gerieten, daß sie Ende des 16.<br />

Jahrhunderts wieder "entdeckt" wer<strong>den</strong> mußten; erklärlich nur dadurch, daß bis dahin<br />

lediglich eine griechische Fassung bekannt war.<br />

<strong>Die</strong> Briefe waren, wie schon gesagt, zunächst von der Gelehrtenwelt mit großem<br />

Interesse und insgesamt positiv aufgenommen wor<strong>den</strong>. Ihre Echtheit hat man bis ins<br />

letzte Viertel des vergangenen Jahrhunderts hinein nicht bezweifelt. Dann aber wur<strong>den</strong><br />

sie einer eingehenderen Kritik unterzogen und infolgedessen von verschie<strong>den</strong>en<br />

Autoren wie L. Duchesne, Ch. <strong>Die</strong>hl, E. von Dobschütz, M. Guérard, H. Leclercq, G.<br />

Grégoire, A. Faggiotto insgesamt als apokryph verworfen oder doch z.T. als Fälschung<br />

erklärt; so von L.M. Hartmann und von H. von Schubert.<br />

Erst nach einem großen Intervall brachen zwei bedeutende Gelehrte, ein Russe und<br />

ein Deutscher, wieder eine Lanze für die Echtheit der zwei Briefe, G. Ostrogorsky legte<br />

einer im Jahre 1930 veröffentlichten Studie 8 eine ältere (Wiener) Hs. als die vorher für<br />

die verschie<strong>den</strong>en Drucklegungen verwendete zugrunde und konnte schon allein<br />

dadurch mehrere Einwände <strong>gegen</strong> die Authentizität entkräften. Was danach noch an<br />

historischen Ungereimtheiten und Rätseln übrigblieb, legte er der mangeln<strong>den</strong><br />

Texttreue und der Nachlässigkeit der frühen "Übersetzer" (aus dem Lateinischen ins<br />

Griechische) zur Last.<br />

5<br />

RAHNER 350; GOUILLARD 289.<br />

6<br />

M. GUERARD DE LAURIERS, Les lettres de Grégoire II à Léon l'Isaurien. Mèl. d'arch. et d'hist.<br />

10 (1890).<br />

7<br />

Vgl. GOUILLARD S. 253 f.<br />

8<br />

G. OSTROGORSKY, Les débuts de la querelle des images. In Mélanges CH. <strong>Die</strong>hl, I:<br />

Histoire, Paris 1930, 235-255.


<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 153<br />

1933 griff E. Caspar die These Ostrogorskys auf. 9 Anders als dieser versuchte er aber<br />

nicht, die Briefe in ihrer Gänze zu retten, sondern machte mit scharfem Blick im ersten<br />

Brief mehrere Interpolationen aus. Da immer noch eine kritische Ausgabe fehlte, legte<br />

er im Anschluß an seinen Artikel <strong>den</strong> (griechischen) Text der vermutlich ältesten, der<br />

vatikanischen Hs. im Druck vor. Größere Lücken in dieser Hs. füllte er mit dem Text<br />

der naheverwandten Wiener Hs.<br />

1968 fertigte J. Gouillard auf der Basis vieler inzwischen ans Licht gekommenen<br />

Hss. endlich eine kritische Ausgabe an, die er mit einer französischen Übersetzung<br />

versah und der er eine eingehende Studie voranstellte. 10 Im ersten der bei<strong>den</strong> Briefe<br />

konstatierte er mehr Anachronismen und Ungereimtheiten (die sich aber in der<br />

Mehrzahl in <strong>den</strong> schon von E. Caspar festgestellten Interpolationen fin<strong>den</strong>). Zunächst<br />

will Gouillard die bei<strong>den</strong> Briefe zwar nicht in Bausch und Bogen verwerfen, aber<br />

schließlich geht seine Meinung doch dahin, daß es sich um das Werk eines Fälschers<br />

handle. Als Entstehungszeit kommt ihm zufolge nur die erste Periode des <strong>Bildersturm</strong>s<br />

in Betracht, als Entstehungsort nur Konstantinopel und seine Umgebung. Im Fälscher<br />

vermutet Gouillard einen Mönch, dem freilich westliche Quellen zur Verfügung<br />

gestan<strong>den</strong> haben müßten, verhehlt sich selbst aber die Fragwürdigkeit einer solchen<br />

Hypothese nicht. Ungeachtet seiner Erklärungsversuche mittels einer Fälschungstheorie<br />

gesteht er nämlich am Ende seine große Ratlosigkeit ein. Im übrigen konnte er sich nur,<br />

weil er die Briefe eben für unecht hielt, zu der Behauptung hinreißen lassen, die<br />

historische Bedeutung der bei<strong>den</strong> Briefe sei äußerst gering. Allein aus der langen Liste<br />

großteils berühmter Gelehrter, die sich mit ihnen befaßten, dürfte zur Genüge erhellen,<br />

daß der Streit nicht bloß "um des Kaisers Bart" ging und geht.<br />

Alle oben genannten Autoren setzten stillschweigend oder explizit voraus, daß die<br />

zwei Briefe, ursprünglich in lateinischer Sprache abgefaßt wor<strong>den</strong> sein müßten.<br />

<strong>Die</strong>se unreflektierte Voraussetzung erweist sich bei näherem Zusehen aber als kaum<br />

begründet. Gregor II. war gewiß ein geborener Römer. Aber zum einen war im Lateran<br />

zu seiner Zeit das Griechische noch wohlbekannt; um das klarzustellen, genügt der<br />

Hinweis, daß die unmittelbaren Vorgänger Gregors II. zwei Griechen und drei Syrer<br />

waren und daß auf ihn wieder ein Syrer und ein Grieche folgten. Zum anderen<br />

bekleidete er selbst unter seinen Vorgängern schon wichtige Ämter und begleitete<br />

seinen unmittelbaren Vorgänger Papst Constantin im Jahre 711 auf seiner Reise nach<br />

Konstantinopel, wo Gregor sich - nach Ausweis seiner Vita im Liber Pontificalis - bei<br />

einem Disput mit Kaiser Justinian II. hervortun konnte. Das wäre ohne gute Grie-<br />

9 E. CASPAR, Papst Gregor II. und der Bilderstreit, in: ZKG 52 (1933) 29-70.<br />

10 S.Anm.2.


154 Hans Grotz<br />

chischkenntnisse und eine gewisse Gewandtheit in dieser Sprache kaum möglich<br />

gewesen. Daraus folgt dies: Sollte sich der griechische Text der zwei Briefe als der<br />

ursprüngliche erweisen, spricht das mitnichten <strong>gegen</strong> ihre Echtheit; die Sprache als<br />

solche ist kein Kriterium.<br />

Tatsächlich muß der griechische Text als der ursprüngliche, originale angenommen<br />

wer<strong>den</strong>. Dafür steht schon die Textüberlieferung. Von <strong>den</strong> vielen Hss. bieten alle nur<br />

<strong>den</strong> griechischen Wortlaut. Im Abendland, wo noch im Verlauf des achten Jahrhunderts<br />

die Griechischkenntnisse spärlich wur<strong>den</strong>, hätte eine lateinische Fassung, hätte es je<br />

eine gegeben, eine viel größere Überlebenschance gehabt.<br />

Der griechische Wortlaut enthält außerdem zahlreiche Wortpaare und<br />

Wortabwandlungen, die im Lateinischen keine Entsprechung haben. Auch gibt es nicht<br />

wenige Wortzusammenklänge und Alliterationen, die vielleicht noch vielsagender und<br />

beweiskräftiger sind. Solche Wortzusammenklänge, Quasi-reime und Wortspiele<br />

ergeben sich in einem Text nur dann mit größerer Häufigkeit, wenn der Verfasser in der<br />

Wortwahl nicht eingeengt ist, also nicht in einer auch nur einigermaßen getreuen<br />

Übersetzung. Weitere aufschlußreiche Indizien sind spezifisch griechische<br />

Wortbildungen und der ganze "ungeschönte" Stil der Briefe. Details darf ich mir hier<br />

ersparen und einfach auf meine früheren Publikationen verweisen.<br />

Obwohl der griechische Text als der ursprüngliche anzusehen ist, geht aus seiner<br />

genaueren Untersuchung hervor, daß der Verfasser kein Grieche, sondern ein Lateiner<br />

gewesen ist. Gouillard stellte wiederholt "barbarische Lesarten" und überhaupt<br />

"Barbarismen" fest, wie sie einem Griechen kaum unterlaufen wären. Zudem fiel ihm<br />

ein extremer Mangel an Bindewörtern (particules de liaison) auf: "ein einziges μέν<br />

<strong>gegen</strong>über 17 δέ, ein einziges γάρ für die erste Hälfte des ersten Briefes". Gouillard<br />

gesteht ein, daß er dafür keine Erklärung hat. 11<br />

Außerdem ist festzustellen, daß es in <strong>den</strong> älteren Hss. eine Anzahl von lateinischen<br />

Wörtern gab, <strong>den</strong>en nur eine griechische Endung angehängt war, daß sie jedoch in <strong>den</strong><br />

jüngeren Hss. durch griechische Wörter ersetzt wor<strong>den</strong> sind. 12 Es fehlte also nicht an<br />

sinnentsprechen<strong>den</strong> guten griechischen Wörtern, während die lateinischen einem<br />

Durchschnittsgriechen unverständlich waren. Als Beispiele seien genannt das mit<br />

griechischen Buchstaben geschriebene βουλλα; σηκρητον entsprechend dem<br />

lateinischen secretum; λαυρατα vom lateinischen laurus; φουρκίζω und ρουρκα vom<br />

lateinischen Wort furca, das zunächst eine zweizinkige Gabel, dann aber auch Galgen<br />

be-<br />

u DERS. S. 272 und 277.<br />

12 H. Leclercq hatte schon diese Beobachtung gemacht, ohne sich ihrer Tragweite bewußt zu<br />

wer<strong>den</strong>. S. HEFELE - H. LECLERCQ, Histoire des Conciles 111/2, Paris 1910, S. 661 in der Fußnote.


<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 155<br />

deutete. Aus seiner Beobachtung hat Leclercq jedoch keine Folgerungen gezogen. Man<br />

kann doch schwerlich leugnen, daß dieser Befund nebst <strong>den</strong> von Gouillard<br />

angeprangerten Barbarismen und noch weiteren Eigenheiten der zwei Briefe, die hier<br />

nicht auch noch erörtert wer<strong>den</strong> können, auf einen <strong>römische</strong>n Verfasser hindeuten.<br />

Läßt man erst einmal gelten, daß der griechische Text der ursprüngliche ist, löst sich<br />

ein Problem, das noch Gouillard als überzeugendstes Argument <strong>gegen</strong> die Echtheit<br />

bezeichnet hat, auf sehr einfache Weise. An einem Satz, genauer nur an einem Namen<br />

haben sich bisher die Historiker zuvörderst gestoßen. Im ersten Brief heißt es im<br />

überkommenen Text 13 zu deutsch: er, Gregor II., habe jüngst aus dem inneren<br />

Abendland, Septetum genannt, eine Einladung zu einer Reise dorthin zum Zwecke der<br />

Taufspendung erhalten. Weil auch Caspar, der im übrigen <strong>den</strong> Brief ja als echt<br />

verteidigte, mit dem Wort Septetum nichts anzufangen wußte, hielt er <strong>den</strong> Zusatz του<br />

λεγομένου Σεπτέτου für eine Interpolation. Meines Erachtens handelt es sich jedoch um<br />

eine winzige Verschreibung: σεπτέτου statt richtig εσπερίου. Man wird gewiß zugeben<br />

müssen, daß das Schriftbild sehr ähnlich ist. Ursprünglich lautete danach der Satz: "Wir<br />

erhielten kürzlich eine Einladung aus dem inneren Okzi<strong>den</strong>t, der auch Hesperien<br />

genannt wird".<br />

Wie kann man generell eine Textkonjektur unterbauen und glaubhaft machen? An<br />

erster Stelle muß sie einen möglichen, ja wahrscheinlichen Sinn ergeben. Des weiteren<br />

muß nachgewiesen wer<strong>den</strong>, daß das unterstellte Wort im engeren zeitlichen und<br />

örtlichen Umkreis bekannt war; oder noch besser: vom gleichen Autor in einem<br />

sonstigen Schriftstück verwendet wurde. Nicht zuletzt sollte eine plausible Erklärung<br />

möglich sein, wie es zu der Verschreibung kam, ganz abgesehen von der großen<br />

Ähnlichkeit des jeweiligen Schriftbildes.<br />

Tatsächlich hat Gregor II. das Wort Hesperien auch sonst verwendet; so findet sich<br />

in einem lateinischen Brief des gleichen Papstes an <strong>den</strong> hl. Bonifa-tius der Ausdruck: in<br />

partibus Esperiarum ad inluminationem Germaniae gentis. In einem Brief Hadrians I.<br />

an König Pippin vom Jahre 778 begegnet nochmals der Ausdruck in his Hesperiae<br />

partibus. Das Wort war im <strong>römische</strong>n Patriarchium also durchaus bekannt. Viel<br />

aufschlußreicher aber ist noch eine andere, zeitlich sehr nahe Textstelle. In der Vita<br />

Gregors III. im Liber Pontificalis, des unmittelbaren Nachfolgers also von Gregor II.,<br />

wird in ziemlich holprigem Latein erzählt, daß jener Papst auf <strong>den</strong> l. November 731<br />

eine Synode einberief zur Abwehr des <strong>Bildersturm</strong>s, der auf dem Weg über Ravenna<br />

und das Exarchat auf <strong>den</strong> Westen überzugreifen drohte; da ist die Rede von <strong>den</strong><br />

teilnehmen<strong>den</strong> Erzbischöfen von Grado und Ravenna cum ceteris episcopis istius Sperie<br />

partis. Es kann keinen Zweifel geben, daß das Sperie in diesem<br />

13 GOUILLARD ZZ. 272-274.


156 Hans Grotz<br />

Text eine Verschreibung von Esperie (korrekt Hesperiae) ist. Der Herausgeber des<br />

Liber Pontificalis, L. Duchesne, gibt unter dem Strich als Varianten in verschie<strong>den</strong>en<br />

Hss. Hesperiae, Isperiae, Superiae an. Somit haben wir auch in einem anderen, zeitlich<br />

sehr nahen Text eine ähnlich entstellende Verschreibung des gleichen Wortes; hier<br />

freilich im Lateinischen, dort im Griechischen. - Warum wohl haben sich Schreiber da<br />

so vertan? <strong>Die</strong> einfachste Erklärung ist der etwas ausgefallene, gekünstelte Charakter<br />

des Wortes "Hesperien" für einen Begriff, der selbst erst langsam ins Bewußtsein der<br />

Menschen trat, nämlich das Abendland.<br />

E. Caspar hat, wie schon erwähnt wurde, im ersten Brief Fremdeinschübe<br />

ausgemacht. Einer davon ist freilich nur als Verschreibung zu erklären, wie soeben<br />

dargelegt wurde. So bleiben nur zwei Interpolationen übrig. Und beidesmal hat der<br />

verfälschende Glossator seine Hand verraten, indem er - über die sonstigen<br />

Ungereimtheiten hinaus, durch die er <strong>den</strong> ganzen Brief verdächtig machte - jeweils<br />

einen Ausdruck des Erstverfassers mißverstan<strong>den</strong> und dann falsch ausgesponnen hat.<br />

Im authentischen Text des ersten wie des zweiten Briefes ist je einmal von der<br />

εσωτέρα δύσις (dem inneren Abendland) die Rede, und beidesmal ist damit zweifelsfrei<br />

das Missionsgebiet des hl. Bonifatius unter <strong>den</strong> Germanenstämmen gemeint. Den<br />

Begriff nahm der Glossator in der zweiten Interpolation auf, 14 verstand ihn aber nicht<br />

richtig. Er irrte aber nicht nur, sondern tat sich auf sein vermeintliches Wissen noch<br />

etwas zugute und putzte seinen Irrtum törichterweise auf. So lautet der betreffende<br />

(interpolierte) Satz in deutscher Übersetzung folgendermaßen: Bei dem Anschlag auf<br />

das Christusbild am Chalketor in Konstantinopel "... waren als Augenzeuge zu<strong>gegen</strong><br />

angesehene Persönlichkeiten aus Rom, aus Francien, aus dem Land der Vandalen, aus<br />

Mauretanien, aus Gotien und, um es kurz zu sagen, (ich fahre griechisch fort:) απο<br />

πάσης της εσωτέρας δύσεως. Das hieße zu deutsch eigentlich "aus dem ganzen inneren<br />

Abendland"; nicht aber "aus dem äußersten Westen", wie es der Interpolator<br />

offensichtlich gemeint und damit an die westlichen Randgebiete des Mittelmeeres<br />

gedacht hat.<br />

Gerade diese Fehldeutungen des Interpolators - von einer zweiten wird sogleich die<br />

Rede sein - sind kräftige Indizien für die Echtheit der ihm vorausliegen<strong>den</strong> Briefe;<br />

beweist er damit doch unbewußt, daß ihm schon frühere Texte vorgelegen haben, die er<br />

mißverstand und die somit eben nicht sein Machwerk waren!<br />

Der andere Fremdeinschub befindet sich gleich am Anfang des ersten Briefes. 15 Er<br />

rührt direkt vom Mißverständnis eines Wortes her, das der Glossator wieder auf völlig<br />

verfehlte Weise konkretisieren wollte. Das verfängli-<br />

14 GOUILLARD ZZ. 213-235.<br />

15 GOUILLARD ZZ. 4-10.


<strong>Die</strong> flüheste <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 157<br />

che Wort συλλαβή steht in einem Satz des authentischen Textes, der zu deutsch so<br />

lautet: "In <strong>den</strong> bis zu zehn 'Syllaben' hast Du trefflich und fromm und so, wie es einem<br />

Christenkaiser ansteht, Dich dazu bekannt, unablässig alle Weisungen unserer heiligen<br />

Väter und Lehrer zu beachten und in Schutz zu nehmen . . ." Jener frühe Glossator<br />

wußte nun mit dem griechischen συλλαβή nichts anzufangen und setzte es mit Brief<br />

gleich. Und weil es weiter unten im originalen Text des Briefes hieß, daß der Kaiser<br />

zehn Jahre seiner Regierungszeit am wahren Glauben festgehalten habe, nun aber<br />

plötzlich an <strong>den</strong> Bildern Anstoß nehme, setzte der Glossator <strong>den</strong> zitierten Text dazu in<br />

Bezug in der unsinnigen Meinung, der Kaiser habe in <strong>den</strong> vorausgegangenen zehn<br />

Jahren zehn orthodoxe Briefe an <strong>den</strong> Papst geschrieben, und fügte seine verfehlte<br />

Berechnung der Indikation der zehn Jahre in <strong>den</strong> guten Text ein (Dazu erdichtete er<br />

auch noch, all die Briefe wür<strong>den</strong> beim Petrusgrab verwahrt).<br />

Alle modernen Fachleute, die sich mit <strong>den</strong> Briefen beschäftigten, sind jenem<br />

Glossator insofern auf <strong>den</strong> Leim gegangen, als keiner die Frage nach der wirklichen<br />

Bedeutung jenes griechischen Wortes συλλαβή stellte. Es hatte aber in der klassischen<br />

Antike bis herauf zum Frühmittelalter ausschließlich die Bedeutung von "Silbe". Der<br />

eigenen Wortbildung nach heißt es genaugenommen "Zusammenfassung", gemeint<br />

Zusammenfassung von mehreren Buchstaben. Im Kontext nun des untersuchten<br />

Briefes, in welchem es offensichtlich in einem erweiterten Sinn verwendet wurde,<br />

bedeutet es nach meiner Überzeugung einen "zusammenfassen<strong>den</strong> Satz“, allenfalls<br />

auch einen kleinen Absatz, nicht aber sogleich einen ganzen Brief. Der Satz lautet also<br />

sinngemäß "In <strong>den</strong> (ersten) zehn zusammenfassen<strong>den</strong> Sätzen hast Du trefflich und<br />

gottesfürchtig geschrieben und, wie es einem Christenkaiser ansteht, Dich (zur<br />

überkommenen Lehre) bekannt ..." Tatsächlich wur<strong>den</strong> häufig Kaiserbriefe durch eine<br />

Art Glaubensbekenntnis eingeleitet.<br />

Gegen diese Wortdeutung äußerte P. Conte in seinem vor drei Jahren erschienenen<br />

Buch Be<strong>den</strong>ken. 16 Aber nimmt man im untersuchten Text das Wort συλλαβαί in der<br />

Bedeutung von Briefen, wie es jener Glossator aus Unverständnis tat, ergibt der Satz<br />

tatsächlich einen Sinn, der für einen Historiker eben nicht akzeptabel ist. Des weiteren<br />

sei festgestellt, daß der eigentliche Verfasser der Briefe συλλαβή nicht aus einer<br />

Wortverlegenheit oder aus Ungeschicklichkeit gebraucht hat. Er hat es nur einmal, eben<br />

in dem zitierten Satz verwendet, während er sonst mehrfach von Briefen als επιστολαί<br />

oder γράμματα spricht. So muß der Verfasser dieses Wort mit vollem Bedacht gewählt<br />

haben.<br />

Um Zweifel, wie sie P. Conte <strong>gegen</strong> meine Wortauslegung von συλλαβή äußerte, zu<br />

beheben, bin ich der Verwendung und Bedeutung des alsbald<br />

16 P. CONTE, Regesto delle lettere dei papi del secolo VIII. Saggi, Milano 1984, 59.


158 Hans Grotz<br />

auch in lateinischen Texten verwendeten griechischen Fremdwortes nachgegangen;<br />

<strong>den</strong>n es war anzunehmen, daß in der immer noch einigermaßen zweisprachigen Welt<br />

des damaligen Rom das ins Lateinische übernommene syllaba <strong>den</strong> gleichen Sinn habe<br />

wie sein ursprüngliches Äquivalent. Tatsächlich bin ich auf mindestens zwei zeitlich<br />

nahe Texte gestoßen, in <strong>den</strong>en syllabae wieder nichts anderes bedeutete und bedeuten<br />

konnte als einzelne Sätze; dazu kamen weitere Texte, die eine solche Bedeutung<br />

zumindest nahelegten. <strong>Die</strong> ersten besagten Stellen, auf die ich hier nicht weiter<br />

eingehen kann, gehören zu einem Brief des Papstes Zacharias an <strong>den</strong><br />

Germanenmissionar Bonifatius vom l. April 743, zu einem Brief Papst Pauls I. an<br />

König Pippin vom April 760 und zu dem langen Schreiben des Papstes Hadrian I. an<br />

Karl <strong>den</strong> Großen, in welchem er die Rechtgläubigkeit und Rechtmäßigkeit des II. Konzils<br />

von Nikaia <strong>gegen</strong> die fränkischen Attacken in Schutz nahm. Natürlich waren diese<br />

Textfunde, die meiner zwar nicht willkürlichen, aber anfangs eben doch nur<br />

hypothetischen Wortdeutung Gewißheit verliehen, ein Glücksfall; <strong>den</strong>n auf solche<br />

Funde kann man zwar hoffen, aber nicht von vorneherein mit ihnen rechnen.<br />

<strong>Die</strong> systematische Nachforschung brachte aber noch ein anderes völlig unvorhergesehenes<br />

Resultat. Vor seiner Darlegung ist noch eine Vorbemerkung nötig: <strong>Die</strong><br />

These, daß συλλαβή im Griechischen bzw. syllaba im Lateinischen zunächst und<br />

unmittelbar nur einen einzelnen zusammenfassen<strong>den</strong> Satz bedeutet (in der klassischen<br />

Antike überhaupt nur Silbe), wird nicht dadurch widerlegt, daß der Plural syllabae in<br />

der Folgezeit auch wie ein Synonym für Brief gebraucht wird. Das versteht sich schon<br />

aus der Parallele zu littera - litterae oder dem deutschen Wort Zeile. Während Zeile in<br />

der Einzahl genommen immer nur einen Teil eines Schriftstückes bezeichnet, kann<br />

"Zeilen" in der Mehrzahl ohne weiteres <strong>den</strong> Sinn von Brief bekommen. So liest man ja<br />

oft: "Vielen Dank für ihre freundlichen Zeilen". Dennoch bedeutet Zeile nicht sofort<br />

Brief.<br />

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Texten, wo syllabae (neben litterae, series,<br />

affatus, apices) mehr oder weniger nur als anderes Wort für Brief (epistola) verwendet<br />

wor<strong>den</strong> ist. <strong>Die</strong> systematische Erfassung aller noch vorhan<strong>den</strong>en Stellen in der<br />

Briefliteratur des Frühmittelalters, in <strong>den</strong>en syllabae vorkommt, brachte dieses<br />

Ergebnis: Das Wort ist nahezu ausschließlich von Päpsten bzw. ihren unmittelbaren<br />

Mitarbeitern verwendet wor<strong>den</strong>. Es hat sich eine Zeit lang im achten Jahrhundert am<br />

päpstlichen Hofe besonderer Vorliebe erfreut. Unter Paul I. und Stephan III. hat es <strong>den</strong><br />

Gipfel der Beliebtheit erreicht, während es unter Hadrian I. schon deutlich hinter dem<br />

neuen Modewort apices zurücktritt. Zuletzt fand es sich noch in zwei kleineren Werken<br />

des Bibliothekars des Apostolischen Stuhles Anastasius (T 879) um die Mitte des<br />

neunten Jahrhunderts.


<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 159<br />

<strong>Die</strong> Aufzählung aller Fundstellen von syllabae, an deren zeitlicher Spitze jener erste<br />

Brief Gregors II. an Kaiser Leo III. steht, erweckt unweigerlich <strong>den</strong> Eindruck, als wäre<br />

das Wort eben damals - und dadurch - am päpstlichen Hof in Rom unversehens in<br />

Mode gekommen und hätte dort - und eigentlich nur dort! - Schule gemacht, um aber<br />

nach gut einem Jahrhundert wieder gänzlich zu verschwin<strong>den</strong>. Meiner Meinung nach<br />

setzt allein dieser Umstand <strong>den</strong> so lange umstrittenen Brief in engste Beziehung zum<br />

<strong>römische</strong>n Patriarchium. Will man ihn schon nicht als authentischen Papstbrief<br />

anerkennen, müßte doch der Verfasser dem päpstlichen Hof sehr nahe gestan<strong>den</strong> haben,<br />

sodaß sein Produkt dort alsbald irgendwie rezipiert wurde. - Überhaupt wird man sich<br />

schwerlich dem Eindruck entziehen können, daß sich die Indizien für die Echtheit der<br />

zwei Briefe Gregors II. an Kaiser Leo III. (abgesehen von <strong>den</strong> zwei oben genannten<br />

Interpolationen), mehr als anfänglich erwartet wer<strong>den</strong> durfte, vermehrt und verstärkt<br />

haben.<br />

Gewissermaßen als Anhang seien aus <strong>den</strong> zwei Briefen noch ein paar Kostproben<br />

geboten. Sie schildern die Lage des Papsttums zur Zeit Gregors II. und die damals im<br />

Patriarchium herrschende Mentalität so konkret und -soweit dies historisch nachprüfbar<br />

ist - auch zutreffend, wie sie irgendein Fälscher in Konstantinopel schwerlich hätte<br />

ersinnen oder auch nur erahnen können.<br />

"Wenn Du aber uns, um Dein Wort zu gebrauchen, 'kleinkriegen' willst und uns mit<br />

offenen Drohungen kommst - nun, wir haben es nicht nötig, uns mit Dir in einen<br />

Schlagabtausch einzulassen. Drei Meilen weit wird der Bischof von Rom aufs Land der<br />

Campania hinaus entweichen - dann komm und jage <strong>den</strong> Win<strong>den</strong> nach"! 17<br />

Und ein Stück weiter nochmals: "So beschwören wir Dich <strong>den</strong>n im Herrn:<br />

Laß ab von Deinem unbesonnenen und kindischen Tun! Du weißt ja genau, daß sich<br />

Deine Kaisermacht Roms nicht zu versichern vermag. Höchstens die Stadt kannst Du<br />

bezwingen wegen der Nähe des Meeres und der Landungsplätze. Aber wie gesagt: drei<br />

Meilen entweicht der Papst aus Rom, und schon braucht er mit Dir nicht mehr zu<br />

rechnen". 18<br />

Eine solch kesse Antwort war nur in jenen wenigen Jahren <strong>den</strong>kbar, als die<br />

byzantinische Heeresmacht in Mittelitalien fast auf <strong>den</strong> Nullpunkt gesunken war und<br />

die Beziehungen des Papsttums zu <strong>den</strong> Langobar<strong>den</strong> einigermaßen freundschaftlich und<br />

noch nicht in eine Dauerfeindschaft umgeschlagen waren. <strong>Die</strong>s aber trifft vornehmlich<br />

auf die gemeinsame Regierungszeit des Königs Liutprand (712-744) und Gregors II. zu.<br />

Zum Verständnis des Nächstfolgen<strong>den</strong> sei vorausgeschickt, daß der Kaiser gedroht<br />

hatte: "Ich werde Militär nach Rom schicken, die Statue des heiligen<br />

17 RAHNER 352; GOUILLARD ZZ. 241-244.<br />

18 RAHNER 353; GOUILLARD ZZ. 263-267.


160 Hans Grotz<br />

Petrus zusammenhauen und <strong>den</strong> Gregor, der dort Erzbischof ist, gefesselt<br />

hierherschleppen lassen, wie es einst Konstantin mit dem Martinus gemacht hat". 19<br />

Damit spielte er auf ein Ereignis an, das noch kein ganzes Jahrhundert vorauslag.<br />

Darauf unser Briefschreiber: "Ach wäre es doch auch uns vergönnt, auf <strong>den</strong> Wegen des<br />

Martinus zu wandeln! Aber um des großen Gottesvolkes willen wollen wir leben, am<br />

Leben bleiben. Denn der ganze Westen hält auf unsere Niedrigkeit seine Augen<br />

gerichtet. Und wenn wir auch dessen ganz unwürdig sind: jene Völker haben ein<br />

gewaltiges Vertrauen auf uns, auf uns und auf <strong>den</strong>, dessen Standbild Du zu zerschlagen<br />

und zu vernichten gesonnen bist, auf <strong>den</strong> Apostelfürsten Petrus, <strong>den</strong> alle Königreiche<br />

des Westens wie einen Gott auf Er<strong>den</strong> verehren! Wagst Du es, das zu bezweifeln?<br />

Wohlan, alle Völker des Westens sind bereit, an Dir die Völker des Ostens zu rächen,<br />

<strong>den</strong>en Du so Unrecht tust". 20<br />

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß hier an bestimmte frischbekehrte<br />

Hei<strong>den</strong>völker gedacht ist, die noch wenig im Glauben unterrichtet zu Übertreibungen<br />

bei der Verehrung des hl. Petrus neigten. Um welche Völker es sich konkret handelte,<br />

wird im Folgen<strong>den</strong> immer deutlicher. Der Briefschreiber hebt zuvor aber nochmals die<br />

Zwecklosigkeit eines Anschlags auf Petrus (und <strong>den</strong> Papst) hervor: "Es macht uns tief<br />

traurig, daß die Wil<strong>den</strong> und Barbaren kultiviert gewor<strong>den</strong> sind und Du, der Kultivierte,<br />

wild und kulturlos. Das ganze Abendland bringt dem Apostelfürsten Früchte des<br />

Glaubens dar -und Du schickst ein paar Menschen, um das Bild des heiligen Petrus zu<br />

zerschlagen. Siehe, wir bezeugen es Dir schon jetzt: Wir sind unschuldig an dem Blute,<br />

das dann vergossen wird; es komme auf Deinen Nacken und Dein Haupt"! 21<br />

Der Briefschreiber verrät großen politischen Weitblick, indem er in dieser Weise das<br />

alternde, ost<strong>römische</strong> Reich und das jugendfrische Abendland, das sich mit Schwung<br />

dem Christentum zuwendet, <strong>gegen</strong>einander abwägt. Der aber so schrieb, konnte nicht<br />

ein beliebiger Durchschnittsrömer sein; kein solcher, und noch weniger ein Byzantiner,<br />

verfügte über genügend Informationen, um sich ein Bild von <strong>den</strong> Vorgängen "im<br />

innersten Abendland" machen und ihre geschichtliche Bedeutung ermessen zu können.<br />

Der Briefautor fährt fort: "Neulich erst gelangten aus dem innersten Bereich des<br />

Abendlandes, das auch Hesperien genannt wird, Bitten an uns, man wolle dort um der<br />

Gnade Gottes willen unser Antlitz sehen, und wir sollten doch, um die heilige Taufe zu<br />

spen<strong>den</strong>, zu ihnen reisen. Und wir bereiten die-<br />

19 RAHNER 351 f. ; GOUILLARD ZZ. 236-238.<br />

20RAHNER 352 f.; GOUILLARD ZZ. 257-263.<br />

21 RAHNER 353; GOUILLARD ZZ. 268-272.


<strong>Die</strong> <strong>früheste</strong> <strong>römische</strong> <strong>Stellungnahme</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Bildersturm</strong> 161<br />

se Fahrt vor, <strong>den</strong>n wir wollen nicht zur Rechenschaft gezogen wer<strong>den</strong> ob eines Mangels<br />

an Hirtensorge". 22<br />

Ähnlich nochmals im zweiten Brief: "Wir aber haben vor, wie wir es bereits<br />

geschrieben haben, eine Reise in das innerste Abendland anzutreten, um dort mit Gottes<br />

Gnade <strong>den</strong>en die Taufe zu spen<strong>den</strong>, die danach sehnlich verlangen. Wohl haben wir<br />

dorthin schon Bischöfe und Kleriker unserer heiligen Kirche ausgesandt, aber die<br />

Fürsten jener Völker wollten nicht vor ihnen das Haupt beugen und sich taufen lassen,<br />

sondern verlangten mich persönlich als Taufherrn. Darum rüsten wir uns nun mit Gottes<br />

Gnade zur Reise, auf daß wir nicht einst zur Rechenschaft gezogen wer<strong>den</strong> ob ihrer<br />

Verdammnis und unseres Mangels an Seeleneifer". 23<br />

Selbstverständlich ist hier an Winfried - Bonifatius zu <strong>den</strong>ken <strong>den</strong> Papst Gregor II.<br />

ausgeschickt hat. Am 15. Mai 719 sendet er ihn nach Germanien und erhält bald danach<br />

von ihm Briefe, die von größten Missionserfolgen Zeugnis geben, von <strong>den</strong>en leider nur<br />

ein Bruchteil erhalten geblieben ist. Am 30. November 722 weiht Gregor II. ihn zum<br />

Bischof für die "Länder des innersten Westens".<br />

Als Letztes sei noch ein Briefabschnitt angehängt, der für die Liturgiegeschichte<br />

bedeutsam sein könnte und vielleicht einer eingehenderen Würdigung wert wäre. Er<br />

lautet: "Wenn jemand <strong>gegen</strong> Dich ein Majestätsverbrechen begeht, o Kaiser, dann<br />

beschlagnahmst Du ihm Haus und Vermögen; Du schenkst ihm vielleicht das nackte<br />

Leben, oder Du läßt ihn gar hängen, köpfen oder in die Verbannung schleppen, wo er<br />

fern ist von allen Kindern, Verwandten und Freun<strong>den</strong>. Nicht so die Bischöfe. Wenn<br />

jemand gesündigt hat und aufrichtig Buße tut, dann legen sie ihm statt Strick und<br />

Schafott das Evangelienbuch und das Kreuz auf <strong>den</strong> Nacken; sie 'lassen ihn abführen'aber<br />

in die Sakristei; sie 'verbannen ihn'- aber in <strong>den</strong> Büßerraum der Kirche; sie<br />

'belegen ihn mit Strafe'- aber mit Fasten für seinen Leib, mit Nachtwachen für seine<br />

Augen, mit Gebeten für seinen Mund. Und wenn er or<strong>den</strong>tlich gefastet und sich<br />

gründlich gebessert hat, dann reichen sie ihm <strong>den</strong> Hochheiligen Leib des Herrn und<br />

tränken ihn mit dem göttlichen Blut.. ," 24<br />

Nach all dem versteht man, daß gerade auch deutschen Historikern viel an diesen<br />

Briefen lag. Noch viel früher aber - so ist eingangs gesagt wor<strong>den</strong> -hatten sie hohe<br />

Wertschätzung in der orthodoxen Kirche des Ostens gefun<strong>den</strong>.<br />

22 RAHNER 353; GOUILLARD ZZ. 272-275.<br />

23 RAHNER 358 f.; GOUILLARD ZZ. 383-393.<br />

24 RAHNER 356; GOUILLARD ZZ. 334-343.

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