BLICK I SAMSTAG 5. JULI 2008 BLICK I SAMSTAG 5. JULI 2008 4 5 Chemikalien,Abwässer,Ölverschmutzung Der Ozean wird Müllhalde Ringelblume © Michel GUNTHER/<strong>WWF</strong>-Canon MÜLLHALDE MEER Verrottende Schiffe und Emissionen der Ölindustrie sind leider nicht nur vor der Küste Algeriens traurige Realität. © <strong>WWF</strong>/<strong>Schweiz</strong> DER GRANATBARSCH Eine von vielen durch industrielle Über<strong>fisch</strong>ung bedrohte Arten. Das Meer ist geduldig. Es schreit nicht, wenn es mit Giftstoffen vollgeschüttet wird. Aber <strong>die</strong> Zeitbombe tickt! Trotz zahlreicher internationaler Verbote und technischer Fortschritte richtet <strong>die</strong> Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll, Chemikalien, Abwässern und Nährstoffen enorme ökologische Schäden an. Vom Plastikbeutel bis zu Pestiziden – nahezu alles, was der Mensch an Land benutzt, gelangt auch ins Meer. An Plastikmüll erstickte Seevögel und Meeressäugetiere sind nur eine Folge hiervon. Brisant: Rund 80 Prozent der Ozeanverschmutzungen werden durch Aktivitäten an Land verursacht. Nährstoffeinträge aus landwirtschaftlichen Düngemitteln, ungeklärten Abwässern und Industrieemissionen haben in den Meeren ein verstärktes Algenwachstum zur Folge. Beim Verwesen rauben <strong>die</strong> Algen dem Meer den Sauerstoff, und weder Tiere noch Pflanzen können in solchen veralgten Gebieten überleben. Aber auch <strong>die</strong> industrielle Nutzung des Meeres selbst verursacht massive Verschmutzungen. Zum Beispiel durch <strong>die</strong> Offshore-Erdölförderung. Neben der allgegenwärtigen Gefahr von Tankerunfällen kommt es dabei zu massiven Ölverlusten im Normalbetrieb – schätzungsweise 14 000 Tonnen Öl verschmutzen dadurch jedes Jahr allein <strong>die</strong> Nordsee. Hinzu kommen giftige Bohrschlämme und Chemikalien. Bedrohte Arten Rund 86 Millionen Tonnen Fische werden pro Jahr aus den Meeren ge<strong>fisch</strong>t. Dies ist viermal mehr als noch vor 50 Jahren. Aus kurzsichtigen wirtschaftlichen Überlegungen verhindern einzelne Länder seit Jahren, dass Fangquoten nach wissenschaftlichen Empfehlungen festgelegt werden. Die Folgen davon: Drei Viertel der kommerziell genutzten Fischbestände rund um den Globus sind schon über<strong>fisch</strong>t oder stehen kurz davor. Darunter auch viele für den <strong>Schweiz</strong>er Markt wichtige Fischbestände wie Atlantischer Heilbutt, Rotzunge, Kabeljau, Seeteufel, Seezunge und Steinbutt. Grosse Räuber wie der Rote Thun oder verschiedene Hai- und Rochenarten sind sogar vom Ausster- ben bedroht. Aufgrund der späten Geschlechtsreife vieler Tiefsee<strong>fisch</strong>e wie zum Beispiel des Rotbarschs hat <strong>die</strong> Über<strong>fisch</strong>ung gravierende Folgen. Wenn durch rücksichtslose Fischerei relevante Mengen an Jung<strong>fisch</strong>en entnommen werden, droht <strong>die</strong> gesamte Population innerhalb kurzer Zeit zusammenzubrechen. Dass sich solche Bestände – einmal übernutzt – nur sehr schwer wieder erholen, liegt auf der Hand. Aber auch weniger anfällige Arten können sich – einmal über<strong>fisch</strong>t – nicht in jedem Fall wieder erholen. Der Kabeljaubestand an der kanadischen Ostküste zum Beispiel hat sich trotz scharfer Fangverbote seit 1992 bis heute nicht regenerieren können. INTERVIEW JENNIFER ZIMMERMANN ist <strong>die</strong> «Fisch-Expertin» beim <strong>WWF</strong> <strong>Schweiz</strong>. Es gibt Leute, <strong>die</strong> behaupten, dass in 40 Jahren der Ozean leerge<strong>fisch</strong>t sei. Stehts wirklich so schlimm ums Meer? Viele Bestände von beliebten Speise<strong>fisch</strong>en wie dem Kabeljau, der Seezunge oder dem atlantischen Heilbutt sind bereits stark über<strong>fisch</strong>t oder gar zusammengebrochen. Falls wir so weiter<strong>fisch</strong>en wie bisher, sieht <strong>die</strong> Zukunft für <strong>die</strong> Artenvielfalt in den Meeren wirklich düster aus. Damit wir das Ruder noch rechtzeitig herumreissen können, sind alle gefragt: <strong>die</strong> Fischereien, <strong>die</strong> Politik, der Handel und vor allem auch <strong>die</strong> Konsumentinnen und Konsumenten, <strong>die</strong> mit einem verantwortungsbewussten Fischkonsum einen grossen Beitrag gegen <strong>die</strong> Über<strong>fisch</strong>ung leisten können. Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man Fisch isst? Wichtig ist, Fische und Meeresfrüchte als nicht alltägliche Delikatesse zu betrachten. Und wenns dann doch einmal Fisch sein darf, dann unbedingt aus nachhaltig bewirtschafteten Beständen. Eine wichtige Einkaufshilfe bietet der <strong>WWF</strong>-Ratgeber zu Fischen und Meeresfrüchten. www.wwf.ch/seefood Wo sehen Sie <strong>die</strong> drei grössten Gefahren für den Ozean und seine Lebewesen? Die Fischerei mit ihren zerstörerischen und unselektiven Fangmethoden und <strong>die</strong> Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll, Chemikalien und Öl gehören dazu. Noch ungeahnte und mit Sicherheit gravierendere Folgen wird der Klimawandel haben. Er bringt Korallen zum Bleichen und vertreibt viele Arten aus ihren angstammten Lebensräumen in kältere Regionen. Was können wir dagegen unternehmen? Verantwortungsbewusst Fische und Meeresfrüchte konsumieren, dafür sogen, dass wir beim Einkauf auf Produkte setzen, welche wenig Chemikalien oder Müll verursachen- und klimabewusst leben. Warum ist es wichtig, nicht nur einzelne Arten wie z. B. <strong>die</strong> Wale, sondern das ganze Ökosystem Ozean zu schützen? Von den kleinsten Einzellern wie dem Plankton über <strong>die</strong> Seesterne, Quallen und Tinten<strong>fisch</strong>e bis hin zu den Walen und grossen Räubern ist das Ökosystem Meer in vielen Nahrungsketten miteinander verbunden. Wenn ein Glied in <strong>die</strong>ser Nahrungskette über<strong>fisch</strong>t oder zerstört wird, fehlt eine Nahrungsgrundlage für alle nachgelagerten Tiere. Unter Umständen kann das dazu führen, dass das ganze Gefüge auseinanderbricht und viele Arten plötzlich vor dem Nichts stehen. Was tut der <strong>WWF</strong> für den Schutz der Meere? Der <strong>WWF</strong> engagiert sich auf allen wichtigen Ebenen–für eine nachhaltige Ausgestaltung der politischen Instrumente, für eine verantwortungsbewusste Einkaufspolitik des Handels und der Grossverteiler und für eine Sensibilisierung der Konsumentinnen. FISCH-FARBRIK Mit Hightech und grossem Gerät werden <strong>die</strong> Weltmeere leergeplündert. BEIFANG Millionen von Meereslebewesen sterben jedes Jahr sinnlos als «Fisch-Abfall». TOD IM NETZ Dieser Delfin verhedderte sich in einem Fischernetz und starb qualvoll. Sünde Beifang Sie landen in den Fischernetzen der grossen Flotten, um später als unerwünschter Abfall tot oder schwerverletzt wieder ins Meer geworfen zu werden. Die Zahlen schrecken auf: 300 000 Wale und Delfine, 340 000 Robben, 300 000 Seevögel und 100 Millionen Haie verenden jährlich in den Netzen. Somit müssen zu den 86 Millionen Tonnen Fisch, <strong>die</strong> jedes Jahr in den Weltmeeren gefangen werden, wegen unselektiver Fangmethoden rund 20 Millionen Tonnen Meerestiere ebenfalls ihr Leben lassen. Sie gelten als sogenannter Beifang, da sie – entweder ungeniessbar, zu klein oder wirtschaftlich wenig ertragreich – nicht auf den Spei- seteller gelangen, sondern als lästiges Nebenprodukt meist gleich wieder über Bord geworfen werden. Besonders gravierend ist der Beifang in der tropischen Crevetten-Fischerei. Auf 1 Kilo Crevetten kommen bis zu 20 Kilo Beifang. Es gäbe wirkungsvolle Methoden, <strong>die</strong>sen Beifang zu reduzieren. Beispiele sind Fluchtklappen für Meeressäuger, runde statt J-förmige Haken, an welchen sich Seevögel nicht aufspiessen und grössere Maschenweiten, durch <strong>die</strong> Jung<strong>fisch</strong>e entweichen können. Bis jetzt finden <strong>die</strong>se Methoden jedoch nur selten Anwendung und werden von den Fischereinationen auch nicht vorgeschrieben. FISCHFANG • GRUNDSCHLEPPNETZE sind trichterförmige Netzsäcke, <strong>die</strong> in der gewerblichen Fischerei von einem oder mehreren Schiffen gezogen werden. Die Unterseite des Netzeingangs ist beschwert, damit das Netz über den Meeresboden gezogen werden kann. Da sich am Meeresboden verschiedenste Lebewesen aufhalten, ist der Beifang in der Grundschleppnetz-Fischerei mit 90 Prozent riesig. Zudem wühlt <strong>die</strong>se Fangmethode den Meeresboden auf, teilweise wird er regelrecht umgepflügt. • EINE DREDGE besteht aus einer stabilen zahnbewehrten Stange, hinter der eine Matte aus Stahlringen angebracht ist, <strong>die</strong> über den Meeresboden gezogen wird. An den Seiten und am Ende der Stahlmatte ist ein schweres Netz befestigt, in das <strong>die</strong> Schalentiere hineingespült werden. Bei <strong>die</strong>ser Fangmethode werden Meerestiere regelrecht aus dem Boden gepflügt und der Meeresboden dementsprechend geschädigt. Der Beifang ist auch bei <strong>die</strong>ser Methode riesig. Auf 1 Kilo Crevetten kommen bis zu 20 Kilo Beifang an anderen Meereslebewesen. • LANGLEINEN-FISCHEREI Bei der Langleinen-Fischerei werden an einer aus Kunststoff gefertigten Hauptleine mit unzähligen Köderhaken versehene Nebenleinen ausgelegt. Langleinen können bis zu 100 Kilometer lang und mit bis zu 20 000 Köderhaken versehen sein. Auch <strong>die</strong> Langleinen-Fischerei weist hohe Beifangraten von bis zu 30 Prozent auf. Insbesondere Seevögel, aber auch Meeresschildkröten und andere Meereslebewesen fallen Langleinen zum Opfer. • RINGWADENNETZE Fischschwärme werden zunächst mit Echolot, Sonargeräten oder Helikopter aufgespürt. Anschliessend wird mit Hilfe eines Schnellbootes das Netzende der Ringwade ringförmig um den Fischschwarm ausgelegt. Die Oberleine wird durch Bojen an der Wasseroberfläche gehalten, und an der unteren beschwerten Leine wird das Netz zugezogen. Damit wird der komplette Fischschwarm wie in einem Beutel gefangen. Der Beifang <strong>die</strong>ser Fangmethode beträgt zwar nur etwa 5 Prozent. Häufig fallen <strong>die</strong>sen Netzen allerdings Delfine und andere Meeressäuger zum Opfer.