Ausgabe vom Dezember 2008 - Juden in Sachsen
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JJIS<br />
Journal <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
<strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong><br />
ISSN 1866-5853<br />
Herausgeber:<br />
Deutsch-Russisches Zentrum <strong>Sachsen</strong> e.V.<br />
Bernhard-Gör<strong>in</strong>g-Straße 152<br />
04277 Leipzig<br />
www.juden-<strong>in</strong>-sachsen.de
Inhaltsverzeichnis<br />
Thema: Die Novemberpogrome <strong>in</strong> Leipzig 1938<br />
Die Leipziger Tagung „Der nationalsozialistische<br />
Novemberpogrom 1938 <strong>in</strong> Leipzig“. Tagungsbericht 3<br />
Rezensionen<br />
Michael Berger: Eisernes Kreuz und Davidstern. Die Geschichte<br />
jüdischer Soldaten <strong>in</strong> deutschen Armeen 7<br />
«Me<strong>in</strong>e Stadt sah ich wieder…» (im Gedenken an O. Mandelstam)<br />
«Я вернулся в мой город…» (памяти И. Мандельштама) 12<br />
Kurzbiografien<br />
Die Familien der Leipziger Unternehmer Siesk<strong>in</strong>d<br />
und Schreiber 20<br />
Familie Bleiweis 23<br />
Familie Blitzer 25<br />
Bruno Bloch 26<br />
Leipziger Biografien<br />
Materialsammlung: Biografische Artikel <strong>in</strong> den regionalen<br />
und überregionalen Tageszeitungen 27<br />
Impressum 28<br />
2
Thema<br />
„Der nationalsozialistische Novemberpogrom 1938 <strong>in</strong> Leipzig –<br />
Geschichte und Er<strong>in</strong>nerung“. Tagungsbericht<br />
Gedenkstätte am Ort der Großen Geme<strong>in</strong>desynagoge<br />
Am 7. November <strong>2008</strong> fand im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig e<strong>in</strong>e Tagung<br />
des Leipziger Geschichtsvere<strong>in</strong>s zum Thema „Der nationalsozialistische<br />
Novemberpogrom 1938 <strong>in</strong> Leipzig – Geschichte und Er<strong>in</strong>nerung“ statt. Erstmals<br />
vere<strong>in</strong>te e<strong>in</strong>e Leipziger Tagung bekannte Historiker, Experten, Stiftungen und<br />
Initiativen, die sich seit Anfang der 90er Jahre mit der jüdischen Geschichte<br />
Leipzigs und <strong>Sachsen</strong>s ause<strong>in</strong>andersetzen und zahlreiche Arbeiten dazu<br />
veröffentlicht haben.<br />
Werner Bramke g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>leitenden Beitrag auf die Machtergreifung der<br />
Nationalsozialisten und die Etablierung der NS-Herrschaft <strong>in</strong> Leipzig e<strong>in</strong>. Die<br />
Machtübernahme sei auf der regionalen Ebene mit zeitlicher Verzögerung<br />
vollzogen, dann aber um so <strong>in</strong>tensiver durchgesetzt worden. Dennoch habe es<br />
unmittelbare, wirksame und machbare Hilfe für die jüdische Bevölkerung Leipzigs<br />
gegeben, wobei die Helfer selbst nicht frei von antijüdischen Ressentiments<br />
waren. Das Überw<strong>in</strong>den der Vorbehalte und das Unterdrücken dieser<br />
Ressentiments angesichts der Überzeugung, Ausuferungen der<br />
nationalsozialistischen Rassenpolitik entgegenwirken zu müssen, spreche aber<br />
moralisch nicht gegen, sondern eher für die Helfer. Bramke sprach auch die<br />
ambivalente Rolle Goerdelers an, der zunächst Unterstützer Hitlers war, 1933/34<br />
vere<strong>in</strong>zelt der jüdischen Bevölkerung half, um sich später dem Kreis der<br />
erbittertsten Gegner des NS-Regimes um Claus Schenk Graf von Stauffenberg<br />
anzuschließen.<br />
3
Barbara Kowalzik analysierte <strong>in</strong> ihrem Referat den Ablauf, die grausamen<br />
Verbrechen und das Ausmaß des Novemberpogroms <strong>in</strong> der Nacht <strong>vom</strong> 9. zum<br />
10. November 1938 <strong>in</strong> Leipzig. Das Novemberpogrom h<strong>in</strong>terließ brennende<br />
Synagogen, verwüstete jüdische E<strong>in</strong>richtungen sowie zerstörte jüdische<br />
Geschäfte. Überlieferte Zeitzeugenberichte und Archivalien geben über dieses<br />
schreckliche Ereignis Auskunft. Die Reichspogromnacht bedeutete jedoch nicht<br />
nur zerstörte materielle Werte, sondern auch zerstörte Lebensleistungen und<br />
zerbrochene <strong>in</strong>dividuelle, geme<strong>in</strong>schaftliche und familiäre Identitäten. Vielfach<br />
fanden Verhaftungen von <strong>Juden</strong> statt, wobei die Zugehörigkeit zur jüdischen<br />
M<strong>in</strong>derheit der Polizei als e<strong>in</strong>ziger Haftgrund galt. Insgesamt wurden <strong>in</strong> der Nacht<br />
<strong>vom</strong> 9. zum 10. November 1938 <strong>in</strong> Leipzig 550 jüdische Personen verhaftet.<br />
Kowalzik beschrieb <strong>in</strong> ihrem Beitrag die Ausgangssituation der Ereignisse von<br />
1938. Als Anlass des Pogroms diente den Nationalsozialisten das Attentat des 17jährigen<br />
<strong>Juden</strong> Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst <strong>vom</strong><br />
Rath <strong>in</strong> Paris, von Goebbels als „Märtyrertod“ propagiert. Auch der 15. Jahrestag<br />
des gescheiterten Hitler-Putsches <strong>in</strong> München habe e<strong>in</strong>e Rolle gespielt. In der<br />
Nacht <strong>vom</strong> 9. zum 10. November 1938 wurden <strong>in</strong> Deutschland über 200<br />
Synagogen verwüstet oder <strong>in</strong> Brand gesteckt und 7.500 jüdische Geschäfte<br />
zerstört. Den Vandalismus der Reichspogromnacht rechtfertigten die NS-<br />
Schergen als „gerechten Ausdruck des Volkszornes zur Rache für die Mordtat<br />
von Paris".<br />
An der Durchführung der Pogromnacht <strong>in</strong> Leipzig beteiligten sich SA und SS.<br />
Auch NSDAP und Polizei waren <strong>in</strong> die Verbrechen <strong>in</strong>volviert. Zunächst wurden die<br />
liberale Geme<strong>in</strong>desynagoge <strong>in</strong> der Gottschedstraße und die orthodoxe<br />
Geme<strong>in</strong>desynagoge Ez Chaim <strong>in</strong> Apels Garten angezündet, <strong>in</strong> der Keilstraße, <strong>in</strong><br />
der Humboldtstraße und der Berl<strong>in</strong>er Straße Synagogen und Betstuben zerstört.<br />
Gebrandschatzt wurden ebenso die Totenhalle auf dem Neuen Israelitischen<br />
Friedhof, das Kaufhaus Bamberger & Hertz am Augustusplatz, das Warenhaus<br />
Ury am Königsplatz sowie das Schulgebäude Gustav-Adolf-Straße 7. Opfer der<br />
Übergriffe waren auch das Geschäft Schleifste<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Zwe<strong>in</strong>aundorfer Straße 18<br />
und das Schuhgeschäft Wollnicki im Täubchenweg 84. Polizeibeamte trafen erst<br />
zu spät oder gar nicht e<strong>in</strong>. Die Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Die<br />
jüdischen Bürger mussten die Verwüstungen auf eigene Kosten beseitigen. Die<br />
ihnen zustehenden Zahlungen der Versicherungen beschlagnahmte die Stadt –<br />
ca. 20 Mio. Reichsmark. Außerdem wurden <strong>in</strong> Leipzig im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />
"Sonderaktion" während der Pogromnacht mehr als 550 der 11.500 Leipziger<br />
jüdischen Bürger festgenommen. Insgesamt wurden <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong><br />
Zusammenhang mit der Pogromnacht 26.000 jüdischen Bürger <strong>in</strong>haftiert und <strong>in</strong><br />
Konzentrationslager verschleppt. Gezielt verhafteten die Nationalsozialisten<br />
e<strong>in</strong>flussreiche und bekannte <strong>Juden</strong>, die fest <strong>in</strong> die Gesellschaft <strong>in</strong>tegriert waren<br />
und sich von ihrem Selbstverständnis her als Deutsche empfanden.<br />
Die Referent<strong>in</strong> verwies darauf, dass die Leipziger Medien zwar auf die Zerstörung<br />
der jüdischen E<strong>in</strong>richtungen e<strong>in</strong>gegangen seien, im Mittelpunkt der<br />
Veröffentlichungen (z.B. <strong>in</strong> den Leipziger Neuesten Nachrichten) aber die<br />
Rechtfertigung des Pogroms gestanden habe. Dagegen wurden die zahlreichen<br />
Verhaftungen jüdischer Bürger, die Umstände, unter denen die Verhaftungen<br />
stattfanden sowie die Bed<strong>in</strong>gungen ihrer Verhaftung verschwiegen.<br />
4
Nach der „Reichspogromnacht“ verloren viele jüdische Geschäfts<strong>in</strong>haber ihre<br />
Existenz. Nichtjüdische Unternehmer wagten es kaum noch, jüdische Bürger zu<br />
beschäftigen. Schließlich wurde am 12. November 1938 e<strong>in</strong>e Verordnung mit<br />
dem Ziel der Ausschaltung bzw. des Ausschlusses der <strong>Juden</strong> aus dem deutschen<br />
Wirtschaftsleben verabschiedet. Kowalzik bewertete abschließend das<br />
Novemberpogrom des Jahres 1938 als e<strong>in</strong>e Zäsur, mit der die Ausgrenzung der<br />
jüdischen Bevölkerung verschärft, aber auch die Zerstörung allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlicher<br />
menschlicher Normen und Werte h<strong>in</strong>genommen wurde.<br />
Andrea Lorz g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> ihrem Beitrag auf die Ausgrenzung der jüdischen<br />
Bevölkerung bei der Gesundheitsversorgung <strong>in</strong> der Zeit nach den<br />
Novemberpogromen von 1938 e<strong>in</strong>. Die Gesundheitsversorgung sei e<strong>in</strong><br />
klassisches Beispiel dafür, wie die Nazis die <strong>Juden</strong> aus dem „deutschen<br />
Volkskörper“ auszuschließen gedachten. Viele jüdische Ärzte wurden entlassen,<br />
die Behandlung der jüdischen Bevölkerung wurde erschwert. E<strong>in</strong>zig das<br />
Israelitische Krankenhaus nahm die Behandlung der jüdischen E<strong>in</strong>wohner<br />
Leipzigs noch wahr. Lorz schilderte sehr plastisch die menschenfe<strong>in</strong>dliche,<br />
rassistische Gesundheitspolitik des NS-Regimes, die auch vor der Verfolgung und<br />
Deportation jüdischer Ärzte nicht zurückschreckte. Beispielhaft beschrieb Lorz<br />
das Schicksal des Arztes Dr. Michael, der als letzter Chefarzt des Israelitischen<br />
Krankenhauses später selbst <strong>in</strong> das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt<br />
wurde.<br />
In ihrem Fazit wies Lorz darauf h<strong>in</strong>, dass die antijüdische Politik alle Bereiche der<br />
Dase<strong>in</strong>sfürsorge umfasste, e<strong>in</strong>schließlich drastischer E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das<br />
Gesundheitswesen. Obwohl die Politik der Verbote und der Ausgrenzung schon<br />
vor 1938 begonnen hatte, fanden die schlimmsten Exzesse der Verfolgung<br />
jüdischer Ärzte nach 1938 statt. Trotz gelegentlicher Ausnahmen gab es kaum<br />
Hilfe nichtjüdischer Bürger für die verfolgte jüdische M<strong>in</strong>derheit. Von<br />
„Standessolidarität“ unter den Ärzte konnte ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>.<br />
Kerst<strong>in</strong> Plow<strong>in</strong>ski von der Ephraim-Carlebach-Stiftung wies <strong>in</strong> ihrem Vortrag<br />
zunächst auf die Arbeit der Stiftung h<strong>in</strong>, die sich die Aufgabe gestellt hat, die<br />
Er<strong>in</strong>nerungsarbeit an die verfolgten <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> die breite Öffentlichkeit zu tragen.<br />
Plow<strong>in</strong>ski stellte die Erfahrungs- und Zeitzeugenberichte ehemaliger Leipziger<br />
<strong>Juden</strong> über die grausamen Ereignisse des 9. November 1938 <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
ihrer weiteren Ausführungen. Die autobiografischen Quellen liegen als<br />
Er<strong>in</strong>nerungen <strong>in</strong> Form von Briefen, Memoiren und weiteren unverfremdeten<br />
Texten <strong>in</strong> Schrift und Form vor. Die Referent<strong>in</strong> stellte die Arbeit mit diesen<br />
Quellen anhand der Er<strong>in</strong>nerungen von Judith Kashti-Kroch, Alfred Glaser und<br />
Fred Grubel und an deren Berichten über die brennenden Synagogen und das<br />
eigene Schicksal (z. B. über die Deportation Hans Krochs) vor.<br />
Steffen Held <strong>vom</strong> Vere<strong>in</strong> Ariowitsch-Haus e. V. Leipzig befasste sich am Beispiel<br />
des Gedenkens an die Novemberpogrome <strong>in</strong> Leipzig mit der Er<strong>in</strong>nerungskultur<br />
während der DDR-Zeit, für die er unterschiedliche Formen des Gedenkens<br />
ausmachte. Mitte der 1950er und <strong>in</strong> den 1960er Jahren verfolgte die SED-<br />
Führung e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Er<strong>in</strong>nerungspolitik an die jüdischen Opfer des NS-Regimes<br />
<strong>in</strong> Leipzig. Es fanden Gedenkveranstaltungen zum Tag der Opfer des Faschismus<br />
(OdF) statt. Stadt- und Bezirkspolitiker der SED nahmen am Gedenken zum 9.<br />
November teil. Nach dem israelisch-ägyptischen Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967<br />
brach diese Tradition des Gedenkens jedoch ab. In den darauf folgenden Jahren<br />
nahmen ke<strong>in</strong>e staatlichen Stellen mehr am Gedenken an die Reichspogromnacht<br />
5
des 9. November 1938 teil. Es war vielmehr <strong>in</strong> den 70er Jahren die EKD, die das<br />
jüdische Gedenken wieder beförderte und 1978 den jüdisch-christlichen Dialog<br />
begründete. Erst <strong>in</strong> den 1980er Jahren wurde wieder vermehrt auch staatlich den<br />
Opfern der Reichspogromnacht gedacht. In diesen Kontext ordnete Held den<br />
historischen Beitrag von Bernd-Lutz Lange zu den <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Leipzig <strong>in</strong> den<br />
"Leipziger Blättern" und die E<strong>in</strong>weihung e<strong>in</strong>es neuen Gedenkste<strong>in</strong>s am 16.<br />
November 1988 <strong>in</strong> Leipzig e<strong>in</strong>. Mit der politischen Wende sei die<br />
Er<strong>in</strong>nerungsarbeit an die <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Leipzig wieder <strong>in</strong>tensiviert worden, obgleich es<br />
natürlich auch Anknüpfungspunkte an die Zeit vor 1989 gebe. Als<br />
herausragendes Ereignis hob Held die E<strong>in</strong>weihung des Mahnmals <strong>in</strong> der<br />
Gottschedstraße <strong>in</strong> Leipzig am 24. Juli 2001 hervor.<br />
Achim Beier <strong>vom</strong> Archiv Bürgerbewegung <strong>in</strong> Leipzig e. V. befasste sich mit dem<br />
Projekt „Stolperste<strong>in</strong>e“ <strong>in</strong> Leipzig und bundesweit. Er beschrieb das Projekt als<br />
<strong>in</strong>teressante Facette e<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerungskultur, die alle Opfergruppen des NS-<br />
Regimes berücksichtige, aber besonderes Augenmerk auf die jüdischen Opfer des<br />
Nationalsozialismus richte. Beier sprach auch über die Kritik am<br />
Stolperste<strong>in</strong>projekt. Während viele Überlebende des Holocaust das Projekt<br />
annehmen, gebe es dazu auch Widerspruch, beispielsweise von Charlotte<br />
Knobloch, Präsident<strong>in</strong> des Zentralrats der <strong>Juden</strong>, und von der Israelitischen<br />
Religionsgeme<strong>in</strong>de München. Beier warb für das Projekt, warnte aber zugleich<br />
vor e<strong>in</strong>er politischen Instrumentalisierung durch das Engagement der L<strong>in</strong>kspartei.<br />
Gunda Ulbricht von HaTikva e. V. Dresden widmete ihren Vortrag der jüdischen<br />
Geschichte <strong>Sachsen</strong>s als Forschungsfeld. Es gebe Probleme bei der Bestimmung<br />
des Gegenstands der sächsisch-jüdischen Regionalgeschichte. So sei umstritten,<br />
wer der jüdischen M<strong>in</strong>derheit zugerechnet werden soll und wer nicht. Ulbricht<br />
führte hier als Beispiele Victor Klemperer und Mart<strong>in</strong> Wilhelm Oppenheim an. Die<br />
Referent<strong>in</strong> befasste sich dann mit dem Verhältnis von jüdischer Geschichte und<br />
sächsischer Regionalgeschichte. Zu fragen sei, soll man die jüdische Geschichte<br />
gesondert betrachten oder diese <strong>in</strong> die jeweilige Entwicklung der sächsischen<br />
Region e<strong>in</strong>ordnen? Ulbricht zeigte das Problem an der Verbürgerlichung der<br />
<strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Sachsen</strong> im 19. Jahrhundert auf. Dieses Beispiel zeige, dass die jüdische<br />
Geschichte <strong>in</strong> <strong>Sachsen</strong> nicht ohne Rückkopplung zur sächsischen<br />
Regionalgeschichte zu erklären sei.<br />
Die Tagung stellt e<strong>in</strong>en Meilenste<strong>in</strong> der Zusammenarbeit und Vernetzung der mit<br />
dem Thema der Leipziger jüdischen Geschichte befassten Historiker und<br />
E<strong>in</strong>richtungen dar und kann Anlass zu e<strong>in</strong>er Fortsetzung und Erweiterung dieser<br />
Form der Kooperation se<strong>in</strong>.<br />
Dr. Andreas Willnow<br />
6
Rezensionen<br />
Michael Berger: Eisernes Kreuz und Davidstern. Die Geschichte jüdischer<br />
Soldaten <strong>in</strong> deutschen Armeen, trafo Verlag, Berl<strong>in</strong>, 2006<br />
Im Jahr 2006 gründete sich <strong>in</strong> Gerolste<strong>in</strong> der Bund jüdischer Soldaten (RjF) e.V.<br />
Der Vere<strong>in</strong> knüpft an den Namen und an die Tradition des Reichsbundes<br />
jüdischer Frontsoldaten (RjF) an, der sich unter dem Zwang der<br />
Nationalsozialisten im Jahr 1939 auflösen musste. Der mitgliedsstarke RjF war <strong>in</strong><br />
vielen Orten, unter anderem <strong>in</strong> Leipzig, <strong>in</strong> den Jahren 1938/39 die letzte noch<br />
verbliebene jüdische Organisation.[1]<br />
Fast zeitgleich zur Neugründung des Bundes jüdischer Soldaten (RjF) e.V.<br />
veröffentlichte der erste Vorsitzende des Bundes, Hauptmann Michael Berger,<br />
e<strong>in</strong>en geschichtlichen Abriss des Militärdienstes jüdischer Soldaten <strong>in</strong> deutschen<br />
Armeen. E<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> den jeweiligen gesetzlichen Rahmen und den Fortlauf der<br />
rechtlichen und staatsbürgerlichen Emanzipation der <strong>Juden</strong> beschreibt Berger,<br />
der sich seit 1997 mit dem Thema befasst, die Verdienste jüdischer Soldaten <strong>in</strong><br />
den Befreiungskriegen, im Krieg mit Dänemark, im österreichisch-preußischen,<br />
im deutsch-französischen und im Ersten Weltkrieg. Ausgangspunkt der<br />
Darstellung s<strong>in</strong>d die Befreiungskriege, als erstmals 731 jüdische Soldaten,<br />
darunter m<strong>in</strong>destens 23 Offiziere, im preußischen Heer gegen die französische<br />
Armee kämpften. Biografien, wie die des jüngsten Sohnes Moses Mendelssohns,<br />
Nathan Mendelssohn (1781-1852), und Auszüge aus Memoiren des Freiwilligen<br />
Jägers Löser Cohen (1793-1873), den e<strong>in</strong>zig erhalten gebliebenen Er<strong>in</strong>nerungen<br />
e<strong>in</strong>es jüdischen Soldaten jener Zeit, Predigten, Reden und jüdische Gebete<br />
ergänzen die Darstellung und bezeugen die Loyalität und die Opferbereitschaft<br />
der jüdischen Bevölkerung.<br />
Loyalität und Dienst am Vaterlande wurden wenig später, wie Berger zeigt, <strong>in</strong><br />
den "preußischen E<strong>in</strong>igungskriegen" zu e<strong>in</strong>schlägigen Stichworten der jüdischen<br />
Presse, jüdischer Schriften wie auch jüdischer Gebete. In der "Allgeme<strong>in</strong>en<br />
Zeitung des <strong>Juden</strong>tums" und der Schrift "Die <strong>Juden</strong> im Heere" des "Vere<strong>in</strong>s zur<br />
Abwehr des Antisemitismus" äußerte sich wortreich der Patriotismus der<br />
7
preußischen <strong>Juden</strong> angesichts von rund 15.000 jüdischen Kriegsteilnehmern im<br />
deutsch-französischen Krieg. Berger belegt die These der Autoren der Deutschjüdischen<br />
Geschichte der Neuzeit. Demnach legte das E<strong>in</strong>schwören auf die Nation<br />
Preußen den Grundste<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e vollständige Identifizierung der preußischen<br />
<strong>Juden</strong> aller politischen Richtungen mit dem preußischen Staat und se<strong>in</strong>em<br />
Militär.[2] Die "Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung des <strong>Juden</strong>tums" verband die Teilnahme an<br />
diesen Feldzügen zugleich mit der Umsetzung der staatsbürgerlichen<br />
Gleichberechtigung der <strong>Juden</strong>. Es entstand e<strong>in</strong>e patriotische<br />
Emanzipationsbewegung, die weite Teile der jüdischen Bevölkerung erfasste.<br />
Höhepunkt der während Kriegszeiten beständig aufflammenden Hoffnung auf<br />
Gleichstellung und patriotische Emanzipation waren der nur zwei Jahre, von 1914<br />
bis 1916, anhaltende Burgfrieden des Ersten Weltkriegs und die sche<strong>in</strong>bare<br />
Interessenkongruenz der <strong>Juden</strong> und des kaiserlichen Militärs <strong>in</strong> der Frage der<br />
"Ostjuden". Wie von selbst schien die im kaiserlichen Heer übliche und leidige<br />
Praxis der Beförderungsdiskrim<strong>in</strong>ierung <strong>vom</strong> Tisch zu se<strong>in</strong>. Jüdische Soldaten<br />
wurden mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n erstmals ohne Probleme zu Offizieren und<br />
Reserveoffizieren befördert. Der deutsche Botschafter <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton, Graf<br />
Bernstorff, gab dementsprechend gegenüber der "New Yorker Staatszeitung" an,<br />
die jüdische Offiziersfrage <strong>in</strong> Deutschland könne als gelöst betrachtet werden.<br />
Ausführlich beschreibt Berger die tolerante Handhabung der religiösen<br />
Bedürfnisse der jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, um die sich rund 30<br />
Feldrabb<strong>in</strong>er sorgten. Großen Raum nimmt die Darstellung der Verdienste der<br />
jüdischen Piloten und Flieger im Ersten Weltkrieg e<strong>in</strong>. Berger greift hier, wie <strong>in</strong><br />
vielen Fällen, auf die Würdigung der Leistungen jüdischer Soldaten im<br />
Verbandsorgan des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten "Schild" aus den<br />
1930er Jahren und auf frühere, gegen antisemitische Verleumdungen gerichtete<br />
Schriften deutsch-jüdischer Patrioten zurück. Biografien bekannter Militärflieger,<br />
wie die des Leutnants Wilhelm Frankl und des Feldfliegers Jakob Wolff, betonen<br />
den E<strong>in</strong>satz der jüdischen Soldaten, aber auch das euphorisch-patriotische<br />
Pathos. Beispielhaft ist die Lebensgeschichte des Pazifisten und Fabrikbesitzers<br />
Jakob Wolff, der, obwohl nicht mehr wehrpflichtig, im Jahr 1914 <strong>in</strong> den Krieg<br />
zieht, sich zum Kampfflieger hocharbeitet und mit Orden dekoriert als Leutnant<br />
der Landwehr den Kriegsschauplatz verlässt. Ca. 100.000 jüdische Soldaten<br />
nahmen am Ersten Weltkrieg teil, 12.000 jüdische Soldaten blieben auf dem<br />
Schlachtfeld.<br />
Berger, dem apologetischen Ansatz ähnlicher Veröffentlichungen des<br />
Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten der 1920er und 1930er Jahre folgend,<br />
zeichnet zugleich das Porträt e<strong>in</strong>er gründlich misslungenen Integration und<br />
Assimilation via Militärdienst. Im Umfeld e<strong>in</strong>es konservativ-imperial <strong>in</strong>itiierten<br />
und modernisierten, aggressiven Antisemitismus scheitert der jüdischemanzipatorische<br />
Patriotismus, der Wehrpflicht als Dienst am Vaterlande und im<br />
Gegenzug zu gewährende bürgerliche Rechte <strong>in</strong> E<strong>in</strong>em denkt. Die Idee der<br />
Ablösung religiöser Stigmatisierung durch die Gleichheit vor dem modernen<br />
"Rechtsstaat", e<strong>in</strong>schließlich der Pflicht im Heere zu dienen, war e<strong>in</strong>e<br />
grundlegende, jüdisch-liberale Gedankenkonstruktion und e<strong>in</strong> Junktim der<br />
Vordenker und Vertreter der jüdischen Emanzipation wie Saul Ascher und Ludwig<br />
Philippson. In den 1860er Jahren schlägt das Junktim im Verlaufe der preußischdeutschen<br />
E<strong>in</strong>igungsbewegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e patriotische Emanzipationsbewegung der<br />
deutschen <strong>Juden</strong> um. Es stellt sich die Frage, warum der patriotischemanzipatorische<br />
Ansatz unrealistisch war und blieb.<br />
8
E<strong>in</strong>e Antwort auf diese Frage f<strong>in</strong>det der aufmerksame Leser <strong>in</strong> der von Berger<br />
vorgelegten Geschichte des jüdischen Militärdienstes. Ursache des Scheiterns<br />
war die fortgesetzte staatliche Diskrim<strong>in</strong>ierung und e<strong>in</strong>e verzögerte rechtliche<br />
"Gleichstellung mit Rückschlägen". Es entstand e<strong>in</strong> Klima, das judenfe<strong>in</strong>dliche<br />
Ausschreitungen begünstigte. So waren die judenfe<strong>in</strong>dlichen Hep-Hep-Unruhen<br />
von 1819 e<strong>in</strong> Resultat der Aufgabe der preußischen Toleranzediktpolitik im<br />
Anschluss an den Wiener Kongress und der judenfe<strong>in</strong>dlichen Position des<br />
preußischen Königs Wilhelm III. Letzterer brach 1818 übrigens das 1813<br />
gegebene Versprechen, alle Freiwilligen der Befreiungskriege im Staatsdienst<br />
anzustellen, <strong>in</strong>dem er die <strong>Juden</strong> 1818 von dieser Regelung explizit ausschloss.<br />
Ebenso blieben den jüdischen Trägern des Eisernen Kreuzes für Verdienste <strong>in</strong> den<br />
Befreiungskriegen entsprechende soziale und gesellschaftliche Privilegien<br />
verwehrt, schreibt Berger.<br />
Bergers Buch macht e<strong>in</strong>es sehr deutlich. Die deutsch-patriotische Variante der<br />
Emanzipation mit ihrer Betonung des Rechtes auf die Wehrpflicht und auf den<br />
Kriegsdienst, die Loyalität und Patriotismus der <strong>Juden</strong> symbolisieren sollten, also<br />
der Betonung des Rechts auf e<strong>in</strong>e Pflicht, deren Erfüllung wiederum Rechte<br />
versprach, stellte e<strong>in</strong>e geradezu <strong>in</strong>verse Emanzipation und Gleichstellung im<br />
Schlechten dar. Die <strong>in</strong>verse Emanzipation entsprach der deutschen Variante des<br />
evolutionären Diskrim<strong>in</strong>ierungsrückzugs der Staats- und Militärbürokratie, der an<br />
die Stelle e<strong>in</strong>er konsequenten Gleichstellung und Integration <strong>in</strong> Folge<br />
bürgerlichen Nachdrucks getreten war. Als Gegenstück zum<br />
Diskrim<strong>in</strong>ierungsrückzug der Bürokratie und derartig begünstigt wandelte sich die<br />
verbreitete <strong>Juden</strong>fe<strong>in</strong>dlichkeit der Bevölkerung.<br />
Die offiziell verabschiedete religiös legitimierte <strong>Juden</strong>fe<strong>in</strong>dlichkeit verschaffte sich<br />
nach dem Ende der nationalliberalen E<strong>in</strong>heitseuphorie Ende der 1870er Jahre <strong>in</strong><br />
"moderner" Form gesellschaftliche Relevanz. Die Ausgrenzung wurde ethnisch<br />
und rassistisch. Der "Elfenbe<strong>in</strong>turm" der Intellektuellen, die sich zeitweise <strong>vom</strong><br />
politischen und bürgerlichen Leben abgewandt hatten, begünstigte die<br />
Verfestigung judenfe<strong>in</strong>dlicher Vorurteile und Ressentiments <strong>in</strong> Form rassistischer<br />
und ethnologischer Theorien und Ideologien. Unterdessen erlebte die jüdische<br />
Bevölkerung im Zuge der Gleichstellung e<strong>in</strong>en beispiellosen sozialen und<br />
gesellschaftlichen Aufstieg.<br />
Berger schildert den Übergang von der religiösen Ausgrenzung, die nach der<br />
völligen Gleichstellung der <strong>Juden</strong> durch Gesetze des Norddeutschen Bundes 1869<br />
und durch die Verfassung von 1871 offiziell e<strong>in</strong> Ende fand, zum modernen<br />
Antisemitismus des Ressentiments, der Rasse und des "Volkes", gegen den auch<br />
e<strong>in</strong>e Taufe nicht half. Die Praxis der Ausgrenzung sei <strong>in</strong> der Armee am<br />
deutlichsten gewesen, so Berger weiter. Das konservative Offizierskorps wehrte<br />
sich gegen die Beförderung und den Aufstieg von <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> der Armee. Der<br />
Zustand war Gegenstand der Debatten im Reichstag, die allerd<strong>in</strong>gs folgenlos<br />
blieben. Während sich die jüdischen Abgeordneten auf das Recht und die<br />
Verfassung stützten, bestritten die M<strong>in</strong>ister die Diskrim<strong>in</strong>ierung und bestanden<br />
zugleich darauf, dass lokale Gegebenheiten und Vorurteile <strong>in</strong> Rechnung zu stellen<br />
seien.[3] Unter den <strong>in</strong>sgesamt 33.607 Offizieren und Beamten der Armee des<br />
Kaiserreichs waren im Jahr 1907 nur 16 <strong>Juden</strong>.<br />
Das Phänomen der <strong>in</strong>versen Emanzipation zeigt sich auch deutlich im<br />
unentwegten Legitimationszwang, der die jüdischen Geme<strong>in</strong>den dazu<br />
veranlasste, auf eigene Initiative mit e<strong>in</strong>er "<strong>Juden</strong>zählung" die Teilnahme<br />
9
jüdischer Soldaten im deutsch-französischen Krieg zu dokumentieren. Die<br />
Prozedur des "Zählens jüdischer Soldaten" setzte sich im Ersten Weltkrieg fort.<br />
Noch vor der <strong>vom</strong> Reichstag im Jahr 1916 auf Druck antisemitischer<br />
Abgeordneter anberaumten offiziellen "<strong>Juden</strong>zählung", deren Ergebnis letztlich<br />
niemanden <strong>in</strong>teressierte, begannen sowohl antisemitische als auch jüdische<br />
Vere<strong>in</strong>e bereits im Jahr 1914, d.h. mitten im Burgfrieden, mit eigenen<br />
"<strong>Juden</strong>zählungen".<br />
Konsequent führt Berger die <strong>in</strong>haltliche L<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong>es Buches <strong>vom</strong> Ende des<br />
Burgfriedens und dem wieder auflebenden und gewaltsamen Aufbrechen des<br />
Antisemitismus, e<strong>in</strong>schließlich der verschwörungstheoretischen Personifizierung<br />
der Niederlage und des Untergangs des Kaiserreiches mit jüdischbolschewistischen<br />
und liberalen Politikern, bis zur Vertreibung und Ermordung<br />
der gesamten jüdischen Bevölkerung während des Nationalsozialismus.<br />
Zentral und fast zu eng konzentriert er sich dabei auf den Reichsbund jüdischer<br />
Frontsoldaten (RjF), der 1919 zunächst als "Vaterländischer Bund jüdischer<br />
Soldaten" auf Initiative des Hauptmanns der Reserve Dr. Leo Löwenste<strong>in</strong><br />
gegründet worden war. Das Umfeld, die Ause<strong>in</strong>andersetzung des Reichsbundes<br />
mit den Zionisten vor allem seit Mitte der 1920er Jahre, bleibt außen vor. Deren<br />
Kriegserfahrungen im Ersten Weltkrieg führten eher zum orig<strong>in</strong>ären <strong>Juden</strong>tum<br />
zurück und waren längst nicht so patriotisch-euphorisch wie die von Berger<br />
ausgewählten und zitierten biografischen und patriotischen Erfolgsgeschichten<br />
jüdischer Frontsoldaten.<br />
Der RjF, entstanden aufgrund der Ausgrenzung ehemaliger jüdischer<br />
Frontsoldaten aus anderen deutschen soldatischen Verb<strong>in</strong>dungen und<br />
Korporationen, entwickelte sich Mitte der 1920er Jahre mit 35.000 bis 40.000<br />
Mitgliedern zur zweitstärksten jüdischen Vere<strong>in</strong>igung der Weimarer Republik. Die<br />
Ideologie des Bundes blieb der patriotischen Emanzipation und Assimilation treu.<br />
In den politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen der Weimarer Republik verstärkte sich<br />
diese Tendenz <strong>in</strong> Abwehr des Antisemitismus sogar noch. <strong>Juden</strong> wurden zur<br />
Bescheidenheit aufgefordert. Der Bund gründete Berufsumschichtungscamps, um<br />
die jüdische Sozialstruktur zu modernisieren. Große Verdienste erwarben sich die<br />
dem Bund verbundenen Statistiker und Historiker wie Jakob Segall und Felix<br />
Theilhaber bei der Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen Soldaten <strong>in</strong><br />
deutschen Armeen und der Dokumentation der Verdienste jüdischer Soldaten<br />
und Offiziere im Ersten Weltkrieg.<br />
Berger verschweigt die Fehlkalkulationen und strategischen Fehler des RjF<br />
angesichts der rigorosen Ausgrenzungspolitik der Nationalsozialisten seit deren<br />
Machtübernahme 1933 nicht. Noch bis 1935/36, d.h. bis zur Verkündung der<br />
Nürnberger Gesetze, der E<strong>in</strong>führung des "Arierparagraphen" bei der Reichswehr<br />
und dem Ausschluss der <strong>Juden</strong> von der 1935 e<strong>in</strong>geführten Allgeme<strong>in</strong>en<br />
Wehrpflicht, glaubten die Funktionäre und die Mitglieder des RjF aufgrund ihrer<br />
Leistungen im Ersten Weltkrieg von der Diskrim<strong>in</strong>ierung und Verfolgung <strong>in</strong><br />
gewissem Maße verschont bleiben zu können. Sie stützten sich dabei auf ihre<br />
persönlichen Verb<strong>in</strong>dungen zu Reichspräsident H<strong>in</strong>denburg, auf dessen E<strong>in</strong>spruch<br />
h<strong>in</strong> Frontkämpfer und deren H<strong>in</strong>terbliebene 1933 von den Auswirkungen des<br />
Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentum noch nicht betroffen<br />
waren. Ausführlich beschreibt Berger die rechtliche Situation und allmähliche<br />
Verdrängung der "Mischl<strong>in</strong>ge" aus der Wehrmacht durch Erlasse Hitlers 1942 und<br />
10
1944 sowie das Schicksal jüdischer Frontsoldaten nach 1933, die Deportationen<br />
und das Sterben <strong>in</strong> den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.<br />
Das Buch schließt mit e<strong>in</strong>em Ausblick auf das Wiederaufleben der Traditionen<br />
jüdischer Soldaten <strong>in</strong> der Bundeswehr. Über die Herausgabe der "Kriegsbriefe<br />
Jüdischer Frontsoldaten", versehen mit e<strong>in</strong>em Vorwort des damaligen<br />
Verteidigungsm<strong>in</strong>isters Franz Josef Strauß im Jahr 1961, die Benennung von<br />
Kasernen der Bundeswehr nach jüdischen Soldaten und die Ausstellungen zum<br />
Thema <strong>in</strong> den Jahren 1981 und 1997 ist bisher wenig Aufsehens gemacht<br />
worden. Mit Fug und Recht kann seit 2005, als Berger offiziell Ansprechpartner<br />
des Zentralrats der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong> der Bundeswehr wurde, von e<strong>in</strong>er<br />
Renaissance der jüdischen soldatischen Tradition gesprochen werden. Derzeit<br />
zählt der 2006 gegründete Bund jüdischer Soldaten (RjF) e.V. 200 Mitglieder.<br />
Berger hat mit se<strong>in</strong>em Buch die Geschichte des jüdischen Militärdienstes e<strong>in</strong>em<br />
breiten Publikum zugänglich gemacht. Er knüpft <strong>in</strong> der Aufmachung und der<br />
Struktur der Darstellung, der Verwendung von Zeitzeugenberichten und von<br />
autobiografischen Zitaten an zwei Ausstellungen des Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamtes zum Thema an. Unterdessen f<strong>in</strong>det die Veröffentlichung seit<br />
November <strong>2008</strong> e<strong>in</strong>e Fortsetzung im <strong>vom</strong> Bund jüdischer Soldaten (RjF) e.V.<br />
<strong>in</strong>itiierten und <strong>vom</strong> Bildungswerk des Deutschen Bundeswehrverbandes sowie<br />
zahlreichen Initiativen unterstützten Projekt "<strong>Juden</strong> und deutsches Militär:<br />
Zwischen Assimilation, Integration, Ausgrenzung und Vernichtung", dessen<br />
Ergebnisse im Sommer 2009 veröffentlicht werden sollen (ausführlich dazu das<br />
Webportal des Bundes jüdischer Soldaten (RjF) e.V.<br />
www.bundjuedischersoldaten-rjf.de).<br />
[1] Zur Geschichte der Leipziger Ortsgruppe des RjF: Kürschner, Dieter:<br />
Auflösung der letzten jüdischen Organisation, <strong>in</strong>: Leipziger Volkszeitung,<br />
17.07.<strong>2008</strong>, S. 26 und SW: Die Ortsgruppe Leipzig im Reichsbund jüdischer<br />
Frontsoldaten, <strong>in</strong>: Journal <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Sachsen</strong> (JJIS), Oktober <strong>2008</strong>, S. 3-7.<br />
http://www.juden-<strong>in</strong>-sachsen.de, 22.01.2009).<br />
[2] Brenner, Michael; Jersch-Wenzel, Stefi; Meyer, Michael A.: Emanzipation und<br />
Akkulturation 1780-1871, (Deutsch-jüdische Geschichte <strong>in</strong> der Neuzeit. II), Beck,<br />
München, 2000, S. 92 .<br />
[3] Ebenda, S. 154.<br />
SW<br />
11
«Me<strong>in</strong>e Stadt sah ich wieder…» (im Gedenken an O. Mandelstam)<br />
Zweisprachige Rezension<br />
Svetlana Voljskaia<br />
(Übersetzung Olga Koseniuk)<br />
Den Freunden und Kennern des Werks von Ossip (Iosif) Mandelstam ist <strong>in</strong><br />
diesem Jahr sicher e<strong>in</strong> trauriges Jubiläum aufgefallen: 70 Jahre s<strong>in</strong>d seit dem<br />
Todestag des Dichters vergangen. Der Nichtstuerei und konterrevolutionärer<br />
Tätigkeit beschuldigt, starb er am 27. <strong>Dezember</strong> 1938 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von Stal<strong>in</strong>s<br />
Lagern. Von den unerträglichen, menschenunwürdigen Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der<br />
Haft, von den letzten Lebenswochen Mandelstams wissen nur e<strong>in</strong>ige wenige<br />
E<strong>in</strong>geweihte… Das Leben des Dichters ist von Geheimnissen und Legenden<br />
umwoben.<br />
Bekannt ist, dass Mandelstam vor der Oktoberrevolution Italien und die Schweiz<br />
bereiste und 1909 bis 1910 romanische Sprachen und Philosophie an der<br />
Universität zu Heidelberg studierte. 1922 wurde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gedichtsammlung<br />
unter dem Titel "Tristia“ mit den zwischen 1916 und 1920 datierten Werken<br />
veröffentlicht. Die jüdische Onl<strong>in</strong>e-Enzyklopädie beschreibt dieses Buch als "e<strong>in</strong>e<br />
unendliche Elegie über die Trennung von geliebten Frauen, von dem im Sterben<br />
liegenden Petersburg, Europa, der Krim und der Freiheit“.<br />
Außerdem wissen wir, dass Mandelstam die Sprachwissenschaftliche Fakultät <strong>in</strong><br />
Petersburg besuchte. Er wurde aber durch die Revolution daran geh<strong>in</strong>dert, den<br />
Kurs abzuschließen. Als Künstler schloss er sich den Akmeisten an, war mit N.<br />
Gumiljov, A. Achmatowa und M. Kuzm<strong>in</strong> befreundet. Se<strong>in</strong>e Gedichte haben ihn<br />
über Nacht berühmt gemacht und wurden regelmäßig <strong>in</strong> der Presse abgedruckt.<br />
Während der großen Hungersnot <strong>in</strong> den ersten Sowjetjahren ist es dem Literaten<br />
gelungen, <strong>in</strong> den Süden des Landes auszureisen. Dort, auf der Krim, wurde er<br />
12
<strong>vom</strong> Geheimdienst Wrangels verhaftet. Später kehrte er mit Hilfe Ehrenburgs<br />
nach Russland zurück und versuchte, sich mit dem neuen politischen System zu<br />
arrangieren. Er schrieb: "Lassen wir uns doch friedlich mit der Zeit leben, die uns<br />
zuteil wurde.“ Aber e<strong>in</strong>es Tages wird auch er wie viele se<strong>in</strong>er Zeitgenossen zur<br />
Zielscheibe des stal<strong>in</strong>istischen Terrors.<br />
Was den Dichter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en frühen und ruhmlosen Tod trieb, hat man <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Heimat lange verschwiegen und die nicht-offiziellen Informationen s<strong>in</strong>d<br />
unvollständig, oft widersprechen sie sich. E<strong>in</strong>erseits steht da zu lesen, dass<br />
Mandelstam im Januar 1937 e<strong>in</strong>en Zyklus Lobgedichte an Stal<strong>in</strong> verfasst habe,<br />
um se<strong>in</strong>e Familienangehörigen vor dem unumgänglichen Tod zu retten.<br />
Andererseits s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e kühnen und bitteren Worte, die die stal<strong>in</strong>sche Epoche<br />
sehr präzise und ausdrucksvoll charakterisieren, bekannt:<br />
Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,<br />
Wir reden, dass uns auf zehn Schritt ke<strong>in</strong>er hört…<br />
Es sche<strong>in</strong>t, dass der Dichter mehrmals <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben e<strong>in</strong>en Kompromiss mit<br />
se<strong>in</strong>em Gewissen schließen musste: Um an der Petersburger Universität<br />
studieren zu dürfen, hat sich der Jude Mandelstam taufen lassen. Die Taufe fand<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Methodistenkirche <strong>in</strong> Wyborg statt.<br />
Das ist noch lange nicht alles: Er hat die Oktoberrevolution "die Renaissance des<br />
Kollektivs“ genannt. Während der frühen sowjetischen Jahre haben ihn die<br />
proletarischen Führer Lunatscharski und Buchar<strong>in</strong> protegiert. Sie unterstützten<br />
ihn <strong>in</strong> dieser schwierigen Zeit mit Lebensmitteln und Dienstreisen, stellten ihm<br />
e<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> Moskau zu Verfügung. Mit ihrer Hilfe wurden mehrere Bände<br />
se<strong>in</strong>er Gedichte publiziert.<br />
Mandelstams zahlreiche Versuche e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit mit der Presse<br />
scheiterten immer und führten sogar zu den schwersten Konsequenzen für ihn:<br />
Hetzereien, Verbannungen, Plagiatvorwürfe, Gerichtsverfahren (beschrieben <strong>in</strong><br />
„Die vierte Prosa“, im Jahr 1966 im Ausland herausgegeben).<br />
Der Dichter und die Menge, der Dichter und der Führer, der Dichter und die<br />
Macht – all diese Themen s<strong>in</strong>d unerschöpflich und <strong>in</strong> Bezug auf Mandelstam sehr<br />
widerspruchsreich. Es wird auch heute heftig darüber diskutiert, sowohl <strong>in</strong><br />
Russland als auch im Ausland. Dabei s<strong>in</strong>d Memoiren, die im Ausland unzensiert<br />
veröffentlicht wurden, nicht zu unterschätzen.<br />
Ir<strong>in</strong>a Odoevcevas Er<strong>in</strong>nerungen „An den Ufern der Newa“ (Paris, 1967) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e<br />
aufschlussreiche Quelle. Odoevceva schreibt nur über e<strong>in</strong>ige Monate im Leben<br />
des Dichters Anfang der 1920-er Jahre, aber sie er<strong>in</strong>nert sich an alle<br />
E<strong>in</strong>zelheiten, jede ihrer Begegnungen mit Mandelstam: bei Freunden, <strong>in</strong><br />
Vorlesungen im Haus der Künste, auf den regennassen oder schneebedeckten<br />
Straßen Petersburgs. Hier ist alles wichtig: von den Kle<strong>in</strong>igkeiten des Alltags bis<br />
zu den Momenten des prophetischen Begreifens:<br />
13
"Ja, ich habe wirklich 'nichts verstanden', oder, vieles an se<strong>in</strong>er Persönlichkeit<br />
nicht verstehen können. Ich konnte, zum Beispiel, se<strong>in</strong>e Angst vor Milizionären<br />
und Matrosen – <strong>in</strong>sbesondere vor Matrosen <strong>in</strong> Lederjacken - nicht begreifen, e<strong>in</strong>e<br />
mystische, panische Angst.<br />
Er, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Versen behauptete: 'Ich brauche ke<strong>in</strong>en Passiersche<strong>in</strong>, ich habe<br />
ke<strong>in</strong>e Angst vor Milizionären' - hatte im Leben Todesangst vor ihnen. Übrigens, <strong>in</strong><br />
der Presse hat man aus Zensurgründen 'Milizionäre' zu 'Posten' gemacht – 'ich<br />
habe ke<strong>in</strong>e Angst vor Posten' – nicht ganz gelungen, denn die Posten bewachen<br />
gewöhnlich e<strong>in</strong>en Palast oder e<strong>in</strong> Amtsgebäude und machen ke<strong>in</strong>em Angst.<br />
Milizionäre s<strong>in</strong>d etwas gänzlich anderes.<br />
Eigentlich hatte Mandelstam ke<strong>in</strong>en Grund, sich vor Milizionären zu fürchten.<br />
Se<strong>in</strong>e Papiere waren <strong>in</strong> Ordnung, er hat sich nie an irgendwelchen 'Komplotts'<br />
beteiligt, sogar im persönlichen Gespräch mied er Kritik an der Regierung.<br />
Trotzdem, immer, wenn er Matrosen irgendwoh<strong>in</strong> marschieren sah oder e<strong>in</strong>en<br />
Milizionär an der Ecke stehen, versuchte er sich zusammenzuziehen oder h<strong>in</strong>ter<br />
me<strong>in</strong>em Rücken zu verstecken oder sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hofe<strong>in</strong>gang wegzuhuschen<br />
und abzuwarten, bis sie aus der Sicht verschwunden waren.<br />
….<br />
Ja, es war nicht e<strong>in</strong>fach, ihn zu durchschauen. Wie konnte sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Menschen diese kaum nachvollziehbare Feigheit mit derartigem Mut vere<strong>in</strong>en? Es<br />
ist bekannt, dass Mandelstam dem Sonderkommissar Blumk<strong>in</strong><br />
Erschießungsbefehle aus der Hand zerrte und sie zerriss. Wer, außer<br />
Mandelstam, konnte sich zu e<strong>in</strong>er solch verrückten und kühnen Tat entschließen?<br />
Wie ist das möglich: feige wie e<strong>in</strong> Hase und zugleich tapfer wie e<strong>in</strong> Dachs?“<br />
Die Frage: „Was ist Mandelstam?“ hat sich nicht nur Ir<strong>in</strong>a Odoevceva gestellt,<br />
aber nur sie hat ihre Me<strong>in</strong>ung am genauesten zum Ausdruck gebracht:<br />
"Was das ist, Mandelstam, habe ich erst vor kurzem erkannt, nachdem ich<br />
<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Nacht den 'Ste<strong>in</strong>' von Anfang bis Ende gelesen hatte. Ich habe<br />
mir die meisten Verse sofort und für immer gemerkt und wiederhole sie <strong>in</strong>nerlich<br />
sehr oft:<br />
Der stillen Freude zu atmen, zu leben,<br />
Wem hab ich dafür den Handschlag zu geben?"<br />
Er ist immer noch sehr populär. Über ihn wird geschrieben und diskutiert. Die<br />
Mängel der sowjetischen Literaturgeschichte werden durch die im Ausland<br />
publizierten Aufsätze kompensiert.<br />
Auch <strong>in</strong> Deutschland ist das Interesse am Werk Mandelstams groß. Hier hat im<br />
Jahr 1963 der Fischer Verlag <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> das Buch „Drei russische<br />
Dichter“ mit 44 Gedichten von Mandelstam herausgegeben (Übersetzung <strong>in</strong>s<br />
Deutsche durch den französischer Dichter Paul Celan). Verehrer der russischen<br />
Dichtung kennen die besondere, bis zum Knochenmark durchdr<strong>in</strong>gende Kraft und<br />
Tiefe der Sprache Mandelstams. Dabei ist es unwichtig, wo sie sich gerade<br />
aufhalten, <strong>in</strong> Petersburg oder <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Die Zeilen „Me<strong>in</strong>e Stadt sah ich wieder,<br />
zu Tränen rührend vertraut …“ sprechen jeden von uns persönlich an.<br />
14
«Я вернулся в мой город…» (памяти И. Мандельштама)<br />
Светлана Волжская<br />
Поклонники творчества Иосифа Мандельштама в истекающем <strong>2008</strong>-ом году,<br />
наверняка, не пропустили одну невеселую, но круглую дату - 70 лет со дня<br />
смерти поэта. Он умер в сталинских лагерях 27. декабря 1938 года,<br />
осужденный за тунеядство и контрреволюционную деятельность. О диких,<br />
совершенно немыслимых условиях его заточения, о последних неделях и<br />
месяцах жизни Мандельштама знают только немногочисленные<br />
«посвященные»… Жизнь поэта до сих пор окружена различными тайнами и<br />
легендами.<br />
Что касается сведений общего характера, то до революции Мандельштам<br />
объездил Италию и Швейцарию, в 1909–1910 гг. изучал романские языки и<br />
философию в Гейдельбергском университете. В 1922 г. в Берлине вышел<br />
сборник стихов Иосифа Мандельштама «Tristia», включивший произведения<br />
1916–20 гг. Современная электронная еврейская энциклопедия определяет<br />
эту книгу как «непрерывная элегия о расставании с любимыми женщинами,<br />
умирающим Санкт-Петербургом, Европой, Крымом, свободой».<br />
15
Кроме того известно, что Мандельштам учился на филологическом<br />
факультете Петербургского университета, но в бурные революционные годы<br />
так и не смог окончить курс. В художественном плане он примыкал к<br />
акмеистам, дружил с Н. Гумилевым, А. Ахматовой, М. Кузминым, его стихи<br />
как-то сразу стали очень популярны и регулярно печатались в<br />
дореволюционных периодических изданиях.<br />
В самое голодное время первых лет советской власти поэту удалось уехать<br />
на юг, в Крыму он был арестован врангелевской контрразведкой, а потом<br />
(при содействии И.Эренбурга) вернулся в советскую Россию и изо всех сил<br />
старался «с веком вековать», то есть принять уже сложившуюся<br />
политическую систему. Но, как и многие другие советские люди, в какой-то<br />
роковой момент Мандельштам стал жертвой сталинских репрессий.<br />
Что именно привело поэта к ранней и бесславной смерти?! На родине о нем<br />
долгое время просто замалчивали, а неофициальные сведения о его жизни<br />
отрывочны, и порой противоречивы. Например, пишут о том, что в январе<br />
1937 г., пытаясь спасти себя и своих близких от неминуемой гибели, он<br />
сочинил цикл хвалебных стихотворений о Сталине. В то же время широко<br />
известны и другие строчки Мандельштама, до сих пор считающиеся наиболее<br />
яркой и емкой поэтической характеристикой всей сталинской эпохи:<br />
Мы живем, под собою не чуя страны,<br />
Наши речи за десять шагов не слышны...<br />
По всей видимости, поэту неоднократно приходилось идти на всевозможные<br />
компромиссы со своей совестью: так, чтобы учиться в Петербургском<br />
университете, еврей Мандельштам перешел в другую веру (крестился в<br />
методистской церкви в городе Выборг).<br />
Бывали в его жизни и более сложные ситуации: Октябрьскую революцию он<br />
назвал «Ренессансом коллектива», и в первые годы советской власти<br />
пролетарские вожди - Луначарский и Бухарин - явно ему<br />
покровительствовали. Они помогали поэту в трудную минуту кремлёвскими<br />
пайками и спецкомандировками, выделили московскую квартиру, обеспечили<br />
выход нескольких книжек стихов.<br />
16
Однако неоднократные попытки Мандельштама сотрудничать в<br />
периодической советской печати всегда были неудачны и зачастую<br />
приводили к очень тяжелым последствиям: травля, ссылки, обвинение в<br />
плагиате, судебное разбирательство (описано в «Четвертой прозе» и<br />
опубликовано за рубежом в 1966 г.).<br />
Поэт и толпа, поэт и вождь, поэт и власть – все эти темы поистине<br />
неисчерпаемы и в отношении к Мандельштаму до сих пор вызывают самые<br />
противоречивые суждения и выводы! Причем как в России, так и далеко за<br />
ее пределами. В этом смысле наибольшую ценность приобретают<br />
воспоминания о поэте, впервые опубликованные за границей и не<br />
ограниченные какими-либо цензурными рамками.<br />
Одним из таких бесценных материалов о Мандельштаме явились мемуары<br />
Ирины Одоевцевой «На берегах Невы» (Париж, 1967 г.). Они охватывают<br />
всего несколько месяцев из жизни поэта (начало 20-х годов). С<br />
поразительной точностью писательница воссоздает в своем произведении<br />
мельчайшие подробности каждой встречи с поэтом: в кругу друзей, на<br />
лекциях в Доме Искусств, на мокрой от дождя или занесенной снегом улице<br />
Петрограда… Здесь важно все – и мелочи будней, и высокие поэтические<br />
прозрения:<br />
«Да, я действительно 'ничего не понимала' или, точнее, многого не понимала<br />
в нем. Не понимала я, например, его страха перед милиционерами и<br />
матросами — особенно перед матросами в кожаных куртках,— какого-то<br />
мистического, исступленного страха.<br />
Он, заявивший в стихах: Мне не надо пропуска ночного, Я милиционеров не<br />
боюсь — смертельно боялся милиционеров. Впрочем, в печати для<br />
цензурности 'милиционеры' были переделаны в 'часовых' — часовых я не<br />
боюсь — и не вполне удачно переделаны. Ведь часовые обыкновенно<br />
охраняют какой-нибудь дворец или учреждение и ровно никому не внушают<br />
страха. Не то что милиционеры.<br />
Но у Мандельштама не было никаких оснований бояться и милиционеров.<br />
Бумаги у него были в порядке, ни в каких 'заговорах' он никогда участия не<br />
принимал и даже в разговорах избегал осуждать 'правительство'. И все же,<br />
увидев шагавших куда-то матросов или стоящего на углу милиционера,<br />
Мандельштам весь съеживался, стараясь спрятаться за меня или даже<br />
юркнуть в подворотню, пока не скроется проходящий отряд матросов<br />
….<br />
Да, понять было трудно. Как могла в нем, наряду с такой невероятной<br />
трусостью, уживаться такая же невероятная смелость? Ведь нам всем было<br />
известно, что он не побоялся выхватить из рук чекиста Блюмкина пачку<br />
'ордеров на расстрел' и разорвать их. Кто бы, кроме Мандельштама, мог<br />
решиться на такое геройство или безумие? Как же так? Труслив, как кролик,<br />
и в то же время смел, как барсук».<br />
17
Вопрос «Что такое Мандельштам?» задавала себе не только Ирина<br />
Одоевцева, но она, по-видимому, выразила свое мнение наиболее точно:<br />
«Что такое Мандельштам, я узнала совсем недавно, в одну ночь прочитав<br />
'Камень'. Я сразу и навсегда запомнила наизусть большинство его стихов и<br />
часто повторяю про себя:<br />
За радость легкую дышать и жить<br />
Кого, скажите мне, благодарить?»<br />
Его знают, о нем пишут, спорят. Серьезные пробелы советского<br />
литературоведении по мере сил восполняется русским зарубежьем.<br />
В Германии тоже интересуются творчеством Мандельштама. Здесь в 1963<br />
году в издательстве Fischer во Франкфурте на Майне, вышла книга «Drei<br />
russische Dichter», в которой французский поэт Paul Celan предложил<br />
читателю свои переводы - 44 стихотворения русского поэта (Мандельштама)<br />
на немецком языке.<br />
Любители русской поэзии всегда ощущают особую, пронзительную силу и<br />
глубину творчества Мандельштама, и совершенно неважно, где в данный<br />
момент они живут, - в Петербурге или в Берлине; каждый из них искренне<br />
верит, что строчки «…я вернулся в мой город, знакомый до слез...»<br />
адресованы лично ему.<br />
18
Kurzbiografien<br />
Die Familien der Leipziger Unternehmer Siesk<strong>in</strong>d und Schreiber<br />
Der Bankier und Geheime Kommerzienrat Siesk<strong>in</strong>d Siesk<strong>in</strong>d wurde am 28.<br />
August 1833 <strong>in</strong> Ballenstedt (Harz) geboren und starb am 23. März 1925 <strong>in</strong><br />
Leipzig. Er war mit Marie Siesk<strong>in</strong>d , geborene Laskau, verheiratet. Sie wurde am<br />
23. September 1839 <strong>in</strong> Grünberg, Schlesien, geboren und starb am 29. Januar<br />
1908 <strong>in</strong> Leipzig. Die Familie kam im Juli 1886 nach Leipzig. Siesk<strong>in</strong>d war<br />
Mit<strong>in</strong>haber des Leipziger Bankhauses H.C. Plaut, <strong>in</strong> das er im Jahr 1872<br />
e<strong>in</strong>getreten war. Als Jacob Plaut im Jahr 1875 <strong>in</strong> den Ruhestand g<strong>in</strong>g, übernahm<br />
Siesk<strong>in</strong>d Siesk<strong>in</strong>d die Leitung des Bankunternehmens. Er war zugleich<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Spitzenfabrik AG sowie der<br />
Sächsischen Wollgarn AG. Außerdem stand er an der Spitze der Braunkohlen-<br />
Industrie-Gesellschaft.<br />
Durch den E<strong>in</strong>tritt Siesk<strong>in</strong>ds <strong>in</strong> das Bankhaus H.C. Plaut und die Verb<strong>in</strong>dung der<br />
ältesten Tochter Siesk<strong>in</strong>ds, Amalia, mit dem Unternehmer Georg Schreiber<br />
entstand <strong>in</strong> Leipzig um die Firma H.C. Plaut e<strong>in</strong>e großbürgerliche, deutschjüdische<br />
Gründerfamilie. Die Bank f<strong>in</strong>anzierte neue Eisenbahnen, die Entwicklung<br />
der osteuropäischen Wirtschaft, vor allem aber die Leipziger Messe und den<br />
Rauchwarenhandel. Sie war <strong>in</strong> zahlreichen Aufsichtsräten vertreten. Die von<br />
Jacob Plaut geschaffene Jacob-Plaut-Stiftung <strong>in</strong> Nordhausen (Jacob-Plaut-<br />
Krankenhaus) und Leipzig spendete noch zu Lebzeiten des Stifters<br />
Millionenbeträge für wohltätige Zwecke.<br />
Unter dem Nationalliberalen Otto Robert Georgi (1831-1918), der 1870 bis 1874<br />
und 1876 bis 1899 Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister der Stadt war,<br />
entwickelte sich Leipzig damals zu e<strong>in</strong>er modernen Groß- und Messestadt. Die<br />
Familien Plaut, Siesk<strong>in</strong>d und Schreiber waren <strong>in</strong> diesen Jahren eng mit der<br />
liberalen Leipziger Bürger- und Unternehmerschaft verbunden und hatten am<br />
„Gründerboom“ großen Anteil.<br />
Im jüdischen Geme<strong>in</strong>deleben zählten die Bankiersfamilien zum liberalen<br />
Geme<strong>in</strong>dekern. Jacob Plaut war Ehrenmitglied der Israelitischen Geme<strong>in</strong>de zu<br />
Leipzig, Siesk<strong>in</strong>d Siesk<strong>in</strong>d – stellvertretender Vorsitzender. Ihre Vorfahren<br />
standen an der Wiege der Geme<strong>in</strong>de. Die Plauts und Siesk<strong>in</strong>ds waren mit dem<br />
Gründungsmitglied der Israelitischen Geme<strong>in</strong>de und e<strong>in</strong>em ihrer ersten<br />
Vorstände, John B. Oppenheimer, verwandt. Der Bruder Jacob Plauts, Gustav<br />
Plaut, bestimmte <strong>in</strong> Jahren 1859 bis 1865 als stellvertretender Vorsteher unter<br />
Hermann Meyer das Geme<strong>in</strong>deleben mit. Die Erben des Geheimrats Siesk<strong>in</strong>d-<br />
Siesk<strong>in</strong>d (Siesk<strong>in</strong>d, Schreiber, Maas) stifteten 1930 e<strong>in</strong> unersetzliches<br />
historisches Dokument zur Geschichte des Leipziger Geme<strong>in</strong>delebens – die<br />
Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Leipziger Geme<strong>in</strong>desynagoge,<br />
herausgegeben 1930 <strong>vom</strong> Vorstand der Israelitischen Religionsgeme<strong>in</strong>de Leipzig.<br />
Aus der Ehe Siesk<strong>in</strong>ds stammen zwei Töchter und e<strong>in</strong> Sohn. Die älteste Tochter,<br />
Amalia, wurde am 22. Juli 1863 <strong>in</strong> Ballenstedt geboren. Am 16. Oktober 1884<br />
heiratete sie den Bankier Georg Schreiber. Schreiber stammte ursprünglich aus<br />
Breslau. Er wurde am 12. August 1854 <strong>in</strong> Breslau geboren und starb am 23. Juli<br />
19
1912 <strong>in</strong> Leipzig. Amalia starb acht Jahre später, am 26. Oktober 1920, ebenfalls<br />
<strong>in</strong> Leipzig. Rittmeister und General-Konsul Georg Schreiber war viele Jahre<br />
stellvertretender Vorsitzender der Israelitischen Religionsgeme<strong>in</strong>de zu Leipzig. An<br />
se<strong>in</strong>er Beisetzung auf dem Alten Israelitischen Friedhof <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Straße<br />
nahmen der Oberbürgermeister der Stadt, Stadtverordnete und Unternehmer<br />
sowie drei Offiziere und e<strong>in</strong>e Fahnendeputation teil. Schreiber war Miteigentümer<br />
der Bank für Brau<strong>in</strong>dustrie und der Aktiengesellschaft <strong>Sachsen</strong>werk, Licht und<br />
Kraft.<br />
Die Schreibers hatten drei Söhne, Walter Moritz, Albert und Hans (am 9.<br />
November 1895 <strong>in</strong> Leipzig geboren) und e<strong>in</strong>e Tochter namens Ilse. Der älteste<br />
Sohn war der Bankier und Rechtsanwalt Dr. jur. Walter Moritz Schreiber. Er<br />
wurde am 6. Juli 1885 <strong>in</strong> Breslau geboren und starb vermutlich am 22. Juni 1940<br />
im Konzentrationslager. Der zweite Sohn war der Bankier Albert Schreiber, der<br />
am 20. November 1886 <strong>in</strong> Leipzig zur Welt kam. Siesk<strong>in</strong>ds Schwiegersohn,<br />
Georg Schreiber, und dessen Söhne führten das Bankunternehmen H.C. Plaut<br />
weiter. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das<br />
Unternehmen liquidiert.<br />
Albert Schreiber wurde am 29. März 1943 <strong>in</strong> das Ghetto Theresienstadt<br />
deportiert und von dort am 1. Oktober 1944 nach Auschwitz. Seitdem gilt er als<br />
verschollen. Walter und Albert Schreiber gerieten außerdem im Jahr 1938<br />
während der Novemberpogrome <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sonderaktion und wurden von den<br />
Nationalsozialisten am 11. November 1938 verhaftet. Während Walter e<strong>in</strong>en<br />
Monat später entlassen wurde, blieb Albert über e<strong>in</strong> Jahr im Lager <strong>in</strong>haftiert. Die<br />
Schreibers wohnten Anfang der 30er Jahre <strong>in</strong> der Beethovenstraße 16.<br />
Die Tochter Ilse Schreiber wurde am 28. August 1890 <strong>in</strong> Leipzig geboren. Am 26.<br />
August 1919 heiratete sie <strong>in</strong> Leipzig den Bankier Siegfried Simonson.<br />
Die jüngere Tochter Siesk<strong>in</strong>d Siesk<strong>in</strong>ds, Elsbeth, wurde am 10. November 1867<br />
<strong>in</strong> Ballenstedt geboren. Am 16. Oktober 1890 heiratete sie den Bankier Eugen<br />
Michael Maas. Maas starb im Jahr 1940. Am 19. September 1942 wurde Elsbeth<br />
<strong>in</strong> das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 31. Oktober 1942 starb.<br />
Der Sohn Siesk<strong>in</strong>d Siesk<strong>in</strong>ds, der spätere Bankier Dr. jur. Jacob Siesk<strong>in</strong>d, wurde<br />
am 12. November 1872 <strong>in</strong> Leipzig geboren. Er war mit e<strong>in</strong>er nichtjüdischen<br />
Ehefrau verheiratet. Das Ehepaar wohnte <strong>in</strong> der Wächterstraße 15. Am 11.<br />
November 1942 wurde Dr. Jacob Schreiber wegen Vergehens gegen die<br />
Kriegswirtschaftsverordnung verhaftet und am 23. <strong>Dezember</strong> 1942 nach<br />
Auschwitz deportiert, wo er am 11. Januar 1943 starb.<br />
Diamant, Adolf: Chronik der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Leipzig, Heimatland <strong>Sachsen</strong>, 1993, Chemnitz,<br />
Leipzig, S. 101, 195, 388.<br />
Bertram, Ellen: Menschen ohne Grabste<strong>in</strong>: Die aus Leipzig deportierten und ermordeten<br />
<strong>Juden</strong>. Herausgegeben von Rolf und Brigitte Kralovitz <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der Ephraim<br />
Carlebach Stiftung und der Israelitischen Religionsgeme<strong>in</strong>de zu Leipzig, 2001, Leipzig, S.<br />
163, 212, 216.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung Leipzig [Hrsg.]: Festschrift zum 75jährigen Bestehen der<br />
Leipziger Geme<strong>in</strong>desynagoge 1855-1930 Leipzig, arani, Berl<strong>in</strong>, 1994.<br />
Re<strong>in</strong>hold, Josef: Zwischen Aufbruch und Beharrung. <strong>Juden</strong> und jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />
Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Sächsisches Druck- und Verlagshaus, Dresden,<br />
1999, S. 18, 30.<br />
Riedel, Horst: Stadtlexikon Leipzig von A bis Z, Pro Leipzig, Leipzig, 2005.<br />
20
Sächsisches Staatsarchiv Leipzig<br />
- Polizeimeldebuch 1876, 11459K, Nr. 230, 18033, Folie 5(b)<br />
- Polizeimeldebuch 1876, 11458K, Nr. 225, 18032, Folie 65(b)<br />
- Polizeimeldebuch 1876, 11458K, Nr. 225, 18032, Folie 66<br />
- Polizeimeldebuch 1876, 11458K, Nr. 225, 18032, Folie 84(b).<br />
Keith Barlow, SW<br />
Die Familie Bleiweis<br />
Chaim Bleiweis<br />
Der Pelzhändler Chaim Bleiweis wurde am 14.06.1894 <strong>in</strong> Lubl<strong>in</strong> geboren. Er<br />
heiratete 1919 <strong>in</strong> Tarnow Marjam Lustgarten, geboren 1895 <strong>in</strong> Tarnow. Die<br />
Bleiweis kamen 1931 von Naunhof nach Leipzig. Zwei Söhne der Bleiweis,<br />
Bernhard und Wolf, wurden <strong>in</strong> Leipzig geboren. Der Sohn Leo kam <strong>in</strong> Naunhof<br />
zur Welt. Die Familie wohnte <strong>in</strong> Leipzig am Dorotheenplatz 1. Die Bleiweis<br />
wanderten im Jahr 1937 aus und lebte vor ihrer Deportation <strong>in</strong> Nizza. Nach<br />
Angaben von Zeugen des Holocaust-Museums Yad Vashem wurde Chaim 1942<br />
von Nizza <strong>in</strong> das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er 1944 starb.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 30.01.2009.<br />
Bernhard Bleiweis<br />
Bernhard Bleiweis kam 27.06.1923 <strong>in</strong> Leipzig zur Welt . Er war der Sohn von<br />
Marjam Bleiweis, geborene Lustgarten, und Chaim Bleiweis (1894 - 1944). Die<br />
Bleiweis kamen 1931 von Naunhof nach Leipzig. Bernhard hatte zwei Brüder,<br />
Wolf Bleiweis, geboren <strong>in</strong> Leipzig, und Leo Bleiweis, geboren <strong>in</strong> Naunhof. Der<br />
Vater, Chaim Bleiweis, war Pelzhändler. Die Familie wohnte am Dorotheenplatz<br />
1. Die Bleiweis wanderten im Jahr 1937 aus und lebte vor ihrer Deportation <strong>in</strong><br />
Nizza. Nach Angaben von Zeugen des Holocaust-Museums Yad Vashem starben<br />
Chaim, Bernhard und Leo im Vernichtungslager Auschwitz. Der Sohn Wolf<br />
überlebte. Im Jahr 1995 lebte er unter se<strong>in</strong>em neuen Namen, Willi Blye, <strong>in</strong> New<br />
York.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 30.01.2009.<br />
21
Leo Bleiweis<br />
Leo Bleiweis kam am 17.05.1925 <strong>in</strong> Naunhof zur Welt . Er war der Sohn von<br />
Marjam Bleiweis, geborene Lustgarten, und Chaim Bleiweis (1894 - 1944). Die<br />
Bleiweis kamen 1931 von Naunhof nach Leipzig. Zwei weitere Söhne der<br />
Bleiweis, Bernhard und Wolf, wurden <strong>in</strong> Leipzig geboren. Chaim Bleiweis war<br />
Pelzhändler. Die Bleiweis wanderten im Jahr 1937 aus und lebten vor ihrer<br />
Deportation <strong>in</strong> Nizza. Die Familie wohnte <strong>in</strong> Leipzig am Dorotheenplatz 1. Nach<br />
Angaben von Zeugen des Holocaust-Museums Yad Vashem starben Chaim,<br />
Berhard und Leo im Vernichtungslager Auschwitz. Der Sohn Wolf überlebte. Im<br />
Jahr 1995 lebte er unter se<strong>in</strong>em neuen Namen Willi Blye <strong>in</strong> New York.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 30.01.2009.<br />
Mirjam Bleiweis<br />
Marjam Bleiweis, geborene Lustgarten, kam am 21.10.1895 <strong>in</strong> Tarnow (Galizien)<br />
zur Welt. Sie heiratete 1919 <strong>in</strong> Tarnow Chaim Bleiweis, geboren 1894 <strong>in</strong> Lubl<strong>in</strong>.<br />
Die Bleiweis kamen 1931 von Naunhof nach Leipzig. Chaim Bleiweis war von<br />
Beruf Pelzhändler. Zwei Söhne der Bleiweis, Bernhard und Wolf, wurden <strong>in</strong><br />
Leipzig geboren. Der Sohn Leo kam <strong>in</strong> Naunhof zur Welt. Die Familie wohnte <strong>in</strong><br />
Leipzig am Dorotheenplatz 1. Die Bleiweis wanderten im Jahr 1937 aus und<br />
lebte vor ihrer Deportation <strong>in</strong> Nizza. Nach Angaben von Zeugen des Holocaust-<br />
Museums Yad Vashem starben Chaim, Berhard und Leo im Vernichtungslager<br />
Auschwitz.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 30.01.2009.<br />
22
Die Familie Blitzer<br />
Jacob Blitzer<br />
Der Kaufmann Jacob Blitzer wurde am 15.12.1872 <strong>in</strong> Galizien geboren. Er hatte<br />
zwei Ehefrauen. Se<strong>in</strong>e zweite Ehefrau, Gitel Thieberg, geborene Klausner<br />
(15.10.1875), heiratete er im Jahr 1911. Im selben Jahr zog das Ehepaar nach<br />
Leipzig.<br />
Die Blitzers wohnten <strong>in</strong> der Humboldtstraße 24. Gitel brachte vier K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> die<br />
Ehe mit. Blitzer hatte mit der ersten Ehefrau <strong>in</strong> Oswiecim fünf K<strong>in</strong>der. Gitel und<br />
Jacob Blitzer zeugten e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Tochter namens Elisa, die <strong>in</strong> Leipzig zur<br />
Welt kam und später nach Zwickau g<strong>in</strong>g.<br />
Zu Blitzers K<strong>in</strong>dern aus erster Ehe mit Reg<strong>in</strong>a Blitzer, geborene Appel, zählten<br />
Markus Blitzer, der 1898 zur Welt kam, und Hermann Hirsch Blitzer, geboren<br />
1896. Markus diente im Ersten Weltkrieg. Se<strong>in</strong> Name f<strong>in</strong>det sich im Gedenkbuch<br />
des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF). Er starb bereits im Jahr 1921.<br />
Hermann Hirsch Blitzer ist laut Angaben se<strong>in</strong>es Cous<strong>in</strong>s, Dr. Paul Appel, während<br />
des Holocaust ums Leben gekommen. Er soll sich außerdem zuvor <strong>in</strong> Frankreich<br />
aufgehalten haben, so Dr. Paul Appel.<br />
Jacob Blitzer war 1918 stellvertretender Vorsitzender der Mischnajas zu Leipzig.<br />
Das Lern- und Bethaus der Mischnajas, die Seelenfeiern und Jahrzeiten für<br />
verstorbene und gefallene Mitglieder abhielt, befand sich wie die Wohnung der<br />
Blitzers <strong>in</strong> der Humboldtstraße 24. Gitel und Jacob Blitzer reisten 1936 nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a aus.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.Gedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF).<br />
www.denkmalprojekt.org. 15.09.<strong>2008</strong>.<br />
Höppner, Solvejg; Jahn, Manfred: Jüdische Vere<strong>in</strong>e und Organisationen <strong>in</strong> Chemnitz,<br />
Dresden und Leipzig 1918 bis 1933: E<strong>in</strong> Überblick, Sächsisches Druck- und Verlagshaus,<br />
Dresden, 1997, 43.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 27.01.2009.<br />
Hermann Hirsch Blitzer<br />
Hermann Hirsch Blitzer kam im Jahr 1896 <strong>in</strong> Oswiecim als Sohn des Kaufmanns<br />
Jacob Blitzer und dessen erster Ehefrau Reg<strong>in</strong>a Blitzer, geborene Appel, zur Welt.<br />
Der Vater Jacob Blitzer heiratete 1911 e<strong>in</strong> zweites Mal. Die Familie wohnte <strong>in</strong><br />
Leipzig <strong>in</strong> der Humboldtstraße 24. Hermann Blitzer soll nach Angaben se<strong>in</strong>es<br />
Cous<strong>in</strong>s, Dr. Paul Appel, während des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> Frankreich gelebt<br />
haben. Er gilt als verschollen.<br />
23
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
www.yadvashem.org. 27.01.2009.<br />
Markus Blitzer<br />
Markus Blitzer war der Sohn von Jacob und Gitel Blitzer, vormals Thieberg,<br />
geborene Klausner, und wurde <strong>in</strong> Oswiecim geboren. Er stammt aus der ersten<br />
Ehe des Kaufmanns Jacob Blitzer. Die Blitzers kamen 1911 nach Leipzig. Sie<br />
wohnten 1914 <strong>in</strong> der Humboldtstraße 64. Markus diente im Ersten Weltkrieg. Er<br />
starb am 09.06.1921.<br />
Gedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF). www.denkmalprojekt.org.<br />
15.09.<strong>2008</strong>.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 7416.<br />
Bruno Bloch<br />
Bruno Bloch wurde am 13.10.1885 <strong>in</strong> Elb<strong>in</strong>g (Westpreußen) geboren. Er studierte<br />
Philosophie und Rechtswissenschaft. Im Mai 1912 zog er von Königsberg nach<br />
Leipzig. Bloch wohnte zuerst <strong>in</strong> der Gottschedstraße 6 und zog später <strong>in</strong> die<br />
Less<strong>in</strong>gstraße 13. Während des Ersten Weltkriegs wurde er zum Kriegsdienst<br />
e<strong>in</strong>gezogen. Nach dem Krieg arbeitete er als Korrespondent, Redakteur und<br />
Prokurist. 1935 stellte er e<strong>in</strong>en Ehrenkreuzantrag. Bloch plante, nach Israel<br />
auszureisen und beantragte im August 1938 die Ausreise. Während der<br />
Novemberpogrome des Jahres 1938 wurde er im Rahmen e<strong>in</strong>er "Sonderaktion"<br />
verhaftet. In Folge des "Gesetzes über die Mietverhältnisse mit <strong>Juden</strong>" <strong>vom</strong> April<br />
1939 verlor er se<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> der Less<strong>in</strong>gstraße und zog <strong>in</strong> das <strong>Juden</strong>haus<br />
Leibnitzstraße 4. Er musste Zwangsarbeit als Pelzschneider verrichten. Am<br />
20.01.1942 deportierten ihn die Nationalsozialisten nach Riga. Seitdem gilt er als<br />
verschollen.<br />
Bertram, Ellen: Menschen ohne Grabste<strong>in</strong>: Die aus Leipzig deportierten und ermordeten<br />
<strong>Juden</strong>. Herausgegeben von Rolf und Brigitte Kralovitz <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der Ephraim<br />
Carlebach Stiftung und der Israelitischen Religionsgeme<strong>in</strong>de zu Leipzig, Leipzig, 2001,<br />
70.<br />
Ephraim Carlebach Stiftung [Hrsg.]: Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933,<br />
arani, 1994, Berl<strong>in</strong>, 13.<br />
Sächsisches Staatsarchiv:<br />
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Meldekartei Leipzig, Film: SF 6557/0085f.<br />
24
Leipziger Biografien<br />
Mendelssohn, Plaut, Händler, Loewengard, Fränkel, Ariowitsch, Eit<strong>in</strong>gon,<br />
Abraham, H<strong>in</strong>richsen<br />
Die Leipziger Blätter veröffentlichen e<strong>in</strong>en Artikel von Katr<strong>in</strong> Löffler über jüdische<br />
Stifter und jüdische Stiftungen <strong>in</strong> Leipzig. Die älteste bekannte jüdische Stiftung<br />
sei die Mendelssohn-Stiftung gewesen, die vor allem jüdische Studenten<br />
förderte. Die Stiftung entstand 1861. Auch die Stiftungen Humanitas, gegründet<br />
1873, und die eher private Stiftung Felix-Mendelssohn-Bartholdy vergaben<br />
Stipendien an bedürftige bzw. begabte Studenten. Im Artikel f<strong>in</strong>det auch die<br />
1887 von dem Rauchwarenhändler Nathan Händler errichtete Stiftung Nathan-<br />
Händler-Stiftung Erwähnung, die Jugendlichen dabei half, e<strong>in</strong>en handwerklichen<br />
oder technischen Beruf zu erlernen. Zu den bekanntesten jüdischen Stiftern<br />
Leipzigs zählten der Rauchwarenhändler Chaim Eit<strong>in</strong>gon und die Familie<br />
Ariowitsch, die Fränkels, die Familie Plaut und die Loewengards, deren Stiftungen<br />
vor allem soziale E<strong>in</strong>richtungen und mit ihren Geldspenden an die städtische<br />
Stiftungsbuchhalterei auch Armenalmosen f<strong>in</strong>anzierten. Die Autor<strong>in</strong> weist auf die<br />
Tradition der jüdischen Spender h<strong>in</strong>, noch zu Lebzeiten, oftmals bei Firmen- oder<br />
Familienjubiläen und entsprechend der Feiertage des jüdischen Kalenders,<br />
Gelder zu spenden oder wohltätige Stiftungen e<strong>in</strong>zurichten. Im Unterschied zu<br />
Ariowitsch und Eit<strong>in</strong>gon, die mit ihren Spenden zunächst die vernachlässigte<br />
soziale Infrastruktur des jüdischen Geme<strong>in</strong>delebens unterstützten, habe die<br />
Zugehörigkeit zum <strong>Juden</strong>tum bei Max Abraham, dem Spender der<br />
Musikbibliothek Peters und se<strong>in</strong>em Neffen Henri H<strong>in</strong>richsen, der die Max-<br />
Abraham-Stiftung gründete, kaum noch e<strong>in</strong>e Rolle gespielt. Sie gehörten dem<br />
alte<strong>in</strong>gesessenen deutsch-jüdischen Bürgertum sowie der wirtschaftlichen und<br />
kulturellen Elite der Stadt an und unterstrichen dies mit ihren Spenden.<br />
(Leipziger Blätter, 53/<strong>2008</strong>, S. 28-30).<br />
Mendelssohn Bartholdy<br />
Gestern verkündeten der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung,<br />
und der Präsident der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, Kurt Masur, die<br />
Preisträger des Leipziger Mendelssohnpreises 2009. Für ihre Verdienste um das<br />
Erbe des Komponisten und Dirigenten erhalten die Auszeichnung <strong>in</strong> der Kategorie<br />
Musik der Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly, <strong>in</strong> der Kategorie<br />
Gesellschaft Altbundeskanzler Helmut Schmidt und <strong>in</strong> der Kategorie Bildende<br />
Kunst der Musiker und Maler Arm<strong>in</strong> Mueller-Stahl. Anlässlich der Preisverleihung<br />
f<strong>in</strong>det im Februar 2009 e<strong>in</strong>e große Mendelssohn-Benefiz-Gala statt, dirigiert von<br />
Chailly, mit dem Ch<strong>in</strong>esen Lang-Lang am Klavier und moderiert von Sandra<br />
Maischberger (Leipziger Volkszeitung, 10.12.<strong>2008</strong>, S. 9).<br />
25
ISSN 1866-5853<br />
Impressum und Copyright<br />
Herausgeber:<br />
Deutsch-Russisches Zentrum <strong>Sachsen</strong> e.V.<br />
Bernhard-Gör<strong>in</strong>g-Strasse 152<br />
04277 Leipzig<br />
Tel.: 0341 – 3065225<br />
Fax: 0341 – 3065226<br />
Web: www.juden-<strong>in</strong>-sachsen.de<br />
E-Mail: drz-sachsen@primacom.net<br />
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Susann Weien ( V.i.S.d.P. )<br />
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Nachdruck oder die Vervielfältigung – auch teilweise – bedürfen der schriftlichen<br />
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www.juden-<strong>in</strong>-sachsen.de<br />
26