Signe Theill
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Zwischen Kopfgeburt und Kindsgeburt: Kunstszenen im Genderkonflikt<br />
Johannes Rauchenberger im Gespräch mit der Kuratorin und Künstlerin <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong><br />
Sind Kinder, Kunst und Karriere vereinbar? Die Kuratorin und Künstlerin <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong> kuratierte zu<br />
dieser Frage eine vielfach rezipierte Ausstellung. Was sie dazu bewogen hat, wie sie den Genderkonflikt<br />
in der real existierenden Kunstszene sieht, in welch prekärer Situation sich vor allem alleinerziehende<br />
Künstlerinnen mit Kindern befinden, welche Impulse die feministischen Debatten zum<br />
Mutterthema beigetragen haben, wie sich surrealistische Auffassungen zu Sexualität und Nachkommenschaft<br />
in künstlerischen und kirchlichen Schaltzentren spiegeln – und warum sie eigentlich nicht<br />
zu akzeptieren sind: Das erzählt <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong> im Gespräch mit Kunst und Kirche.<br />
Die Kuratorin und Künstlerin<br />
<strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong>. Foto: privat<br />
KuK: Frau <strong>Theill</strong>, Sie verantworteten vor einigen Jahren im<br />
Künstlerhaus Bethanien in Berlin und anschließend im Paula<br />
Modersohn Becker Museum in Bremen eine in der Rezeptionsgeschichte<br />
viel beachtete Ausstellung mit dem Titel „doublebind.kunst.kinder.karriere“,<br />
in der Sie die Doppelrolle als<br />
Künstlerin und Mutter beleuchteten. Wie sehen Sie aus der<br />
Distanz als Kuratorin und Künstlerin dieses Thema? Würden<br />
Sie diese Ausstellung noch einmal machen?<br />
<strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong>: Wenn man sich einem Thema intensiver nähert,<br />
steckt oft die eigene Biografie dahinter. Ich war damals selbst<br />
in der Mutterrolle mit zwei kleinen Kindern. Bei einem Stipendienaufenthalt<br />
in Australien merkte ich allerdings, dass<br />
Frauen dort sehr viel ungezwungener und auch offensiver mit<br />
diesem Thema umgegangen sind. Es war eben keineswegs so<br />
stigmatisierend wie im deutschen oder europäischen Kontext.<br />
Ein anderer Anstoß waren Gespräche mit Akteuren aus dem<br />
Kunstbetrieb, Galeristen, Kuratoren, durch die mir flapsige<br />
Formulierungen den Anstoß gaben in die Tiefe zu gehen – von<br />
allen Seiten kamen Bemerkungen in der Richtung, dass Kunst<br />
Louise Bourgeois, „Girl Falling“ 1947, Kohle und Tinte auf Papier,<br />
28,5 × 18 cm, Privatsammlung,Courtesy Cheim & Read, New York<br />
und Galerie Karsten Greve, Köln.<br />
Ausstellung: „doublebind.kunst.kinder.karriere“, Berlin 2003<br />
und Mutterschaft nicht zu vereinbaren seien – Mutterschaft<br />
würde das Künstlersein automatisch beenden. Und Mutterschaft<br />
als künstlerisches Thema wurde sehr kritisch gesehen,<br />
zum einen sei die Frauenfrage doch geklärt, zum anderen<br />
würden die Frauen das schon alleine schaffen.<br />
Ich fühlte mich brüskiert: Wir schaffen das alles, weil wir es<br />
nicht nach außen tragen und Mutterschaft nicht zum Thema<br />
16 03/2010 kunst und kirche<br />
© Springer-Verlag
Valie Export, „Homo Meter II“ 1976, Straßenaktion,<br />
Schwarz-Weiß-Fotografie, 80,4 × 59,5 cm,<br />
Ausstellung: „doublebind.kunst.kinder.karriere“, Berlin 2003<br />
machen! Der Kunstbetrieb wurde buchstäblich rein gehalten<br />
von dieser Themenstellung. Das war also für mich der Beginn<br />
dieser Auseinandersetzung. So stieß ich auf Positionen<br />
wie Valie Export, aber auch Mary Kelly, Jenny Holzer, Ulrike<br />
Rosenbach, die sich alle auch mit diesem Thema beschäftigt<br />
haben. Der erste Förderantrag war noch abgelehnt worden,<br />
auch vor dem Hintergrund, dass Feminismusdiskussionen<br />
auf die 60-er, 70-er Jahre als abgehakt erklärt wurden. Dass<br />
sich aber dann immer mehr jüngere Künstlerinnen mit diesem<br />
Thema beschäftigt haben, hat schließlich den Ausschlag für<br />
die Realisierung gegeben. Erwähnenswert ist auch, dass ich<br />
im Nachhinein sehr viel Bestätigung von Künstlerinnen erhalten<br />
habe, die diese Mehrfachbelastung irgendwie hinbekommen<br />
haben, allerdings waren die Konditionen eben sehr hoch.<br />
Die Voraussetzung für die Auswahl von „doublebind.kunst.<br />
kinder.karriere“ war, dass die Künstlerinnen selbst Kinder hatten<br />
und dass sich diese Lebenssituation auch auf ihre Arbeit<br />
niedergeschlagen hat. Für mich selbst war „doublebind.kunst.<br />
kinder.karriere“ die erste Arbeit, in der ich mich mit dem Thema<br />
auseinandergesetzt habe, das aber gleich grundsätzlich<br />
und heftig. Mich hat verblüfft, dass etwa ganz renommierte<br />
Teilnehmerinnen wie Rune Mields, die sich eigentlich in ihrem<br />
Werk mit Mathematik befasst, auch Arbeiten zum Thema<br />
Mutter realisiert hat. Ulrike Rosenbach hatte in den 60-er, 70er<br />
Jahren viele Performances dazu gemacht, die real sehr viel<br />
Zuspruch gefunden haben, von der Kritik aber weitgehend<br />
verrissen wurden.<br />
Ulrike Rosenbach, „Mutterliebe“ 1978, Videostill, Video, 4 min.,<br />
Ausstellung: „doublebind.kunst.kinder.karriere“, Berlin 2003<br />
© Springer-Verlag<br />
Johannes Rauchenberger im Gespräch mit <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong><br />
Das Mutterthema wurde also in dieser „frühen“ Phase der Emanzipationsbewegung<br />
nicht besonders begeistert rezipiert…<br />
Genau, zumindest nicht als eigenes Thema. Würde ich die<br />
Ausstellung heute machen, würde ich die Rolle der Väter stärker<br />
einbeziehen. Die Diplomarbeit einer Studentin, die ich derzeit<br />
gerade betreue, zeigt, dass sich in dieser Richtung etwas<br />
weiterentwickelt hat. Der Begriff „Parenting Artist“ kommt<br />
aus dem amerikanischen Raum, wo ihn diese Studentin während<br />
ihres Studienaufenthalts in den USA kennen gelernt hat.<br />
Er umkreist – parallel zu unseren Genderdebatten hier – das<br />
Problem Elternschaft in breiterer Hinsicht, nicht nur in Bezug<br />
auf Mutterschaft.<br />
Zwar hatte ich mir selbst auch in Bezug auf die Künstlerauswahl<br />
die Frage gestellt, ob auch Künstler einzubeziehen seien,<br />
habe mich dann aber für meine Vorgangsweise entschieden.<br />
Der Grund, warum ich Männer nicht in die Ausstellung einbezogen<br />
hatte, war damals für mich das Fehlen der existenziellen<br />
Dimension des Kinderbekommens. Für mich war die Thematisierung<br />
der Kinder durch männliche Künstler eher eine Zur-<br />
Schau-Stellung der Vater-Kind-Rolle. Letztendlich ist es doch<br />
so, dass sich Frauen verstärkt mit der Problematik herumschlagen<br />
– spätestens im Falle der Trennung. Das war der Ansatz…<br />
Heute würde ich es aufbrechen in Richtung: „Wie ist die Männerrolle<br />
in dieser durchaus prekären Lebenssituation?“<br />
In Ihrem Ausstellungsprojekt haben Sie den Künstlerinnen mit<br />
Kind Fragen gestellt – vor allem im Hinblick auf die Verbindung<br />
von Kunst, Kinder und Karriere und die Sicht des Kunstbetriebs<br />
auf Künstlerinnen mit Kindern. Hat sich da in Wirklichkeit etwas<br />
verbessert? Oder ist es sogar härter geworden?<br />
Ich sehe derzeit zwei Tendenzen. Ich sehe die absolute Dramatik<br />
von alleinerziehenden Müttern. Das kann wirklich eine<br />
dramatische Situation darstellen. Die Künstlerinnenrolle ist<br />
meist mit einer prekären Einnahmensituation verbunden. Für<br />
gut verdienende Alleinerziehende ist dies meist kein Problem,<br />
kunst und kirche 03/2010<br />
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Johannes Rauchenberger im Gespräch mit <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong><br />
Mary Kelly, Documentation IV of the Post-Partum Document, Transitional<br />
Objects, Diary and Diagram, Experimentum Mentis IV, on Feminity,<br />
1976, Mixed Media 35,6 × 27,7 cm, Ausstellung: „doublebind.kunst.kinder.<br />
karriere“, Berlin 2003<br />
weil sie auf Kindermädchen zurückgreifen können. Das Problem<br />
sehe ich aber nicht nur in Bezug auf die Künstlerinnen.<br />
Es war damals auf der Kuratorinnenseite bzw. Kunsthistorikerinnenseite<br />
sehr schwer, Kooperationspartner zu finden:<br />
Für Männer war das eben kein Thema. Und Frauen, geboren<br />
aus der Generation der 50-er Jahre, hatten bewusst zugunsten<br />
des Kunst- bzw. Ausstellungsbetriebs auf Kinder verzichtet –<br />
sie waren also gar nicht für das Thema ansprechbar. Ich hatte<br />
damals das Glück eine Kooperationspartnerin zu finden,<br />
die selbst gerade Mutter geworden war und auch als Ausstellungsmacherin<br />
zu spüren bekam, wie schwierig diese neue<br />
Situation war. Aber selbst da war noch Überzeugungsarbeit<br />
zu leisten, bis sie sagte: „Ja, das ist ein Thema.“<br />
Aber ich sehe auch Vorteile in dieser oft schwierigen Situation.<br />
So wurde ich oft gefragt, was den Unterschied<br />
zwischen Künstlerinnen und „normalen“ Frauen in dieser<br />
Situation ausmache. Vielleicht haben Künstlerinnen<br />
manchmal sogar den Vorteil, die Mutterthematik in ihre<br />
Arbeit zu integrieren und auch darüber zu reflektieren – also<br />
bewusst mit dieser Problematik umgehen.<br />
Wenn Sie den Blick auf heute richten: Hat sich etwas verändert?<br />
Bei der Ausstellungseröffnung damals war die Situation ganz<br />
toll, wir haben Sonntag nachmittags, am Muttertag eröffnet –<br />
und sehr, sehr viele Künstler und Künstlerinnen kamen mit<br />
ihren Kindern. Ich hatte das Gefühl: Jetzt trauen sie sich alle<br />
hervor… Was ich in den letzten Jahren beobachte, zumindest<br />
hier in Berlin: Es bekommen sehr viele junge Künstlerinnen<br />
Kinder. Und sie sind stolz darauf. Das war damals, in meiner<br />
Generation der um 1960 Geborenen noch ganz anders.<br />
Aber muss man nicht einschränkend sagen, dass diese jungen<br />
Künstlerinnen, die also am Beginn ihrer künstlerischen Karriere<br />
stehen, mit den Härten des Kunstbetriebs auch noch nicht<br />
so konfrontiert sind…<br />
Das ist richtig. Wir waren damals, als wir diese Thematik in<br />
der Szene positioniert haben, bereits um die vierzig und hatten<br />
uns mit dem Thema bereits 10 Jahre lang herumgeschlagen.<br />
Solang man sich ein Kind um den Arm klemmen kann, ist<br />
es ja viel leichter, man kann es auch überall hin mitnehmen,<br />
wenn man das länger macht oder mehr Kinder hat, wenn man<br />
dann nicht mehr der junge Nachwuchs in der Kunstszene ist,<br />
sieht dann schon alles anders aus. Aber dennoch: Ich beobachte<br />
eine größere Offenheit bei jungen Künstlerinnen. Ich erlebte<br />
mich damals, als ich ein Kind bekam, als eine wirkliche<br />
Ausnahme in der Kunstszene. Ich musste das Thema Ende der<br />
80-er, Anfang der 90-er Jahre wirklich erst ausgraben.<br />
Meine Beobachtung ist, dass es derzeit beinahe schick geworden<br />
ist, mit einem Kind auf Vernissagen zu flanieren…<br />
Ja, so sehe ich das auch. Es gibt sogar schon die ersten Flüchtlinge,<br />
die sich als asozial angeklagt fühlen, wenn sie sich zu<br />
Kinderlosigkeit bekennen… Vom Prenzlauer Berg hier in Berlin<br />
könnte ich einige Beispiele nennen. Es gibt derzeit in der<br />
Szene wirklich, etwas überspitzt gesagt, den Trend zum Kind,<br />
es ist einfach schick. Das geht sogar soweit, dass man sich<br />
in gewissen Milieus ohne Kind gar nicht mehr sehen lassen<br />
kann… Positiv gesagt heißt das natürlich, dass sich insofern<br />
etwas epochal geändert hat, als man mit dem Thema in die<br />
Offensive gegangen ist.<br />
Werfen wir einen Blick auf den feministischen Diskurs. Hat<br />
sich diesbezüglich Ihrer Meinung nach in der Kunst auch in<br />
Bezug auf Mutterschaft etwas verändert? Welche Beiträge beobachten<br />
Sie dabei?<br />
18 03/2010 kunst und kirche<br />
© Springer-Verlag
Die deutsche Filmemacherin Helke Sander hat vor einiger Zeit<br />
den Film „Mitten im Malestream“ (2005) produziert, in dem<br />
sie die Geschichte der feministischen Debatte in der Bundesrepublik<br />
aufgerollt hat – unter anderem mit phantastischen<br />
Originalaufnahmen. In einem Interviewpart (wo ich auch als<br />
Kuratorin von „doublebind“ interviewt wurde), wird deutlich,<br />
dass sich der Diskurs Anfang der 70-er Jahre gespalten hat.<br />
Sander sieht dabei zwei Protagonistinnen, sich selbst zum einen<br />
und zum anderen Alice Schwarzer, bei der es nur um<br />
die Rolle der Frau geht und nicht um die Rolle der Frau und<br />
Familie. Letztere Richtung, so Sander, habe gewonnen. Es gab<br />
damals im Rahmen der studentischen Protestbewegung, die<br />
natürlich sehr männlich geprägt war, Initiativen wie „Kinderläden“<br />
usw. – durchaus im Sinne von „parenting artists“ als<br />
gemeinschaftliche Bewegung. Diese aber wurde im Feminismus<br />
eigentlich wieder ausgeklammert. In der Folge ging es in<br />
der Debatte nur noch um die Rolle der Frau an sich. Ulrike<br />
Rosenbach bestätigte das in dem Interview, das ich mit ihr<br />
führte: Obwohl sie damals ja schon so weit in das Thema<br />
vorgedrungen war, sei es wirklich viel mehr darum gegangen,<br />
dass man die eigene Rolle als Frau an sich definierte. Die Familie<br />
blieb dann zurück. Im Laufe des feministischen Diskurses<br />
wurde diese schließlich ganz ausgeklammert bis zu dem<br />
Punkt – das war ungefähr die Zeit von „doublebind“ –, als<br />
© Springer-Verlag<br />
Caroline Weihrauch,<br />
„Schön, wieder eine<br />
weniger!“, 2003, Stickerei<br />
auf Frotteehandtuch,<br />
Ausstellung: „doublebind.<br />
kunst.kinder.karriere“,<br />
Berlin 2003<br />
Johannes Rauchenberger im Gespräch mit <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong><br />
man merkte, dass man die<br />
männliche Rolle eigentlich<br />
völlig internalisiert gehabt<br />
hatte: Man verhielt sich als<br />
Frau mit Kindern so, als ob<br />
man keine Kinder hätte – nur dann sah man sich als gleichberechtigt.<br />
Das aufzubrechen habe ich mit der Ausstellung versucht.<br />
Zusammengefasst: Der feministische Diskurs hat die<br />
Kinderrolle nicht integriert und sich mit dieser Debatte nicht –<br />
oder zu wenig – beschäftigt.<br />
Wird – und wenn ja, wie – das Thema nun in jüngerer Zeit<br />
offener angegangen?<br />
Man muss natürlich zunächst sagen, dass es ganz wesentliche<br />
Vorreiterinnen gab. Lucy Lippard, eine der wichtigen Kunsthistorikerinnen<br />
aus den USA in den 70-er Jahren, bekannte<br />
freimütig: Wir haben alle unsere Kinder versteckt – bis Mary<br />
Kelly Ende der 60-er Jahre ganz offensiv damit umgegangen<br />
ist. „Ich hab mich in der Kunstöffentlichkeit nicht als Mutter<br />
definiert. Ich habe meine Kinder nie zu Eröffnungen oder<br />
ähnlichem mitgenommen. Erst als sie groß waren, erst als<br />
ich mich mit ihnen schmücken konnte“, sagte Rune Mields<br />
in dem Interview, das ich mit ihr führte. Rune Mields war<br />
bei „doublebind“ um die 70! Es gab also eine Wellenbewegung:<br />
Während noch in den 70-er Jahren bei Joseph Beuys<br />
diesbezüglich ein sehr offenes Milieu vorhanden war – Ulrike<br />
Rosenbach hat erzählt, dass in der Beuys-Klasse Kinder ganz<br />
offen auf die Akademie mitgebracht werden konnten – sind<br />
Künstlerinnen später wieder sehr zurückhaltend mit diesem<br />
Thema umgegangen.<br />
Auch merkte ich einen großen Unterschied zwischen Ost und<br />
West. Die Künstlerinnen aus der ehemaligen DDR legten ein<br />
viel größeres Selbstbewusstsein an den Tag als die Künstlerinnen<br />
aus der BRD. Westdeutsche Künstlerinnen hatten mit<br />
der internalisierten Mutterrolle der 60-er, 70-er Jahre – Stichwort<br />
„Rabenmütterphänomen“ – viel stärker zu kämpfen. Die<br />
ostdeutschen Künstlerinnen wie Tina Bara oder Else Gabriel<br />
hatten diesbezüglich ein viel stärkeres Selbstbewusstsein.<br />
Tina Bara sagte dies damals ganz explizit: Sie hätte schon von<br />
ihrer Mutter gelernt: Beruf und Kinder sind vereinbar. „Ich<br />
hatte nie dieses Frauenbild, wegen der Kinder keinen Beruf zu<br />
haben. Ich denke, ich kann nur dann eine zufriedene Mutter<br />
sein und den Kindern Selbstvertrauen vermitteln, wenn ich es<br />
Rune Mields, „Die Frau, die vom Himmel fiel“, 1994, Aquatec auf Leinen,<br />
200 × 145 cm, Ausstellung: „doublebind.kunst.kinder.karriere“, Berlin 2003<br />
kunst und kirche 03/2010<br />
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Johannes Rauchenberger im Gespräch mit <strong>Signe</strong> <strong>Theill</strong><br />
auch selbst habe.“ Es geht hier – auch bei mir war dies so –<br />
ganz wesentlich um Vorbilder. Wo es diese erlebte Vorbildwirkung<br />
nicht gegeben hat, kam es zur großen Irritation – zu<br />
diesem „doublebind“, das einen so zerrissen hat.<br />
Zurück zur Kunstszene selbst. Kunstbetrieb und Kunstproduktion<br />
heute mit seinen Härten der Selbstvermarktung, des<br />
Networking und der uneingeschränkten Mobilität sind der<br />
Mutterrolle mit ganz alltäglichen Anforderungen nicht gerade<br />
zuträglich. Ich habe noch immer den Eindruck, hier lagern<br />
große Vorbehalte bezüglich dieses Themas…<br />
Die Vorurteile sind im Kunstbetrieb eigentlich noch viel härter<br />
als sonst. Ich erlebte mehrfach, dass Kuratorinnen, Galeristinnen<br />
auf einen zukommen und erklären, dass jetzt, wo man<br />
ein Kind hätte, das Künstlersein einfach nicht mehr weitergehen<br />
könne. „Ich habe damals gut verkauft, bis meine Stammgalerie<br />
in Düsseldorf sagte: ‚Du hast ja jetzt etwas Kleines unter<br />
dem Christbaum, sei damit erst einmal zufrieden‘“ – das<br />
hat mir etwa Petra Seelenmayer in einem Interview erzählt.<br />
Auch ich selbst war mit solchen Aussagen konfrontiert. Ich<br />
hatte dieses Argument außerhalb des Kunstbetriebs wirklich<br />
niemals gehört! Es ist wie eine unfassbare Verzweckung, die<br />
aus einem Berufsbild entsteht, in dem man 100%ig bereit zu<br />
sein hat für seinen Job, bzw. für „die Aufgabe“, oder „die Berufung“…<br />
Es gibt ja das berühmte Zitat von Duchamp, nach<br />
dem der Künstler gar nichts haben dürfe, er müsse jederzeit<br />
frei sein für seine Arbeit zu sterben, er dürfe weder Familie<br />
noch sonst etwas haben.<br />
Die Dadaisten als die zölibatären Allianzpartner der katholischen<br />
Kirche sozusagen…<br />
Tina Bara, aus der Serie: „Fremde<br />
Kameraden, St. Martin, Jennersdorf,<br />
Oberdrosen“, 2003, C-Print<br />
90 × 70 cm, gerahmt, Ausstellung:<br />
„doublebind.kunst.kinder.karriere“,<br />
Berlin 2003<br />
Es ist eigentlich noch ärger. Für mich gab es einen weiteren<br />
Auslöser für das Aufbrechen dieses Themas: Die „zwölf Gespräche<br />
der Surrealisten über Sexualität“ 1 sind eine unglaubliche<br />
Fundgrube, wenn man in die Abgründe dieser Thematik<br />
schauen will. André Breton spricht dort davon, dass er, falls<br />
er ein Kind zeugen würde, es auf keinen Fall je sehen wollte.<br />
Auch war es für ihn unvorstellbar mit einer Frau zusammen<br />
sein zu wollen, die ein Kind von ihm wolle…<br />
Ich interpretiere das so, dass der Männlichkeitskult in der<br />
Kunst ein stabilisierendes Element darstellt, mit ihm verbunden<br />
der Geniekult und das Schöpfertum des Künstlers. All das<br />
findet man natürlich auch in der Kunstdebatte, aber eigentlich<br />
immer nur in der positiven Rezeption. Als ich als junge Künstlerin<br />
1982 auf der documenta VII gleichzeitig mit Salomé aufgebaut<br />
hatte, hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Dieser<br />
sah, dass seine Bilder nicht richtig positioniert worden waren<br />
und stieß gleich aus: „Mein Gott, meine Kinder sind falsch<br />
gehängt!“ Das ist paradigmatisch: Die Gleichsetzung Werk =<br />
Geschöpf = Kinder ist ein männlicher Zugang, der durch die<br />
gesamte Kunstgeschichte gezogen werden kann. Sie schließt<br />
eigentlich die leibliche Mutterschaft, aber auch Vaterschaft<br />
aus. Es ist wie die Kopfgeburt des Zeus: Ich finde eigentlich<br />
traurig, dass das Selbstbild des männlichen Künstlers so stark<br />
geprägt ist von diesem Parallelgedanken von Schöpfung und<br />
Autorenschaft. Ich meine das gerade in Bezug auf das männliche<br />
Bild. Dieses bricht in anderen Berufen viel stärker auf.<br />
Anmerkungen<br />
1 Pierre, José (Hg.): Recherchen im Reich der Sinne – Die 12 Gespräche der<br />
Surrealisten über Sexualität 1928–1932, Verlag C. H. Beck, München 1993.<br />
20 03/2010 kunst und kirche<br />
© Springer-Verlag